01.12.2012 Aufrufe

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

eichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />

In diesem Zusammenhang analysiert die Autorin auch<br />

<strong>Reich</strong>weins �Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung�<br />

aus dem Jahre 1933, ohne ausreichend zu berücksichtigen,<br />

dass dieses Schreiben im Gr<strong>und</strong>e ein Bewerbungsschreiben<br />

darstellt, um im NS-System eingestellt zu<br />

werden. Für Hohmann ist dies der erste Beleg des<br />

�<strong>Die</strong>nstbaren Begleitens�.<br />

Man gewinnt den Eindruck, dass die Autorin weder die<br />

Lebensumstände, die materiellen Zwänge der jungen<br />

Familie nach beider Entlassung in Halle, noch die politische<br />

Situation nach Hitlers Machtübernahme begreift<br />

oder zumindest beachtet. <strong>Die</strong>ses Defizit der Wahrnehmung<br />

politischer <strong>und</strong> lebensgeschichtlicher Zusammenhänge<br />

muss man an mehreren des dennoch fleißig <strong>und</strong><br />

akribisch zusammengetragenen Werkes konstatieren.<br />

Ihr positivistischer, an der Historisierung orientierter<br />

Wissenschaftsbegriff wird hier wirksam. Dem entspricht<br />

auch die Skepsis gegenüber der oral history <strong>und</strong> gegenüber<br />

Zeitzeugenaussagen.<br />

<strong>Die</strong> sechsjährige, reformpädagogische Schulpraxis des<br />

�unfreiwilligen Quereinsteigers� <strong>Reich</strong>wein vermag sie<br />

nicht positiv darzustellen. Weder setzt sich Christine<br />

Hohmann mit dem Ideenreichtum <strong>Reich</strong>weins auseinander,<br />

der Anleihen bei der Arbeitsschulbewegung, der<br />

Kunsterziehungsbewegung <strong>und</strong> der Erlebnispädagogik<br />

macht, noch thematisiert sie die einzelnen Vorhaben des<br />

Sommer- <strong>und</strong> Winterhalbjahres. Im Teil B von <strong>Reich</strong>weins<br />

pädagogischem Praxisbericht �Schaffendes<br />

Schulvolk� 13 , der die Überschrift �Wie wir es machen�<br />

trägt, bespricht er die Vorhaben Gewächshaus, Bienen,<br />

Hausformen, Festgestaltung (Weihnachten), Erdk<strong>und</strong>e<br />

(insbesondere Afrika im Fliegen), die Ostpreußen- sowie<br />

die Nordmark-Fahrt. Zudem ignoriert Hohmann die zahlreichen<br />

für sich sprechenden Fotos im �Schaffenden<br />

Schulvolk�.<br />

Im Vorwort zu dieser Schrift betont <strong>Reich</strong>wein, dass sein<br />

Praxisbericht auf einer schon geleisteten Arbeit beruhe<br />

<strong>und</strong> an jeder normalen Dorfschule ebenso realisiert werden<br />

könne: �So kann es gemacht werden! Als Kameradschaftlicher<br />

<strong>Die</strong>nst ist diese Schrift gemeint. Sie will Mut<br />

<strong>und</strong> Lust machen zur ländlichen Erziehungsarbeit.� 14<br />

Ihre Kritik an den fehlenden Quellenbelegen im Text ist<br />

formal berechtigt � im Gr<strong>und</strong>e jedoch nicht wesentlich.<br />

Dass Christine Hohmann die Wertschätzung <strong>Reich</strong>weins,<br />

dessen entfaltete Schulpraxis mit Vorhaben, die<br />

weit über die enge Heimatk<strong>und</strong>e hinausweisen, nichts<br />

anfangen kann, verw<strong>und</strong>ert nicht. Ullrich Amlungs <strong>und</strong><br />

Karl-Christoph Lingelbachs positive Einschätzung sowie<br />

13 <strong>Reich</strong>wein, <strong>Adolf</strong>: Schaffendes Schulvolk. Film in der Landschule.<br />

<strong>Die</strong> Tiefenseer Schulschriften, kommentierte Neuausgabe,<br />

hrsg. von Wolfgang Klafki, Ullrich Amlung, Hans-<br />

Christoph Berg, Heinrich Lenzen, Peter Meyer <strong>und</strong> Wilhelm Wittenbruch,<br />

Weinheim/Basel, 1993.<br />

14 <strong>Reich</strong>wein, <strong>Adolf</strong>: Schaffendes Schulvolk, S. 28.<br />

15<br />

Wolfgang Klafkis Wertschätzung weist sie ausdrücklich<br />

zurück. 15<br />

<strong>Reich</strong>weins Briefe aus Tiefensee berücksichtigt sie nur<br />

punktuell, <strong>und</strong> nur, sofern sie in die Tendenz des<br />

�<strong>Die</strong>nstbaren Begleitens� passen.<br />

Aussagen des Schulrats Georg Wolff wertet die Autorin<br />

ebenso nicht vollständig aus, obwohl sie die Beurteilungen<br />

des Kreisschulrats näher beleuchtet. Vor allem übersieht<br />

sie Wolffs positive Gesamtwürdigung der Tätigkeit<br />

<strong>Reich</strong>weins, trotz einiger Kritikpunkte, die sie hervorhebt.<br />

Sie erkennt nicht, dass Georg Wolff <strong>Reich</strong>wein<br />

mit seinen Visitationsberichten geschützt hat. 16<br />

<strong>Die</strong> Zeitzeugenaussagen ehemaliger Schülerinnen<br />

stimmen alle darin überein, dass <strong>Reich</strong>weins Unterricht<br />

unpolitisch gewesen sei. 17<br />

Aus mehreren Interviews mit der Zeitzeugin <strong>und</strong> ehemaligen<br />

Dorfschülerin Margot Hönsch weiß ich, wie gerne<br />

sie bei <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein in der Zeit von 1936 bis 1939 zur<br />

Schule ging <strong>und</strong> wie sehr sie ihn als Lehrer <strong>und</strong> Mensch<br />

schätzte. Sie bestätigt viele Details aus dem �Schaffenden<br />

Schulvolk�. 18<br />

<strong>Die</strong> zweite Tiefenseer Schrift �Film in der Landschule�<br />

lässt Hohmann ohne Begründung einfach außer Acht.<br />

Gerade die schülerorientierte, medienpädagogische Pionierarbeit<br />

ist jedoch wesentlicher Bestandteil der von<br />

<strong>Reich</strong>wein angewandten Reformpädagogik.<br />

Zu Recht kritisiert Christine Hohmann jedoch die Herausgeber<br />

des �Schaffenden Schulvolks� von 1993, die<br />

sich nicht darauf verständigen konnten, den Originaltext<br />

aus dem Jahre 1937 abzudrucken.<br />

Möglicherweise ist Hans Bohnenkamp, dessen Entnazifizierung<br />

Hohmann herausstellt, auch 1951 bei der redaktionellen<br />

Überarbeitung dieser Schrift zu weit gegangen.<br />

<strong>Die</strong> Autorin betont, dass <strong>Reich</strong>wein in den NSLB eingetreten<br />

sei, wo er sich nur auf Kreisebene betätigt habe.<br />

In Buchveröffentlichungen zur Landschulreform <strong>und</strong> gegen<br />

die Landflucht habe er noch 1933 Beiträge übernommen.<br />

Seine Vortragstätigkeit sei von 1933 bis 1939<br />

begrenzt gewesen. <strong>Die</strong> Tiefenseer Schulschriften seien<br />

15 vgl.: Lingelbach, Karl-Christoph <strong>und</strong> Ullrich Amlung: <strong>Adolf</strong><br />

<strong>Reich</strong>wein (1898�1944), in: Tenorth, Heinz-Elmar [Hrsg.]<br />

(2003): Klassiker der Pädagogik. Von John Dewey bis Paulo<br />

Freire, Bd. 2, München, S. 203�216 <strong>und</strong> Klafki, Wolfgang: Geleitwort<br />

zu den Tiefenseer Schulschriften (Neuausgabe 1993),<br />

s. Anmerkung 13.<br />

16 vgl.: Hohmann, Christine, a.a.O., S. 106�107 <strong>und</strong> <strong>Reich</strong>wein,<br />

Rosemarie (1999): <strong>Die</strong> Jahre mit <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein prägten mein<br />

Leben. Ein Buch der Erinnerung, hrsg. <strong>und</strong> mit Beiträgen versehen<br />

von Lothar Kunz <strong>und</strong> Sabine <strong>Reich</strong>wein, München, hier:<br />

Kapitel Tiefensee 1933�1939, S. 30�37.<br />

17 Hohmann, S. 115.<br />

18 Margot Hönsch über <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein..., Interview mit Lothar<br />

Kunz <strong>und</strong> Studierenden der Hochschule der Künste Berlin im<br />

Sommer 1997 in Tiefensee, Berlin 2001, 21 Seiten.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!