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Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />

gust also das [Todes-]Urteil verkündet war, lief ich noch<br />

einmal zurück in die Hortensienstraße, <strong>und</strong> ich lief durch<br />

eine grelle Sonne durch Berlin, <strong>und</strong> das war das einzige<br />

Mal in meinem Leben, daß ich die Sonne verflucht habe.<br />

��] er ist um halb sieben gestorben. [�] Ich habe an ihn<br />

gedacht <strong>und</strong> auch gebetet.� 44 Am nächsten Tag nimmt<br />

sie an einer Andacht teil, in dem der nachmalige Bischof<br />

Lilje über das Losungswort des Vortages predigt: �Ich<br />

habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf<br />

vollendet, ich habe Glauben gehalten.� (2. Timotheus, 4,<br />

7) 45 Dem schlossen sich Vermögensbeschlagnahmung<br />

<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e eigene Verhaftung, der sie sich selbst in einem<br />

Gestapoquartier stellte, mit einem dreimonatigen Aufenthalt<br />

im Moabiter Untersuchungsgefängnis an. Im Verlauf<br />

der einzigen Vernehmung bestritt sie mutig jegliches<br />

Mitwissen an der Verschwörung, ein Rollenverständnis,<br />

das genau in das reaktionäre Frauenbild der nationalsozialistischen<br />

Heim-<strong>und</strong>-Herdideologie paßte <strong>und</strong> <strong>ihr</strong> geglaubt<br />

wurde. Bereits bei dem Versuch, an eine Besuchserlaubnis<br />

für <strong>ihr</strong>en Mann zu gelangen, hatte sie auf<br />

den Vorhalt, sie habe doch vorher alles gewußt, geleugnet:<br />

�[...] keine Ahnung, ich war in Schlesien, <strong>und</strong> mein<br />

Mann ist ein so verschwiegener Mensch [...]�. 46 Einzigen<br />

direkten Kontakt nach außen bildet der Gefängnispfarrer<br />

Harald Poelchau, der <strong>ihr</strong> von den letzten Gesprächen mit<br />

<strong>ihr</strong>em Mann berichten kann.<br />

Nach <strong>ihr</strong>er Entlassung reist sie unter Bruch der Auflagen<br />

nach Klein-Oels zu der ebenfalls aus der Sippenhaft entlassenen<br />

Schwiegermutter <strong>und</strong> hält sich zu Kriegsende<br />

in Kreisau auf, wo auch Rosemarie <strong>Reich</strong>wein bereits<br />

ein Jahr zuvor mit <strong>ihr</strong>en Kindern Zuflucht gesucht hatte.<br />

Zwischen Frühsommer 1945 <strong>und</strong> Winter 1946 macht sie<br />

sich mehrfach auf den gefährdeten Weg über die grüne<br />

Grenze nach Berlin, kehrt aber immer wohlbehalten zurück,<br />

bis sie schließlich gemeinsam mit <strong>ihr</strong>er Schwägerin<br />

Irene für drei Monate in polnischen <strong>und</strong> russischen Untersuchungsgefängnissen<br />

festgesetzt wird. Im März<br />

1946 gelangen sie zurück in die Hortensienstraße.<br />

Der Notwendigkeit, sich eine neue, unabhängige Existenz<br />

aufbauen zu müssen, stellt sie sich kraftvoll, sie habe<br />

�das Zerbrechen der alten Lebensform nicht als bedrohlich<br />

empf<strong>und</strong>en�, reflektiert sie später. �Manchmal<br />

denke ich sogar, ich habe erst mit vierzig Jahren Laufen<br />

gelernt�. 47 Zunächst arbeitet sie für den Großberliner<br />

44 Ebd., S. 77<br />

45 Ebd., S. 80<br />

46 <strong>Die</strong>tzel, Ulrich u. Eberhard Görner: Gespräch mit Marion Gräfin<br />

Yorck von Wartenburg, in: Sinn <strong>und</strong> Form 35 (1983), S. 517-<br />

532, hier S. 519. Das Interview mit der Ost-Berliner Kulturzeitschrift<br />

fand zwei Jahre nach der filmischen Adaption einer Erzählung<br />

Stefan Hermlins durch die DEFA statt (Leutnant Yorck<br />

von Wartenburg, 1981).<br />

47 Yorck v. Wartenburg, Marion Gräfin: <strong>Die</strong> Stärke der Stille.<br />

Köln 1984, S. 114<br />

21<br />

Magistrat gemeinsam mit der Witwe des als Angehörigen<br />

der �Roten Kapelle� hingerichteten Adam Kuckhoff<br />

in der Fürsorgeorganisation OdF (Opfer des Faschismus).<br />

Nach geraumer Zeit fühlt sie sich als das �bürger-<br />

liche Aushängeschild der Kommunisten� 48 <strong>und</strong> entschließt<br />

sich, in <strong>ihr</strong>en gelernten Beruf zurückzukehren, in<br />

dem sie sich �eindeutig, standfest, ohne Parteipolitik<br />

selbst darstellen könnte� 49<br />

1947 besteht Marion Gräfin Yorck <strong>ihr</strong> Assessorexamen,<br />

nachdem sie zuvor noch einmal in den Referendardienst<br />

gegangen war, wobei sie zu dieser Zeit bereits mangels<br />

Unbelasteter als �Richter kraft Auftrag� tätig wird. Zunächst<br />

Beisitzerin an einer Zivilkammer, wechselt sie an<br />

eine Strafkammer in Moabit <strong>und</strong> wird dort 1952 als erste<br />

Frau in der deutschen Geschichte zur Vorsitzenden einer<br />

Großen Strafkammer (vormals Schwurgericht) ernannt.<br />

<strong>Die</strong> Strafjustiz habe sie mehr interessiert, weil es<br />

dabei um menschliche Schicksale gehe. 50 Siebzehn<br />

Jahre lang wirkt sie bis zu <strong>ihr</strong>er Pensionierung im Jahre<br />

1969 an der Jugendstrafkammer. Sie selbst konstatiert,<br />

als �strenge Richterin� 51 gegolten zu haben: �Zu weich<br />

darf man nicht sein, das ist der falsche Weg.� Mit jedem<br />

Urteilsspruch habe sie die Konsequenz bedacht, die die-<br />

ser Spruch für die Öffentlichkeit haben könne. 52 Gräfin<br />

Yorck betonte, sich immer bemüht zu haben, �der<br />

Menschlichkeit <strong>und</strong> der Aufgabe des Richteramtes ge-<br />

recht zu werden.� 53 � �Angeklagte sprach sie mit Namen<br />

an, in der Nachkriegszeit noch nicht selbstverständlich,<br />

<strong>und</strong> bot ihnen sogar einen Stuhl an. Sie hatte immer in<br />

Erinnerung, wie Freisler versucht hatte, <strong>ihr</strong>en Mann vor<br />

Gericht lächerlich zu machen.� 54 Kritisch gesehen werden<br />

heute <strong>ihr</strong>e Urteile nach dem 1935 verschärften Paragraphen<br />

175, für die sie auch ohne Zögern Strafakten<br />

der nationalsozialistischen Justiz beizog .55<br />

Den Ratschlag, in den Justizdienst einzutreten, gab Ulrich<br />

Biel (1907�1996), den Gräfin Yorck im März 1946<br />

kennengelernt hatte. Fünf Jahrzehnte war er <strong>ihr</strong> Lebensgefährte<br />

<strong>und</strong>, wie sie in seiner Traueranzeige schrieb,<br />

�das wiedergewonnene Glück meines Lebens�. Sie hei-<br />

48 Ebd., S. 118<br />

49 Ebd., S. 119<br />

50 Ebd., S. 28<br />

51 Ebd., S. 123<br />

52 Meding, Dorothee v.: Mit dem Mut des Herzens. <strong>Die</strong> Frauen<br />

des 20. Juli, Berlin 1992, S. 196f<br />

53 Yorck v. Wartenburg, Marion Gräfin: <strong>Die</strong> Stärke der Stille.<br />

Köln 1984, S. 123<br />

54 Ramelsberger, Annette: Marion Gräfin Yorck, Richterin <strong>und</strong><br />

Mitverschwörerin des 20. Juli, in: Süddeutsche Zeitung v.<br />

14.6.2004<br />

55 Pretzel, Andreas: Zu weich darf man nicht sein, in: taz Magazin,<br />

Nr. 7411 v. 17.7.2004, S. III [Beilage zu: <strong>Die</strong> Tageszeitung]

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