01.12.2012 Aufrufe

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

eichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />

Bevor eine solche Aussage getroffen werde, wurde in<br />

der Diskussion gefordert, müsste zunächst gefragt werden,<br />

was <strong>Reich</strong>wein mit der �Gr<strong>und</strong>idee der nationalsozialistischen<br />

Bewegung� gemeint haben könnte. <strong>Die</strong><br />

Rassen- oder Blut-<strong>und</strong> Boden-Ideologie kann es nicht<br />

sein; denn von dieser hat sich <strong>Reich</strong>wein in seinem Brief<br />

an Ernst Robert Curtius vom 28.11.1931 entschieden distanziert,<br />

wenn er dort schreibt: �Verteidigt werden muss<br />

die Person heute aber mit allen Mitteln gegen den neuen,<br />

lebensgefährlichen Kollektivismus der Blutjünger, für<br />

die Blutverehrung <strong>und</strong> Blutvergießen gleichermaßen Ersatz<br />

für Geist <strong>und</strong> Religion ist.� (LBD, S. 116)<br />

Aus der Sicht <strong>Reich</strong>weins kann mit �Gr<strong>und</strong>idee� eigentlich<br />

nur der �nationale Sozialismus� gemeint sein, den er<br />

in Prerow im Sommer 1932 angesprochen hatte. Aber<br />

hat <strong>Reich</strong>wein wirklich angenommen, dass der �nationale<br />

Sozialismus� die Gr<strong>und</strong>idee der �Hitlerbewegung� ist?<br />

Glaubte er dies tatsächlich auch noch mehr als ein halbes<br />

Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten?<br />

Hier tut sich in der Tat gerade auch im Anschluss an das<br />

Buch von Stefan Vogt ein weites Forschungsfeld für die<br />

<strong>Reich</strong>wein-Rezeption auf. Frau Hohmann kann für sich<br />

in Anspruch nehmen, auf dieses Explorationsdefizit hingewiesen<br />

<strong>und</strong> einen ersten Interpretationsansatz vorgestellt<br />

zu haben.<br />

4. These: Das reformpädagogische Modell <strong>Reich</strong>weins in<br />

Tiefensee (Gesamtunterricht, Vorhaben <strong>und</strong> Werkschaffen)<br />

war keineswegs neu <strong>und</strong> einmalig; reformpädagogische<br />

Konzepte ähnlicher Art wurden in Deutschland auch<br />

nach 1933 weiter praktiziert <strong>und</strong> dies selbst von nationalsozialistischen<br />

Pädagogen. <strong>Die</strong> von <strong>Reich</strong>wein verfolgten<br />

Erziehungsziele stimmten �vom Gr<strong>und</strong>satz� her mit denen<br />

des NS-Systems überein.<br />

Und im Zusammenhang damit die<br />

5. These: <strong>Reich</strong>wein hat sich neben seiner Tätigkeit als<br />

Lehrer in Tiefensee auch auf die Zusammenarbeit mit NS-<br />

Organisationen (<strong>Reich</strong>snährstand, NSLB, HJ) eingelassen<br />

<strong>und</strong> hat hiermit das NS-System unterstützt. Für die Zeit in<br />

Tiefensee kann man nicht von einem �heimlichen Widerstand�<br />

<strong>Reich</strong>weins sprechen.<br />

Dass das Vorhaben-Konzept nicht <strong>Reich</strong>weins Erfindung<br />

ist, sondern dass er sie wohl von J. Kretschmann <strong>und</strong> O.<br />

Haase aufgegriffen <strong>und</strong> dann konsequent umgesetzt hat,<br />

dass er für sein Konzept des Werkschaffens auf bereits<br />

vorhandene Konzepte zurückgreifen konnte <strong>und</strong> dass er<br />

sich auch am vorliegenden Konzept des Gesamtunterrichts<br />

(B. Otto) orientiert hat, darauf ist in der <strong>Reich</strong>wein-<br />

Rezeption wiederholt hingewiesen worden. Zu kurz gekommen<br />

ist in den bisherigen Forschungsarbeiten allerdings<br />

der vergleichende Aspekt hinsichtlich reformpädagogischer<br />

Praxis auch nach 1933 <strong>und</strong> auch von NS-<br />

5<br />

Pädagogen. <strong>Die</strong> <strong>Reich</strong>wein-Rezeption hat sich weitgehend<br />

auf die Beschreibung <strong>und</strong> Analyse des Reformkonzepts<br />

in Tiefensee konzentriert <strong>und</strong> andere reformpädagogische<br />

Konzepte <strong>und</strong> Modelle in der Zeit des Nationalsozialismus<br />

kaum zur Kenntnis genommen. <strong>Die</strong>se<br />

Kritik sagt allerdings nichts über den Stellenwert des<br />

<strong>Reich</strong>weinschen Schulmodells in Tiefensee aus <strong>und</strong><br />

dass es sich hier um ein besonderes pädagogisches<br />

Konzept handelt, bei dem u.a. der Lehrplan <strong>und</strong> seine<br />

Themen, die Methoden <strong>und</strong> der Kanon einfacher Formen<br />

(Arbeitstechniken <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>wissen) <strong>und</strong> die Erziehungsvorstellungen<br />

zu einem Modell gefügt sind, mit<br />

dem die �Selbstkraft� der Kinder <strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e �Gemeinschaftsfähigkeit�<br />

gefördert werden sollen. Unter diesen<br />

Aspekten handelt es sich zweifelsohne um ein originelles<br />

schulpädagogisches Modell, das weit von der nationalsozialistischen<br />

Erziehungspraxis entfernt war. Um die<br />

�Einmaligkeit� des �Tiefenseer Schulmodells� endgültig<br />

zu erschüttern, wird von Frau Hohmann eine Besprechung<br />

des Jena-Plans von Peter Petersen in der NSLB-<br />

Zeitschrift �Deutsches Bildungswesen� aus dem Jahre<br />

1935 bemüht, die mit dem Namenskürzel �A.R.� unterzeichnet<br />

ist. Sowohl in der <strong>Reich</strong>wein-, als auch in der<br />

Petersen-Forschung ist man skeptisch hinsichtlich einer<br />

Autorschaft <strong>Reich</strong>weins. Inhalt <strong>und</strong> Sprachstil des Textes<br />

sprechen gegen eine solche Zuschreibung. Aber ohne<br />

einen plausiblen Nachweis für die Autorschaft <strong>Reich</strong>weins<br />

zu erbringen, schließt Hohmann aus der bloßen<br />

Existenz dieses Aufsatzes, dass der Autor von �Schaffendes<br />

Schulvolk� Petersens �Jena-Plan� für seine Tiefenseer<br />

Unterrichtspraxis kopiert habe. <strong>Die</strong>ser Vorwurf<br />

ist bisher nicht einmal von der Petersen-Forschung<br />

ernsthaft erhoben worden.<br />

<strong>Reich</strong>wein hat in der Tiefenseer Zeit nicht nur seine beiden<br />

Schulschriften �Schaffendes Schulvolk� (1937) <strong>und</strong><br />

�Film in der Landschule� (1938) � die medienpädagogische<br />

Pionierschrift wird in der Hohmann-Studie fast völlig<br />

ignoriert - veröffentlicht, sondern auch in der Zusammenarbeit<br />

mit NS-Organisationen versucht, seine reformpädagogischen<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> Erfahrungen zu<br />

verbreiten <strong>und</strong> für die Entwicklung der Landschule zur<br />

Verfügung zu stellen. In einem Brief vom 19.12.1938 teilt<br />

<strong>Reich</strong>wein Rolf Gardiner mit, dass sich seine Beziehungen<br />

zum <strong>Reich</strong>snährstand �weiterentwickelt� hätten. Er<br />

habe als �Ehrengast� am <strong>Reich</strong>sbauerntag in Goslar im<br />

November 1938 teilgenommen <strong>und</strong> auch bei der Vorbereitung<br />

der Sondertagung �Landvolk <strong>und</strong> Schule� mitgewirkt.<br />

Er habe es aber �aus mancherlei Erwägungen abgelehnt�,<br />

den �Hauptvortrag� zu halten (LBD, S. 149). Er<br />

weist auch darauf hin, dass er an einem �Sonderheft zur<br />

Landschule� für den NSLB mitgearbeitet <strong>und</strong> dafür den<br />

�Gesamtplan� entworfen habe. Im Frühjahr 1939 erschien<br />

<strong>Reich</strong>weins Aufsatz �Schaffendes Schulvolk� in<br />

der NSLB Zeitschrift �<strong>Die</strong> Volksschule�.<br />

In demselben Brief an Gardiner schreibt <strong>Reich</strong>wein,<br />

dass er �den zweiten Teil� der Broschüre �Landvolk <strong>und</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!