NOMADENHYPOTHESE UND INDOGERMANISTIK27Als Argumente für das <strong>Nomaden</strong>tum der seiner Ansicht nach nach dem Nordeneinfallenden Schnurkeramiker bzw. Streitaxtleute führte E. Wahle insbesondereÜberlegungen zur Wirtschaft der Germanen und die Kenntnis von Pferd undStreitwagen bei den Germanen der Bronzezeit und darüber hinaus bei den Schnurkeramikernan. Um diese Annahmen zu verstehen, soll untersucht werden, woraufer sich stützte.Ein wichtiger Gesichtspunkt bestand für E. Wahle darin, aus Kulturerscheinungenspäterer Zeit auf diejenigen der Idg. zu schließen. E. Wahle (1970, 56, Anm. 1)verteidigte die im 19. Jh. aufgekommene These vom <strong>Nomaden</strong>tum der Germanendeshalb, "weil eine in dieser Richtung liegende Komponente der Zivilisation nichtzu leugnen ist". Aus Formulierungen bei Cäsar und Tacitus über die Germanenauf die wirtschaftlichen Zustände weit zurückliegender Jahrtausende zu schließen,ist (bei Sprachwissenschaftlern) auch heute mitunter noch üblich (Crevatin 1979).<strong>Nomaden</strong>hypothese und IndogermanistikDie Argumentation von E. Wahle mag heute erstaunen. Er konnte sich jedoch aufden Indogermanisten O. Schrader berufen, der die Germanen unter Verweis aufNachrichten bei den antiken Autoren in die Nähe der wenig Sesshaften zu rückengeneigt war. "Der älteste Ackerbau... hat bei den Bevölkerungen Alteuropas alseiner des freien Mannes unwürdig gegolten, ... so wird man anzunehmen haben,daß überall, wo im alten Europa Unterjochte neben einer freien Bevölkerung lebten,den ersteren die Pflege des Ackerbaus zufiel" (Schrader 1907, 208). Er zitiertzustimmend V. Hehn, bei dem es heißt: "Bei noch unstäten Völkern kämpft jedererwachsene Mann. Hätten die Deutschen emsig den Boden bestellt, dann wärensie überhaupt nicht ausgezogen, das Römische Reich in Trümmer zu schlagen". O.Schrader meinte allerdings nicht, die Germanen oder Idg. seien <strong>Nomaden</strong> gewesen,"sondern nur, der Ackerbau habe bei ihnen eine nebensächliche und verächtlicheRolle gespielt" (Schrader 1907, 215).Für O. Schrader waren die Idg. "ein Volk von Vieh- besonders von Rindviehzüchtern".Er räumt den westlichen Idg. zwar die Kenntnis des Ackerbaus ein,"ohne sich jedoch auch hier über ein von der freien männlichen Bevölkerungverachtetes, den Menschen noch nicht an die Scholle bindendes Anhängsel derViehzucht zu erheben" (Schrader 1907, 220). Wollen wir E. Wahle und O. Schra-Mitteilungen des <strong>SFB</strong> <strong>586</strong> „Differenz und Integration“ 3
28ZUR FORSCHUNGSGESCHICHTEder gerecht werden, müssen wir in der Forschungsgeschichte noch weiter zurückgehen.Dann wird verständlich, dass es sich bei der These, die Idg. seien <strong>Nomaden</strong>oder Halbnomaden gewesen, nur um einen alten Topos handelt, der bis heute nochnicht überwunden ist.Die Deutung der Idg. als <strong>Nomaden</strong> wurde seinerzeit nicht aufgrund von damalsnatürlich noch fehlenden archäologischen Befunden, sondern aus Erwägungen allgemeinerArt abgeleitet. Dieser Mythos geht insbesondere auf die alte Sanskritfaszination(Sanskritozentrik) zurück (Mayrhofer 1983). Hierbei wurde die Spracheder alten Arier in Indien, der von Norden eingewanderten mobilen Viehzüchterstämme,schlechthin als die Urform des Indogermanisch angesehen. Damithängt auch zusammen, daß O. Schrader das sprachliche Material dahingehenddeutete, die in den südrussischen Steppen nomadisierenden Idg. hätten den Ackerbauerst bei ihrem Vordringen in das Waldgebiet Europas erlernt (vgl. Hirt 1940,178). Interpretationen dieser Art waren so weit verbreitet, dass sich gegenteiligeMeinungen nur schwer durchsetzen konnten.So heißt es in der von O. Schrader herausgegebenen 6. Auflage des Buches vonV. Hehn, "Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Übergang aus Asien nachGriechenland und Italien sowie in das übrige Europa", über die Idg.: "Unterdessaber hatten sich die kriegerischen, raub- und wanderlustigen Hirtenstämme in beidenHalbinseln, der griechischen und der italischen allmählich zum Ackerbaugewandt und damit den mächtigsten Schritt auf der Bahn der Humanität gethan.Dass sie vor der Einwanderung, zur gräco-italischen Epoche, ja wohl gar schon imHerzen Asiens den Acker bestellt und sich von der Frucht der Demeter genährt, isteine oft mit mehr oder minder Sicherheit aufgestellte Behauptung, deren Stützenaber größtentheils wenig haltbar sind" (Hehn 1894, 58).Hehn meinte ferner: "Der in den Waldgebirgen verbliebene Hirte freute sichder leichteren Freiheit; arbeitsscheu und raubgierig, wie alle Hirten, überfiel er dieWohnungen, Hürden und Speicher der Ackerbauer und im Kleinen herrschte dasselbeVerhältnis wie im Grossen zwischen Iran und Turan, und die lange Wanderungvon den Gegenden jenseits des Aralsees bis in die Wälder Ureuropas wirdvon Rasten unterbrochen gewesen sein, ... wenn der neue Wandertrieb erwachte,wurde das schwere, mühselige, allen Hirtenstämmen so verhasste Geschäft derBodenarbeit aufgegeben und es blieb nur die allgemeine Bekanntschaft damitzurück" (Hehn 1894, 59 f.). Hehn schrieb: "So mögen auch die <strong>Indogermanen</strong> inEuropa ursprüngliche Bewohner vorgefunden haben, die sie ausrotteten oder mitwww.nomadsed.de/publications.html
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