In diesem Zusammenhang sei aber diekergymatische Seelsorgekonzeption von H. ASSMUS-SEN und E. THURNEYSEN erwähnt, deren Ziel es ist,den Menschen auf „seine eigenen Füße vor Gott“ zustellen. (siehe REBELL, a.a.O., S.175)3. Wo geschieht Seelsorge?Seelsorge, christlich verstanden, ereignet sich dort,wo Menschen in ihrem Alltag vor einem anderen ihreNot ausbreiten, Zuspruch erfahren und Hilfe zu neuerGemeinschaft mit den Menschen und Gott finden .Gerade dort kann und wird sie sich ereignen, wo einbesonderes Vertrauensverhältnis besteht und Verschwiegenheitgarantiert wird. Seelsorge geschiehtdaher meist im Schutz der persönlichen Einzelseelsorge.Eine besondere Form der Seelsorge ist dabei dieBeichte. Hier geht es um Bewältigung von Schuld:Der Beichthörende spricht dem Beichtenden die Vergebungseiner Schuld im Namen und im AuftragGottes zu.Seelsorge vollzieht sich jedoch auch an Gruppen.Gerade diese Art der Seelsorge, die sich in besonderemMaß der modernen Methoden der Gesprächsführungbedient, kann eine wichtige vorbeugendeFunktion haben. Sie kann seelische Schäden verhütenund die innere Widerstandskraft schon vor Auftretenvon Konflikten stärken.Seelsorge geschieht aber auch im Gottesdienst undin anderen liturgischen Feiern, wo im gemeinsamenErleben die Nähe Gottes als tröstende und stärkendeKraft erfahren wird. Hier erfährt das religiöse Ritualeine verstärkte Bedeutung.4. Wie geschieht Seelsorge?Voraussetzung für christliche Seelsorge ist die bedingungsloseAnnahme des ratsuchenden, fragendenMenschen. Im seelsorgerlichen Gespräch kann dieZuwendung und empathische Haltung des Seelsorgerserfahren werden. Sie nimmt den verunsicherten,oft verzweifelten und noch öfter schuldbewusstenRatsuchenden an. Der Seelsorger macht sich mitihm auf den Weg. Zum Verstehen der Probleme undzur Analyse tritt, und das ist das besondere an derchristlichen Seelsorge, die Vergebung hinzu.Die von außen zugesagte Vergebungsmöglichkeit,begründet durch den biblischen Auftrag, bietet einenbedeutenden Unterscheidungsgrund gegenüberaußerchristlicher Seelsorge und Psychologie. Mit derdadurch begründeten neuen Lebensmöglichkeit kannauch das Heilwerden erfahren werden. Die Begegnungder Ratsuchenden mit dem Seelsorger befreitsomit aus der belastenden und oft durch Schuld oderSchuldgefühle begründeten Einsamkeit.Seelsorge will begleiten und heilen, nicht belehrenund überreden. Sie begleitet den Ratsuchendenund hilft ihm, seine Entscheidungen selbst zu finden.Hier findet sich ein Schwerpunkt der modernenprotestantischen Seelsorge, die sich von einerberatenden Seelsorge zu einer begleitenden entwickelthat. Dementsprechend deutet sie auf dem Hintergrundder Welterfahrung wie auch der GotteserfahrungVerhaltensweisen, die Ängste, Sorgen, Problemeund Nöte und die damit verbundenen Lebensschwierigkeitenerzeugt und begründet haben. DerSeelsorger lässt neben der Wirksamkeit des menschlichenGeistes auch der Wirksamkeit des GeistesGottes Raum. Damit eröffnet sie neben den Möglichkeitender zwischenmenschlichen Konfliktlösungdem Menschen den von ihm gesuchten Raum derTranszendenz.5. Exkurs in die PastoralpsychologieDie Pastoralpsychologie „ist ein Forschungszweigder Theologie, der pastorale Tätigkeiten psychologischuntersucht“ (GENNRICH, a.a.O., S.124). Anstattvon „Theologie“ wäre hier besser von „PraktischerTheologie“ zu sprechen.Sie untersucht nicht nur Sachinhalte als theoretisch-anthropologischeGrundlagendisziplin, sondernentwickelt konkrete seelsorgerlich relevanteHandlungsmodelle. Sie entstand in den 20er Jahrendes 20. Jahrhunderts in Amerika. A. T. BOISEN entwickelteein „Clinical Pastoral Training“. Ausbildungsstättenentstanden. C. ROGERS mit seinemgesprächstherapeutischen Ansatz wurde zum psychologischenHauptgewährsmann dieser neuen Seelsorgebewegung.Seine therapeutischen Variablen entsprachendem christlichen Bemühen um Wahrhaftigkeit,Liebe und Annahme.Praktische Erfahrungen im Betätigungsfeld (Krankenhaus,Klinik, Gefängnis, Erziehungs- undFamilienberatungsstelle, ...) wurden mit Gesprächsprotokollenaufgezeichnet und in Gruppen unterM&S 18: Zusammenarbeit von Militärärzten, Militärseelsorgern und Militärpsychologen - Seite 31 -
Anleitung eines Supervisors analysiert. Ziel war nichtnur Verbesserung der Seelsorgepraxis, sondern auchAnleitung zur differenzierten Selbstwahrnehmung,Arbeit an der Teamfähigkeit, Bereitschaft zur Selbstkritikund Reifung in der emotionalen Entwicklung.In den 60er Jahren wurde diese pastoralpsychologischeBewegung v.a. durch H.-C. PIPER undD. STOLLBERG bekannt gemacht. 2 Seitdem hat diePastoralpsychologie in jedem Theologiestudium imFach Praktische Theologie einen festen Platz gefunden.Vor allem im Rahmen der spezifiziertenseelsorgerlichen Ausbildung im klinischen, telefonischen,polizeilichen und militärseelsorgerlichen Bereichwird mit den Erkenntnissen und Methoden derPastoralpsychologie gearbeitet.Jeder Seelsorger erfährt im Rahmen seiner theoretischenund praktischen Ausbildung zum Seelsorgerim Fach Praktische Theologie mit pastoralpsychologischorientierter Seelsorge und Psychotherapieeine Ausbildung.Seelsorge undPsychologie wie Psychotherapiesindzwei Kreise, die sichüberschneiden.Nach dem pastoralpsychologischenParadigmasollen siesich auch überschneiden,wobei aufdie Grenzen zwischenden Disziplinendeutlich achtgegebenwird. Geradedie Methoden derNotfallseelsorge,nach denen inKrisensitautaionenauch die (Evangelische)Militärseelsorgearbeitet, greifenauf die Erkenntnisseder Psychologie und Psychotherapie zurück.Der Seelsorger kann gerade mit psychologisch therapeutischemWissen Sensibilität entwickeln, denMenschen in seiner Wirklichkeit zu sehen und zuerfassen, hinzusehen und hinzuhören. Es ist ja nurmöglich, einem Menschen zu helfen, wenn man „vonihm her“ denkt, sich auf sein Bezugssystem einlässtund emotional mitschwingt, wenn man bei dem, waser sagt, auch die Zwischentöne mitbekommt, wennman dafür ein Gespür hat, welche Problematik sichunter der Oberfläche verbirgt – sozusagen tiefer sieht(vgl. Röm. 15,17: „Nehmet einander an wie Christuseuch angenommen hat“).Eine solche Sensibilität können nicht nur ausgebildetePsychologen und Psychotherapeuten für sichbeanspruchen, sie ist prinzipiell von jedem erreichbar,der sich für Mensch interessiertem besonderennatürlich für den Pfarrer, der christliche Seelsorge ausübt.Was allerdings von jedem pastoralpsychologischarbeitenden Seelsorger verlangt werden muss, ist dies:in schweren Fällen, in denen eine tiefe psychiatrischeProblematik vorliegt, nicht allein mit herkömmlichenSeelsorgerlichen Mitteln „herumzudoktern“,sondern einen Fachmann heranzuziehen (z.B.Selbstmordversuch, massive Gewaltanwendung, ...).Möglichkeiten und Grenzen einer Seelsorge bei einer Krise 3Zusammengefasst kann man feststellen:Pastoralpsychologisch orientierte Seelsorge istganzheitliche Seelsorge, die den Menschen nicht nurin seinem religiösen Sein erfasst, sondern auch in seinempsychologischen und sozialen Sein. Neben derEntfaltung und Reifung des Glaubenslebens ist dieM&S 18: Zusammenarbeit von Militärärzten, Militärseelsorgern und Militärpsychologen - Seite 32 -