Behindert? - KJF Regensburg
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Ernst Grube<br />
Zeitzeuge, Überlebender<br />
Ernst Grube wird als Kind einer<br />
jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen<br />
Vaters 1932 in München<br />
geboren. Die Eltern, der drei Jahre<br />
ältere Bruder und Ernst wohnen<br />
am Stachus neben der Synagoge.<br />
Als die Synagogen zerstört und<br />
den Juden die Häuser gestohlen<br />
werden, bleibt der Vater. Die Stadt<br />
sperrt Gas, Wasser und Strom. So<br />
lebt die Familie einige Monate<br />
unter katastrophalen Umständen.<br />
Schwester Ruth kommt in dieser<br />
Zeit auf die Welt.<br />
„Ein jüdischer Mensch<br />
kommt auf die Welt und<br />
zur gleichen Zeit wird<br />
die Synagoge zerstört,<br />
werden die Juden ausgegrenzt,<br />
erhalten Berufsverbot.“<br />
Vier Monate hält die Familie aus.<br />
Prozess, Androhung der Zwangsräumung<br />
– die Eltern geben die<br />
Kinder am 7. November 1938 in<br />
ein jüdisches Heim - zwei Tage vor<br />
der Reichskristallnacht, in der jüdische<br />
Geschäfte und Synagogen zerstört,<br />
30.000 Männer in die Konzentrationslager<br />
nach Dachau,<br />
Buchenwald und andere deportiert<br />
werden. Niemand weiß, wann und<br />
ob sie wieder kommen. Frauen und<br />
Kinder bleiben zuhause. Weitere<br />
100 Menschen werden umgebracht.<br />
Nach Auflösung des Heims werden<br />
die Grubekinder im Lager Milbertshofen<br />
eingesperrt.<br />
1941 werden 23 Kinder aus dem<br />
Heim und 1.000 jüdische Bürger in<br />
Wagons gepfercht, nach Litauen<br />
deportiert und brutal ermordet. Die<br />
Grubekinder bleiben – sie überleben,<br />
kommen 1943 nach Auflösung des<br />
Kinder im Ghetto: Was<br />
war ihre Zukunft? „Für<br />
uns Juden gab es keine<br />
Menschenrechte mehr.“<br />
Heims zu den Eltern. Ernst Grube<br />
erinnert sich an Krieg, Bombennächte,<br />
Bruder und Mutter bei der<br />
Zwangsarbeit, den Judenstern. Am<br />
20. Februar 1945 holt die SS Mutter<br />
und Kinder ab: Deportation nach<br />
Theresienstadt. Am 8. Mai 1945 wird<br />
das Lager von der Roten Armee<br />
befreit, mit ihnen die Grubes.<br />
„Als wir zurückkamen,<br />
war niemand interessiert.“<br />
„Und heute? Ist das alles vorbei?“,<br />
fragt Ernst Grube die Jugendlichen.<br />
„Wie geht es Ihnen denn, wenn Sie<br />
hören, Neonazis sind auf der Straße<br />
und demonstrieren?“<br />
Herr Grube, Sie haben Ihren Vortrag<br />
schon vor vielen jungen Menschen<br />
gehalten. Welche Erfahrungen haben<br />
Sie damit gemacht?<br />
Die jungen Leute wissen nicht viel<br />
über diese Zeit. Und wenn sie etwas<br />
wissen, sind sie nicht fähig oder willens,<br />
sich zu artikulieren. Ich versuche,<br />
mit ihnen ins Gespräch zu kom-<br />
„Können Sie sich vorstellen, wie es ist, angespuckt<br />
zu werden? Was es heißt, mit einem Judenstern<br />
durch die Straßen zu gehen? Vor allem, wenn man<br />
Kind ist und nicht weiß, was das alles soll?“<br />
men, aber das ist schwierig. Wie es<br />
mir dabei geht? Es ist immer ein<br />
Wiedererleben – immer. Jedes<br />
Gespräch über die Eltern, die Tanten<br />
und Onkel, die ermordet wurden.<br />
Ich habe die Erfahrung gemacht,<br />
wenn ich dies erzähle, dann<br />
geht das bei vielen nicht einfach so<br />
vorbei. Wenn ich mit Zahlen operiere<br />
und erzähle, wie viele Juden<br />
oder Zigeuner umgebracht wurden,<br />
dann geht das vorbei.<br />
Sie bleiben mit ihrer Geschichte<br />
nicht in der Vergangenheit. Sie<br />
schlagen den Bogen in die Gegenwart.<br />
Was wollen Sie erreichen?<br />
Der zunehmende Rechtsradikalismus<br />
und die Ideologie der Menschenfeindlichkeit<br />
haben mich<br />
dazu bewegt, über meine Zeit zu<br />
reden. Dagegen wirke ich und<br />
dagegen wehre ich mich. Es geht<br />
mir im Wesentlichen um zwei Dinge:<br />
Das eine ist, dass ich durch die<br />
Darstellung meines Lebens als<br />
Kind in der jüdischen Gemeinschaft<br />
versuche, Wissen über das<br />
Leben von Juden zu vermitteln und<br />
vielleicht auch eine gewisse Nähe.<br />
Das Problem der Vorurteile, um<br />
das es geht, versuche ich immer<br />
anzugehen. Zum anderen geht es<br />
mir darum, Denkanstöße zu<br />
geben. Eine Aufforderung, kritisch<br />
zu sein, zu prüfen und sich einzumischen<br />
und Nein zu sagen, wenn<br />
Menschenrechte verletzt werden<br />
oder sich Vorurteile verbreiten.<br />
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