Linksextremismus - die unterschätzte Gefahr - Politik.ch
Linksextremismus - die unterschätzte Gefahr - Politik.ch
Linksextremismus - die unterschätzte Gefahr - Politik.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Extremismus-Symposium<br />
Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>es Ministerium<br />
für Inneres, Sport und Integration<br />
- Verfassungss<strong>ch</strong>utz -<br />
<strong>Linksextremismus</strong> -<br />
Die <strong>unters<strong>ch</strong>ätzte</strong> <strong>Gefahr</strong>?
<strong>Linksextremismus</strong> -<br />
Die <strong>unters<strong>ch</strong>ätzte</strong> <strong>Gefahr</strong>?<br />
Extremismus-Symposium<br />
des Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en<br />
Verfassungss<strong>ch</strong>utzes<br />
am 28. Mai 2009 in Hannover<br />
Tagungsdokumentation
Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis:<br />
„<strong>Linksextremismus</strong> – Die <strong>unters<strong>ch</strong>ätzte</strong> <strong>Gefahr</strong>?“<br />
Uwe S<strong>ch</strong>ünemann<br />
„Ma<strong>ch</strong>t kaputt, was eu<strong>ch</strong> kaputt ma<strong>ch</strong>t.“<br />
Streitbare Demokratie und <strong>Linksextremismus</strong><br />
Dr. Rudolf van Hüllen<br />
Prof. Dr. Hans-Gerd Jas<strong>ch</strong>ke<br />
Die Verklärte Diktatur? Vom Umgang mit der DDR heute<br />
Wolfgang Templin<br />
Prof. Dr. Christoph Kleßmann<br />
"Alter Wein in neuen S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>en"? Oder:<br />
Wie extremistis<strong>ch</strong> ist <strong>die</strong> Partei DIE LINKE?<br />
Prof. Dr. Ri<strong>ch</strong>ard Stöss<br />
Prof. Dr. Manfred Wilke<br />
Zu den Autoren
Uwe S<strong>ch</strong>ünemann<br />
Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>er Minister für<br />
Inneres, Sport und<br />
Integration<br />
„<strong>Linksextremismus</strong> –<br />
Die <strong>unters<strong>ch</strong>ätzte</strong><br />
<strong>Gefahr</strong>?“<br />
Meine sehr geehrten Damen und<br />
Herren!<br />
I<strong>ch</strong> begrüße Sie sehr herzli<strong>ch</strong> zu<br />
<strong>die</strong>sem ersten Extremismus-Symposium des Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en<br />
Verfassungss<strong>ch</strong>utzes. Wir wollen mit <strong>die</strong>ser Veranstaltung heute<br />
eine Reihe von Tagungen zum Extremismus beginnen. Bereits<br />
im September soll si<strong>ch</strong> das zweite Symposium mit neuen Ers<strong>ch</strong>einungsformen<br />
des Re<strong>ch</strong>tsextremismus befassen.<br />
Der Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Verfassungss<strong>ch</strong>utz will damit deutli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en,<br />
dass er, neben der Beoba<strong>ch</strong>tung von verfassungsfeindli<strong>ch</strong>en<br />
Bestrebungen <strong>die</strong> Information, das Gesprä<strong>ch</strong> und <strong>die</strong> öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Diskussion über Extremismus als eine seiner Kernaufgaben<br />
ansieht.<br />
I<strong>ch</strong> bin mir mit dem Präsidenten des Verfassungss<strong>ch</strong>utzes, Herrn<br />
Günter Heiß, darin einig, <strong>die</strong> Öffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit <strong>die</strong>ser Behörde<br />
weiter zu entwickeln und zu verstärken.<br />
Erst vor kurzem haben wir deshalb <strong>die</strong> Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Extremismus-<br />
und Informationsstelle – abgekürzt NEIS – beim Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en<br />
Verfassungss<strong>ch</strong>utz eingeri<strong>ch</strong>tet.<br />
NEIS ist Ihr Anspre<strong>ch</strong>partner, wenn es um Informationen, Prävention,<br />
Vorträge und Ausstellungen geht. NEIS soll helfen, den<br />
Gedanken, <strong>die</strong> Verfassung dur<strong>ch</strong> Aufklärung zu s<strong>ch</strong>ützen, no<strong>ch</strong><br />
besser in <strong>die</strong> Tat umzusetzen.
Dieser Gedanke liegt au<strong>ch</strong> <strong>die</strong>sem 1. Extremismus-Symposium zu<br />
Grunde. Dabei ist uns bewusst:<br />
• Die Beurteilung extremistis<strong>ch</strong>er Phänomene unterliegt dem<br />
Wandel.<br />
• <strong>Politik</strong> und Gesells<strong>ch</strong>aft diskutieren darüber, ob Positionen<br />
oder Organisationen extremistis<strong>ch</strong> sind oder ni<strong>ch</strong>t.<br />
• Wir können und wollen uns <strong>die</strong>ser Diskussion ni<strong>ch</strong>t entziehen.<br />
Do<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> sage au<strong>ch</strong> ganz deutli<strong>ch</strong>:<br />
Aufgrund seiner Arbeit verfügt der Verfassungss<strong>ch</strong>utz über fun<strong>die</strong>rte<br />
Kenntnisse. Sie sind <strong>die</strong> Grundlage von ebenso fun<strong>die</strong>rten<br />
Eins<strong>ch</strong>ätzungen, wie sie im jährli<strong>ch</strong>en Verfassungss<strong>ch</strong>utzberi<strong>ch</strong>t<br />
na<strong>ch</strong>zulesen sind. Denno<strong>ch</strong> liegt uns viel daran, uns der Diskussion<br />
zu stellen.<br />
Wir haben daher heute Referenten eingeladen, <strong>die</strong> ihre Themen<br />
aus unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Blickwinkeln betra<strong>ch</strong>ten und uns ihre unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Eins<strong>ch</strong>ätzungen vorstellen werden.<br />
I<strong>ch</strong> bedanke mi<strong>ch</strong> bei allen Referenten für ihre Bereits<strong>ch</strong>aft, an<br />
<strong>die</strong>sem Symposium mitzuwirken. Wir werden <strong>die</strong> Vorträge in<br />
einem Tagungsband dokumentieren, so dass Sie <strong>die</strong> Beiträge au<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong>lesen können.<br />
I<strong>ch</strong> denke, es ist kein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Augenblick, mit sol<strong>ch</strong> einer Tagungsreihe<br />
zum Extremismus zu beginnen. Die Bundesrepublik<br />
Deuts<strong>ch</strong>land feiert in <strong>die</strong>sem Jahr ihren 60. Geburtstag. Und wir<br />
blicken auf <strong>die</strong> friedli<strong>ch</strong>e Revolution vor 20 Jahren zurück, <strong>die</strong> zur<br />
Wiedervereinigung Deuts<strong>ch</strong>lands in Frieden und Freiheit führte.<br />
I<strong>ch</strong> meine, wir können dankbar für <strong>die</strong>se 60 bzw. 20 Jahre sein.<br />
Man<strong>ch</strong>e spre<strong>ch</strong>en von einer „geglückten Demokratie“, <strong>die</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
nur an Sonntagen, sondern au<strong>ch</strong> in Krisenzeiten ihre Stabilität<br />
bewiesen hat.
Dazu hat ganz ents<strong>ch</strong>eidend beigetragen, dass <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />
auf einem antiextremistis<strong>ch</strong>en Konsens gegründet wurde. Sein<br />
Wesen ist <strong>die</strong> Absage aller Demokraten an eine Zusammenarbeit<br />
oder gar eine Koalition mit Extremisten von re<strong>ch</strong>ts und von links.<br />
Do<strong>ch</strong> zur Realität gehört au<strong>ch</strong>:<br />
Diese Demokratie hat au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> 60 Jahren no<strong>ch</strong> Feinde. Und um<br />
den antiextremistis<strong>ch</strong>en Konsens müssen wir immer wieder ringen;<br />
er könnte na<strong>ch</strong> meinem Eindruck dur<strong>ch</strong>aus gefestigter sein.<br />
I<strong>ch</strong> will kurz begründen, warum i<strong>ch</strong> das so sehe:<br />
Keine demokratis<strong>ch</strong>e Partei ist heute bereit, mit re<strong>ch</strong>tsextremistis<strong>ch</strong>en<br />
Parteien au<strong>ch</strong> nur ansatzweise Gesprä<strong>ch</strong>e zu führen<br />
oder gar über Bündnisse mit ihnen na<strong>ch</strong>zudenken. Au<strong>ch</strong> in der<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft stößt der Re<strong>ch</strong>tsextremismus auf breite Ablehnung.<br />
Die NPD hat z.B. größte S<strong>ch</strong>wierigkeiten, für Parteitage einen<br />
Versammlungssaal zu finden. Und bei Aufmärs<strong>ch</strong>en sehen si<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> Re<strong>ch</strong>tsextremisten regelmäßig einer vielfa<strong>ch</strong>en Überzahl von<br />
Gegendemonstranten gegenüber. Der „Antifas<strong>ch</strong>ismus“ hat eine<br />
große Mobilisierungs- und Zugkraft in unserem Lande. Das ist gut<br />
und erfreuli<strong>ch</strong>.<br />
Sorge allerdings ma<strong>ch</strong>t mir, dass es ni<strong>ch</strong>t nur eine demokratis<strong>ch</strong>e,<br />
von bürgerli<strong>ch</strong>en Kräften getragene Bewegung gegen Re<strong>ch</strong>tsextremismus<br />
gibt, sondern au<strong>ch</strong> antidemokratis<strong>ch</strong>e Kräfte mitmis<strong>ch</strong>en.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en beiden Berei<strong>ch</strong>en wird allerdings ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>end<br />
unters<strong>ch</strong>ieden.<br />
Es sind Linksextremisten, <strong>die</strong> unter dem Banner des „Antifas<strong>ch</strong>ismus“<br />
ni<strong>ch</strong>t nur gegen Re<strong>ch</strong>tsextremisten vorgehen, sondern au<strong>ch</strong><br />
ihre antidemokratis<strong>ch</strong>en Ziele verfolgen. Ja, mehr no<strong>ch</strong>: im Sinne<br />
einer Bündnisstrategie versu<strong>ch</strong>en sie, auf der Grundlage des<br />
Antifas<strong>ch</strong>ismus den bürgerli<strong>ch</strong>en Protest auf ihre Seite zu ziehen.<br />
Fas<strong>ch</strong>ismus wird von Linksextremisten oft genug mit dem demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Staat glei<strong>ch</strong>gesetzt.<br />
Viele sehen ni<strong>ch</strong>t oder wollen es ni<strong>ch</strong>t sehen, dass ni<strong>ch</strong>t jeder<br />
Antifas<strong>ch</strong>ist zuglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein Antiextremist ist. Es wird behauptet,<br />
<strong>die</strong> Feinde unserer Demokratie stünden ledigli<strong>ch</strong> auf der
äußersten re<strong>ch</strong>ten Seite des politis<strong>ch</strong>en Spektrums. Wer darauf<br />
aufmerksam ma<strong>ch</strong>t, dass es au<strong>ch</strong> Feinds<strong>ch</strong>aft von links gibt, wer<br />
gar fordert, si<strong>ch</strong> so wie von Re<strong>ch</strong>ts– au<strong>ch</strong> von Linksextremisten zu<br />
distanzieren, der läuft <strong>Gefahr</strong>, als kalter Krieger verdä<strong>ch</strong>tigt zu<br />
werden, der <strong>die</strong> Extreme glei<strong>ch</strong>setzen wolle.<br />
I<strong>ch</strong> bin vorsi<strong>ch</strong>tig damit, re<strong>ch</strong>ts- und linksextremistis<strong>ch</strong>e Ideologien<br />
glei<strong>ch</strong> zu setzen. Aber wir dürfen ni<strong>ch</strong>t übersehen, dass es<br />
strukturelle Gemeinsamkeiten am äußersten re<strong>ch</strong>ten und linken<br />
Rand gibt, <strong>die</strong> dazu führen, beide Pole als extremistis<strong>ch</strong> einzustufen.<br />
Wie groß oftmals <strong>die</strong> Ähnli<strong>ch</strong>keiten zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und Linksextremisten<br />
sind, zeigt si<strong>ch</strong> gerade in der Szene der re<strong>ch</strong>ten und<br />
linken Autonomen. S<strong>ch</strong>on im Ers<strong>ch</strong>einungsbild sind sie oft kaum<br />
voneinander zu unters<strong>ch</strong>eiden. Ähnli<strong>ch</strong>e Symbole und Kleidung,<br />
<strong>die</strong>selben Parolen: antikapitalistis<strong>ch</strong>, antiamerikanis<strong>ch</strong>, Anti-Globalisierung,<br />
antidemokratis<strong>ch</strong> und oftmals au<strong>ch</strong> antiisraelis<strong>ch</strong>.<br />
Auf beiden Seiten gibt es <strong>die</strong> Bildung von „s<strong>ch</strong>warzen Blöcken“<br />
bei Demonstrationen und au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Bereits<strong>ch</strong>aft zur Gewalt ist<br />
ähnli<strong>ch</strong>.<br />
Ob der 1. Mai 2008 in Hamburg oder 2009 in Berlin: Polizisten<br />
mussten um ihr Leben für<strong>ch</strong>ten – egal ob <strong>die</strong> Gewalt von Re<strong>ch</strong>ts-<br />
oder Linksextremisten ausging.<br />
I<strong>ch</strong> glaube, <strong>die</strong> Ereignisse am 1. Mai haben gezeigt: Zei<strong>ch</strong>en<br />
gegen Re<strong>ch</strong>tsextreme sind wi<strong>ch</strong>tig. Do<strong>ch</strong> ebenso wenig wie wir<br />
uns an Aufmärs<strong>ch</strong>e von Neonazis gewöhnen dürfen, können wir<br />
Krawalle von Gruppen ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> hinnehmen, <strong>die</strong> am linken<br />
Rand des Spektrums unterwegs sind. Wir dürfen ni<strong>ch</strong>t erst dann<br />
reagieren, wenn Steine fliegen und Mens<strong>ch</strong>en brennen. Hier ist<br />
eine <strong>Gefahr</strong>, <strong>die</strong> wir ni<strong>ch</strong>t verharmlosen, ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ätzen und<br />
s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t ignorieren dürfen.<br />
In einem ersten Teil unserer Tagung werden Herr Dr. van Hüllen<br />
und Herr Professor Jas<strong>ch</strong>ke auf <strong>die</strong>se autonome Szene im <strong>Linksextremismus</strong><br />
eingehen.
Ebenso wie der antiextremistis<strong>ch</strong>e gehört au<strong>ch</strong> der antitotalitäre<br />
Konsens zu den Fundamenten der Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land.<br />
Unser Land hat beides erfahren müssen: Die Diktatur von re<strong>ch</strong>ts<br />
und <strong>die</strong> Diktatur von links. Der Zivilisationsbru<strong>ch</strong> der Nazis mit<br />
der systematis<strong>ch</strong>en Ermordung von Millionen von Mens<strong>ch</strong>en, vor<br />
allem Juden, mit Krieg und Zerstörung in einem Ausmaß, wie es<br />
<strong>die</strong> Welt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gesehen hat, ist einzigartig in der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Aber das sollte uns ni<strong>ch</strong>t dazu verleiten, andere Diktaturen zu<br />
verharmlosen.<br />
Wir erleben das gerade mit Blick auf <strong>die</strong> DDR. Man könne <strong>die</strong><br />
DDR ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> als Unre<strong>ch</strong>tsstaat bezei<strong>ch</strong>nen. Ni<strong>ch</strong>t alles sei<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t gewesen.<br />
Mein Eindruck ist, dass eine sol<strong>ch</strong>e Verharmlosung der DDR ni<strong>ch</strong>t<br />
nur einer gewissen „Ostalgie“ ges<strong>ch</strong>uldet ist, sondern dass es<br />
au<strong>ch</strong> und gerade Linksextremisten sind, <strong>die</strong> <strong>die</strong> DDR mit strategis<strong>ch</strong>er<br />
Absi<strong>ch</strong>t verklären.<br />
Wir verfolgen zu Re<strong>ch</strong>t mit strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Mitteln, wenn Neonazis<br />
den Holocaust leugnen, relativieren oder gar klammheimli<strong>ch</strong><br />
bejubeln. Do<strong>ch</strong> wir reagieren oft überhaupt ni<strong>ch</strong>t, wenn behauptet<br />
wird, dass Unre<strong>ch</strong>t, <strong>die</strong> Unterdrückung bis hin zu Folter und<br />
Ermordung von Mens<strong>ch</strong>en in der SED-Diktatur sei ledigli<strong>ch</strong> eine<br />
„Deformation“, ein „Fehler“, dem man „ni<strong>ch</strong>t einen dominierenden<br />
Platz einräumen“ sollte. So jedenfalls sagt es der verurteilte<br />
Wahlfäls<strong>ch</strong>er Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrates der<br />
Partei DIE LINKE. Und eine funktionierende Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung im<br />
Berei<strong>ch</strong> des Straßenverkehrs oder im Gebrau<strong>ch</strong>twagenhandel ist<br />
weiß Gott kein Beweis für Re<strong>ch</strong>tstaatli<strong>ch</strong>keit.<br />
I<strong>ch</strong> bin ein großer Anhänger von differenzierten Si<strong>ch</strong>tweisen.<br />
Au<strong>ch</strong> wenn es um <strong>die</strong> DDR geht und vor allem um <strong>die</strong> Lebensleistung<br />
der Mens<strong>ch</strong>en dort. Gerade deshalb muss es bei der historis<strong>ch</strong>en<br />
Wahrheit und Klarheit bleiben: Die DDR war ein Unre<strong>ch</strong>tsstaat,<br />
der s<strong>ch</strong>on auf Unre<strong>ch</strong>t gegründet wurde. Ohne Angst und<br />
Lüge hätte sie ni<strong>ch</strong>t 40 Jahre überleben können.
Eine mens<strong>ch</strong>envera<strong>ch</strong>tende Diktatur muss au<strong>ch</strong> als sol<strong>ch</strong>e bezei<strong>ch</strong>net<br />
werden – ohne Wenn und Aber. Wer hier relativiert, der<br />
verharmlost und verkennt, dass <strong>die</strong> kommunistis<strong>ch</strong>en Systeme zu<br />
den erbitterten Feinden der freiheitli<strong>ch</strong>en Demokratie gehörten.<br />
Warum musste man <strong>die</strong> Mens<strong>ch</strong>en denn einmauern, wenn <strong>die</strong><br />
sozialistis<strong>ch</strong>en Staaten angebli<strong>ch</strong> so viel Gutes bereithielten? Au<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> Diktatur des Proletariats ist eine Diktatur!<br />
Der Sozialdemokrat Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>röder sagt, wir müssen „s<strong>ch</strong>on<br />
deshalb von den beiden deuts<strong>ch</strong>en Diktaturen spre<strong>ch</strong>en, damit<br />
wir ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal das Fals<strong>ch</strong>e aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te lernen“.<br />
In unseren S<strong>ch</strong>ulen aber au<strong>ch</strong> in den Me<strong>die</strong>n findet <strong>die</strong> nationalsozialistis<strong>ch</strong>e<br />
Diktatur zu Re<strong>ch</strong>t breiten Raum. Aber wir haben au<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> Pfli<strong>ch</strong>t, an <strong>die</strong> kommunistis<strong>ch</strong>e Diktatur in der DDR zu erinnern.<br />
Dazu gehört au<strong>ch</strong> das Gedenken an den Widerstand. Es ist nur<br />
angemessen für einen freiheitli<strong>ch</strong>en-na<strong>ch</strong>diktatoris<strong>ch</strong>en Staat, den<br />
Widerstand gegen Unterdrückung im kollektiven Gedä<strong>ch</strong>tnis zu<br />
bewahren und zu würdigen. Demokratie brau<strong>ch</strong>t demokratis<strong>ch</strong>e<br />
Traditionen.<br />
Es hat viel mit unserer politis<strong>ch</strong>en Kultur zu tun, wenn <strong>die</strong> Bürgerinnen<br />
und Bürger wissen, wer <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>wister S<strong>ch</strong>oll und <strong>die</strong> Weiße<br />
Rose waren und wenn ihnen bewusst ist, dass in Bautzen allein<br />
2.220 Sozialdemokraten ermordet wurden, darunter ni<strong>ch</strong>t wenige,<br />
<strong>die</strong> zuvor von den Nazis eingesperrt worden waren.<br />
Warum werden eigentli<strong>ch</strong> kaum Straßen und Plätze, Universitäten<br />
und S<strong>ch</strong>ulen na<strong>ch</strong> den Gegnern der SED-Diktatur benannt – und<br />
ni<strong>ch</strong>t nur in den östli<strong>ch</strong>en Bundesländern?<br />
Kenntnisse über <strong>die</strong> Diktaturen in Deuts<strong>ch</strong>land sind unerlässli<strong>ch</strong>,<br />
wenn man den Extremismus von heute bekämpfen will. Dann darf<br />
man keine Verklärungen dur<strong>ch</strong>gehen lassen.<br />
I<strong>ch</strong> freue mi<strong>ch</strong>, dass wir mit Herrn Templin und Herrn Professor<br />
Kleßmann zwei herausragende Fa<strong>ch</strong>leute bei uns haben, <strong>die</strong> über<br />
den Umgang mit der DDR heute spre<strong>ch</strong>en und diskutieren werden.
Es ist ein Zei<strong>ch</strong>en des Wandels, dass seit dem großen Epo<strong>ch</strong>enwe<strong>ch</strong>sel<br />
von 1989/90 ni<strong>ch</strong>t mehr „re<strong>ch</strong>ts“ oder „links“, ni<strong>ch</strong>t<br />
„kapitalistis<strong>ch</strong>“ oder „sozialistis<strong>ch</strong>“ <strong>die</strong> Alternativen unserer Zeit<br />
sind, sondern demokratis<strong>ch</strong> oder antidemokratis<strong>ch</strong>.<br />
Was aber ist demokratis<strong>ch</strong>, was ni<strong>ch</strong>t mehr oder no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t?<br />
Die Re<strong>ch</strong>tsextremisten ma<strong>ch</strong>en es uns meistens relativ einfa<strong>ch</strong>. Ihr<br />
oft unverhüllt geäußerter Hass auf Demokratie und Re<strong>ch</strong>tsstaat,<br />
ihre ni<strong>ch</strong>t selten eindeutige Übers<strong>ch</strong>reitung von strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Grenzen lässt zumeist keinen Zweifel zu, wo <strong>die</strong>se Leute stehen.<br />
Do<strong>ch</strong> es gibt ni<strong>ch</strong>t nur <strong>die</strong>sen „harten“ Extremismus, wie es Herr<br />
Professor Jesse nennt, der gewalttätig auftritt und klar gegen <strong>die</strong><br />
Norm der Re<strong>ch</strong>tsordnung verstößt.<br />
S<strong>ch</strong>on immer haben Extremisten sowohl von re<strong>ch</strong>ts als au<strong>ch</strong> von<br />
links versu<strong>ch</strong>t, ihre eigentli<strong>ch</strong>en Ziele zu vers<strong>ch</strong>leiern. Wer <strong>die</strong><br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Hitlers Ma<strong>ch</strong>tergreifung 1933 kennt, der weiß,<br />
dass <strong>die</strong> Nazis im Vorfeld das Blaue vom Himmel herunter gelogen<br />
haben, nur um den Rei<strong>ch</strong>spräsidenten davon zu überzeugen,<br />
dass sie auf dem Boden der demokratis<strong>ch</strong>en Weimarer Verfassung<br />
stehen.<br />
Heute wissen <strong>die</strong> Feinde der Demokratie, dass sie mit extremistis<strong>ch</strong>en<br />
Parolen keine Chance auf Erfolg haben. Eine Ma<strong>ch</strong>tübernahme<br />
dur<strong>ch</strong> Wahlen oder gar dur<strong>ch</strong> Puts<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint keinen Erfolg<br />
zu verspre<strong>ch</strong>en. Mithin gehört es zu ihren häufigen taktis<strong>ch</strong>en<br />
Täus<strong>ch</strong>ungsmanövern, ihre Verfassungstreue zu bekennen. Hinzu<br />
kommen mögli<strong>ch</strong>st populistis<strong>ch</strong>e Forderungen sowie eine Vielzahl<br />
von Kampagnen, <strong>die</strong> darauf zielen, Bündnispartner bis weit ins<br />
ni<strong>ch</strong>textremistis<strong>ch</strong>e Spektrum zu gewinnen, letztli<strong>ch</strong> aber nur das<br />
Ziel verfolgen, <strong>die</strong> Demokratie und den Re<strong>ch</strong>tsstaat zu delegitimieren.<br />
Das Bild ist dann ni<strong>ch</strong>t selten diffus, glei<strong>ch</strong>t einem Janusgesi<strong>ch</strong>t:<br />
Extremistis<strong>ch</strong>e und demokratis<strong>ch</strong>e Positionen existieren in einem<br />
Neben- und Dur<strong>ch</strong>einander, das es oft ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t, eine<br />
exakte Trennung von Extremisten und Demokraten vorzunehmen.
Herr Professor Jesse spri<strong>ch</strong>t von einem „wei<strong>ch</strong>en“ oder „smarten“<br />
Extremismus, der gerade deshalb als Gefährdung der Demokratie<br />
ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ätzt werden dürfe.<br />
Eine sol<strong>ch</strong>e Gefährdung sehe i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der weit verbreiteten<br />
Neigung zu vergessen, dass es eine Gefährdung der Demokratie<br />
von links her überhaupt geben könne.<br />
Für viele heute gilt <strong>die</strong> Partei DIE LINKE. als eine „normale“ Partei.<br />
Einige Bundesländer verzi<strong>ch</strong>ten sogar darauf, sie oder Teile<br />
von ihr in ihren Verfassungss<strong>ch</strong>utzberi<strong>ch</strong>ten zu erwähnen. Die<br />
Frage, wie DIE LINKE. zu beurteilen ist, ist heftig umstritten. I<strong>ch</strong><br />
erinnere nur daran, dass si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> hessis<strong>ch</strong>e SPD im vergangenen<br />
Jahr an <strong>die</strong>ser Frage beinahe zerrieben hat und <strong>die</strong> Regierungsübernahme<br />
von Frau Ypsilanti s<strong>ch</strong>eiterte.<br />
I<strong>ch</strong> sehe genügend tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Anhaltspunkte, um <strong>die</strong> Partei<br />
DIE LINKE. als extremistis<strong>ch</strong> einzustufen. Da ist ihr Verhältnis zur<br />
SED-Diktatur, von der sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eindeutig als Unre<strong>ch</strong>tstaat zu<br />
distanzieren vermag. Es ist ihre Duldung und sogar Förderung<br />
von extremistis<strong>ch</strong>en Gruppierungen wie <strong>die</strong> Kommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Plattform oder das Marxistis<strong>ch</strong>e Forum. Da sind ihre Kontakte zu<br />
ausländis<strong>ch</strong>en Terrororganisationen wie der Eta, der PKK und der<br />
kolumbianis<strong>ch</strong>en FARC sowie ihre Lobpreisung der kubanis<strong>ch</strong>en<br />
Diktatur. Ihr niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>er Landesvorsitzender re<strong>ch</strong>tfertigt<br />
den Bau der Mauer damit, dass man in der DDR mehr Demokratie<br />
habe wagen wollen. Der gegenwärtige Fraktionsvorsitzende<br />
der Linken im Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>en Landtag und Ex-DKP-Funktionär<br />
Manfred Sohn s<strong>ch</strong>rieb no<strong>ch</strong> im Jahr 2005: „Unser Ziel heißt ni<strong>ch</strong>t<br />
Sozialismus, sondern Kommunismus“. Eine Äußerung, <strong>die</strong> bis<br />
heute unwiderspro<strong>ch</strong>en blieb.<br />
Vor allem aber sehe i<strong>ch</strong>, wie <strong>die</strong> Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land von<br />
Vertretern <strong>die</strong>ser Partei ni<strong>ch</strong>t als ein demokratis<strong>ch</strong>er Verfassungsstaat<br />
beurteilt wird, sondern als ein vom Horror-Kapitalismus<br />
beherrs<strong>ch</strong>tes, marodes System. Jenseits aller legitimen Kritik<br />
diffamiert DIE LINKE. <strong>die</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und politis<strong>ch</strong>e Realität<br />
<strong>die</strong>ses Landes so gezielt, dass man von ihrer Absi<strong>ch</strong>t ausgehen<br />
muss, <strong>die</strong> Verfassungsordnung selbst zu demontieren. I<strong>ch</strong> nehme
den Partei<strong>ch</strong>ef Lothar Bisky dur<strong>ch</strong>aus ernst, wenn er sagt: „Die,<br />
<strong>die</strong> aus der PDS kommen, aus der Ex-SED, und au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> neue Partei<br />
DIE LINKE. – wir stellen <strong>die</strong> Systemfrage“.<br />
I<strong>ch</strong> zitiere den <strong>Politik</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler Tim Peters:<br />
„Früher wurde in der marxistis<strong>ch</strong>en Theorie der Kapitalismus als<br />
ursä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> für <strong>die</strong> Ma<strong>ch</strong>terlangung des Fas<strong>ch</strong>ismus angesehen und<br />
als Ausweg <strong>die</strong> `Diktatur des Proletariats` angestrebt. Heute wird<br />
<strong>die</strong> als `Neoliberalismus` abqualifizierte Soziale Marktwirts<strong>ch</strong>aft<br />
zur Ursa<strong>ch</strong>e von Re<strong>ch</strong>tsextremismus erklärt und als Lösung ein<br />
`sozialer, demokratis<strong>ch</strong>er und ziviler Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag` angeboten.<br />
Gemeint ist dasselbe. Der alte Inhalt ist nur in eine moderne<br />
Spra<strong>ch</strong>e verpackt.“<br />
Die Diskreditierung der Demokratie war au<strong>ch</strong> in Weimar <strong>die</strong> ents<strong>ch</strong>eidende<br />
Voraussetzung für ihren Untergang. Hier wird deutli<strong>ch</strong>:<br />
Die Feinds<strong>ch</strong>aft zur Demokratie beginnt ni<strong>ch</strong>t erst dort, wo<br />
Gewalt befürwortet wird. Und Verfassungss<strong>ch</strong>utz beginnt ni<strong>ch</strong>t<br />
erst dort, wo nur das als gefährli<strong>ch</strong> gilt, was klaren Strafre<strong>ch</strong>tsnormen<br />
zugeordnet werden kann. Wir müssen uns au<strong>ch</strong> dort als<br />
wehrhafte Demokratie erweisen, wo Gegners<strong>ch</strong>aft zur Verfassungsordnung<br />
wesentli<strong>ch</strong> subtiler in Ers<strong>ch</strong>einung tritt, nämli<strong>ch</strong> als<br />
geistig-politis<strong>ch</strong>e und intellektuelle Angriffe.<br />
I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te an <strong>die</strong>ser Stelle ni<strong>ch</strong>t der Diskussion vorgreifen, <strong>die</strong> im<br />
dritten Teil unseres Symposiums Herr Professor Stöss und Herrn<br />
Professor Wilke einleiten werden.
Vielmehr bedanke i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> an <strong>die</strong>ser Stelle s<strong>ch</strong>on jetzt für ihr<br />
Interesse und au<strong>ch</strong> ihre Teilnahme an <strong>die</strong>sem Symposium sehr<br />
herzli<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> hoffe, dass wir mit <strong>die</strong>ser neuen Reihe von Symposien<br />
zumindest einen kleinen Beitrag leisten können, den antiextremistis<strong>ch</strong>en<br />
Konsens zu stärken, wenn ni<strong>ch</strong>t wieder herzustellen.<br />
I<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>e Ihnen, dass Sie von hier wi<strong>ch</strong>tige Anregungen mitnehmen<br />
können, <strong>die</strong> Ihnen helfen, si<strong>ch</strong> mit dem Extremismus in<br />
unserem Land auseinanderzusetzen und für <strong>die</strong> Bewahrung der<br />
Demokratie zu streiten.
„Ma<strong>ch</strong>t kaputt, was<br />
eu<strong>ch</strong> kaputt ma<strong>ch</strong>t.“<br />
Streitbare Demokratie<br />
und <strong>Linksextremismus</strong><br />
Dr. Rudolf van Hüllen<br />
Dass <strong>Linksextremismus</strong> eine eher verna<strong>ch</strong>lässigte<br />
<strong>Gefahr</strong> darstellt, wurde<br />
bereits von Herrn Minister unterstri<strong>ch</strong>en.<br />
Kann man <strong>die</strong> S<strong>ch</strong>ieflage im<br />
Konzept der streitbaren Demokratie korrigieren, indem man das<br />
Streiten gegen Re<strong>ch</strong>tsextremismus reduziert? Zugegeben, man<strong>ch</strong>mal<br />
wäre bei den Reaktionen auf Re<strong>ch</strong>tsextremisten etwas mehr<br />
Gelassenheit angezeigt. Muss man wegen 50 Neonazis eine Großstadt<br />
in samstägli<strong>ch</strong>en Belagerungszustand versetzen? Die Polizei<br />
weiß indessen sehr wohl, dass <strong>die</strong> Gewalt bei sol<strong>ch</strong>en Ereignissen<br />
ni<strong>ch</strong>t von den Re<strong>ch</strong>tsextremisten und s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t von den oft<br />
sehr breiten zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Bündnissen gegen Re<strong>ch</strong>tsextremismus<br />
ausgeht, sehr wohl aber von ein paar Hundert autonomen<br />
„Antifas“. Andererseits: Ein Na<strong>ch</strong>lassen in der Arbeit gegen<br />
Re<strong>ch</strong>tsextremismus wäre garantiert der fals<strong>ch</strong>e Weg. Angesi<strong>ch</strong>ts<br />
der s<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>enden sozialkulturellen Verankerung von Re<strong>ch</strong>tsextremisten<br />
und der Gewöhnung an ihre Präsenz vor allem in Teilen<br />
der Neuen Bundesländer darf man mit den Anstrengungen gegen<br />
<strong>die</strong>ses Phänomen keinesfalls na<strong>ch</strong>lassen.<br />
Das Problem liegt demna<strong>ch</strong> eher in der mangelnden Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />
des <strong>Linksextremismus</strong> im heute praktizierten Modell der<br />
streitbaren Demokratie.<br />
Und <strong>die</strong> kann man mit Händen greifen: Ni<strong>ch</strong>t erst seit 1990, als<br />
der Kommunismus für tot erklärt wurde und <strong>die</strong> öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Meinung so tat, als sei an allem sowieso nur <strong>die</strong> Staatssi<strong>ch</strong>erheit
S<strong>ch</strong>uld gewesen und als habe si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Sa<strong>ch</strong>e mit der Auflösung der<br />
DDR und der Umbenennung der SED erledigt.<br />
Ein plakatives Beispiel für <strong>die</strong> s<strong>ch</strong>on längerfristig verzerrte Problemwahrnehmung:<br />
Es gilt als übli<strong>ch</strong>, dass NPD-Parteitage ni<strong>ch</strong>t ohne<br />
begleitende massive Protestdemonstrationen und bisweilen au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t ohne Blockadeversu<strong>ch</strong>e stattfinden. In den 1970er und 1980er<br />
Jahren waren re<strong>ch</strong>ts <strong>die</strong> NPD und links <strong>die</strong> DKP <strong>die</strong> traditionellen<br />
extremistis<strong>ch</strong>en Ausleger des Parteiensystems. Wann also hat ein<br />
breites zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Bündnis zuletzt gegen einen DKP-<br />
Parteitag protestiert? Antwort: Überhaupt nie. 1978, im Vorfeld<br />
eines DKP-Programmparteitages in Mannheim, erwog <strong>die</strong> eine<br />
große Volkspartei eine Protestdemonstration gegen das Ereignis.<br />
Sie fragte <strong>die</strong> andere große Volkspartei, ob sie eine sol<strong>ch</strong>e Initiative<br />
mittragen werde. Die wollte ni<strong>ch</strong>t. Und damit hatte si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Frage<br />
bis heute erledigt.<br />
Wieweit selbst linksextremistis<strong>ch</strong>e Straßengewalt – Szenejargon<br />
„Massenmilitanz“ - als etabliertes Ereignis hingenommen wird, dafür<br />
muss man einen Blick auf Berlin werfen, wo ein Bezirksverordneter<br />
der früheren SED als Anmelder der „Revolutionären 1.Mai-<br />
Demo“ auftritt, eines Ereignisses, dass nun halt seit<br />
22 Jahren immer einen gewaltsamen Verlauf genommen hat.<br />
Und im Vorfeld <strong>die</strong>ses Ereignisses, am Abend des 30.April, gibt<br />
es eine kleine „Einstimmungsrandale“. Die Süddeuts<strong>ch</strong>e Zeitung<br />
s<strong>ch</strong>reibt am 2.Mai, es habe 57 Festnahmen, 48 verletzte Polizisten<br />
gegeben, und vereinzelt hätten Autos gebrannt. Insgesamt aber<br />
habe <strong>die</strong> Polizei von einem friedli<strong>ch</strong>en Verlauf gespro<strong>ch</strong>en. I<strong>ch</strong><br />
hoffe, sie sehen ein, dass es au<strong>ch</strong> dann ein friedli<strong>ch</strong>er Verlauf ist,<br />
wenn vereinzelt mal ihr Auto brennt. Eine merkwürdig vers<strong>ch</strong>obene<br />
Wahrnehmung: Wie wäre <strong>die</strong> Beurteilung ausgefallen, wenn <strong>die</strong><br />
Randale von Re<strong>ch</strong>tsextremisten ausgegangen wäre?<br />
Diese etwas provokante Frage kann immerhin dazu <strong>die</strong>nen, si<strong>ch</strong> der<br />
unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tigen Wahrnehmung bewusst zu werden. Sie erklärt<br />
aber ni<strong>ch</strong>t automatis<strong>ch</strong>, ob das medial sehr präsente Phänomen des<br />
Re<strong>ch</strong>tsextremismus überbeli<strong>ch</strong>tet wird oder der <strong>Linksextremismus</strong><br />
unterbeli<strong>ch</strong>tet. Viele Umstände spre<strong>ch</strong>en indessen für Letzteres.
In der Verfassungss<strong>ch</strong>utz- und Polizeistatistik liegen Re<strong>ch</strong>ts- und<br />
<strong>Linksextremismus</strong> na<strong>ch</strong> den Mitgliederzahlen ungefähr glei<strong>ch</strong><br />
auf, lässt man mal den Streit beiseite, ob man ni<strong>ch</strong>t zu den 31.200<br />
amtli<strong>ch</strong> anerkannten Linksextremisten <strong>die</strong> 76.000 Mitglieder der<br />
früheren SED hinzuzählen müsste. Au<strong>ch</strong> bei den Gewalttaten<br />
bewegen si<strong>ch</strong> beide Lager in derselben Dimension, aktuell sind<br />
<strong>die</strong> linksextremistis<strong>ch</strong>en Gewalttaten um 15 % zurückgegangen,<br />
<strong>die</strong> re<strong>ch</strong>tsextremistis<strong>ch</strong>en haben um <strong>die</strong> glei<strong>ch</strong>e Marge zugenommen,<br />
<strong>die</strong>s wohl vor allem, weil <strong>die</strong> Autonomen Nationalisten den<br />
übli<strong>ch</strong>en Modus operandi ihrer linksautonomen Gegner kopiert<br />
haben. Hier ist zudem zu bea<strong>ch</strong>ten, dass es für <strong>die</strong> zahllosen Propagandadelikte<br />
der extremistis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten keine Entspre<strong>ch</strong>ung<br />
im <strong>Linksextremismus</strong> gibt, weil <strong>die</strong> Verherrli<strong>ch</strong>ung stalinistis<strong>ch</strong>er<br />
Gewaltverbre<strong>ch</strong>en z.B. ni<strong>ch</strong>t strafbar ist. Und gegen Organisationsverbote<br />
können Linksextremisten ebenfalls s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t verstoßen,<br />
weil das letzte – es ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> gegen den Heidelberger SDS in<br />
den frühen 1970er Jahren – immerhin fast vierzig Jahre her ist.<br />
All <strong>die</strong>s erklärt, wenn viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>öpfend, warum<br />
streitbare Demokratie gegen Linksextremisten weniger erfolgrei<strong>ch</strong><br />
ist.<br />
Gibt es identifizierbare Ursa<strong>ch</strong>en für <strong>die</strong>se S<strong>ch</strong>ieflage in unserer<br />
Wahrnehmung?<br />
Generell kann man davon ausgehen, dass Re<strong>ch</strong>tsextremismus in<br />
der Berliner Republik weiterhin geä<strong>ch</strong>tet, <strong>Linksextremismus</strong> aber<br />
eher gea<strong>ch</strong>tet ist. Die Gründe für <strong>die</strong>se Abwei<strong>ch</strong>ung vom ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />
antitotalitären Konsens sind vielfältig:<br />
• Eine Duldung des <strong>Linksextremismus</strong> in seiner orthodox-kommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Variante erfolgte seit den späten 1960er Jahren<br />
aus außenpolitis<strong>ch</strong>en Rücksi<strong>ch</strong>ten. Die Sowjetunion forderte<br />
als Voraussetzung für <strong>die</strong> Vertrags- und Entspannungspolitik<br />
<strong>die</strong> Relegalisierung der 1956 verbotenen KPD. 1968 trat sie als<br />
DKP und Interventionsapparat der SED in der Bundesrepublik<br />
wieder in Ers<strong>ch</strong>einung.<br />
• Die so genannte Studentenrevolte der 68er führte dazu, dass
Linksextremisten oder ehemalige Linksextremisten in der Klasse<br />
der „Sinnvermittler“, aber dur<strong>ch</strong>aus au<strong>ch</strong> der politis<strong>ch</strong>en<br />
Ents<strong>ch</strong>eidungsträger, heute ganz anders aufgestellt sind als<br />
ihre re<strong>ch</strong>tsextremistis<strong>ch</strong>en Antipoden. Au<strong>ch</strong> wenn Funktionäre<br />
militanter maoistis<strong>ch</strong>er Gruppen, Hausbesetzer, Streetfighter<br />
heute zumeist geläutert sind: Sie haben ein Interesse, dass<br />
über ihre früheren Taten und über <strong>die</strong>jenigen ihrer politis<strong>ch</strong>en<br />
Epigonen ni<strong>ch</strong>t geredet wird. Ähnli<strong>ch</strong> sehen das <strong>die</strong><br />
Täter der SED-Diktatur und in ganz besonderem Sinne ihre<br />
<strong>ch</strong>arakterlosen westdeuts<strong>ch</strong>en Lakaien, <strong>die</strong> das Ges<strong>ch</strong>äft der<br />
SED und der Staatssi<strong>ch</strong>erheit im Westen besorgten.<br />
• Das größere intellektuelle Potenzial wirkt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> als<br />
wesentli<strong>ch</strong> ausgeprägtere Fähigkeit von Linksextremisten aus,<br />
ihre mens<strong>ch</strong>envera<strong>ch</strong>tenden Ziele anspre<strong>ch</strong>end und s<strong>ch</strong>einbar<br />
ans<strong>ch</strong>lussfähig zu verpacken. Der bis vor einigen Jahren<br />
als „dumpf“ geltende Re<strong>ch</strong>tsextremismus hat zwar beim<br />
Kopieren linksextremistis<strong>ch</strong>er Strategie und Taktik allerhand<br />
Lernfähigkeit bewiesen, aber bei der Irreführung des Publikums<br />
ist <strong>die</strong> extremistis<strong>ch</strong>e Linke immer no<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden<br />
erfolgrei<strong>ch</strong>er. Da werden ni<strong>ch</strong>t nur allgemein anerkannte<br />
hehre Ziele wie soziale Gere<strong>ch</strong>tigkeit, Frieden und Ökologie<br />
in den Vordergrund ges<strong>ch</strong>oben. Au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Camouflage weniger<br />
freundli<strong>ch</strong> wirkender Absi<strong>ch</strong>ten gelingt im Allgemeinen<br />
ganz gut. Aus der s<strong>ch</strong>eußli<strong>ch</strong>en „Diktatur des Proletariats“<br />
wurde s<strong>ch</strong>on 1968 bei der DKP <strong>die</strong> „Ma<strong>ch</strong>t der Arbeiterklasse“,<br />
später aus der Revolution der „grundlegende Bru<strong>ch</strong> mit den<br />
herrs<strong>ch</strong>enden Verhältnissen“ oder aus autonomen Gewalttätern<br />
„unbequeme Jugendli<strong>ch</strong>e, <strong>die</strong> ihrer Empörung auf der<br />
Straße in unkonventionellen Formen Ausdruck verleihen“. So<br />
kann man natürli<strong>ch</strong> Angriffe auf Polizisten, s<strong>ch</strong>weren Landfriedensbru<strong>ch</strong>,<br />
Brandstiftung und Plünderungen au<strong>ch</strong> nennen.<br />
Überhaupt wird linksextremistis<strong>ch</strong> motivierte Gewalt gerne semantis<strong>ch</strong><br />
verpackt: So wird heutzutage zum Beispiel in linken<br />
Anti-Globalisierungsbündnissen ni<strong>ch</strong>t etwa offen zu Gewalt<br />
aufgerufen, sondern erklärt, man werde eine Vielfalt von<br />
„selbstbestimmten“ Aktionsformen, eine „diversity of tactics“,<br />
als Modus im Bündnis akzeptieren. Dies klingt so s<strong>ch</strong>ön ba-
sisdemokratis<strong>ch</strong> und liberal, bedeutet aber in der Praxis, dass<br />
au<strong>ch</strong> gewaltsame Aktionsformen akzeptiert werden, und zwar<br />
au<strong>ch</strong> von den angebli<strong>ch</strong> „friedli<strong>ch</strong>en“ Globalisierungsgegnern<br />
–si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>her regelmäßig als uns<strong>ch</strong>uldige Opfer „polizeili<strong>ch</strong>er<br />
Übergriffe“ zu präsentieren.<br />
• S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wirkt ein in unserer ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Wahrnehmung<br />
bedeutsamer Faktor zugunsten der extremistis<strong>ch</strong>en Linken.<br />
Es handelt si<strong>ch</strong> um den vermeintli<strong>ch</strong> emanzipatoris<strong>ch</strong>en<br />
Gehalt linker sozialrevolutionärer Theorien und Ziele. Oder<br />
anders gesagt, um <strong>die</strong> verbreitete Vorstellung, Sozialismus<br />
sei <strong>die</strong> an si<strong>ch</strong> gute Idee, <strong>die</strong> bloß no<strong>ch</strong> keiner ri<strong>ch</strong>tig verwirkli<strong>ch</strong>t<br />
habe. Und bei Linksextremisten handele es si<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> nur<br />
um etwas zu ungeduldige und radikale Anhänger der europäis<strong>ch</strong>en<br />
Aufklärung, <strong>die</strong> das Gute wollten, im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zum Re<strong>ch</strong>tsextremismus, der eine vollständige Negation aller<br />
Werte der Aufklärung darstelle und ganz offenkundig ethis<strong>ch</strong><br />
verwerfli<strong>ch</strong>e Ziele verfolgt. Und das ist – betra<strong>ch</strong>tet von der<br />
Intention linker Ideologien her – au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>aus halbwegs korrekt.<br />
Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kann man Marx ni<strong>ch</strong>t unmittelbar für Stalin<br />
haftbar ma<strong>ch</strong>en: Aber <strong>die</strong> Idee und ihre Wirkungen können<br />
andererseits au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> voneinander getrennt werden.<br />
Die Idee, <strong>die</strong> Ideologie wird in erster Linie dann zur totalitären<br />
Konsequenz, wenn ihr ein antihumaner, demokratiewidriger<br />
Gehalt bereits immanent war.<br />
Demna<strong>ch</strong> hätte streitbare Demokratie si<strong>ch</strong> wohl au<strong>ch</strong> mit extremistis<strong>ch</strong>em<br />
Denken auseinander zu setzen, ni<strong>ch</strong>t nur mit extremistis<strong>ch</strong>em<br />
Handeln und s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t bloß - wie es als Folge auf<br />
normativer Ebene stets indifferenten und deshalb au<strong>ch</strong> hilflosen<br />
deuts<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tspositivismus in Mode gekommen ist – bloß mit<br />
strafbarem extremistis<strong>ch</strong>em Handeln.<br />
Was also ist zu tun, um <strong>die</strong> S<strong>ch</strong>lagseite der streitbaren Demokratie<br />
ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> weiter zunehmen zu lassen?<br />
Erstens muss man <strong>die</strong> Auseinandersetzung mit den Werten und<br />
Zielen des <strong>Linksextremismus</strong> führen. Dies ist anspru<strong>ch</strong>svoll, Wertedebatten<br />
sind heute eher wenig populär. Aber nur über sol<strong>ch</strong>e
Wege gibt es eine Chance, linksextremistis<strong>ch</strong>e Ideologie aus den<br />
Köpfen heraus zu bringen. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird <strong>die</strong>s au<strong>ch</strong> von den<br />
zahllosen Präventionsprogrammen gegen Re<strong>ch</strong>tsextremismus<br />
geleistet. Gegen <strong>Linksextremismus</strong> fehlen allerdings <strong>die</strong> entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Strukturen und Mittel. Die geistig-politis<strong>ch</strong>e Auseinandersetzung<br />
fand auf Bundesebene zuletzt – in re<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>eidenem<br />
Rahmen – in der Ägide des Innenministers S<strong>ch</strong>ily statt. Der<br />
heutige Amtsträger in Berlin zieht es offenbar vor, dem Neuen<br />
Deuts<strong>ch</strong>land Exklusivinterviews darüber zu geben, wie gerne er<br />
do<strong>ch</strong> 1990 <strong>die</strong> Stasi-Akten allesamt verni<strong>ch</strong>tet hätte.<br />
Zweitens muss man <strong>die</strong> praktis<strong>ch</strong>en Folgen extremistis<strong>ch</strong>er Programmatik<br />
aufzeigen: „Antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e“ S<strong>ch</strong>lägereien sind eben<br />
keine spontanen Aufwallungen, sondern strategis<strong>ch</strong> geplante<br />
Aktionen. Sie s<strong>ch</strong>ließen den Anspru<strong>ch</strong> auf Selbstermä<strong>ch</strong>tigung<br />
ein, na<strong>ch</strong> Belieben „Fas<strong>ch</strong>os zu klats<strong>ch</strong>en“, staatli<strong>ch</strong>es Gewaltmonopol<br />
außer Kraft zu setzen, und territorial vom Re<strong>ch</strong>tsstaat<br />
befreite Zonen zu erri<strong>ch</strong>ten. In Niedersa<strong>ch</strong>sen kannte man das im<br />
Falle Göttingen s<strong>ch</strong>on lange, bevor das S<strong>ch</strong>reckensbild von den<br />
national befreiten Zonen der ostdeuts<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsextremisten in<br />
aller Munde war. Der Öffentli<strong>ch</strong>keit sollte vermittelt werden, dass<br />
es sol<strong>ch</strong>en Akteuren keineswegs in erster Linie um <strong>die</strong> Bekämpfung<br />
von Re<strong>ch</strong>tsextremismus, sondern um <strong>die</strong> Befestigung eigener<br />
Ma<strong>ch</strong>tansprü<strong>ch</strong>e geht: Die Bevölkerung soll veranlasst werden,<br />
linksextremistis<strong>ch</strong>e Gewalt als „normal“ zu akzeptieren.<br />
Drittens ist es sinnvoll, <strong>die</strong> gemeinsamen Strukturmerkmale linker<br />
und re<strong>ch</strong>ter Extremismen herauszustellen: Feindbildkonstruktionen,<br />
Vers<strong>ch</strong>wörungstheorien, Antipluralismus, Vera<strong>ch</strong>tung für<br />
<strong>die</strong> Freiheit des Individuums und das Selbstbestimmungsre<strong>ch</strong>t<br />
des mündigen Bürgers. Die Kenntnis der Strukturmerkmale wirkt<br />
doppelt immunisierend: Sie wirkt gegen konkrete Organisationen,<br />
und sie setzt Denkanstöße, bei neuen Etiketten den dahinter<br />
verpackten Inhalt zu erkennen, egal ob er von ganz re<strong>ch</strong>ts oder<br />
ganz links daher kommt.<br />
Viertens bedeutet <strong>die</strong>s, am Verglei<strong>ch</strong>en als analytis<strong>ch</strong>er Methode<br />
festzuhalten. Natürli<strong>ch</strong> müssen <strong>die</strong> Verglei<strong>ch</strong>smaßstäbe intellektuell<br />
redli<strong>ch</strong> gewählt und <strong>die</strong> Unters<strong>ch</strong>iede hinrei<strong>ch</strong>end deutli<strong>ch</strong>
herausgestellt werden. Aber den Verglei<strong>ch</strong> als analytis<strong>ch</strong>es Mittel<br />
verbieten zu wollen; dahinter steckt der Wuns<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Erri<strong>ch</strong>tung<br />
von Denkverboten. Es ist kein Zufall, dass entspre<strong>ch</strong>ende<br />
Initiativen und Forderungen immer wieder von Linksextremisten<br />
betrieben werden.<br />
Fünftens bedeutet Streitbarkeit au<strong>ch</strong> immer aktives Eintreten für<br />
Demokratie. Das sollte Vorsi<strong>ch</strong>t bei der Wahl der Bündnispartner<br />
eins<strong>ch</strong>ließen. I<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>tsextremismus Arm in Arm mit<br />
Linksextremisten bekämpfen oder umgekehrt. Demokratie ist <strong>die</strong><br />
einzige politis<strong>ch</strong>e Ordnung, bei der <strong>die</strong> Würde des Einzelnen im<br />
Zentrum des Wertesystems steht.<br />
Nur hier kann der Einzelne ni<strong>ch</strong>t zum Spielball, zum Mittel<br />
politis<strong>ch</strong>er Ziele gema<strong>ch</strong>t werden. Der ri<strong>ch</strong>tige Standort bei der<br />
Positionierung gegen Extremismus ist daher so zu sagen <strong>die</strong> „Opferperspektive“:<br />
Einem jüdis<strong>ch</strong>en Opfer extremistis<strong>ch</strong>en Treibens<br />
ist es nämli<strong>ch</strong> egal, ob si<strong>ch</strong> Antisemitismus aus traditionellem<br />
re<strong>ch</strong>tsextremen Rassenwahn, aus islamistis<strong>ch</strong>en Motiven oder aus<br />
einem „antiimperialistis<strong>ch</strong>en“ linksextremistis<strong>ch</strong>en „Antizionismus“<br />
speist. Der mars<strong>ch</strong>iert nämli<strong>ch</strong> dann – gegen Israel - Hand<br />
in Hand mit Hizbullah und Hamas, wie in Berlin. Das <strong>die</strong>s no<strong>ch</strong><br />
steigerungsfähig ist, bewies eine fast zeitglei<strong>ch</strong>e Demonstration<br />
in Paris: Dort hatten si<strong>ch</strong> Islamisten und „antizionistis<strong>ch</strong>e Linke“<br />
no<strong>ch</strong> der re<strong>ch</strong>tsextremen Front National zugesellt.<br />
Und sol<strong>ch</strong>e Bündnisse sind geradezu ein lebender Beweis, dass es<br />
streitbare Demokratie au<strong>ch</strong> weiterhin geben muss.
Prof. Dr. Hans-Gerd Jas<strong>ch</strong>ke<br />
Die Auseinandersetzung mit<br />
<strong>Linksextremismus</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land<br />
im Rahmen der „streitbaren Demokratie“<br />
leidet an dem Problem der<br />
Verglei<strong>ch</strong>barkeit mit anderen<br />
Formen des Extremismus: Re<strong>ch</strong>ts-<br />
und <strong>Linksextremismus</strong> werden<br />
häufig glei<strong>ch</strong>gesetzt oder zumindest<br />
als glei<strong>ch</strong>artige Abwei<strong>ch</strong>ung von der<br />
freiheitli<strong>ch</strong>-demokratis<strong>ch</strong>en Grundordnung<br />
gesehen.<br />
Dabei wird <strong>die</strong> Eigenart beider<br />
Protestformen übersehen, <strong>die</strong> eigenständige historis<strong>ch</strong>e Entwicklungslinien<br />
haben. Die folgenden Ausführungen skizzieren eine<br />
kurze Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des <strong>Linksextremismus</strong>, um seine Eigenarten und<br />
Besonderheiten darzustellen.<br />
<strong>Linksextremismus</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land bis 1945<br />
Spaltungen in reformistis<strong>ch</strong>e und revolutionäre Fraktionen begleiten<br />
<strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen.<br />
Die ersten Ansätze der deuts<strong>ch</strong>en Gewerks<strong>ch</strong>aftsbewegung, im<br />
Umfeld der 1848er Revolution, <strong>die</strong> „Allgemeine deuts<strong>ch</strong>e Arbeiter-Verbrüderung“,<br />
forderte <strong>die</strong> Beteiligung der Arbeiters<strong>ch</strong>aft an<br />
der Regierung: „Wir vers<strong>ch</strong>wören uns ni<strong>ch</strong>t gegen <strong>die</strong> bestehende<br />
Regierung, wir wollen nur, daß man uns einen Platz einräume in<br />
dem gemeinsamen Vaterlande“; Zeitglei<strong>ch</strong> forderte der Bund der<br />
Kommunisten im Londoner Exil den Sturz der Bourgeoisie, <strong>die</strong><br />
Herrs<strong>ch</strong>aft des Proletariats, <strong>die</strong> Aufhebung der Klassengesells<strong>ch</strong>aft<br />
und <strong>die</strong> Erri<strong>ch</strong>tung einer neuen Gesells<strong>ch</strong>aft ohne Klassen und<br />
Privilegien (Weick 1974: 19). Die spätere Fraktionierung in den<br />
reformorientierten demokratis<strong>ch</strong>en Sozialismus einerseits und <strong>die</strong><br />
revolutionäre kommunistis<strong>ch</strong>e Arbeiterbewegung andererseits ist<br />
hier s<strong>ch</strong>on angedeutet und begleitet <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Sozialismus<br />
bis heute.
Anfänge sozialistis<strong>ch</strong>er Ideen gehen zurück auf <strong>die</strong> sogenannten<br />
„Frühsozialisten“ in der Zeit zwis<strong>ch</strong>en der Französis<strong>ch</strong>en Revolution<br />
1789 und dem Ers<strong>ch</strong>einen von Marx‘ Kommunistis<strong>ch</strong>em<br />
Manifest (1848). Sie beziehen si<strong>ch</strong> auf eine no<strong>ch</strong> vorindustrielle<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft und konzentrieren si<strong>ch</strong> vornehmli<strong>ch</strong> darauf, eine ideale<br />
neue Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung zu entwerfen (Ramm 2002). Erst<br />
Marx und Engels und ihre Anhänger entwerfen na<strong>ch</strong> 1848 eine<br />
Kritik der bürgerli<strong>ch</strong>en und kapitalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft, <strong>die</strong> so<br />
folgenrei<strong>ch</strong> war für <strong>die</strong> weitere Ausprägung des Sozialismus. Die<br />
parteienförmige Spaltung der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiterbewegung in<br />
einen reformistis<strong>ch</strong>en und einen revolutionären Flügel gehen zurück<br />
auf <strong>die</strong> se<strong>ch</strong>ziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Anhänger<br />
Ferdinand Lassalles und seines 1863 gegründeten Allgemeinen<br />
Deuts<strong>ch</strong>en Arbeitervereins forderten eine Strategie, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Veränderungen zugunsten der Arbeiter auf friedli<strong>ch</strong>em,<br />
legalem Weg herbeizuführen. Das allgemeine Wahlre<strong>ch</strong>t und <strong>die</strong><br />
soziale Vertretung der Arbeiter sollten S<strong>ch</strong>ritte dahin sein. Lassalle<br />
glaubte, der Staat sei der zentrale Akteur zur Dur<strong>ch</strong>setzung<br />
sozialistis<strong>ch</strong>er Ideen, deshalb müsse es darum gehen, den Staat<br />
so weit wie mögli<strong>ch</strong> mit sozialistis<strong>ch</strong>en Ideen zu dur<strong>ch</strong>setzen.<br />
Lassalle zufolge ist der Arbeiterstand, der vierte Stand, glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />
mit der Sa<strong>ch</strong>e der gesamten Mens<strong>ch</strong>heit. Der Staat dürfe<br />
eben ni<strong>ch</strong>t Na<strong>ch</strong>twä<strong>ch</strong>terstaat na<strong>ch</strong> liberalen Vorgaben sein, der<br />
nur <strong>die</strong> persönli<strong>ch</strong>e Freiheit des Einzelnen und das Eigentum zu<br />
s<strong>ch</strong>ützen habe, seine Aufgaben seien viel breiter, er müsse <strong>die</strong><br />
Entwicklung des Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts zur Freiheit vorantreiben.<br />
Demgegenüber bestanden <strong>die</strong> Anhänger von Marx, Engels, Bebel<br />
und Liebkne<strong>ch</strong>t und ihrer 1869 gegründeten Sozialdemokratis<strong>ch</strong>en<br />
Arbeiterpartei auf der Annahme, dass <strong>die</strong> notwendigen<br />
Veränderungen nur auf revolutionärem Weg dur<strong>ch</strong>setzbar seien,<br />
da der Staat nur ein Instrument der herrs<strong>ch</strong>enden Klasse, der<br />
Bourgeoisie sei. Das Gothaer Programm von 1875 war ein Kompromiss:<br />
Der Vereinigungsparteitag beider Parteien fusionierte<br />
beide Ri<strong>ch</strong>tungen, begründete aber ni<strong>ch</strong>t eine wirkli<strong>ch</strong>e Vereinigung<br />
der zugundeliegenden Analysen und Strategien.<br />
Der Burgfrieden zwis<strong>ch</strong>en beiden Ri<strong>ch</strong>tungen hielt bis zum Ersten<br />
Weltkrieg. Die Verfolgungen dur<strong>ch</strong> Bismarcks Sozialistengesetz
(1878-1890) und der starke Einheitsgedanke der Gewerks<strong>ch</strong>aften<br />
verhinderten das erneute Aufbre<strong>ch</strong>en der Kontroverse. Als jedo<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> SPD-Rei<strong>ch</strong>stagsfraktion 1914 <strong>die</strong> Kriegskredite bewilligte und<br />
si<strong>ch</strong> den nationalen Aufbru<strong>ch</strong>stendenzen ni<strong>ch</strong>t entgegenstemmte,<br />
als au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Gewerks<strong>ch</strong>aften den Kriegseintritt Deuts<strong>ch</strong>lands<br />
unterstützten, sammelte si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> revolutionäre Linke in der<br />
1917 gegründeten „Unabhängigen Sozialdemokratis<strong>ch</strong>en Partei<br />
Deuts<strong>ch</strong>lands“ (USPD). Wenig später, 1918, wurde <strong>die</strong> Kommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Partei Deuts<strong>ch</strong>lands (KPD) gegründet, <strong>die</strong> USPD blieb eine<br />
Episode. Teile kehrten zur SPD zurück, andere gingen zur KPD.<br />
Damit war <strong>die</strong> Spaltung der Arbeiterbewegung besiegelt und <strong>die</strong><br />
weitere Entwicklung in eine sozialdemokratis<strong>ch</strong>e und eine kommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Strömung vorweggenommen.<br />
Die Entwicklung der marxistis<strong>ch</strong>en und sozialistis<strong>ch</strong>en Theorien<br />
um <strong>die</strong> Jahrhundertwende hatten <strong>die</strong> Fraktionierung massgebli<strong>ch</strong><br />
beeinflusst. Marx und Engels begreifen <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als einen<br />
vorans<strong>ch</strong>reitenden, gesetzmässigen, aber au<strong>ch</strong> widerspru<strong>ch</strong>svollen<br />
Prozess, der eine Weiterentwicklung und ein Endziel aufweist:<br />
<strong>die</strong> klassenlose, kommunistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft. Diese Auffassung<br />
versteht <strong>die</strong> Forts<strong>ch</strong>ritte der bürgerli<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft auf politis<strong>ch</strong>em<br />
Gebiet und bei der Entwicklung der Te<strong>ch</strong>nik als eine<br />
notwendige, aber zu überwindende Etappe auf dem Weg zum<br />
historis<strong>ch</strong>en Endziel. Die bürgerli<strong>ch</strong>e Demokratie und <strong>die</strong> kapitalistis<strong>ch</strong>e<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftsordnung sind blosse Zwis<strong>ch</strong>ensta<strong>die</strong>n der<br />
weiteren historis<strong>ch</strong>en Entwicklung, <strong>die</strong> es dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> organisierten<br />
Kämpfe der Arbeiterbewegung zu überwinden gilt. Besonders<br />
in der deuts<strong>ch</strong>en Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg<br />
gewann, beeinflusst dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Theoretiker Bebel und Kautsky,<br />
eine <strong>ch</strong>iliastis<strong>ch</strong>e Auffassung eine beherrs<strong>ch</strong>ende Dominanz. Der<br />
Gang der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te führe mit gesetzmässiger Notwendigkeit<br />
über bestimmte Stufen der bürgerli<strong>ch</strong>en Entwicklung hin zum<br />
Sozialismus. Kautsky verkündete den Sieg des Proletariats als eine<br />
Naturnotwendigkeit. Giddens hat <strong>die</strong> Grundphilosophie des Kommunismus<br />
wie folgt zusammengefasst:<br />
„Der Kommunismus erhebt den radikalen Egalitarismus zur<br />
Tugend. Er mö<strong>ch</strong>te, um es in neuerer Terminologie auszudrücken,
eine ‚Nivellierung na<strong>ch</strong> unten‘ vornehmen und läßt si<strong>ch</strong> dabei von<br />
asketis<strong>ch</strong>en Gedanken leiten: das Private dürfe ni<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Oberhand<br />
über das Gemeins<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e gewinnen, und der Egoismus<br />
sollte beinahe vollständig ausgerottet werden. Der Kommunismus<br />
beruht ni<strong>ch</strong>t auf der Steuerung der Produktion, sondern auf der<br />
Regelung der Konsumtion. Er ist im wesentli<strong>ch</strong>en eine ethis<strong>ch</strong>e<br />
Ordnung, <strong>die</strong> im Egalitarismus ni<strong>ch</strong>t so sehr einen Selbstzweck<br />
erblickt, sondern eher eine Instanz der notwendigen sittli<strong>ch</strong>en<br />
Kontrolle, <strong>die</strong> <strong>die</strong> S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en vor den Starken s<strong>ch</strong>ützt“ (Giddens<br />
1999: 87).<br />
Lenin hat dem eine ents<strong>ch</strong>eidende und für <strong>die</strong> weitere Entwicklung<br />
folgenrei<strong>ch</strong>e Wendung hinzugefügt. Na<strong>ch</strong> seiner Auffassung<br />
ist <strong>die</strong> Arbeiterbewegung ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> heraus in der Lage, das<br />
Heft in <strong>die</strong> Hand zu nehmen, es fehle ihr an Klassenbewusstsein<br />
und an Handlungsfähigkeit. Notwendig ist daher, Lenin zufolge,<br />
eine starke Partei der Arbeiterklasse, <strong>die</strong> als revolutionäre<br />
Avantgarde als einzige imstande ist, <strong>die</strong> Lage ri<strong>ch</strong>tig einzus<strong>ch</strong>ätzen<br />
und politis<strong>ch</strong>e Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Partei ist<br />
unfehlbar, sie verlangt Gehorsam, Linientreue und Gefolgs<strong>ch</strong>aft.<br />
Von hier aus liegt der S<strong>ch</strong>ritt zu einem Modell der Diktatur der<br />
marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en Partei auf der Hand.<br />
Die russis<strong>ch</strong>e Oktoberrevolution 1917 und <strong>die</strong> ans<strong>ch</strong>ließende<br />
Ausbreitung des sowjetkommunistis<strong>ch</strong>en Modells über <strong>die</strong> halbe<br />
Welt, geprägt von Lenins Vorstellungen, haben <strong>die</strong> Abspaltung<br />
der KPD von der Sozialdemokratie in Deuts<strong>ch</strong>land bes<strong>ch</strong>leunigt<br />
und verfestigt. Die KPD geriet in Abhängigkeit von der<br />
Kommunistis<strong>ch</strong>en Internationale (Komintern) und der von Moskau<br />
vorgegebenen marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en Ideologie und Dogmatik.<br />
Hier liegt au<strong>ch</strong> der Grund für <strong>die</strong> Unfähigkeit der KPD, in<br />
der S<strong>ch</strong>lussphase der Weimarer Republik auf <strong>die</strong> SPD zuzugehen,<br />
um dur<strong>ch</strong> eine Einheitsfront den Aufstieg des Nationalsozialismus<br />
und <strong>die</strong> Ma<strong>ch</strong>tübernahme zu verhindern. Die Spaltung der deuts<strong>ch</strong>en<br />
Arbeiterbewegung in Sozialisten und Kommunisten war ein<br />
ganz wesentli<strong>ch</strong>er Faktor für Hitlers Ma<strong>ch</strong>tübernahme. Na<strong>ch</strong> dem<br />
Zweiten Weltkrieg wurde <strong>die</strong> kommunistis<strong>ch</strong>e Tradition fortgesetzt<br />
in der Sozialistis<strong>ch</strong>en Einheitspartei Deuts<strong>ch</strong>lands (SED) und
kleinen kommunistis<strong>ch</strong>en Grüpp<strong>ch</strong>en in Westdeuts<strong>ch</strong>land. Die<br />
SPD wurde in der DDR zwangsvereinigt mit der KPD zur SED, in<br />
Westdeuts<strong>ch</strong>land verstand sie si<strong>ch</strong> bis zum Godesberger Parteitag<br />
1959 als Partei der Arbeiterklasse, dann vollzog sie eine volksparteili<strong>ch</strong>e<br />
Wendung.<br />
Der Sieg des sozialdemokratis<strong>ch</strong>en Reformismus hatte mehrere<br />
Gründe. Zum einen musste si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> SPD in einer Zeit der Ost-West-<br />
Konfrontation deutli<strong>ch</strong>er vom Kommunismus osteuropäis<strong>ch</strong>er<br />
Prägung abgrenzen, um Glaubwürdigkeit zu behalten. Sie musste<br />
si<strong>ch</strong> angesi<strong>ch</strong>ts von Massenwohlstand, weitrei<strong>ch</strong>ender Partizipation<br />
der Arbeiter am Wohlstand und an betriebli<strong>ch</strong>er Mitbestimmung<br />
und dem Vordringen der Angestellten einer breiteren<br />
Wählers<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t öffnen. Mit der Wendung der SPD zur Volkspartei<br />
war freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Lager des linken Extremismus no<strong>ch</strong> mehr<br />
isoliert, konnten do<strong>ch</strong> fortan Bündnisse ni<strong>ch</strong>t mehr oder nurmehr<br />
unter ers<strong>ch</strong>werten Bedingungen ins Auge gefasst werden.<br />
<strong>Linksextremismus</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land na<strong>ch</strong> 1945<br />
<strong>Linksextremismus</strong> in der Bundesrepublik läßt si<strong>ch</strong> in mehrere zeitli<strong>ch</strong>e<br />
Phasen mit sehr vers<strong>ch</strong>iedenen Ausprägungen unterteilen.<br />
Bis zum KPD-Verbot 1956 sind <strong>die</strong> Optionen von linksaußen der<br />
Sturz des kapitalistis<strong>ch</strong>en, von den West-Allierten beherrs<strong>ch</strong>ten<br />
Systems der Bundesrepublik im Bündnis mit der Sowjetunion und<br />
der DDR. Damit knüpft <strong>die</strong> KPD an <strong>die</strong> Komintern-Tradition der<br />
Weimarer Republik ebenso an wie an <strong>die</strong> marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e<br />
Organisationstheorie. Dieser Strang lebt fort in der Gründung<br />
der Deuts<strong>ch</strong>en Kommunistis<strong>ch</strong>en Partei (DKP) im Jahr 1968,<br />
deren einst 40.000 Mitglieder na<strong>ch</strong> dem Fall der Mauer auf 4.000<br />
zurückgegangen sind. Damit ist <strong>die</strong> sowjetmarxistis<strong>ch</strong>e Variante<br />
des linken Extremismus heute nahezu in der Bedeutungslosigkeit<br />
vers<strong>ch</strong>wunden.<br />
Die Gründung der DKP erfolgt ni<strong>ch</strong>t zufällig 1968. Das „rote<br />
Jahrzehnt“ 1967 bis 1977 (Koenen 2002) ist <strong>die</strong> Blütezeit einer<br />
Vielzahl linker, linksradikaler und linksextremer Gruppierungen<br />
im Umfeld der Außerparlamentaris<strong>ch</strong>en Opposition und
der Studentenbewegung. Zu den vielfältigen Anlässen für das<br />
Aufbre<strong>ch</strong>en gehört der Protest gegen den Vietnamkrieg, gegen<br />
den „Muff“ der Adenauerzeit, gegen überholte gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Konventionen. Die Protestbewegung war, au<strong>ch</strong> in anderen<br />
europäis<strong>ch</strong>en Ländern und den USA, überwiegend getragen von<br />
Jugendli<strong>ch</strong>en und Studenten, man könnte sie, zumal im Kontext<br />
der zur glei<strong>ch</strong>en Zeit entstehenden Popkultur, au<strong>ch</strong> als zweite<br />
Jugendbewegung na<strong>ch</strong> der ersten um <strong>die</strong> Jahrhundertwende<br />
bezei<strong>ch</strong>nen. Es spalteten si<strong>ch</strong> bald marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>e,<br />
trotzkistis<strong>ch</strong>e, maoistis<strong>ch</strong>e, stalinistis<strong>ch</strong>e und andere kleinere<br />
Gruppen ab, <strong>die</strong> unter Bezei<strong>ch</strong>nungen wie KPD/Aufbauorganisation,<br />
Revolutionärer Kampf, Kommunistis<strong>ch</strong>e Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulgruppe,<br />
Marxistis<strong>ch</strong>-Leninistis<strong>ch</strong>e Partei Deuts<strong>ch</strong>lands oder au<strong>ch</strong> Marxistis<strong>ch</strong>e<br />
Gruppe auftau<strong>ch</strong>ten (Koenen 2002: 257ff.). Sie überboten<br />
si<strong>ch</strong> in marxistis<strong>ch</strong>er Revolutionsrhetorik und hatten mit der<br />
Mehrheitsströmung des von der SPD vertretenen demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Sozialismus gebro<strong>ch</strong>en, aber au<strong>ch</strong> mit der Nähe der DKP zur SED<br />
und der marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en Theorie des staatsmonopolistis<strong>ch</strong>en<br />
Kapitalismus, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> <strong>Politik</strong> als Erfüllungsgehilfen des<br />
Kapitals betra<strong>ch</strong>tete.<br />
Die Spannungen zwis<strong>ch</strong>en der SPD und ihren Studentenorganisationen<br />
in der Zeit zwis<strong>ch</strong>en etwa 1960 und 1975 zeigen, wie si<strong>ch</strong><br />
demokratis<strong>ch</strong>er Sozialismus und Extremismus von links voneinander<br />
weiter lösen. Der Sozialistis<strong>ch</strong>e Deuts<strong>ch</strong>e Studentenbund<br />
(SDS), organisatoris<strong>ch</strong>er Kern der Studentenbewegung, war seit<br />
1946 der SPD angegliedert. 1961 wurden SDS-Mitglieder aus der<br />
SPD ausges<strong>ch</strong>lossen, da der Verband si<strong>ch</strong> radikalisiert hatte. Ähnli<strong>ch</strong><br />
ging es mit dem Sozialdemokratis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulbund (SHB),<br />
den <strong>die</strong> SPD 1960 als Alternative ins Leben gerufen hatte. Er ging<br />
an den Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen häufig Bündnisse ein mit dem DKP-nahen<br />
Marxistis<strong>ch</strong>en Studentenbund Spartakus und konterkarierte damit<br />
das Bemühen der SPD um Abgrenzung gegenüber jedweder Form<br />
sowjetkommunistis<strong>ch</strong> geprägter <strong>Politik</strong>. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wurde er der<br />
SPD zu radikal. 1974 löste sie si<strong>ch</strong> von ihrer in der marxistis<strong>ch</strong>en<br />
Orthodoxie verhafteten Studentenorganisation, an deren Stelle<br />
dann <strong>die</strong> Juso-Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulgruppen traten.
Die Frage der Rolle und des Einsatzes von Gewalt als politis<strong>ch</strong>em<br />
Instrument führte zu einer weiteren Spaltung. Gruppen wie <strong>die</strong><br />
Rote Armee Fraktion und <strong>die</strong> Bewegung 2. Juni propagierten<br />
in Anlehnung an südamerikanis<strong>ch</strong>e Revolutionskonzepte den<br />
„bewaffneten Kampf“, um <strong>die</strong> angebli<strong>ch</strong> fas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Qualität<br />
des westdeuts<strong>ch</strong>en Staates zu „entlarven“. Anfang und Mitte der<br />
siebziger Jahre gelang es <strong>die</strong>sen Gruppen, <strong>die</strong> westdeuts<strong>ch</strong>e Linke<br />
na<strong>ch</strong>haltig zu spalten. Terroristis<strong>ch</strong>e Ans<strong>ch</strong>läge und Revolutionsrhetorik<br />
zwangen <strong>die</strong> linken Aktivisten der Studentenbewegung<br />
zu heimli<strong>ch</strong>er oder offener Sympathie auf der einen Seite, zu<br />
ents<strong>ch</strong>iedener Absage und „Verratsvorwürfen“ auf der anderen<br />
Seite. Die Morde an Generalbundesanwalt Buback, Dresdner<br />
Bank-Chef Ponto und Arbeitgeber-Präsident S<strong>ch</strong>leyer 1977 bildeten<br />
den Höhepunkt des deuts<strong>ch</strong>en Terrorismus. <strong>Linksextremismus</strong><br />
hatte eine neue, eine terroristis<strong>ch</strong>e Qualität gewonnen. Die ni<strong>ch</strong>tterroristis<strong>ch</strong>en<br />
Teile der Protestbewegung gingen in den folgenden<br />
Jahren zurück in private Orientierungen, in <strong>die</strong> etablierten<br />
Parteien, aber ein großer Teil in <strong>die</strong> entstehenden neuen sozialen<br />
Bewegungen, aus denen heraus dann <strong>die</strong> Partei Die Grünen entstand.<br />
<strong>Linksextremismus</strong> im engeren Sinne, sowohl in der terroristis<strong>ch</strong>en<br />
Fraktion als au<strong>ch</strong> in der marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en Orthodoxie<br />
hat na<strong>ch</strong> 1977 an Bedeutung eingebüßt, das S<strong>ch</strong>eitern des<br />
Sowjetkommunismus in Osteuropa und der DDR um 1990 tat<br />
ein übriges, um <strong>die</strong>se <strong>Politik</strong>ansätze na<strong>ch</strong>haltig unattraktiv zu<br />
ma<strong>ch</strong>en. Es darf au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t übersehen werden, dass <strong>die</strong> soziale<br />
Basis des Modellfalls kommunistis<strong>ch</strong>e Partei der zwanziger Jahre,<br />
<strong>die</strong> Arbeiters<strong>ch</strong>aft, in der Na<strong>ch</strong>kriegsentwicklung wegbröckelte.<br />
Im Zuge der Deindustrialisierung und der Transformation zur<br />
Dienstleistungsgesells<strong>ch</strong>aft gibt es immer weniger Arbeiter, zumal<br />
wenig angelernte. In einer komplexen, modernen Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />
deren soziale S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tung si<strong>ch</strong> stark ausdifferenziert, in der Interessengruppen<br />
stark diversifizieren, in der Ents<strong>ch</strong>eidungsprozeduren<br />
vielfältig gebro<strong>ch</strong>en sind, können gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Großkonflikte<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr mit simplen Klassenkampfparolen begriffen werden.
Einige der sogenannten K-Gruppen existieren weiter, ebenso andere,<br />
im Umfeld der neuen sozialen Bewegungen der a<strong>ch</strong>tziger<br />
Jahre entstandene Gruppierungen. Die sogenannten „Autonomen“,<br />
militante linksextremistis<strong>ch</strong> beeinflusste Jugendli<strong>ch</strong>e, <strong>die</strong><br />
vor allem bei gewaltbereiten Aufmärs<strong>ch</strong>en und Demonstrationen<br />
von si<strong>ch</strong> reden ma<strong>ch</strong>en, sorgen für intensive polizeili<strong>ch</strong>e Aufmerksamkeit,<br />
aber sie liefern kein wirkli<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>es Programm. Hier<br />
lassen si<strong>ch</strong> allenfalls Bru<strong>ch</strong>stücke aus der Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Anar<strong>ch</strong>ismus<br />
wiederfinden wie etwa <strong>die</strong> Ablehnung des Staates und<br />
der Glaube an eine Gesells<strong>ch</strong>aft ohne Ma<strong>ch</strong>t und Herrs<strong>ch</strong>aft.<br />
Die Szene der kommunistis<strong>ch</strong>en Parteien ist na<strong>ch</strong> dem Ende der<br />
Sowjetunion und der DDR beträ<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Die DKP<br />
kämpft weiter für <strong>die</strong> sozialistis<strong>ch</strong>e Revolution na<strong>ch</strong> leninistis<strong>ch</strong>em<br />
Vorbild. Am linken Rand der PDS sorgt <strong>die</strong> kommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Plattform gelegentli<strong>ch</strong> für Aufsehen, aber insgesamt spielt <strong>die</strong><br />
extreme Linke in Deuts<strong>ch</strong>land heute kaum eine politis<strong>ch</strong>e Rolle.<br />
Die Theorie Lenins über Partei und Organisation wird jedo<strong>ch</strong> dazu<br />
beitragen, <strong>die</strong> Reste der linksextremen Szene zu stabilisieren,<br />
liefert sie do<strong>ch</strong> einen ents<strong>ch</strong>eidenden Re<strong>ch</strong>tfertigungsgrund für<br />
<strong>die</strong> Existenz au<strong>ch</strong> kleiner linksextremer Parteien: Lenin zufolge<br />
kann nur eine aus Berufsrevolutionären zusammengesetzte Kaderpartei<br />
mit dem ri<strong>ch</strong>tigen Klassenbewußtsein <strong>die</strong> revolutionäre<br />
Bots<strong>ch</strong>aft in <strong>die</strong> Arbeitermassen hineintragen – Grund genug also,<br />
dur<strong>ch</strong>zuhalten.<br />
Am Anfang des 21. Jahrhunderts, na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>ock des Zerfalls<br />
der Sowjetunion, gliedert si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> verbliebene politis<strong>ch</strong>e Lands<strong>ch</strong>aft<br />
der kommunistis<strong>ch</strong>en Parteien in Europa in mindestens<br />
zwei vers<strong>ch</strong>iedene Strömungen (Moreau 2004: 53ff.): Die traditionalistis<strong>ch</strong>en<br />
Parteien, gewerks<strong>ch</strong>aftsorientiert, antikapitalistis<strong>ch</strong>,<br />
antisozialdemokratis<strong>ch</strong>, halten fest am Mythos der Oktoberrevolution<br />
und an den Theorien Lenins. Die reformkommunistis<strong>ch</strong>en<br />
haben ideologis<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ballast abgeworfen, verstehen<br />
si<strong>ch</strong> weiter als antikapitalistis<strong>ch</strong>, gehen aber au<strong>ch</strong> Bündnisse<br />
mit den Sozialdemokraten ein. Beide Lager leiden unter<br />
dem Drama des Untergangs der Sowjetunion, der Überalterung<br />
ihrer Anhänger, dem Vers<strong>ch</strong>winden der Arbeiterklasse und der
Konkurrenz der Globalisierungskritiker. „In den Parteien selbst“,<br />
so Moreau (2004: 61), „ob reformorientiert oder ni<strong>ch</strong>t, tobt <strong>die</strong><br />
S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en Traditionalisten und ‚Reformern‘. Erstere sehen<br />
nur im leninistis<strong>ch</strong>en Modell eine Zukunft für den Kommunismus.<br />
Letztere wissen um <strong>die</strong> absolute Notwendigkeit der Allianz mit<br />
den Sozialdemokraten. Nur so können ihrer Partei ein glaubwürdiges<br />
Image und <strong>die</strong> Statur einer ‚Regierungspartei‘ zuwa<strong>ch</strong>sen.<br />
Beide Strategien kommen <strong>die</strong> KPen teuer zu stehen: Der Leninismus<br />
mit seiner Fixierung auf einen neuen roten Oktober verführt<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr zum Träumen. Die <strong>Politik</strong> des Konsenses der KPen mit<br />
dem ‚sozialdemokratis<strong>ch</strong>en oder sozialistis<strong>ch</strong>en Feind‘ um jeden<br />
Preis lässt <strong>die</strong> reformorientierte kommunistis<strong>ch</strong>e Identität uns<strong>ch</strong>arf<br />
werden“.<br />
S<strong>ch</strong>lußbemerkung<br />
<strong>Linksextremismus</strong> heute ist ein Angriff auf re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>-demokratis<strong>ch</strong>e<br />
Strukturen und insofern ist <strong>die</strong> Demokratie aufgefordert,<br />
alle denkbaren Formen der Auseinandersetzung anzuwenden.<br />
Unser Überblick zeigt, dass <strong>Linksextremismus</strong> eine lange,<br />
eigenständige Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in Deuts<strong>ch</strong>land hat und eng verbunden<br />
ist mit dem Leninismus. Re<strong>ch</strong>tsextremismus, auf den hier ni<strong>ch</strong>t<br />
näher eingegangen worden ist, hat eine andere Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Von<br />
daher sollten beide ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gesetzt werden.<br />
Literatur<br />
Giddens, Anthony: Jenseits von Links und Re<strong>ch</strong>ts. Die Zukunft<br />
radikaler Demokratie. Frankfurt 1999.<br />
Jas<strong>ch</strong>ke, Hans-Gerd: Politis<strong>ch</strong>er Extremismus. Wiesbaden 2006.<br />
Koenen, Gerd: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deuts<strong>ch</strong>e Kulturrevolution<br />
1967-1977. Frankfurt 2002.<br />
Moreau, Patrick: Die kommunistis<strong>ch</strong>en und postkommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Parteien Westeuropas: Ein unaufhaltsamer Niedergang? In: Totalitarismus<br />
und Demokratie Heft 1/2004, S. 35-62.
Weick, Edgar: Artikel „Arbeiterbewegung“. In: Axel Görlitz<br />
(Hrsg.): Handlexikon zur <strong>Politik</strong>wissens<strong>ch</strong>aft Bd. 1. Reinbek 1974.<br />
S. 19-23.
Die verklärte<br />
Diktatur?<br />
Vom Umgang mit<br />
der DDR heute<br />
Wolfgang Templin<br />
Bis in den Herbst hinein und mit<br />
Si<strong>ch</strong>erheit au<strong>ch</strong> im nä<strong>ch</strong>sten<br />
Jahr wird mit einer Flut von<br />
Publikationen, Veranstaltungen<br />
und Ausstellungen an <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
und das Erbe der DDR<br />
erinnert. Die Intensität mit der beim Jubiläum 2009 gestritten<br />
wird, zeigt, wie kurz zwanzig Jahre sein können. Akteure<br />
und Zeitzeugen sind zum großen Teil no<strong>ch</strong> präsent, <strong>die</strong> Erinnerungen<br />
no<strong>ch</strong> sehr fris<strong>ch</strong>, Wahrnehmungen und Urteile mehr als<br />
kontrovers.<br />
Ein anderes Motiv kommt im Streit um <strong>die</strong> jüngste Vergangenheit<br />
hinzu. Politis<strong>ch</strong>e Akteure und Anhänger der Linkspartei<br />
stellen einen ents<strong>ch</strong>eidenden Teil des Potentials von Nostalgie<br />
und Relativierung, wie der erbitterte Streit um <strong>die</strong> DDR als Unre<strong>ch</strong>tsstaat<br />
zeigt. Es ist eben ni<strong>ch</strong>t nur <strong>die</strong> Außen- und Europapolitik,<br />
es sind ni<strong>ch</strong>t nur sozialpopulistis<strong>ch</strong>e Verheißungen, wel<strong>ch</strong>e<br />
<strong>die</strong> Substanz der Linkspartei von den Kräften im demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Spektrum trennt. Die Tiefenbindung an das positive, nur eben<br />
ges<strong>ch</strong>eiterte und auf bessere Weise erneut anzugehende sozialistis<strong>ch</strong>e<br />
Gesells<strong>ch</strong>aftsexperiment ist eine der Klammern für ganz<br />
vers<strong>ch</strong>iedene Milieus der SED – Na<strong>ch</strong>folger.<br />
Zu den Stimmen, wel<strong>ch</strong>e der Gründung und Existenz der DDR<br />
eine historis<strong>ch</strong>e Legitimität unterstellen, an der „Legende vom<br />
Guten Anfang“ festhalten und <strong>die</strong> Gründe für das S<strong>ch</strong>eitern des
„Sozialistis<strong>ch</strong>en Experiments“ na<strong>ch</strong> außen verlagern gehören ehemalige<br />
Verantwortungsträger und SED-Funktionäre, MfS-Größen,<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e DDR-Intellektuelle, ältere und jüngere Nostalgiker,<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e Funktionsträger der Linkspartei.<br />
Differenziertere Verteidiger räumen innere Defekte <strong>die</strong>ses Experimentes<br />
ein, spre<strong>ch</strong>en aber denno<strong>ch</strong> von einer versäumtem<br />
Chance, <strong>die</strong> man ni<strong>ch</strong>t vom Grundsatz her ablehnen dürfe.<br />
Ihnen stehen unversöhnli<strong>ch</strong> Positionen gegenüber, <strong>die</strong> auf Mauer,<br />
S<strong>ch</strong>ießbefehl und Sta<strong>ch</strong>eldraht verweisen und in der DDR ein<br />
einziges großes Gefängnis sehen. Ein System, auf den Spitzen sowjetis<strong>ch</strong>er<br />
Bajonette erri<strong>ch</strong>tet und von deren Panzern ges<strong>ch</strong>ützt.<br />
So wi<strong>ch</strong>tig es ist, den zweiten deuts<strong>ch</strong>en Staat als Diktatur und<br />
Unre<strong>ch</strong>tssystem wahrzunehmen, das Ausmaß vierzigjähriger<br />
Verfolgung und Unterdrückung zu erfassen; mit einer einseitigen<br />
Fixierung darauf wird <strong>die</strong> Mobilisierungs- und Bindungskraft des<br />
kommunistis<strong>ch</strong>en Experiments und seiner pseudoreligiösen Heilslehre,<br />
werden <strong>die</strong> Motive der Anhänger und Verführten ni<strong>ch</strong>t<br />
erfasst. Der Unterdrückungsstärke des Systems entspra<strong>ch</strong> eine<br />
hohe gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Prägungskraft, <strong>die</strong> weit über das Ende der<br />
DDR als Staat hinausrei<strong>ch</strong>te.<br />
Biographis<strong>ch</strong>e Zeugnisse individueller Entwicklungen, Brü<strong>ch</strong>e und<br />
Ents<strong>ch</strong>eidungen von Mens<strong>ch</strong>en, deren Leben auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />
Weise mit der DDR verbunden war, können hier zu einer Differenzierung<br />
verhelfen, <strong>die</strong> weder Verharmlosung no<strong>ch</strong> Dämonisierung<br />
zulässt. Im Streit der Zeithistoriker um das Primat von System- und<br />
Alltagsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, gibt eine auss<strong>ch</strong>ließende Gegenüberstellung<br />
nur wenig Sinn. Gerade im Alltagsleben der DDR, in den so<br />
genannten Nis<strong>ch</strong>en, war der Charakter des Systems tausendfa<strong>ch</strong><br />
präsent. Eine materialrei<strong>ch</strong>e, realistis<strong>ch</strong>e Alltagsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
DDR lässt keinerlei Spielart der Verharmlosung Raum.<br />
Formen des Verdrängens<br />
Wer na<strong>ch</strong> verklärender Memoirenliteratur in Sa<strong>ch</strong>en DDR su<strong>ch</strong>t,<br />
ist bei der „edition 0st“ gut aufgehoben. Seit den neunziger
Jahren sind dort zahlrei<strong>ch</strong>e Größen der obersten Führungsebenen<br />
der SED, des Politbüros und Zentralkomitees mit ihren Erinnerungen<br />
präsent. Weitere Funktionsträger der Partei, MfS-Generäle,<br />
Staatsfunktionäre und „Kulturs<strong>ch</strong>affende“ gesellten si<strong>ch</strong> ihnen<br />
hinzu. In der Bu<strong>ch</strong>handlung am Sitz der Linkspartei und weiteren<br />
Standorten, vor allem in Ostberlin, füllen sie ganze Regale. Dort<br />
gab au<strong>ch</strong> Egon Krenz, Politbüromitglied und letzter Staatsratsvorsitzender<br />
der DDR seine „Gefängnisnotizen“ heraus. Krenz galt<br />
1989/90 als hundertprozentige Altlast, so dass er selbst für den<br />
Traditionsteil der zur PDS mutierte SED ni<strong>ch</strong>t mehr in Frage kam.<br />
Sein Selbstbild als Garant des friedli<strong>ch</strong>en Übergangs und neuer<br />
Mann der ersten Stunde hält keiner historis<strong>ch</strong>en Überprüfung<br />
stand, was seine Anhänger ni<strong>ch</strong>t daran hinderte, bei Auftritten<br />
und Lesungen aus vorangegangenen Bü<strong>ch</strong>ern von ihm, <strong>die</strong> Säle<br />
zu füllen. Sie nahmen au<strong>ch</strong> seine 2009 ers<strong>ch</strong>ienenen Gefängnisnotizen,<br />
eine einzige Anklage gegen den Re<strong>ch</strong>tsstaat und <strong>die</strong> „Klassenjustiz“<br />
mit ungebro<strong>ch</strong>ener Begeisterung auf. Ein Re<strong>ch</strong>tsstaat<br />
und eine „Klassenjustiz“ <strong>die</strong> ihn ausgespro<strong>ch</strong>en milde behandelt<br />
hatten.<br />
Kann man Krenz no<strong>ch</strong> einer Gruppe von Ewiggestrigen und Unre<strong>ch</strong>tsverleugnern<br />
zuordnen, <strong>die</strong> selbst in den Kreisen ehemaliger<br />
SED-Genossen und der Linkspartei ho<strong>ch</strong> umstritten ist, so gelang<br />
es Hans Modrow als deren Ehrenvorsitzendem, zu einer wahren<br />
Integrationsfigur zu werden. Er vers<strong>ch</strong>affte si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in den<br />
letzten Monaten der DDR einen Ruf als Reformer, der mit persönli<strong>ch</strong>er<br />
Integrität für <strong>die</strong> Erneuerung der Partei und <strong>die</strong> Umgestaltung<br />
des Staatsapparates eintrat. Ganz im Gegensatz zu <strong>die</strong>ser<br />
Aura und von der Öffentli<strong>ch</strong>keit weitgehend unbemerkt, betrieb<br />
er als letzter Ministerpräsident der DDR <strong>die</strong> erfolgrei<strong>ch</strong>e Rettung<br />
und Transformation von Finanzen, Kadern und Logistik für <strong>die</strong> im<br />
Eilverfahren zur Partei des Demokratis<strong>ch</strong>en Sozialismus mutierende<br />
SED. Im Rahmen der Aktion „Sündenbock“ wurde dem<br />
Ministerium für Staatssi<strong>ch</strong>erheit unter Eri<strong>ch</strong> Mielke <strong>die</strong> Hauptverantwortung<br />
für <strong>die</strong> DDR-Verbre<strong>ch</strong>en, Verfolgungen und Unre<strong>ch</strong>tstaten<br />
zuges<strong>ch</strong>oben. Intern ents<strong>ch</strong>uldigte si<strong>ch</strong> Modrow bei den<br />
„Ts<strong>ch</strong>ekisten“ für <strong>die</strong>ses Manöver, dass er mit der notwendigen<br />
Rettung der Partei begründete und bedankte si<strong>ch</strong> für den letzten
Dienst, den sie damit der Sa<strong>ch</strong>e erwiesen. Hinter dem repressiven<br />
Charakter des MfS, dass es als „S<strong>ch</strong>ild und S<strong>ch</strong>wert der Partei“<br />
auszei<strong>ch</strong>nete, trat <strong>die</strong> Führungsrolle der SED zurück. In der öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Wahrnehmung, den Auseinandersetzungen dazu und den<br />
damit verbundenen S<strong>ch</strong>uldzuweisungen, wirkt <strong>die</strong>se Verkehrung<br />
bis heute na<strong>ch</strong>. In den mittlerweile ers<strong>ch</strong>ienenen Bänden seiner<br />
Erinnerungen und Rückblicke trug Modrow wenig dazu bei, eine<br />
Reihe offener Frage um <strong>die</strong> letzten Monate der DDR und seine<br />
eigene Rolle in der SED zu klären. Seine Doppelrolle am Runden<br />
Tis<strong>ch</strong> harrt no<strong>ch</strong> der Aufklärung.<br />
Hans Modrow, Lothar Bisky und Gregor Gysi – au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> beiden<br />
Letzteren sind in Bü<strong>ch</strong>ern, Artikeln und zahlrei<strong>ch</strong>en Auftritten<br />
in Sa<strong>ch</strong>en DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te präsent – stehen für vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Facetten einer gemeinsamen Grundhaltung. Es werden „Demokratiedefizite“<br />
und mannigfa<strong>ch</strong>e Versäumnisse in vierzig Jahren<br />
DDR-Existenz bedauert, sogar Staatsverbre<strong>ch</strong>en werden eingestanden.<br />
Festgehalten wird jedo<strong>ch</strong> am „Guten Kern“ des ganzen<br />
Unternehmens: <strong>die</strong> Erri<strong>ch</strong>tung einer Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung, <strong>die</strong> mit<br />
Einparteienherrs<strong>ch</strong>aft und zentraler Planwirts<strong>ch</strong>aft auf anderen<br />
Fundamenten ruhte als <strong>die</strong> kapitalistis<strong>ch</strong>en Bundesrepublik<br />
und ihre westli<strong>ch</strong>en Verbündeten. Über <strong>die</strong> gesamte Zeit der<br />
Blockkonfrontation hinweg wurde dem DDR-Bürger ein Bild der<br />
Bundesrepublik vermittelt, dass mit dem sozialstaatli<strong>ch</strong> gezügelten<br />
„Rheinis<strong>ch</strong>en Kapitalismus“ mit praktizierter Demokratie und<br />
Re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>ts zu tun hatte, sondern dem klassis<strong>ch</strong>en<br />
Ausbeuterstaat im Marxs<strong>ch</strong>en Sinne entspra<strong>ch</strong>.<br />
In der Rollenverteilung steht Modrow dabei für den orthodoxen<br />
Seniorenteil der Partei, <strong>die</strong> im Osten ho<strong>ch</strong>präsenten Rentnerkohorten;<br />
Bisky ist der väterli<strong>ch</strong> integrative Mann der Mitte während<br />
Gysi si<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>landweit auf den Po<strong>die</strong>n der Intellektuellen<br />
tummelt und dabei Punkte sammelt. Hinzu kommt der Westgewerks<strong>ch</strong>after<br />
und bekennende Christ Bodo Ramelow, der mit<br />
seiner Sozialisation über DDR-Unre<strong>ch</strong>t gar ni<strong>ch</strong>t so direkt reden<br />
kann und s<strong>ch</strong>on von daher gegen jedes deutli<strong>ch</strong>e Urteil ist. Die<br />
jungen Wilden spielen auf einem anderen Feld und ergänzen <strong>die</strong><br />
Anderen hervorragend. Zusammen haben sie der ausgezehrten
SPD mittlerweile das Für<strong>ch</strong>ten gelehrt.<br />
Wie willkürli<strong>ch</strong> und instrumentell das Führungspersonal der Linkspartei<br />
auf dem historis<strong>ch</strong>en Parkett agiert, zeigt si<strong>ch</strong> bei Jubiläen,<br />
<strong>die</strong> weit hinter <strong>die</strong> Geburtsstunde der DDR zurückgehen. So bes<strong>ch</strong>woren<br />
Gregor Gysi, Petra Pau und Peter Sodann zum Jubiläum<br />
der Weimarer Verfassung den guten Anfang einer gefährdeten<br />
Demokratie. Die glei<strong>ch</strong>en Parteikader pflegen an den Gräbern<br />
von Rosa Luxemburg und Karl Liebkne<strong>ch</strong>t den Mythos der tapferen<br />
Spartakisten. Man kann Rosa Luxemburg als Revolutionärin<br />
würdigen und den Mord an ihr und Karl Liebkne<strong>ch</strong>t verurteilen.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en dem Spartakusbund und einer KPD, <strong>die</strong> unter Thälmann<br />
längst alle Abtrünnigen eliminiert hatte, <strong>die</strong> Weimarer Republik<br />
bekämpfte und zu ihrem Untergang beitrug, wird man si<strong>ch</strong> dann<br />
do<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eiden müssen. Will man auf der Seite der Verteidiger<br />
oder der Verä<strong>ch</strong>ter <strong>die</strong>ser Demokratie stehen?<br />
Das Festhalten am Gegenentwurf und <strong>die</strong> halbherzige Kritik des<br />
eigenen untergegangenen Systems haben Folgen. Beim angestrebten<br />
nä<strong>ch</strong>sten Anlauf für grundsätzli<strong>ch</strong>e Alternativen werden<br />
ni<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Fundamente des alten Versu<strong>ch</strong>es in Frage gestellt,<br />
sondern hö<strong>ch</strong>stens <strong>die</strong> Umstände des zurückliegenden S<strong>ch</strong>eiterns<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />
Die Auseinandersetzung mit den sozialen Folgen eines entfesselten<br />
Kapitalismus, <strong>die</strong> verantwortungsbewusste Konservative<br />
wie Heiner Geisler und Norbert Blüm, <strong>die</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Sozialdemokraten<br />
und Liberale bereits lange vor der gegenwärtigen Krise<br />
einforderten, ist dringend notwendig und verlangt Gegenpositionen<br />
und Alternativen. Ein systemfixierter Antikapitalismus, der<br />
Demokratie und Marktwirts<strong>ch</strong>aft grundsätzli<strong>ch</strong> in Frage stellt und<br />
si<strong>ch</strong> aus der Rumpelkammer staatssozialistis<strong>ch</strong>er Großentwürfe<br />
be<strong>die</strong>nt, gehört ni<strong>ch</strong>t dazu. Die fehlende, halbherzig relativierende<br />
Auseinandersetzung mit der DDR, <strong>die</strong> Verteidigung ihrer<br />
Fundamente und Errungens<strong>ch</strong>aften, bereitet den Boden für neue<br />
untaugli<strong>ch</strong>e Utopien.
In der Fülle der Publikationen, <strong>die</strong> si<strong>ch</strong> als Ratgeber und Rezepte<br />
zum Umgang mit der unabsehbar tiefen Finanz- und Wirts<strong>ch</strong>aftskrise<br />
verstehen fallen eine Reihe von Titeln auf, <strong>die</strong> unverhohlen<br />
Anleihen an das Gestrige ma<strong>ch</strong>en. Sahra Wagenkne<strong>ch</strong>t ist es si<strong>ch</strong><br />
und ihrer Kommunistis<strong>ch</strong>en Plattform s<strong>ch</strong>uldig, in „Finanzcrash<br />
und Weltwirts<strong>ch</strong>aft“ den Untergang der alten Welt zu bes<strong>ch</strong>wören<br />
und Umrisse des Neuen zu zei<strong>ch</strong>nen, wel<strong>ch</strong>e fatal an bekannte<br />
Erlösungsbots<strong>ch</strong>aften erinnern. Zahlrei<strong>ch</strong>e ergraute PDS-Altvordere<br />
sind mit ähnli<strong>ch</strong>en Tönen zu vernehmen. Franziska Drohsel,<br />
als Vorsitzende der Jungsozialisten Vertreterin einer anderen<br />
Generation fragt zu Re<strong>ch</strong>t dana<strong>ch</strong>, was heute links sein kann. Wie<br />
verhält sie si<strong>ch</strong> dann aber zu der Partei DIE LINKEN., wel<strong>ch</strong>e den<br />
Begriff okkupieren und politis<strong>ch</strong>e Konzepte anbieten, <strong>die</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
nur in Sa<strong>ch</strong>en Vergangenheitsverdrängung zutiefst restaurativ<br />
und reaktionär sind?<br />
Wie verträgt si<strong>ch</strong> der von Drohsel und zahlrei<strong>ch</strong>en anderen<br />
kritis<strong>ch</strong>en Sozialdemokraten vertretene Anspru<strong>ch</strong> auf ein neues<br />
Verhältnis von Freiheit, Emanzipation und sozialer Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
mit <strong>die</strong>sem Gegenüber?<br />
Kann er gegenwärtig oder in naher Zukunft zum Verbündeten<br />
werden oder sollte er ein politis<strong>ch</strong>er Gegner bleiben, mit dem<br />
man si<strong>ch</strong> ohne Verbotsszenarien konsequent auseinandersetzt,<br />
ohne in Annäherungsszenarien zu verfallen?<br />
Okkupationsregime und Satrapenstaat<br />
Das Urteil des Sozialhistorikers Hans Ulri<strong>ch</strong> Wehler über <strong>die</strong> DDR<br />
ist so eindeutig wie nieders<strong>ch</strong>metternd. Im 5. Band seiner Gesells<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Deuts<strong>ch</strong>lands, der <strong>die</strong> Zeit von 1949- 1990<br />
umfasst, widmet er dem zweiten deuts<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>kriegsstaat nur<br />
minimalen Raum. Gemessen am Erfolgsmodell der demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Bundesrepublik existiert für ihn <strong>die</strong> DDR nur als Negativfolie, als ein<br />
von sowjetis<strong>ch</strong>er Seite aufgezwungenes Okkupationsregime, als Satrapenstaat.<br />
Ihr Ende hinterlässt naturgemäß wenig Spuren, so wie<br />
für ihn <strong>die</strong> deuts<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von 1945- 1989 dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />
geprägt wurde, wird es au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Folgeges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dana<strong>ch</strong>.
Wehlers Ein- und Herunterstufung der DDR löste eine heftige<br />
öffentli<strong>ch</strong>e Debatte aus, in der so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Stimmen,<br />
wie der ostdeuts<strong>ch</strong>e Wissens<strong>ch</strong>aftler Jens Rei<strong>ch</strong> und <strong>die</strong> aus der<br />
DDR stammende S<strong>ch</strong>riftstellerin Monika Maron zu Wort kamen.<br />
Jens Rei<strong>ch</strong> beklagte <strong>die</strong> Härte der historis<strong>ch</strong>en Urteile, fühlte si<strong>ch</strong><br />
dadur<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> gekränkt und unternahm den problematis<strong>ch</strong>en<br />
Versu<strong>ch</strong> der späten DDR Nis<strong>ch</strong>enqualitäten abzugewinnen,<br />
<strong>die</strong> sie nur im Binnenhorizont friedfertig etablierter Intellektuellenkreise<br />
haben konnte. Monika Maron hingegen, <strong>die</strong> mit ihrer<br />
Biographie und ihren literaris<strong>ch</strong>en Texten für kein Milligramm<br />
DDR-Nostalgie steht, griff Wehler auf einer anderen Ebene an.<br />
Vierzig Jahre DDR-Realges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hätten eine Fülle von künstleris<strong>ch</strong>er<br />
Kreativität, kultureller Eigendynamik und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Eigenständigkeit hervorgebra<strong>ch</strong>t, <strong>die</strong> ni<strong>ch</strong>t in Übereinstimmung<br />
und Deckungsglei<strong>ch</strong>heit mit dem Charakter des aufgezwungenen<br />
Systems standen. Sie widerspra<strong>ch</strong>en ihm, standen quer dazu,<br />
su<strong>ch</strong>ten und s<strong>ch</strong>ufen si<strong>ch</strong> begrenzte Freiräume, <strong>die</strong> immer wieder<br />
eingeengt und zerstört wurden. Denno<strong>ch</strong> waren sie dauerhafter<br />
Bestandteil der DDR-Realität, prägten Biographien und kulturelle<br />
Identitäten, <strong>die</strong> au<strong>ch</strong> in <strong>die</strong> Bundesrepublik und deren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
hineinwirkten. Ni<strong>ch</strong>t um eine Rücknahme oder Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />
der harten Urteile über das DDR-System ginge es, <strong>die</strong> seien völlig<br />
bere<strong>ch</strong>tigt, sondern um <strong>die</strong> Blindheit gegenüber einer eigenen<br />
Gesells<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der DDR, mit all ihren S<strong>ch</strong>atten- aber au<strong>ch</strong><br />
Li<strong>ch</strong>tseiten. Monika Maron und anderen Kritikern Wehlers, wie<br />
dem Historiker Ilko-Sas<strong>ch</strong>a Kowalczuk ist hier zuzustimmen. Das<br />
reale Gewi<strong>ch</strong>t der DDR-Seite im deuts<strong>ch</strong>-deuts<strong>ch</strong>en Beziehungsgefle<strong>ch</strong>t<br />
kann so ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar werden. Sie zur bloßen Fußnote der<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te zu erklären, ist ni<strong>ch</strong>t nur arrogant, sondern realitätsfremd.<br />
Wehlers Si<strong>ch</strong>t auf <strong>die</strong> DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te nähert si<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>en<br />
weiteren Außenblicken an, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> Abstufungen zwis<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>warz und Weiß, Tätern und Opfern, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> inneren und<br />
äußeren Entwicklungen von Biographien zugunsten summaris<strong>ch</strong>er<br />
Urteile verna<strong>ch</strong>lässigen. Damit wird ni<strong>ch</strong>t nur der kollektive<br />
Aufs<strong>ch</strong>rei all derjenigen provoziert, <strong>die</strong> ihr eigenes Positivbild<br />
bes<strong>ch</strong>ädigt sehen, sondern <strong>die</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit, das Innenleben einer
Diktatur in all seinen Abstufungen wahrzunehmen.<br />
Abre<strong>ch</strong>nungsbü<strong>ch</strong>er, wie <strong>die</strong> jüngste Publikation des Historikers<br />
Hubertus Knabe, der „Honeckers Erben“ auf der Spur ist, geraten<br />
in <strong>Gefahr</strong>, <strong>die</strong> ohnehin festge-fahrenen Fronten in der Vergangenheitsdebatte<br />
weiter zu verhärten. Knabe konzentriert si<strong>ch</strong><br />
auf das Fortwirken des Gestern in den politis<strong>ch</strong>en Zirkeln und<br />
Initiativen der Linkspartei, zeigt <strong>die</strong> Erfolge von deren Strategien<br />
und Unterwanderungstaktiken auf. Damit ma<strong>ch</strong>t er si<strong>ch</strong> zum<br />
Hassobjekt der Nostalgiker und Vergangenheitsbes<strong>ch</strong>öniger aller<br />
Couleur, stößt aber au<strong>ch</strong> bei zahlrei<strong>ch</strong>en anderen Beteiligten auf<br />
Befremden. Seine Befunde und Belege sind größtenteils stimmig<br />
und er argumentiert stringent, denno<strong>ch</strong> nimmt er si<strong>ch</strong> mit dem<br />
Gestus der Unduldsamkeit viel von der erhofften Wirkung. In dem<br />
Anspru<strong>ch</strong> „Die Wahrheit über <strong>die</strong> Linke“ zu verkünden, steckt <strong>die</strong><br />
<strong>Gefahr</strong> der Verabsolutierung. Zwis<strong>ch</strong>en dem historis<strong>ch</strong> hoffnungslos<br />
festgefahrenen Block der alten Genossen, den Strategen einer<br />
gelenkten Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tspolitik und den zahlrei<strong>ch</strong>en Mitgliedern und<br />
Anhängern, <strong>die</strong> no<strong>ch</strong> in der Auseinandersetzung damit stehen<br />
und eigene Fragen formulieren, sollte in Urteil und Umgang<br />
deutli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden. Ni<strong>ch</strong>t jeder Protest gegen soziale<br />
Ungere<strong>ch</strong>tigkeit und ni<strong>ch</strong>t jeder Aufruf zu einer Erneuerung der<br />
politis<strong>ch</strong>en Kultur muss zur Verteidigung von DDR-Errungens<strong>ch</strong>aften<br />
führen und zur Relativierung von DDR-Unre<strong>ch</strong>t beitragen.<br />
Mit der Benennung eigener Fragen und der Bereits<strong>ch</strong>aft zur<br />
Diskussion, <strong>die</strong> Auseinandersetzung in <strong>die</strong> Reihen und Anhänger<br />
der Linkspartei selbst hineinzutragen, dürfte lohnender sein,<br />
als dur<strong>ch</strong> Generalangriffe <strong>die</strong> Reihen der Gegenüber erst re<strong>ch</strong>t<br />
zusammenzus<strong>ch</strong>mieden.<br />
Biographie und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
Am Beispiel der DDR zeigt si<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>e Chancen biographis<strong>ch</strong>e<br />
Annäherungen haben können, das Verhältnis von individuellen<br />
Lebenssituationen und Gesells<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te genauer wahrzunehmen<br />
und auszuleu<strong>ch</strong>ten. Darstellungen, <strong>die</strong> ni<strong>ch</strong>t zur<br />
Re<strong>ch</strong>tfertigung geraten, <strong>die</strong> Brü<strong>ch</strong>e und Systemkonflikte aus dem<br />
familiären Kontext herausarbeiten, finden si<strong>ch</strong> in jüngst ers<strong>ch</strong>ie-
nenen Bü<strong>ch</strong>ern von Susanne S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong> und Irina Liebmann. In<br />
„Immer wieder im Dezember: der Westen, <strong>die</strong> Stasi, der Onkel<br />
und i<strong>ch</strong>“ s<strong>ch</strong>ildert <strong>die</strong> To<strong>ch</strong>ter des S<strong>ch</strong>riftstellers Hans Joa<strong>ch</strong>im<br />
S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong> eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te intimen Verrates, zerrissener und zerstörter<br />
Familienbeziehungen und der S<strong>ch</strong>merzen im Umgang mit<br />
der deuts<strong>ch</strong>-deuts<strong>ch</strong>en Doppelrealität. S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>, der zu den DDR-<br />
Intellektuellen gehörte, <strong>die</strong> si<strong>ch</strong> gegen <strong>die</strong> Ausbürgerung Wolf<br />
Biermanns stemmten, verlor ans<strong>ch</strong>ließend <strong>die</strong> Existenzgrundlage<br />
und wurde mit der Familie in den Westen getrieben. Sein Bruder,<br />
der Historiker Karlheinz S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>, Susannes geliebter Onkel, war<br />
aus Überzeugung und Leidens<strong>ch</strong>aft insgeheim für <strong>die</strong> Staatssi<strong>ch</strong>erheit<br />
tätig, fors<strong>ch</strong>te S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong> und dessen Familie im Westen<br />
weiter aus, verriet und manipulierte ihn na<strong>ch</strong> Kräften. An <strong>die</strong>ser<br />
Situation und dem Unvermögen mit der deuts<strong>ch</strong>-deuts<strong>ch</strong>en Doppelrealität<br />
umzugehen zerbra<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Familie. Na<strong>ch</strong> Jahrzehnten<br />
gräbt si<strong>ch</strong> Susanne S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong> in <strong>die</strong> „lüstern-gemeine Prosa“ der<br />
Stasi-Akten hinein, konfrontiert ihr Bild des Onkels mit der Realität,<br />
mit dessen Zynismus und geradezu exzentris<strong>ch</strong>er Freude am<br />
Zerstörungswerk. Eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, an deren Ende weder Heilung<br />
no<strong>ch</strong> Versöhnung stehen können, hö<strong>ch</strong>stens <strong>die</strong> Souveränität des<br />
gewonnen Abstandes, gefasst in eine literaris<strong>ch</strong>e Verarbeitung.<br />
Die S<strong>ch</strong>riftstellerin Irina Liebmann, als To<strong>ch</strong>ter Rudolf Herrnstadts<br />
in der DDR aufgewa<strong>ch</strong>sen, brau<strong>ch</strong>te Jahrzehnte, bis sie si<strong>ch</strong> der<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ihres Vaters literaris<strong>ch</strong> nähern konnte. Der überzeugte<br />
Kommunist und begabte Intellektuelle Herrnstadt spielte als<br />
Chefredakteur des Neuen Deuts<strong>ch</strong>land und Kandidat des Politbüros<br />
der SED eine ents<strong>ch</strong>eidende Rolle im politis<strong>ch</strong>en Leben der<br />
frühen DDR. Als Gegner und Konkurrent Walter Ulbri<strong>ch</strong>ts setzte<br />
er si<strong>ch</strong> 1953 für dessen Absetzung und einen offeneren deuts<strong>ch</strong>en<br />
Weg zum Sozialismus ein. Herrnstadt verlor <strong>die</strong> Auseinandersetzung<br />
mit Ulbri<strong>ch</strong>t, der si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem 17.Juni <strong>die</strong> Rückendeckung<br />
Moskaus si<strong>ch</strong>ern konnte, wurde, wie seine Verbündeten<br />
als Fraktionsma<strong>ch</strong>er verurteilt, aller Ämter enthoben und in das<br />
Merseburger Ar<strong>ch</strong>iv abges<strong>ch</strong>oben, wo er <strong>die</strong> Jahre bis zu seinem<br />
Tod 1962 verbra<strong>ch</strong>te. Irina Liebmann nimmt si<strong>ch</strong> der Person und<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ihres Vaters in einer Form an, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> Gattungsgrenzen<br />
sprengt. Romanhafte Elemente, Züge eines historis<strong>ch</strong>en
Sa<strong>ch</strong>bu<strong>ch</strong>es, dann do<strong>ch</strong> fast <strong>die</strong> Gestalt eines Dramas bestimmen<br />
<strong>die</strong> Darstellung des Lebensweges, der Konflikte und der deprimierenden<br />
letzten Lebensjahre Herrnstadts. Die To<strong>ch</strong>ter vermeidet<br />
jede Mythologisierung und Verklärung, tritt in den Dialog mit<br />
ihrem Vater in einer Weise ein, <strong>die</strong> den Realitätsgehalt seiner bis<br />
zum Lebensende ho<strong>ch</strong>gehaltenen kommunistis<strong>ch</strong>en Utopie offen<br />
lässt.<br />
In no<strong>ch</strong> einmal anderer Weise kann <strong>die</strong> fünfbändige Edition der<br />
Tagebü<strong>ch</strong>er des Malers, Dramatikers, Regisseurs und Prosas<strong>ch</strong>riftstellers<br />
Einar S<strong>ch</strong>leef ni<strong>ch</strong>t nur <strong>die</strong> DDR-Realität nahe bringen.<br />
Die Tagebu<strong>ch</strong>eintragungen rei<strong>ch</strong>en von 1953 bis in <strong>die</strong> neunziger<br />
Jahre und spiegeln <strong>die</strong> Konflikte künstleris<strong>ch</strong>er Existenz in der<br />
diktaturgeprägten DDR wider, sind Dokumente einer unausgesetzten<br />
Su<strong>ch</strong>e und inneren Auseinandersetzung. S<strong>ch</strong>leef verweigert<br />
si<strong>ch</strong> der polarisierenden Einordnung als Staatskünstler oder<br />
Widerstandskämpfer, we<strong>ch</strong>selt in den siebziger Jahren <strong>die</strong> Orte<br />
seiner künstleris<strong>ch</strong>en Produktionen na<strong>ch</strong> Wien und in <strong>die</strong> Bundesrepublik,<br />
bleibt der DDR denno<strong>ch</strong> zutiefst verbunden. Späte<br />
Höhepunkte sind <strong>die</strong> Inszenierungen der neunziger Jahre am<br />
Berliner Ensemble, <strong>die</strong> ihn erneut mit seinem Kollegen und künstleris<strong>ch</strong>en<br />
Antipoden Heiner Müller zusammen bringen. Müller,<br />
dessen na<strong>ch</strong>gelassene Notizen und Gesprä<strong>ch</strong>e jetzt im Rahmen<br />
einer Gesamtedition ers<strong>ch</strong>einen, wurde als Staatskünstler hofiert<br />
und als Außenseiter misstrauis<strong>ch</strong> beäugt, galt den einen als gesinnungsloser<br />
Zyniker während andere in ihm den Verkünder einer<br />
vers<strong>ch</strong>lüsselten historis<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft sahen, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> einfa<strong>ch</strong>en<br />
Glaubenssätze der kommunistis<strong>ch</strong>en Heilslehre intellektuell<br />
übersprang. Müller, der si<strong>ch</strong> an der DDR rieb, <strong>die</strong> Blindheit der<br />
meisten ihrer Funktionäre vera<strong>ch</strong>tete, denno<strong>ch</strong> mit den Organen<br />
des Staates und dem MfS kooperierte und si<strong>ch</strong> im Dienste der großen<br />
Sa<strong>ch</strong>e sah, trat bei der Großdemonstration des 4. November<br />
1989 auf dem Berliner Alexanderplatz auf. Er spra<strong>ch</strong> dort von der<br />
Mögli<strong>ch</strong>keit einer besseren DDR, einer DDR, deren letzte Stunden<br />
bereits zu s<strong>ch</strong>lagen begannen.<br />
Wenn es um <strong>die</strong> Arbeit der Zeithistoriker geht, hat si<strong>ch</strong> der Prinzipienstreit<br />
zwis<strong>ch</strong>en den Verfe<strong>ch</strong>tern einer Systemsi<strong>ch</strong>t der DDR,
wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> harten Fakten der Diktatur und des Unre<strong>ch</strong>ts reklamieren<br />
und den Vertretern einer weitaus entspannteren Si<strong>ch</strong>t<br />
auf deren Alltagsleben weitestgehend erledigt. Jede intensive<br />
Bes<strong>ch</strong>reibung des Alltags und der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Realität in<br />
der frühen aber au<strong>ch</strong> der späteren DDR kann mehr über Systemzwänge,<br />
Konformitätsdruck und Anpassungsleistungen aussagen<br />
als <strong>die</strong> alleinige Fixierung auf <strong>die</strong> Staatsi<strong>ch</strong>erheit und <strong>die</strong> anderen<br />
Teile des Repressionsapparates. Eine sol<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>reibung wird<br />
aber au<strong>ch</strong> freilegen, wie si<strong>ch</strong> Verweigerung und widerständiges<br />
Verhalten im Alltag nieders<strong>ch</strong>lugen, wie viel Phantasie und<br />
Kreativität das Su<strong>ch</strong>en eigener Lebensformen unter Zwang und<br />
Kontrolle freisetzte.<br />
Der Historiker Stefan Wolle, selbst in der DDR geboren und aufgewa<strong>ch</strong>sen,<br />
legte mit seiner Arbeit „Die heile Welt der Diktatur.<br />
Alltag und Herrs<strong>ch</strong>aft in der DDR“ bereits vor Jahren ein di<strong>ch</strong>tes<br />
Porträt der Honecker-Ära vor. Das Bild wel<strong>ch</strong>es dabei entstand, ist<br />
ungemein farbig und enthält viele Facetten. Witz und<br />
Humor dur<strong>ch</strong>ziehen nahezu alle Lebensberei<strong>ch</strong>e, privates Leben<br />
konnte dur<strong>ch</strong>aus angstfrei sein, ni<strong>ch</strong>ts jedo<strong>ch</strong> fügt si<strong>ch</strong> zum<br />
Genregemälde eines entspannten Pantoffelstaates. Sein Kollege<br />
Ilko-Sas<strong>ch</strong>a Kowalczuk unternimmt zwanzig Jahre na<strong>ch</strong> den<br />
Ereignissen des Revolutionsjahres 1989 den wi<strong>ch</strong>tigen Versu<strong>ch</strong>,<br />
<strong>die</strong> Voraussetzungen und <strong>die</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
Massenproteste und Demonstrationen des Herbstes na<strong>ch</strong>zuzei<strong>ch</strong>nen.<br />
Sein Bu<strong>ch</strong> „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR“<br />
umfasst 600 Seiten, <strong>die</strong> man am liebsten in einem Zug dur<strong>ch</strong>lesen<br />
mö<strong>ch</strong>te. Mehr als 300 Seiten sind dabei einem Zustandsbild der<br />
DDR in den a<strong>ch</strong>tziger Jahren, also der späten Honecker-Zeit gewidmet.<br />
Ein buntes, farbiges Panorama entsteht, zuglei<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />
das Bild einer unheilbar kranken Gesells<strong>ch</strong>aft. Die viel bes<strong>ch</strong>worenen<br />
sozialen Errungens<strong>ch</strong>aften werden als politis<strong>ch</strong> motiviertes,<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t funktionierendes Zuteilungswesen bes<strong>ch</strong>rieben, dessen<br />
Kosten das ohnehin ineffiziente System der Kommandowirts<strong>ch</strong>aft<br />
in <strong>die</strong> Knie gehen ließ.<br />
Die Gemütli<strong>ch</strong>keit und Wärme des Kollektivlebens kontrastiert<br />
mit Einordnungs- und Kontrollfunktionen, wel<strong>ch</strong>e <strong>die</strong> Arbeits-
igaden und Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aften in Form der Hausgemeins<strong>ch</strong>aften<br />
innehatten. Raubbau an der ökologis<strong>ch</strong>en und ökonomis<strong>ch</strong>en<br />
Substanz war ni<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Ausnahme sondern <strong>die</strong> Regel. Dem<br />
wa<strong>ch</strong>senden Potential an Verweigerung und Aussteigertum, den<br />
Bemühungen um alternative Lebensentwürfe, den Kreisen der<br />
Oppositionellen und Dissidenten stellt Kowalczuk eine Mehrheitsgesells<strong>ch</strong>aft<br />
gegenüber, <strong>die</strong> si<strong>ch</strong> bis kurz vor Toress<strong>ch</strong>luss systemloyal<br />
verhielt und in weiten Teilen kollaborierte. Mit veränderten<br />
Methoden und diffizileren Strategien der Kontrolle und Repression,<br />
blieb <strong>die</strong> DDR bis zu ihrem Ende eine harte Diktatur, <strong>die</strong> mit<br />
ihren Untertanen weder fürsorgli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>onend umging. Als<br />
<strong>die</strong> Massenproteste des Herbstes 1989 eine revolutionäre Qualität<br />
errei<strong>ch</strong>ten, gingen <strong>die</strong> Vertreter der Ma<strong>ch</strong>t in <strong>die</strong> Knie, weil ihnen<br />
das eigene Überleben wi<strong>ch</strong>tiger war als der herois<strong>ch</strong>e Untergang.<br />
Kowalczuk hält zu Re<strong>ch</strong>t am Begriff der Revolution fest und<br />
warnt zuglei<strong>ch</strong> vor jeder Heroisierung und damit verbundenen<br />
Illusionen. Die DDR bra<strong>ch</strong> als System zusammen, hinterließ jedo<strong>ch</strong><br />
als Folgen jahrzehntelanger Sozialisation und Konditionierung<br />
stabile Prägungen und Sozialisationsmuster, <strong>die</strong> au<strong>ch</strong> an <strong>die</strong> Folgegeneration<br />
weitergegeben werden.<br />
Angesi<strong>ch</strong>ts <strong>die</strong>ser Erbs<strong>ch</strong>aft und der damit verbundenen politis<strong>ch</strong>en<br />
Na<strong>ch</strong>laßverwalter sollten si<strong>ch</strong> rot-rote Planspiele, wie sie<br />
derzeit modis<strong>ch</strong> werden, von selbst verbieten.<br />
Literatur<br />
Drohsel, Franziska (2009); Was ist heute links, Campus<br />
Höpcke, Klaus (2009) ; Über linke Heimatliebe, Edition Ost<br />
Kipping, Katja (2009) ; Ausverkauf der <strong>Politik</strong>. Für einen demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Aufbru<strong>ch</strong>, Econ<br />
Knabe, Hubertus (2009); Honeckers Erben. Die Wahrheit über DIE<br />
LINKE, Prophyläen
Kraus, Matthias (2009); Die Partei hatte man<strong>ch</strong>mal Re<strong>ch</strong>t, Dietz<br />
Kowalczuk, Ilko-Sas<strong>ch</strong>a (2009; Endspiel. Die Revolution von 1989<br />
in der DDR. C.H.Beck<br />
Krenz, Egon (2009); Gefängnisnotizen, Edition-ost<br />
Liebmann, Irina (2008); Wäre es s<strong>ch</strong>ön?, es wäre s<strong>ch</strong>ön! Mein<br />
Vater Rudolf Herrnstadt, Berlin Verlag<br />
Mittenzwei, Werner (2003); Die Intellektuellen. Literatur und<br />
<strong>Politik</strong> in Ostdeuts<strong>ch</strong>land 1945-2000 , Aufbau – Verlag<br />
Müller, Heiner (2009); Gesprä<strong>ch</strong>e.Bd.1-3., Suhrkamp<br />
S<strong>ch</strong>ädli<strong>ch</strong>, Susanne (2009); Immer wieder Dezember: der Westen,<br />
<strong>die</strong> Stasi, der Onkel und i<strong>ch</strong>, Droemer<br />
S<strong>ch</strong>leef, Einar (2009); Tagebu<strong>ch</strong> 1981-1998, Suhrkamp<br />
Wagenkne<strong>ch</strong>t, Sahra (2009); Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash<br />
und Weltwirts<strong>ch</strong>aft, Das Neue Berlin<br />
Wehler, Hans-Ulri<strong>ch</strong> (2008); Deuts<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Bd.5.: Bundesrepublik und DDR 1949-1990, C.H. Beck-Verlag<br />
Wolle, Stefan (1998); Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrs<strong>ch</strong>aft<br />
in der DDR, Links Verlag
Prof. Dr. Christoph Kleßmann<br />
Vier Thesen zur Diskussion im<br />
Rahmen der Tagung<br />
„<strong>Linksextremismus</strong> –<br />
Die <strong>unters<strong>ch</strong>ätzte</strong> <strong>Gefahr</strong>“<br />
1. I<strong>ch</strong> setze ein Fragezei<strong>ch</strong>en hinter<br />
den Titel, weil i<strong>ch</strong> <strong>die</strong> oft behauptete<br />
Verklärung als gravierendes<br />
Phänomen für relativ marginal<br />
halte. Die viel diskutierte „Ostalgie“<br />
ist etwas anderes als Verklärung.<br />
Sie ist z.T. „normal“ (das<br />
betont z.B. Mathias Platzeck in seinem Interview im „Spiegel“<br />
vom 18. 5. 2009), z.T. si<strong>ch</strong>er eine selektive Erinnerung und<br />
verharmlosende Wahrnehmung aus der Rücks<strong>ch</strong>au, aber<br />
keine wirkli<strong>ch</strong>e Verklärung. Man kann dur<strong>ch</strong>aus <strong>die</strong> Meinung<br />
vertreten, dass <strong>die</strong> umgekehrte <strong>Gefahr</strong> ni<strong>ch</strong>t minder groß<br />
ist: <strong>die</strong> Dämonisierung dur<strong>ch</strong> Verglei<strong>ch</strong>, wie Wolfgang Wippermann<br />
in einer jüngst ers<strong>ch</strong>ienenen S<strong>ch</strong>rift argumentiert,<br />
au<strong>ch</strong> wenn i<strong>ch</strong> seinen Thesen insgesamt ni<strong>ch</strong>t folge. Denn <strong>die</strong><br />
Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en beiden Diktaturen in Deuts<strong>ch</strong>land sind<br />
riesig. Dass <strong>die</strong> SED-Diktatur trotz aller Brutalität und Perversion<br />
au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t annähernd an <strong>die</strong> NS-Diktatur heranrei<strong>ch</strong>t, wird<br />
bisweilen im Eifer des Gefe<strong>ch</strong>ts vergessen und provoziert umso<br />
s<strong>ch</strong>ärfere Reaktionen, und zwar ni<strong>ch</strong>t nur derjenigen, <strong>die</strong> mit<br />
dem Antifas<strong>ch</strong>ismusmythos der SED groß geworden sind.<br />
Verklärung gibt es dur<strong>ch</strong>aus, z.B. bei ehemaligen Stasioffizieren,<br />
in Memoiren hoher Funktionsträger und viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />
bei unbedarften Zeitgenossen, <strong>die</strong> ohne individuelle Perspektive<br />
von Hartz IV leben. Als ein Beispiel dafür, wie unverfroren<br />
und dreist Beteiligte an der offenen Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />
und Bagatellisierung ihrer kriminellen Rolle gegen alle breit<br />
dokumentierte wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Einsi<strong>ch</strong>t arbeiten, nenne i<strong>ch</strong><br />
das umfängli<strong>ch</strong>e Pamphlet von 20 ho<strong>ch</strong>rangigen Stasi-Offizieren,<br />
das 2003 im Verlag edition ost mit einem Plädoyer des
zeitweiligen Innenministers und CDU-Fraktionsvorsitzenden<br />
im Brandenburgis<strong>ch</strong>en Landtag Peter Mi<strong>ch</strong>ael Diestel ers<strong>ch</strong>ienen<br />
ist. Es hat zwar verni<strong>ch</strong>tende Rezensionen erhalten, wird<br />
aber vermutli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> erhebli<strong>ch</strong>e „klammheimli<strong>ch</strong>e Freude“<br />
beim Heer der Ehemaligen ausgelöst haben. Daraus nur zwei<br />
Zitate von Diestel: „Dieses Bu<strong>ch</strong> genügt wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Ansprü<strong>ch</strong>en und steht damit im auffällige Gegensatz zu mehr<br />
oder minder sei<strong>ch</strong>ten Elaboraten von Mö<strong>ch</strong>tegern-Historikern,<br />
<strong>Politik</strong>ern im Talar, einäugigen Bürgerre<strong>ch</strong>tlern sowie unzähligen<br />
Viel- und Dampfs<strong>ch</strong>reibern“. „Mir ist ni<strong>ch</strong>t bekannt, dass<br />
ein einziger westdeuts<strong>ch</strong>er Geheim<strong>die</strong>nstler deshalb au<strong>ch</strong><br />
nur moralis<strong>ch</strong> belangt worden wäre – während ostdeuts<strong>ch</strong>e<br />
Geheim<strong>die</strong>nstler <strong>die</strong> Tradition preußis<strong>ch</strong>en Spießrutenlaufes<br />
fortsetzen mussten.“<br />
Im Regelfall ist in <strong>die</strong>sen Fällen „ni<strong>ch</strong>ts zu ma<strong>ch</strong>en“ und man<br />
kann nur auf <strong>die</strong> „biologis<strong>ch</strong>e Lösung“ warten. Trotz hoher<br />
Professionalität in der Organisation der Altkader und gekonnter<br />
Ausnutzung aller S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en des Re<strong>ch</strong>tsstaats geht m.E.<br />
von <strong>die</strong>sen Gruppen keine wirkli<strong>ch</strong>e <strong>Gefahr</strong> für das politis<strong>ch</strong>e<br />
System oder <strong>die</strong> politis<strong>ch</strong>e Kultur unseres Landes aus und Alarmismus<br />
ist unnötig.<br />
2. Beunruhigender sind für mi<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Bilanzen, <strong>die</strong> seriöse Sozialwissens<strong>ch</strong>aftler<br />
wie Wilhelm Heitmeyer über <strong>die</strong> na<strong>ch</strong> wie vor<br />
ungebro<strong>ch</strong>ene oder sogar vertiefte Entfremdung und Distanz<br />
zwis<strong>ch</strong>en Ost und West im vereinigten Deuts<strong>ch</strong>land vorgelegt<br />
haben (zuletzt 2008). Die Untersu<strong>ch</strong>ung von Wilhelm Heitmeyer<br />
liefert dazu folgende handfeste Daten, <strong>die</strong> ähnli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />
aus den 90er Jahren bekannt sind, für <strong>die</strong> Gegenwart aber<br />
überras<strong>ch</strong>en: 73 % der Befragten stimmten der Aussage zu<br />
„irgendwie sind Ostdeuts<strong>ch</strong>e Bürger zweiter Klasse“. Ähnli<strong>ch</strong><br />
ho<strong>ch</strong> (77%) lag der Anteil bei der Feststellung „Ostdeuts<strong>ch</strong>e<br />
erhalten weniger als ihren gere<strong>ch</strong>ten Anteil“ und (72%) „<strong>die</strong><br />
Westdeuts<strong>ch</strong>en bemühen si<strong>ch</strong> zu wenig um Verständnis für <strong>die</strong><br />
Ostdeuts<strong>ch</strong>en“. Die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Situation sei, so Heitmeyer,<br />
„labiler als es der Öffentli<strong>ch</strong>keit bewusst ist, zumal <strong>die</strong><br />
Auswirkungen der dramatis<strong>ch</strong>en Finanzkrise seit Oktober 2008<br />
mit den unabsehbaren Konsequenzen für den Arbeitsmarkt
und das Vertrauen in das demokratis<strong>ch</strong>e System der Zukunft<br />
vollkommen unklar sind.“ (ZEIT vom 4.12.2008)<br />
Niemand kann derzeit genau feststellen, wie si<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Einstellungen<br />
sozial, regional, altersmäßig und politis<strong>ch</strong> verteilen,<br />
wie viel Ostalgie und Ressentiment gegen „<strong>die</strong> Wessis“<br />
bei wem verbreitet ist und umgekehrt. Die journalistis<strong>ch</strong>en<br />
Bilanzen we<strong>ch</strong>seln ebenso s<strong>ch</strong>nell wie <strong>die</strong> Ergebnisse von<br />
Umfragen. Als Eindruck lässt si<strong>ch</strong> zwar eine gewisse „Normalisierung“<br />
im Ost-West-Verhältnis konstatieren. Dazu gehört<br />
aber offenbar au<strong>ch</strong> ein erhebli<strong>ch</strong>er und relativ konstanter Bodensatz<br />
von „Wendeopfern“ in der Eigeninterpretation. In der<br />
Kommentierung der Presse werden sol<strong>ch</strong>e Befunde meist als<br />
unpassende oder gefährli<strong>ch</strong>e Ostalgie der Unverbesserli<strong>ch</strong>en<br />
abgetan oder au<strong>ch</strong> als marginale Ers<strong>ch</strong>einungen eingestuft.<br />
Der zentrale Aspekt, der bis heute <strong>die</strong> Verwerfungen im sozialen<br />
und mentalen Einigungsprozess bestimmt, ist das Gefühl<br />
und <strong>die</strong> Erfahrung der Abwertung und der Zweitrangigkeit.<br />
Auf <strong>die</strong>sem Boden blüht der Weizen der PDS bzw. der Linken.<br />
Au<strong>ch</strong> hier wird vieles unvermeidli<strong>ch</strong> sein, weil <strong>die</strong> Ostdeuts<strong>ch</strong>en<br />
anders als <strong>die</strong> Osteuropäer ihre Erwartungen an der<br />
westli<strong>ch</strong>en Hälfte der glei<strong>ch</strong>en Nation maßen und messen. Für<br />
jüngere Generationen spielt es aber mittlerweile offenkundig<br />
nur no<strong>ch</strong> eine untergeordnete Rolle. Insofern kann das<br />
Rezept, sofern es eins gibt, nur lauten: gravierende Unters<strong>ch</strong>iede<br />
aus der Teilungszeit akzeptieren und auf <strong>die</strong> verändernde<br />
Wirkung der Zeit setzen. Wi<strong>ch</strong>tig bleibt dabei eine oft<br />
vergessene Einsi<strong>ch</strong>t, <strong>die</strong> eigentli<strong>ch</strong> banal ist: Es gibt ni<strong>ch</strong>t „<strong>die</strong><br />
Ostdeuts<strong>ch</strong>en“ (ebenso wenig wie das westli<strong>ch</strong>e Gegenstück),<br />
allenfalls kann man von tendenziell mehrheitsfähigen Positionen<br />
spre<strong>ch</strong>en.<br />
Die Erwartung, na<strong>ch</strong> 40 Jahren Trennung könne es s<strong>ch</strong>nell<br />
wieder eine deuts<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft geben, weil do<strong>ch</strong> alle Deuts<strong>ch</strong>e<br />
sind, war trügeris<strong>ch</strong>. Selbst bei den von einem starken<br />
Nationalismus geprägten Polen war das 1919 ni<strong>ch</strong>t der Fall,<br />
als ein selbständiger Staat wieder begründet wurde. Die fast
150 Jahre dauernde Teilung Polens hat no<strong>ch</strong> Jahrzehnte lang<br />
na<strong>ch</strong>haltige Spuren hinterlassen – man<strong>ch</strong>e behaupten bis<br />
heute. In der Erwartung einer s<strong>ch</strong>nellen Vereinheitli<strong>ch</strong>ung der<br />
Lebensverhältnisse und der Mentalitäten liegt viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />
für Deuts<strong>ch</strong>land eines der s<strong>ch</strong>wierigsten, ungelösten und au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>nell lösbaren Probleme. Hier gibt es große Defizite,<br />
weil <strong>die</strong> Prägekraft der Na<strong>ch</strong>kriegsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ignoriert wird.<br />
Zudem ist sorgfältige Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>e und Differenzierung nötig,<br />
weil historis<strong>ch</strong>e Kurzs<strong>ch</strong>lüsse lei<strong>ch</strong>t viel politis<strong>ch</strong>es Porzellan<br />
zers<strong>ch</strong>lagen. So hat etwa <strong>die</strong> Äußerung des brandenburgis<strong>ch</strong>en<br />
Innenminister S<strong>ch</strong>önbohm, <strong>die</strong> spektakulären Säuglingsmorde<br />
in Frankfurt/Oder seien eine Na<strong>ch</strong>wirkung der vom<br />
SED-Regime erzwungenen Proletarisierung, zu Re<strong>ch</strong>t hohe<br />
Wellen der Empörung ausgelöst.<br />
Die 1989/90 s<strong>ch</strong>on oft totgesagte PDS ers<strong>ch</strong>eint immer no<strong>ch</strong><br />
auf einem frappierenden Vormars<strong>ch</strong> in den Regionen und<br />
Kommunen. Die politis<strong>ch</strong>e Kritik an der PDS ist zwar notwendig,<br />
aber sie greift mit dem Etikett „Na<strong>ch</strong>folgepartei der SED“<br />
oder mit „Rote-Socken-Kampagnen“ zu kurz. Der PDS ist es<br />
gelungen, dem in Ostdeuts<strong>ch</strong>land verbreiteten Gefühl, im<br />
Prozess der Vereinigung bena<strong>ch</strong>teiligt und Deuts<strong>ch</strong>e zweiter<br />
Klasse zu sein, wirksamen Ausdruck zu verleihen. Die aus der<br />
DDR-Erfahrung stammende Priorität „des Sozialen“ gegenüber<br />
politis<strong>ch</strong>er Freiheit lässt si<strong>ch</strong> hier in ökonomis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wierigen<br />
Zeiten in politis<strong>ch</strong>en Zuspru<strong>ch</strong> ummünzen. Das ges<strong>ch</strong>ieht<br />
mit einem gnadenlosen Sozialpopulismus, dem man wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />
nur dur<strong>ch</strong> Beteiligung an der politis<strong>ch</strong>en Verantwortung<br />
<strong>die</strong> Zähne ziehen kann (wie ansatzweise in Berlin).<br />
Andererseits: Eine allzu starke Fixierung auf <strong>die</strong> PDS ergibt<br />
ein s<strong>ch</strong>iefes Bild. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wählen (auf Länderebene) zwei<br />
Drittel der Ostdeuts<strong>ch</strong>en <strong>die</strong>se Partei ni<strong>ch</strong>t.<br />
3. Ein leidiges Problem bleibt <strong>die</strong> Form und Tonlage der Aufarbeitung<br />
der DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, genauer der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
SED-Diktatur. Aufarbeitung ist nötig und <strong>die</strong> fatale Verspätung<br />
der Auseinandersetzung, wie sie <strong>die</strong> alte Bundesrepublik<br />
erlebt hat, soll si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wiederholen. Sie hat si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t
wiederholt. Gibt es jetzt das Gegenteil davon? Zumindest in<br />
<strong>die</strong>sem Jahr stellt si<strong>ch</strong> wieder einmal der Eindruck von einem<br />
medialen overkill ein, der mögli<strong>ch</strong>erweise au<strong>ch</strong> Überdruss<br />
erzeugt und damit ni<strong>ch</strong>t unbedingt zur „Aufarbeitung“ beiträgt.<br />
Ebenso sind plakative Polemik und eine auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>e<br />
Betonung der repressiven Seiten der SED-Diktatur der fals<strong>ch</strong>e<br />
Weg zu einer historis<strong>ch</strong>en Aufklärung. Daher halte i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> no<strong>ch</strong> anhaltende aufgeregte Debatte über das Etikett<br />
„Unre<strong>ch</strong>tsstaat“ für völlig unproduktiv. Selbstverständli<strong>ch</strong> war<br />
<strong>die</strong> DDR wie jede Diktatur ein Unre<strong>ch</strong>tsstaat. Aber damit wird<br />
weder ein komplexes Staatsgebilde zurei<strong>ch</strong>end erfasst no<strong>ch</strong><br />
werden <strong>die</strong> heterogenen und widersprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrungen<br />
angemessen <strong>ch</strong>arakterisiert.<br />
Aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der NS-Aufarbeitung lässt si<strong>ch</strong> Einiges<br />
lernen. Überras<strong>ch</strong>end ist allerdings, wie wenig das bisweilen<br />
ges<strong>ch</strong>ieht. Der Fors<strong>ch</strong>ungsverbund SED-Staat in Berlin<br />
etwa, der <strong>die</strong> Debatte um <strong>die</strong> „Bindungskräfte“ der Diktatur<br />
als einen Ansatz zum „Wei<strong>ch</strong>spülen“ verteufelt, verkennt<br />
mit seiner Kritik völlig <strong>die</strong> wirkli<strong>ch</strong>en Probleme. Erstaunli<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>eint mir ebenso <strong>die</strong> immer wieder aufbre<strong>ch</strong>ende Debatte<br />
über den ominösen „Alltag“. Der Vorwurf der Verharmlosung<br />
und „Wei<strong>ch</strong>zei<strong>ch</strong>nung“ ist eine groteske Vers<strong>ch</strong>iebung<br />
der notwendigen und wirkli<strong>ch</strong> spannenden Fragen. In der<br />
NS-Fors<strong>ch</strong>ung hat seit den 70er Jahren längst <strong>die</strong>ses wi<strong>ch</strong>tige<br />
Thema <strong>die</strong> Fixierung auf Terror und Verbre<strong>ch</strong>en ergänzt und<br />
damit gerade <strong>die</strong> gesells<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dramatik <strong>die</strong>ser<br />
Perspektive in den Vordergrund gerückt. Die Grautöne in der<br />
Diktatur sind das s<strong>ch</strong>wierig zu erfassende, aber besonders<br />
interessante und au<strong>ch</strong> relevante Feld, weil hier Erfahrungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Betroffenen stärker mit einfließt. Denn ohne<br />
Zweifel hat <strong>die</strong> SED-Diktatur, au<strong>ch</strong> wenn sie anders als der<br />
Nationalsozialismus ein sowjetis<strong>ch</strong>es Implantat war, dur<strong>ch</strong> ihr<br />
Bekenntnis zum Antifas<strong>ch</strong>ismus und dur<strong>ch</strong> sozialpolitis<strong>ch</strong>e<br />
Wohltaten, aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Konkurrenz zur vermeintli<strong>ch</strong><br />
„restaurativen BRD“ Loyalitäten ges<strong>ch</strong>affen. Individuelle<br />
und kollektive Erinnerungen dürfen daher, au<strong>ch</strong> wenn sie<br />
oft diffus sind, ni<strong>ch</strong>t als bloßes Gegenstück zur „objektiven“
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung abgetan werden. Strukturanalyse und<br />
Erfahrungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sind vielmehr zwei notwendige und<br />
komplementäre Seiten einer Medaille, um komplexere Einsi<strong>ch</strong>ten<br />
zu vermitteln.<br />
Dazu sollte au<strong>ch</strong> ein differenziertes selbstkritis<strong>ch</strong>es Na<strong>ch</strong>denken<br />
über <strong>die</strong> Zeit vor 1989 und über man<strong>ch</strong>e Formen der<br />
Vereinigung na<strong>ch</strong> 1990 gehören. Wie soll man beurteilen, dass<br />
si<strong>ch</strong> westdeuts<strong>ch</strong>e Ministerpräsidenten aller politis<strong>ch</strong>en Couleur<br />
zu Besu<strong>ch</strong>en bei Honecker <strong>die</strong> Klinke in <strong>die</strong> Hand gaben,<br />
dass si<strong>ch</strong> Wirts<strong>ch</strong>aftsfa<strong>ch</strong>leute, Journalisten, Wissens<strong>ch</strong>aftler<br />
vor 1989 mit hohen und niederen Funktionären der SED<br />
trafen und gemeinsam interessierende Probleme erörterten,<br />
später aber von den „politis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>muddelkindern“ ni<strong>ch</strong>ts<br />
mehr wissen wollen? Warum wurden Kitas, S<strong>ch</strong>ulformen,<br />
Polikliniken na<strong>ch</strong> 1990 erst einmal aufgelöst oder öffentli<strong>ch</strong><br />
diskreditiert, das dringend reformbedürftige westdeuts<strong>ch</strong>e<br />
Universitäts- und Wissens<strong>ch</strong>aftssystem rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> phantasielos<br />
dem zweifellos no<strong>ch</strong> viel reformbedürftigeren ostdeuts<strong>ch</strong>en<br />
System übergestülpt? Warum war <strong>die</strong> Reform der Reform des<br />
Paragraphen 218 plötzli<strong>ch</strong> wieder Gegenstand öffentli<strong>ch</strong>er<br />
Debatten, was DDR-Frauen als grotesken Rückfall in uralte Zeiten<br />
empfanden und empfinden mussten? Derartige Beispiele<br />
ließen si<strong>ch</strong> vermehren.<br />
Sol<strong>ch</strong>e kritis<strong>ch</strong>en Fragen gehören m.E. in ein umfassendes,<br />
selbstkritis<strong>ch</strong>es Aufarbeitungskonzept, das <strong>die</strong> Chance hat, <strong>die</strong><br />
Adressaten in Ost und West überhaupt zu errei<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t<br />
reflexartig Blockaden auszulösen oder Stereotype zu bestätigen.<br />
4. Der Begriff Erinnerungskultur umreißt ein Feld, das si<strong>ch</strong> seit<br />
Jahren geradezu inflationär entwickelt hat und zu einem Modethema<br />
geworden ist. Zwar werden si<strong>ch</strong> überzogene Trends<br />
in der erinnerungskulturellen Debatte mögli<strong>ch</strong>erweise bald<br />
wieder totlaufen, aber dass <strong>die</strong> Dimension des Gedä<strong>ch</strong>tnisses<br />
und der Erinnerung neben den „bruta facta“ ihre eigene,<br />
besondere Bedeutung behält, s<strong>ch</strong>eint evident und ri<strong>ch</strong>tig. Die
DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sollte und wird si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t in <strong>die</strong> Erinnerungskultur<br />
verflü<strong>ch</strong>tigen.<br />
Dass au<strong>ch</strong> für <strong>die</strong> historis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>e Aufklärung über <strong>die</strong><br />
DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te no<strong>ch</strong> viel zu tun ist, haben in jüngster Zeit<br />
alarmierende Meldungen deutli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Empiris<strong>ch</strong>e Erhebungen<br />
belegen, auf wel<strong>ch</strong> klägli<strong>ch</strong>em Niveau si<strong>ch</strong> bisweilen<br />
<strong>die</strong> Kenntnisse von S<strong>ch</strong>ülern über <strong>die</strong> SED-Diktatur bewegen,<br />
aber au<strong>ch</strong>, wie rosarot das Bild der SED-Diktatur in großen Teilen<br />
insbesondere der ostdeuts<strong>ch</strong>en Bevölkerung immer no<strong>ch</strong><br />
oder wieder geworden ist. Warum i<strong>ch</strong> daraus keinen Alarmismus<br />
ableite, habe i<strong>ch</strong> eingangs erläutert. Im Übrigen: Man<br />
sollte si<strong>ch</strong> keine Illusionen ma<strong>ch</strong>en über <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tskenntnisse<br />
von S<strong>ch</strong>ülern zu anderen Epo<strong>ch</strong>en und Diktaturen.<br />
Ein wohl nie befriedigend zu lösendes Problem stellt dagegen<br />
<strong>die</strong> justizielle Aufarbeitung dar. Zwar begann sie für <strong>die</strong> DDR<br />
im Unters<strong>ch</strong>ied zur NS-Zeit sofort, aber das Ergebnis war aus<br />
der Si<strong>ch</strong>t der Opfer ähnli<strong>ch</strong> klägli<strong>ch</strong>. In seinem Bu<strong>ch</strong> mit dem<br />
spektakulären Titel „Die Täter sind unter uns“ – in gewollter<br />
Anlehnung an Wolfgang Staudtes Film von 1946 „Die Mörder<br />
sind unter uns“ – hat der Historiker und Leiter der Gedenkstätte<br />
Hohens<strong>ch</strong>önhausen Hubertus Knabe viel Material dazu<br />
zusammengetragen und eine hars<strong>ch</strong>e Kritik formuliert. Die<br />
Re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>en sind wi<strong>ch</strong>tig, <strong>die</strong> plakativen Verglei<strong>ch</strong>e mit der NS-<br />
Diktatur jedo<strong>ch</strong> völlig daneben.<br />
Am Rückwirkungsverbot wurde im Einigungsvertrag mit<br />
wenigen Ausnahmen festgehalten, was in den Augen vieler<br />
ein moralis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>es Versagen zur Folge hatte: In dem viel<br />
zitierten Ausspru<strong>ch</strong> der DDR-Bürgerre<strong>ch</strong>tlerin Bärbel Bohley<br />
– „Wir wollten Gere<strong>ch</strong>tigkeit und bekamen den Re<strong>ch</strong>tsstaat“<br />
– hat <strong>die</strong>se Empörung prägnant Ausdruck gefunden. Und<br />
do<strong>ch</strong>: Mit re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>en Mitteln ist Diktaturen na<strong>ch</strong> ihrem<br />
Ende ni<strong>ch</strong>t beizukommen. Großzügige Amnestien wie in der<br />
Adenauer-Ära sind letztli<strong>ch</strong> wohl effektiver für <strong>die</strong> soziale<br />
Integration politis<strong>ch</strong> belasteter Funktionseliten als eine konsequente<br />
Bestrafung, was allerdings <strong>die</strong> oft skandalösen Praxis
ei der Verfolgung von NS-Verbre<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>wohl keineswegs<br />
re<strong>ch</strong>tfertigt.<br />
Die Bilanz der DDR-Aufarbeitung fällt somit ambivalent aus.<br />
Als ein großer Erfolg stellt sie si<strong>ch</strong> gemessen am Umgang mit<br />
der NS-Vergangenheit in den ersten zwei Jahrzehnten na<strong>ch</strong><br />
1945 dar; <strong>die</strong> Intensität der Fors<strong>ch</strong>ung ist beispiellos. Eher<br />
zwiespältig hingegen gestaltet si<strong>ch</strong> in Anbetra<strong>ch</strong>t von Ostalgie<br />
und verbreitetem Ni<strong>ch</strong>t-Wissen <strong>die</strong> Erinnerungskultur. Au<strong>ch</strong><br />
hier hat si<strong>ch</strong> viel verändert. Aber zum Leben in den Grauzonen<br />
der Diktatur gehören au<strong>ch</strong> selektive positive Erinnerungen<br />
und Erfahrungen, <strong>die</strong> man Ernst nehmen muss und ni<strong>ch</strong>t<br />
glei<strong>ch</strong> polemis<strong>ch</strong> abtun sollte. Als großenteils ges<strong>ch</strong>eitert<br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> muss <strong>die</strong> Aufarbeitung in den Augen vieler Opfer<br />
des SED-Regimes ers<strong>ch</strong>einen, <strong>die</strong> na<strong>ch</strong> Jahren in einer Diktatur<br />
auf Gere<strong>ch</strong>tigkeit gehofft hatten. Dass es hier keine „glatten“<br />
und wirkli<strong>ch</strong> befriedigenden Lösungen geben kann, gehört<br />
jedo<strong>ch</strong> zu den bitteren Ambivalenzen des Re<strong>ch</strong>tsstaats.
„Alter Wein in<br />
neuen S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>en“?<br />
Oder:<br />
Wie extremistis<strong>ch</strong> ist<br />
<strong>die</strong> Partei<br />
DIE LINKE?<br />
Prof. Dr. Ri<strong>ch</strong>ard Stöss<br />
I<strong>ch</strong> werde mi<strong>ch</strong> in der gebotenen Kürze auf zwei Punkte konzentrieren:<br />
Im ersten S<strong>ch</strong>ritt werde i<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Leitfrage „Wie extremistis<strong>ch</strong><br />
ist <strong>die</strong> Partei DIE LINKE?“ aus der Perspektive des Verfassungss<strong>ch</strong>utzes<br />
beantworten. Im zweiten S<strong>ch</strong>ritt werde i<strong>ch</strong> DIE<br />
LINKE aus der Perspektive der Parteienfors<strong>ch</strong>ung beurteilen.<br />
Zu Punkt 1:<br />
Die Beantwortung der Frage „Wie extremistis<strong>ch</strong> ist <strong>die</strong> Partei DIE<br />
LINKE?“ hängt davon ab, wie Extremismus bzw. <strong>Linksextremismus</strong><br />
definiert wird. Extremismus ist bekanntli<strong>ch</strong> kein Re<strong>ch</strong>tsbegriff, er<br />
findet si<strong>ch</strong> in keinem Gesetz, in keinem Geri<strong>ch</strong>tsurteil und au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t im Grundgesetz. Es handelt si<strong>ch</strong> um einen Arbeitsbegriff<br />
der Verfassungss<strong>ch</strong>utzbehörden. Deren Aufgaben bes<strong>ch</strong>reibt das<br />
Bundesverfassungss<strong>ch</strong>utzgesetz (BVerfS<strong>ch</strong>G) u.a. wie folgt:<br />
„Aufgabe der Verfassungss<strong>ch</strong>utzbehörden des Bundes und der<br />
Länder ist <strong>die</strong> Sammlung und Auswertung von Informationen,<br />
insbesondere von sa<strong>ch</strong>- und personenbezogenen Auskünften,<br />
Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten und Unterlagen über (1) Bestrebungen, <strong>die</strong> gegen<br />
<strong>die</strong> freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung, den Bestand<br />
oder <strong>die</strong> Si<strong>ch</strong>erheit des Bundes oder eines Landes geri<strong>ch</strong>tet<br />
sind oder eine ungesetzli<strong>ch</strong>e Beeinträ<strong>ch</strong>tigung der Amtsfüh-
ung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes<br />
oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben.“ (Hv. R.St.)<br />
Es geht also vorrangig um Bestrebungen der LINKEN gegen <strong>die</strong><br />
freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung. Kennzei<strong>ch</strong>nend für<br />
<strong>die</strong> freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung sind na<strong>ch</strong> einer<br />
Ents<strong>ch</strong>eidung des Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>ts (SRP-Verbot 1952)<br />
a<strong>ch</strong>t Prinzipien:<br />
• <strong>die</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te,<br />
• <strong>die</strong> Volkssouveränität,<br />
• <strong>die</strong> Gewaltenteilung,<br />
• <strong>die</strong> Verantwortli<strong>ch</strong>keit der Regierung,<br />
• <strong>die</strong> Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,<br />
• <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Geri<strong>ch</strong>te,<br />
• das Mehrparteienprinzip und<br />
• <strong>die</strong> Chancenglei<strong>ch</strong>heit der Parteien eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der Oppositionsfreiheit.<br />
Die Ausgangsfrage kann also dahingehend präzisiert werden, ob<br />
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> LINKE gegen eines<br />
der genannten oder sogar gegen alle Verfassungsprinzipien<br />
ri<strong>ch</strong>tet. Bevor i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> mit den <strong>die</strong>sbezügli<strong>ch</strong>en Vorhaltungen<br />
des Bundesamts für Verfassungss<strong>ch</strong>utz befasse, zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> <strong>die</strong><br />
amtli<strong>ch</strong>e Definition von „<strong>Linksextremismus</strong>“:<br />
„Linksextremisten wollen je na<strong>ch</strong> ideologis<strong>ch</strong>er Ausri<strong>ch</strong>tung<br />
anstelle der bestehenden Staats- und Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung<br />
eine sozialistis<strong>ch</strong>e bzw. kommunistis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft oder eine<br />
‚herrs<strong>ch</strong>aftsfreie‘, anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Gesells<strong>ch</strong>aft etablieren und<br />
orientieren ihr politis<strong>ch</strong>es Handeln an revolutionär-marxistis<strong>ch</strong>en<br />
oder anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Ideologien.“<br />
In <strong>die</strong>ser Definition werden Sozialismus und Kommunismus<br />
unzulässigerweise glei<strong>ch</strong>gesetzt. Viele sozialdemokratis<strong>ch</strong>e oder
sozialistis<strong>ch</strong>e Parteien Westeuropas nahmen oder nehmen für<br />
si<strong>ch</strong> einen demokratis<strong>ch</strong>en Sozialismus in Anspru<strong>ch</strong> und grenzten<br />
bzw. grenzen si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>arf gegen einen autoritären und erst re<strong>ch</strong>t<br />
gegen einen totalitären Kommunismus marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>er<br />
Prägung ab. Au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> bundesdeuts<strong>ch</strong>e SPD strebte bis in <strong>die</strong> fünfziger<br />
Jahre des vergangenen Jahrhunderts einen demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Sozialismus an. Erinnert sei an das Wort von Kurt S<strong>ch</strong>uma<strong>ch</strong>er:<br />
„Die deuts<strong>ch</strong>e Demokratie wird sozialistis<strong>ch</strong> sein oder sie wird<br />
überhaupt ni<strong>ch</strong>t sein“. Und S<strong>ch</strong>uma<strong>ch</strong>er war ein vehementer Gegner<br />
des Sowjetkommunismus.<br />
Au<strong>ch</strong> im Godesberger Programm von 1959 stellte si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> SPD in<br />
<strong>die</strong> Tradition des demokratis<strong>ch</strong>en Sozialismus, und selbst in dem<br />
heute no<strong>ch</strong> gültigen Grundsatzprogramm der SPD, dem Berliner<br />
Programm, wird auf <strong>die</strong>se Tradition verwiesen. Sozialismus ist per<br />
se ni<strong>ch</strong>t antidemokratis<strong>ch</strong>. Er kann es sein, muss es aber ni<strong>ch</strong>t sein.<br />
Ents<strong>ch</strong>eidend ist <strong>die</strong> Frage, ob er si<strong>ch</strong> ganz oder teilweise gegen<br />
<strong>die</strong> genannten a<strong>ch</strong>t Prinzipien der freiheitli<strong>ch</strong>en demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Grundordnung ri<strong>ch</strong>tet.<br />
Worin bestehen nun <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezügli<strong>ch</strong>en Vorhaltungen des Verfassungss<strong>ch</strong>utzes<br />
gegenüber der LINKEN?<br />
Interessanterweise wird der Partei im Verfassungss<strong>ch</strong>utzberi<strong>ch</strong>t<br />
des Bundes von 2007 ein gesondertes Kapitel gewidmet, in <strong>die</strong><br />
Bere<strong>ch</strong>nung des <strong>Linksextremismus</strong>potenzials gehen aber nur <strong>die</strong><br />
Mitglieder der Kommunistis<strong>ch</strong>en Plattform (KPF) sowie „Mitglieder<br />
weiterer offen extremistis<strong>ch</strong>er Zusammens<strong>ch</strong>lüsse“ innerhalb<br />
der LINKEN ein. Und im Text heißt es: „Wie bisher ... wirken<br />
offen extremistis<strong>ch</strong>e Kräfte au<strong>ch</strong> in der Partei ‚DIE LINKE‘ fort.“<br />
Gemeint sind neben der KPF das Marxistis<strong>ch</strong>e Forum (MF), der Geraer<br />
Dialog/Sozialistis<strong>ch</strong>er Dialog (GD/SD), <strong>die</strong> Sozialistis<strong>ch</strong>e Linke<br />
(SL) sowie <strong>die</strong> Arbeitsgemeins<strong>ch</strong>aft „Cuba Si“.<br />
Die vom Verfassungss<strong>ch</strong>utz angeführten Verda<strong>ch</strong>tsmomente beziehen<br />
si<strong>ch</strong> hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf einen Punkt: den Antikapitalismus,<br />
der von den vers<strong>ch</strong>iedenen innerparteili<strong>ch</strong>en Strömungen mehr<br />
oder weniger drastis<strong>ch</strong> zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t wird.
Die genannten a<strong>ch</strong>t Verfassungsprinzipien beziehen si<strong>ch</strong> allerdings<br />
nur auf <strong>die</strong> politis<strong>ch</strong>e Ordnung der Bundesrepublik, ni<strong>ch</strong>t<br />
auf ihre Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialordnung. Das Grundgesetz gibt<br />
absi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> keine bestimmte Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialordnung vor.<br />
Daher sind entspre<strong>ch</strong>enden Reformabsi<strong>ch</strong>ten keine verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Grenzen gesetzt, soweit sie <strong>die</strong> Vereinigungsfreiheit<br />
(Art. 9 GG), <strong>die</strong> freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der<br />
Ausbildungsstätte (Art. 12 GG) und <strong>die</strong> Eigentumsgarantie (Art.<br />
14 GG) gewährleisten. Enteignung und Sozialisierung sind dur<strong>ch</strong><br />
das Grundgesetz gedeckt (Art. 14 u. 15 GG), <strong>die</strong> Einführung eines<br />
staatssozialistis<strong>ch</strong>en Systems na<strong>ch</strong> dem Vorbild der DDR wäre<br />
allerdings verfassungswidrig. Belege dafür, dass <strong>die</strong> Linkspartei<br />
derartige Absi<strong>ch</strong>ten verfolgte, werden vom Verfassungss<strong>ch</strong>utz<br />
ni<strong>ch</strong>t präsentiert.<br />
Im Übrigen verfügen weder <strong>die</strong> Partei als ganzes no<strong>ch</strong> einzelne<br />
innerparteili<strong>ch</strong>e Strömungen über ein alternatives Wirts<strong>ch</strong>aftskonzept.<br />
Die vorhandenen programmatis<strong>ch</strong>en Aussagen und <strong>die</strong><br />
Reden der Spitzenpolitiker bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> im Wesentli<strong>ch</strong>en auf<br />
(oft verbalradikale) Kapitalismuskritik. Kapitalismuskritik ist allerdings<br />
(ebenso wie Demokratiekritik) dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Meinungsfreiheit<br />
gedeckt und jede Partei ist frei, si<strong>ch</strong> so viel Kapitalismuskritik in<br />
ihr Programm zu s<strong>ch</strong>reiben, wie sie will.<br />
Insoweit von der LINKEN konkrete Gegenmaßnahmen vorges<strong>ch</strong>lagen<br />
werden - und dabei handelt es si<strong>ch</strong> vor allem um den<br />
extensiven Ausbau des Sozialstaats, um eine drastis<strong>ch</strong>e Korrektur<br />
der Vermögensverteilung und um Demokratie in der Wirts<strong>ch</strong>aft<br />
-, stoßen sie allenfalls auf Finanzierungsvorbehalte, stehen aber<br />
ni<strong>ch</strong>t im Verda<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> gegen <strong>die</strong> a<strong>ch</strong>t Prinzipien der freiheitli<strong>ch</strong>en<br />
demokratis<strong>ch</strong>en Grundordnung zu ri<strong>ch</strong>ten.<br />
Bleibt no<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Frage zu klären, wie si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> vor allem von KPF-<br />
Mitgliedern mehr oder weniger offen zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>ten<br />
Sympathien für <strong>die</strong> ges<strong>ch</strong>eiterten staatssozialistis<strong>ch</strong>en Systeme des<br />
damaligen Ostblocks oder für Kuba zu beurteilen sind. Teilweise<br />
wird sogar der Stalinismus verharmlost oder sogar gere<strong>ch</strong>tfertigt.<br />
Sind derartige Verlautbarungen dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Meinungsfreiheit
gedeckt oder kommt darin eine Gegners<strong>ch</strong>aft zur freiheitli<strong>ch</strong>en<br />
demokratis<strong>ch</strong>en Grundordnung zum Ausdruck?<br />
Das Argument des Verfassungss<strong>ch</strong>utzes, dass in derartigen Fällen<br />
dur<strong>ch</strong>aus der Verda<strong>ch</strong>t auf verfassungsfeindli<strong>ch</strong>e Bestrebungen<br />
besteht, ist ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn<br />
<strong>die</strong> Behörden au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehbar belegen, dass si<strong>ch</strong> mit<br />
derartigen Meinungen konkrete Bestrebungen gegen den<br />
Wesenskern des Grundgesetzes verbinden.<br />
Jedenfalls werden derartige Verda<strong>ch</strong>tsfälle innerparteili<strong>ch</strong>en<br />
Gruppierungen zuges<strong>ch</strong>rieben, <strong>die</strong> gerade einmal drei Prozent<br />
der Parteimitglieder ausma<strong>ch</strong>en und keinen Einfluss auf <strong>die</strong> politis<strong>ch</strong>e<br />
Praxis der Positionsinhaber und Mandatsträger der LINKEN<br />
haben.<br />
Zu Punkt 2:<br />
In der Parteienfors<strong>ch</strong>ung zählt <strong>die</strong> PDS zum Typ der Kommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Na<strong>ch</strong>folgeparteien bzw. Postkommunistis<strong>ch</strong>en Parteien.<br />
Dies hat si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t grundlegend dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Fusion mit der wesentli<strong>ch</strong><br />
kleineren WASG verändert. Postkommunistis<strong>ch</strong>e Parteien<br />
werden wiederum in zwei Gruppen unterteilt: Neokommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Parteien, wie etwa <strong>die</strong> albanis<strong>ch</strong>en Sozialisten, <strong>die</strong> slowakis<strong>ch</strong>e<br />
ZRS oder <strong>die</strong> ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en und ukrainis<strong>ch</strong>en Kommunisten,<br />
stehen in der Tradition der kommunistis<strong>ch</strong>en Staatsparteien,<br />
ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> gegen <strong>die</strong> wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und politis<strong>ch</strong>en Liberalisierungstendenzen<br />
und verfolgen zumeist nationalistis<strong>ch</strong>e, oft au<strong>ch</strong><br />
ethnozentristis<strong>ch</strong>e und gelegentli<strong>ch</strong> sogar antisemitis<strong>ch</strong>e Ziele,<br />
wie etwa <strong>die</strong> russis<strong>ch</strong>en Kommunisten. Vorrangig sind bei <strong>die</strong>sen<br />
Parteien Antiuniversalismus, Kollektivismus, Etatismus, Autoritarismus<br />
und Zentralismus.<br />
Sozialistis<strong>ch</strong>e (bzw. Sozialdemokratis<strong>ch</strong>e) Parteien unterstützen<br />
dagegen den Systemwe<strong>ch</strong>sel und setzen si<strong>ch</strong> für <strong>die</strong> Konsoli<strong>die</strong>rung<br />
der neuen Demokratien in Osteuropa ein. Sie sind gemäßigt<br />
liberal, dafür aber stark auf soziale Gere<strong>ch</strong>tigkeit beda<strong>ch</strong>t,<br />
sie propagieren ein moderates Modernisierungstempo, setzen
stärker auf staatsinterventionistis<strong>ch</strong>e und sozialstaatli<strong>ch</strong>e Rezepte<br />
und wollen für eine längere Übergangszeit neben dem privaten<br />
au<strong>ch</strong> staatli<strong>ch</strong>es und genossens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Eigentum erhalten und<br />
fördern. Zu <strong>die</strong>sem Typ zählen <strong>die</strong> bulgaris<strong>ch</strong>en Sozialisten, <strong>die</strong><br />
polnis<strong>ch</strong>e SLD, <strong>die</strong> slowakis<strong>ch</strong>e SDL, <strong>die</strong> Sozialisten in der Ukraine<br />
oder <strong>die</strong> ungaris<strong>ch</strong>en Sozialisten. Und eben au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> PDS bzw.<br />
<strong>die</strong> LINKE.<br />
Charakteristis<strong>ch</strong> für Parteien <strong>die</strong>ses Typs, <strong>die</strong> anders als <strong>die</strong> Neokommunisten<br />
ni<strong>ch</strong>t in Systemopposition verharren sondern si<strong>ch</strong><br />
am Parteienwettbewerb um <strong>die</strong> Ausgestaltung der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
und politis<strong>ch</strong>en Modernisierung beteiligen, ist ein Identitätsdilemma:<br />
Sie betreiben den Systemwe<strong>ch</strong>sel, wollen und können<br />
si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t völlig von dem alten System lösen.<br />
Da si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> PDS als Re<strong>ch</strong>tsna<strong>ch</strong>folgerin der SED versteht und das<br />
Konzept eines demokratis<strong>ch</strong> geprägten Sozialismus vertritt, steht<br />
sie vor der Aufgabe, si<strong>ch</strong> einerseits kritis<strong>ch</strong> mit der Rolle ihrer<br />
Mutterpartei, der SED, auseinanderzusetzen und si<strong>ch</strong> als geläuterte<br />
demokratis<strong>ch</strong>e Partei zu präsentieren, andererseits aber den<br />
Na<strong>ch</strong>weis zu erbringen, dass mit dem Untergang des „real existierenden<br />
Sozialismus“ ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Idee des Sozialismus ges<strong>ch</strong>eitert<br />
ist, dass der Sozialismus eine vernünftige Sa<strong>ch</strong>e ist, <strong>die</strong> in der<br />
DDR nur s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ausgeführt wurde. Da <strong>die</strong>ser Na<strong>ch</strong>weis s<strong>ch</strong>wer<br />
mögli<strong>ch</strong> ist, wenn <strong>die</strong> DDR s<strong>ch</strong>on an ihren Geburtsfehlern ges<strong>ch</strong>eitert<br />
wäre, ist <strong>die</strong> Partei gezwungen, <strong>die</strong> „guten Seiten“ der DDR<br />
zu betonen und darauf hinzuweisen, dass früher au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alles<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t und kritikwürdig gewesen sei.<br />
Diesen „Gründungskompromiss“ der PDS bes<strong>ch</strong>rieb Mi<strong>ch</strong>ael Brie,<br />
Ges<strong>ch</strong>äftsführender Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wie<br />
folgt:<br />
„1. si<strong>ch</strong> von der DDR ni<strong>ch</strong>t verabs<strong>ch</strong>ieden und zuglei<strong>ch</strong> ankommen<br />
in der Bundesrepublik; 2. in Systemopposition verbleiben<br />
und do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> eigenen Zielen und aus einer unterlegenen Position<br />
das System zumindest punktuell oder sogar in breiterem<br />
Maße mitgestalten; 3. si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t den Zwängen des Parteienwettbewerbs<br />
unterwerfen und do<strong>ch</strong> in ihm erfolgrei<strong>ch</strong> sein.“
Damit gerät <strong>die</strong> Partei in das Dilemma, zuglei<strong>ch</strong> apologetis<strong>ch</strong><br />
und kritis<strong>ch</strong> mit dem alten System umzugehen, wobei sie jeweils<br />
Beifall von einer anderen Seite erhält: Die Traditionalisten stören<br />
si<strong>ch</strong> an einer überzogenen Kritik an der DDR, und <strong>die</strong> Reformer<br />
tun si<strong>ch</strong> mit der Re<strong>ch</strong>tfertigung der DDR s<strong>ch</strong>wer.<br />
Bei der Beurteilung der PDS muss <strong>die</strong>se ambivalente Haltung in<br />
Re<strong>ch</strong>nung gestellt werden. Einseitige Betra<strong>ch</strong>tungen werden der<br />
Realität ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t. Und es muss na<strong>ch</strong> ihrer Rolle im Parteiensystem<br />
der Bundesrepublik gefragt werden.<br />
Die Partei füllt im Osten eine Lücke, <strong>die</strong> <strong>die</strong> drei „Westparteien“<br />
und <strong>die</strong> Grünen ni<strong>ch</strong>t ausfüllen können und wohl au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wollen.<br />
Als „Ostpartei“ repräsentiert <strong>die</strong> PDS <strong>die</strong> Interessen und Identitätsbedürfnisse<br />
derjenigen Ostdeuts<strong>ch</strong>en, <strong>die</strong> mit dem Verlauf<br />
und den Ergebnissen des Einheitsprozesses unzufrieden sind, weil<br />
sie ihn als Ans<strong>ch</strong>luss der DDR an <strong>die</strong> BRD wahrnehmen und/oder<br />
weil sie das westli<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aftssystem als ungere<strong>ch</strong>t und unsolidaris<strong>ch</strong><br />
empfinden. Als Spra<strong>ch</strong>rohr <strong>die</strong>ser Ostdeuts<strong>ch</strong>en erfüllt sie<br />
eine wi<strong>ch</strong>tige Funktion für <strong>die</strong> Konsoli<strong>die</strong>rung der Demokratie in<br />
Ostdeuts<strong>ch</strong>land und damit für <strong>die</strong> Stabilität der demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Ordnung insgesamt, denn sie trägt zur Integration <strong>die</strong>ser Gruppen<br />
in das parlamentaris<strong>ch</strong>e System bei. Diese Repräsentations-<br />
und Integrationsfunktion kann <strong>die</strong> Partei nur wegen ihres Spagats<br />
zwis<strong>ch</strong>en Bewahrung und Erneuerung wahrnehmen.<br />
Als verbindendes Glied <strong>die</strong>nt der PDS das Leitbild des demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Sozialismus, das das antikapitalistis<strong>ch</strong>e Selbstverständnis<br />
der DDR-Gründer ebenso re<strong>ch</strong>tfertigt, wie <strong>die</strong> Forderung na<strong>ch</strong><br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und sozialen Reformen des bestehenden Systems.<br />
Diese Doppelstrategie ermögli<strong>ch</strong>t es der PDS, an der demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Willensbildung der Bundesrepublik teilzunehmen und<br />
sogar Regierungsverantwortung zu übernehmen, ohne <strong>die</strong><br />
systemkritis<strong>ch</strong>en Orientierungen ihrer Anhänger zu enttäus<strong>ch</strong>en.<br />
Sie führte letztendli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dazu, dass si<strong>ch</strong> der Konflikt zwis<strong>ch</strong>en<br />
orthodoxen Traditionalisten und Reformern in der PDS im Laufe<br />
der Zeit zugunsten letzterer abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>te. Denn <strong>die</strong> parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />
Mandate auf kommunaler, Landes- und Bundesebene und<br />
<strong>die</strong> Ämter im staatli<strong>ch</strong>-administrativen Berei<strong>ch</strong> werden zumeist
von Reformern wahrgenommen, <strong>die</strong> dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> über <strong>die</strong> wesentli<strong>ch</strong>en<br />
Ressourcen der Partei verfügen.<br />
Mit der Westausdehnung der PDS dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Fusion mit der WASG<br />
haben <strong>die</strong> Traditionalisten weiter an Boden verloren. Denn bei<br />
den WASG-Mitgliedern handelt es si<strong>ch</strong> überwiegend um ehemalige<br />
Sozialdemokraten und Gewerks<strong>ch</strong>aftsmitglieder. Die Mitglieder<br />
der DKP oder anderer linksextremer Gruppierungen verfügen<br />
allenfalls über minimalen Einfluss in den westli<strong>ch</strong>en Landesverbänden<br />
der LINKEN. Die westdeuts<strong>ch</strong>en WASG-Mitglieder hegen<br />
in aller Regel keinerlei Sympathien für das DDR-Regime und<br />
unterliegen mithin au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem Identitätsdilemma der PDS.<br />
Fazit<br />
I<strong>ch</strong> komme zum S<strong>ch</strong>luss. Zunä<strong>ch</strong>st einmal dürfte deutli<strong>ch</strong> geworden<br />
sein, dass <strong>die</strong> Metapher im Titel meines Referats - „alter Wein<br />
in neuen S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>en“ - ni<strong>ch</strong>t auf <strong>die</strong> PDS und erst re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t auf<br />
<strong>die</strong> LINKE zutrifft. Die Formel „PDS = SED“ ist fals<strong>ch</strong>. Beide Parteien<br />
unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> diametral hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihres Programms,<br />
ihrer Binnenstruktur und ihrer Stellung innerhalb des jeweiligen<br />
Systems.<br />
Weiterhin ist festzustellen, dass <strong>die</strong> PDS bzw. <strong>die</strong> LINKE dur<strong>ch</strong> ihre<br />
Repräsentations- und Integrationsfunktion erhebli<strong>ch</strong> zum Systemwandel<br />
in Ostdeuts<strong>ch</strong>land beigetragen hat und au<strong>ch</strong> weiterhin<br />
beitragen wird. Das belegt s<strong>ch</strong>on allein <strong>die</strong> konstruktive Arbeit<br />
ihrer <strong>Politik</strong>er auf kommunaler und Landesebene. Von Systemopposition<br />
kann dabei keine Rede sein. Selbst <strong>die</strong> hars<strong>ch</strong>e Kapitalismuskritik<br />
findet in der Alltagspraxis keinen Nieders<strong>ch</strong>lag.<br />
Selbstverständli<strong>ch</strong> gibt es unter den Mitgliedern der Partei<br />
Gegner der parlamentaris<strong>ch</strong>-demokratis<strong>ch</strong>en Ordnung der Bundesrepublik<br />
und Sympathien für <strong>die</strong> untergegangenen staatssozialistis<strong>ch</strong>en<br />
Systeme. Wie sollte das au<strong>ch</strong> bei einer postkommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Partei anders sein? Abgesehen einmal davon, dass <strong>die</strong>se<br />
Gruppen klein und einflusslos sind, zumeist der (aussterbenden)<br />
ehemaligen politis<strong>ch</strong>en Klasse der DDR oder ihrem Umfeld angehören<br />
und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu gewaltförmigen Bestrebungen gegen
<strong>die</strong> freiheitli<strong>ch</strong>e demokratis<strong>ch</strong>e Grundordnung neigen, kann mit<br />
hoher Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit angenommen werden, dass ihre vor<br />
allem publizistis<strong>ch</strong>en Aktivitäten von den <strong>die</strong> Partei dominierenden<br />
Reformpragmatikern mehr und mehr neutralisiert werden.<br />
Angesi<strong>ch</strong>ts der quantitativen und qualitativen Bedeutungslosigkeit<br />
<strong>die</strong>ser Gruppen s<strong>ch</strong>eint es mir ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt, <strong>die</strong> Partei<br />
DIE LINKE dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Verfassungss<strong>ch</strong>utzbehörden zu beoba<strong>ch</strong>ten.
Prof. Dr. Manfred Wilke<br />
I. Die Wende der SED<br />
zur PDS 1989/90<br />
Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Linken beginnt<br />
mit der Transformation der SED in<br />
<strong>die</strong> PDS im Dezember 1989. Trotz<br />
des Staatsbankrotts der DDR hat <strong>die</strong><br />
SED politis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kapituliert und<br />
si<strong>ch</strong> auf ihrem letzten Parteitag ni<strong>ch</strong>t<br />
aufgelöst. Die Grundlage für ihren<br />
Aufstieg aus Ruinen war das Wahlergebnis<br />
der PDS bei der freien Volkskammerwahl<br />
1990 in der DDR. Als Gegner der deuts<strong>ch</strong>en Einheit<br />
wurde sie stärkste Oppositionspartei und war damit vom Wähler<br />
legitimiert. Die SED hatte eine Wende vollzogen:<br />
• sie bra<strong>ch</strong> mit dem Stalinismus, der leninistis<strong>ch</strong>-stalinistis<strong>ch</strong>en<br />
Parteikonzeption und ihres Strukturprinzip des „demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Zentralismus“ und wandelte si<strong>ch</strong> in eine sozialistis<strong>ch</strong>e<br />
Strömungspartei<br />
• <strong>die</strong> gewendete SED nannte si<strong>ch</strong> nun „Partei des Demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Sozialismus“<br />
• im Februar 1990 endete für <strong>die</strong> PDS <strong>die</strong> Anleitung dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong><br />
sowjetis<strong>ch</strong>en Kommunisten, sie wurde im Wortsinn eine deuts<strong>ch</strong>e<br />
Partei;<br />
• vor der Volkskammer im März 1990 erklärte sie, das Wahlergebnis<br />
zu akzeptieren und keine Restauration ihres Ma<strong>ch</strong>tmonopols<br />
anzustreben.<br />
Bei der Aufre<strong>ch</strong>terhaltung der Kontinuität zur SED ging es der<br />
PDS 1990 primär um <strong>die</strong> Si<strong>ch</strong>erung der Re<strong>ch</strong>tsna<strong>ch</strong>folge und somit<br />
um den Zugriff auf Teile des Vermögens der DDR-Staatspartei.
Damit ni<strong>ch</strong>t genug: Bis heute blieb „Die Linke“ Eigentümerin der<br />
Akten des SED-Parteiar<strong>ch</strong>ivs.<br />
Das Kapitel SED-Diktatur bleibt weiterhin eine Erblast für <strong>die</strong> Die<br />
Linke, ihre Ursprungspartei war verantwortli<strong>ch</strong> für <strong>die</strong> zweite<br />
Diktatur in Deuts<strong>ch</strong>land im 20. Jahrhundert. Eine Diskussion über<br />
<strong>die</strong> demokratis<strong>ch</strong>e Ambivalenz <strong>die</strong>ser Partei sollte deshalb mit<br />
ihren historis<strong>ch</strong>en Wurzeln in der SED beginnen, um <strong>die</strong> Frage<br />
ihres Verhältnisses zur politis<strong>ch</strong>en Ordnung des Grundgesetzes zu<br />
beantworten.<br />
II. Die Gründung der gesamtdeuts<strong>ch</strong>en Partei „DIE LINKE“<br />
2007<br />
15 Jahre na<strong>ch</strong> der friedli<strong>ch</strong>en Revolution in der DDR erfolgte<br />
ihre Westausdehnung, ermögli<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> linke Sozialdemokraten<br />
und Gewerks<strong>ch</strong>aftsfunktionäre, <strong>die</strong> aus Protest gegen <strong>die</strong> Arbeitsmarktreformen<br />
der Regierung S<strong>ch</strong>röder <strong>die</strong> SPD verließen.<br />
Gewerks<strong>ch</strong>aftsfunktionäre gründeten am 3. Juli 2004 den Verein<br />
Wahlalternative Arbeit und soziale Gere<strong>ch</strong>tigkeit e.V., aus dem<br />
si<strong>ch</strong> am 22. Januar 2005 <strong>die</strong> Partei WASG konstituierte.<br />
Der PDS war mit der WASG ein glei<strong>ch</strong>gesinnter Partner im Westen<br />
erwa<strong>ch</strong>sen. Getragen von der im Gründungsprogramm formulierten<br />
„Leitidee der sozialen Gere<strong>ch</strong>tigkeit“, stand der Protest<br />
gegen das Feindbild eines globalen „Neoliberalismus“ im Mittelpunkt<br />
ihres Denkens. 1 Ihre Leitsätze orientieren si<strong>ch</strong> an der<br />
auf den alten Sozialstaat westdeuts<strong>ch</strong>er Prägung mit staatli<strong>ch</strong>en<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigungs- und Investitionsprogrammen fixierten Programmatik<br />
der IG Metall. Zwangsläufig reduziert si<strong>ch</strong> ihr Programm so<br />
auf <strong>die</strong> Wirts<strong>ch</strong>afts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.<br />
Die Realisierung <strong>die</strong>ses Ost-West-Zusammens<strong>ch</strong>lusses wurde dur<strong>ch</strong><br />
Bundeskanzler S<strong>ch</strong>röder forciert, als er na<strong>ch</strong> der Wahlniederlage<br />
seiner Partei in Nordrhein-Westfalen vorgezogene Neuwahlen<br />
zum Deuts<strong>ch</strong>en Bundestag für den 18. September 2005 ankündigte.<br />
Bei der NRW-Wahl verbu<strong>ch</strong>te <strong>die</strong> WASG einen A<strong>ch</strong>tungserfolg,<br />
1 Vgl. WASG: Gründungsprogramm der WASG. – S. 2. –<br />
http://ar<strong>ch</strong>iv.w-asg.de/uploads/media/gruendungsprogramm_20050531.pdf [19.09.2008].
der <strong>die</strong> PDS zum Handeln veranlasste. Der ehemalige SPD-Vorsitzende<br />
Oskar Lafontaine und Gregor Gysi forderten, mit Hilfe der<br />
WASG eine gesamtdeuts<strong>ch</strong>e Linke zu formieren, <strong>die</strong> in den Bundestag<br />
einziehen kann. Da in der Kürze der Zeit eine Fusion ni<strong>ch</strong>t<br />
mögli<strong>ch</strong> war, musste ein Wahlbündnis unter Regie der PDS vorerst<br />
ausrei<strong>ch</strong>en. Spitzenkandidaten wurden Lafontaine und Gysi,<br />
denen es um eine gesamtdeuts<strong>ch</strong>e Linke ging. Sie wollten nur<br />
kandi<strong>die</strong>ren, wenn das Etappenziel „Wahlbündnis“ als Vorstufe<br />
zur Fusion in Ost und West akzeptiert würde. Inhaltli<strong>ch</strong>e Diskussionen<br />
wurden auf <strong>die</strong> Zeit na<strong>ch</strong> der Bundestagswahl vers<strong>ch</strong>oben.<br />
Eine Vorbedingung der WASG erfüllte <strong>die</strong> PDS, sie änderte ihren<br />
Namen in „Linkspartei.PDS“. Den westdeuts<strong>ch</strong>en Landes- und<br />
Gebietsverbänden wurde zugestanden, auf den Zusatz PDS zu<br />
verzi<strong>ch</strong>ten, um ihre Erfolgs<strong>ch</strong>ancen ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Erinnerungen<br />
der westdeuts<strong>ch</strong>en Wähler an <strong>die</strong> DDR zu s<strong>ch</strong>mälern. Bewusst<br />
sollte der Eindruck erweckt werden, es handele si<strong>ch</strong> um einen<br />
historis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t belasteten parteipolitis<strong>ch</strong>en Neuanfang. Der Erfolg<br />
bei der Bundestagswahl mit 8,7 Prozent der Wählerstimmen<br />
bestätigte <strong>die</strong> gewählte Strategie. Das neue Wahlbündnis konnte<br />
mit 53 Abgeordneten in den Deuts<strong>ch</strong>en Bundestag einziehen.<br />
Programmatis<strong>ch</strong>e Grundlage der Linkspartei bildete das im Oktober<br />
2003 verabs<strong>ch</strong>iedete Parteiprogramm der PDS. Ziel der Partei<br />
blieb ein Systemwe<strong>ch</strong>sel. Sie wollte <strong>die</strong> gegebene „kapitalistis<strong>ch</strong>e<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft“ und somit <strong>die</strong> ihrer Meinung na<strong>ch</strong> für Unglei<strong>ch</strong>heit<br />
und Ausbeutung ursä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t- und Eigentumsverhältnisse<br />
überwinden. Die Frage, wel<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialordnung<br />
an ihre Stelle treten soll, hatte s<strong>ch</strong>on <strong>die</strong> PDS ni<strong>ch</strong>t beantwortet.<br />
Der Einzug der Linken in den Bundestag war in ihrer Eigeneins<strong>ch</strong>ätzung<br />
„kein Ausdruck eines Linksrucks in der Gesells<strong>ch</strong>aft“,<br />
sondern entsprang „einer ‚günstigen Gelegenheitsstruktur’.“ Diese<br />
bestand zum einen aus den Sti<strong>ch</strong>worten „Agenda 2010“ und<br />
„Hartz IV“, <strong>die</strong> „von großen Teilen der Bevölkerung als Abs<strong>ch</strong>ied<br />
der regierenden Sozialdemokratie von ihrer traditionellen Rolle<br />
als ‚S<strong>ch</strong>utzma<strong>ch</strong>t der kleinen Leute’ wahrgenommen“ wurde, und<br />
zum anderen aus dem „organisatoris<strong>ch</strong>en Gerüst“ von PDS und<br />
WASG für einen erfolgrei<strong>ch</strong>en Wahlkampf. „Keine no<strong>ch</strong> so kluge
Strategie der PDS oder der WASG hätte <strong>die</strong>se Gesamtkonstellation<br />
herbeiführen können“, so der Bundesges<strong>ch</strong>äftsführer der<br />
Linken, Dietmar Barts<strong>ch</strong>. 2<br />
Na<strong>ch</strong> der Bundestagswahl 2005 hatte <strong>die</strong> in der Bundestagsfraktion<br />
versammelte Führung nur ein Ziel, „eine Partei links von der<br />
SPD dauerhaft im deuts<strong>ch</strong>en Parteienspektrum zu etablieren“. 3<br />
Um <strong>die</strong>ses strategis<strong>ch</strong>e Ziel zu errei<strong>ch</strong>en, mussten PDS und WASG<br />
fusionieren. Das Thema „soziale Gere<strong>ch</strong>tigkeit“ war für beide<br />
Gruppierungen <strong>die</strong> geeignete programmatis<strong>ch</strong>e Plattform. Der<br />
Vereinigungsprozess sollte genutzt werden, um ras<strong>ch</strong> <strong>die</strong> öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Meinungsführers<strong>ch</strong>aft bei dem Thema soziale Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
zu erlangen und damit <strong>die</strong> SPD in <strong>die</strong> Defensive zu drängen. Der<br />
erste S<strong>ch</strong>ritt war, dass unter dem neuen Parteinamen „Die Linke“<br />
si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st <strong>die</strong> Bundestagsfraktion formierte, <strong>die</strong> damit begriffli<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> no<strong>ch</strong> ausstehende Fusion vorweg nahm und bereits den<br />
Anspru<strong>ch</strong> einer gesamtdeuts<strong>ch</strong>en Linken erhob.<br />
In Berlin trat im Mai 2009 das Mitglied des Abgeordnetenhauses<br />
Carl We<strong>ch</strong>selberg aus der Partei Die Linke aus, blieb aber Mitglied<br />
ihrer Fraktion, um der rot-roten Koalition im Abgeordnetenhaus<br />
<strong>die</strong> Mehrheit zu si<strong>ch</strong>ern. Er begründete seinen S<strong>ch</strong>ritt mit dem<br />
zunehmenden innerparteili<strong>ch</strong>en Einfluss der mit dem Parteivorsitzenden<br />
Oskar Lafontaine verbündeten „Sozialrevolutionäre“ aus<br />
dem Westen. Diese stammten aus der WASG, <strong>die</strong> in ihren Reihen<br />
ein Spektrum des linken Lagers der alten Bundesrepublik, das bis<br />
zum linksradikalen Rand rei<strong>ch</strong>te, abdeckte. Sie strebten „keine<br />
moderne, konzeptionell belastbare linke <strong>Politik</strong>“ an, sondern<br />
verfolgten wie Lafontaine das „strategis<strong>ch</strong>e Projekt“, mit der SPD<br />
abzure<strong>ch</strong>nen. 4 Für <strong>die</strong> Partei sind sie vielfa<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Brücke zur aktiven<br />
linksextremistis<strong>ch</strong>en Szene im außerparlamentaris<strong>ch</strong>en Raum.<br />
Neben den vielfältigen Sekten, namentli<strong>ch</strong> den Trotzkisten,<br />
traten Gewerks<strong>ch</strong>aftler und Aktivisten des DKP-Flügels der Friedensbewegung<br />
wie der Hamburger Völkerre<strong>ch</strong>tler Norman Pae<strong>ch</strong><br />
2 Barts<strong>ch</strong>, Dietmar: Günstige Gelegenheiten zur Strategiebildung. In: Fors<strong>ch</strong>ungsjournal Neue<br />
Soziale Bewegungen, 21 (2008) 1, S. 61-64; hier S. 61.<br />
3 Barts<strong>ch</strong>, Dietmar: Günstige Gelegenheiten zur Strategiebildung. In: Fors<strong>ch</strong>ungsjournal Neue<br />
Soziale Bewegungen, 21 (2008) 1, S. 62.<br />
4 Gesprä<strong>ch</strong>: Carl We<strong>ch</strong>selberger: „Erstarrt. selbstgefällig und anmaßend“, FAZ, 29.5.2009, Seite 4
sowie sozialistis<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aftler wie Herbert S<strong>ch</strong>ui<br />
und Axel Troost von der AG „Alternative Wirts<strong>ch</strong>aftspolitik“ der<br />
Partei bei. Die wi<strong>ch</strong>tigste Persönli<strong>ch</strong>keit aus dem Westen aber<br />
war Lafontaine. Mit ihm als Partner verfügte <strong>die</strong> Partei aus dem<br />
Osten endli<strong>ch</strong> über einen au<strong>ch</strong> in Westdeuts<strong>ch</strong>land wählerwirksamen<br />
und populären Repräsentanten. Es gelang ihm, mit dem<br />
ehemaligen SPD-Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg,<br />
Ulri<strong>ch</strong> Maurer, einen weiteren prominenten und politis<strong>ch</strong> erfahrenen<br />
Sozialdemokraten zu gewinnen. Gemeinsam verliehen sie<br />
der PDS im neuen Gewand das dringend benötigte demokratis<strong>ch</strong>e<br />
Ers<strong>ch</strong>einungsbild in der alten Bundesrepublik. Beide wirken<br />
wie ein Sta<strong>ch</strong>el in der offenen Wunde der Sozialdemokratie und<br />
könnten – allen sozialdemokratis<strong>ch</strong>e Aversionen zum Trotz –<br />
dur<strong>ch</strong> ihre na<strong>ch</strong> wie vor bestehenden persönli<strong>ch</strong>en Kontakte zum<br />
linken Flügel der SPD künftig als Brückenbauer zur Sozialdemokratie<br />
im Hinblick auf eine mögli<strong>ch</strong>e Kooperation fungieren. Seit<br />
2007 werden zwis<strong>ch</strong>en den pragmatis<strong>ch</strong>en, auf Koalitionen mit<br />
den Sozialdemokraten ausgeri<strong>ch</strong>teten <strong>Politik</strong>ern, <strong>die</strong> mehrheitli<strong>ch</strong><br />
aus der DDR kommen und dort zum Teil bereits politis<strong>ch</strong>e Verantwortung<br />
in „ihrem Staat“ ausübten und orthodoxen Marxisten<br />
aus Ost und West Flügelkämpfe ausgetragen. Die Westler kommen<br />
aus einer anderen Erfahrungswelt, sie waren Aktivisten in<br />
außerparlamentaris<strong>ch</strong>en Bewegungen und betreiben <strong>Politik</strong> aus<br />
einer radikalen Oppositionsperspektive, <strong>die</strong> zwar <strong>die</strong> Ma<strong>ch</strong>t aber<br />
keine Verantwortung im Staat anstrebt. In den innerparteili<strong>ch</strong>en<br />
Auseinandersetzungen ist <strong>die</strong> gespaltene Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des deuts<strong>ch</strong>en<br />
Sozialismus somit immer gegenwärtig. Ein kurzer Rückblick<br />
auf <strong>die</strong> zentralen Zäsuren <strong>die</strong>se Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ist notwendig. Sie sind<br />
mit der Frage der demokratis<strong>ch</strong>en Staatsordnung verbunden und<br />
beziehen si<strong>ch</strong> auf <strong>die</strong> innerparteili<strong>ch</strong>en Diskurse der Linken.
III. Traditionslinien der Sozialisten<br />
Die Frage der Tradition ist für Sozialisten immer au<strong>ch</strong> eine der eigenen<br />
Identität. Die heutige Partei Die Linke hat 2007 West- und<br />
Ostdeuts<strong>ch</strong>e zusammenführt, <strong>die</strong> in der DDR oder in der Bundesrepublik<br />
sozialisiert wurden. Es sind unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Traditionen,<br />
<strong>die</strong> nun in der Partei aufeinander treffen. Somit ist <strong>die</strong> Identitätsfrage<br />
von aktueller politis<strong>ch</strong>er Bedeutung für ihren Kurs.<br />
Der Erste Weltkrieg und <strong>die</strong> Haltung zum Krieg spaltete 1917<br />
<strong>die</strong> SPD. In der Novemberrevolution 1918 vollzog der von Rosa<br />
Luxemburg und Karl Liebkne<strong>ch</strong>t geführte Spartakusbund den<br />
endgültigen Bru<strong>ch</strong> mit der Partei August Bebels. Dieser Bru<strong>ch</strong><br />
mündete Ende 1918 in <strong>die</strong> Gründung der Kommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Partei Deuts<strong>ch</strong>lands. Parlamentaris<strong>ch</strong>e Republik oder Diktatur<br />
des Proletariats, Reformen oder Revolution waren <strong>die</strong> damaligen<br />
Streitpunkte zwis<strong>ch</strong>en SPD und KPD. Ein gemeinsames Trauma<br />
von Sozialdemokraten und Kommunisten war <strong>die</strong> kampflose<br />
Niederlage der deuts<strong>ch</strong>en Arbeiterbewegung vor Adolf Hitler und<br />
der nationalsozialistis<strong>ch</strong>en Bewegung 1933. Na<strong>ch</strong> dem Zweiten<br />
Weltkrieg und der Erfahrung der gemeinsamen Verfolgung dur<strong>ch</strong><br />
<strong>die</strong> nationalsozialistis<strong>ch</strong>e Diktatur wu<strong>ch</strong>s unter Sozialdemokraten<br />
und Kommunisten <strong>die</strong> Hoffnung, dur<strong>ch</strong> eine sozialistis<strong>ch</strong>e Einheitspartei<br />
<strong>die</strong> Spaltung von 1918 zu überwinden. Diese Illusionen<br />
verflogen s<strong>ch</strong>nell. Die von Stalin gebilligte Zwangsfusion von SPD<br />
und KPD zur SED 1946 ließ den Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en Sozialdemokraten<br />
und Kommunisten erneut aufbre<strong>ch</strong>en. 5 Diktatur oder<br />
Demokratie für das vom Nationalsozialismus befreite Deuts<strong>ch</strong>land<br />
war nun <strong>die</strong> Streitfrage. 6 Diesmal verband si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Spaltung<br />
der deuts<strong>ch</strong>en Sozialisten und Kommunisten mit der Teilung des<br />
Landes und der Entstehung zweier deuts<strong>ch</strong>er Staaten mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Staatsordnungen. Der von der sowjetis<strong>ch</strong>en Besatzungsma<strong>ch</strong>t<br />
gestützte diktatoris<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>twille der von Moskauern<br />
Kadern geführten deuts<strong>ch</strong>en Kommunisten in der SBZ war<br />
eine der wi<strong>ch</strong>tigen Merkmale der deuts<strong>ch</strong>en Teilung. Zum Sturz<br />
der SED-Diktatur bedurfte es 1989 einer demokratis<strong>ch</strong>en Revoluti-<br />
5 vgl. Erler, Peter, Laude,Horst, Wilke, Manfred (Hg.):
on in der DDR. Erst sie s<strong>ch</strong>uf <strong>die</strong> Voraussetzungen für den zweiten<br />
deuts<strong>ch</strong>en Nationalstaat. Die SED, <strong>die</strong> si<strong>ch</strong> selbst als Siegerin der<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te pries, war politis<strong>ch</strong>, ökonomis<strong>ch</strong> und vor allem moralis<strong>ch</strong><br />
ges<strong>ch</strong>eitert.<br />
Wie mit <strong>die</strong>ser „Niederlage“ umgehen? Diese Frage bestimmte<br />
<strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tspolitik der PDS und der heutigen gesamtdeuts<strong>ch</strong>en<br />
Linken. Na<strong>ch</strong> außen war <strong>die</strong> PDS bemüht, dur<strong>ch</strong> Änderungen ihres<br />
Namens <strong>die</strong> Erblast zu kas<strong>ch</strong>ieren. Aus der SED wurde kurzzeitig<br />
<strong>die</strong> SED-PDS, dann <strong>die</strong> PDS, s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Linkspartei bzw. Linkspartei.PDS<br />
und zu guter letzt „Die Linke“. Dur<strong>ch</strong> den We<strong>ch</strong>sel der<br />
Namen konnte <strong>die</strong> Partei ihre diktatoris<strong>ch</strong>e Vergangenheit mehr<br />
und mehr vers<strong>ch</strong>leiern, um den Blick na<strong>ch</strong> vorn auf einen neuen<br />
Anlauf zum Sozialismus zu ri<strong>ch</strong>ten. Für das Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbild der<br />
Deuts<strong>ch</strong>en sind <strong>die</strong> Folgen bereits spürbar. Terror und Unterdrückung<br />
als immanente Bestandteile des realen Sozialismus sollen<br />
dadur<strong>ch</strong> immer mehr im Dunkel der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vers<strong>ch</strong>winden.<br />
Diese Ambivalenz wird beim Umgang mit dem Thema „Staatssi<strong>ch</strong>erheit“<br />
besonders deutli<strong>ch</strong>. Einerseits reklamieren PDS/<br />
Die Linke für si<strong>ch</strong>, an „der Tätigkeit des na<strong>ch</strong> innen geri<strong>ch</strong>teten<br />
Spitzelwesens und Repressionsapparats des MfS gab es für <strong>die</strong><br />
PDS nie etwas zu bes<strong>ch</strong>önigen“. 7 Andererseits behauptet sie,<br />
<strong>die</strong> „Berge, von denen Frau Birthler erzählt, [seien] eigentli<strong>ch</strong><br />
Harmlosigkeiten“. 8 Offiziell gilt für „Die Linke“ beim Umgang mit<br />
ehemaligen Mitarbeitern der Staatssi<strong>ch</strong>erheit: „Wo eine sol<strong>ch</strong>e<br />
Tätigkeit zunä<strong>ch</strong>st vers<strong>ch</strong>wiegen, dann aber bekannt wurde, folgt<br />
in der Regel der Rücktritt von Amt und Mandat.“ 9 Demgegenüber<br />
steht <strong>die</strong> bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zahl von Abgeordneten der Linkspartei im<br />
Bund und in den Ländern, <strong>die</strong> früher als „Inoffizielle Mitarbeiter“<br />
für <strong>die</strong> Staatssi<strong>ch</strong>erheit tätig waren.<br />
Es sind <strong>die</strong> Biografien der „gelernten DDR-Bürger“ in der Linkspartei,<br />
zu denen au<strong>ch</strong> westdeuts<strong>ch</strong>e Mandatsträger wie Dieter<br />
Dehm, langjähriges SPD-Mitglied und bis 1998 stellvertretender<br />
7 Die Linke: Zur Auseinandersetzung mit der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. – S. 3.<br />
8 So beispielsweise der Ehrenvorsitzende der PDS Hans Modrow; zitiert na<strong>ch</strong> Neu, Viola: Das<br />
Janusgesi<strong>ch</strong>t der PDS. Wähler und Partei zwis<strong>ch</strong>en Demokratie und Extremismus ,in: Uwe Backes<br />
/Eckardt Jesse (Hg.): Jahrbu<strong>ch</strong> Extremismus und Demokratie Band 9, Baden-Baden: , 2004. S. 188.<br />
9 Die Linke: Zur Auseinandersetzung mit der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. – S. 3.
Bundesvorsitzender der PDS, zählen, <strong>die</strong> eine klare Verurteilung<br />
des Kommunismus verhindern. Die Praxis bleibt weiterhin<br />
doppelbödig, zumal si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on <strong>die</strong> PDS als politis<strong>ch</strong>er und parlamentaris<strong>ch</strong>er<br />
Interessenvertreter der Dienstklasse der DDR<br />
verstand. Immer wieder kam und kommt es so zu parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />
Initiativen <strong>die</strong>ser Partei für <strong>die</strong> früheren Repräsentanten<br />
des Ma<strong>ch</strong>t- und Herrs<strong>ch</strong>aftsapparates der DDR. 1998 forderte<br />
beispielsweise <strong>die</strong> Berliner Juristin und damalige re<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong>e<br />
Spre<strong>ch</strong>erin der PDS-Bundestagsfraktion, Evelyn Kenzler, eine Amnestie<br />
und Haftents<strong>ch</strong>ädigung für verurteilte Kommandeure der<br />
DDR-Grenztruppen und für ehemalige Mitarbeiter des MfS. Nur<br />
am Widerstand der drei Oppositionsfraktionen aus CDU, Bündnis<br />
90/Die Grünen und FDP im Berliner Abgeordnetenhaus s<strong>ch</strong>eiterte<br />
im April 2007 der Vors<strong>ch</strong>lag der PDS, sie zu einer Ri<strong>ch</strong>terin am<br />
Berliner Verfassungsgeri<strong>ch</strong>tshof zu ernennen. Allgemein bleibt<br />
festzuhalten, ni<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Opfer der SED-Diktatur und der demokratis<strong>ch</strong>e<br />
Widerstand, sondern <strong>die</strong> Verantwortli<strong>ch</strong>en des SED-<br />
Regimes bestimmten <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsdebatte in der PDS bis 2005. In<br />
der Partei „Die Linke“ wird deren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbild fortges<strong>ch</strong>rieben<br />
und mit der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Linken der Bundesrepublik verwoben,<br />
um eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Teilung aus sozialistis<strong>ch</strong>er Perspektive zu<br />
s<strong>ch</strong>affen.<br />
Wel<strong>ch</strong>e Parteiges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dabei vermutli<strong>ch</strong> den roten Faden liefern<br />
wird, das demonstrieren alljährli<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Parteiführungen von PDS<br />
und Linkspartei. Seite an Seite mit „führenden Genossen“ der<br />
SED ziehen sie am Gedenktag für <strong>die</strong> 1919 ermordeten Rosa<br />
Luxemburg und Karl Liebkne<strong>ch</strong>t zum Friedhof der Sozialisten in<br />
Berlin Friedri<strong>ch</strong>sfelde. In dem von der SED gestalteten Ehrenmal<br />
liegen neben deren Gedenkplatten au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> für Wilhelm Pieck<br />
und Walter Ulbri<strong>ch</strong>t. Die Linke hatte au<strong>ch</strong> keine S<strong>ch</strong>wierigkeiten,<br />
Markus Wolf, den Stellvertreter von Eri<strong>ch</strong> Mielke und Chef der<br />
Hauptverwaltung Aufklärung, na<strong>ch</strong> seinem Tod im November<br />
2006 auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> als „Kämpfer gegen das Nazi-Regime“ zu würdigen,<br />
ohne dessen Mitverantwortung für s<strong>ch</strong>werste Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsverletzungen<br />
au<strong>ch</strong> nur zu erwähnen. 10 Die der Linkspartei<br />
angehörende Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau verklärte<br />
10 Bisky, Lothar: Erklärung zum Tod von Markus Wolf. PDS-Pressemitteilung vom 09.11.2006.
ihn in einer Traueranzeige im „Neuen Deuts<strong>ch</strong>land“ zu einem<br />
„Freund und Genossen, einen streitbaren Kämpfer, der aufre<strong>ch</strong>t<br />
dur<strong>ch</strong> sein Leben ging“. 11 Das Gedenken an sol<strong>ch</strong>e Kommunisten<br />
wie Markus Wolf bewahrt symbolis<strong>ch</strong> das totalitäre Erbe im<br />
Selbstverständnis <strong>die</strong>ser Partei.<br />
IV. War <strong>die</strong> DDR ein legitimer deuts<strong>ch</strong>er Staat?<br />
Na<strong>ch</strong> der deuts<strong>ch</strong>en Vereinigung war <strong>die</strong> Legitimität der DDR für<br />
<strong>die</strong> PDS eine Frage des eigenen Selbstverständnisses in der nun<br />
fremden neuen Gesells<strong>ch</strong>aft. Zumal sie der politis<strong>ch</strong>e Interessenvertreter<br />
für <strong>die</strong> arbeitslos gewordenen Parteieliten der SED war.<br />
Als faktis<strong>ch</strong>e Regionalpartei Ost forderte sie 1992 einen „Entwicklungsgang<br />
der Bundesrepublik, der das Positive der ehemaligen<br />
BRD wie der DDR aufnimmt“. 12 S<strong>ch</strong>on aus innerparteili<strong>ch</strong>en Gründen<br />
stand na<strong>ch</strong> 1990 das Beharren auf der Legitimation der DDR<br />
als deuts<strong>ch</strong>er Teilstaat und sozialistis<strong>ch</strong>es Experiment im Verglei<strong>ch</strong><br />
zur kapitalistis<strong>ch</strong>en und restaurativen Bundesrepublik im Mittelpunkt<br />
der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsdebatten der PDS.<br />
Die vom Deuts<strong>ch</strong>en Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission<br />
zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat in ihrem Abs<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t<br />
1994 <strong>die</strong>se These zurückgewiesen und in ihrem Abs<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t<br />
das historis<strong>ch</strong>e Fundament der DDR betont, <strong>die</strong> aus den Trümmern<br />
des Deuts<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es entstand: „Wesentli<strong>ch</strong>e Grundlage<br />
der über vierzigjährigen SED-Diktatur war der totalitäre Ma<strong>ch</strong>tanspru<strong>ch</strong><br />
der sowjetis<strong>ch</strong>en und deuts<strong>ch</strong>en Kommunisten.“ 13<br />
Günther Benser, der Leiter des aus dem Institut für Marxismus-<br />
Leninismus beim ZK der SED hervorgegangen Instituts für Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Arbeiterbewegung, setzt einen anderen Akzent in<br />
der Bewertung der beiden Teilstaaten. Fand in der DDR ein sozialistis<strong>ch</strong>er<br />
Neuanfang na<strong>ch</strong> Hitler statt, so wurde in der Bundesre-<br />
11 Neues Deuts<strong>ch</strong>land vom 17.11.2006.<br />
12 Zitiert na<strong>ch</strong>: Manfred Wilke: Restauration und der Integration?, in: Christian Striefler/Wolfgang<br />
Templin: Von der Wiederkehr des Sozialismus, Berlin 1996, Seite 36<br />
13 Beri<strong>ch</strong>t der Enquete-Kommission: Aufarbeitung von Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Folgen der SED-Diktatur in<br />
Deuts<strong>ch</strong>land, (Hrsg.) Deuts<strong>ch</strong>er Bundestag, neue Bände in 18 Teilbänden, Baden-Baden 1995,<br />
Band I, S. 208.
publik <strong>die</strong> kapitalistis<strong>ch</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aftsordnung fortgeführt. Damit<br />
wird der sozialistis<strong>ch</strong>e System<strong>ch</strong>arakter der DDR-Gesells<strong>ch</strong>aft in<br />
den Fokus des Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbildes gerückt, um <strong>die</strong> undemokratis<strong>ch</strong>e<br />
Parteiherrs<strong>ch</strong>aft der Kommunisten als Folge des Stalinismus zu<br />
relativieren. Dieser Argumentation folgte das Parteiprogramm<br />
der PDS von 1993.<br />
Die Frage der Staatsordnung war aber für <strong>die</strong> demokratis<strong>ch</strong>en<br />
<strong>Politik</strong>er im Westen 1948/49 ents<strong>ch</strong>eidend. Für <strong>die</strong> Väter des<br />
Grundgesetzes war <strong>die</strong> Eigenstaatli<strong>ch</strong>keit der SBZ eine illegitime<br />
Diktatur, <strong>die</strong> von der Sowjetunion implantiert wurde. Diese<br />
Position bestimmte 1949 <strong>die</strong> Präambel des Grundgesetzes mit der<br />
Aufforderung zur Einheit aller Deuts<strong>ch</strong>en in Freiheit.<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tspolitis<strong>ch</strong> ist <strong>die</strong>ser Streit über <strong>die</strong> demokratis<strong>ch</strong>e Legitimität<br />
der DDR no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erledigt. Au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> verteidigt<br />
<strong>die</strong> Linke <strong>die</strong> DDR als ein legitimes sozialistis<strong>ch</strong>es Experiment. So<br />
heißt es auf ihrer Website: „Die Gründung der Deuts<strong>ch</strong>en Demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Republik war der legitime Versu<strong>ch</strong>, na<strong>ch</strong> dem alliierten<br />
Sieg über Nazi-Deuts<strong>ch</strong>land ein Wiedererstarken sozialer Antriebskräfte<br />
des Nationalsozialismus zu verhindern – Sti<strong>ch</strong>worte<br />
hierfür sind <strong>die</strong> Bodenreform und <strong>die</strong> Zers<strong>ch</strong>lagung des Großkapitals<br />
– und einen sozialistis<strong>ch</strong>en Staat auf deuts<strong>ch</strong>em Boden<br />
aufzubauen.“ 14 Bodo Ramelow betont: „Zuerst muss prinzipiell<br />
festgestellt werden, dass <strong>die</strong> DDR ein souveräner Staat in der<br />
Völkergemeins<strong>ch</strong>aft war.“ 15 Dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Kombination der beiden<br />
Argumente, es war na<strong>ch</strong> 1945 legitim, einen sozialistis<strong>ch</strong>en<br />
Neuanfang in der SBZ zu gestalten und der völkerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Anerkennung der DDR im Rahmen des KSZE-Prozesses, wird <strong>die</strong><br />
Existenz <strong>die</strong>ses Staates dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Linke weiterhin legitimiert und<br />
damit <strong>die</strong> Frage ignoriert, ob <strong>die</strong> Deuts<strong>ch</strong>en <strong>die</strong> dauerhafte Teilung<br />
ihres Landes wollten. Die These von der Legitimität der DDR<br />
blendet ganz konsequent <strong>die</strong> diktatoris<strong>ch</strong>e Staatsordnung ebenso<br />
wie ihre mangelnde demokratis<strong>ch</strong>e Legitimation aus. Solange <strong>die</strong><br />
Linke ni<strong>ch</strong>t eindeutig <strong>die</strong> Traditionslinie zur SED-Diktatur gekappt<br />
hat, bleibt sie im Zwieli<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>er <strong>Politik</strong> und<br />
<strong>Linksextremismus</strong>.<br />
14 www.<strong>die</strong>-linke.de<br />
15 Interview der Südthüringis<strong>ch</strong>en Zeitung mit Bodo Ramelow vom 26. Februar 2009.
Im aktuellen Kampf gegen den „Neoliberalismus“ hielten <strong>die</strong><br />
Programmatis<strong>ch</strong>en Eckpunkte von PDS und WASG vom Oktober<br />
2006 einen weiteren s<strong>ch</strong>merzhaften weltpolitis<strong>ch</strong>en Verlust fest:<br />
den Zusammenbru<strong>ch</strong> der Sowjetunion. Mit ihr entfiel das größte<br />
Gegengewi<strong>ch</strong>t zur westli<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>afts- und Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung.<br />
Infolge dessen „konnten si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> zerstöreris<strong>ch</strong>en Tendenzen<br />
des ungehemmten kapitalistis<strong>ch</strong>en Marktes immer mehr<br />
entfalten.“ 16<br />
Selbst <strong>die</strong> Abkehr vom Stalinismus ist ni<strong>ch</strong>t allgemeiner Konsens<br />
in der Partei. Au<strong>ch</strong> in <strong>die</strong>ser S<strong>ch</strong>lüsselfrage für <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit<br />
der Partei bietet sie ein ambivalentes Bild. So behauptet<br />
Sahra Wagenkne<strong>ch</strong>t, Vorstandsmitglied und Repräsentantin der<br />
Kommunistis<strong>ch</strong>en Plattform (KPF), <strong>die</strong> <strong>Politik</strong> Stalins habe „ni<strong>ch</strong>t<br />
Niedergang und Verwesung, sondern <strong>die</strong> Entwicklung eines um<br />
Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großma<strong>ch</strong>t<br />
während eines weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> einzigartigen Zeitraumes“<br />
bewirkt. 17 Die KPF spri<strong>ch</strong>t mit ihren ideologis<strong>ch</strong>en Vorstellungen<br />
vor allem <strong>die</strong> überalterte, in DDR-Nostalgie verhaftete Parteibasis<br />
im Osten an und sie versteht si<strong>ch</strong> als kommunistis<strong>ch</strong>es Korrektiv.<br />
Innerhalb der Partei wirkt sie Reformbestrebungen entgegen, <strong>die</strong><br />
sie als „Anpassung“ oder „Sozialdemokratisierung“ brandmarkt.<br />
Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistis<strong>ch</strong>-leninistis<strong>ch</strong>en<br />
Gedankenguts ist ihr wesentli<strong>ch</strong>es Anliegen. Zuglei<strong>ch</strong> bildet<br />
sie <strong>die</strong> innerparteili<strong>ch</strong>e Brücke in der Linken zur DKP und den<br />
„Sozialrevolutionären“ aus den westli<strong>ch</strong>en Landesverbänden der<br />
Linken.<br />
V. Die Strömungspartei und der <strong>Linksextremismus</strong><br />
In der SED herrs<strong>ch</strong>te eine von der Führung vorgegebene politis<strong>ch</strong>e<br />
Linie, <strong>die</strong> mit Spra<strong>ch</strong>lenkung und Zensur dur<strong>ch</strong>gesetzt wurde.<br />
Sol<strong>ch</strong> eine Weltans<strong>ch</strong>auungspartei ist <strong>die</strong> Linke ni<strong>ch</strong>t mehr, sie<br />
kennt und praktiziert sozialistis<strong>ch</strong>en Pluralismus und innerparteili<strong>ch</strong>e<br />
Debatten. Ma<strong>ch</strong>terwerb strebt sie dur<strong>ch</strong> Wahlen an. Im<br />
16 Programmatis<strong>ch</strong>e Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deuts<strong>ch</strong>land, in: Gründungsdokumente<br />
der Partei DIE LINKE, Sonderdruck der Zeitung Neues Deuts<strong>ch</strong>land, o.J., S. 3.<br />
17 Zitiert na<strong>ch</strong> Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das S<strong>ch</strong>önreden der SED-Diktatur,<br />
Berlin 2007, S. 54.
Vordergrund steht eine Integration mögli<strong>ch</strong>st vieler Sozialisten<br />
in <strong>die</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en innerparteili<strong>ch</strong>en Strömungen. Sie su<strong>ch</strong>t<br />
Bündnisse mit anderen linken Kräften, zu denen au<strong>ch</strong> Linksextremisten<br />
zählen, namentli<strong>ch</strong> in außerparlamentaris<strong>ch</strong>en Aktionen,<br />
ohne dabei einen ideologis<strong>ch</strong> begründeten Führungsanspru<strong>ch</strong><br />
zu erheben. Die Bündnisse entstehen auf der Basis konkreter<br />
politis<strong>ch</strong>er Zielsetzungen, <strong>die</strong> inhaltli<strong>ch</strong>e Debatten und theoretis<strong>ch</strong>en<br />
Streit unter den Bündnispartnern zulassen. Diese Taktik<br />
sozialistis<strong>ch</strong>er Integration verfolgte <strong>die</strong> PDS bereits seit 1990, als<br />
sie gezwungen war, an der ersten gesamtdeuts<strong>ch</strong>en Bundestagswahl<br />
teilzunehmen. Es ging der Partei darum, in der alten Bundesrepublik<br />
Kandidaten für ihre offene Liste zu <strong>die</strong>ser Wahl zu<br />
finden. Damals nutzte sie Mitglieder der DKP und ihrer früheren<br />
Vorfeld- und Nebenorganisationen als Brücke zur westdeuts<strong>ch</strong>en<br />
Linken. Parteiwe<strong>ch</strong>sler wie zum Beispiel der heutige Bundestagsabgeordnete<br />
Wolfgang Gehrcke spielen bis heute beim Aufbau<br />
der Parteiorganisation in Westdeuts<strong>ch</strong>land eine tragende Rolle.<br />
Da <strong>die</strong> PDS im Gegensatz zur DKP ihre leninistis<strong>ch</strong>e Parteikonzeption<br />
aufgeben musste, war das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en beiden<br />
Parteien eher spannungsgeladen. Unbes<strong>ch</strong>adet <strong>die</strong>ser Differenzen<br />
kandi<strong>die</strong>rten DKP-Mitglieder bis heute auf den Listen der PDS bei<br />
Wahlen. Trotz des angespannten Ver hältnisses zwis<strong>ch</strong>en PDS und<br />
DKP konnten 2005 mit Reinhard Püs<strong>ch</strong>el in Baden-Württemberg,<br />
Walter Listl in Bayern, A<strong>ch</strong>im Bigus in Niedersa<strong>ch</strong>sen, Raja<br />
Bernhardt in Nordrhein-Westfalen sowie Iris Kala und Leo Mayer<br />
in Sa<strong>ch</strong>sen glei<strong>ch</strong> se<strong>ch</strong>s aktive DKP-Mitglieder auf dem Ticket der<br />
Linkspartei.PDS für <strong>die</strong> Bundestagswahl kandi<strong>die</strong>ren – wenn au<strong>ch</strong><br />
auf aussi<strong>ch</strong>tlosen Listenplätzen.<br />
Ein Beispiel für <strong>die</strong> Integration von Funktionären aus den Vorfeldorganisationen<br />
der DKP ist <strong>die</strong> Karriere von Willi van Ooyen. Er<br />
gehörte zur Vorbereitungsgruppe für den „Weltkongress der<br />
Friedenskräfte” 1973 in Moskau, kurz darauf wurde er Mitglied<br />
des 1974 in Bonn gegründeten und von der DKP/DFU gesteuerten<br />
„Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit” (KO-<br />
FAZ). Als Ges<strong>ch</strong>äftsführer des „Ostermars<strong>ch</strong>büros” in Frankfurt<br />
am Main koordinierte er <strong>die</strong> alljährli<strong>ch</strong>en Ostermärs<strong>ch</strong>e in der<br />
Bundesrepublik. 1976 wurde er Landesges<strong>ch</strong>äftsführer der DFU
in Hessen, 1984 übernahm er das Amt des DFU-Bundesges<strong>ch</strong>äftsführers.<br />
Als Spitzenkandidat der Partei „Die Linke” wurde er im Januar<br />
2008 in den Hessis<strong>ch</strong>en Landtag gewählt, wo er das Amt des<br />
Fraktionsvorsitzen den ihrer Landtagsfraktion übernahm. Das ist<br />
aber ni<strong>ch</strong>t seine einzige Funktion. Van Ooyen ist zuglei<strong>ch</strong> Spre<strong>ch</strong>er<br />
des „Bun desauss<strong>ch</strong>usses Friedensrats<strong>ch</strong>lag” in Kassel. Diese<br />
laut hessis<strong>ch</strong>em Verfassungss<strong>ch</strong>utzberi<strong>ch</strong>t als „linksextremistis<strong>ch</strong><br />
beeinflusste” Organisation ist 1996 aus dem von der DKP an<br />
der Universität Kassel gegründeten „Arbeitsauss<strong>ch</strong>uss Friedensrats<strong>ch</strong>lag”<br />
(AfriRa) hervorgegangen und bemüht si<strong>ch</strong>, <strong>die</strong> friedenspolitis<strong>ch</strong>en<br />
Aktivitäten von DKP und PDS bzw. „Die Linke”<br />
außerparlamentaris<strong>ch</strong> zusammenzuführen.<br />
Ironie der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Van Ooyen ist wie Gehrke nunmehr auf<br />
dem Ticket der Linkspartei dort angekommen, wo sie als DKP/<br />
DFU-Funktionäre vor 1989 niemals hingekom men wären – in <strong>die</strong><br />
deuts<strong>ch</strong>en Parlamente.<br />
VI. Alter Wein in neuen S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>en?<br />
1989 war eine Zeitenwende für alle Kommunisten und Sozialisten<br />
in Europa. Der DDR-S<strong>ch</strong>riftsteller Stefan Heym prägte für <strong>die</strong>se<br />
Zäsur den Satz: Stalin verlässt den Raum! Der kommunistis<strong>ch</strong>e<br />
Gegenentwurf zur Marktwirts<strong>ch</strong>aft und parlamentaris<strong>ch</strong>en Demokratie<br />
bra<strong>ch</strong> mit dem sowjetis<strong>ch</strong>en Imperium zusammen. Die<br />
deuts<strong>ch</strong>e Einheit beendete <strong>die</strong> Existenz des SED-Staates. Im Denken<br />
von Kommunisten eine Niederlage von historis<strong>ch</strong>em Ausmaß.<br />
Um auf <strong>die</strong> Metapher <strong>die</strong>ses Referats zurückzukommen: 1989<br />
war der S<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong> SED vers<strong>ch</strong>lissen. Der alte Wein, ihre Mitglieder,<br />
versickerte in dem Maße wie ihre totalitäre Ma<strong>ch</strong>t verging. Ein<br />
neuer S<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong> für den verbliebenen Wein musste s<strong>ch</strong>nell gefunden<br />
werden, um <strong>die</strong> Partei als Organisation zu retten. Die PDS<br />
war der neue S<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong>, aber der gerettete Wein Marke „Moskauer<br />
Lage“ musste seinen Charakter ändern. Die Rebstöcke auf dem
ols<strong>ch</strong>ewistis<strong>ch</strong>en Weinberg waren dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Entwicklung in der<br />
Sowjetunion verdorrt. Die in der Linken gepflegte Solidarität mit<br />
Kuba und dem zeitgenössis<strong>ch</strong>en lateinamerikanis<strong>ch</strong>en Sozialismus<br />
sind kein adäquater Ersatz. Der bols<strong>ch</strong>ewistis<strong>ch</strong>e Weingeist aus<br />
SED-Beständen musste na<strong>ch</strong> 1989 mit anderen Rebsorten angerei<strong>ch</strong>ert<br />
werden und neu gären, damit verlor er viel von seinem<br />
ursprüngli<strong>ch</strong>en totalitären Charakter. Der Gärungsprozess ist no<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t abges<strong>ch</strong>lossen. Bezogen auf das Urteil über <strong>die</strong> Partei Die<br />
Linke heißt das:<br />
• ihre Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te begann mit der Transformation der SED in<br />
eine sozialistis<strong>ch</strong>e Strömungspartei 1989, faktis<strong>ch</strong> blieb sie bis<br />
2005 eine ostdeuts<strong>ch</strong>e Regionalpartei;<br />
• erst dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Fusion mit der WASG wurde <strong>die</strong> PDS knapp 17<br />
Jahre na<strong>ch</strong> der Einheit zur gesamtdeuts<strong>ch</strong>en Partei. In der<br />
Partei mis<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> nun <strong>die</strong> Tradition der DDR-Staatspartei, in<br />
der in den Kategorien des Ma<strong>ch</strong>terwerbs und der Übernahme<br />
staatli<strong>ch</strong>er Verantwortung geda<strong>ch</strong>te wurde, mit der der Gewerks<strong>ch</strong>aften<br />
und den außerparlamentaris<strong>ch</strong>en Bewegungen<br />
der alten Bundesrepublik;<br />
• der Bru<strong>ch</strong> der PDS mit dem Stalinismus bezog si<strong>ch</strong> auf <strong>die</strong> repressive<br />
Praxis der Diktatur, ni<strong>ch</strong>t auf <strong>die</strong> ideologis<strong>ch</strong>en Grundlagen.<br />
Karl Marx, Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci, selbst<br />
Wladimir I. Lenin zählen weiterhin zu den Säulenheiligen;<br />
• das Festhalten an der Legitimität der DDR als zweiter deuts<strong>ch</strong>er<br />
Staat ist lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> für viele Staatsbürger der<br />
DDR, erst re<strong>ch</strong>t für ihre ehemaligen Funktionseliten, verständli<strong>ch</strong>.<br />
Sie wollen keinem „Unre<strong>ch</strong>tsstaat“ ge<strong>die</strong>nt haben,<br />
denno<strong>ch</strong> ändert es ni<strong>ch</strong>ts an der historis<strong>ch</strong>en Illegitimität der<br />
DDR als deuts<strong>ch</strong>er Staat. Sie war eine S<strong>ch</strong>öpfung der sowjetis<strong>ch</strong>en<br />
Besatzungsma<strong>ch</strong>t ohne innere Legitimierung dur<strong>ch</strong> ihre<br />
Bürger, sie war <strong>die</strong> zweite Diktatur in Deuts<strong>ch</strong>land;<br />
• das Festhalten der Linken an den Klassikern der kommunistis<strong>ch</strong>en<br />
Bewegung und <strong>die</strong> Verteidigung der Staatsordnung der<br />
DDR begründen Zweifel an der Loyalität der Partei zur demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Grundordnung der Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land;
• als sozialistis<strong>ch</strong>e Partei ist <strong>die</strong> Eigentumsfrage für <strong>die</strong> Linke<br />
eine Ma<strong>ch</strong>tfrage und damit eine des gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Kräfteverhältnisses,<br />
dass dur<strong>ch</strong> Gegenma<strong>ch</strong>t der Partei und ihrer<br />
Verbündeten verändert werden kann;<br />
• <strong>die</strong> Linke als eine sozialistis<strong>ch</strong>e Strömungspartei – das war <strong>die</strong><br />
SED ni<strong>ch</strong>t – praktiziert innerparteili<strong>ch</strong> und in ihrer Bündnispolitik<br />
einen sozialistis<strong>ch</strong>en Pluralismus der au<strong>ch</strong> linksextremistis<strong>ch</strong>e<br />
Gruppierungen einbezieht;<br />
• in der Kommunalpolitik vor allem in den ostdeuts<strong>ch</strong>en Ländern<br />
übernimmt Die Linke ganz selbstverständli<strong>ch</strong> Verantwortung<br />
in den Städten und Gemeinden.<br />
Seit 1990 agiert <strong>die</strong> PDS/Die Linke vornehmli<strong>ch</strong> als parlamentaris<strong>ch</strong>e<br />
Partei, was außerparlamentaris<strong>ch</strong>e Aktionen ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließt.<br />
Aber <strong>die</strong> Zeit, als <strong>die</strong> PDS in kommunistis<strong>ch</strong>er Tradition<br />
darüber diskutierte, ob der Weg zur Ma<strong>ch</strong>t über Wahlen oder<br />
außerparlamentaris<strong>ch</strong>e Aktionen führen soll, liegen s<strong>ch</strong>on eine<br />
Weile zurück. Es s<strong>ch</strong>eint, als habe si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Partei mit dem demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Re<strong>ch</strong>tsstaat Bundesrepublik arrangiert und strebt<br />
ihre Integration in den demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsbogen an. In<br />
ihrem Selbstverständnis aber bedeutet <strong>die</strong> Anerkennung der demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Spielregeln keinen Verzi<strong>ch</strong>t auf einen neuen Anlauf<br />
zum Sozialismus. Solange unzweifelhaft <strong>die</strong> totalitäre Ideologie<br />
des Kommunismus innerhalb der Linken weiter tra<strong>die</strong>rt wird, so<br />
bleibt der demokratis<strong>ch</strong>e Charakter der Partei ambivalent, zumal<br />
sie den antitotalitären Konsens des Grundgesetzes ablehnt und<br />
dur<strong>ch</strong> einen antifas<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>en Konsens ersetzt wissen will.
Zu den Autoren:<br />
Uwe S<strong>ch</strong>ünemann<br />
Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>er Minister für Inneres, Sport und Integration<br />
Dr. Rudolf van Hüllen<br />
Jahrgang 1957, na<strong>ch</strong> Tätigkeiten in der politis<strong>ch</strong>en Bildung vor<br />
allem im Berei<strong>ch</strong> der Bundeswehr 1987 - 2006 Referent / Referatsleiter<br />
beim Bundesamt für Verfassungss<strong>ch</strong>utz in Köln. Derzeit<br />
freiberufli<strong>ch</strong>e Tätigkeit als Fors<strong>ch</strong>er und Dozent zu Fragen des<br />
Re<strong>ch</strong>ts- und <strong>Linksextremismus</strong>. Zahlrei<strong>ch</strong>e Veröffentli<strong>ch</strong>ungen<br />
zum Links- und Re<strong>ch</strong>tsextremismus.<br />
Prof. Dr. Hans-Gerd Jas<strong>ch</strong>ke<br />
Jahrgang 1952, von 2002 bis 2007 Leiter des FB Re<strong>ch</strong>ts- und Sozialwissens<strong>ch</strong>aften<br />
an der Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule der Polizei Münster-Hiltrup.<br />
2008 Rückkehr an <strong>die</strong> Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Wirts<strong>ch</strong>aft und Re<strong>ch</strong>t Berlin.<br />
Er hat zahlrei<strong>ch</strong>e Bü<strong>ch</strong>er zum politis<strong>ch</strong>en Extremismus, Re<strong>ch</strong>tsextremismus<br />
sowie Polizei- und Si<strong>ch</strong>erheitsmagement veröffentli<strong>ch</strong>t.<br />
Prof. Dr. Christoph Kleßmann<br />
Jahrgang 1938,1977 bis 1992 Professor für Zeitges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te an der<br />
Universität Bielefeld, seit 1993 an der Universität Potsdam. Von<br />
1996 bis 2004 Direktor des Zentrums für Zeithistoris<strong>ch</strong>e Fos<strong>ch</strong>ung,<br />
Potsdam. Arbeitss<strong>ch</strong>werpunkte in Fors<strong>ch</strong>ung und Lehre: deuts<strong>ch</strong>e<br />
und polnis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des 20. Jahrhunderts, insbesondere der<br />
NS-Zeit, der Bundesrepublik und der DDR.<br />
Prof. Dr. Ri<strong>ch</strong>ard Stöss<br />
Jahrgang 1944, seit 1996 Mitglied des Fa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>s Politis<strong>ch</strong>e Wissens<strong>ch</strong>aft<br />
(inzwis<strong>ch</strong>en: <strong>Politik</strong>- und Sozialwissens<strong>ch</strong>aften) der FU<br />
Berlin; Ges<strong>ch</strong>äftsführer des Otto-Stammer-Zentrums - Arbeitsstelle<br />
für Empiris<strong>ch</strong>e Politis<strong>ch</strong>e Soziologie. Professor für <strong>Politik</strong>wissens<strong>ch</strong>aften.<br />
Zahlrei<strong>ch</strong>e Veröffentli<strong>ch</strong>ungen zum Re<strong>ch</strong>tsextremismus<br />
und zur Parteiendemokratie.
Wolfgang Templin<br />
Jahrgang 1948, 1983 Austritt aus der SED, Berufsverbot als Philosoph<br />
und Bibliothekar, 1988 Verhaftung wegen landesverräteris<strong>ch</strong>er<br />
Agententätigkeit, erzwungene Ausreise mit Familie in <strong>die</strong><br />
Bundesrepublik, Mitbegründer der Partei Bündnis 90. Seit 1996<br />
freiberufli<strong>ch</strong>e Tätigkeit als Publizist und in der politis<strong>ch</strong>en Erwa<strong>ch</strong>senenbildung,<br />
Publikationen zur DDR-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, zum deuts<strong>ch</strong>en<br />
Vereinigungsprozess und zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Osteuropas.<br />
Prof. Dr. Manfred Wilke<br />
Jahrgang 1941, Soziologe, Zeithistoriker und Publizist. Bis 2006<br />
war er Professor für Soziologie an der Fa<strong>ch</strong>ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Wirts<strong>ch</strong>aft<br />
in Berlin und einer der beiden Leiter des Fors<strong>ch</strong>ungsverbundes<br />
SED-Staat an der Freien Universität Berlin, zu dessen Gründern<br />
er zählt. Fors<strong>ch</strong>ungss<strong>ch</strong>werpunkte sind u.a. <strong>die</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
des Kommunismus und der SED-Herrs<strong>ch</strong>aft sowie <strong>die</strong> Erfors<strong>ch</strong>ung<br />
von Opposition und Widerstand im „realen Sozialismus“. Veröffentli<strong>ch</strong>ungen<br />
zur DDR-, Parteien- und Gewerks<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
von links na<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ts:<br />
Günter Heiß, Prof. Dr. Manfred Wilke, Wolfgang Templin, Dr. Rudolf van Hüllen,<br />
Prof. Dr. Christoph Kleßmann, Prof. Dr. Ri<strong>ch</strong>ard Stöss, Prof. Dr. Hans-Gerd Jas<strong>ch</strong>ke
Herausgeber:<br />
Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>es Ministerium<br />
für Inneres, Sport und Integration<br />
Niedersä<strong>ch</strong>sis<strong>ch</strong>e Extremismus-<br />
Informations-Stelle - NEIS<br />
- Verfassungss<strong>ch</strong>utz -<br />
Postfa<strong>ch</strong> 44 20<br />
30044 Hannover<br />
Telefon:0511 / 6709-217<br />
Telefax: 0511 / 6709-380<br />
E-Mail: oeffentli<strong>ch</strong>keitsarbeit@<br />
abt6.mi.niedersa<strong>ch</strong>sen.de