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Azur Grau - Journalisten Akademie

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„DEN WATTVIRUS WERDE<br />

ICH NIE WIEDER LOS –<br />

WILL ICH AUCH GAR NICHT“<br />

Natur und der Notwendigkeit ihres<br />

Schutzes. Sie schrillen dem 17 Jahre alten Schüler wie Sirenen<br />

in den Ohren. Er speichert die Sätze ab, um sie Jahrzehnte später<br />

wieder abzurufen, sie sich anzueignen. Diese Liebe zwischen<br />

Mann und Watt war keine auf den ersten Blick, sagt seine Frau<br />

Gineke, er hat sie sich erarbeitet. Und die Vögel, die zwölf<br />

Millionen Zugvögel, die am Watt rasten, die er Tag für Tag beobachtet,<br />

von deren Vielfältigkeit er schwärmt, was ist damit?<br />

„Er weiß da nicht viel drüber, gut, inzwischen ja, aber er hat es<br />

nur nach und nach lieben gelernt.“ Wattvirus nennt Jens<br />

Enemark es selbst.<br />

Infiziert seit Mitte der Siebziger. Das Schlüsselerlebnis: der<br />

Sommerurlaub auf Schiermonnikoog. Der weitere Verlauf entwickelt<br />

sich aus dem Zufall. Nach dem Politikstudium arbeitet<br />

er erst als Lehrer, sucht einen Job in Holland. Er landet bei der<br />

Raumplanung für Provinzen, Abteilung: Wattenmeer. 1987 wurde<br />

das Wattenmeersekretariat gegründet, Enemark wurde Chef.<br />

Mehrmals ist er seitdem in Konsensentscheidungen von allen<br />

drei Ländern bestätigt worden. Weil er in die Köpfe der Dänen,<br />

Niederländer und Deutschen gucken kann, weil er weiß, wie die<br />

Uhren in allen Ländern ticken, sagt Hubertus Hebbelmann von<br />

der deutschen Delegation. Codewort: Trilaterale Figur. 1991<br />

dann das trilaterale Projekt. Seitdem hat Enemark sein Herz an<br />

diesen Landstrich verloren. Seitdem arbeiten die Regierungen<br />

auf die Auszeichnung hin, eine Art Gütesiegel, das extraordinäre,<br />

besonders erhaltenswerte Landstriche bekommen.<br />

Sie schreiben Dokumente und Briefe, studieren Gutachten,<br />

sprechen mit Schiffern, Fischern, Landwirten, Naturschützern,<br />

vor allem mit all denen, die das Projekt von Anfang an in der<br />

Luft zerrissen haben. „Ein zäher Kampf“, „ein langer Weg der<br />

Überzeugungsarbeit“, bilanzieren Mitarbeiter aus den Nationalparkverwaltungen<br />

und Umweltministerien, all jene, die Enemark<br />

2005Wattenmeerkonferenz im niederländischen<br />

Schiermoonikoog: Dänemark<br />

klinkt sich aus, erst soll geprüft<br />

werden, ob das Wattenmeer Nationalpark<br />

wird. Die Niederlande und Deutschland<br />

gründen eine Arbeitsgruppe, die vom<br />

Wattenmeersekretariat koordiniert wird.<br />

2007Der<br />

Landtag von<br />

Schleswig-Holstein<br />

stimmt für das<br />

Welterbe. Damit<br />

stehen überall die<br />

Zeichen auf Grün.<br />

18 Jahre lang auf dem Laufenden hielten. „Nur weil wir<br />

alle an einem Strang zogen, hatte dieses Projekt eine<br />

Chance“, resümiert Enemark. Er versöhnte nicht, er vermittelte.<br />

Eine privilegierte Rolle, wie er sagt. Eine, die<br />

ihn nur selten zum Volk brachte, wenn aber doch, vergaß<br />

er die Situationen, die Stimmung nicht. Zum<br />

Beispiel diese: Bürgerdiskussion in Husum, 2001.<br />

Schwarze Letter auf einem weißen Plakat: „Ein Erbe<br />

muss man nicht annehmen.“ Heute, sagt er, ist diese<br />

Skepsis der Menschen mehr dem Stolz gewichen.<br />

Dänemark hält sich bislang aus der Bewerbung<br />

heraus, das Land kann dem Naturerbe-Projekt aber<br />

später noch beitreten. So haben nur die Niederlande<br />

und Deutschland unter Vorsitz des Bundesumweltministeriums<br />

den Nominierungsantrag ausgearbeitet<br />

und im Januar 2008 die Aufnahme beantragt.<br />

Enemark hielt im Wattenmeersekretariat in<br />

Wilhelmshaven die Fäden zusammen. „Hätte es diese<br />

Zusammenarbeit nicht schon gegeben, dann wäre<br />

die Anerkennung nicht so schnell verlaufen, dann<br />

hätte erst ein gemeinsames Management geschaffen<br />

werden müssen“, sagt Hubertus Hebbelmann vom Umweltministerium<br />

in Niedersachsen.<br />

Ein paar Monate vor der Entscheidung sind die Befürworter<br />

optimistisch. Jens Enemark, der Ehrgeizige. Man sieht ihm diese<br />

Liebe, diese Leidenschaft nicht an, wenn er in seinem Büro<br />

am Konferenztisch sitzt. Aber man spürt, wie er nach und nach<br />

in sie eintaucht, wenn er, eingehüllt in eine blaue, dicke<br />

Daunenjacke, am Deich entlanggeht. Nein, er geht nicht, er hastet,<br />

stoppt, hastet, stoppt. Es ist der Enemark-Expeditionsgang.<br />

Die Kälte flirrt, der Himmel ist fast bis zur Erde getaucht, verschwimmt<br />

mit Dunst und Watt in grauen Tönen. Dangast, eine<br />

700-Seelen-Gemeinde am Jadebusen, an einem Regentag im<br />

März.<br />

Es ist ein halbes Jahr her, dass er hier war, im September, zusammen<br />

mit Pedro Manuel Rosabal, einem Vertreter der Internationalen<br />

Naturschutzunion. Im Sommer, wenn das Unesco-<br />

Komitee in Sevilla entscheidet, ob es den Titel verleiht, orientiert<br />

es sich vor allem an dessen Votum. Eine Reise an mehr als<br />

30 Orte an elf Tagen. Spiekeroog, Neuharlingersiel, Groningen,<br />

Ameland, Lauwersoog, Terschelling, Texel, Tönning, Halligen<br />

bis nach Dagebüll, das an die Grenze zum Süden von Skandinavien<br />

kratzt, dann nach Dangast.<br />

„Da“, flüstert Enemark, „die ersten Vögel aus Afrika.“ Erst ist<br />

es Euphorie, Erklär-Ton folgt: Das Watt ist ihr Lebenselixier. Der<br />

Knutt zum Beispiel. 140 Gramm wiegt er, wenn er die Nordsee<br />

erreicht, dann frisst er sich die Hälfte seines Gewichts im Laufe<br />

von vier Wochen an, fliegt gestärkt weiter. Unglaublich, einmalig.<br />

Enemark schaut durch sein Fernglas. In Dangast gibt es<br />

keine Dünen, es ist einer der wenigen Orte am Festland, an dem<br />

es keinen Schutzdeich gibt. Und einer der vielen, an denen die<br />

Erinnerung kommt. An die kleinste Wattenmeerinsel der<br />

Niederlande, an den Sommerurlaub vor 34 Jahren. Leise spricht<br />

der Däne: Sie werden beitreten, ganz gewiss. Sonja Hartwig<br />

2008 Die Niederlande und<br />

Deutschland beantragen im Januar<br />

die Aufnahme in die Unesco-Liste.<br />

Hamburg springt in letzter Minute<br />

ab. Der Grund: Die Elbvertiefung ist<br />

noch nicht abgesichert. Der Senat<br />

befürchtet Verzögerungen.<br />

2009Mehr als 35 Experten prüfen<br />

die Bewerbung. Im Juni entscheidet<br />

die Kommission in Sevilla. Im Fall<br />

einer Anerkennung wäre das Wattenmeer<br />

das zweite Weltnaturerbe in<br />

Deutschland. Weiterer Titelträger: die<br />

Grube Messel bei Darmstadt.

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