Lebenswandel Friesland mal anders. Statt Teezeit, Meer und Ferienhäusern hat Hohenkirchen Kaffeeautomaten, einen künstlichen See und Einheitshotels 1.600EINWOHNER 19.000TOURISTEN 70.000GEPLANTE ÜBERNACHTUNGEN 2009 Das „Dorf Wangerland“ von oben: Auch die graue Fläche wird noch zum See
FOTOS: GEMEINDE WANGERLAND (1) / DORF WANGERLAND (4) Dick knallen einem die weißen Buchstaben auf rotem Grund entgegen: „KiK“ steht auf mehreren Fahnen an der Straße. Daneben der Lebensmitteldiscounter „Aldi“, eine kleine Verbindungsstraße trennt den Markt von „Lidl“. Es sieht aus wie in vielen Orten. Die Märkte liegen etwas außerhalb des Dorfkerns, doch hier in Hohenkirchen in der Gemeinde Wangerland ist genau dieses Gebiet außerhalb des Dorfkerns ein Ferienparadies. Gegenüber den Discountern liegt das „Dorf Wangerland“ – eine Clubwelt, die vor allem junge Familien anlocken will. Hier sind Billigläden nicht nötig. In der Anlage wird man rundum versorgt. Das Zentrum bildet ein Restaurant. An der Wand hängen Sockel, auf denen glitzernde Porzellanelefanten thronen. Überall stehen Automaten für Kaffee oder Cola, und es ist reichlich Platz fürs Buffet. Hier heißt es zuschlagen, vorausgesetzt, man hat ein Bändchen am Arm und kann sich so als „Clubmitglied“ ausweisen. Urlaub in Friesland, das sind: Krabbenbrötchen, Leuchttürme und Meer. In Hohenkirchen ist das anders. Hier gibt es Kasernengebäude, ein Fonduerestaurant und statt des offenen Meeres einen See. Das Konzept des Clubs ist einfach: ein Preis, alles drin. Bereits in der ersten Saison gab es 45.000 Übernachtungen. Dass es soweit kam, ist vor allem einem zu verdanken: „Niemand sah die enorme Chance“, sagt Altbürgermeister Joachim Gramberger aus der Gemeinde Wangerland. Niemand, außer ihm. „Was hier entstanden ist, ist etwas Einmaliges zwischen Ems und Weser“, sagt er über das Projekt. Kegeln, Billard oder Kino, wann immer man will. Der Park biete alles, was man sich vorstellen kann, meint Gramberger, als sei es sein Konzept, das er verkaufen muss. Auch den Einfallsreichtum des niederländischen Betreibers verteidigt er. Neben der Kneipe gibt es eine Ruhezone, entstanden aus einem ausgedienten Orientexpress. Ein Raum weiter ein Pub, wie man ihn in London sieht, in einer anderen Ecke eine Bibliothek mit zugestaubten Büchern. Der Club hat Mitarbeiter, die weltweit genau nach solchen Stücken suchen, um sie im Park wieder zu neuem Leben zu erwecken. „Man muss es ja nicht alles direkt lieben, aber es ist einfach interessant“, meint Gramberger. Die Hotelgebäude stehen in einer Reihe am Wasser, eine Halle mit einer überdachten Kirmes liegt gegenüber. Vor dem Fonduerestaurant, das etwas abseits ist, stehen nachgebildete alte Fässer und große Blumenkrüge. Der ganze Club wirkt wie eine Kulisse, die für einen Hollywoodfilm dienen könnte. Was für ein Film das wäre, ist aber nicht klar. Links sieht es aus wie für einen Western gemacht, weiter hinten könnte es auch ein Kinderfilm werden. Was heute Hotel ist, war früher Kaserne: 2003 sind hier die letzten Soldaten abgezogen. Über 30 Jahre waren sie Teil der Gemeinde, waren Mitglieder in Ortsvereinen, sie gehörten dazu: „Nach 16 Uhr war hier im Ort die Hölle los“, erinnert sich der heutige Bürgermeister Harald Hinrichs. Wenn in der Kaserne Dienstschluss war, gingen die Soldaten einkaufen, bereicherten durch ihre Anwesenheit das Dorfbild und brachten auch das Geld in die Kassen. „Es galt, die Wirtschaftskraft, die zuvor von der Kaserne ausging, schnellstmöglich wieder herzustellen, um Hohenkirchen zukunftssicher zu machen“, sagt Gramberger. Viele Ideen waren schon gescheitert: ein Wohnpark, ein Industriegebiet. Für Gramberger war klar, es würde schwierig werden, aber unter keinen Umständen sollte das Gelände einfach verwildern. Zeitgleich wurde für einen neuen Deich in der Nähe Klei gesucht, der Boden, aus dem sie hier in Friesland seit Jahrhunderten Deiche bauen – genau hinter der Kaserne gab es reichlich davon. Es würde allerdings ein riesiges Loch geben. Ein Baggersee? Das wär’s. Die ehemalige Kaserne würde enorm aufgewertet, war Gramberger überzeugt. Aus der Bevölkerung bekam er Gegenwind. Niemand mochte so recht verstehen, wieso man nach hunderten Jahren, in denen man versucht hatte, das Wasser vor den Deichen zu halten, nun freiwillig das Wasser zu sich holen wollte. Die Lösung für das Problem wurde eingeflogen: Im Sommer 2003 landete der Niederländer Hennie van de Most mit seinem Hubschrauber auf dem Sportplatz von Hohenkirchen. Er hatte bereits 18 Parks und Clubanlagen in den Niederlanden und Deutschland und konnte sich auch in Hohenkirchen eine Anlage vorstellen. Ein spannender Augenblick für Gramberger. Er wusste: Van de Most ist entweder begeistert, oder man hat eh keine Chance. Gramberger erinnert sich, dass der Niederländer mit hängenden Schultern ausstieg und irgendetwas murmelte. Gramberger sah seine Chancen schwinden. Doch auf einmal änderte sich die Stimmung. Wie wild malte van de Most auf dem Boden und demonstrierte mit Steinen, was er vorhat. Gramberger hatte es also geschafft. Trotzdem war man im Ort zurückhaltend. Anbieter von Fremdenzimmern sahen Konkurrenz, und auch die Handwerker fühlten sich bedroht. Hört man sich heute im Dorf um, trifft man auf Zustimmung. Kurz hinter der Kirche, rund 800 Meter vom „Dorf Wangerland“ entfernt, gibt es einen Bäcker. Er hat vor Kurzem sein Geschäft saniert und erweitert. Wo zuvor nur eine Theke war, gibt es nun auch Sitzplätze für Gäste, und auch hier scheint man vom „Dorf Wangerland“ zu profitieren: „Wenn die Leute aus ihrem Ferien-Ghetto herauskommen, dann wollen sie auch das richtige Friesland kennen lernen“, sagt eine Bedienung. Die Inhaberin des Blumengeschäfts meint: „Mein Urlaub wäre es nicht, aber ich finde es schön, dass es das Dorf Wangerland jetzt gibt, auch wir selbst gehen dort öfter mit unseren Kindern hin.“ Ganz nebenbei hat der Park auch 45 feste Arbeitsplätze geschaffen. So gut wie jeder im Ort war schon mal dort. Schließlich gibt es da eine große Halle zum Feiern, so etwas hatte man vorher nicht. In Hohenkirchen selbst bröckelt an vielen Häusern der Putz, die Fensterläden sind heruntergelassen. Eine breite Straße führt mitten durch den Ort. Das soll sich ändern. Die Gemeinde gibt Geld für Arbeiten am eigenen Haus. Vielleicht wird es bald auch eine idyllische Postkarte aus Hohenkirchen geben. Die breite Straße, bisher den Autos vorbehalten, bekommt jetzt einen Gehweg. Ein Teil davon ist schon fertig – der vom echten Dorf ins „Dorf Wangerland“. Daniel Krawinkel „Man muss es ja nicht alles direkt lieben, aber es ist einfachinteressant“, sagt Gramberger. A Z U R G R A U 3 9