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Azur Grau - Journalisten Akademie

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Lebensgefühl<br />

KRABBENLIEBE<br />

rhard Djurens Bauernhof liegt am Ende einer kleinen<br />

Landstraße in Wremen, kurz vorm Deich. Windböen<br />

zerren an den kahlen Ästen der Bäume, die Luft riecht<br />

nach Salz. Im Schuppen des Fischers scheint die Zeit<br />

stehengeblieben. Im alten Bollerofen knistert ein Feuer.<br />

Drei seiner Hunde haben sich davor zusammengerollt.<br />

Erhard Djuren sitzt auf einem alten Holzstuhl<br />

und webt Weidenzweige um dickere Äste. Reihe um Reihe biegt<br />

er die zarten Zweige wie Draht zurecht, bis ein länglicher Korb<br />

entsteht: eine Reuse. Die braucht er für die kommende Krabbensaison.<br />

Denn Erhard Djuren ist Reusenfischer. In den Sommermonaten<br />

stellt er 20 bis 30 dieser Weidenkörbe im Watt auf. Bei<br />

der nächsten Ebbe verfangen sich darin mehrere Kilogramm<br />

Krabben, Stint und Butt. Wie schon die Fischer vor 200 Jahren<br />

fährt der Wremer von April bis November jeden Tag mit dem<br />

Hundeschlitten ins Watt heraus, um seinen Fang an Land zu<br />

bringen. Er ist der letzte Fischer an der niedersächsischen<br />

Nordseeküste, der diese alte Tradition aufrechterhält.<br />

Als kleiner Junge stand er oft auf dem Deich hinter seinem<br />

Elternhaus. Das Watt erstreckt sich vor ihm bis zum Horizont.<br />

Es ist Mitte der 50er Jahre. Gleich hinter der Grasnarbe des Deichs<br />

fahren die Reusenfischer über einen eingefahrenen Patt mit ih-<br />

8 A Z U R G R A U<br />

rem Hundeschlitten ins Watt. An der Wremer Küste arbeiten<br />

noch 15 Berufsfischer, die ihren Fang wie ihre Vorfahren Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts an Land bringen. Ab und zu nehmen sie<br />

den achtjährigen Erhard im Hundeschlitten mit. Dann sitzt er<br />

vorne in der Holzkiste, in der die Fischer ihren Fang transportieren.<br />

Bellend laufen die Hunde über den weichen Wattboden.<br />

Je weiter es rausgeht, desto tiefer sinkt der Schlitten ein. Der<br />

Schlick spritzt dem Jungen bis ins Gesicht. Für die Kinder der<br />

Fischer war so eine Fahrt mit dem Schlitten alltäglich. Für den<br />

kleinen Erhard, der aus einer Familie von Landwirten kommt,<br />

ist sie etwas Besonderes. „Ich war schon als Kind mit Leidenschaft<br />

dabei“, sagt der heute 62-Jährige über das Reusenfischen.<br />

Im März 2009 sitzt Erhard Djuren in der Küche seines<br />

Bauernhauses und blättert in einem vergilbten Fotoalbum. Die<br />

Kacheln hinter der Anrichte haben ein weiß-blaues Friesenmuster.<br />

An der Wand hängt eine Stickerei – blaue Kreuzstiche<br />

auf weißem Leinen. Die Seidenblätter des Albums rascheln beim<br />

Umblättern. Fotos des zugefrorenen Hafens, Kinder laufen über<br />

das Eis. Eine Seite weiter posiert der junge Erhard vor der<br />

Kamera. Stolz präsentiert er eine selbstgeflochtene Reuse. Bereits<br />

als junger Mann sitzt er im Winter im Schuppen und flicht Weidenkörbe.<br />

Im Sommer zieht er zum Fischen mit dem Schlitten<br />

FOTOS: CARLA NEUHAUS

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