Azur Grau - Journalisten Akademie
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leben müssen Touristen woanders. Wilhelmshaven<br />
setzt auf das Großprojekt<br />
JadeWeserPort. Gunda Ufkes, Leiterin der<br />
Wilhelmshaven Touristik & Freizeit, hofft<br />
durch den Mega-Hafen auf mehr<br />
Touristen: „Industrietourismus hat in den<br />
letzten Jahren sehr zugenommen und<br />
viele Städte setzen darauf“, sagt sie. Die<br />
Gäste seien auf große Dimensionen fixiert,<br />
große Häfen und die riesigen Containerschiffe<br />
würden sicher faszinieren.<br />
Auch die Bauarbeiten locken schon viele<br />
Menschen an. Dort sehen sie hinter<br />
dem Bauzaun gerade die Aufspülarbeiten.<br />
Dabei befördern Schneidkopfsaugbagger<br />
Sand von sogenannten Entnahmebereichen<br />
auf die zukünftige Ha-<br />
HAFEN IN ZAHLEN<br />
fenfläche. Außerdem sind vier Rammeinheiten im Einsatz, die<br />
Tragbohlen in das Wattenmeer rammen. Zu hören ist ein rhythmisches,<br />
metallisch dumpfes Knallen. Zu sehen gibt es wenig.<br />
Ufkes erzählt, dass nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische<br />
die Baustelle besuchen, um zu beobachten, „wie sich<br />
das Gebiet vom Naherholungsgebiet zum größten Tiefseewasserhafen<br />
entwickelt.“ Naherholungsgebiet, das war der<br />
Sandstrand Geniusbank, der dem Hafenbau zum Opfer fiel. Wo<br />
früher Sandburgen mit Kinderschaufeln gebaut wurden, stehen<br />
jetzt die Infobox und Bagger, die nicht aus Plastik sind.<br />
Busfahrer Altmann findet es zwar schade, dass Wilhelmshaven<br />
jetzt keinen Sandstrand mehr hat, schlimm sei das aber nicht.<br />
Dafür gebe es in den umliegenden Ortschaften noch schöne<br />
Strände. Die meisten sind hier froh über den neuen Hafen oder<br />
haben zumindest nicht protestiert – bei rund 82.000 Einwohnern<br />
hat die Bürgerinitiative Antiport nur etwa 300 Mitglieder.<br />
Hans Freese, Ur-Wilhelmshavener, ist einer der Mitbegründer<br />
der kleinen Gegner-Gruppe und trauert um den Geniusstrand.<br />
Der neue Hafen sei unnötig, es gebe bereits große Häfen in Hamburg<br />
und Bremerhaven. Der Strand sei somit ohne Grund zerstört<br />
worden und war vorher ein wichtiger Ort für Touristen<br />
und Einheimische. Die Camper, die vorher auf dem Campingplatz<br />
neben dem Geniusstrand Urlaub machten, sind für die<br />
Region für immer verloren. „Außerdem hatte der Strand auch<br />
noch einen erheblichen Wert für die Menschen aus den umliegenden<br />
Vierteln.“ Er war mit dem Fahrrad erreichbar, kostenlos<br />
und schön zum Baden. Axel Kluth, Geschäftsführer der<br />
JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft, sieht das anders: „Wir<br />
hatten einen Strand, der mitten in der Industriefläche lag. Da<br />
kann man überlegen, ob man das als Tourismusattraktion verkaufen<br />
kann.“<br />
Der Strand ist jetzt dem Hafen gewichen, und der jedenfalls<br />
soll ein Touristenmagnet werden. Wilhelmshaven setze sowieso<br />
nicht auf Naturtourismus, sagt Gunda Ufkes von der Touristik-<br />
Gesellschaft. „Wilhelmshaven ist ein rein städtetouristisches<br />
Ziel und für Touristen aus der ostfriesischen Halbinsel als<br />
Tagesausflugsziel interessant, weil es Gegensätze zum Strand-<br />
Der JadeWeserPort wird Deutschlands<br />
einziger Tiefwasserhafen für die größten<br />
Schiffe der Welt. Diese sind bis zu<br />
430 Metern lang und reichen bis zu<br />
16,50 Metern ins Wasser. Auf so ein<br />
Schiff passen 8.000 Container.<br />
KOSTEN: ca. 950 Mio. Euro<br />
FINANZIERUNG: JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft<br />
(Betreiber Eurogate), Land<br />
Niedersachsen, freie Hansestadt Bremen,<br />
Fremdkapital<br />
BAUBEGINN: 2008<br />
INBETRIEBNAHME: Oktober 2011<br />
FERTIGSTELLUNG: Dezember 2012<br />
FLÄCHE: 290 Hektar<br />
WASSERTIEFE IM TERMINAL: 18 Meter<br />
KAJENLÄNGE: 1.725 Meter<br />
LIEGEPLÄTZE: 4<br />
CONTAINERBRÜCKEN: 16<br />
JAHRESUMSCHLAGSKAPAZITÄT:<br />
2,7 Millionen Container<br />
Lebenswandel<br />
urlaub bietet.“ Der Ausflug zur Baustelle<br />
und zum späteren Hafen wird integriert<br />
ins Touristen-Tages-Programm zwischen<br />
Shopping in der Nordsee-Passage und<br />
dem Besuch im Küstenmuseum. Die<br />
Touristik-Gesellschaft wirbt auf ihrer<br />
Homepage mit dem „Freizeitangebot einer<br />
Metropole“. Wer die Nordseepassage<br />
am Bahnhof besucht, der nur von Regionalzügen<br />
angefahren wird, findet dort<br />
zum Beispiel einen C&A, die Billigkette<br />
Schuhpark und ein Fisch-Bistro. Zwei<br />
Mädchen in Röhrenjeans und Chucks,<br />
die sonntags am Oceanis-Museum vorbeilaufen,<br />
fällt als Highlight der Stadt<br />
die Theaterbar und der Spaziergang am<br />
Strand ein. Den Sand unter den Füßen<br />
gibt es aber nur noch woanders: „Naturtourismus findet man<br />
direkt im umliegenden Friesland“, sagt Ufkes.<br />
Doch auch im Umland kann der ruhesuchende Naturtourist<br />
dem neuen Mega-Port nicht entgehen: „Man wird den Hafen,<br />
wenn er in Betrieb ist, bis Wangerooge runter sehen, drüben in<br />
Budjadingen“, sagt Hafen-Gegner Hans Freese. Der Himmel<br />
hell erleuchtet von den großen Strahlern, die Luft erfüllt von<br />
Abgasen, die Abendstille durchdrungen von Maschinengeräuschen,<br />
das ist sein Szenario. Seine Bürgerinitiative hat gegen<br />
den Hafen geklagt, ihn zwar nicht verhindert, aber einige Kompromisse<br />
für den Naturschutz ausgehandelt. Freese, früher<br />
Marine-Berufssoldat und heute Rentner, glaubt, dass die Stadt<br />
auf das falsche Pferd gesetzt hat: „Man hat den Tourismus sträflich<br />
vernachlässigt.“ Industrie sei immer als die einzige Perspektive<br />
hingestellt worden, laut Freese „eine völlig einseitige Betrachtungsweise<br />
der Gegend und der Möglichkeiten.“ Kurzfristig gedacht,<br />
sagt er. Das Kapital der Landschaft Nordseeküste verspielt.<br />
Unwiderruflich.<br />
Eine große Mehrheit der Bevölkerung sieht im Hafen aber<br />
tatsächlich eine große Chance für die Region. Die versprochenen<br />
Arbeitsplätze sind fast ein Totschlag-Argument bei einer<br />
Arbeitslosenquote von fast 14 Prozent und der ständigen<br />
Abwanderung von jungen Leuten. Hafenbauer Axel Kluth<br />
spricht von circa 1.000 Arbeitsplätzen direkt an der Kaje und<br />
weiteren 1.000 hafenabhängigen Jobs. Hafengegner Hans Freese<br />
glaubt, dass an der Kaje, wo die Schiffe be- und entladen werden,<br />
höchstens 100 bis 200 neue Arbeitsplätze entstehen.<br />
Busfahrer Jürgen Altmann denkt, dass vielleicht auch ein<br />
Arbeitsplatz für seine 19-jährige Tochter dabei ist. Sie macht gerade<br />
eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Vielleicht ist sie<br />
dann auch mit Linie 6 zum Arbeitsplatz unterwegs. Erstmal<br />
fährt Altmann weiter die Neugierigen zur Baustelle. Auch die<br />
Touristik-Gesellschaft bietet schon jetzt Bustouren zu den<br />
Hafenanlagen an. Auf dem Flyer ist ein älteres Ehepaar zu sehen,<br />
das mit Windjacken, Fernrohr und einem kleinen Körbchen<br />
auf roten Backsteinen am Ufer sitzt und ein voll beladenes<br />
Containerschiff vorbeiziehen sieht. Sandra Petersen<br />
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