Azur Grau - Journalisten Akademie
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RÖMER IN<br />
SICHT<br />
Lebenswandel<br />
ARCHÄOLOGEN ERFORSCHEN<br />
DAS LEBEN DER GERMANEN<br />
IN FRIESLAND. DABEI HABEN<br />
SIE BEWEISE DAFÜR ENT-<br />
DECKT, DASS AUCH DIE RÖMER<br />
DAS LAND DURCHQUERTEN<br />
4 0 A Z U R G R A U<br />
Vorsichtig schabt ein Archäologe mit einem Spachtel die Erde<br />
zur Seite. Dann stockt er. Was auf den ersten Blick aussieht<br />
wie ein Stein, ist das Stück einer Jahrtausende alten Keramik.<br />
Sorgsam packt er die Scherbe in eine kleine Plastiktüte. Diese Szene<br />
könnte in Trier, Köln oder am Limes spielen, aber die Archäologen<br />
graben in Ostfriesland: Sie legen gerade die Überreste einer antiken<br />
Stadt frei. Der beschauliche Ferienort Sievern in Niedersachsen, sechs<br />
Kilometer im Hinterland der Nordsee, ist ein wichtiger Punkt auf der<br />
archäologischen Landkarte. Denn hier, zwischen Bremerhaven und Cuxhaven, befand sich vor zweitausend<br />
Jahren eine der wichtigsten Städte im Elbe-Weser-Dreieck. „Hier saß die Obrigkeit, von hier<br />
wurde das Leben in der Umgebung organisiert“, sagt der Archäologe Hauke Jöns,<br />
wissenschaftlicher Direktor des Niedersächsischen Instituts für historische<br />
Küstenforschung in Wilhelmshaven.<br />
Dort, wo früher einmal Germanen lebten, sind heute Felder, Windräder und<br />
einige Bauernhöfe. Ein Stück weiter, wo sich ein Feldweg durch die Landschaft<br />
zieht, rollten die Wellen der Nordsee auf das Land. Man hätte mit dem Boot herfahren<br />
können. In der Antike haben Meer und Flüsse hier einen fruchtbaren<br />
Küstenstreifen geschaffen: die Marsch. Ein natürlicher Deich aus Geröll und<br />
Erde schützt sie vor dem<br />
Wasser, doch in Prielen<br />
dringt das Meer auch bis<br />
hier vor. Die Marsch ist<br />
ein Eldorado für Archäologen.<br />
Denn der Boden enthält keinen Sauerstoff und<br />
konserviert so die Überreste. Ein Glücksfall für die<br />
Forscher, der erstaunliche Entdeckungen ermöglicht.<br />
„Ich denke immer gerne zurück an Forschungen, die<br />
zu einem völligen Verändern eines Weltbilds geführt<br />
haben. Das ist mir schon mehrmals gelungen“, sagt<br />
Hauke Jöns.<br />
Der Archäologe<br />
übertreibt nicht: Er<br />
und sein Team fanden bei Grabungen in Bentumersiel in der Nähe von Leer<br />
im vergangenen Jahr römische Münzen und Teile von Militärausrüstungen.<br />
Bis dahin zeugten nur römische Historiker vom Besuch der Römer in<br />
Ostfriesland. Es war im Jahr 12 vor Christus, als Drusus, der Stiefsohn des<br />
römischen Kaisers Augustus, mit seinen Schiffen erstmals in die Ems vordrang,<br />
schreibt Tacitus. Er erzählt von tausend Schiffen und etwa siebzigtausend<br />
Soldaten, die sich in den kleinen Fluss Ems zwängten. Etwa 40<br />
Kilometer lang könnte der Tross zu Land und zu Wasser gewesen sein.