Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />
Herausgegeben vom<br />
57. Jahrgang<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Nr. 1 - März 2007 E 3828<br />
Dieses Bild zeigt das Portal des Westgiebels der Weiler Kirche bei Owingen, der ältesten erhaltenen Kirche Hohenzollerns.<br />
Das Tyinpanon. die halbrunde Steinplatte über der Eingangstür, trägt in sich einen bedeutungsvollen Inhalt:<br />
Es verrät, dass die Weiler Kirche vor 855 Jahren geweiht wurde. m o. p m l Bossenmaier
ANNALIES KELLER:<br />
Alter Stein - bedeutungsvoller Inhalt.<br />
Die Weiler Kirche bei Owingen feiert<br />
855-jähriges Weihejubiläum<br />
Die romanische Weiler Kirche in Haigerloch-Owingen erweckt bei<br />
interessierter Betrachtung mehrere Fragen, wie z.B.: Wie alt ist die<br />
Kirche? Wer hat sie erbaut? Wer waren die Baumeister? Geschichtliche<br />
Abhandlungen über die ehemalige Besiedlung des Eyachtales<br />
(3. bis 5. Jh. N. Chr.), in dessen Tal die Weiler Kirche steht, auch<br />
die Berichte über die Adelsfamilien, zu deren Herrschaftsbereich<br />
die Kirche gehörte, geben auf diese Fragen Antwort.<br />
Die Weiler Kirche, in romanischem Stil als Ostturmkirche erbaut,<br />
ihr Portal des Westgiebels und das Tympanon (halbrunde Steinplatte<br />
über dem Eingang) bergen in ihrer kunstvollen, im Original<br />
erhaltenen Gestaltung, wesentliche Aussagen über ihr Alter,<br />
ihre Bauherren und Baumeister. [Siehe dazu auch die Beiträge<br />
über die Weiler Kirche in der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> 2 und<br />
3/2005, sowie 1/2006.]<br />
Wie dem Owinger <strong>Heimat</strong>buch (1993) zu entnehmen ist, stiftete<br />
der wohlhabende Suitgerus (Swigger) zu Owingen 1094 seine Güter<br />
dem Kloster St. Georgen im Schwarzwald, gegründet 1085. In<br />
den Besitz dieses Klosters kamen noch weitere Güter, in der Umgebung<br />
der Weiler Kirche gelegen. Etwa 400 Jahre lang waren die<br />
Benediktinermönche Eigentümer desselben. In dieser Zeit beauftragten<br />
Klöster italienische Baukolonnen mit der Errichtung von<br />
Klostergebäuden und Kirchen. So dürften auch die Mönche des<br />
Klosters St. Georgen im Schwarzwald und weitere adlige Herrschaften<br />
des Eyachtales Bauherren der Weiler Kirche gewesen sein.<br />
Den Nachweis, dass die aus Oberitalien kommenden langobardischen<br />
Baukolonnen als Architekten und Baumeister der Kirche zu<br />
betrachten sind, hefern uns der Westgiebel, das Portal und das<br />
Mauerwerk des Kirchenschiffes.<br />
Weiler Kirche Süd- West-Sicht, Foto: Paul Bosse?imaier<br />
Der Westgiebel [siehe Titelbild] mit seinem 5,60 m breiten Portal<br />
ist der architektonisch interessanteste Bauteil und größter<br />
Schmuck des Kirchengebäudes. Der äußere Türbogen wird getragen<br />
von Dreiviertelsäuelen mit monohthen (aus einem Stein bestehend)<br />
Achteckschäften, deren Kapitelle mit religiösen und mathematischen<br />
Zeichen geschmückt sind. Durch zwei Rundsäulen werden<br />
die Achtecksäulen bis zum Dachgesims weitergeführt und<br />
durch Würfelkapitelle abgeschlossen. Das äußere Türgewände<br />
2<br />
und die Rundsäulen tragen einen auffallenden, gut gearbeiteten,<br />
kordelartigen Rundstab, der sich an den Rundsäulen in zierhcher<br />
Form als Abschluss wiederholt. Für den Türbogen wurden verschiedenfarbige<br />
Sandsteine versetzt angeordnet. Sie bewirken in<br />
ihrer Farbigkeit eine Auflockerung des schweren Bogens. Seine<br />
Oberkante ist ebenfalls mit seilförmigem Wulst abgeschlossen.<br />
Dieser ist besonders bei dem sandfarbenen Stein und bei den rötlichen<br />
Sandsteinen noch gut wahrnehmbar. Dem Betrachter des<br />
Portals sei geraten, die einmalige Gestaltung der Steinsäule zu beachten,<br />
die auf der linken Seite den Türsturz trägt.<br />
Den Ausführungen von Manfred Eimer in seinen .Arbeiten langobardischer<br />
Steinbildner und Architekten in Südwestdeutschland"<br />
ist folgendes zu entnehmen: „Ihr Wahrzeichen, der Nachweis für<br />
die Ausführung ihrer Arbeit, ist das Schiffstau", das in Stein gehauene<br />
kordelartig gewundene Seil, das die Abschlüsse der Steinsäulen<br />
ziert. Ein weiteres Zeichen der Tätigkeit dieser Steinmetzmeister<br />
sind die Würfelkapitelle der Säulen und das Tympanon.<br />
Die Äbte der Klöster und die langobardischen Architekten sowie ihre<br />
Steinmetzmeister wussten um die Bedeutung der verschieden geformten<br />
Kreuzeszeichen, und sie kannten die symbolisch enthaltene<br />
mathematische Aussage der im Tympanon dargestellten Zeichen. In<br />
der Form rechtwinklig oder schräg miteinander verbundenen Linien<br />
kommt das Kreuz schon in der Jungsteinzeit vor als kosmisches<br />
und rehgiöses Ursymbol. Seine Ausdehnung in die vier Himmelsrichtungen<br />
symbolisiert die Welt. Dieses archaische Zeichen bildet den<br />
Menschen nach, der selbst ein Kreuz darstellt, wenn er aufrecht stehend<br />
die Arme ausbreitet. Kreuzeszeichen, Kreis, Quadrat und Dreieck,<br />
in verschiedener Ausformung und Kombination, sind von jeher<br />
symbolisch und in alten Kulturen mathematisch gedeutet worden.<br />
Seit den Anfängen christlicher Kunst werden sie auf Christus und<br />
seine Verheißung bezogen, Christus (Kreuz), Christus Herr des Himmels<br />
(Kreis) und der Erde (Quadrat). So stellt der von den langobardischen<br />
Steinbildnern meisterhaft dargestellte halbrunde Stein<br />
mit seinen religiös und mathematisch symbolisch zu deutenden Zeichen<br />
einen Kalenderstein dar. Das Tympanon ist also der Stein, der<br />
uns eine bedeutungsvolle Aussage macht über das Alter der romanischen<br />
Weiler Kirche. Diese Angaben können jedoch wir heute Lebenden<br />
wegen des hohen Alters ihrer Entstehung nur noch durch<br />
eingehende Studien und Forschung ergründen und verstehen. Genaue<br />
Untersuchungen und Beschäftigungen, die von Herrn Martin<br />
Kieß, Stuttgart, Mathematiker und Kalenderexperte, 2001 bis 2003<br />
durchgeführt wurden, erbrachten die Erkenntnis, dass die Weiler<br />
Kirche am Sonntag, den 27. April 1152 zu Ehren ihres Patrons, dem<br />
heiigen Georg, eingeweiht wurde, und dieses Datum im Tympanon<br />
festgehalten wurde [Siehe dazu Ausführliches in der Hohenz. <strong>Heimat</strong><br />
3/2005 Seite 45 f.].<br />
So können wir in diesem Jahr 2007 das 855-jährige Einweihe-Jubiläum<br />
der Weiler Kirche festlich begehen. Am 8. Juli 2007 soll ein<br />
ökumenischer Gottesdienst die Feierlichkeit in der Weiler Kirche<br />
eröffnen. Dazu sind alle Freunde des altehrwürdigen Gotteshauses,<br />
der ältesten Kirche Hohenzollerns, dem Wahrzeichen von Owingen,<br />
herzlich eingeladen. Nähere Angaben darüber können den Tageszeitungen<br />
entnommen werden.
Mitteilungen<br />
aus dem<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 2. Quartal 2007<br />
I. Mitgliederversammlung<br />
Meine sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder des<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s!<br />
Ich lade Sie hiermit recht her/lieh zur Mitgliederversammlung<br />
am Montag, 11. Juni 2007, um 18.30 Uhr in das Nebenzimmer<br />
der Brauereigaststätte „Zoller-Hof" in der Leopoldstraße 42 in<br />
Sigmaringen ein.<br />
Tagesordnung:<br />
1) Begrüßung und Nachrufe.<br />
2) Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden,<br />
3) Tätigkeitsbericht des Schatzmeisters,<br />
4) Rechnungsprüfungsbericht zum 31. Dez. 2006,<br />
5) Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden,<br />
6) Anträge und Verschiedenes.<br />
Anträge sind bis spätestens 8. Juni dem Vereinssekretariat, Karlstraße<br />
1/3, 72488 Sigmaringen (Tel. 07571/101-580 oder<br />
559) mitzuteüen.<br />
Im Anschluss an die Mitgliederversammlung findet um 20 Uhr<br />
ein öffentlicher Vortrag statt. Es spricht<br />
STADTARCHIVDIREKTOR DR. HANS-BERND SPIES, ASCHAFFENBURG<br />
Von Carl zu Carol - der Weg eines Hohenzollernprinzen auf<br />
den rumänischen Thron,<br />
II. Vorträge<br />
DR. ANDREAS ZEKORN, BALINGEN<br />
Von der Zensur zur Gleichschaltung. Presse in Hohenzollern<br />
1808-1945<br />
Dienstag, 24. April, um 20 Uhr im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum<br />
in Hechingen<br />
Der Vortrag wird im Rahmen der Ausstellung „Literatur vom<br />
Neckar bis zum Bodensee 1800 bis 1950" gehalten, die in der<br />
Zehntscheuer, Neue Str. 59, Balingen vom 17 März bis 10. Juni<br />
gezeigt wird. Öffnungszeiten: Sonntags und an Feiertagen 14<br />
bis 17 Uhr<br />
CARSTEN KOHLMANN M.A., SIGMARINGEN<br />
Landjuden am Oberen Neckar<br />
Vortragsveranstaltungen zur Vorbereitung auf die gleichnamige<br />
Exkursion am Samstag, 12. Mai, nach Rexingen und nach Horb<br />
(s. unten)<br />
3<br />
Montag, 23. April, um 20 Uhr im Prinzenbau (Staatsarchiv) in<br />
Sigmaringen<br />
Mittwoch, 2. Mai, um 20 Uhr in der Alten Synagoge in Hechingen<br />
DR. OTTO H. BECKER, SIGMARINGEN<br />
Die Schenken von Stauffenberg<br />
Dienstag, 22. Mai, um 20 Uhr im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum<br />
in Hechingen<br />
Vortrag im Rahmen des Stauffenbergjubiläums 2007<br />
III. Exkursion<br />
Landjuden am Oberen Neckar<br />
Exkursion des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s am Samstag,<br />
12. Mai, unter der Leitung von Archivassessor Carsten<br />
Kohlmann M.A., Sigmaringen<br />
Einer der wichtigsten Siedlungsschwerpunkte der südwestdeutschen<br />
Laridjuden war der Obere Neckar in der Umgebung<br />
von Horb. In den letzten 25 Jahren hat eine verstärkte Erforschung<br />
der .Judendörfer" zwischen Schwarzwald und Schwäbischer<br />
Alb begonnen und führt zu einem immer vielfältiger<br />
werdenden Bild. In den oben angekündigten Einführungsvorträgen<br />
von Archivassessor Carsten Kohlmann M.A. wird ein<br />
Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben. In<br />
der anschließenden Exkursion am 12. Mai wird unter der Leitung<br />
des Referenten die Synagoge und der Friedhof in dem<br />
früher größten „Judendorf" Rexingen und das derzeit entstehende<br />
„Haus der Erinnerung und Begegnung" der „Förderstiftung<br />
Jüdischer Betsaal Horb" besichtigt werden. Männliche<br />
Teilnehmer werden gebeten, für den Besuch des Judenfriedhofs<br />
eine Kopfbedeckung mitzubringen. Auch an gutes Schuhwerk<br />
sollte gedacht werden.<br />
Programm:<br />
8.00 Uhr Abfahrt in Sigmaringen beim Marstall<br />
9.00 Uhr Abfahrt in Hechingen am Obertorplatz<br />
ca. 10.00 Uhr Besuch der Synagoge und des Judenfriedhofs<br />
in Rexingen<br />
ca. 12.30 - 14.30 Uhr Mittagspause mit der Möglichkeit<br />
zur Einnahme des Mittagessens;<br />
anschließend Fahrt nach Horb a.N.<br />
ca. 15.00 Uhr Besichtigung des „Hauses der Erinnerung<br />
und Begegnung" in Horb<br />
ca. 16.00 Uhr Cafe-Besuch in Horb; Abfahrt von Horb<br />
um ca. 17. 00 Uhr<br />
ca.18.00 Uhr Rückkehr am Obertorplatz in Hechingen<br />
ca. 19.00 Uhr Rückkehr am Marstall in Sigmaringen.
Die Fahrtkosten inkl. Führungen werden sich je nach Teilneh-<br />
merzahl zwischen 15 und 20 Euro pro Person bewegen.<br />
Anmeldungen zur Exkursion nimmt das Sekretariat des Ge-<br />
schichtsvereins, Karlstraße 1/3,<br />
72488 Sigmaringen (Tel. 07571/101-580 oder 559) entgegen.<br />
Ausstellungen in Hohenzollern<br />
Spuren: Schulkunst<br />
Vom 21. März bis 1. Mai im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum<br />
in Hechingen. Öffnungszeiten: Dienstags bis samstags jeweils 14<br />
bis 17 Uhr, Sonntags: 10 bis 17 Uhr, Eintritt: Erwachsene 2, 50<br />
Euro, Schüler und Studenten 1, 50 Euro<br />
Das Augustinerchorfrauenstifi Inzigkofen: Geschichte, Kultur<br />
und Frömmigkeit eines Frauenklosters in Oberschwaben<br />
1354-1856<br />
Vom 16. März bis 20. Mai im ehemaligen Mesnerhaus des Klosters<br />
Inzigkofen, Samstags und sonntags einschl. Feiertage jeweils<br />
von 14 bis 18 Uhr, mittwochs jeweils von 17 bis 20 Uhr<br />
Eintritt: Erwachsene 3 Euro; Schüler über 16 Jahre, Studenten<br />
und Arbeitslose 2 Euro; Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre ist<br />
der Eintritt frei.<br />
MARGARETE KOLLMAR<br />
Aufsicht in der ehemaligen Synagoge<br />
in Haigerloch<br />
[Anmerkung der Schriftleitung: In diesem Beitrag schildert Frau<br />
Kollmar auf unkonventionelle Art ihre Gedanken und Eindrücke<br />
über die ständige Ausstellung in der restaurierten ehemaligen Synagoge<br />
in Haigerloch, die ihr während eines Nachmittags als Aufsichtsperson<br />
durch den Kopf gingen. Diese Ausstellung wurde vom<br />
4<br />
Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der Leipziger<br />
Straße, fotografiert von Julius Braatz<br />
Ausstellung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus<br />
und der politischen Parteien im Staatsarchiv Sigmaringen.<br />
Vom 20. Juni bis 26. Oktober 2007 im Staatsarchiv, Karlstraße<br />
1/3, Sigmaringen. Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags jeweils<br />
9 bis 17 Uhr, Eintritt frei<br />
Hinweis<br />
„Familienforschung im Internet". Der Betreiber des Internet-<br />
Familienforschungs-Portals www. Ahnen-und-Wappen.de. Josef<br />
Rampsberger SIG, bietet hiermit allen Vereinsmitgliedern<br />
des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s die kostenlose Teilnahmemöglichkeit<br />
an den genealogischen und heraldischen<br />
Fachforen auf www.Ahnen-und-Wappen.de an. Erforderlich ist<br />
nur eine kurze Registrierung. Danach stehen den Forschern<br />
viele Diskussionsthemen zur aktiven Teilnahme zur Verfügung.<br />
Auch ein Forum zum Thema Hohenzollern wurde angelegt.<br />
Internetadresse: www.Ahnen-und-Wappen.de<br />
Betreiber: Josef Rampsberger. E-Mail: ramsperger@ahnenund-wappen.de<br />
[Josef Ramsperger, Sonnenhalde 43, 72488 Sigmaringen]<br />
gez. Dr. Otto H. Becker, Vorsitzender<br />
Haus der Geschichte in Stuttgart konzipiert und trägt den Namen<br />
„Spurensicherung. Jüdisches Leben in Hohenzollern". Gerade zur<br />
Winterszeit hält sich der Andrang der Besucher in Grenzen. Der<br />
Verein „Gesprächskreis Ehemalige Synagoge" ist über jeden Besucher<br />
froh, hat dieser doch die Organisation der Aufsichten zu übernehmen<br />
und diese auch zu finanzieren. Geöffnet ist die Ausstellung<br />
ganzjährig samstags und sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr, zwischen<br />
1. April und 31 • Oktober zusätzlich auch donnerstags von 14<br />
bis 19 Uhr. ]<br />
Ehemalige Synagoge in Haigerloch<br />
von Nordosten gesehen.<br />
Links neben dem Eingang<br />
hat der Verein Ehemalige<br />
Synagoge Haigerloch im<br />
Herbst 2005 eine fünfteilige,<br />
aus widerstandsfähigem Glas<br />
bestehende Gedenktafel herstellen<br />
lassen. Auf dieser sind<br />
die ermordeten Juden aufgeführt.<br />
Auch die Überlebenden<br />
finden hier Erwähnung. Diese<br />
wurde am 9• November 2005<br />
feierlich eingeweiht. Anwesend<br />
waren auch ehemalige<br />
jüdische Mitbürger.<br />
Foto: Robert Frank
Sie ist die steile Straße zum Haagviertel hochgefahren. - Kein Glatt-<br />
eis! - Hat das Auto unter den entlaubten Akazien abgestellt. Vom<br />
Römerturm schlägt es zwei. Der Mann, der den Schlüssel bringt, ist<br />
noch nicht da. Auf dem Platz vor der ehemaligen Synagoge hat der<br />
Schneepflug eine U-förmige Spur gezogen. Auf dem nassen Asphalt<br />
erscheinen in Weiß auf roten Bändern Teile von Schriftzügen: „30.<br />
Mai 1783...",... 3- Februar 1941",... Dezember 1999". Hinter dem<br />
Platz, am Haus gegenüber, schaut eine Frau zum offenen Fenster<br />
heraus. -Da ist sie ja wieder, hat sie gewartet? - Gegenseitiges Winken.<br />
- Ob sie wohl diesmal in die Ausstellung kommt? - Eine andere<br />
Frau tritt unters Fenster, ihre Stimmen sind bis zum Museumsvorplatz<br />
zu unterscheiden.<br />
Der Schlüssel wird gebracht. Aus ihrer Hüfttasche holt sie ein Kärtchen,<br />
auf dem die Anleitung für die Schließanlage steht. - Bloß<br />
nicht wieder Alarm auslösen! - Sie steckt den Schlüssel in das<br />
Schloss der Alarmanlage und dreht nach links: Es klackt vorschriftsmäßig,<br />
sie kann aufschließen. - Heute klemmt nichts. -Sie<br />
faltet ein Papierhandtuch zusammen und steckt es zwischen Tür<br />
und Türrahmen, damit Besucher sie leicht aufstoßen können. - Sicher<br />
ist sicher. - Der Kundenstopper mit den Öffnungszeiten wird<br />
vor die Tür gestellt, das Hinweisblatt „Museum geöffnet" in die<br />
Klarsichtfolie an der Tür geschoben.<br />
In der ehemaligen Synagoge - angenehme Temperatur - geht sie<br />
zum Technikraum. Sie berührt den Touchscreen und setzt damit<br />
die Geräte in Gang. Die Lichtstärke für die Vitrinen wird auf die<br />
niedrigste Stufe eingestellt, damit die Exponate nicht vergilben. Das<br />
Licht für Damen- und Herren-WC wird mit Schalthebeln angeknipst.<br />
Seit ihrer Aufsicht in der vergangenen Woche hat jemand<br />
zum Wasserkocher einen Trinkbecher mit zwei Teebeuteln und<br />
eine Cromargan-Zuckerdose hingestellt. Als nächstes holt sie die<br />
Kasse unter der Verkaufstheke hervor und platziert sie in bequemer<br />
Höhe auf dem Regal mit dem Diaprojektor. Die Summe in der<br />
Kasse ist korrekt: 100 Euro in Scheinen und Münzen. Sie steckt ihr<br />
Namensschild an und trägt sich in die Tagesliste ein: Mittwoch, 2.<br />
Februar 2005,14 bis 17 Uhr.<br />
Rundgang durchs Haus: Im WC gebrauchte Papierhandtücher leeren.<br />
- Ob die Männer öfters die Hände gewaschen haben oder waren<br />
mehr männliche Besucher da? - Auf der Empore schaltet sich<br />
beim Vorbeigehen der Ton von der letzten Filmspule aus dem Jahr<br />
1955 ein. Damals wurde das Gebäude als Kino genutzt. Den dazu<br />
gehörenden Filmausschnitt von der Wochenschau setzt sie per<br />
Knopfdruck in Gang. Der Sprecher hat die gleiche schnarrende<br />
Stimme wie bei Wochenschauen in der NS-Zeit. - Wann haben die<br />
aufgehört, so zu sprechen? - Sie erinnert sich an zwei Nachkriegsfotos<br />
aus dem Eisenbahn-Museum in Nürnberg. - Wie steif die Eisenbahner<br />
auf dem Foto winken, denen steckt noch der Hitlergruß<br />
im Körper, auf dem andern Foto, ganz entspannt winkende GI's auf<br />
einem Jeep. - Zwei Körperwelten. -<br />
Noch sind keine Besucher da. In der Wartezeit liest sie in der Jüdischen<br />
Allgemeinen vom 27.1.2005. Um 15.15 Uhr hat sie alle Artikel<br />
über die Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz vor 60<br />
Jahren gelesen. Vom Sitzen wird ihr kühl. 19,8 Grad Celsius und 36<br />
Prozent Luftfeuchtigkeit zeigt das Messgerät über der Diawand mit<br />
Fotos von jüdischen Familienfesten im Haigerlocher Haagviertel.<br />
Sie gießt aus der Thermoskanne mitgebrachten bittersüßen Grüntee<br />
in den grauen Deckelbecher. Das Getränk wärmt ein wenig. In<br />
der Stille ist das Rauschen des Diaprojektors zu hören. Er wirft ein<br />
altes rotbraun verfärbtes Bild von der Synagogenrückwand auf<br />
5<br />
blanke weiße Kacheln aus der Nachkriegszeit. Als SPAR-Markt<br />
wurde das Gebäude genutzt, die Riesen haben die Rückwand hinter<br />
der Fleischtheke bedeckt. Beim zweiten WC-Gang fällt ihr Blick<br />
auf den leuchtend blauen Kleiderhaken an der Tür, bei dem noch<br />
die Bleistiftmarkierung von der Montage im Frühjahr 2004 zu sehen<br />
ist, als das Museum eingerichtet wurde.<br />
Sie schlendert durch den abgedunkelten Museumsraum mit den<br />
schmalen Rundbogenfenstern: Gedämpftes Licht fällt durch den<br />
mattweißen Lichtschutz an den Fensterscheiben und taucht den<br />
Raum in diffuses Halbdunkel. Die Vitrinen sind von innen beleuchtet<br />
und präsentieren den Inhalt wie einen Schatz. Meist ist nur<br />
ein Objekt ausgestellt. Es sind spärliche Zeugnisse von vergangenem<br />
Leben in Hohenzollern, die aus der ganzen Welt zusammengetragen<br />
wurden. Die Lebensspuren in den 25 Vitrinen sind nicht<br />
chronologisch geordnet, um ihren fragmentarischen Charakter zu<br />
betonen.<br />
Vor Vitrine 5 bleibt sie stehen und beugt sich über kleine Schmuckstücke,<br />
die sorgfältig angeordnet in Reihen hegen. Auch ein winziger<br />
Korallenanhänger, der vielleicht einem Kind gehörte, ist dabei.<br />
Auch wenn der Schmuck in Haigerloch verbheben war, ist seine<br />
Herkunft im einzelnen nicht bekannt. - Ob der Schmuck vor einer<br />
Emigration an den Juwelier verkauft wurde, um einen Teil der Reisekosten<br />
zu decken? - Möglicherweise stammt er von der Leibesvisitation<br />
auf dem Haigerlocher Bahnhof Ende November 1941.<br />
Diese Deportation war als Umsiedlung in den Osten getarnt worden.<br />
An Wertsachen durften die jüdischen Bürger nur noch ihre<br />
Eheringe behalten. - Waren es womöglich persönliche Erinnerungsstücke,<br />
die sie heimlich auf die erste Deportation mitgenommen<br />
hatten? - Eine Haigerlocherin hatte als junge Frau den<br />
Schmuck in den 1960er Jahren im örtlichen Juweliergeschäft gekauft<br />
und ihn 40 Jahre später beim Bürgermeister fürs Museum<br />
abgegeben. Sie berichtete, sie habe immer das Gefühl gehabt, dass<br />
der Schmuck ihr nicht gehöre.<br />
Die Schritte hallen im menschenleeren Raum. Vitrine 19 zeigt eine<br />
zierhche Handtasche, die aus Hechingen stammt. Dort war 1941<br />
eine Jüdin aus der Gruppe der Deportierten herausgetreten und<br />
hatte die Tasche einer Hechinger Frau anvertraut mit der Bitte, sie<br />
gut aufzubewahren. Jetzt steht sie hier unter Glas und wird mit gedämpftem<br />
Licht angestrahlt.<br />
In einer Vitrine nah bei den Resten der Torawand hegen vergilbte<br />
Garne aus der ehemaligen Hechinger Zwirnerei und Nähfadenfabrik<br />
Julius Levi & Co. Ein Kärtchen ist mit lachsfarbenem Stopf-<br />
IWist umwickelt. - Die Farbe braucht man heute nicht mehr zum<br />
Stopfen. - Bei genauem Hinsehen ist der Umriss der Hohenzollernburg<br />
als Warenzeichen und der Firmenname ILCO zu erkennen. In<br />
den 1930er Jahren wurde es lebensbedrohend, den jüdischen Namen<br />
Levi in der Firmenbezeichnung zu führen. Familie Levi wurde<br />
1942 nach Theresienstadt deportiert. Dem Mitinhaber Alfred Weil<br />
war es 1938, wenige Wochen vor der Reichspogromnacht, gerade<br />
noch gelungen, mit seiner Familie in die USA zu emigrieren. Die<br />
Emigranten hatten Garne als materielle Erinnerung mitgenommen<br />
und gehütet. Die Weils gaben einige Garnrollen ins New Yorker<br />
Museum of Jewish Heritage, andere nach Haigerloch.<br />
Um die besucherlose Zeit zu überbrücken, steigt sie die Treppe zur<br />
rekonstruierten Frauenempore hinauf. Für die oberen Räume haben<br />
die Besucher meist keine Zeit mehr. Oben stehen Videogeräte,<br />
an denen man Interviews mit betagten jüdischen KZ-Überlebenden,
mit Emigrierten und mit alten Haigerlocherinnen sehen kann. Die<br />
meisten Interviewpartner hat sie noch persönlich kennen gelernt.<br />
- Erstaunlich versöhnliche Interviews. Ist die zweite Judenverfolgung<br />
in Haigerloch -1939- bereits vergessen? -<br />
An einem anderen Videogerät kann man einen Film über den Beginn<br />
der kollektiven Erinnerung in Hechingen sehen: Ein Zahnarzt<br />
hatte 1982 zu einem Treffen in seiner Praxis eingeladen. Haigerloch<br />
war viel später dran. Erst 1988, 50 Jahre nach der Reichspogromnacht<br />
hat sich eine Gruppe gebildet.<br />
Sie betritt den ehemaligen Filmvorführraum, in dem kopierte Akten<br />
ausgestellt sind, auch Polizeiprotokolle, die aufgenommen<br />
wurden, nachdem einem alten jüdischen Herrn der Zutritt in einen<br />
Lebensmittelladen verwehrt worden war.<br />
FRANZ-SEVERIN GÄßLER<br />
Gartendirektor Heinrich Grube - der<br />
Schöpfer des Sigmaringer Prinzengartens<br />
Eine biographische Notiz<br />
Kaum eine Stadt in Südwestdeutschland war - abgesehen von den<br />
Residenzen des württembergischen und des badischen Hofs - in<br />
der zweiten Hälfte des 19- Jahrhunderts derart eingebettet in eine<br />
gärtnerisch gestaltete und mit Wegen und Aussichtspunkten erschlossene<br />
Landschaft wie die Residenzstadt Sigmaringen 1 . Voraussetzung<br />
dafür waren der gewaltige Grundbesitz des Fürsten von<br />
Hohenzollern-Sigmaringen und insbesondere dessen Schlösser in<br />
Sigmaringen und den benachbarten Dörfern Krauchenwies und Inzigkofen<br />
sowie das zwischen Sigmaringen und Krauchenwies gelegene<br />
Jagdschlösschen Josephslust. Die äußerst reizvollen landschaftlichen<br />
Formationen dieser Gegend waren geradezu prädestiniert<br />
für die ausgedehnten Anlagen in diesen Orten und im sogenannten<br />
Bittelschießer Täle, das eine knappe Wegstunde östlich<br />
von Sigmaringen im Tal der Laudiert liegt: die Feuchtigkeit, die erfrischende<br />
Kühle und der Klang des Wassers von Donau und Laudiert,<br />
Andelsbach und Ablach, hell in der Sonne leuchtende, jäh<br />
abstürzende Felspartien, steile, waldbestandene Hänge, deren<br />
dunkler Farbton in starkem Kontrast dazu steht wie auch zu den<br />
Wiesen der ehemals weitestgehend unberührt daliegenden Talauen<br />
und den in sanften Schwüngen ausgleitenden, teils als Äcker, teils<br />
als Wiesen genutzten, flachen Hängen. Diese kontrastreiche Landschaft,<br />
deren Büder von Schritt zu Schritt wechseln und neue Perspektiven<br />
eröffnen, kokettiert nicht nur mit Enge und Weite, Höhe<br />
und Tiefe, sondern auch mit Nähe und Distanz, einer Distanz, die<br />
das Tiefgründige und Unerreichbare, das Rätselhafte und Geheimnisvolle<br />
im Leben widerspiegelt.<br />
Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Inszenierung der<br />
Landschaft in diesem Teil Schwabens mit der Allee von Sigmaringen<br />
nach Hedingen ihren Anfang gefunden 2 . Mitte des 19- Jahrhunderts<br />
war die Ausdehnung der Anlagen in den oben genannten<br />
Orten weitgehend festgelegt 3 . Die Rückkehr des fürstlichen Hofs<br />
nach Sigmaringen 1871 und der zur selben Zeit erfolgte Bahnbau<br />
setzten mit unterschiedlicher Wirkung nochmals Impulse. Denn in<br />
dieser Zeit erhielt der Prinzengarten in Sigmaringen seine heute<br />
noch erkennbare Form, und zugleich setzten die geometrischen<br />
Gartenteile nördlich und südlich des fürstlichen Landhauses in<br />
Krauchenwies dort neue Akzente 4 . Die Pracht der blühenden Stau-<br />
6<br />
Sie geht die Treppe hinunter und blättert im Gästebuch: „Es war gut<br />
und ich werde über Ihr Museum grenzenlos in Israel / USA / Russland<br />
informieren." - „A very moving exhibition." - „Mir gefällt<br />
diese Synagoge sehr." - „Absolutely fascinating!" - Lob und Anerkennung<br />
from all over the world.-<br />
Sie löscht die Lichter, stellt den Kundenstopper, der keinen Besucher<br />
angelockt hat, wieder in den Innenraum, nimmt das Schild<br />
„Museum geöffnet" von der Tür, schließt ab und stellt die Alarmanlage<br />
an. Draußen hat die Nachmittagssonne etwas vom Schnee<br />
weggeschmolzen und mehr Text auf dem ehemaligen Synagogenvorplatz<br />
frei gegeben: „Umbau zur Turnhalle 3. Februar 1941". Die<br />
Fenster im Haus gegenüber sind geschlossen. Vom Römerturm<br />
schlägt es fünf.<br />
den ist längst dahin, die Natur hat sich einen Teil der Anlagen<br />
zurückerobert, und die Nachpflanzungen ignorierten oft Gestalt<br />
und Gefüge der Anlagen. Und dennoch ist der Stil jener Zeit unverkennbar,<br />
in der die fürstliche Gartendirektion geschaffen wurde<br />
und der Gartendirektor Heinrich Grube (Abb. 1) für die fürstlichen<br />
Anlagen verantwortlich war 5 .<br />
Heinrich Grube (24. Mai 1840-28. Dezember 1907)<br />
Abb. 1: Heinrich Grube, Abb. aus: Die Gartenwelt, 11. Jg. 1907, S. 276<br />
Heinrich Grube wurde am 24. Mai 1840 in Düsseldorf als jüngstes<br />
von fünf Kindern in eine weltoffene und rege Familie hineingeboren".<br />
Sein 1845 auf Java verstorbener Vater, der Konsul Friedrich<br />
Wilhelm Grube, war 1825-27 in Mexiko gewesen, hatte 1828 eine<br />
Stelle als Regierungssekretär in Düsseldorf erhalten und war 1842<br />
nach Berlin berufen worden, um die Handelswege nach China zu<br />
erkunden. Bereits in jungen Jahren unterhielt er eine Leihbibliothek<br />
und war 1829 Gründungsmitglied des Kunstvereins für die<br />
Rheinlande und Westfalen. Seine Frau Elisabeth geb. Dietz (1803-<br />
71) und deren Schwester Katharina (1809-82) hatten aktiv Anteil<br />
am literarischen Leben ihrer Zeit 7 . Theaterstücke von Katharina<br />
Dietz wurden beispielsweise in Augsburg und Sigmaringen aufgeführt<br />
8 . Über die älteste Tochter des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern,<br />
die Königin Stephanie von Portugal, verfasste sie eine Biographie<br />
und die Briefe Heinrich Grubes aus Mexiko verarbeitete<br />
sie zu einer Erzählung 1 '.
Vom 18. Oktober 1856 bis 17. Juli 1857 besuchte Heinrich Grube<br />
die Bauschule der kgl. Kunstakademie Düsseldorf und vom 1. März<br />
1857 bis 1. März 1858 war er in den kgl. Gärten Düsseldorfs, im<br />
Jägerhofgarten und im botanischen Garten eingesetzt bei den un-<br />
terschiedlichsten Pflanzen-Kulturen. Dort arbeitete er unter dem<br />
kgl. Garten-Inspektor Joseph Weyhe, Sohn und Nachfolger des bedeutenden<br />
Parkschöpfers Maximilian Friedrich Weyhe, der beide<br />
Anlagen gestaltetet hatte 10 . Vom 1. April 1858 bis 31. März 1860<br />
studierte Grube an der kgl. Gärtner-Lehr-Anstalt zu Potsdam. Seine<br />
Lehrfächer umfaßten mathematische Wissenschaften, Naturwissenschaften,<br />
Botanik, Zeichnen von Plänen, Blumen und Früchten<br />
sowie Landschaftsgärtnerei. Die Kenntnisse Grabes wurden mit<br />
„vorzüglich gut" beurteilt. Das Zeugnis trägt die Unterschriften von<br />
Kette, Bouche und Lenne. Während dieser Zeit war er vom 1. April<br />
1859 bis zum 1. April 1860 als Gartengehilfe beim kgl. Hofgärtner<br />
und Professor an der kgl. Lehranstalt, Wilhelm Legeier, eingesetzt.<br />
Über die Tätigkeit Grabes im botanischen Garten und Palmenhaus<br />
bei Berlin vom 15. April 1860 bis zum 15. August 1860 gibt ein<br />
Zeugnis des kgl. Garten -Inspektors Bouche Auskunft. Den Militärdienst<br />
absolvierte Grube als einjähriger Freiwilliger beim 3- Westphälischen<br />
Infanterie-Regiment No. 16 in Düsseldorf, das er im<br />
September 1861 als Unteroffizier verließ. Wenige Wochen später,<br />
am 21. November 1861 immatrikulierte sich Grabe an der Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
zu Berhn, belegte im Wintersemester<br />
die Fächer „Physik, spezielle Botanik, Anatomie der Pflanzen, Agrikultur,<br />
Botanisches und Physiologie der Zeugung" und im darauffolgenden<br />
Sommersemester die Fächer „allgemeine Botanik, spezielle<br />
Botanik, Botanik geogr., Entomologie [Insektenkunde] und<br />
Geographie". Das Zeugnis Lennes, General-Direktor der kgl. Hofgärten<br />
vom 25. Oktober 1862 bescheinigte Grube die „Qualifikation<br />
zum Garten-Ober-Gehilfen als gut bestanden" und gleichzeitig<br />
„besonders gute Kenntnisse in der Botanik".<br />
Nach Abschluß seiner Ausbildung in Berlin ging Grabe nach Köln,<br />
wo er als Obergärtner bei der Anlage des Kölner botanischen Lustund<br />
Ziergartens beschäftigt war". 1864 erhielt er auf der internationalen<br />
Ausstellung in Brüssel die süberne Medaille für Gartenarchitektur,<br />
legte den Garten für den Fabrikbesitzer Blöm in Düsseldorf<br />
an und änderte die Homberg'sche Anlage in Eupen. Mit staatlicher<br />
Unterstützung unternahm er eine Instruktionsreise durch<br />
ganz Belgien, nach Paris und zu den Baumschulen im Elsaß, bevor<br />
er über Basel und Karlsruhe nach Düsseldorf zurückkehrte. In jenem<br />
Jahr heirate er Emmy Flender. Aus dieser Ehe gingen zwei<br />
Töchter und ein Sohn hervor.<br />
In Düsseldorf erreichte ihn der Ruf Kaiser Maximilians von Mexiko<br />
12 , der ihn am 20. Dezember 1864 zum Garten-Direktor der<br />
kaiserlichen Besitzungen ernannte 13 . Noch kürzer als die Epoche<br />
Maximilians in Mexiko war Grabes Dienstverhältnis und Aufenthalt<br />
in diesem Land. Denn bereits mit Schreiben vom 3- November<br />
1866 wurde der Kontrakt als kaiserlicher Gartendirektor liquidiert,<br />
woraufhin Grube im April 1867 nach Europa zurückkehrte. Im<br />
Nachruf auf Grabe wird erwähnt, er sei in der Folgezeit Hofgärtner<br />
in Laxenburg bei Wien gewesen 14 .<br />
Ob er über den Gräflichen Hof in Brüssel zum Hof des Fürsten Karl<br />
Anton fand, letzterer residierte zu jener Zeit in Düsseldorf, oder direkt<br />
von dort aus an ihn herantrat, ist nicht belegt. Mit Verfügung<br />
Karl Antons vom 30. Juni 1867 wurde Heinrich Grube jedenfalls<br />
zum „Fürstlichen Garten-Director" ernannt und bestellt 15 . Sein Geschäftskreis<br />
umfasste die Aufsicht und technische Leitung über die<br />
Gärten und Anlagen in Sigmaringen, Inzigkofen, Krauchenwies,<br />
Bittelschieß und Weinburg", die der Hofverwaltung unterstanden,<br />
7<br />
sowie die Oberaufsicht über die Hofgärtner in Inzigkofen. Über Hechingen<br />
und Lindich sind in jener Verfügung keine Aussagen getroffen.<br />
Mitte der Siebziger Jahre gehörten zum Hofstaat des Fürsten,<br />
was die Gärtner betraf, außer Grube in Sigmaringen die beiden<br />
Gartengehilfen Juhus Keebach und Julius Schlegel, in Krauchenwies<br />
Hofgärtner Fidel Schnell und die beiden Gartengehilfen<br />
Albert Waldraff und Gasper, in Inzigkofen der Gärtner Josef Jägge<br />
und der Gartengehilfe Erhart Miller und auf der Weinburg der<br />
Obergärtner Franz Reineke; für Hechingen ist der Hofgärtner Karl<br />
Käsmodel verzeichnet und für den nahe bei Hechingen gelegenen<br />
Lindich der Gärtner Xaver Daiker 17 . Der Hofstaat des Erbprinzen<br />
verzeichnete zudem den Gartengehilfen Herrmann Gotthardt 18 . Neben<br />
dem Unterhalt der Anlagen sollte Grube auch Verbesserangen<br />
und Verschönerungen vornehmen. Wesentliche Veränderungen an<br />
Wegen und Pflanzen bedurften jedoch der Genehmigung Karl Antons.<br />
Die Anträge, denen Zeichnungen und Kostenberechnungen<br />
beizulegen waren, hatte Grube unmittelbar an Carl Anton zu richten<br />
und sie zunächst der Hofverwaltung vorzulegen, damit jene,<br />
falls erforderlich, Anmerkungen beifügen konnte. Grabe wurde<br />
das Gärtnerhaus in Sigmaringen als Domizil und eine Stube im Alten<br />
Prinzenbau als Büro zugewiesen. Zu jener Zeit wurde er vom<br />
Landschaftsmaler August Becker, der im Juli 1867 am Sigmaringer<br />
Hof weilte, als still und bescheiden beschrieben 19 .<br />
Im Herbst 1869 reiste Grube zur Gartenbauausstellung über Düsseldorf<br />
und Berhn nach Hamburg. Auf dieser Reise besichtigte er<br />
den Schloßgarten in Neuwied, den Poppelsdorfer Garten bei Bonn,<br />
seine ehemalige Arbeitsstätte, die Flora bei Köln sowie die Gärten<br />
von Berlin und Potsdam. Dort festigte er seine Bekanntschaft mit<br />
dem kgl. Preußischen Hofgartendirektor Tühlke 20 . Ein Jahr darauf<br />
wurde Grabe nach Hohlstein, auf die schlesischen Besitzungen des<br />
Fürsten, gesandt, um die botanischen Kostbarkeiten, die dort noch<br />
vorhanden waren nach Hohenzollern zu bringen 21 . Und für 1879 ist<br />
wiederum ein Besuch Grabes in Berhn belegt. Mit Einwilligung<br />
Karl Antons wurde Grube nach Bukarest berufen. Dort gestaltete er<br />
die Gärten des Landsitzes Cotroceni für Karl, den Zweitältesten<br />
Sohn des Fürsten. Dieser war 1866 Fürst von Rumänien geworden<br />
und regierte das Land seit 1881 als König Carol I. 1875 beteiligte<br />
sich Grube am Wettbewerb für den Floragarten in seiner <strong>Heimat</strong>stadt<br />
Düsseldorf, den er gewann und der nach seinem Entwurf ausgeführt<br />
wurde 22 .<br />
Welche Anlagen Grube unter Fürst Karl Anton neu gestaltete und<br />
wie er sie ausstattete, ist im Detail nicht überliefert 23 . Grube<br />
schreibt nur, dass er während jener Zeit „Gelegenheit hatte, in Hohenzollern<br />
und in der Schweiz viele neue Anlagen und Einrichtungen<br />
zu treffen und auszuführen". Neben dem Prinzengarten in Sigmaringen,<br />
den er für den damahgen Erbprinzen Leopold gestaltete<br />
24 , hat auch der Park um Schloß und Landhaus in Krauchenwies,<br />
die Sommerresidenz des Fürsten Karl-Anton, durch Grube<br />
neue Akzente erhalten. Aufsätze, Karten und Pläne dokumentieren,<br />
dass wohl in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Gestalt<br />
des Parks durch architektonische Ausstattung, neue Wegeführung,<br />
Bosketts und Springbrunnen und auch durch die weitere Aufstellung<br />
von Findlingen, den sog. erratischen Blöcken, verändert und<br />
bereichert wurde 25 . In Sigmaringen legte er den Carlsplatz gärtnerisch<br />
an 26 , gestaltete zudem die Anlagen vor dem Bauhof, nachdem<br />
die Straße dort einen neuen Verlauf erhalten hatte 27 sowie die Anlagen<br />
vor dem evangelischen Pfarrhaus. Zudem gab er an der<br />
Ackerbauschule Zeichenunterricht 28 . Er unterstützte als Mitglied<br />
der Centraistelle zur Förderung der Landwirtschaft und des Gewerbes<br />
in Hohenzollern dessen Vereinsblatt durch Fachbeiträge 2 ',
stellte dem Vorstand sein Fachwissen in Gartenkultur, Obstbaum-<br />
zucht und Naturwissenschaften zur Verfügung und ordnete und katalogisierte<br />
die ungefähr 2000 Bände umfassende Vereinsbibliothek<br />
30 . Vom Sommer 1870 ab nahm Grube am Krieg gegen Frankreich<br />
teil 31 .<br />
Grube wurde auf eigenes Ersuchen hin mit dem 1. September 1879<br />
aus fürstlichen Diensten entlassen 32 . Er ließ sich in Godesberg nieder,<br />
schloß sich vom 1. Mai 1880 dem Unternehmen des Ernst<br />
Grosch an, der eine Rosen- und Baumschule unterhielt, und übernahm<br />
darin den Bereich der Landschaftsgärtnerei 33 . Während dieser<br />
Zeit schuf er Anlagen in Krefeld, Barmen, Düsseldorf und in<br />
Remscheid sowie für die Drachenburg. Zugleich wurde er vom<br />
Oberpräsidenten der Rheinprovinz mit der Untersuchung des<br />
Weinbauausbaus im Ahrtal und in der Umgebung von Bonn sowie<br />
mit der Reblausbekämpfung beauftragt 34 .<br />
Im Mai 1882 bewarb sich Grube um die Stelle eines Stadtgärtners<br />
in Aachen und legte dort am 30. Juni 1882 seinen Diensteid ab. In<br />
seiner zwanzigjährigen Dienstzeit als Stadtgärtner und Gartendirektor<br />
baute er die Gartenverwaltung und die Stadtgärtnerei auf,<br />
bepflanzte zahlreiche Straßen, veränderte die Anlagen auf dem Salvatorberg<br />
und schuf die Anlagen auf dem Lousberg sowie zwei<br />
Friedhöfe 35 . Er vergrößerte den Stadtgarten, baute den botanischen<br />
Garten aus und schuf den dendrologischen Garten, wohl einen der<br />
ersten im Rheinisch-Westphälischen Gebiet 36 . 1884 war ihm auch<br />
die Leitung des botanischen Gartens übertragen worden. 37 1887 ernannte<br />
ihn die Stadt zum Gartendirektor 38 .<br />
Während seiner Zeit in Aachen unternahm er 1890 Reisen nach<br />
Berlin zur Gartenbauausstellung sowie nach Bonn, Koblenz, Geisenheim,<br />
Mainz, Frankfurt, Bad Ems, Wiesbaden und Homburg,<br />
um dort die gärtnerischen Anlagen zu besuchen. Im selben Jahr<br />
bereiste er auch die Baumschulen in Engers, Neuwied, Oberursel,<br />
Trier und Langsar bei Trier. Sieben Jahre später führte ihn die Reise<br />
über Hagen nach Berlin und von dort über Hannover zurück. Im<br />
August 1900 besichtigte er Paris, um neue Erkenntnisse hinsichtlich<br />
der Pflanzung von Straßenbäumen zu gewinnen 35 . Eine seine<br />
letzten Reisen führte ihn ins Siegener Land 40 . Als Preisrichter wirkte<br />
Grube 1897 in Berlin und 1902 in Düsseldorf und als Gutachter<br />
u.a. zusammen mit dem Kölner Stadtbaurat Stübben gegen den Eisenbahnfiskus.<br />
In Aachen wirkte er als langjähriger Vorsitzender<br />
des Gartenbauvereins zu Aachen und Burtscheid" und im Verein<br />
Deutscher Gartenkünstler leitete Grube fast ein Jahrzehnt lang den<br />
Ausschuß für Gartentechnik als Vorsitzender 42 . Zudem war er Mitherausgeber<br />
des von 1883 bis 1889 erschienenen Jahrbuchs für<br />
Gartenkunde und Botanik und veröffentlichte über drei Jahrzehnte<br />
hinweg zahlreiche Aufsätze, Berichte und Rezensionen zur Gartenkunst<br />
und Gartentechnik sowie zur Vereinstätigkeit 43 . Grabes Aufsätze<br />
zeigen eine intensive Auseinandersetzung sowohl mit der Gartentechnik<br />
als auch mit der Gartenkunst". Bei der Anlage von Grotten,<br />
Felsen und Gewässern in Landschaftsgärten beispielsweise<br />
mahnte er, die vorhandenen Gegebenheiten zu nutzen, sich auf das<br />
Wesentliche zu konzentrieren und Kleinliches zu vermeiden 45 . Gegen<br />
Ende seines Lebens machte er auf die Standortgerechtigkeit bei<br />
Gehölzen aufmerksam 46 .<br />
Der Herzstillstand am 28. Dezember 1907, dem ein Leiden am<br />
Speiseröhrenkrebs voranging, beschloß ein bewegtes und wirkungsreiches<br />
Leben (Abb. 2), dessen Werke längst Wert sind, ins<br />
Gedächtnis einer größeren Öffentlichkeit zurückgerufen zu werden.<br />
8<br />
Anmerkungen<br />
1 Allenfalls Donaueschingen, die Residenz der Fürstenberger<br />
mit den Gärten und den ausgedehnten Parkanlagen sowie<br />
den unweit der Stadt gelegenen Anlagen Wartenbergs und<br />
bei der Gruftkirche in Neidingen kommt noch dem Sigmaringer<br />
Beispiel nahe. Zu den Gartenanlagen der Fürstenberger<br />
Residenz vgl. O. Berndt: Die Gartenanlagen zu Donaueschingen,<br />
Wartenberg und Neidingen. Ihre Entstehung<br />
und Entwicklung. In: Schriften des Vereins für Geschichte<br />
und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile<br />
in Donaueschingen. Tübingen 1909, S. 1-64 und<br />
Timo John: Der Fürstlich Fürstenbergische Schloßpark zu<br />
Donaueschingen. In: Die Gartenkunst 15. Jg. 1999 S. 169-<br />
184.<br />
2 vgl. Franz-Severin Gäßler: Die Allee in Sigmaringen - barocke<br />
Landschaftsinszenierung und fürstliches Herrschaftssymbol.<br />
In: <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong> (HH) 55. Jg.<br />
2005, 20-23, 54-56 und 56. Jg. 2006,4-6.<br />
3 Vgl. Franz-Severin Gäßler: Der Ursprung des Sigmaringer<br />
Prinzengartens. In: HH 50. Jg. 2000, 55-60.<br />
4 Zu Grubes Planungen für die Parkanlagen in Sigmaringen<br />
und Krauchenwies beabsichtigt der Verfasser eigenständige<br />
Beiträge zu veröffentlichen, da sie den Umfang dieses Beitrags<br />
erheblich sprengen würden.<br />
5 Die Gartendirektion wurde mit dem Eintritt Grubes in den<br />
fürstlichen Dienst geschaffen; vgl. Staatsarchiv Sigmaringen<br />
(StAS), Dep. 39, NVA 15720.<br />
6 Den besten Überblick über die Vita Grabes bietet die Personalakte<br />
im Stadtarchiv Aachen (StAA) G 12, auf die sich<br />
sämtliche Zitate, sofern nicht anders angegeben, beziehen;<br />
zu Details während seines Aufenthaltes in Hohenzollern vgl.<br />
auch StAS, Dep. 39, NVA 15270. Zur Familie Grubes vgl. Joachim<br />
Fischer, Ingeborg Längsfeld u.a.: Elisabeth Grube &<br />
Katharina Diez. Zwei Dichterinnen und ihre Zeit. Siegen<br />
und Netphen 1992, insbes. S. 33, 36, 38,40, 52 und 70.<br />
Vgl. hierzu Elisabeth Grabe, Katharina Diez: Zur Feier der<br />
Verlobung Ihrer Hoheit der Prinzessin Stephanie von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
mit Seiner Majestät dem Könige<br />
Dom Pedro V von Portugal. Fest-Vorstellung im Stadttheater<br />
zu Düsseldorf 15. Dezember 1857. Düsseldorf o.J.<br />
8 Die Uraufführung des Dramas „Frithjof" fand am 12. Februar<br />
1878 im Sigmaringer Hoftheater statt; vgl. Fischer;<br />
Längsfeld wie Anm. 6, S. 127. Über die erfolgreiche Inszenierung<br />
des „Frithjof" am Augsburger Stadttheater ließ<br />
Heinrich Grabe seiner Tante mit Datum vom 4. April von<br />
dort aus eine Postkarte zugehen; vgl. Stadtarchiv Siegen,<br />
Bestand Sammlungen Nr. 12: Nachlaß Diez-Grube.<br />
9 Katharina Diez: Stephanie, Königin von Portugal. Lebensbild<br />
einer deutschen Fürstentochter aus unserer Zeit. Stuttgart<br />
1864; dies.: Nach Mexiko und zurück in die <strong>Heimat</strong>h.<br />
Eine Erzählung nach Briefen bearbeitet. Stuttgart 1868.<br />
10 Zu Maximilian Friedrich Weyhe vgl. Helmut Schildt, Maximilian<br />
Friedrich Weyhe und seine Parkanlagen. Düsseldorf<br />
1987.<br />
11 Vgl. StAS, Dep. 39, NVA 15270, Zeugnis der Aktien-Gesellschaft<br />
Flora in Cöln vom 15- Februar 1864, unterzeichnet<br />
vom Präsidenten Oppenheim und dem Gartendirektor Niepraschk;<br />
vgl. auch Gerd Bermbach: Die Flora zu Köln am<br />
Rhein. Köln 1991, S. 28.
12<br />
13<br />
14<br />
IS<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
Maximilian war seit 1857 mit Prinzessin Charlotte, der<br />
Tochter des Belgischen Königs Leopolds I. verheiratet, die<br />
nach der Erschießung ihres Mannes durch die Revolutionstruppen<br />
am 19. Juni 1867 dem Wahnsinn verfiel und 27<br />
auf Schloß Bouchoute nahe Brüssel bis zu ihrem Tod ihr<br />
Dasein fristete. Charlotte wiederum war Schwester des Grafen<br />
Philipp von Flandern, der am 25. April 1867 in Berhn<br />
die jüngste Tochter des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern,<br />
Prinzessin Marie, geheiratet hatte und mit ihr am 30. 28<br />
April in Brüssel in das gemeinsame Domizil einzog.<br />
In der Erzählung von Katharina Diez: Nach Mexiko und<br />
zurück in die <strong>Heimat</strong>h. Eine Erzählung nach Briefen bear- 29<br />
beitet. Stuttgart 1868 ist die mexikanische Zeit Grubes verarbeitet,<br />
der dort Hubert genannt ist und von dem S. 2 f. zu<br />
lesen ist, „dass ein reicher, vornehmer Freund seines seligen<br />
Vaters, der schon lange in Amerika lebte und unfern<br />
der Hauptstadt Mexikos eine reizende Hazienda besaß, ihm 30<br />
die Mittel gegeben hatte, seinen heißesten Wunsch von<br />
früher Jugend an befriedigen zu können: fremde Länder zu<br />
bereisen und sich neue Kenntnisse im Gebiet der Naturwis- 31<br />
senschaft zu sammeln". 32<br />
Vgl. Die Gartenwelt, 10. Jg. 1908, Heft 3, S. 8.<br />
Vgl. StAS, Dep. 39, NVA 15720, die Verfügung Karl Antons,<br />
ausgestellt in Düsseldorf am 6. Juh 1867. Sie enthält auch<br />
die dienstlichen Instruktionen.<br />
Mit Bittelschieß dürften die Anlagen im Bittelschießer Täle,<br />
unweit von Hornstein, zwischen Sigmaringen und Bingen<br />
gelegen, gemeint sein, die Weinburg hegt bei Rheineck in<br />
der Schweiz.<br />
Vgl. Hof- Hand- und Adressbuch für die Hohenzollernschen<br />
Lande 1876, S. 70.<br />
Ebda, S. 72.<br />
Vgl. Lotte Hoffmann-Kuhnt (Hrsg): August Becker. 1821-<br />
1887. Das Leben eines Landschaftsmalers. Reiseberichte<br />
und Briefe. Nürnberg [2000], bes. S. 532, den Brief vom 9-<br />
Juh 1867.<br />
Vgl. StAS, Dep. 39, NVA 15270, die Erläuterungen Grubes<br />
über die Reisekosten.<br />
Wie Anm. 20. 33<br />
Vgl. auch Gabriele Uerscheln (Hrsg.): Muesum für Europäische<br />
Gartenkunst. Mit Beiträgen von Karl Matthias<br />
Berg u.a. Ostfildern-Ruit 2005, S. 233 u. Abb. S. 236.<br />
Die Akten der Fürstlichen Hofgärtnerei sind nicht überlie- 34<br />
fert und Pläne sind für die einzelnen Anlagen - wenn überhaupt<br />
- nur selektiv vorhanden.<br />
Vgl. StAS, Dep. 39, K1346, K 1687, P 68 und insbesondere 35<br />
StAA, Autographen II 42 sowie II - 115 (Schreiben des damaligen<br />
Erbprinzen Leopold an Grube aus den Jahren 1876<br />
und 1877). Zu diesem Parkensemble gehörten auch die 36<br />
Anlagen östlich der Allee, die bis in die sechziger Jahre des<br />
20. Jahrhunderts bestanden.<br />
Vgl. StAS, Dep. 39, Karten: K 1654 sowie Pläne: P 60, P 6l.<br />
Zu den Erratischen Blöcken vgl. K. Zingeler: Sigmaringen<br />
und seine nächste Umgebung. Sigmaringen 1877, S. 110- 37<br />
115, sowie Grubes Aufsatz: Eine seltene Parkdekoration.<br />
In: Deutscher Garten 1881, S. 220-223, in dem er auch die 38<br />
Aufstellung der zahlreichen Findlinge im fürstlichen Park 39<br />
zu Krauchenwies beschreibt und insbesondere die Intention,<br />
die mit deren Aufstellung verbunden ist. 40<br />
Vgl. Franz-Severin Gäßler: Der Sigmaringer Leopoldplatz -<br />
Notizen zu seiner Geschichte, Gestalt und Funktion. Teil 2.<br />
Die Zeit unter preußischer Souveränität bis zum Ende der<br />
Monarchie. In: HH 48. Jg. 1898, 22-28, S. 22.<br />
Vgl. StAS, Dep. 39 Pläne: P 349/131; für den Bereich unweit<br />
des Bauhofs, an der Einmündung der Bahnhofstraße existiert<br />
zudem ein nicht realisierter Entwurf Grubes für ein<br />
Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus dem Jahr 1873; vgl. StAS,<br />
Dep. 39 Pläne: P 535/1 und 535/2.<br />
Vgl. hierzu auch StAS, Ho 310 Bd. 1 Nr. 520 sowie Statist.<br />
Hof-, Hand- u. Adreßbuch für die Hohenzollern. Lande.<br />
Sigmaringen 1876, S. 151.<br />
Am 19. April 1868 war Grube zum Stellvertretenden Vorstand<br />
des I. Landwirtschaftlichen Bezirksvereins gewählt<br />
worden; vgl. Mittheilungen des Vereins zur Beförderung<br />
der Landwirtschaft und der Gewerbe in den Hohenzollern -<br />
schen Landen 1868, No 16, S. 6l.<br />
Vgl. Heinz Grube (Hrsg.): Catalog der Bibliothek der Centralsteüe<br />
des Vereins zur Beförderung der Landwirtschaft<br />
und der Gewerbe in Hohenzollern. Sigmaringen [1877].<br />
Vgl. StAS, Dep. 39, NVA 14660 b.<br />
Zu seiner Entlassung und zu seiner privaten Tätigkeit vgl.<br />
StAS, Dep. 39, NVA 14660b. Er erhielt bis zum 1. Januar<br />
1880 noch das volle Gehalt, für das Jahr 1880 ein Gehalt<br />
von 2200 Mark und für die folgenden Jahre bis 1885 jährlich<br />
1000 Mark, am Tage seiner Abreise 1000 Mark und einen<br />
Vorschuß von 2000 Mark vom fürstlichen Hofkassenamt.<br />
Der Kabinettchef des Fürsten Karl Anton formulierte in<br />
seinem Schreiben vom 24.9.1879 den Anlass für seine Entlassung<br />
als „einen gesellschaftlichen Conflikt in Privatsachen,<br />
der eine so akute Gestalt angenommen, dass sein sozialer<br />
Umgang in den eng begrenzten Verhältnissen der<br />
Stadt Sigmaringen beeinträchtigt wurde"; Grube selbst<br />
teilte in seinem Schreiben vom 30. Mai 1878 an den Kommissarius<br />
für die Ackerbauschule mit, dass er den Zeichenunterricht<br />
an der Ackerbauschule aufgeben muß, „da<br />
verschiedene äußere Verhältnisse, die er nicht ändern<br />
kann, ihn zu seinem großen Bedauern dazu nötigen"; vgl.<br />
StAS, Ho 310 Bd. 1 Nr. 520.<br />
Vgl. Deutsches Magazin für Garten- und Blumenkunde 33-<br />
Jg. 1880, S. 158-159 sowie die Monatsschrift des Vereins<br />
zur Beförderung des Gartenbaus 23. Jg. 1880, No. 6, S.<br />
287.<br />
Vgl. hierzu auch H. Grube: Die Reblaus im Ahrthale. In:<br />
Rhein. Jb. Für Gartenkunde und Botanik, 1. Jg. 1884, S.<br />
224-225.<br />
Vgl. hierzu auch Thomas Terhart: Der Lousberg-Park in Aachen.<br />
Neuss 1988. (Rheinische Kunststätten, Heft 338),<br />
bes. S. 20-22.<br />
Vgl. hierzu auch H. Grube: Vom Gartenbau in Aachen. In:<br />
Jb. für Gartenkunde und Botanik, 4. Jg. 1886/87, S. 6-9 und<br />
ders.: Ueber Dendrologie und Dendrologische Gärten. In:<br />
Jb. für Gartenkunde und Botanik, 6. Jg. 1888/89, S. 368-<br />
375.<br />
Vgl. Jb. für Gartenkunde und Botanik, 2. Jg. 1884/85, S.<br />
365 f.<br />
Vgl. ebda., 4. Jg. 1886/87, S. 380 f.<br />
Vgl. Heinrich Grube: Etwas über Pariser Straßenbäume und<br />
Straßenbreiten. In: Die Gartenkunst, 3-Jg. 1901, S. 95-98.<br />
Vgl. H. Grube: Die Eibe im Garten des oberen Schlosses zu<br />
Siegen. In: Die Gartenwelt, 11. Jg. 1907, S. 304 f.
41 Vgl. die Vereinsmitteilungen im Jb. für Gartenkunde und<br />
Botanik; zugleich war Grube auch Vereinsbibliothekar, wie<br />
den Mitteilungen zu entnehmen ist.<br />
42 Vgl. die Mitteilungen des Vereins Dt. Gartenkünstler in der<br />
Zschr. für bild. Gartenkunst.<br />
43 Aufsätze und Berichte erschienen in den Zeitschriften:<br />
Deutscher Garten, Deutsches Magazin für Garten- und Blumenkunde,<br />
Die Gartenkunst, Die Gartenwelt, Rhein. Jb. für<br />
Gartenkunde und Botanik, Jb. für Gartenkunde und Botanik,<br />
Zschr. für bildende Gartenkunst, Zschr. für Gartenbau<br />
und Gartenkunst.<br />
44 Vgl. beispielsweise H. Grube: Über die schöne Gartenkunst.<br />
MEXIKO Wf-fefc<br />
HAM^UKe<br />
©HANNOS<br />
141-0 M/fcO-M<br />
AACHEN 146Z-W7 • ^EN 16M-WK<br />
OOD^Hf.fli/ r *1Uß:m, NECWiEP \_<br />
tfm y ^ l j y / ^ v<br />
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HECHi IN&EN^ ARipJHiK^Wl<br />
frA-zEt®<br />
(WEINbl/W/RHEiNECK<br />
P0T?DAMM4W/fc0<br />
OHI^TEIN<br />
PAXENWG<br />
Abb. 2: Wohn- und Studienorte, Wirkungsstätten sowie Reiseziele<br />
(in Auszügen) Heinrich Grubes<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
Der Chronist des Kreises Saulgau<br />
Zum Tod des <strong>Heimat</strong>forschers<br />
Walter Bleicher<br />
Wenige Wochen vor Vollendung seines 81. Lebensjahrs ist am 19.<br />
Februar 2006 im Krankenhaus Ravensburg der ehemalige Volksschulrektor<br />
und <strong>Heimat</strong>forscher Walter Bleicher aus Mengen verstorben.<br />
Als ehrenamtlicher Kreisarchivar der Landkreise Saulgau<br />
und Sigmaringen von 1967 bis 1989, vor allem aber durch zahlreiche<br />
heimatkundliche Veröffentlichungen zur Orts- und Regionalgeschichte<br />
des nordwestlichen Oberschwabens hat sich Bleicher<br />
bleibende Verdienste erworben.<br />
Walter Bleicher wurde am 28. März 1925 als Ältestes von insgesamt<br />
sechs Kindern des Bau- und Möbelschreiners Konrad Bleicher<br />
und dessen Ehefrau Maria geb. Frank in Beizkofen geboren.<br />
10<br />
In Rhein. Jb. für Gartenkunde und Botanik, 1. Jg. 1884, S.<br />
6-13. Dieser Aufsatz zeigt Grubes Kenntnis und Auseinandersetzung<br />
mit den Theorien von Hirschfeld, Pückler, Jäger<br />
und Meyer sowie mit den Kunsttheorien bei Herder, Schleiermacher,<br />
Vischer und Humboldt.<br />
45 Vgl. Grube: Eine seltene Parkdekoration. In: Deutscher<br />
Garten, 1881, S. 220-223, insbes. S. 220 f.; zugleich blitzt<br />
in diesem Aufsatz Grubes gute Kenntnis über die Gärten der<br />
damaligen Zeit sowie über die geologischen und geographischen<br />
Aspekte auf.<br />
46 Vgl. Grube: Chinesische Aussprüche über Gartenkunst.<br />
In: Die Gartenwelt, 8. Jg. 1903/04, S. 164 f.<br />
0 50 -100 KM E-* 6A«hek */•zoo?<br />
FTnkTCH GKU&E -i6 j o -{zi^.r,:/<br />
W-Wt- Of>EK6ARTNER/A6aORA/ KOVN<br />
KAtefRk GAKTENPiREKTok, MEXiKO<br />
m i - m FÖRSTE. HOHENZ. GAFJENpip,.,fi&M,<br />
-1462- -MOS ^TAPTekTNER/OARTENDlX.,AACHEN<br />
Während von seinen drei Brüdern immerhin zwei den Schreinerberuf<br />
ergriffen und damit die Tradition der alteingesessenen<br />
„Holzdynastie" in der Göge fortsetzten, wurde dem Erstgeborenen<br />
die Chance einer höheren Schulbildung geboten, die ihn über die<br />
Volksschule in Beizkofen und die Oberschule für Jungen in Mengen<br />
schließlich 1941 an die Oberschule für Jungen in Riedlingen<br />
führte. Mit einem provisorischen „Reifevermerk" in der Tasche<br />
musste Walter Bleicher Ende Juni 1942 die Schule verlassen, als er<br />
inmitten des Zweiten Weltkriegs mit 17 Jahren zum Kriegsdienst<br />
einberufen wurde. Als Unteroffizier und späterhin als Leutnant erlebte<br />
er an der Ostfront seit 1943 den Krieg in all seiner Brutalität<br />
und wurde mehrfach verwundet. Das Kriegsende und den Untergang<br />
des Hitler-Reiches erlebte er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft,<br />
aus der er im Herbst 1945 entlassen wurde, um den<br />
Heimweg zurück ins Elternhaus zu Fuß anzutreten. Die furchtbaren<br />
Kriegserlebnisse haben bei Walter Bleicher tiefe, ja traumatische<br />
Spuren hinterlassen und zu einer gewissen Verhärtung seines<br />
Charakters beigetragen.
Zum 1. November 1945 wurde der 20jährige junge Mann als Laienlehrkraft<br />
eingestellt, um dem gravierenden Mangel an Lehrern<br />
im Gefolge von Krieg und Entnazifizierung abzuhelfen. Die ersten<br />
Einsatzorte waren die Volksschulen in Hohentengen, Littenweiler,<br />
Renhardsweiler und seit 1. Mai 1947 wiederum Uttenweiler. Parallel<br />
zur Schulpraxis absolvierte Walter Bleicher eine Lehrerausbildung<br />
am Pädagogischen Institut in Reutlingen, wobei er die Fahrten<br />
über die Alb bei jeder Witterung mit einem Motorrad unternahm.<br />
1949 legte er in Reutlingen die erste und 1952 die zweite<br />
Prüfung für das Lehramt an Volksschulen ab, das Thema seiner Zulassungsarbeit<br />
war die „Geschichte des Marktfleckens Uttenweiler".<br />
Mit dem 1. Mai 1952 erhielt er eine Anstellung als außerplanmäßiger<br />
Volksschullehrer, am 5. März 1953 wurde er zum<br />
Hauptlehrer ernannt und verfügte damit erstmals über eine Planstelle<br />
und eine sichere Besoldung zur Ernährung seiner Familie,<br />
die er 1947 mit der vier Jahre älteren Anny Moll aus Uttenweüer<br />
begründet hatte. Völhg selbstverständlich war in jenen Jahren die<br />
Residenzpflicht eines Volksschullehrers, und so wohnte das junge<br />
Ehepaar Bleicher mit seinen beiden Kindern Doris (geb. 1948)<br />
und Edwin (geb. 1952) im Lehrerhaus neben der Schule, von Uttenweiler.<br />
Öffentliches Engagement im Schulort<br />
Ebenso „normal" war in jener Zeit ein öffentliches Engagement eines<br />
Lehrers im Kultur-, Vereins- oder Kirchenleben seines Schulortes.<br />
Aus dem Bestreben, der Dorfjugend eine musikalische Ausbildung<br />
zu ermöglichen, stellte sich Walter Bleicher von 1950 bis<br />
1956 dem örtlichen Musikverein als erster Vorsitzender zur Verfügung<br />
und betrieb mit Erfolg die Wiederbesetzung der vakanten Dirigentenstelle,<br />
die Werbung passiver Vereinsmitglieder, die Förderung<br />
der Nachwuchsarbeit und die Teilnahme an Wertungsspielen.<br />
Unter seiner Regie wurden auch Fasnachts-Veranstaltungen in den<br />
Sälen der Gasthäuser „Rössle" und „Bären" organisiert. Der junge<br />
Lehrer zählte zu den „Honoratioren" seines Dorfes, der mit Bürgermeister,<br />
Pfarrer, Förster und weiteren Angehörigen der „Bildungsschicht"<br />
einen engen Kontakt pflegte. Auch betätigte sich<br />
Walter Bleicher bereits in Uttenweüer als „Ortschronist", der im<br />
Anschluss an seine Zulassungsarbeit sich auch weiterhin mit der<br />
Geschichte seiner Schulgemeinde befasste und seine aus Quellenstudien<br />
gewonnenen Befunde in seinem Unterricht verwertete. In<br />
der Erinnerung der Kinder waren die Uttenweiler Jahre bis 1958<br />
die glücklichsten der Familie.<br />
Zum 1. April 1958 übernahm Bleicher, der im Jahr darauf zum<br />
Oberlehrer ernannt wurde, die Leitung der vierklassigen Volksschule<br />
in Scheer. Auch am neuen Tätigkeitsort bezog die Lehrerfamilie<br />
eine Dienstwohnung im Schulhaus. Neben seiner schulischen<br />
Arbeit gewannen jetzt die Beschäftigung mit der <strong>Heimat</strong>geschichte<br />
und das Studium der historischen Quellen eine immer größere Bedeutung<br />
für Walter Bleicher. Aus seinem 1967 mit Beifall des<br />
Schulamts entwickelten Plan zur Herausgabe eines vorrangig für<br />
die schuhsche Nutzung gedachten <strong>Heimat</strong>blattes mit regionalgeschichtlichen<br />
Themen entstand seit 1968 die „Schwäbische Kunde.<br />
Aus der Geschichte des Kreises Saulgau". In dieser in Chronikform<br />
angelegten und nach Orten gegliederten heimatgeschichthchen<br />
Materialsammlung von Quellenexzerpten erschienen bis kurz vor<br />
seinem Tod mit Unterstützung des Kreises Saulgau und sodann der<br />
Nachfolgekreise Biberach und Sigmaringen sage und schreibe 43<br />
Bände. Das zeitliche Spektrum reicht vom Beginn des 14. Jahrhunderts<br />
bis 1831.<br />
11<br />
Bestellung zum nebenamtlichen Kreisarchivar<br />
1967 wurde der Scheerer Schulleiter auf Veranlassung des geschichts-<br />
und kulturinteressierten Landrats Karl Anton Maier zum<br />
nebenamtlichen Kreisarchivar des Kreises Saulgau bestellt. Mit beeindruckender<br />
Schaffensfreude übernahm er Ordnungs- und Inventarisierungsarbeiten<br />
in den Gemeindearchiven Ennetach, Eningen<br />
und Mengen und sorgte in allen drei Orten auch für die Einrichtung<br />
und Ausstattung geeigneter Archivräume. Daneben wurde<br />
Bleicher von Landrat Maier und seinem Nachfolger Dr. Wilfried<br />
Steuer als Ratgeber für historische Fragestellungen herangezogen<br />
und mit der historiographischen Begleitung von Orts- und Vereinsjubiläen<br />
betraut. Zum 1971 vom Theiss-Verlag herausgegebenen<br />
Saulgauer Kreisbuch steuerte Walter Bleicher einen umfangreichen<br />
geschichtlichen Überbück bei. In Ertingen veranlasste er die<br />
Einrichtung einer „Stube" für den <strong>Heimat</strong>schriftsteller Michel<br />
Buck, für den schulischen Gebrauch stellte er eine Diareihe zum<br />
„Bussenland" zusammen. „Wenn irgendwo ein <strong>Heimat</strong>fest, eine<br />
Einweihung, ein Jubiläum zu feiern ist, dann stellt Oberlehrer Bleicher<br />
den geschichtlichen Abriss, die Festschrift, ein Theäterchen,<br />
gibt Hinweise für Gestaltung und Embleme", würdigte das Schulamt<br />
das historiographische Engagement des Volksschullehrers.<br />
Nicht zuletzt dank seines außerschulischen Engagements und Ansehens<br />
als Kreisarchivar und <strong>Heimat</strong>forscher wurde Walter Bleicher<br />
im Herbst 1973 zum Leiter und Rektor der Ablachschule in<br />
Mengen, einer im Gefolge der Schulreformen in jenen Jahren geschaffenen<br />
Nachbarschaftsgrundschule mit ca. 600 Schülern und<br />
30 Lehrkräften berufen. Die Leitung der großen Bildungseinrichtung,<br />
die Koordination des zahlenstarken Lehrerkollegiums und<br />
zumal der Umgang mit den von der Studentenbewegung geprägten<br />
Junglehrern überforderten indessen den neuen Rektor mit seinem<br />
traditionell-autoritären Führungsstil. Die zunehmenden Spannungen<br />
und Konflikte führten zur Erkrankung Bleichers und letztlich<br />
im Juli 1977 zu seiner vorzeitigen Pensionierung mit gerade einmal<br />
52 Jahren.<br />
Das Scheitern Bleichers als Schulleiter und sein Ausscheiden aus<br />
dem pädagogischen Dienst waren der Ausgangspunkt für eine verstärkte,<br />
über nahezu drei Jahrzehnte anhaltende Beschäftigung mit<br />
der <strong>Heimat</strong>geschichte und eine beeindruckende publizistische<br />
Produktivität bis kurz vor seinem Tod. Walter Bleicher wurde zum<br />
Historiographen des Kreises Saulgau, auch über dessen Auflösung<br />
im Gefolge der großen Kreisreform von 1973 hinaus. Bei seinen<br />
geschichtlichen Interessen und Forschungen war er ein Allrounder<br />
alter Schule, der sich mit der Vor- und Frühgeschichte ebenso auseinandersetzte<br />
wie mit der Familienforschung, den regionalen Sagen<br />
und Anekdoten, biographischen Studien, der Geschichte von<br />
Mittelalter, Frühneuzeit und Moderne. Zahlreiche Ortschaften des<br />
Altkreises Saulgau und seit 1973 auch des neuen „Dreiländerkreises"<br />
Sigmaringen verdanken ihm kleinere oder größere Darstellungen<br />
ihrer Geschichte in Festschriften oder auch umfänglichen<br />
<strong>Heimat</strong>büchern. Besondere Erwähnung verdienen darunter seine<br />
Stadtgeschichte von Scheer, die <strong>Heimat</strong>bücher von Heudorf und<br />
Hundersingen sowie zwei reich bebilderte Bände zur Geschichte<br />
von Mengen, wo er sich mit seiner Familie 1973 in einem Eigenheim<br />
im Schlehenweg niedergelassen hatte und von 1975 bis 1993<br />
überdies auch als ehrenamtlicher Stadtarchivar tätig war. Im Mittelpunkt<br />
seiner quellennahen Forschungs- und Veröffentlichungstätigkeit<br />
stand indessen die bereits erwähnte „Schwäbische Kunde.<br />
Aus der Geschichte des Kreises Saulgau".
Selbstverständnis als neutraler Chronist<br />
Bei seiner Beschäftigung mit der regionalen Geschichte war Walter<br />
Bleicher ein Autodidakt ohne eigentliche wissenschaftliche Ausbildung.<br />
Theorien der aktuellen Geschichtswissenschaft stand er<br />
ebenso fern wie modernen fachlichen Standards der Quellenkritik,<br />
der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte oder auch der Einbettung<br />
seiner lokalen Befunde in den allgemeinen Forschungskontext.<br />
Bleicher verstand sich als neutraler Chronist, der die Quellen<br />
selbst sprechen ließ und sich mit dem eigenen Urteil und der eigenen<br />
Bewertung bewusst zurückhielt - getreu dem Leitmotiv des historiographischen<br />
Altmeisters Leopold von Ranke, wonach der Historiker<br />
nicht die Vergangenheit zu richten und die Gegenwart zu<br />
belehren habe, sondern „blos zeigen (solle), wie es eigentlich gewesen".<br />
Seine Forschungen führten Walter Bleicher in alle für<br />
seine Fragestellungen relevanten Archive, die Staatsarchive in Sigmaringen,<br />
Stuttgart und Ludwigsburg suchte er ebenso auf wie die<br />
kirchlichen Archive, die Kommunalarchive oder auch die für die<br />
Geschichte des Saulgauer und Sigmaringer Raums in besonderer<br />
Weise gehaltvollen Adelsarchive, darunter auch das Thum und Taxis<br />
Zentralarchiv in Regensburg mit seiner wichtigen Überheferung<br />
zur Grafschaft Friedberg-Scheer.<br />
Höchst bedauerhch ist, dass sich Bleicher als exzellenter und intimer<br />
Kenner der regionalen Geschichtsquellen trotz allen Einwirkens<br />
von Historikern und Archivaren bis zum Schluss nicht dazu<br />
entschließen konnte, seine Veröffentlichungen mit nachvollziehbaren<br />
Quellenbelegen zu versehen und damit seinem heimatgeschichthchen<br />
Lebenswerk einen bleibenden Nutzwert auch für<br />
künftige Forschergenerationen zu verleihen. Bei seinen Forschungen<br />
und Veröffentlichungen war Walter Bleicher ein Einzelkämpfer<br />
und Generalist alter Schule, der sich einen historischen Durch-<br />
Walter Bleicher an seinem 80. Geburtstag2005. Vorlage: Privatbesitz<br />
OTTO H. BECKER<br />
„Die letzten Tage der französischen<br />
Regierung von Sigmaringen"<br />
nach Francis Bout de l'An<br />
Teil II und Schluss [Teil I in HH Nr. 3/2006 S. 37 f.]<br />
12<br />
marsch durch alle Geschichtsepochen, von den erdgeschichtlichen<br />
Grundlagen und ersten Siedlungsspuren bis zur Gegenwart zutraute.<br />
Teamarbeit, das Einfügen in ein Publikationsprojekt mit<br />
mehreren Autoren und verteilten Themen und Schwerpunkten,<br />
war seine Sache nicht. Als ihm bei der Vorstellung des Bandes<br />
„Mengen. Erinnerungen in Bildern" 1999 von seinen Mitautoren<br />
„Teamunfähigkeit" vorgehalten wurde, verstand er dies sichtlich<br />
als Kompliment für seinen autonomen Arbeitsstil!<br />
Ungeachtet solcher Einwände aus fachlich-wissenschaftlicher Sicht<br />
hat Walter Bleicher ein respektables Lebenswerk hinterlassen, das<br />
nach seiner Ordnung und Verzeichnung durch das Kreisarchiv Sigmaringen<br />
entsprechend dem Willen des Verstorbenen dauerhaft<br />
als Forscher-Nachlass im Stadtarchiv Mengen verwahrt werden<br />
soll. Bleicher war in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos einer<br />
der produktivsten <strong>Heimat</strong>forscher Oberschwabens, der mit seinen<br />
Quellenrecherchen, Veröffentlichungen, Vorträgen und Auskünften<br />
vielen Menschen die Geschichte ihrer eigenen <strong>Heimat</strong> nahe gebracht<br />
und erschlossen hat. Auch wenn er mit einer gewissen Härte<br />
des Charakters und der Neigung zu raschem Gekränktsein sich im<br />
Umgang mit anderen Menschen häufig schwer tat, bleibt die Erinnerung<br />
an eine markante und willensstarke Persönlichkeit, die<br />
sich noch im Alter mit enormer Disziplin die Geheimnisse der edv<br />
aneignete und über Jahre hinweg mit selbstloser Treue seine zum<br />
Pflegefall gewordene Ehefrau versorgte. In seinem Forschernachlass<br />
und seinen zahlreichen Veröffentlichungen wird der Chronist<br />
des Altkreises Saulgau über seinen Tod hinaus fortwirken.<br />
Quellen und Literatur:<br />
Landratsamt Sigmaringen, Stabsbereich Kultur und Archiv, Dienstregistratur<br />
Az. 361.26 Persönhchkeiten A - H<br />
Lebensbeschreibung von Walter Bleicher<br />
(„Mein Vater") durch seine Tochter Doris<br />
Kummli-Bleicher v. 6. März 2006 (Kreisarchiv<br />
Sigmaringen)<br />
Doris Kummli-Bleicher: Werksliste Walter Bleicher.<br />
Masch.-schr. 2006.<br />
Protokoll der Zeitzeugenbefragung von Doris<br />
Kummli-Bleicher durch Kreisarchivar Dr. E.<br />
Weber v. 8. März 2006<br />
(Kreisarchiv Sigmaringen)<br />
Protokoll der Zeitzeugenbefragung von Walter<br />
Bleicher, Mengen, durch Kreisarchivar Dr. E.<br />
Weber v. 11. Okt. 1996<br />
(Kreisarchiv Sigmaringen)<br />
Edwin Ernst Weber: Vorstellung des Buches<br />
„Chronik der Gemeinde Heudorf" von Walter<br />
Bleicher am 27. Mai 1994 in Scheer-Heudorf,<br />
TVposkript (Kreisarchiv Sigmaringen)<br />
Im dritten Abschnitt mit der Überschrift „Von Sigmaringen nach<br />
Wangen" geht Bout de l'An zunächst auf den Abzug der Franzosen<br />
im Frühjahr 1945 ein. Danach war jedes Ministerium, jede Partei<br />
und jede mehr oder weniger geduldete Organisation mit der Abfahrt<br />
ihrer Anhängerschaft in Richtung Tirol beschäftigt. Die Züge<br />
wurden geradezu im Sturm genommen. Der Arzt Ferdinand Destouches,<br />
besser bekannt unter dem Pseudonym „Celine", der nach<br />
dem Berichterstatter aufgebrachter wie noch nie war, soll seine
Frau und seinen Kater durch die Gruppen geführt und zwischen<br />
lautstarken Beschimpfungen seine Abfahrt nach Dänemark angekündigt<br />
haben, wo die germanische Rasse nicht unterdrückt sei<br />
(...Celine, plus furieux que jamais, promenait dans les groupes sa<br />
femme et son chat, annongait son depart pour Danemark entre<br />
deux sonores invectives oü la race germanique n'etait pas menagee).<br />
Es gab, wie der Autor weiter berichtet, herzzerreißende Szenen<br />
und sonderbare Episoden. Andere zogen es vor, sich im letzten Augenblick<br />
noch aus der Affäre zu ziehen. Die deutschen Funktionäre<br />
wurden derweil immer empfindlicher, bestanden freilich auf ihren<br />
Rechten. Die deutsche Unduldsamkeit vermochte, wie Bout de l'An<br />
ausführt, dem französischen Unternehmungsgeist jedoch nicht zu<br />
widerstehen. Die rechtschaffenden Schutzpolizisten ließen die Besetzung<br />
der reservierten Abteüs und die falschen Anordnungen zu.<br />
Auf den Straßen soll es genügt haben, zu sagen, „mit der Autorität<br />
von Marschall Petain", und man konnte passieren.<br />
Francis Bout de l'An erkannte freilich an, dass die deutschen Verantwortlichen<br />
zugunsten der Franzosen im dem Maße handelten,<br />
wie es die Zeit und die Mittel zuließen. Seit zwei Wochen hätten sie<br />
verkündet: „Vorzug für die Franzosen, die am stärksten bedroht<br />
sind". Unser Gewährsmann gab freilich auch zu bedenken, dass<br />
die Intentionen von den Tatsachen weit entfernt waren. Am 19.<br />
April, so fährt der Berichterstatter fort, blieben die Nachzügler<br />
überall auf den Wegen der Katastrophe wie in Frankreich 1940.<br />
Von den Konvois, welche Franzosen nach dem Süden bringen sollten,<br />
wusste man, wie Bout de l'An äußerte, jedoch wenig. Das Telefon<br />
funktionierte schlecht. Das Warten dauerte Stunden. Um den<br />
Wartenden die Zeit zu vertreiben, sollen die reizenden Telefonistinnen<br />
der Sigmaringer Post gesungen haben: „Ich werde Tag und<br />
Tag warten. Ich werde immer warten...(Pour nous aider ä passer<br />
le temps, les charmantes standardistes de la poste de Sigmaringen<br />
nous chantaient « J'attendrai le jour et la nuit. J'attendrai toujours...<br />
»)"<br />
Der Autor verließ um 9 Uhr Sigmaringen und schlug, um das andauernd<br />
beschossene Lager Mengen zu umgehen, den Weg über<br />
Krauchenwies und Saulgau ein, Dabei stieß er auf eine endlose<br />
Reihe ukrainischer Soldaten auf dem Rückzug, die auf ihren mageren<br />
Pferden unglaubliche Ballen von Lumpen und Schrott mit<br />
sich führten. Bis Ravensburg, so schreibt der Autor, war es ein Spaziergang.<br />
Beschlagnahme durch den „Volkssturm" hatte Bout de<br />
l'An nicht zu befürchten, da er einen fast magischen Schein besaß,<br />
signiert von Heinrich Himmler.<br />
Bout de l'An stellte fest, dass die Disziplin der Deutschen auch in<br />
der schrecklichen Katastrophe noch funktionierte. So wurden Lebensmittelkarten<br />
auch noch wenige Kilometer vor dem nahenden<br />
Feind anerkannt. Der Bürgermeister des kleinsten Dorfes grüßte<br />
das Zeichen des Reichsführers SS, beschlagnahmte ohne Murren<br />
ein Zimmer für den Verfasser und bot ihm manchmal auch seinen<br />
Tisch an. Nach den Beobachtungen des Autors gab es kerne Erregung,<br />
keinen Aufruhr (Pas d'affolement; pas de revolte). Da und<br />
dort fragten Motorradfahrer versprengte Soldaten aus und gaben<br />
ihnen Instruktionen. Einen Augenbhck begann der Verfasser zu<br />
glauben, dass der fürchterliche Rückgang des Widerstandes kein<br />
Märchen mehr war.<br />
Am frühen Nachmittag des 21. April 1945 traf Bout de l'An in Wangen<br />
[im Allgäu] schließlich den Konvoi der Regierungskommis-<br />
13<br />
sion. Die Wagen, die kein Benzin mehr hatten, waren, so gut es<br />
ging, in den Biegungen der Gassen und unter den Bäumen des Platzes<br />
versteckt.<br />
Im vierten Abschnitt des Berichts mit der Überschrift „Handlungsfreiheit<br />
(Liberte de manoeuvre)" schildert unsere Gewährsmann<br />
zunächst den Zustand, in welchem sich die Angehörigen der Regierungskommission<br />
befanden. Danach waren die Männer<br />
schlecht rasiert, die Frauen hatten zerknitterte Kleider an. Alle wiesen<br />
Spuren von einer schlaflosen Nacht auf. Vor allem aber htten<br />
sie Hunger. Die Gardisten von de Brinon, dem Präsidenten der Regierungskommission,<br />
suchten nach einem angeblichen Benzindepot,<br />
das zu Diensten von Deat gestanden haben sollte.<br />
Bout de l'An wurde von Bömelburg, dem Chef der Gestapo in Vichy<br />
und dann in Sigmaringen, mit einem Ausdruck des Bedauerns begrüßt.<br />
Letzterer nahm Anweisungen bezüglich der Kolonne entgegen,<br />
die sich folgendermaßen zusammenfassen ließen: „Jeder<br />
kann dorthin gehen, wo es ihm gut dünkt. Das bedeutete „Handlungsfreiheit".<br />
Über allem aber stand das Problem mit dem Treibstoff.<br />
Laval, seine Frau und seine „schlafenden Minister" befanden sich<br />
in der Nähe der Kirche. Der Ministerpräsident erklärte französischen<br />
Arbeitern, in deren Mitte er stand, seine langen Kämpfe mit<br />
Gauleiter Sauckel über den Abzug französischer Arbeiter aus<br />
Deutschland. Er sprach mit seiner einnehmenden Stimme die klassische<br />
Ausführung: „Ich bin ein Landmann. Ich liebe mein Land...<br />
(Je suis un paysan. J'aime mon pays)". Man hörte ihm nach dem<br />
Bericht mit Aufmerksamkeit und Respekt zu. Frau Laval habe dabei<br />
jedoch eine verstörte Miene zur Schau gestellt.<br />
Der Adjutant von Deat, so berichtet Bout del'An weiter, suchte seinen<br />
Minister, der sich aufgemacht hatte, um Marschall Petain in einem<br />
benachbarten Marktflecken (bourg) einen Besuch abzustatten.<br />
Dabei handelte es übrigens um das Schloss Zeil in Reichenhofen<br />
bei Leutkirch. Er, Bout de l'An, habe ihm angeboten, ihn<br />
dorthin zu führen. Sie seien jedoch zwei Stunden umhergeirrt.<br />
Danach hätten sie sich getrennt. Der Autor kehrte nach Wangen<br />
zurück und fand den Ort leer vor. Wie durch ein Wunder hatte die<br />
Regierungskommission ihren Weg fortsetzen können. Von einem<br />
Nachzügler erfuhr der Autor schließlich, dass sich die Regierungskommission<br />
nach Italien begab und dass der Marschall über die<br />
Schweiz nach Frankreich zurückkehrte. Bout de l'An resümierte:<br />
„Das war wohl das Ende (C'etait bien la fin)".<br />
Bei der Fahrt durch Vogt [Lkr. Ravensburg] diente sich der Berichterstatter<br />
als Schiedsrichter zwischen französischen Arbeitern<br />
und deutschen Stellen an. Letztere waren im Begriff, die Bekleidungs-und<br />
Lebensmittelgeschäfte vor der Ankunft des Feind auszuräumen,<br />
wollten dabei aber die Franzosen ausschheßen. Dies<br />
konnte jedoch durch das Vorzeigen des Himmler-Papiers verhindert<br />
werden. In der Herberge beobachtete der Autor, wie eine Bedienstete<br />
das Porträt Hitlers vom Haken nahm, um es auf den<br />
Dachboden zu bringen.<br />
Die Weiterfahrt geschah ohne Vorfall. Wie Bout de l'An weiter<br />
schreibt, wurde er dann aber am Ortseingang von Immelstadt [?]<br />
von freudigen Ausrufen angehalten. Eine Abteilung der „Brigade<br />
Charlemagne" war auf dem Weg zu einem Reorganisationszentrum.<br />
Die französischen Soldaten erläuterten ihre letzten Gefechte<br />
in Kolberg und auf dem Friedhof von Neu-Stettin. Die Begegnung<br />
schloss der Autor mit den Worten ab: „Viel Glück! Wie werden uns
in Italien wiedersehen oder im Himmel (Bonne chance! Nous nous<br />
retrouverons en Italie. ..Ou ciel !)". Die anschließende Passage<br />
durch das Gebirge raubte dem Verfasser die letzten Illusionen über<br />
das österreichische Rückzugsgebiet, bestanden die Sperren doch<br />
zumeist nur aus umgeworfenen Karren.<br />
Wie es in dem Bericht weiter heißt, wurde der Autor in Reuthe [in<br />
Vorarlberg] von einem Ägypter, der sich über die Identität von Bout<br />
de l'An geirrt hatte, gefragt, ob die Amerikaner bereits in der Nähe<br />
wären. Zwischen zwei Luftalarmen in Innsbruck entschied sich der<br />
Gewährsmann schließlich, seiner Sendung zu folgen, und passierte<br />
in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1945 den Brenner. Dies geschah<br />
freilich nicht ohne Probleme, da sein Wagen im Morast<br />
stecken blieb. Soldaten der Wehrmacht, die die Beförderung eines<br />
Kameraden zum Unterleutnant feierten, zogen den Wagen heraus<br />
und erhielten dafür Rotwein. Bout de l'An kündigte den Wehrmachtsoldaten<br />
die Ankunft des Botschafters de Brinon für die<br />
Nacht an. Die Soldaten versprachen, diesem bei Bedarf zu helfen.<br />
Der Autor hat de Brinon dann auch tatsächlich beim Aufstieg des<br />
Passes getroffen.<br />
Auf dem Weg nach Mailand macht Bout de l'An schließlich in Bozen<br />
in Südtirol Halt. Der folgende Abschnitt ist denn auch mit dem<br />
Titel „Entscheidung in Bozen" überschrieben. Nach dem Verfasser<br />
war es nicht leicht, über den Vormarsch der alliierten Kolonnen Informationen<br />
zu erhalten. Im „Corpo armata", dem Sitz des SD, und<br />
im Palais der Herzöge von Pisteia (Palais des ducs de Pisteia), Sitz<br />
der SS, erhielt er eine korrekte, aber gleichgültige Aufnahme.<br />
Wie weiter zu lesen ist, waren glücklicherweise Laval und seine<br />
„schlafenden" Minister am Ort. Der Regierungspräsident unterrichtete<br />
unseren Gewährsmann besser und bot ihm sogar einen<br />
Platz in seinem Flugzeug an, das ihn nach Spanien bringen sollte.<br />
Bout de l'An konnte das Angebot nicht annehmen, da er an der Sicherheit<br />
des Asyls Zweifel hegte. Dem soll er entgegnet haben: „Ich<br />
nehme meinen Schriftwechsel mit Franco mit und wir werden uns<br />
schließlich verstehen". Der Ministerpräsident soll noch beigefügt<br />
haben: „Später sogar noch mit den Befreiern (Meme avec les<br />
Liberateurs, plus tard)!". Anschließend soll er Bout de l'An am<br />
Arm genommen haben, um ihn zu seiner Regierung zu führen. Die<br />
Regierungsmitglieder waren in einem benachbarten Saal bei der<br />
Eingangshalle, getarnt als Soldaten (ils etaient lä, enfouis sous des<br />
couvertures de soldats).<br />
Eine halbe Stunde lang, so lesen wir weiter, hat Laval Francis Bout<br />
de l'An über die aktuelle und künftige Politik unterrichtet. Nach<br />
Laval würden die von Vichy für Frankreich geleisteten Dienste in<br />
naher Zukunft anerkannt (Selon lui, les services rendus par Vichy<br />
ä la France seraient un jour prochain reconnus)". Wörtlich heißt<br />
es sodann: „Stalin ist zu stark geworden. Zwangsläufig wird sich<br />
das Bündnis gegen die Kommunisten wieder bilden. Frankreich<br />
wird wieder genauso wie zuvor werden (Staline est devenu trop<br />
fort. Fatalement l'union refera contre les communistes. La France<br />
redeviendra radicale, comme avant)".<br />
Das Gespräch wurde nach Bericht von einem Kameraden des Berichterstatters<br />
unterbrochen, der eine telegrafische Botschaft von<br />
Pavolini vom 23. April übergab. In dieser wurde angefragt, ob man<br />
verfügbare französische Streitkräfte zur Straße von Sondrie senden<br />
könne, um beim Rückzug von Mussolini behilflich zu sein. Doch<br />
hierzu war es freilich schon zu spät.<br />
Einige Minuten später erhielt der Berichterstatter einen Bericht<br />
14<br />
von „Pelikan 88", einem Agenten, der ihm zwei Katastrophen verkündete.<br />
Danach existierten zwei Bataillone der Miliz nicht mehr.<br />
Eines hatte sich mit Joseph Darnand am 25. April 1945 in Tirano<br />
zu den italienischen Partisanen begeben. Das andere, das sich auf<br />
dem Weg nach Bozen befand, war zwischen München und Salzburg<br />
in Gefangenschaft geraten.<br />
Daraufhin verließ Bout de l'An nach eigenen Angaben Laval, um<br />
sich bei der SS etwas Benzin zu besorgen. Der hierzu angesprochenen<br />
Soldat soll zu dem Dolmetscher gesagt haben: „Sie brauchen<br />
sich nur zu bedienen (Vous n'avez qu' ä vous servir)". Der<br />
Autor hatte, wie er schreibt, nunmehr begriffen, dass Deutschland<br />
den Krieg verloren hatte.<br />
Am Ende dere Berichts fasst Bout de l'An unter der Überschrift<br />
„Was aus ihnen geworden ist" die weiteren Geschehnisse. Die<br />
Schicksale der Überlebenden der Regierungskommission gehörten<br />
naxch dessen Überzeugung nicht zu der Geschichte, über die<br />
berichtet wird. Marcel Deat sei nach wenig glaubwürdigen Berichten<br />
in Bressanone, Bozen, Rom, Madrid und in Südamerika im Besitz<br />
von Pass, Auto und Eskorte gesehen worden. Die „schlafenden<br />
Minister" irrten, wie er selbst, als vorläufige Flüchtlinge umher.<br />
Die anderen wurden nach dem Bericht eines Morgens auf einer<br />
Anhöhe des Forts von Montrouge getötet und ruhen anonym in<br />
einer Ecke des Friedhofs von Thiais.<br />
Darnand und Laval wurden, wie der Autor berichtet, im Oktober<br />
1945 hingerichtet. Der Ministerpräsident, der einen Selbstmordversuch<br />
überlebt habe, fiel, wobei der Hals mit einer Schärpe mit<br />
den Farben Frankreichs versehen gewesen sein soll. Nach dem Bericht<br />
vermochte Jean Luchaire in Meran als Protege der Amerikaner<br />
eine Weile zu überleben. Erst nach mehr als drei Jahren sei er<br />
an einem Sommertag in der Morgendämmerung, die Zigarette zwischen<br />
den Lippen, in die Falle gegangen.<br />
Als letzter der Regierungskommission wurde nach dem Bericht de<br />
Brinon verurteilt. Dieser, der Hunderte von Franzosen vor deutschen<br />
Zuchthäusern gerettet habe, soll vor seinem Tod gesagt haben:<br />
„Ihr werdet viel später verstehen, dass ich ein guter Verräter<br />
war (Vous comprendrez plus tard que j'etais un bon traitre)". Lediglich<br />
General Bridoux habe aus der Krankenstation des Gefängnisses<br />
entrinnen können.<br />
Bout de l'An kommentiert diese Vorgänge folgendermaßen: „So<br />
verschwand die Regierung von Sigmaringen und hat dabei so<br />
viele Männer in den Untergang gerissen, die leidenschaftlich an<br />
den Marschall und an ein neues Frankreich geglaubt hatten". Der<br />
Bericht endet mit der Wiedergabe eines Ausspruchs, den Hiltler am<br />
8. September in seinen Hauptquartier in Ostpreußen, der Wolfsschanze,<br />
Joseph Darnand gegenüber geäußert haben soll: „Euere<br />
Männer sind meinen Soldaten von Stalingrad ebenbürtig. Die Geschichte<br />
erkennt immer die Größe der selbstlosen Opfer an. Ihr<br />
Andenken wird wird niemals untergehen (Vos hommes sont les<br />
egaux de mes soldats de Stalingrad. L'histoire reconnait toujours la<br />
grandeur des sacrifices desinteresses. Leur souvenir ne perira<br />
pas)".<br />
Die Erinnerungen von Francis Bout de 1 'An enthalten viele interessanten<br />
Nachrichten und Details über den Aufenthalt der Vichy-Regierung<br />
und ihren Anhängern in Sigmaringen, deren Auszug aus<br />
der Stadt an der oberen Donau und Flucht nach dem Süden sowie<br />
über die Verhältnisse in den letzten Kriegstagen in Süddeutschland,
Österreich und in Südtirol. Über das Schicksal der Exponenten der<br />
Kollaboration war der Flüchtling in Bozen jedoch nicht in jedem<br />
Fall zutreffend informiert. Jean Luchaire, der Delegierte für Propaganda,<br />
wurde nämlich bereits am 22. Februar 1946 in Frankreich<br />
hingerichtet. Aus dem Kreis der Mitglieder der Regierungskommission<br />
konnte neben General Bridoux auch Marcel Deat seinen<br />
Landsleuten entrinnen. Letzterer war nämlich in Turin untergetaucht,<br />
wo er 1955 eines natürlichen Todes gestorben ist. Das war<br />
freilich auch fünf Jahre nach der Abfassung des Berichts „Die letzten<br />
Tage der französischen Regierung von Sigmaringen".<br />
WOLFGANG HERMANN<br />
Mitteilung an die Leser<br />
der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong><br />
Die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei hat im vergangenen Jahr<br />
wieder große Erweiterungen gemacht. Die Buchanschaffungen be-<br />
trafen vor allem die Kategorie Geschichte und Landesgeschichte<br />
(„G"). Es wurden u. a. die Kataloge zu den großen Ausstellungen<br />
über das „Alte Reich" in Berlin und Magdeburg, sowie der Katalog-<br />
Doppelband über die Anstellung zu Albrecht v. Brandenburg in<br />
Halle, und zu „Adel im Wandel" in Sigmaringen angeschafft. Auch<br />
konnten Bücher aus Nachlässen eingegliedert werden. Interessant<br />
für die Fußballfreunde sind zwei neuerschienene Bücher über den<br />
deutschen Fußball und den aus Hechingen stammenden Nationaltrainer<br />
Otto Nerz. In der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> Nr.4/2006<br />
stellte Andreas Zekorn die Dissertation von Georg Schmitt, Die Alamannen<br />
im Zollernalbkreis vor. Seit Mitte 2006 hegt sie in gebundener<br />
Form in der <strong>Heimat</strong>bücherei vor, nachdem dankenswerter<br />
Weise die im Artikel angesprochene CD- ROM zur Verfügung gestellt<br />
wurde. Der Katalog über die Werke von Victor Arnaud ist seit<br />
Herbst gleichfalls in der <strong>Heimat</strong>bücherei ausleihbar.<br />
Die Abteilung für die Geschichte und Kultur in den hohenzollerischen<br />
Orten („K") wurde erweitert. Bislang lebte diese Reihe vom Sammeln<br />
von Kleinbroschüren und Zeitungsartikeln. Leider ist der Aufwand<br />
des Sammeins, Ausschneidens und Aufklebens der Zeitungsartikel zu<br />
aufwendig und die <strong>Heimat</strong>bücherei dafür personell unterbesetzt. Die<br />
Ortsmappen konnten daher seit 2004 im bisherigen Umfang nicht<br />
weitergeführt werden. Neue Zeitungsartikel werden nur dann noch in<br />
den Ortsmappen aufbewahrt, wenn deren Inhalt in die Jahre vor der<br />
Kreisreform zurückreicht. Die beiden Hechinger Zeitungsausgaben,<br />
nämlich die „<strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung" und der „Schwarzwalder<br />
Bote" werden nicht mehr bezogen, und das eingesparte Geld für die<br />
Restaurierung bzw. Aufbinden von wertvollen Büchern verwendet,<br />
damit diese benutzbar werden.<br />
Ein wertvolles Bild, bedeutsam für die Geschichte Ostrachs und<br />
1906 von Wilhelm Waldraff gemalt, konnte dank der außerordentlichen<br />
Hilfe von Landrat Willi Fischer Zollernalbkreis) und Bürgermeister<br />
Jürgen Weber (Hechingen) durch den Restaurator<br />
Franz Xaver Heinzler in Inzigkofen gerettet werden.<br />
Die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei in Hechingen, von der in<br />
der HH schon 2003, S.6 und 2004, S.3, berichtet wurde, findet<br />
seine hauptsächlichen Nutzer im Altkreis Hechingen und Umgebung.<br />
Da sie jedoch schon seit etwa 1930 besteht, sind viele Ortsmappen,<br />
Monographien und Quellensammlungen auch für Forschende<br />
im Landkreis Sigmaringen interessant. Da die Bestände jedoch<br />
ein weit größeres Feld, als Hohenzollern es darstellt, ab-<br />
15<br />
decken, ist unsere Bücherei für Forscher und Studierende zwischen<br />
Schwarzwald und Allgäu, zwischen Neckar und Bodensee interessant.<br />
Daraufhat auch der Kreisarchivar des Zollernalbkreises,<br />
Andreas Zekorn, in einem Beitrag in der Schwäbischen <strong>Heimat</strong><br />
(Nr. 4, 2005) hingewiesen. Im Hinblick auf die moderne Zeit werden<br />
seit ein paar Jahren die Bestände der <strong>Heimat</strong>bücherei elektronisch<br />
durch Frau Helma Luigart erfasst. Die Anregung dazu gab Alf<br />
Müller, der Vorgänger in der Leitung der <strong>Heimat</strong>bücherei vor einigen<br />
Jahren. Herr Zekorn besorgte das Programm und führte Frau<br />
Luigart darin ein. Die Fortführung erfolgt durch den Leiter der <strong>Heimat</strong>bücherei<br />
nun selbständig. Um einem größeren Interessentenkreis<br />
als bisher die vorhandene Literatur bekannt zu machen, ist<br />
beabsichtigt, die Dateien über die Bestände mittels einer CD-Rom,<br />
basierend auf einer PDF-Datei, an das Staatsarchiv in Sigmaringen,<br />
die benachbarten Kreis- und Stadtarchive, den <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, große Bibliotheken und universitäre Forschungsinstitute<br />
weiterzugeben. Für private Nutzer wird es möglich<br />
sein, die CD gegen eine Schutzgebühr zu erwerben. Jedes Jahr<br />
kann die CD dann erneuert werden.<br />
Eine wichtige Quelle sind die Zeitungsbände des 19. Jahrhunderts.<br />
Besonders sind die drei Epochen der preussischen Periode Hohenzollerns<br />
bevorzugte Forschungsgebiete: Hohenzollern als Teil des<br />
preußischen Königreichs, des II. Kaiserreichs und der Weimarer Republik.<br />
Nicht lückenlos hegen die „Hohenzollernschen Blätter", der<br />
„Zoller" und der „<strong>Hohenzollerische</strong> Neckarbote" vor. Wenn auch<br />
Verfilmungen der geschlossenen Reihen der einen oder anderen Zeitung<br />
im Staatsarchiv in Sigmaringen, im Kreisarchiv des Zollernalbkreises<br />
oder im Stadtarchiv Hechingen vorhanden sind, so betonen<br />
alle seitherigen Nutzer, dass ihnen die Bearbeitung der Micro-Fiches<br />
äußerst unangenehm und anstrengend sei. Die auf dem Tisch ausgebreitete<br />
Seite bietet ihnen die ideale Übersicht.<br />
Was jedoch zu schaffen macht ist oftmals der katastrophale Zustand<br />
der Bände. In diesem Falle ist es das gebrochene Buchgelenk<br />
oder die Fadenbindung wie auch eingerissene Seiten. Es wäre jammerschade,<br />
die originalen Zeitdokumente würden ganz zu Bruch<br />
gehen, womit sie der Forschung entrissen würden. Man muss die<br />
Zeitungsbände erhalten. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um<br />
Spenden bzw. Patenschaften für die Restaurierung. Eine solche kostet<br />
- mit Erhaltung des originalgetreuen Bindevorgangs zwischen<br />
90 und 140 Euro, je nach Zustand. Die Stadt Hechingen ist bereit,<br />
eine Spendenbescheinigung auszustellen. Zunächst wäre die Rechnung<br />
der Stadt einzureichen und sie würde diese bezahlen. Danach<br />
würde der Spender diese Auslage der Stadt vergüten und im Gegenzug<br />
die Spendenbescheinigung erhalten.<br />
Die schwer beschädigten Zeitungsbände sind diese:<br />
- vom Zoller die Jahrgänge 1908,1910,1914,1917,1919,1920,<br />
1927<br />
- von der <strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern 1890, 1891, 1899, 1900,<br />
1909,1923,1924,1926<br />
- vom <strong>Hohenzollerische</strong>n Neckarboten (für Dettingen, das<br />
Dießer Tal, Empfingen, Fischingen, Betra, Dettensee) die Jahrgänge<br />
1927,1929,1930,1931,1932.<br />
Es wäre schön, wenn sich einige Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s oder Sympathisanten desselben bereitfänden,<br />
die Erneuerung dieser Bände zu unterstützen. In diesem Falle bitte<br />
ich, sich mittwochnachmittags in der <strong>Heimat</strong>bücherei unter der<br />
Nummer 07471/934318 oder privat beim Leiter Wolfgang Hermann<br />
unter der Nummer 07485/1403 zu melden. Die <strong>Hohenzollerische</strong><br />
<strong>Heimat</strong>bücherei befindet sich in der Heiligkreuzstraße 10 in<br />
72379 Hechingen.
EDMUND BAUER<br />
Biographische Daten der Seelsorger<br />
von Hausen im Killertal<br />
(Fortsetzung von Heft 4/2006 und Schluss)<br />
Die Abkürzungen bedeuten: * = geboren, o. = ordiniert bzw. geweiht,<br />
+ = gestorben. In Klammern stehen die Quellennachweise<br />
in abgekürzter Form, deren Bedeutung in Heft 1/2006 auf S. 10 f.<br />
erläutert wurde.<br />
Sattler (Sellatoris bzw. Sellarius), Johannes [Liste Pfarrer Nr. 1]<br />
von Hechingen, 29.6.1483 in Tübingen immatrikuliert, 1485 baccal.<br />
art., Hausen i.K. 25.6.1488 - 24.6.1492, danach Killer.<br />
(1, FDA 56/351, FDA 41/357 A)<br />
Schirott (Schiroth) Johann Nepomuk [Liste Vikare Nr. 7]<br />
* 14.5.1764 Hechingen<br />
Hausen i.K. 1794 - 1797, Thanheim 1797 - 1805, Owingen 1805<br />
- 1808. (8, HH 77/58, HH 78/32, HH 97/11, PA 220)<br />
Schmid, Leonhard [Liste Vikare Nr. 2] aus Überlingen<br />
Hausen i.K. 1775 - 1778. (PA 220)<br />
Schmid, Mathias [Liste Pfarrer Nr. 31]<br />
aus Menningen bei Meßkirch, + 30.6.1703<br />
Hausen i.K. 9-12.1700 - Februar 1703. (1, PA 220)<br />
Schmidt, (Karl) August [Liste Vikare Nr. 14]<br />
»22.1.1841 Mindersdorf, o. 1.8.1866, + 20.1.1926 Trochtelfingen<br />
Hausen i.K. ab September 1864, Ostrach 17.10.1867 - 19-8.1868,<br />
Einhart 20.8. - 21.10.1868, Dießen 22.10.1868 - 5-7.1869, Burladingen<br />
6.7.1869 - 25.10.1871, Jungnau ab 26.10.1871, Steinhilben<br />
1872, Ruhestand 1919-<br />
(2/9723,6/Diessen 679 (dort Karl August), 9/46, FDA 31/6, ABEF)<br />
Schopf, Leopold [Liste Pfarrer Nr. 33]<br />
von Hechingen *l679, + 6.12.1729<br />
Hausen i.K. 16.8.1708 - 6.12.1729 (1, FDA 53/180, PA 220)<br />
Schweinler, Lorenz [Liste Pfarrer Nr. 41]<br />
»3.8.1803 Hechingen, o. 17.9 1828, +12.3.1862 Hechingen,<br />
Möhringen 1828, Hechingen (Kapitelsvikar) 1828-1830, Steinhofen<br />
1830-1839(Kaplan), Hausen i.K. 26.6.1839- 12.3.1862.<br />
(1, 2/9802-03, FDA 1885/58, ABEF)<br />
Seih, Michael [Liste Pfarrer Nr. 12]<br />
Hausen i.K. 1601. (1)<br />
Speh, (Johann) Constantin [Liste Vikare Nr. 20]<br />
*23-5.1844 Bingen Hohenzollern), o. 24.7.1870, +1.9.1902<br />
Höfendorf Juli 1870 - 6.8.1871, Hausen i.K. 7.8. - 2.11.1871, Hechingen<br />
3.11.1871 - 4.9.1872, Weilheim 5.9.1872 - 1902.<br />
(2/9838 (dort Johann Konstantin), HH 83/47, FDA 1906/37,<br />
ABEF)<br />
Stein bzw. Stainer, Johannes [Liste Pfarrer Nr. 24]<br />
Hausen i.K. 16.11.1657- 1660. (1, PA 220)<br />
Stengele, Josef [Liste Pfarrer Nr. 37]<br />
•16.3.1721 Kolbingen, + 21.9.1790 zuvor Kaplan in Frielingen,<br />
dann Pfarrer in Jungingen 1753 - Februar 1761, Hausen i.K.<br />
12.3.1761 - 21.9.1790.(1, 3/30, HH 74/55, PA 220)<br />
Stickel johannes [Liste Pfarrer Nr. 4]<br />
von Hechingen , Hausen i.K. 15-12.1527 - um 1532. (1)<br />
16<br />
Stotz, Johann Georg [Liste Pfarrer Nr. 27]<br />
Hausen i.K. 25.6.1673 - 1682. (1, PA 220)<br />
Syber, Klemens [Liste Pfarrer Nr. 11]<br />
1575 - höchstens 1580 und 1588 - 1590 in Burladingen, Hausen<br />
i.K. 1592 - 1597 (vielleichtlänger).<br />
(1, 9/14 u. 17, HH 94/60, FDA 53/147 u. l49f.)<br />
Thoni (Thorn), Georg [Liste Pfarrer Nr. 14]<br />
aus Eutingen, Hausen i.K. 1608. (1, HH 94/61, FDA 53/151)<br />
Veser, Kaspar [Liste Pfarrer Nr. 8]<br />
+ 1571, Hausen i.K. 1562 - 1571. (1)<br />
Vogt, Hermann [Liste Vikare Nr. 25]<br />
* 1.4.1880 Döggingen, o. 5.7.1905, + 9-2.1961 Stühhngen<br />
Burladingen Juh 1905 -1.8.1906, Hausen i.K. ab 2.8.1906, Trochtelfingen<br />
bis 31-3-1910, Odenheim ab 1.4.1910, Kiechlinsbergen<br />
bis 31.3.1913, Pfarrer Brenden 1.4.1913 - 5.10.1914, Schwaningen<br />
6.10.1914 - 8.11.1916, Hänner 9.11-1916 - 22.5.1918, Illingen<br />
23.5.1918, Trinitarier-Orden 1918 - 1922, Sumpfohren<br />
3.5.1923 - 10.10.1928, Fürstenberg 11.10.1928 - 15.4.1947, Ruhestand<br />
in Epfenhofen. (2,10064, FDA 69/465ff., ABEF, PA 135)<br />
Volm, Konrad [Liste Pfarrer Nr. 40]<br />
*21.12.1796 Hechingen, 0. 20.9.1819, + 31.3.1877 Hechingen<br />
Zimmern (Benefiziat, Kapitelsvikar) bis November 1821, Hausen<br />
i.K. 27.11.1821 -25-6.1839, Weilheim 1839- 1863.<br />
(1, 2/10076, HH 83/46, EDA 1885/111, ABEF, PA 220)<br />
Vöringer, Johann Conrad [Liste Pfarrer Nr. 22]<br />
Aus Trochtelfingen, 0.17.3-1646<br />
Hausen i.K. November 1647 - 1648, Boll bei Hechingen<br />
18.12.1648 - 1651, Hailfingen. (1, 17/149 (dort „Fehringer"),<br />
HH 76/19 (dort „Veringer", PA 220)<br />
Warter, Kurt Georg [Liste Pfarrer Nr. 55]<br />
»7.6.1927 Endingen am Kaiserstuhl,<br />
0. 30.5.1954, + 4.4.1988 bei Landeck/Tirol<br />
Vikar in Mannheim-Friedrichsfeld<br />
23.6.1954 - 30.6.1955, Hechingen<br />
1.7.1955-2.10.1956, Bilfingen<br />
3.10.1956 - 30.4.1957, Leipferdingen<br />
1.5.1957 - 30.7.1957, Oberkirch<br />
31.7.1957 - 7.4.1959, Rheinfelden<br />
8.4.1959 - 24.4.1962, Hausen<br />
i.K. 25.4.1961 -15.4.1983, suspensio<br />
ab officio totalis 3.5.1983,<br />
Exkommunikation 11.4.1984.<br />
(PA, 1, FDA 91/337f., ABEF)<br />
Wehrlein, Josef Anton [Liste Vikare Nr. 27]<br />
»1.5.1883 Konstanz, 0. 2.7.1907, + 16.3.1958 Konstanz<br />
Rippoldsau August 1907 - 8.4.1908, Müllheim 9-4.1908 -<br />
7.10.1909, Hausen i.K. 8.10.1909 - 22.4.1910, Trochtelfingen<br />
23.4. - 27.7.1910, Endingen 28.7.1910 - 8.1.1912, Kirchhofen<br />
9.1.1912 -15.10.1913, Todtnau 16.10.1913 -11.10.1915, Mainwangen<br />
12.10.1915 - 10.7.1917, Boll bei Meßkirch 11.7.1917 -<br />
5.12.1936, Horn 6.12.1936, außer Dienst 1937, Konstanz 1941.<br />
(FDA 62/473f-, ABEF, PA 135)<br />
Werner, Bartolomäus [Liste Vikare Nr. 5]<br />
Hausen i.K. 1790 - 1792,1794 (1, PA 220)
Winter, Franz Xaver [Liste Pfarrer Nr. 44]<br />
*7.3.1830 Jungingen, o. 8.8.1853, + 6.1.1904<br />
zuvor Vikar in Hechingen, Fischingen 1854, Klosterwald 1855,<br />
Wilflingen 1857 - 1863, Hausen i.K. Juli 1863 - 4.9.1872, Habs-<br />
thal 1872 - 1886, Langenenslingen 1886 - 1904.<br />
(PA, 1, 2/10191-93, 3, 18/278, FDA 1906/61, ABEF)<br />
Winter, Matthäus [Liste Vikare Nr. 18]<br />
*1.12.1845 Jungingen, 0. 4.8.1869, + 18.7.1898<br />
Hausen i.K. September 1869-31.8.1870, Langenenshngen (Vikar,<br />
Kaplaneiverweser, Kaplan, Pfarrverweser) ab 1.9.1870 - 1886,<br />
Habsthal 1886, Veringenstadt 1887 - 1898.<br />
(2/10197, 3, FDA 1900/295, ABEF)<br />
Wolf, Wilhelm [Liste Pfarrer Nr. 50]<br />
•18.6.1881 Grosselfingen, 0.<br />
5.7.1904, + 3.7.1966 Hechingen<br />
Studium in Freiburg im Breisgau,<br />
Wald Juli 1904 - 8.2.1906, Nordrach<br />
9.2.1906 - 2.3.1907, Gengenbach<br />
4.3.1907 - 24.8.1908, Stein<br />
25.8.1908 - 15.4.1910, Hausen i.K.<br />
28.4.1910 - 15.11.1926, Thanheim<br />
16.(21.)6.1926 - 1.11.1954, Ruhestand<br />
in Hechingen.<br />
(PA (vermutlich Ausschnitt aus Konradsblatt, dort * 16.6.), 1, HH<br />
78/48, FDA 73/289f., ABEF)<br />
Woschek, Manfred (Liste Pfarrer Nr. 58]<br />
•18.4.1961 Oppeln, 0. 30.5.1987<br />
Engen 1987-19-9.1990, Biihl-Vimbach 20.9.1990- 14.10.1997,<br />
Hausen i.K. ab 15.10.1997.<br />
(ABEF, PA, PS 2002)<br />
Zilhart, Xaver [Liste Vikare Nr. 4]<br />
Hausen i.K. 1782 - 1790. (PA 220)<br />
Zornner, Wolfgang [Liste Pfarrer Nr. 6]<br />
Hausen i.K. ab 27.5.1535 -1540, nahm dann ein Jahr Absenz, war<br />
danach aber noch länger da. (1)<br />
Anmerkungen:<br />
Hausen, Dekanat Hechingen ist Hausen im Killertal,<br />
Hausen, Dekanat Sigmaringen ist Hausen am Andelsbach,<br />
Hausen, Dekanat Meßkirch ist Hausen im Tal (Donautal).<br />
WILLY BEYER<br />
Michael Lehmann - ein vergessener<br />
Kulturschaffender und Kulturkämpfer<br />
Hohenzollerns<br />
Betrachtungen über einen Verdrängungsprozess und der<br />
Versuch einer Erklärung<br />
(Fortsetzung)<br />
Die Funktion von August Evelt - ein Beitrag zu Lebenslauf<br />
und Wirken des Landgerichtspräsidenten und Politikers<br />
In der letzten Folge wurde aufgeführt, wie aus den einstigen Freunden<br />
Ludwig Egler und Michael Lehmann Feinde wurden. Eine<br />
Feindschaft, die sich mit Bezug auf den früher beschriebenen Prozess<br />
des Vergessens ziemlich negativ auf Lehmanns Publizität aus-<br />
17<br />
gewirkt haben muss. Der Beginn dieser Feindschaft ist auf das Jahr<br />
1873 anzusetzen. Dem Jahr, in dem durch das Erscheinen des Zoller<br />
unter Lehmanns Leitung ein oppositionelles Parteiorgan in Hohenzollern<br />
erschien, das als Zentrumsblatt dem regierungstreu<br />
und Bismarck ergebenen, liberalen Parteiorgan Hohenzollernsche<br />
Blätter unter Eglers Leitung gegenüberstand. Im selben Jahr übernahm<br />
Egler den Vereinsvorsitz im Musikverein, dessen Dirigent<br />
Lehmann seit 17 Jahren war.<br />
Mit Ludwig Egler und dem Kreisgerichtsdirektor August Evelt waren<br />
Lehmanns erbitterste politische Gegner aus Hechingen in wichtigen<br />
Positionen des Musikvereins gewesen. Es ist durchaus vorstellbar,<br />
dass es innerhalb des Vereins zur Bildung eines liberalen<br />
Lagers gekommen war, das die Entlassung oder Abdankung des<br />
langjährigen Dirigenten forciert hat.<br />
Unter Berücksichtigung der damaligen gesellschaftlich-sozialen<br />
Normen und Wertevorstellungen war es sogar eine folgerichtige<br />
Konsequenz, dass Lehmann 1874 sein Dirigat niederlegen musste,<br />
oder, was wohl eher zutrifft, aus dem Musikverein entfernt wurde.<br />
Jedenfalls griffen sich beide Redakteure schon in 1873 gegenseitig<br />
in schärfster Form öffentlich an. Im Juh 1874 verkündete Lehmann<br />
stolz in seinem Blatt, dass der Zoller mit 1700 Exemplaren auflagenstärkste<br />
Zeitung Hohenzollerns sei. Im selben Jahr erhob der<br />
neue Musikvereinschef Ludwig Egler die schon erwähnte "Kotklümpchen-Klage"<br />
gegen Lehmann. Spätestens, nachdem Lehmann<br />
wegen "Amtsehrenbeleidigung des Reichskanzlers" Bismarck im<br />
Oktober 1874 seine fünfte Verurteilung und zweite Gefängnisstrafe<br />
erhielt, war der mehrfach vorbestrafte Dirigent schlichtweg nicht<br />
mehr tragbar für den Verein.<br />
Ob August Evelt Lehmann persönlich verurteilt hat, lies sich nicht<br />
nachweisen, ist aber denkbar. Entsprechende Dokumente, die darüber<br />
Aufschluss geben können sind derzeit, falls überhaupt vorhanden,<br />
nicht zugänglich. Gemeint ist ein Wust von vielen hundert<br />
Aktenbündel, die dem Brand von 1940 im Hechinger Landgericht<br />
nicht zum Opfer fielen und dort ungeordnet in desolatem Zustand<br />
lagern. Dass sich Evelt an der Verfolgung politischer Gegner wie<br />
auch immer beteiligt hat, ist anzunehmen. Immerhin war er ein<br />
sehr hoher Beamter im preußischen Obrigkeitsstaat und ein<br />
glühender Verehrer von Reichskanzler Bismarck, dessen persönliches<br />
Werk der Kulturkampf war. Als Chef des Kreisgerichts in Hechingen<br />
und liberaler Mandatsträger dürfte Evelt die politischen<br />
Urteile auch anderer, untergebener Richter nicht nur geduldet,<br />
sondern ausdrücklich forciert haben. Letztlich waren sie eine willkommene<br />
und legitime Art, sich politischer Gegner zu entledigen -<br />
auch wenn das nur zeitweise gelang. In diesem Zusammenhang sei<br />
auf den Sigmaringer Benefizat Dr. Johannes Evangelista Maier hingewiesen,<br />
der als pohtischer Häftling 1875 auf der Festung Ehrenbreitstein<br />
in Koblenz vier Wochen Festungshaft absitzen musste,<br />
um später trotzdem die Wahl gegen Hohenzollerns höchsten Justizbeamten,<br />
eben gegen August Evelt, zu gewinnen. Sowohl der<br />
Kreisgerichtsdirektor Evelt als auch die Richter Cramer und Büharz<br />
- alle liberale Wahlkandidaten - sind in der Abteilung für<br />
Strafsachen täüg gewesen. Und die Strafgerichtsinstanz sprach<br />
während der Kulturkampfzeit Urteile bei Verstößen gegen die Kirchengesetze<br />
aus. Etwa die wiederholten Verurteilungen des Freiburger<br />
Bischofs und Erzbistumsverweser Dr. Lothar Kübel. So erging<br />
am 14. Februar 1874 durch die I. Instanz der Abteilung für<br />
Strafsachen des Königlichen Kreisgerichts in Hechingen eine Verurteüung<br />
des Bischofs zu 300 Talern respektive 3 Monate Gefängnis,<br />
weil er die Versetzung eines Priesters von Trillfingen nach<br />
Empfingen nicht an die Königliche Regierung gemeldet hatte und
damit gegen das Gesetz vom 11. Mai 1873 verstoßen hatte (Die sogenannten<br />
Maigesetze, hier das Gesetz über die Vorbildung und Anstellung<br />
der Geistlichen). Kübel blieb von 1868 bis zu seinem Tod<br />
1881 der Verweser des Erzbistums Freiburg, weil die badische Regierung<br />
durch diverse "unerfüllbare Forderungen" im Sinne des<br />
(badischen) Kulturkampfs die Wahl zum Erzbischof unmöglich gemacht<br />
haben soll.<br />
Sicherlich wurde die Gerichtsbarkeit dazu benutzt, eine starke<br />
Staatsmacht zu demonstrieren, wobei der hohe Beamtenstand sich<br />
selbst als unantastbar zu respektierende Autorität zeigte. Die Urteile<br />
machen dabei durchaus die Machtstrukturen sowie eine gewisse<br />
Beamtenwillkür im Obrigkeitsstaat transparent. Erwähnt sei<br />
eine schwer nachzuvollziehende Verurteilung des Zollerverlegers<br />
Romuald Sulger vom 25. Februar 1879 zu 3 Wochen Gefängnis,<br />
weil August Evelt sich durch einen Zollerartikel beleidigt fühlte, in<br />
dem vermutet wurde, er habe im Kommunallandtag ein bestimmtes<br />
Steuergesetz durchgesetzt. Das gleiche Schicksal ereilte Michael<br />
Lehmann im Zusammenhang der Wahlagitationen von 1876,<br />
nur dass sich diesmal Richter Melchers beleidigt fühlte.<br />
Eine Karriere als Politiker dürfte Michael Lehmann durch die<br />
Kennzeichnung als mehrfach Vorbestrafter wenn nicht verwehrt,<br />
dann doch zumindest sehr erschwert worden sein. Ob er allerdings<br />
die Befähigung zum rhetorisch versierten Politiker besaß bleibt dahingestellt.<br />
Eine genauere Beleuchtung dieses Sachverhalts liefert<br />
die heitere Anekdote "Eine Wahlagitation mit Hindernissen" von<br />
Roman Sauter (* 11.3.1850 in Trillfingen, f 25.6.1935 in Hechingen).<br />
Darin vermittelt der fast 80-jährige Postmeister a.D. aus seiner<br />
Sicht als Zentrumsmann und Weggefährte Lehmanns die Verhältnisse<br />
zur Zeit des Kulturkampfes im Hohenzollern der 1870-er<br />
Jahre. Da diese Darstellung zudem die Ausführungen über den Kulturkampf<br />
in den Teilen II. und III. der Biographie von Michael Lehmann<br />
ergänzt, soll sie hier auszugsweise zitiert werden.<br />
Kreisgerichtsdirektor Evelt um 1870, Reproduktion: Willy Beyer<br />
18<br />
Polizei macht Jagd auf "Schwarzwild" - Verkleidete Priester<br />
taufen heimlich in der Nacht<br />
"Am 4. November 1873 wurden Kreisrichter von Kleinsorgen in<br />
Hechingen und Hirschwirt Schmid in Gammertingen in das Preußische<br />
Abgeordnetenhaus gewählt, [mit 135 und 133 Stimmen gegenüber<br />
den liberalen Kandidaten Kreisrichter Cramer 87-, sowie<br />
Kreisgerichtsdirektor Evelt 88 Stimmen]. Die Wahlperiode dauerte<br />
damals 3 Jahre. Die Wahlprüfungskommission im Landtag arbeitete,<br />
scheint es, langsam, denn erst im Herbst 1875 fiel die Entscheidung<br />
über die in Hohenzollern getätigte Wahl. Sie wurde für<br />
ungülüg erklärt [aufgrund klerikaler Wahlbeeinflussung]. Von liberaler<br />
Seite war sie angefochten worden wegen einer Aeußerung<br />
des damaligen Pfarrers Speidel in Stein von der Kanzel aus, die als<br />
Wahlbeeinflussung ausgelegt wurde [Im Zusammenhang der Beweiserhebung<br />
zu dieser Wahlbeanstandung führte die 5. Abtl. des<br />
Preuß. Abgeordnetenhauses im Januar 1874 insgesamt 16 Positionen<br />
an, u.a., dass ein ultramontanes Flugblatt als Beilage zum Zoller,<br />
sowie die Zeitung selbst an die Kinder der Schule zu Sickingen<br />
(bei Hechingen) verteilt wurde]. Am 25- Oktober 1875 wurde nun<br />
Kreisgerichtsrat Kramer [wie zuvor "Cramer"] und Kreisgerichtsdirektor<br />
Evelt - unsere Gegenkandidaten - ins Abgeordnetenhaus<br />
gewählt. Das konnte von Seite des Zentrums bei der damaligen<br />
Stimmung und der scharfen Agitation der Liberalen nicht verhindert<br />
werden, aber die Tätigkeit dieser beiden Vertreter unseres<br />
Ländchens im Preußischen Landtag dauerte nur knapp ein Jahr, da<br />
im Herbst 1876 bereits wieder Neuwahlen stattfanden.<br />
Nun galt es aber sich gewaltig zu bemühen, um wieder dem Zentrumskandidaten<br />
Hirschwirt Schmid und dem neu aufgestellten<br />
Professor Maier aus Sigmaringen [wie zuvor "Benefiziat Maier"],<br />
der als Lehrer am Gymnasium zu Hedingen wegen einer Predigt in<br />
der Stadtkirche abgesetzt worden war, von der Preuß. Regierung<br />
zum Siege zu verhelfen. Es war nicht leicht, denn Gerichtsrat Kramer,<br />
der Verfasser der Geschichte der Grafschaft Hechingen, war<br />
ziemlich populär geworden in Hohenzollern und durch seine<br />
Freundlichkeit im Umgang in weiten Kreisen beliebt. Noch weit gefährlicher<br />
für das Zentrum war die Kandidatur des Kreisgerichtsdirektors<br />
Evelt. Dieser Herr hatte überhaupt keine persönlichen Gegner,<br />
war unseres Glaubens, hatte sich stets für das Wohl des Landes<br />
bemüht u. im Gegensatz zu den ersten aus dem Norden zu uns gekommenen<br />
hohen Beamten, unsere Eigenart respektiert. Von zuvorkommender<br />
Freundlichkeit, dienstlich, wie außerdienstlich,<br />
gegen alle Schichten unserer Bevölkerung, besaß er das volle Vertrauen<br />
der Einwohnerschaft. [...] Die Maigesetzgebung tat ihre<br />
Wirkung. Mehrere Pfarreien waren verwaist und konnten nicht<br />
mehr so wie ehedem besetzt werden. Die Jesuiten von Gorheim waren<br />
ausgewiesen, die Mönche von Beuron waren abgezogen,<br />
ebenso die Franziskaner in Stetten, das Fidelishaus in Sigmaringen<br />
war geschlossen, die jungen Geistliehen konnten bei uns keine Anstellung<br />
finden und mußten außer Landes gehen usw. [Mit dem Gesetz<br />
über die Ausweisung der Mitglieder von religiösen Orden und<br />
Kongregationen sowie weiteren Gesetzen war 1875 wohl die<br />
schlimmste Phase des Kulturkampfs erreicht]. Die Gehaltssperre<br />
der Geistlichen berührte Hohenzollern weniger, als die anderen<br />
preußischen Landesteile, weil unsere Kirchengemeinden noch im<br />
Besitz ihres Vermögens waren [Gesetz über die Beschränkung der<br />
Vermögensverwaltung der Kirchengemeinden (1875)]. [...] Dagegen<br />
fielen die Hemmnisse in der Seelsorge und dem Kultus dem<br />
Volk auf die Nerven. Die Primizianten mußten z. B. außerhalb der<br />
Landesgrenze gehen, um ihr erstes hl. Meßopfer zu feiern. Was<br />
dort selbstverständlich und erlaubt war, das war in Preußen nun
nicht mehr gestattet. Die Pflichtmessen der Neupriester durften nur<br />
bei verschlossener Kirchentür ohne Zeugen gelesen werden, die<br />
Spendung der Sakramente, selbst der Sterbesakramente in der Todesstunde,<br />
war den Neupriestern verboten, die nach ihrem seitherigen<br />
Studium vom Bischof zur Pastoration ausgesandt waren. Kaplan<br />
Stopper von Berenthal war gepfändet und dem Gericht bereits<br />
vorgeführt worden zur Bestrafung; Kaspar Leibold war schon im<br />
Gefängnis wegen Vornahme geistlicher Amtshandlungen, der Vikar<br />
Josef Pfister frequentierte nächtlicher Weile seinen angewiesenen<br />
Wirkungskreis Wilflingen, um zu taufen und Kranke zu versehen.<br />
Wie ein Verbrecher mußte er bei Nacht und Nebel in Verkleidung<br />
verschwinden, um nicht der Gendarmerie direkt in die Hände zu<br />
fallen. Und so ging es allerwegen. Für die Gendarmerie gab es in<br />
jener Zeit nichts Wichtigeres als die Jagd auf .Schwarzwild', das<br />
war erstens ungefährlich für ihre eigene Person, und dann brachte<br />
es Anerkennung der vorgesetzten Behörde u. auch noch Ehrenzeichen."<br />
Sauter erinnert schließlich daran, was König Friedrich Wilhelm<br />
IV. bei der Erbhuldigung am 23. August 1851 auf der Burg<br />
Hohenzollern sagte: "Die Ehre Preußens verpfände ich in dieser<br />
feierlichen Stunde, daß an Euren Institutionen nicht gerüttelt und<br />
Eure Religion geschützt werden soll."<br />
Staatsanwalt Evelt um 1860, Reproduktion Willy Beyer<br />
Der Preußische Richter tritt nicht mit einem vorgestraften<br />
Lehmann auf<br />
Sauter berichtet weiter, dass wegen der Kandidatur von Evelt und<br />
Cramer nicht mit einem Erfolg im Mittelbereich Hechingen bei der<br />
19<br />
Wahl am 27. Oktober 1876 gerechnet wurde und sich die Agitationen<br />
deshalb auf das Unter- und Oberland konzentrierten. Auf eine<br />
große Wahlveranstaltung in der Oberamtsstadt Gammertingen, bei<br />
der wegen dem großen Andrang der Wählermassen Parallelveranstaltungen<br />
im Gasthaus "Kreuz" und "Hirsch" anberaumt wurden<br />
und sich dort die Redner abwechseln sollten, geht Sauter genauer<br />
ein: "Kreisrichter von Schiigen aus Glatt, wo damals noch eine Gerichtskommission<br />
amtete, sollte zuerst im ,Hirsch' beginnen. Er<br />
war spät mit seinem Fuhrwerk in Gammertingen angelangt und<br />
frug nun, wer als weiterer Redner nach ihm auftreten werde. Als<br />
ihm mitgeteilt wurde, das sei Michael Lehmann, der Zollerredakteur,<br />
machte Herr von Schiigen ernste Schwierigkeiten, indem er<br />
erklärte, er als Königlich Preußischer Kreisrichter könne unmöglich<br />
mit einem vorbestraften Manne in einer Vollversammlung auftreten.<br />
Alle Versuche, den Herrn umzustimmen, da Lehmann ein<br />
Ehrenmann und nur wegen seiner Tätigkeit als Redakteur einer katholischen<br />
Zeitung im Dienste der guten Sache vorbestraft sei, blieben<br />
erfolglos. Er blieb bei seiner kategorischen Erklärung, nicht<br />
mit einem Manne, der von einem Preußischen Gericht überhaupt<br />
rechtsgültig verurteilt worden sei, öffentlich auftreten zu können.<br />
Die Verlegenheit war groß angesichts der Wichtigkeit dieser Versammlung<br />
und der ganz gewaltig angewachsenen Wählermassen.<br />
Der anwesende, stets redegewandte Pfarrer Kernler aus Steinhofen<br />
mußte nun, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, einspringen<br />
für Lehmann, dem man den Verzicht auf sein Referat<br />
schonend beibringen soll, wie Herr von Schiigen wünschte. Die<br />
Treppe hinauf lief ein junger Mann, wo auf dem oberen Flur im<br />
.Hirsch' Lehmann auf und ab ging, in der linken sein umfangreiches<br />
Manuskript und mit der rechten Hand heftig gestikulierend<br />
beim Memorieren seines Vortrages. Gerötet war sein Gesicht und<br />
dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. .Herr Lehmann<br />
stecken Sie das Manuskript weg', rief der gesandte Gesinnungsgenosse.<br />
Hierauf Lehmann ganz verzagt: .Nein, nicht weg, es geht<br />
nicht, es sitzt nicht, ich muß vorlesen.' Hierauf wurde Lehmann<br />
über den entstandenen Zwischenfall aufgeklärt mit der Bitte, es<br />
nicht übel aufzunehmen. ,Uebel nehmen?', rief Lehmann, .nein,<br />
Gott sei Dank, ich bin ein Mann der Feder, aber nicht des Wortes.'<br />
Jetzt erst schmeckte ihm Speise und Trank. Inzwischen war es Zeit<br />
geworden zur Eröffnung der Versammlungen. Im Gasthaus zum<br />
.Hirsch' begann Herr von Schiigen in feiner Weise seinen Vortrag<br />
vor einer gewaltigen Zuhörerschar, während Herr Pfarrer Kernler<br />
im .Kreuz' in seiner kräftigen Art sprach." [...]<br />
Sauters Anekdote beschreibt noch weitere "Hemmnisse an diesem<br />
Tage". So hatte sich während der Wahlrede im übervollen Gasthof<br />
der Boden gesenkt und einige Besucher der Veranstaltung fanden<br />
sich im darunter gelegenen Stall bei den Kühen wieder, ohne dass<br />
es Verletzte gab. Schließlich klang der Sonntag nach der Gammertinger<br />
Wahlveranstaltung in "feucht-fröhlicher Stimmung" aus. Bevor<br />
es zum letzten Umtrunk im Hechinger Stammlokal in der<br />
"Krone" an der Ecke Schlossstrasse/Kirchplatz kam, war man auf<br />
dem Rückweg in Jungingen beim "Reichskanzler" im Gasthof zur<br />
Post eingekehrt. Unter diesem Namen war der Gastwirt Eduard<br />
Bumüller wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit Bismarck bekannt.<br />
Der Wirt war auch für sein Lager mit guten französischen<br />
Weinen bekannt. Sauter weiter: "Es wurden Bedenken gegen die<br />
Einkehr beim Reichskanzler' laut, da er nicht unser Gesinnungsgenosse,<br />
also nicht unserer Farbe sei; aber Lehmann zerstreute<br />
diese Bedenken in humorvoller Weise. Bei unserem Eintritt in die<br />
mit Sonntagsgästen angefüllte Wirtsstube ging Lehmann auf den<br />
.Reichskanzler' zu mit den Worten: .Ihr Christentum hat zwar Kil-
lertäler Färbung, aber wir sind ja nicht so', und mit den Worten:<br />
.Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt', nahm<br />
er den dicken Wirt in seine langen Vaterarme und applizierte des-<br />
sen feisten Wangen unter dem schallenden Gelächter aller Gäste ei-<br />
nen kräftigen Kuß, ehe der .Reichskanzler' zur Besinnung kam. Es<br />
war ein unvergeßhches Bild, zu dem als Motto das Wort von Goethe<br />
paßte: Ein echter Deutscher mag keinen Franzmann leiden, doch<br />
ihre Weine trinkt er gern!"<br />
Die Anekdote endet mit der Erfolgsmeldung, dass am 27. Oktober<br />
1876 die Zentrumskandidaten Schmid und Maier in den Preußischen<br />
Landtag gewählt wurden und bei der folgenden Reichstagswahl<br />
am 10. Januar 1877 ebenfalls Maier das Mandat erhielt.<br />
Roman Sauter beschrieb den unterlegenen Evelt als freikonservativen<br />
Liberalen, der sich nicht den eigentlichen Trägern des Kulturkampfes,<br />
den Nationalliberalen, angeschlossen habe. Er hätte<br />
während seiner einjährigen Tätigkeit im Preußischen Landtag<br />
(1875 bis 1876) auch nie für ein Kampfgesetz gestimmt. Tatsächlich<br />
gab Evelt im Oktober 1873 in einer Erklärung in den Hohenzollernschen<br />
Blättern an, dass er zwar als Abgeordneter gegen die<br />
wichtigsten kirchenpolitischen Gesetze gestimmt habe, aber auch,<br />
dass diese zu respektieren wären. In der Erklärung wehrte sich<br />
Evelt gegen Angriffe des Zoller, wonach er eigentlich für das Zentrum<br />
kandidieren wollte. Aber weil die Partei ihn "beiseite setzte",<br />
er aber unbedingt ein Mandat erlangen wollte, wäre er nun "über<br />
Nacht liberal geworden". Evelt führt an, dass er der "altliberalen<br />
Partei", dem "liberalen Centrum" und im Reichstag der "liberalen<br />
Reichspartei" zugehörte, sowie Gegner des Zentrums war und<br />
bleibt. Bei der 1873-er Wahl zum Abgeordnetenhaus kandidierte<br />
Evelt allerdings doch für die Nationalliberalen.<br />
"August Alexander Oskar Evelt - Geheimer Oberjustizrat<br />
u. Landger.-Präsident<br />
1828-1904"<br />
a.D. - Ritter Hoher Orden -<br />
So lautet die Inschrift auf dem Grabdenkmal in Eingangsnähe des<br />
Hechinger Heiligkreuzfriedhofs. Ganz in der Nähe des Landgerichts<br />
befindet sich die Eveltstraße. Zumindest sie ist den meisten<br />
Hechingern ein Begriff. Wer sich jedoch hinter dem Namen verbirgt,<br />
ist weniger bekannt. Dabei könnte Evelt durchaus zu den<br />
großen Söhnen der Stadt gezählt werden.<br />
Wie viele Beamte der preußischen Zeit stammte er aus dem "Land<br />
der Roten Erde", wie es 1904 ein Nachruf formuherte. Evelt könnte<br />
auch als Paradebeispiel für einen der schwäbischen Lebensart<br />
Fremden gelten, der sich vorzüglich den regionalen Eigenarten<br />
und Gewohnheiten anpasste und ein heimatverbundener Hohenzoller<br />
wurde.<br />
August Evelt wurde am 21. Januar 1828 als Sohn des Gerichtsdirektors<br />
Franz Josef Johann Evelt (1794-1861) und der Maria Bernai'dina<br />
Josefa Carolina, geb. Reckmann (1793-1861), im westfälischen<br />
Dorsten, Kreis Recklinghausen, geboren. Der Vater war<br />
später Kreisgerichtsdirektor in Dorsten, preußischer Parlamentarier<br />
und Ordensträger. Er schien seinen Sohn inspiriert zu haben,<br />
der ebenfalls die juristische Laufbahn einschlug. 1854 zum Gerichtsassessor<br />
ernannt, kam er im gleichen Jahr erstmals als Hilfsrichter<br />
nach Hechingen. Nach den Tätigkeiten im Berliner Justizministerium<br />
und als Staatsanwaltsgehilfe in Warendorf/Westfalen<br />
trat er am 1. September 1860 zunächst die gleiche Stellung im Königlichen<br />
Kreisgericht zu Hechingen an, um bald zum Staatsanwalt<br />
befördert zu werden. Am 9- Juni 1869 wurde Evelt Kreisgerichtsdi-<br />
20<br />
rektor und am 1. Oktober 1879 durch die Neuordnung der Gerichtsbehörden<br />
erster Landgerichtspräsident Hohenzollerns. 1887<br />
erhielt er den Titel eines Oberjustizrates und war zuletzt Geheimer<br />
Oberjustizrat. Zum 1. Januar 1900 wurde er in den Ruhestand versetzt.<br />
Die berufliche Tätigkeit war nur ein Aspekt im Schaffenswerk<br />
Evelts. Andere Schwerpunkte seines Wirkens waren die Politik und<br />
sein Einsatz für Hohenzollern. Bereits 1861 war er zum Wahlkandidaten<br />
für den Preußischen Landtag vorgeschlagen worden. Er<br />
verlor die Wahl, bemühte sich aber damals schon für einen Eisenbahnanschluss<br />
Hechingens. Nach dem Weggang des Regierungspräsidenten<br />
Seydel setzte er sich 1863/64 leidenschaftlich für die<br />
Eisenbahninteressen Hohenzollerns ein. So schrieb er etliche<br />
Briefe, Eingaben, Zeitungsartikel, berief Versammlungen ein und<br />
verfasste 1863 die Schrift "Fliegende Blätter zur Beleuchtung des<br />
Eisenbahn-Projektes Tübingen-Balingen-Hechingen-Ebingen-Sigmaringen".<br />
Seine Bemühungen, die <strong>Hohenzollerische</strong>n Interessen<br />
gegen den Widerstand Württembergs durchzusetzen, hatten<br />
schließlich mit den zwischen Preußen, Württemberg und Baden<br />
abgeschlossenen Eisenbahnverträgen Erfolg. Um den Bau der Eisenbahnstrecke<br />
Tiibingen-Sigmaringen erwarb sich Evelt große<br />
Verdienste. So verlieh ihm etwa die Stadt Hechingen 1865 bereits<br />
als 37-jähriger das Ehrenbürgerrecht.<br />
Als Verdienst wurde Evelt auch angerechnet, dass er während der<br />
württembergischen Okkupation Hohenzollerns im Zusammenhang<br />
des "Deutschen Krieges" gegenüber dem württembergischen Kommissär<br />
Graf Leutrum durch "tapfere Haltung" auffiel (Der Krieg<br />
zwischen Preußen einerseits und Österreich mit Italien andererseits,<br />
Beginn 15. Juni 1866, entschieden am 3- Juli 1866 durch den<br />
preußischen Sieg in der Schlacht bei Königgrätz; durch den Frieden<br />
von Prag am 23. August stimmte Österreich der Auflösung des<br />
Deutschen Bundes zu). Nachdem am 28. Juni 1866 eine württembergische<br />
Kompanie in Hechingen einrückte, weigerte sich Evelt,<br />
im Namen des Deutschen Bundes die Justizgeschäfte fortzuführen<br />
und erklärte dem Grafen Leutrum," im übrigen existiere der Bund<br />
für einen preußischen Beamten nicht mehr". Am 6. August rückten<br />
die Württemberger wieder ab.<br />
Evelt wird auch angerechnet, dass das Landgericht in Hechingen<br />
und nicht woanders seinen Sitz bekam. Er unterstützte zudem verschiedene<br />
städtische Einrichtungen in Hechingen, wie die "Höhere<br />
Bürgerschule" und die "Höhere Mädchenschule" respektive<br />
"Höhere Töchterschule". Evelt war jahrzehntelang freier Mitarbeiter<br />
der Hohenzollernschen Blätter sowie Freund und Syndikus des<br />
Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. In den Bau des<br />
Hechinger Justizgebäudes war Evelt ebenfalls verwickelt. Noch als<br />
Staatsanwalt erwarb er dafür 1868 bei einer Zwangsversteigerung<br />
zwei Grundstücke. Im Juni 1876 zog das Kreisgericht in den Neubau<br />
ein. Am 12. Dezember 1877 setzte er den Schlussstein mit den<br />
Worten "Mit Gott für Kaiser und Reich".<br />
Zum Gerichtsgebäude gehört auch das Gefängnis, dessen erster<br />
Gefangener laut Roman Sauter Michael Lehmann gewesen sein<br />
soll. Das könnte zeitlich hinkommen, weil er 1877 zweimal zu je 3<br />
Wochen Gefängnis verurteilt wurde - u.a. im Januar "wegen wiederholter<br />
öffentlicher Beleidigung des Kreisgerichtsrats Melchers".<br />
Dem liberalen Melchers, der bei der 1876-er Wahl gemeinsam<br />
mit Evelt den Zentrumsmännern Schmid und Maier unterlag.
Inschrift auf dem Grabdenkmal in Eingangsnähe des Hechin-<br />
ger Heiligkreuzfriedhofs. Foto: Willy Beyer<br />
Mandate in verschiedenen Fraktionen -<br />
Initiator der <strong>Hohenzollerische</strong>n Selbstverwaltung<br />
Von 1867 bis 1869 war Evelt Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses<br />
(Rechtes Centrum). Weil seine Ernennung zum Kreisgerichtsdirektor<br />
eine Beförderung bedeutete, wurde eine Neuwahl<br />
erforderlich, der er sich jedoch nicht stellte. Das gleiche galt für<br />
das Abgeordnetenmandat im konstituierenden sowie im ersten<br />
Reichstag des Norddeutschen Bundes (1867 bis 1870). Bei der<br />
Nachwahl am 30. November 1869 wurde Evelt aber wiedergewählt<br />
und war ebendort Mitglied der Kommission für die Revision des<br />
Strafgesetzbuches. Von März 1871 bis Januar 1874 war er erneut<br />
Mitglied des Reichstags (Vertreter des Wahlkreises Königreich<br />
Preußen XII, Hohenzollern - Fraktion Liberale Reichspartei). Sein<br />
Mandatsnachfolger war der Hechinger Kreisrichter Adolf von<br />
Kleinsorgen (Zentrum), der die Wahl gegen den liberalen Kreisrichter<br />
Bilharz gewann. Gleichzeitig zum Reichstagsmandat war<br />
Evelt von 1870 bis 1873 wieder Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses<br />
(Liberales Centrum) und unterlag schon bei der<br />
Wahl 1873 als nationalliberaler Bewerber für das Abgeordnetenhaus<br />
gegen Adolf von Kleinsorgen. Durch diese Niederlage lehnte<br />
er, wie auch sein Mitkandidat Kreisrichter Cramer, eine Wiederwahl<br />
in den Reichstag ab. Nach der Ungültigkeitserklärung der<br />
1873-er Wahl (wegen klerikaler Wahlbeeinflussung) wurde Evelt<br />
1875 für den Rest der Wahlperiode bis 1876 nochmals Mitglied<br />
des Preußischen Abgeordnetenhauses, wobei er sich keiner Fraktion<br />
anschloss. Im Oktober 1876 scheiterte er wie erwähnt bei der<br />
Neuwahl zum Preuß. Abgeordnetenhauses.<br />
August Evelt war von 1874 bis 1879 und von 1892 bis 1899 als Vertreter<br />
der Stadt Hechingen, 1880 bis 1891 der Amtsversammlung<br />
Hechingen, Mitglied des <strong>Hohenzollerische</strong>n Kommunallandtags.<br />
Vom 22. Januar 1874 bis Januar 1899 war er zudem Vorsitzender<br />
des Kommunallandtags und des Kommunalausschusses, dessen<br />
21<br />
Gründung maßgebhch ihm zu verdanken ist. Evelt setzte nach der<br />
Einfuhrung der Selbstverwaltung in den altpreußischen Provinzen<br />
(mit anderen) eine entsprechende Selbstverwaltung für die<br />
preußische Exklave der <strong>Hohenzollerische</strong>n Lande durch.<br />
Ein Augenleiden und das fortgeschrittene Alter gab Evelt im Januar<br />
1899 als Grund an, den Vorsitz des Kommunallandtags abzugeben,<br />
und natürlich nicht die Auseinandersetzungen, die es in der letzten<br />
Zeit gegeben habe - eine Rechtfertigung, die auch heute noch stutzig<br />
machen würde. Sicherhch wird es Evelt so gegangen sein, wie<br />
es vielen Politikern geht, die zu lange an ihrem Amt geklebt haben:<br />
Eine 25 Jahre währende Ära ging zu Ende - und das war gut so.<br />
Man gönnte dem alten Mann seinen Ruhestand.<br />
Vielleicht war dies auch schon ein Grund dafür, dass Evelts Verdienste<br />
bald in Vergessenheit gerieten. Oder hatte er vielleicht die<br />
Sympathien seiner Gläubiger verloren, weil er während dem Kulturkampf<br />
ein chamäleonartiges Verhalten zeigte, nicht zuletzt<br />
durch seine schwankenden pohtischen Bekennungen und Fraktionszugehörigkeiten?<br />
Von Preußen wurde Evelt mit einigen hohen Orden dekoriert. Auch<br />
von Hohenzollern, etwa der Hohenzollernsche Hausorden und das<br />
Ehrenkomturkreuz.<br />
August Evelt hatte mit seiner Ehefrau Anna (geborene Speidel,<br />
* 12.12.1835 in Hechingen, f 19-12.1914 ebd.) drei Kinder: August<br />
(1859-1913), Anna Maria Crescentia Bernardina (1861-<br />
1941) und Wilhelm (1877-1954). Evelt starb am 11. Dezember<br />
1904 in Hechingen.<br />
Quellennachweise und weiterführende Schriften:<br />
- Wetzel, Johann Nepomuk: Veränderungen in der Regierung der<br />
Erzdiözese Freiburg. Der Kulturkampf und seine Folgen, in:<br />
Wetzel, Hrsg., Geschichte der katholischen Kirche in Schwaben-<br />
Hohenzollern, Teil II, Bühl 1931, S.383-407, hier S.383 u.384,<br />
S. 403-404<br />
- Sauter, Roman: Erinnerungen aus der Zeit des Kulturkampfes in<br />
Hohenzollern. Eine Wahlagitation mit Hindernissen, in: Beilage<br />
zum "<strong>Hohenzollerische</strong>r Neckarbote", 4.Jhrg. Nr. 44, vom<br />
22.Februar 1930<br />
- Wenzel, Wolfgang: Weshalb die Hohenzollernbahn in Dettingen<br />
ihren Anfang hat, in: <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>, 2/2003, S. 18-<br />
22 und 3/2003, S. 39-43, hier S. 41,43<br />
- <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei Heclüngen: Bestandsmappe üb 83<br />
- Landgerichtspräsident Geh. Oberjustizrat Evelt. *1828 | 1904.<br />
Sonderabdruck aus den "<strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern" Nr. 208<br />
vom 12. Dezember 1904<br />
- Irene Widel-Senn: Landgerichtspräsident August Evelt 1828-<br />
1904, <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung Nr. 16,17,18 (1953)<br />
- Wax, Peter: Die Geschichte der Justiz in Hechingen, in: Zeitschrift<br />
für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte, 41. Band - der ganzen<br />
Reihe 126. Band 2005, S. 77-116, hier S. 89,90,101,114<br />
- Hohenzollernsche Blätter: Nr. 7 u. 30 (1874), bez. Beanstandung<br />
und Beweisführung wegen klerikaler Beeinflussung der<br />
1873-er Wahl zum Preußischen Abgeordnetenhaus<br />
- Hohenzollernsche Blätter: Nr. 40, 57,161,170 (1873); Nr. 8,<br />
17,27,39,70,119,159,180 (1874); Nr. 14,89 (1877), Nr.32<br />
(1879)<br />
- Der Zoller: Nr. 14, 70, 89 (1877), Nr. 3 (1879)<br />
- Chronik der Stadt Hechingen. Von deren erstmaligen urkundlichen<br />
Erwähnung am 3. Mai 786 bis heute. Zusammengestellt<br />
von Ludwig Egler, Hechingen 1887, bez. württ. Okkupation: S.<br />
259-262
- Sauter, Roman: Michael Lehmann/Der erste "Zoller"-Redakteur,<br />
"Der Zoller" vom 5. Februar 1927<br />
- Staatsarchiv Sigmaringen: Ho 235 T3 Nr. 369, bez. "Fliegende Blätter"<br />
(Eisenbahnprojekt 1863)<br />
- Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Frank Raberg, Neresheim,<br />
wurden aus seinem Manuskript, einem Auszug aus "Biographisches<br />
Staatshandbuch des deutschen Südwestens 1802-1952", die wesentlichsten<br />
Angaben zur politischen Laufbahn und der personenbezogenen<br />
Daten August Evelts entnommen. Dieses Text- und Quellenmaterial<br />
war u.a. Grundlage seines am 13. Dezember 2004 in Hechingen<br />
gehaltenen Vortrages über August Evelt. Die verwendeten<br />
Quellen sind (nach Raberg, Februar 2007): Stammreihe Evelt in: Dt.<br />
Geschlechterbuch 181 S. 117-120<br />
- Bernd Haunfelder, Biographisches Handbuch für das preußische<br />
Abgeordnetenhaus 1849-1867 (Handbücher zur Geschichte des<br />
Parlamentarismus und der politischen Parteien Band 5), Düsseldorf<br />
1994S. 96 (Nr. 395)<br />
- Phillips (Hg.), Die Reichstags-Wahlen von 1867-1883. Statistik der<br />
Buchbesprechungen<br />
Eine fast tausendjährige Geschichte spannend erzählt<br />
Am Neujahrstag 1806 wurde Württemberg zum Königreich erhoben.<br />
Die Geschichte des Hauses, eines der ältesten Fürstengeschlechter<br />
Europas, lässt sich bis zum Jahr 1083 zurückverfolgen.<br />
Auf 292 Seiten hat der Historiker Harald Schukraft unter dem Titel<br />
„Kleine Geschichte des Hauses Württemberg" ein Buch vorgelegt,<br />
das einen gut lesbaren Gesamtüberblick gewährt. Die Wortwahl<br />
„kleine Geschichte" soll vermutlich signalisieren, dass sich der Autor<br />
darauf beschränkt hat, die Geschichte „skizzenhaft" darzustellen,<br />
wie er im Vorwort mitteilt. Was sich jedoch im Haus Württemberg<br />
mit all seinen Seitenlinien in fast tausend Jahren abspielte, hat<br />
den Ausdruck „klein" nicht verdient. Harald Schukraft arbeitete das<br />
historisch und kulturell Bedeutsame in den württembergischen Grafen-,<br />
Herzogs- und Königszeiten gut und pointiert heraus. Er liefert<br />
aber keineswegs nur „trockene" Daten, sondern erhellt auch Zusammenhänge,<br />
schildert, wie sich Entwicklungen anbahnen, und<br />
versteht es, das Ganze in einen spannenden Erzählstil, gespickt mit<br />
interessanten Episoden, einzubetten. Eine Bereicherung stellen zudem<br />
die zahlreichen, meist farbigen Abbildungen (196) dar.<br />
(ba)<br />
Harald Schukraft: „Kleine Geschichte des Hauses Württemberg",<br />
Silberburg- Verlag Tübingen, 24,90 Euro, JSBN 3-87407- 725-X<br />
Sabine Thomsen - Die württembergischen Königinnen<br />
Die Historikerin Sabine Thomsen bekennt, ihren Onkel Professor<br />
Hansmartin Decker-Hauff verehrt und gehebt zu haben. In geradezu<br />
faszinierender Weise hatte er es einst verstanden, seine Zeitgenossen<br />
für Geschichte zu begeistern. Mit „Bücken hinter die Kulissen"<br />
und einer Fülle von Anekdoten, mit Humor und großer Erzählkunst<br />
hatte er sein umfassendes Wissen umrahmt und gewürzt<br />
und so mit der Mär aufgeräumt, Geschichte sei ein trockener Lehrstoff.<br />
Sabine Thomsen hat ihren Onkel offensichtlich nicht nur geschätzt,<br />
sondern sie hat auch viel von ihm gelernt und „geerbt". In<br />
ihrem Buch „Die württembergischen Königinnen" stellt sie auf erfrischende,<br />
leicht lesbare und dennoch fundierte Weise Leben und<br />
Wirken von Charlotte Mathilde (1766 - 1828), Katharina (1788 -<br />
1819), Pauhne (1800 bis 1873), Olga (1822 -1892) und Charlotte<br />
(1864 - 1946) vor. Sie schließt damit nicht nur eine Lücke in der<br />
Literatur und vermittelt viel Geschichtswissen, sondern sie erzählt<br />
auch auf spannende, aber keineswegs oberflächliche Weise, Zu-<br />
22<br />
Wahlen zum Konstituierenden und Norddeutschen Reichstage, zum<br />
Zollparlament sowie zu den fünf ersten Legislaturperioden des Deutschen<br />
Reichstages, Berlin 1883<br />
- Winfried Grohs, Die Liberale Reichspartei 1871-1874. Liberale Katholiken<br />
und föderalistische Protestanten im ersten deutschen<br />
Reichstag. Frankfurt/Bern 1990<br />
- Thomas Kühne, Handbuch der Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus<br />
1867-1918. Wahlergebnisse, Wahlbündnisse und Wahlkandidaten,<br />
Düsseldorf 1994<br />
- Bernhard Mann, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus<br />
1867-1918 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus<br />
und der politischen Parteien, Band 3), Düsseldorf<br />
1988, S. 125 (Nr. 540)<br />
- Wilfried Schöntag, Landeskommunalverband, in: Preußen in Hohenzollern.<br />
Begleitband zur Ausstellung Sigmaringen 1995. Hg. vom<br />
Haus der Geschichte Baden-Württemberg und dem Staatsarchiv Sigmaringen.<br />
bearb. von Otto H. Becker u. a., S. 51-69 hier bes. S. 55<br />
sammenhänge herstellend und Hintergründe beleuchtend,<br />
packende Lebensgeschicke und mutige Königinnen-Initiativen, die<br />
zum Teil bis heute nachwirken. Die fünf württembergischen Königinnen<br />
haben vielfältige Spuren hinterlassen, wie die aulwendigen<br />
Recherchen der Historikerin Thomsen ergaben. Ihr Buch gibt aber<br />
auch Einblick in die damalige Heiratspolitik der Mächtigen, die<br />
Familienverknüpfungen und Herrschaftsinteressen. Die persönlichen<br />
Neigungen und Schicksale, die mit hereinspielten, geben dem<br />
Werk überdies eine weitere interessante Prägung. 77 Färb- und<br />
Schwarz-Weiß-Fotos oder Abbildungen von Zeichnungen und<br />
Gemälden sowie die Stammtafeln der Königinnen bereichern den<br />
300seitigen Band, dem ein Vorwort der Herzogin Diane von Württemberg<br />
vorangestellt ist.<br />
Sabine Thomsen: „ Die württembergischen Königinnen - Charlotte<br />
Mathüde, Katharina, Pauline, Olga, Charlotte - ihr Leben und Wirken".<br />
24,90 Euro. Silberburg-Verlag, Tübingen. ISBN-13: 978-<br />
87407-714-9. (ba)<br />
Register 2006<br />
Altendickingen, Vermutungen über Anfang und Bedeutung<br />
der Wüstung Altendickingen S. 7<br />
Burkarth, Herbert, Zum Abschied von<br />
Herrn Dr.med. Herbert Burkarth S. 61<br />
Fidelistag, Der Fidelistag in Hohenzollern S. 54<br />
Fürstliche Hofkammer, Eine altehrwürdige Verwaltungseinrichtung<br />
im Wandel: Die Fürstliche Hofkammer S. 6<br />
Haigerloch, Schlössle und Zufahrt ins „Haag" -<br />
ehemalige jüdische Siedlung in Haigerloch.<br />
Anmerkungen zum Buch „Erinnerungen an die<br />
Haigerlocher Juden-Ein Mosaik" S. 49<br />
Hausen im Killertal, Biographische Daten der Seelsorger<br />
von Hausen im Killertal, Teil 1 S. 9<br />
Hausen im Killertal, Biographische Daten der Seelsorger<br />
von Hausen im Killertal, Teil 2 S. 58<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong>, Die Mitgliederversammlung<br />
des <strong>Geschichtsverein</strong>s S. 22<br />
Hohenzollern, Das Wappen des Burggrafen Friedrich V.<br />
auf der Burg Hohenzollern S. 35<br />
Hünengräber und Knöpflemesser -<br />
Die Alamannen im Zollernalbkreis S. 56<br />
Jungnau, Die Jungnauer Gemeindekarte von 1731/1812. Zur<br />
Bedeutung und historischem Kontext einer restaurierten
Zimelie, Fortsetzung und Schluss<br />
Kalkofen, Die Kalkofer Steige- ein frühes Großprojekt des<br />
S. 2<br />
Straßenbaus in Hohenzollern, Teil 1<br />
Kalkofen, Die Kalkofer Steige - ein frühes Großprojekt des<br />
S. 26<br />
Straßenbaus in Hohenzollern, Teü 2 und Schluss<br />
Lehmann, Michael, ein vergessener Kulturschaffender<br />
S. 39<br />
und Kulturkämpfer Hohenzollerns, Fortsetzung<br />
Meßkirch, Der heilige Jakobus als Püger -<br />
S. 22<br />
Ein Tafelgemälde des Meisters von Meßkirch<br />
Owingen, Die romanische Weiler Kirche von Owingen,<br />
S. 43<br />
Teil 3 und Schluss<br />
Römerstraße, Zur Römerstraße im oberen Starzeltal und<br />
S. 12<br />
Straßenstationen daran<br />
Schalksburg, Die Herrschaft Schalksburg zwischen Zollern<br />
S. 42<br />
und Württemberg, Teil 1<br />
Schalksburg, Die Herrschaft Schalksburg zwischen Zollern<br />
S. 29<br />
und Württemberg, Teil 2 und Schluss<br />
Sigmaringen, Albert Geyer und der Ausbau des Residenz-<br />
S. 45<br />
schlosses der Hohenzollern in Sigmaringen 1893 -1908 .. S. 17<br />
Sigmaringen als Standort badischer und württembergischer<br />
Polizeieinheiten<br />
Sigmaringen, Die Allee in Sigmaringen - barocke<br />
Landschaftsinszenierung und fürstliches Herrschafts-<br />
S. 53<br />
symbol, Teil 3 und Schluss<br />
Sigmaringen, „Die letzten Tage der französischen Regierung<br />
S. 4<br />
von Sigmaringen" nach Francis Bout de l'An, Teil 1<br />
Sigmaringen, Die Sigmaringer Heimsuchungstafel -<br />
Einflüsse Hans Baidung Griens auf das Werk des Meisters<br />
S. 37<br />
von Meßkirch<br />
Sigmaringen, Gedenkstein für 90 ermordete Patienten<br />
S. 15<br />
des Sigmaringer Landeskrankenhauses<br />
Sigmaringen, Runder Turm. <strong>Heimat</strong>museum<br />
S. 33<br />
Sigmaringen e.V.<br />
Buchbesprechungen<br />
S. 55<br />
Auf den Spuren von Dichtern durch Baden-Württemberg .. S. 61<br />
Das Dorf. Neue Geschichten aus Baden-Württemberg .... S. 47<br />
Der Schneckenfänger S. 46<br />
Der Schwarzwald S. 14<br />
Die Schicksalsfürstin Amalie Zephyrine S. 13<br />
Flakhelfer Jakob S. 60<br />
Gammertingen in alten und neueren Ansichten S. 15<br />
Im Schwarzwald S. 47<br />
Inzigkofen, 650 Jahre Kloster - 700 Jahre Inzigkofen S. 32<br />
Jakobswege S. 31<br />
Kleine Tübinger Stadtgeschichte S. 47<br />
Klöster im Landkreis Sigmaringen S. 14<br />
Naturerbe Truppenübungsplatz S. 61<br />
Schwäbische Dorfgeschichten S. 32<br />
Schwäbischer Parnass S. 31<br />
Spazier-Ziele auf der westlichen Alb S. 31<br />
Stocklandzeit S.. 46<br />
Wanderziel Westliche Alb S. 47<br />
HERBERT RÄDLE<br />
Zwei Porzellanfiguren aus den<br />
Sigmaringer Sammlungen<br />
Zu den Beständen der Fürstlich <strong>Hohenzollerische</strong>n Sammlungen in<br />
Sigmaringen gehören sechs schöne Porzellanfiguren aus dem Besitz<br />
der Prinzessin Luise von Hohenzollern, geb. von Thum und Taxis<br />
(1859-1948), Gemahlin des Prinzen Friedrich von Hohenzol-<br />
23<br />
lern (1843-1904). Sie wurden kürzlich im Rahmen der Ausstellung<br />
Adel im Wandel, 200 Jahre Mediatisierung in Oberschwaben einer<br />
breiteren Öffentlichkeit gezeigt.<br />
Die Figuren haben einen humanistischen Hintergrund. Sie verkörpern<br />
Musen und Kardinaltugenden. Hergestellt wurden sie im späten<br />
19. Jahrhundert in der Königlich Preußischen Manufaktur, und man<br />
kann sie (soweit sie Musen verkörpern) durchaus als zeitgemäße<br />
Transformationen der homerischen Musen aus der Ilias (Buch 1,<br />
Vers 601ff.) sehen.<br />
Aus den sechs Sigmaringer Figuren greifen wir zwei heraus, um sie<br />
im Folgenden in Bild und Text vorzustellen, nämlich zum einen Terpsichore,<br />
die Muse des Tanzes und der Lyrik (Abb. 1), und zum anderen<br />
Urania, die Muse der Sternkunde und der Naturwissenschaft<br />
(Abb. 2). Sie sind, wie wir sehen, dargestellt als Ganzfiguren in sehr<br />
griechisch anmutendem Habitus, bekleidet mit einem Unter- und einem<br />
Obergewand, das die Schultern freiläßt.<br />
Terpsichore (Abb. 1) greift mit der Rechten in die Saiten der Leier<br />
(griech. Lyra), die sie in der Linken hält. Zu ihren Füßen sitzt, ähnlich<br />
dem antiken Erosknaben, dem ständigen Begleiter der Liebesgöttin<br />
Aphrodite, hier ein nackter Putto als Allegorie der Lyrik. Er hält<br />
ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß.<br />
Büdliche Darstellungen der Musen tauchen in der europäischen<br />
Kunsttradition seit der Renaissance verstärkt auf, meist in humanistisch<br />
gelehrtem Zusammenhang. So etwa in Hans Burgkmairs Holzschnitt<br />
des Wagens der Hofkapelle im Triumphzug Kaiser Maximilians<br />
(um 1515), wo ihr Spiel der Verherrlichnug des Herrschers<br />
dient.<br />
In der antiken Mythologie gelten die Musen als Töchter des Zeus und<br />
der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung. Als Töchter des Zeus<br />
drücken sie die göttliche Fülle und die Schönheit des Gesanges und<br />
der Musik aus. Die Musen sind (in griechischem Kontext) auch anwesend<br />
bei den Festgelagen der Götter, die sie mit ihrem Gesang bereichern.<br />
Ihr Wohnsitz ist manchmal der Dichterberg Parnaß bei<br />
Delphi, manchmal der Musenberg Helikon in Boiotien, ihr Anführer<br />
ist der Gott Apollon Musagetes, der "Musenführer".<br />
Der Dichter Hesiod, ein etwas jüngerer Zeitgenosse Homers, berichtet<br />
über seine Dichterweihe am Berg Helikon. Er erzählt, wie er, als<br />
Hirte mit seiner Herde umherstreifend, die Musen sah, welche, in<br />
dichten Dunst gehüllt, sich ihm tanzend näherten und ihm die Dichterweihe<br />
gaben, auf daß er, nunmehr als Wissender, "von den gegenwärtigen,<br />
vergangenen und zukünftigen Dingen Kunde gebe".<br />
In diesen Zusammenhang gehört auch die Muse Urania (wörtlich die<br />
"Himmlische", von griech. Uranos=Himmel), die wir in Abb. 2 zeigen.<br />
Ihr Name verweist auf die himmlische, also göttliche Herkunft<br />
aller Musenkunst, und sie führt uns auch hinüber in den zweiten,<br />
weiter gefaßten Bereich, den die antiken Musen verkörpern, den Bereich<br />
von Wissen und Wissenschaft. Im Laufe ihrer Entwicklung nahmen<br />
die Musen unter der Führung des Lichtgottes Apoll in der Tat alle<br />
geistigen Betätigungen unter ihren Schutz. Eine der angesehensten<br />
Wissenschaften war bei den Griechen aber die (ursprünglich aus<br />
dem Orient stammende) Stern- und Himmelskunde.<br />
Urania ist hier (vgl. Abb. 2) dargestellt wiederum in griechisch anmutender<br />
Gewandung, die diesmal effektvoll in den Komplementärfarben<br />
Grün und Rot gestaltet ist. Sie trägt in der Rechten einen Stab<br />
als Sinnbild der Meßkunst, also von Mathematik und Naturwissenschaft;<br />
und zu ihren Füßen erscheint rechts ein Globus, während<br />
links vorne ein Putto mit ausgeschüttetem Füllhorn wohl den Nutzen<br />
der angewandten Naturwissenschaften versinnbildlichen soll.<br />
Die mit Sockel ca. 35 cm hohen Figuren strahlen viel Anmut und<br />
Liebreiz aus. Sie sind aber auch ein schönes Beispiel für die beachtliche<br />
Präsenz und Lebendigkeit antik-humanistischer Vorstellungen<br />
gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts - nicht nur im sogenannten<br />
"deutschen Bildungsbürgertum", sondern auch in Kreisen<br />
des Adels.
Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Abb. 1:<br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
Porzellanfigur der Terpsichore, Muse<br />
der Lyrik und des Tanzes, Höhe mit<br />
Sockel ca. 35 cm. Spätes 19. Jahrhun-<br />
dert. Fürstlich <strong>Hohenzollerische</strong> Samm-<br />
lungen Sigmaringen. Bildnachweis:<br />
Ausstellungskatalog Adel im Wandel,<br />
Sigmaringen (Thorbecke) 2006, S.<br />
389.<br />
Abb. 2:<br />
Porzellanfigur der Urania, Muse der<br />
Sternkunde und der Naturwissen-<br />
schaft. Bildnachweis: wie Abb. 1.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />
72486 Sigmaringen<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />
eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern<br />
und den angrenzenden Landesteilen mit der<br />
Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />
bringt neben fachhistorischen auch populär gehaltene<br />
Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
ist der Bezugspreis im Beitrag<br />
enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
€ 11,-. Abonnements und Einzelnummern können<br />
beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
Die Autoren dieser Nummer<br />
Gerd Bantle<br />
Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Edmund Bauer<br />
Ebinger Straße 79, 72393 Burladingen-Hausen i.K.<br />
Dr. Otto H.Becker<br />
Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Willy Beyer<br />
Kaufhausstraße 5, 72379 Hechingen<br />
Franz-Severin Gäßler<br />
Jakobsplatz 28 b, 86152Augsburg<br />
Wolfgang Hermann<br />
Dettenseer Straße 10/1, 72186Empfingen<br />
Annalies Keller<br />
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Margarete Kollmar<br />
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Dr. Edwin Emst Weber<br />
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24<br />
28<br />
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Schriftleitung:<br />
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Tel.: (07474) 2161, robertgfrank@web.de<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
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ftoj nmS •Stnn,<br />
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E<br />
1 .•fi-nn?-?li!toiV'i)«r
germeister und Gemeindepfleger neben ihrem bäuerlichen Hauptberuf<br />
mit engem Zeitbudget und ohne fachliche Vorbildung ausübten.<br />
Im Unterschied zu Herdwangen und Großschönach besaß<br />
Oberndorf auch zu keiner Zeit ein eigenes Rathaus als Sitz seiner<br />
Kommunalverwaltung, Tagungsort des Gemeinderats und nicht zuletzt<br />
Heimstatt des kommunalen Verwaltungsschriftguts. Die kommunalen<br />
Versammlungen, Sitzungen und Wahlen fanden zumeist<br />
im einzigen Gasthaus in Waldsteig statt, und geamtet wurde in der<br />
hohenzollerischen Kleingemeinde bis zur Gemeindereform 1974<br />
im Privathaus des jeweiligen Bürgermeisters. Dieser erhielt, wie<br />
ein Gemeinderatsprotokoll vom April 1933 dokumentiert, neben<br />
seiner eigentlichen Besoldung aus der Gemeindekasse auch noch<br />
eine Jahresaufwandsentschädigung von damals 50 Reichsmark für<br />
Licht und Heizung seines im Privathaus unterhaltenen Geschäftszimmers<br />
sowie überdies als Miete für die Unterbringung der Gemeinderegistratur<br />
(GA Oberndorf III Best.-Nr. 150).<br />
Dass es mit dieser Lagerung und Betreuung der Gemeinderegistratur<br />
in primär landwirtschaftlich genutzten Privathäusern so seine<br />
Tücken und Gefahren hatte, offenbaren die Inspektionsberichte<br />
der Archivberatungsstelle des Landeskommunalverbandes der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Lande: Nach einer Inspizierung im November<br />
1942 beispielsweise wird vermeldet, dass sich sowohl die älteren<br />
Akten wie auch die Rechnungen im Haus des Bürgermeisters befänden<br />
und dieser über Raummangel klage. 1956 berichten die<br />
Sigmaringer Archivpfleger von einer in Umschlägen verwahrten<br />
laufenden Registratur in einem Aktenschrank des Dienstzimmers<br />
von Bürgermeister Keller sowie von einer Altregistratur mit Unterlagen<br />
ab etwa 1840 in einem weiteren Aktenschrank. Das ca. 3 laufende<br />
Meter umfassende „Archiv" mit einer Laufzeit ab etwa 1890<br />
sodann befindet sich, gestapelt in einem Schrank, noch im Haus<br />
von Altbürgermeister Geng. Ausgeschiedene Altakten von gleichfalls<br />
ca. 3 Meter Umfang wurden bei der Inspektion schließlich<br />
noch auf dem Dachboden des Bürgermeisterhauses entdeckt. Gemeinsam<br />
haben alle dieser unterschiedhchen Registraturkörper,<br />
dass sie nach Befund der Archivpfleger „ziemlich" oder gänzlich<br />
„ungeordnet" sind und die damals für die hohenzollerischen und<br />
württembergischen Gemeindeverwaltungen verbindliche Gemeinderegistraturordnung,<br />
der sog. Flattich-Plan, in Oberndorf offenkundig<br />
nur sehr unzulänglich angewendet wurde.<br />
Verlust älterer Archivalien<br />
Angesichts derart problematischer Registraturverhältnisse und Lagerungsbedingungen<br />
ist der Verlust wichtiger Dokumente zur Ortsgeschichte<br />
nahezu zwangsläufig. Von den insgesamt drei 1904 im<br />
Besitz der Gemeinde Oberndorf ermittelten „Urkunden und<br />
Schriftstücken von geschichtlichem Wert" (GA Oberndorf I Best.-<br />
Nr. 33) beispielsweise sind einhundert Jahre später deren zwei -<br />
ein 1782 in der Deutschordenskanzlei Altshausen entstandener<br />
Hofgüter-Beschrieb u.a. von Heggelbach sowie ein Beibuch zum<br />
Urbar von Heggelbach, Oberndorf, Höllsteig und Waldsteig aus<br />
dem Jahr 1832 - gänzlich verschwunden, von den seinerzeit genannten<br />
vier Vereinödungskarten von 1832/33 sind jetzt noch zwei<br />
vorhanden. Während in der Regel in den Archiven hohenzollerischer<br />
wie auch badischer und württembergischer Landgemeinden<br />
die Serie der Rechnungsbände spätestens in der ersten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts einsetzt, datiert die älteste Oberndorfer Gemeinderechnung<br />
von 1905/06 (GA Oberndorf III Best.-Nr. 29). Enttäuschend<br />
dünn ist sodann auch die Überlieferung an Gemeinderatsprotokollen,<br />
die in einem ungebundenen Büschel lediglich aus<br />
dem Zeitraum von 1909 bis 1939 vorhegen (GA Oberndorf III<br />
26<br />
Best.-Nr. 150). Die beiden Aktenschichten schließlich erscheinen<br />
in ihrer Zusammensetzung nahezu durchgehend lückenhaft und<br />
erlauben vielfach nur sehr bedingt eine Rekonstruktion des kommunalen<br />
Verwaltungshandelns und der ortsgeschichtlichen Entwicklungen.<br />
Ungeachtet dieser Defizite und obgleich im Gemeindearchiv von<br />
1000 Jahren Ortsgeschichte seit der ersten schriftlichen Nennung<br />
Oberndorfs um 975 gerade einmal die letzten 200 Jahre dokumentiert<br />
sind, waren Erhalt, Sicherung und Erschließung der in<br />
der dortigen Kommunalverwaltung entstandenen Unterlagen auf<br />
jeden Fall die Mühe der Archivare und das Geld der Gemeinde<br />
wert. Trotz aller Lücken bildet das Gemeindearchiv mit seinen 8,5<br />
laufende Meter umfassenden Akten, Büchern und Karten die<br />
Grundlinien der Entwicklungs- und Wandlungsprozesse in Landwirtschaft,<br />
Infrastruktur und dörflicher Gesellschaft von der ersten<br />
Hälfte des 19- Jahrhunderts bis zur Gemeindereform von 1974 ab.<br />
Dass die Oberndorfer bei der napoleonischen Territorial-Flurbereinigung<br />
zu Beginn des 19- Jahrhunderts - im Unterschied zu<br />
ihren unter badisches Regiment gelangenden Nachbarn - zunächst<br />
zu fürstlich-hohenzollerischen und 50 Jahre später dann zu<br />
preußischen Untertanen wurden, sieht man im übrigen sogar den<br />
Akten an: Während nämlich die Archivalien von Herdwangen und<br />
Großschönach vom berühmten „badischen Knoten", der sog.<br />
Oberrandheftung, zusammengehalten werden, erlangten die<br />
preußischen Akten ihre stabile Struktur durch das blattweise<br />
Einnähen in kompakte Hefte. In Oberndorf mit seiner „Feierabendverwaltung"<br />
hatte man für dieses zeitaufwendige Aktenvernähen<br />
aber möglicherweise nicht genügend Zeit, so dass sich nur<br />
einige wenige genähte Aktenhefte im Bestand finden lassen.<br />
Vereinödungskarten aus den 1830er Jahren<br />
Mit zu den ältesten Dokumenten des Gemeindearchivs gehören<br />
zwei sog. Vereinödungskarten von Oberndorf und Heggelbach von<br />
1832 und 1833 (GA Oberndorf IV Best.-Nrn 1 und 2), die im Auftrag<br />
der Gemeinde Herdwangen-Schönach zuletzt in mustergültiger<br />
Weise restauriert worden sind. Die Karten dokumentieren die<br />
sog. Vereinödung, eine im 18. und 19. Jahrhundert in vielen Dörfern<br />
und Weilern vor allem des Neusiedellandes zwischen Allgäu<br />
und Linzgau praktizierte frühe Form der Flurbereinigung durch<br />
freiwillige Vereinbarung der bäuerlichen Grundbesitzer. Der Neuzuschnitt<br />
der Felder mit den überwiegend nach Heiligennamen benannten<br />
Bauernhöfen ist in diesen beiden agrar- und siedlungsgeschichtlich<br />
gleichermaßen interessanten Quellen ebenso festgehalten<br />
wie die landwirtschaftliche Flurnutzung, die traditionellen Flurnamen<br />
und nicht zuletzt der damalige Sigmaringer Fürst Karl als<br />
Auftraggeber der Vereinödung. Weitere Schmuckstücke des Archivbestandes<br />
sind mehrere Büschel mit handgezeichneten und vielfach<br />
kolorierten Bau- und zugehörigen Lageplänen, die die bauliche<br />
Entwicklung des Fünf-Weiler-Dorfes bis zurück in die Mitte des<br />
19- Jahrhunderts dokumentieren. Zum von den Ortsbewohnern im<br />
Umlageverfahren und mit Arbeitsleistungen finanzierten Neubau<br />
der Oberndorfer Kapelle 1868 finden sich unter den Bauakten<br />
mehrere Gestaltungsvarianten der Eingangsfront (GA Oberndorf I<br />
Best.-Nr. 181).<br />
Das zeitliche und inhaltliche Spektrum des Oberndorfer Archivs<br />
spannt sich von der Feudallastenablösung in der Mitte des 19- Jahrhunderts,<br />
als die Bauern ihrer grund-, leib-, orts- und zehntherrschaftlichen<br />
Leistungsverpflichtungen durch Geldzahlungen ledig<br />
und zu freien Eigentümern ihres Bodens werden, bis zur Kommu-
Mitteilungen<br />
aus dem<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong><br />
I. Homepage des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
Der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong> hat seit Februar dieses<br />
Jahres eine eigene Homepage.<br />
Darin enthalten sind die Satzung des <strong>Geschichtsverein</strong>s, ein Ver-<br />
zeichnis mit Nennung des Protektors, der Ehrenmitglieder und<br />
der Mitglieder von Vorstand und Beirat und die Mitteilungen<br />
des Vereins mit dem jeweils aktuellen Programm. Vorgestellt<br />
werden ferner die Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte<br />
und die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong> mit den Registern von Casimir<br />
Bumiller und Helmut Göggel zu den Jahrgängen 1951 bis<br />
2000.<br />
Die Internet-Adresse lautet:<br />
www.hohenzollerischer-geschichtsverein.de<br />
II. Veranstaltungen des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
im 3. Quartal 2007<br />
1) Höhlenführung<br />
Im Anschluss an seine interessante und sehr aufschlussreiche<br />
Abhandlung in der Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte<br />
42 (2006), S. 91 - 203 unternimmt Jürgen Scheff, Albstadt, am<br />
Samstag, 14. Juli, eine Urgeschichtliche Höhlenführung in<br />
Veringenstadt auf den Spuren von Eduard Peters.<br />
Treffpunkt: 14.00 Uhr am Rathaus in Veringenstadt<br />
2) Museumsführung<br />
Für die Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
unternimmt der Fürstl. Konservator Peter Kempf am Donnerstag,<br />
19- Juh, eine Sonderführung im neu eröffneten und neu<br />
konzipierten Fürstl. Museum in Sigmaringen.<br />
Treffpunkt: 18.30 Uhr am Portal des Schlosses Sigmaringen<br />
Eintritt: Erwachsene 4 €, Schüler und Senioren 3 €<br />
nalreform von 1974, als das hohenzollerische Oberndorf durch<br />
Mehrheitsvotum seiner Bürger in der neuen Einheitsgemeinde<br />
Herdwangen-Schönach aufgeht. Unübersehbar sind in diesen<br />
mehr als eineinhalb Jahrhunderten die stets bescheidenen Verhältnisse<br />
der Zwerggemeinde und ihrer auf fünf Weiler und zahlreiche<br />
Außenhöfe verstreuten Bewohner. Die Einwohnerzahl der Gemeinde<br />
steigt dabei zunächst an von 131 im Jahr 1844 auf 1881<br />
233, um im 20. Jahrhundert sukzessive auf deutlich weniger als<br />
200 Seelen abzusinken. Auf die unterentwickelten Verwaltungsverhältnisse<br />
mit einem nebenamtlich tätigen Bürgermeister, einen Gemeinderechner<br />
und allenfalls noch einem „Hilfsarbeiter", d.h. einem<br />
Verwaltungsgehilfen wurde bereits hingewiesen. 1852 will<br />
sich die Gemeinde in einem Bittgesuch an die preußischen Staatsbehörden<br />
von ihrer Verpflichtung zur Anstellung eines Nachtwächters<br />
befreien lassen, da dies im weit zerstreuten Siedlungsgebiet<br />
keinen Sinn mache (GA Oberndorf I Best.-Nr. 132). Während<br />
27<br />
3) Ankündigung<br />
Der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong> wird am 13. Oktober<br />
2007 in der restaurierten Villa Eugenia in Hechingen eine<br />
ganztägige Vortragsveranstaltung die Umwidmung herrschaftlicher<br />
Schlösser und Landhäuser in Hohenzollern anbieten.<br />
Das genaue Programm wird im nächsten Heft der HH<br />
bekannt gegeben.<br />
III. Hinweise auf weitere Veranstaltungen in Hohenzollern<br />
1) Ausstellung<br />
Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der Leipziger<br />
Straße, fotografiert von Julius Braatz<br />
Ausstellung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus<br />
und der politischen Parteien im Staatsarchiv Sigmaringen.<br />
Vom 20. Juni bis 26. Oktober 2007 im Staatsarchiv, Karlstraße<br />
1/3, Sigmaringen<br />
Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags jeweils von 9 bis 17 Uhr.<br />
Eintritt frei.<br />
2) Lesung<br />
Alles Theater? Von Schauspielerrivalitäten, vom Theater im<br />
Theaterensemble, von erfolglosen Autoren, einer entnervten<br />
Hofverwaltung und einem impertinenten Publikum -<br />
Geschichten um das Hoftheater Sigmaringen.<br />
Lesung mit Sibylle Brühl und Birgit Meyenberg am Sonntag,<br />
15- Juli, um 18 Uhr im Staatsarchiv, Karlstraße 1/3, Sigmaringen<br />
gez. Dr. Otto H. Becker<br />
Vorsitzender<br />
man den Anschluss an das Stromnetz bereits 1922 durch einen<br />
Vertrag mit dem Badenwerk bewerkstelligt (GA Oberndorf I Best.-<br />
Nr. 54), kann sich die Gemeinde zum Aufbau einer zentralen Wasserversorgung<br />
erst 1970, nach massivem Drängen des Gesundheitsamtes<br />
durchringen (GA Oberndorf II Best.-Nr. 100).<br />
Unterschiedliche Kirchen- und Schulzugehörigkeit<br />
Charakteristisch für Oberndorf ist die Zweiteüung der kirchlichen<br />
und schulischen Zugehörigkeiten. Während Breitenerlen, Heggelbach<br />
und Höllsteig nach Billafingen eingepfarrt und die Kinder aus<br />
diesen Weilern dort auch die Schule besuchen, sind die Oberndorfer<br />
und Waldsteiger kirchlich und schulisch von jeher nach<br />
Herdwangen ausgerichtet. In der Ausstellung dokumentieren<br />
Schulverbands-Satzungen von 1912 und 1913 diese in unterschiedliche<br />
Richtungen strebenden Zugehörigkeiten (GA Oberndorf<br />
I Best.-Nr. 132). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es in
Obemdorf Bestrebungen, eine eigene Schule zu gründen und ein<br />
Schulgebäude zu errichten. Das erforderliche Kapital will man<br />
über einen Stiftungsfonds ansparen (GA Oberndorf I Best.-Nr.<br />
134), der dann vermutlich der Inflation von 1923 zum Opfer fällt,<br />
so dass die Oberndorfer bis heute Kirche und Schule in Billafingen<br />
bzw. Herdwangen besuchen.<br />
Gut dokumentiert ist im Gemeindearchiv die Freiwillige Feuerwehr,<br />
der - abgesehen von der Kriegerkameradschaft und dem Spar- und<br />
Darlehenskassenverein - einzige Verein in Oberndorf. Hervorgegangen<br />
aus einem Spritzenverband der Gemeinden der ehemaligen<br />
Deutschordens-Herrschaft Hohenfels besteht in Oberndorf<br />
zunächst eine Pflichtfeuerwehr, der die Gemeinde 1888 eine eigene<br />
Saugfeuerlöschspritze beschafft (GA Oberndorf I Best.-Nr.<br />
87). 1935 kommt es dann zur Gründung der Freiwilligen Feuerwehr<br />
Oberndorf-Waldsteig, der alsbald 28 Wehrmänner und damit<br />
vermutlich nahezu alle männlichen Dorfbewohner im Erwachsenenalter<br />
beitreten (GA Oberndorf H Best.-Nr. 84). Dass die Verhältnisse<br />
in Oberndorf im Brandfall angesichts der fehlenden Zentralwasserversorgung<br />
noch lange schwierig, um nicht zu sagen riskant<br />
blieben, illustriert in der Ausstellung eine Stellungnahme von<br />
Bürgermeister Keller aus dem Jahr 1954 nach einem verunglückten<br />
Löscheinsatz (GA Oberndorf I Best.-Nr. 88).<br />
Votum für Gemeindeehe mit badischen Nachbarn<br />
Die Geschichte der selbstständigen Gemeinde Oberndorf und damit<br />
auch die Überlieferung des Kommunalarchivs endet mit der<br />
Gemeindereform von 1974, die in der Ausstellung mit der Niederschrift<br />
einer Bürgeranhörung sowie der von den drei Bürgermeistern<br />
Fecht, Siebler und Herrmann abgeschlossenen Vereinbarung<br />
über den Zusammenschluss von Herdwangen, Großschönach und<br />
Oberndorf zur neuen Gemeinde Herdwangen-Schönach vertreten<br />
ist (GA Oberndorf II Best.-Nr. 2). Während sich auch in der Nachbarschaft<br />
die Bürger nicht weniger Gemeinden dem Verlust der<br />
kommunalen Eigenständigkeit widersetzen, sprechen sich die<br />
Oberndorfer am 9. Dezember 1973 mit 41 zu 29 Stimmen für einen<br />
Zusammenschluss mit den badischen Nachbarn aus (GA<br />
Oberndorf II Best.-Nr. 31).<br />
Das Oberndorfer Gemeindearchiv dokumentiert die Geschichte einer<br />
kleinen hohenzollerischen Landgemeinde über nahezu zwei<br />
Jahrhunderte hinweg. Im Unterschied zur Überlieferung in den<br />
Staats- und Kirchenarchiven und auch dem Kreisarchiv finden sich<br />
hier geschichtliche Zeugnisse, die von den Ortsbewohnern selbst<br />
gestaltet worden sind und in denen sich das dörfliche Leben gewissermaßen<br />
aus der Innenansicht widerspiegelt. Trotz aller<br />
Lücken und Verluste bildet der Archivbestand mit seinen nahezu<br />
500 Akten, Bänden und Karten die Entwicklung von Oberndorf und<br />
seiner Bevölkerung in einer höchst vielschichtigen Weise ab. Diese<br />
geschichtlichen Dokumente gehören nicht weniger zum erhaltenswerten<br />
Erbe der Vergangenheit wie die Kapellen von Heggelbach<br />
und Oberndorf oder manches denkmalwürdige Bauernhaus. Es<br />
verdient Anerkennung, dass sich die Gemeinde Herdwangen-<br />
Schönach ihrer gesetzlichen Verantwortung gestellt und die Sicherung<br />
und Erschließung des Oberndorfer Gemeindearchivs mit Kosten<br />
von immerhin knapp 3500 € finanziert hat. Ordnung, Verzeichnung,<br />
archivgerechte Verpackung und zuletzt die Redaktion<br />
des Findbuchs haben von 1997 bis 2003 unter der fachlichen Aufsicht<br />
des Kreisarchivars der Werkstudent Manfred Waßner und der<br />
Archivpfleger Dr. Armin Heim besorgt. Seinen Standort hat der Archivbestand,<br />
nach seiner Rückgabe durch das Kreisarchiv an die<br />
Gemeinde Herdwangen-Schönach, im Archivraum des Herdwan-<br />
28<br />
ger Rathauses gefunden. Für die Bearbeiter und den Kreisarchivar<br />
wäre es der schönste Lohn ihrer Arbeit, wenn das neu geordnete<br />
und nutzbare Archiv das Interesse der Oberndorfer für ihre eigene<br />
Geschichte anregen und als kostbares Erbe der Vergangenheit eine<br />
bleibende Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfahren würde.<br />
Geringfügig überarbeitete Fassung eines Vortrags zur Eröffnung<br />
einer Ausstellung mit „Schätzen" aus dem Gemeindearchiv<br />
Oberndorf am 18. Dezember2004 im Bürgersaal Herdwangen.<br />
Quellen und Literatur:<br />
Gemeindearchiv Oberndorf<br />
Manfred Waßner u. Armin Heim (Bearb.): Das Gemeindearchiv<br />
Oberndorf. Findbuch. 1821 - 1981. Kreisarchiv Sigmaringen<br />
1998/2003 (masch.-schr. vervielfältigt).<br />
Archivpflege in den Gemeinden K-01934-1971 (StASHo 337Nr. 13).<br />
Kreiskultur- und Archivamt Sigmaringen, Dienstregistratur, Az.<br />
044.30/Herdwangen-Schönach.<br />
Hof- und Adress-Handbuch des Fürstenthums Hohenzollern-Sigmaringen<br />
nebst einer Uebersicht des Organismus der Verwaltung<br />
und der geographischen Verhältnisse des Landes. Stuttgart und Sigmaringen<br />
1844.<br />
Adreßbuch für Stadt und Kreis Sigmaringen. Sigmaringen 1939.<br />
Einwohnerbuch für Stadt und Kreis Sigmaringen. Sigmaringen<br />
1950.<br />
K. Th. Zingeler: Statistisches Hof-, Hand- und Adreßbuch für die<br />
hohenzollernschen Lande. Sigmaringen 21881.<br />
Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen<br />
und Gemeinden. Bd. VII Regierungsbezirk Tübingen. Hg. v. d.<br />
Landesarchivdirektion Baden-Württemberg. Stuttgart 1978.<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
300 Jahre Ortsgeschichte auf 36,5 Metern<br />
Das Gemeindearchiv Krauchenwies und<br />
seine Schätze<br />
Entwurf für die neue Fahne der Freiwilligen Feuerwehr Krauchenwies,<br />
gefertigt von Edmund Lutz 1911 (GA Krauchenwies IBet. -Nr. 312)
Die Gemeinde Krauchenwies konnte am 4. und 5. Juni 2005 eine -<br />
im tatsächlichen Sinne des Wortes - „historische" Leistung feiern:<br />
Zum ersten Mal in ihrer urkundlich belegten Geschichte von immerhin<br />
800 Jahren besitzen Krauchenwies und seine Bürger eine<br />
„geordnete" und „gesicherte" Vergangenheit. Diese „Ordnung"<br />
und „Sicherung" ist in genau 2464 Akten, Bänden, Karten und Plänen<br />
erfolgt, die mit einem Umfang von immerhin 36,5 laufenden<br />
Metern das Kommunalarchiv der Ortschaft ausmachen. Nach langen<br />
Jahren der Verwahrlosung und schmerzlicher Verluste wurden<br />
die im Gemeindearchiv enthaltenen einmaligen Zeugnisse der dörflichen<br />
Vergangenheit im Auftrag und mit beträchtlichem Kostenaufwand<br />
der Gemeinde jetzt erstmals durch Mitarbeiter und Hilfskräfte<br />
des Sigmaringer Kreisarchivs geordnet, konservatorisch<br />
sachgemäß verpackt und in einem dickleibigen Findbuch von über<br />
500 Seiten verzeichnet - als Grundlage für eine verstärkte Beschäftigung<br />
mit der Krauchenwieser Geschichte in der Zukunft<br />
durch die Ortsbevölkerung, durch <strong>Heimat</strong>forscher und Wissenschaftler.<br />
Ausgewählte „Schätze" aus dem kommunalen Archivbestand<br />
wurden bei einer Ausstellung am 4. und 5. Juni 2005 in der<br />
Gemeindehalle „Waldhorn" in Krauchenwies der zahlreichen Öffentlichkeit<br />
vorgestellt.<br />
Dokumente aus der dörflichen Innenschau<br />
Im Unterschied zur vorrangig obrigkeitlich bestimmten Außenschau<br />
der Überlieferung in den Staats- und Adelsarchiven enthalten<br />
die Unterlagen in den Kommunalarchiven die Innensicht der<br />
dörflichen Geschichte. Während in den von fremden Schreibern<br />
und Herren verfassten obrigkeitlichen Quellen die Bauern, Taglöhner,<br />
Handwerker und Gewerbetreibenden des „Dritten Standes" in<br />
allererster Linie als Abgaben- und Steuerzahler, als zu reglementierende<br />
und zu verwaltende Untertanen oder auch als zu maßregelnde<br />
Übeltäter in Erscheinung treten, finden sich in den von<br />
schreibkundigen Leuten aus den eigenen Reihen geführten kommunalen<br />
Schriftzeugnissen die Dorfbewohner als „Subjekte" der<br />
Geschichte, die ihre innerörtlichen Angelegenheiten vielfach<br />
höchst selbstbewusst und streitbar selbst bestimmen und gestalten.<br />
Erwachsen sind die „Schätze" des Kommunalarchivs auch im Fall<br />
von Krauchenwies aus der „normalen" und alltäglichen Verwaltungstätigkeit<br />
des örtlichen Bürgermeisteramtes und seiner Vorgängerdienststellen.<br />
Über ihren ursprünglichen verwaltungsbezogenen<br />
Daseinszweck hinaus erfahren die älteren Akten, Rechnungen,<br />
Amtsbücher, Karten und Pläne mit wachsender Patina gewissermaßen<br />
eine Metamorphose zu aussagekräftigen und wertvollen<br />
Zeugnissen zur Geschichte des Ortes und seiner Bevölkerung<br />
durch die Jahrhunderte.<br />
Wie bei so vielen kleineren Gemeinden zumal im ländlichen Raum,<br />
wo die Kommunalverwaltung lange Zeit eine Feierabendangelegenheit<br />
ortsansässiger Bauern und Gewerbetreibender war, ließ auch<br />
in Krauchenwies die Fürsorge für die Zeugnisse der eigenen Geschichte<br />
häufig arg zu wünschen übrig. Zwar lässt sich im Unterschied<br />
zu den meisten kleineren Nachbarorten in Krauchenwies<br />
bereits im 18. Jahrhundert ein „Gemeindshaus" nachweisen (GA<br />
Krauchenwies III Best.-Nr. 1098) und besitzt das kommunale Verwaltungsschriftgut<br />
im 19- Jahrhundert im eigenen Rathaus (GA<br />
Krauchenwies III Best.-Nrn. 790 sogar ein festes Domizil. Damit<br />
nicht genug: Die Anfänge eines geordneten Registraturwesens können<br />
anhand der Archivunterlagen bis in die 1830er Jahre zuriickverfolgt<br />
werden: Schultheiß Stökle legt im April 1837 ein „Inventarium<br />
über die Gemeinde-Acten von Krauchenwies" an, das die in<br />
der „Gemeindslade" verwahrten aktuellen und historischen<br />
29<br />
Rechts- und Verwaltungsdokumente minutiös auflistet und durchnummeriert<br />
(GA Krauchenwies I Best.-Nr. 275). Der Verweis auf<br />
die „Gemeindslade" offenbart, dass auch in Krauchenwies zu dieser<br />
Zeit die Gemeindeunterlagen noch in einem mobilen Behältnis<br />
aufbewahrt wurden, wie dies bis weit in das 19- Jahrhundert hinein<br />
in den oberschwäbischen und hohenzollerischen Landgemeinden<br />
verbreitet üblich bleibt. Einige Jahre darauf werden auf der<br />
Grundlage des Registraturplans für die Justiz- und Verwaltungsbehörden<br />
im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen vom 3- Mai<br />
1843 dann auch in Krauchenwies die Gemeindedokumente nach<br />
dem vorgegebenen alphabetischen Rubrikensystem geordnet und<br />
abermals in einem Inventar der Gemeinderegistratur sorgfältig erfasst<br />
(GA Krauchenwies I Best.-Nr. 275).<br />
Die solchermaßen vor mehr als 150 Jahren angelegten Registraturlisten<br />
lassen das Herz jedes Geschichtsfreunds und Archivars<br />
spürbar höher schlagen: Neben Sigmaringer Regierungsverordnungen<br />
aus der ersten Hälfte des 19- Jahrhunderts sowie den obligatorisch<br />
von den hohenzollerischen Gemeinden zu abonnierenden<br />
Amtsblättern (zunächst seit 1809 das Wochenblatt und sodann<br />
seit 1835 das Verordnungs- und Anzeigeblatt) und Gesetzessammlungen<br />
führen die Verzeichnisse ortsgeschichtliche Zeugnisse bis<br />
zurück in das 15. Jahrhundert auf. Eine nahezu durchlaufende Serie<br />
von Gemeinderechnungen ab 1773/74 befindet sich ebenso<br />
darunter wie Urbare von 1680 und 1760, drei Steuerbücher von<br />
1741, Herrschaftsverträge über die Eidsteuer von 1604 und die<br />
dörflichen Fronverpflichtungen von 1618, diverse Grenz- und<br />
Triebbeschriebe mit den Nachbarorten aus dem 17. und 18. Jahrhundert,<br />
eine Grenzbereinigung mit Hausen von 1517 und gar ein<br />
Weidbrief mit Ablach von 1444.<br />
Ungeachtet dieser hoffnungsvollen Anfänge gerät die kommunale<br />
Schriftgutverwaltung in Krauchenwies alsbald wieder in Unordnung<br />
und erleiden zumal die älteren, für die laufenden Verwaltungsgeschäfte<br />
nicht mehr benötigten archivalischen Dokumente<br />
ein bitteres Geschick. Ein Großteil der im Inventar von 1837 aufgehsteten<br />
„Schätze" aus der dörflichen Geschichte geht in der<br />
Folge durch Vernachlässigung, ungünstige Lagerbedingungen,<br />
Platzmangel und zumal die noch zu schildernden Einbußen beim<br />
Kriegsende 1945 verloren und war bei der jetzt erfolgten Ordnung<br />
und Erschließung des Krauchenwieser Kommunalarchivs nicht<br />
mehr auffindbar.<br />
Ordnung und Inventarisierung des Gemeindearchivs 1939<br />
Ende der 1930er Jahre unternimmt die auf Initiative des damaligen<br />
Sigmaringer Staatsarchivleiters Dr. Franz Herberhold geschaffene<br />
Archivberatungsstelle des Landeskommunalverbandes der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Lande eine breit angelegte Aktion zur Sicherung und<br />
Erschließung des allenthalben von Vernachlässigung und Verlust<br />
bedrohten kommunalen Archivgutes in Hohenzollern. Im Zusammenhang<br />
dieser auch vom Sigmaringer Landratsamt unterstützten<br />
archivpflegerischen Intervention in den Kommunen richtet auch<br />
der Krauchenwieser Bürgermeister offenbar 1939 erstmals einen<br />
Archivraum in seinem Rathaus ein und wird im Sommer desselben<br />
Jahres von zwei preußischen Archivreferendaren, die innerhalb<br />
weniger Wochen eine Vielzahl hohenzollerischer Kommunalarchive<br />
besuchen, auch die hiesige Archivüberlieferung geordnet<br />
und in einem Inventar kursorisch erfasst. Das Verzeichnis listet mit<br />
Kopftitel und Laufzeit insgesamt 384 archivwürdige Gemeindearchivalien<br />
auf, unter denen sich immerhin noch ein beträchtlicher<br />
Teil der 1837 inventarisierten Dokumente entdecken lässt (GA<br />
Krauchenwies II Best.-Nr. 61).
Auch auf diese lobenswerte Initiative folgt der Rückschlag postwendend:<br />
Der neu eingerichtete Archivraum, in dem 1939 die zuvor<br />
auf dem Rathausspeicher und in einem alten Nachbargebäude<br />
ungeordnet verteilten Archivalien zusammengeführt worden waren,<br />
zeigt sich den Sigmaringer Archivpflegern bereits zwei Jahre<br />
später mit „Gerümpel angefüllt". Die von den Archivreferendaren<br />
verzeichneten Archivalien sind bei einem Kontrollbesuch der Archivberatungsstelle<br />
im November 1942 großenteils noch immer<br />
unverpackt, und das der Gemeinde einige Monate zuvor übersandte<br />
Inventar ist mittlerweüe nicht mehr auffindbar. Der archivische<br />
Super-GAU folgt dann bei Kriegsende 1945 und zu Beginn der<br />
französischen Besatzungszeit, als, angeblich durch französische<br />
Soldaten und Kinder der Besatzungstruppen, das 1939 geordnete<br />
Archiv in ein totales Chaos gerät und zahlreiche wertvolle Zeugnisse<br />
zur Krauchenwieser Ortsgeschichte verloren gehen (GA<br />
Krauchenwies II Best.-Nr. 6l).<br />
Dr. Franz Herberhold, der Leiter des Sigmaringer Staatsarchivs und<br />
zugleich der Archivberatungsstelle, stößt bei seinem Besuch im<br />
Krauchenwieser Rathaus im März 1946 mit unübersehbarer Bestürzung<br />
auf eine „totale Unordnung" im gemeindlichen Archivraum<br />
und die Zerstörung der 1939 hergestellten Gliederung. Bei<br />
einer weiteren Archiv-Visitation 1956 wird festgehalten, dass zwar<br />
die älteren Amtsbücher und Rechnungen aus der Zeit vor 1800<br />
großenteils erhalten gebheben, der Aktenbestand jedoch um rund<br />
ein Drittel geschrumpft sei. Während einige der damals vermissten<br />
Archivalien, darunter auch zahlreiche Bauakten aus der zweiten<br />
Hälfte des 19- Jahrhunderts, bei der jetzt durch das Kreisarchiv<br />
vorgenommenen Ordnung und Erschließung doch wieder auftauchen,<br />
bleiben zahlreiche ortsgeschichtlich unersetzliche Quellen,<br />
darunter auch die ältesten Gemeinderechnungen, mehrere Grenzund<br />
Weidverträge mit den Nachbarorten aus der Frühen Neuzeit<br />
und etliche Flurkarten aus dem 19. Jahrhundert, dauerhaft verschwunden.<br />
Gemeinsam mit dem Bürgermeister fasst die Archivberatungsstelle<br />
1956 und abermals 1959 Maßnahmen zur Verbesserung der Krauchenwieser<br />
Archivsituation ins Auge: So soll der in einem unbeleuchteten<br />
Speicherraum ungeordnet verwahrte Archivbestand in<br />
einen Registraturraum im Rathaus-Obergeschoss umgelagert und<br />
von dem aus Krauchenwies stammenden Archivbeamten Adolf<br />
Guhl auf der Grundlage des Inventars von 1939 neu geordnet und<br />
durch archivwürdige Unterlagen aus der Altregistratur ergänzt<br />
werden. Ungeachtet des Kompliments der Sigmaringer Archivpfleger<br />
für den Krauchenwieser Bürgermeister, der „volles Verständnis<br />
für die notwendige bessere Unterbringung und Ordnung des Gemeindearchivs<br />
zeigte", geschieht tatsächlich in der Folge gar<br />
nichts, und verbleiben die Krauchenwieser Archiv-„Schätze" noch<br />
weitere vier Jahrzehnte in Verwahrlosung und Unordnung.<br />
Ein Zentralarchiv für die Gesamtgemeinde<br />
Bürgermeister Heinz Schöllhammer war es Mitte der 1990er Jahre<br />
ein unverkennbares Anliegen, zum Abschluss seiner über 30jährigen<br />
Amtszeit das lange vernachlässigte Kommunalarchiv in seiner<br />
durch die Kreisreform auf sechs Teilorte angewachsenen Gesamtgemeinde<br />
in geordnete Verhältnisse zu bringen. Er ließ sich bei<br />
Rundreisen durch die verschiedenen, durchweg desolaten Archivstandorte<br />
seiner Gemeinde vom Sigmaringer Kreisarchivar davon<br />
überzeugen, dass nur die Schaffung eines konservatorischen Mindestanforderungen<br />
genügenden Zentralarchivs für die Gesamtgemeinde<br />
die Archivmisere dauerhaft beheben könne. Nachdem zeitweise<br />
auch das „Waldhorn" als Archiv-Quartier ins Auge gefasst<br />
30<br />
worden war, wurde 1997 schließlich die leer stehende Werkswohnung<br />
im Ersten Obergeschoss des kommunalen E-Werks als Krauchenwieser<br />
Zentralarchiv ausgewählt und bis zur Jahresmitte 1998<br />
nach den konservatorischen Empfehlungen des Kreisarchivs umgestaltet<br />
und mit Standregalen eines örtlichen Herstellers ausgestattet.<br />
Bei insgesamt fünf Räumen konnte für die Archive der vier<br />
größeren Teilorte jeweils ein eigener Lagerort zur Verfügung gestellt<br />
werden, während sich die nur wenig umfänglichen Bestände<br />
von Bittelschieß und Ettisweiler ein Zimmer teilen müssen. Mittlerweile<br />
wurden die Archive sämtlicher Krauchenwieser Ortsteile<br />
in das neue Zentralarchiv umgesiedelt.<br />
j- V<br />
Aufriss fiirein neues Wohnhaus mit Erker des Gerbereibesitzers<br />
Ambros Weber in der Sigmaringer Straße in Krauchenwies 1898<br />
(GA Krauchenwies IBest. -Nr. 313)<br />
Nachdem solchermaßen konservatorisch akzeptable Lagerungsbedingungen<br />
für die Archivüberlieferung der Gesamtgemeinde hergestellt<br />
waren, konnte 1998 mit der Ordnung und Erschließung<br />
des Kommunalarchivs des Hauptorts Krauchenwies begonnen werden.<br />
Mit der Umlagerung des ungeordnet auf mehrere Rathausspeicher-Räume<br />
verteilten Archivguts in das Kreisarchiv war 1999<br />
eine umfangreiche Aktenaussonderung verbunden, bei der rund<br />
50 laufende Meter nicht archivwürdiger Unterlagen, vor allem jüngere<br />
Rechnungsbeüagen, ausgeschieden wurden. In mehreren<br />
Etappen, die von den personellen Kapazitäten des Kreisarchivs und<br />
den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde bestimmt waren,<br />
wurde sodann von 1998 bis 2005 die gesamte archivwürdige Kommunalüberlieferung<br />
von Krauchenwies erstmals fachlich geordnet,<br />
archivtauglich verpackt und verzeichnet. Die Ordnungs- und Erschließungsarbeiten<br />
wurden unter der Aufsicht des Kreisarchivars<br />
von der Werkstudentin Sybille Glatz, der Zeitkraft Irmgard Christel<br />
sowie Archivpfleger Dr. Armin Heim ausgeführt. Mehrere pilzkon-
taminierte Archivalien mussten einem Fachrestaurator zur Sterilisierung<br />
übergeben werden, ein besonderes Schmuckstück im Bestand,<br />
ein - auch in der Ausstellung zu sehender - großformatiger<br />
Plan zur Abiachkorrektion von 1882 (GA Krauchenwies V Best.-Nr.<br />
16), wurde restauratorisch instand gesetzt. Die Gemeinde Krauchenwies<br />
stellte, verteilt über mehrere Haushaltsjahre, für diese Sicherung<br />
und Erschließung ihrer archivalischen „Schätze" mehr als<br />
20.000 € zur Verfügung. Mit der Fertigstellung eines 547 Seiten<br />
starken Findbuchs konnte die Maßnahme im Frühjahr 2005 abgeschlossen<br />
werden.<br />
Breitere Verwaltungsüberlieferung ab 1800<br />
Welcher Art sind denn nun aber die „Schätze", die in den drei Aktenbeständen<br />
sowie den Abteilungen Amtsbücher und Rechnungen<br />
sowie Karten und Pläne des Gemeindearchivs Krauchenwies zu finden<br />
sind? Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind es Unterlagen<br />
aus den vergangenen drei Jahrhunderten; noch älter sind lediglich<br />
ein Vertrag zur Nutzung des Weithart-Genossenschaftswaldes<br />
von 1593 (GA Krauchenwies I Best.-Nr. 309) sowie - allerdings<br />
lediglich in später gefertigten Abschriften vorhegende - Extrakte<br />
aus Innsbrucker Lehensregistern zur Verleihung des österreichischen<br />
Lehens in Krauchenwies von 1361 bis 1609 (GA Krauchenwies<br />
I Best.-Nr. 193) • Während aus der Zeit vor 1800 lediglich<br />
einzelne Rechtsdokumente wie Nachbarschaftsverträge, ein Steuerbuch<br />
oder ein Urbar vorhegen, gewinnt die Überlieferung in der<br />
ersten Hälfte des 19- Jahrhunderts mit der zunehmenden Verschriftlichung<br />
und obrigkeitlichen Reglementierung auch der<br />
Kommunalverwaltungen eine wachsende Breite, die alle Bereiche<br />
der gemeindlichen Aufgabenerfüllung abdeckt. Besondere Fundgruben<br />
sind die ab 1782/83 erhaltenen Gemeinderechnungen, die<br />
in ihrem ältesten, in der Ausstellung gezeigten Exemplar u.a. die<br />
Existenz eines „Gemeindshauses", einer Feuerspritze, eines Schulmeisters<br />
und nicht zuletzt auch eines neu beschafften Hebammenstuhls<br />
als Elemente der damaligen dörflichen Infrastruktur bezeugen<br />
(GA Krauchenwies III Best.-Nr. 1098). Besondere Schmuckstücke<br />
bilden die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vorhegenden<br />
Bauakten mit zumeist farbigen Grund- und Aufrissen, die die bescheidene<br />
bauliche Entwicklung des damaligen Bauern- und<br />
Handwerkerdorfes Krauchenwies bis zum Ersten Weltkrieg dokumentieren.<br />
Neben zahlreichen Bauern- und Taglöhnerhäusern finden<br />
sich darunter auch manche der repräsentativen Bürgerbauten,<br />
die neben dem fürstlichen Gebäudebestand zum zeitweiligen Ruf<br />
von Krauchenwies als „Klein-Paris" beigetragen haben (GA Krauchenwies<br />
I Best.-Nrn. 313 - 315).<br />
Beim Vergleich mit dem Inventar von 1939 werden indessen die<br />
schmerzlichen und unersetzlichen Einbußen deuthch, die das<br />
Krauchenwieser Archiv zumal durch die Verluste der Kriegs- und<br />
Besatzungszeit erlitten hat. Abgesehen von den Dokumenten zur<br />
Feudallastenablösung und diversen Rechtsstreitigkeiten etwa zur<br />
bürgerlichen Holznutzung in den fürstlichen Wäldern (GA Krauchenwies<br />
I Best.-Nrn. 6, 276) oder zur Ablösung der Kirchenbaulast<br />
(GA Krauchenwies I Best.-Nr. 151) finden sich im Archivbestand<br />
kaum Unterlagen zum prominentesten Bewohner des Ortes,<br />
dem in Schloss und Landhaus als Neben- und Sommersitz residierenden<br />
Fürsten von Sigmaringen nebst umfangreicher Hofhaltung.<br />
Kaum dokumentiert ist gleichfalls der Bahnanschluss mit der Errichtung<br />
des repräsentativen Bahnhofs Anfang der 1870er Jahre,<br />
der für die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes neue Horizonte<br />
eröffnete. Ausgesprochen lückenhaft erscheint die Überlieferung<br />
besonders zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das in den ver-<br />
31<br />
schiedenen Aufgabenfeldern der Gemeindeverwaltung nur recht<br />
spärlich dokumentiert ist. Auch hier ist ein Zusammenhang mit<br />
den Aktenverlusten beim Kriegsende 1945 zu vermuten. Es ist mithin<br />
ein „Restbestand" der ursprünglich umfangreicheren kommunalen<br />
Verwaltungsüberlieferung, der über die verschiedenen Einbußen<br />
hinweg Eingang in das jetzt bestehende Gemeindearchiv gefunden<br />
hat.<br />
Ausstellung zeigt inhaltliche und ästhetische Besonderheiten<br />
Für die Ausstellung wurden aus dem Gesamtbestand des Gemeindearchivs<br />
inhaltlich oder ästhetisch besonders sehenswerte und attraktive<br />
„Schätze" ausgewählt und mit knappen Beschrieben präsentiert.<br />
Vorgestellt wurde mithin eine Auslese von Besonderheiten<br />
aus einem sehr viel breiteren und auf den ersten Bhck wenig spektakulären<br />
Spektrum von Verwaltungsschriftgut. Besondere Erwähnung<br />
verdienen neben den farbigen Bauplänen die Unterlagen aus<br />
einer reichhaltigen Dokumentation zur Geschichte der örtlichen<br />
Feuerwehr (GA Krauchenwies I Best.-Nrn. 312, 326, III Best.-Nrn.<br />
1102), Zeugnisse zur Ablösung der Feudallasten in der Mitte des<br />
19. Jahrhunderts (GA Krauchenwies I Best.-Nrn. 57,304, III Best.-<br />
Nrn. 1043), zur dörflichen Gemeindeverwaltung mit ihrem Spektrum<br />
vom Bürgermeister über die Hebamme bis zum Maulwurffänger<br />
(dem „Mauser"). Die wirtschaftliche Entwicklung ist vertreten<br />
durch die Marktordnung von 1809 und Unterlagen zur Ansiedlung<br />
der Firma Tegometall 1966 (GA Krauchenwies I Best.-Nr.<br />
85, IV Best.-Nr. 287) als einer entscheidenden Etappe im Wandlungsprozess<br />
von Krauchenwies zum Gewerbestandort in den<br />
zurückliegenden Jahrzehnten. Interessante Dokumente finden sich<br />
im Gemeindearchiv zum Einzug der Moderne mit dem Aufbau einer<br />
zentralen Wasserversorgung bis 1915, zur Errichtung eines<br />
kommunalen Elektrizitätswerks zusammen mit Ablach bis 1922<br />
und nicht zuletzt zur Regulierung des stark mäandrierenden Ablachflusses<br />
in den 1880er Jahren (GA Krauchenwies I Best.-Nrn.<br />
273, 316, II Best.-Nrn. 344, 586, 641, III Best.-Nr. 1071, V Best.-<br />
Nr. 16).<br />
Nicht ausgeblendet werden dürfen bei einer Archivalien-Schau die<br />
auch im Krauchenwieser Bestand umfangreich vertretenen Dokumente<br />
zum Dritten Reich, zum Zweiten Weltkrieg und zur französischen<br />
Besatzungszeit. Die Nutzung des alten Schlosses zunächst als<br />
Landjahrlager und sodann als Lager für den weibhchen Reichsarbeitsdienst<br />
ist dabei ebenso dokumentiert wie der Einsatz ausländischer<br />
Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter in den Kriegsjahren<br />
auf den Bauernhöfen und in den Gewerbetrieben des Ortes, weiter<br />
der Zustrom von Evakuierten und sodann von Vertriebenen und<br />
nicht zuletzt die auch in den Krauchenwieser Archivalien erkennbare<br />
verbrecherische Herrschaft des Nationalsozialismus mit ihren<br />
schrecklichen Repressionen gegen Gegner und Missliebige (GA<br />
Krauchenwies II Best.-Nrn. 332, 372, 467, 530, 534, 619, 663,<br />
664, 668, III Best.-Nr. 445). Stellvertretend für die im Gemeindearchiv<br />
dokumentierten örtlichen Vereine wurden in die Ausstellung<br />
Unterlagen zum Krauchenwieser Fußballclub aufgenommen (GA<br />
Krauchenwies II Best.-Nr. 423, 424, 492).<br />
Die Archivausstellung sollte einen Einblick gewähren in die Fülle<br />
des im Gemeindearchiv enthaltenen Quellenmaterials zur Geschichte<br />
von Krauchenwies in den zurückliegenden drei Jahrhunderten<br />
- und damit zugleich auch offenbaren, dass die in die Sicherung,<br />
Ordnung und Erschließung der archivalischen „Schätze"<br />
investierten Geldmittel der Gemeinde und Arbeitsstunden der Mitarbeiter<br />
des Kreisarchivs gut angelegt sind. Es sind einmalige Zeugnisse<br />
der Vergangenheit dieses Ortes und seiner Bewohner und da-
mit wichtige Bausteine zur besonderen Identität und zum eigenen<br />
Profil dieser Gemeinde. Die besondere Achtsamkeit und Fürsorge<br />
gegenüber diesen jetzt gesicherten und für die heimatkundliche<br />
wie wissenschaftliche Forschung zugänglichen Schätzen ihrer eigenen<br />
Geschichte legte der Kreisarchivar den Verantwortlichen der<br />
Gemeinde, aber auch allen Bürgern von Krauchenwies ausdrücklich<br />
ans Herz.<br />
Geringßigig überarbeitete Fassung eines Vortrags zur Eröffnung<br />
einer Ausstellung mit „Schätzen" aus dem Gemeindearchiv<br />
Krauchenwies am 4. Juni 2005 in der Gemeindehalle<br />
„Waldhorn" in Krauchenwies.<br />
JÜRGEN SCHEFF<br />
Aus der Not geboren: Bohnerzabbau<br />
auf der Zollemalb bei Salmendingen<br />
im 18. und 19. Jahrhundert.<br />
1 Einleitung<br />
Die Förderung eisenhaltiger Bohnerze aus Karsthohlformen der<br />
Schwäbischen Alb durch die einheimische Bevölkerung im 18. und<br />
19- Jahrhundert stellt ein bisher kaum bearbeitetes Kapitel Wirtschafts-<br />
und Sozialgeschichte dar. Obwohl seit langem als wichtige<br />
ehemalige Zuverdienstquelle von Bauern und Tagelöhnern erkannt,<br />
fehlt bislang eine umfassende Aufarbeitung der zum Teil<br />
bergmännisch betriebenen Bohnerzförderung auf der Alb. Mit Ausnahme<br />
der Arbeiten von ZILLENBILLER (1975), der schwerpunktmäßig<br />
das Fördergebiet um Veringenstadt behandelt, und MAIER<br />
(1958) ist das Phänomen des Erzsuchens, soweit mir bekannt, in<br />
seiner gesamten sozialen Bedeutung ganzheitlich nie bearbeitet<br />
worden. Zwar ist das Phänomen des Bohnerzgrabens dank der vielerorts<br />
zu findenden Abbaugruben in der Bevölkerung noch gegenwärtig,<br />
doch sind schriftlich fixierte Zeitzeugenberichte über<br />
das Vorgehen und die Probleme der Erzgräber bei ihrer nicht ungefährlichen<br />
Tätigkeit nur selten und meist in Zusammenhang mit<br />
Unfällen vorhanden. Der Bohnerzabbau um Salmendingen bildet<br />
hier eine Ausnahme! Es ist das Verdienst zweier <strong>Heimat</strong>forscher,<br />
unabhängig voneinander Fakten über den lokalen Bohnerzabbau<br />
gesammelt zu haben, welche sich gegenseitig ergänzen: Pfarrer<br />
Friedrich Eisele in seiner im Jahr 1899 niedergeschriebenen<br />
Pfarrchronik von Salmendingen sowie Lehrer Josef Bieger, der<br />
1935 die Erinnerungen der 84-jährigen Tochter des letzten Erzmeisters<br />
von Salmendingen, Johann Georg Schmid, schriftlich festhielt.<br />
Mit Hilfe dieser beiden Quellen soll versucht werden, einige<br />
bislang kaum beachtete Aspekte des Bohnerzabbaus auf der Zollemalb<br />
bei Salmendingen zu beleuchten.<br />
2 Anfänge der der Bohnerznutzung auf der Alb<br />
Die Kunst, aus Erzen metallisches Eisen zu gewinnen, hat ihren Ursprung<br />
in Vorderen Orient sowie in Ägypten. Im 2. vorchristlichen<br />
Jahrtausend, vereinzelt bereits im 3. Jahrtausend, sind dort eiserne<br />
Waffen und Schmuckstücke belegt, doch überwiegt noch die Bronzenutzung.<br />
Ab dem 12. Jahrhundert v. Chr. wird im Vorderen Orient<br />
sowie in Griechenland das Eisen das gewöhnliche Metall für<br />
Gebrauchsgegenstände. Nördlich der Alpen treten vereinzelte Eisengegenstände<br />
erstmals im 10. bis 8. Jahrhundert v. Chr. im Fun-<br />
32<br />
Quellen und Literatur:<br />
Gemeindearchiv (GA) Krauchenwies<br />
Sybille Glatz, Irmgard Christel und Armin Heim (Bearb.): Das Gemeindearchiv<br />
Krauchenwies. Findbuch. (1453) - 1593, 1701 -<br />
1991. Kreisarchiv Sigmaringen 2005 (masch.-schr. vervielfältigt)<br />
Landratsamt Sigmaringen, Stabsbereich Kultur und Archiv, Dienstregistratur,<br />
Az. 044.30 Kommunale Archivpflege: Krauchenwies<br />
Archivpflege in den Gemeinden K - 0,1934 - 1971 (Staatsarchiv<br />
Sigmaringen Ho 337 Nr. 13)<br />
Entsendung der Archivreferendare Dr. Schwebel und Dr. Nissen<br />
nach Hohenzollern, um Gemeindearchive zu ordnen, 1939,1942<br />
(Staatsarchiv Sigmaringen Ho 337 Nr. 18)<br />
dinventar von Gräbern der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur<br />
auf, wohl Importartikel aus Süd- und Südosteuropa. Während der<br />
frühkeltischen Hallstattzeit (8. - 5. Jh. v. Chr.) lässt sich einheimisches<br />
metallverarbeitendes Gewerbe nachweisen. Die ältesten ergrabenen<br />
Verhüttungsplätze in Baden-Württemberg datieren in die<br />
2. Hälfte des 5- Jahrhunderts und somit bereits in die spätkeltische<br />
Latenezeit. Auf der Uracher Alb, nahe des Landesgestüts St. Johann,<br />
konnten in den Jahren 1995/96 nach intensiver geomagnetischer<br />
Prospektion einer vor Schlacken übersäten Ackerfläche mehrere<br />
kleine Rennöfen ergraben werden.<br />
Während für die Zeit der römischen Okkupation im 1. bis 3- nachchristlichen<br />
Jahrhundert bislang Hinweise auf einheimische Erzverhüttung<br />
gänzlich fehlen, setzt nach der alamannischen Landnahme<br />
ab dem 5. Jahrhundert im Umfeld der Schwäbischen Alb<br />
eine intensive Nutzung sowohl der Braunjuraerze als auch der<br />
Bohnerze der Albhochfläche ein, die bis in die Neuzeit Bestand haben<br />
sollte (KEMPA 1996). Für Salmendingen ist der Betrieb von<br />
Rennöfen urkundlich erstmals für das Jahr 1525 gesichert (KRAUS<br />
1978: 26). Im Salmendinger Heiligenrodel werden "Bläwinen",<br />
also Blauöfen in der Nähe von Monk und Kornbühl erwähnt. Ab<br />
dem 16./17. Jahrhundert wurden die kleinen, in der Nähe der lokalen<br />
Lagerstätten errichteten Rennöfen von echten Hochöfen verdrängt,<br />
welche unter herrschaftlicher Obhut von Fachkräften geführt<br />
wurden. Von Salmendingen aus durften auf Grund landesherrlicher<br />
Verträge im Allgemeinen nur das fürstlich fürstenbergische<br />
Hammerwerk Thiergarten im Donautal (gegründet 1671) als<br />
auch die hohenzollerischen Hüttenwerke Laucherthal nahe Sigmaringen<br />
(gegründet 1708) beliefert werden. Vereinzelt durfte gegen<br />
Entrichtung eines Zolls auch an einen Zwischenhändler im württembergischen<br />
Ofterdingen geliefert werden; der Verhüttungsplatz<br />
war dann Friedrichsthal bei Freudenstadt.<br />
Mit dem Beginn der Mechanisierung und Industrialisierung gegen<br />
Ende des 18. Jahrhunderts bzw. in der ersten Hälfte desl9- Jahrhunderts<br />
stieg die Nachfrage nach dem Werkstoff Eisen weltweit rasant<br />
an. Technische Neuerungen wie Dampfmaschinen, mechanische<br />
Webstühle, Rundwirkstühle, aber auch die aufkommende Rüstungsindustrie<br />
waren ohne dieses Metall nicht denkbar. Als die Eisenbahn<br />
nach der Jungfernfahrt der legendären Dampflok "Adler"<br />
im Jahr 1835 zwischen Nürnberg und Fürth ihren kometenhaften<br />
Aufstieg auch in Deutschland nahm, war der Eisenbedarf für Schienen<br />
und anderes Zubehör kaum mehr zu decken, so dass systematisch<br />
nach sämtlichen nutzbaren Erzvorkommen gesucht wurde.<br />
Noch 1776 betrug die Roheisenproduktion der Welt etwa 0,2 Mio<br />
Tonnen, 1865 waren es etwa 10 Mio Tonnen, was in gerade 90 Jahren<br />
eine Steigerang um das 50-fache bedeutet (LINDER 1981: 331).
3 Der Bohnerzabbau in Salmendingen im 18. und 19. Jahrhundert<br />
Die mir zugängliche Quellenlage hierzu ist leider unzureichend, da<br />
bislang kaum erforscht. Im Staatsarchiv Sigmaringen lagern Akten<br />
der Hüttenwerke Thiergarten bzw. Laucherthal, welche zumindestens<br />
auszugsweise von ZILLENBILLER (1975) und MAIER (1958)<br />
ausgewertet wurden, aber sicherlich noch zahlreiche interessante<br />
Details bieten könnten.<br />
Die Bohnerzförderung im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert<br />
war in Salmendingen - wie auch andernorts - ein Nebenerwerb der<br />
Landbevölkerung, vorwiegend außerhalb der Zeit der Feldbestellung<br />
und der Ernte, also in den Wintermonaten. Geschürft wurde<br />
in kleinen Gruben, meist auf Allmandteilen und Stockwäldern. Die<br />
anschließend nicht sorgfältig wieder zugeworfenen Löcher im Boden<br />
und andere Missstände wie Verschmutzung der Fischgewässer<br />
beim Erzwaschen führten offensichtlich häufig zu Ärger mit den zuständigen<br />
Behörden. In einer Verordnung für das Fürstentum Sigmaringen<br />
über das Erzgraben, Waschen und Abführen vom 12.<br />
September 1811 erlässt die Hochfürstliche <strong>Hohenzollerische</strong> Regierung:<br />
"In der Erwägung, daß das Erzgraben seit wenigen Jahren unmäßig<br />
über Hand genommen hat, daß die vielen, ohne Ordnung<br />
eröffneten Erzgruben nicht gehörig ausgearbeitet, die<br />
Öschfelder und Waldungen zwecklos zerstöhret und endlich die<br />
in dem Lande gelegenen Eisenwerke einem fühlbaren Mangel<br />
an Erz für die Zukunft ausgesetzt werden, haben Se. Hochfürstliche<br />
Durchlaucht zu Abwendung dieses unersetzlichen Schadens<br />
und zur Einfuhrung einer ordnungsmäßigen Benutzung<br />
der in der Erde gelegenen Vorräte zu verordnen geruhet:<br />
1) Alles Privatgraben, ohne Ausnahme und Unterschied, auf eigenen,<br />
oder Gemeindsgütern soll für die Zukunft gänzlich aufgehoben<br />
seyn. Nur diejenigen Gruben, die von einzelnen Unternehmern<br />
bereits geöffnet wurden, dürfen von ihnen noch<br />
gänzlich ausgegraben, hingegen aber keine neue Gruben angefangen<br />
werden.<br />
2) In allen Orten, wo Erz gegraben wird, sollen nach den Verhältnissen<br />
der Bevölkerung bestimmte Meisterschaften durch<br />
die Ämter aufgestellt und in Pflichten genommen werden.<br />
3) Nur wirklich steuerpflichtige Bürger sind zu dem Meisterrecht<br />
zugelassen. Bloße Hintersassen aber, oder ledige Leute<br />
hiervon auszuschließen.<br />
4) Zu dem Erzgraben sollen vornehmlich Ausfelder, leerstehende<br />
Plätze in den Waldungen undAllmanden, oder anders unbenützte<br />
Gründe ausgewählt werden. Jedoch sollen die Erzmeister nach<br />
den Umständen und den Erfordernissen der Bergwerke berechtigt<br />
seyn, auch auf bewachsenen Waldflächen, oder auf angebauten<br />
Feldern Erz zu graben, in welchem Fall aber die Anzeige bei dem<br />
betreffenden Amte vorher zu machen ist.<br />
5) Die Erzmeister sind schuldig, bei dem Graben vornehmlich<br />
die bedürfigeren Einwohner aus der Bürgerschaft als Gehülfen<br />
für ihre Arbeit anzustellen, es wäre denn, daß sich diese weigernwollten,<br />
um einen billigen Lohn, worüber das amtliche Erkenntnis<br />
vorbehalten wird, in die Arbeit einzustehen....<br />
7) Keine Grube, ehe selbe gänzlich ausgebaut ist, darf bei Verlust<br />
des Meisterrechts verlassen werden. Von Seiten der Bergverwaltung,<br />
an welche das Erz geliefert wird, soll hierüber<br />
fleißiges Nachsehen gehalten werden.<br />
8) Von keiner Meisterschaft darf mehr als eine Grube zu gleicher<br />
Zeit bearbeitet werden. Währen hingegen, wie zuweilen<br />
auf der Alp geschehen kann, die Gruben sehr klein und unbe-<br />
33<br />
deutend, so dürfen 3 Gruben nebeneinander gebauet werden.<br />
9) Den Fuhrleuten aus derjenigen Gemeinde, inner deren Bahn<br />
gegraben wird, kommt die Befugnis zu, in das Fuhrwesen einzustehen<br />
und solches auswärtigen Fuhrleuten zu ziehen. Würden<br />
sie jedoch in den, von den auswärtigen Fuhrleuten angebogenen<br />
Accordpreis nicht eintreten wollen, so steht den Erzmeistern<br />
unbenommen, andere Fuhrleute aus diesseitigen Ortschaften<br />
beizuziehen.<br />
10) Das Einwaschen des Erzes in derLauchert wird überall, wo<br />
das Bett dieses Flusses noch seicht ist, gänzlich verbothen. Nur<br />
von Hitzkofen abwärts, wo der Fluß sich mehr vertiefet, kann<br />
selbes gestattet werden, Alk bereits in der Lauchert bestehenden<br />
Erzwaschen sind daher bei Verlust der Bewilligung dahin<br />
einzurichten, daß der Grund nicht in das Wasser gebracht, sondern<br />
sonst weggeschafft werde...." (MAIER 1958:134f).<br />
Zunächst scheint das Geschäft mit den Bohnerz floriert zu haben,<br />
spätestens mit dem expandierenden Eisenbahnnetz explodierte die<br />
Nachfrage nach Roheisen geradezu. Doch früh erkannte der weitsichtige<br />
Wirtschaftsökonom Ferdinand Steinbeis (1807-1893), damals<br />
als Oberhüttenverwalter in fürstlich fürstenbergischen Diensten<br />
auch für das Hammerwerk Thiergarten zuständig und später<br />
ob seiner Verdienste im Königreich Württemberg geadelt, anlässlich<br />
der Etatberatung für das Geschäftsjahr 1841/42 die daraus erwachsenden<br />
Risiken: "... weil der Eisenwerksbetrieb durch die<br />
Entstehung der Eisenbahnen in eine andere Richtung gewiesen<br />
wird, als sie bisher gangbar war. Es wird in wenigen Jahren so<br />
weit sein, daß die Eisenbahnen mit niedrigsten Frachten das in<br />
England und am Rhein mit Steinkohlen weit billiger als hier<br />
mit Holzkohlen hergestellte Eisen auch nach den süddeutschen<br />
Absatzgebieten schaffen, ganz abgesehen davon, daß künftighin<br />
durch die kommenden Erleichterungen im Transportwesen<br />
viel vorteilhaftere Auswertungsmöglichkeiten gegeben sind, als<br />
sie mit der urwäldlichen Verkohlung in den fürstlichen Werken<br />
in Frage kommen" (SIEBERTZ 1952: 94).<br />
Um die Skepsis von Ferdinand Steinbeis besser verstehen zu können,<br />
muss die wirtschaftliche Effektivität eines Bohnerzhüttenwerks<br />
des 19- Jahrhunderts betrachtet werden. Die vergleichsweise<br />
hochwertigen Bohnerze der Schwäbischen Alb weisen im<br />
Mittel einen Eisengehalt von 28 - 44 % auf, die von Salmendingen<br />
und Veringenstadt teilweise von über 50 %. Sie entstanden als kreidezeitliche<br />
Verwitterungsprodukte der Weißjuraschichten unter<br />
tropischen Klimabedingungen (BORGER 1990). Als grober Richtwert<br />
der bereits ausgereiften Hochofentechnik dieser Zeit wird angegeben:<br />
31 Bohnerz + 11 Holzkohle = 11 Roheisen.<br />
Um eine Tonne geeigneter Holzkohle zu produzieren, mussten ca.<br />
5 Tonnen Buchenholz geschlagen und von Köhlern mehrere Tage<br />
lang arbeitsintensiv aufbereitet werden. Da die Holzvorräte in der<br />
näheren Umgebung der Hochöfen rasch erschöpft waren, wurden<br />
diese aus weit entfernten Waldungen durch Fuhrleute herbeigeschafft,<br />
da weder die Donau noch ihre Nebenflüsse eine Flößerei<br />
wie im Schwarzwald ermöglichten. Vom Hammer Thiergarten ist<br />
bekannt, dass er in großen Mengen Holzkohle aus Ringingen bezog.<br />
In den Jahren 1735-37 wurden dort für das Werk 1571 Bergklafter<br />
Holz verkohlt, das Klafter zu 50 Kreuzer, was einen Gesamtpreis<br />
von 1309 Gulden und 10 Kreuzer ausmachte (KRAUS 1977:<br />
29 0-<br />
Steinbeis behielt Recht. Ende der 40-er Jahre des 19. Jahrhunderts<br />
war der Konkurrenzkampf mit den Steinkohle-Eisenhütten des<br />
Ruhrgebietes voll entbrannt. Die einheimische Verhüttung der Erze<br />
mit Hilfe von Holzkohle, eines nur sehr arbeits- und deshalb ko-
stenintensiv herzustellenden Energieträgers, war ohne die heute<br />
übliche Subventionspraktiken preishch auf Dauer nicht konkurrenzfähig.<br />
Die Randlage Salmendingens im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
(gleiches gilt für die ebenfalls erzfördernden<br />
Nachbargemeinden Melchingen und Ringingen) - umgeben von<br />
"ausländischen" Territorien mit damals schlechtnachbarlichen<br />
Beziehungen - sowie die große Entfernung zu den Hüttenwerken in<br />
Thiergarten und Laucherthal führten dazu, dass der Erzabbau in<br />
den turbulenten Revolutionsjahren 1848/49 weitgehend zum Erliegen<br />
kam.<br />
Nach der Übernahme der beiden hohenzollerischen Fürstentümer<br />
durch das Königreich Preußen wurde das hiesige Bergbauwesen<br />
durch den Berggeschwornen Adolf Achenbach reformiert und neu<br />
organisiert. Im Auftrag der preußischen Regierung untersuchte er<br />
1852/53 sämtliche Bohnerzlagerstätten in Hohenzollern und erarbeitete<br />
Vorschläge für die Verbesserung der Erzgewinnung. Salmendingen<br />
und seine Nachbarorte scheint hiervon zunächst nicht<br />
profitiert zu haben, offenbar wegen der großen Entfernung zu den<br />
Verhüttungsorten Thiergarten und Laucherthal. Der überdurchschnittliche<br />
Erzreichtum dieser Gegend war wohl bekannt, ebenso<br />
seine volkswirtschaftliche Bedeutung für die hohenzollerische Bevölkerung.<br />
Im Jahr 1857 mahnte Achenbach die Preußische Regierung:<br />
"Die Bohnerzgräberei und die Zugutemachung der<br />
Bohnerze auf den beiden inländischen Hütten zu Laucherthal<br />
und Thiergarten beschäftigen nahezu 1000 der an 66000<br />
zählenden Gesamtbevölkerung. Ohne diese Beschäftigung würden<br />
die durch Kartoffelkrankheit, Mißernten, Hagelschäden etc.<br />
in den letzten Jahren besonders hart betroffenen, weniger begüterten<br />
Einwohner in der traurigsten Lage sich befinden. Es<br />
bedarf daher keines weiteren Beweises, daß die Erhaltung und<br />
Hebung der Eisenindustrie eine der wichtigsten Aufgaben der<br />
Regierung ist." (MAIER 1958:9). Nicht von ungefähr spielte man<br />
offenbar im Jahr 1857 mit dem Gedanken, in Burladingen mit seinen<br />
starken Quellen eine weitere Eisenschmelze zu erstellen, die<br />
dann aber doch nicht mehr realisiert wurde.<br />
4 Johann Georg Schmid, letzter Erzmeister von Sahnendingen<br />
Dass der Bohnerzabbau in Salmendingen kurz vor 1860 noch einmal<br />
in Gang kam und eine neue Blütezeit erlebte, war der Beharrlichkeit<br />
und Geschäftstüchtigkeit eines Salmendinger Bürgers zu<br />
verdanken: Johann Georg Schmid, dem letzten Erzmeister dieser<br />
Gemeinde. Dank des guten Erinnerungsvermögens seiner Tochter,<br />
welche im gesegneten Alter von 84 Jahren ihr Wissen darüber Lehrer<br />
Josef Bieger anvertraute, sind wir über die letzte Phase des<br />
Bohnerzabbaus von Salmendingen gut informiert (BIEGER 1935).<br />
Johann Georg Schmid hatte sich vor seiner Heirat durch den Bau<br />
eines neuen Hauses verschuldet und benötigte eine Zuverdienstmöglichkeit.<br />
In den Waldgebieten von Köbele und Burghalden<br />
suchte er auf seinen Allmandteilen nach einer neuen Erzader, da<br />
die früheren schon längere Jahre still lagen und verfallen waren -<br />
und er wurde nach langen vergeblichen Schürfungen fündig. Überaus<br />
detailliert schildert seine Tochter die harte und gefährhche Arbeit<br />
der Erzgräber, garniert mit persönlichen Annekdoten: "Noch<br />
am Abend begab ersieh nach Ringingen, wo früher auch Erz gegraben<br />
wurde, und wo die Gruben auch still lagen. Zwei Männer,<br />
die Erfahrung im Erzgraben hatten, kamen am andern Tag<br />
und waren der Ansicht, daß hier eine sehr ergiebige Ader angeschnitten<br />
war und erklärten sich auch sofort bereit, mitzutun.<br />
Und nun ging es los. Ich war damals 10 fahre alt. Am Mittag<br />
mußte ich mit anderen Kindern den Arbeitern, es waren 10 -<br />
15, das Essen bringen. Die Grube war ziemlich tief. Vier lange<br />
34<br />
Leitern führten hinunter. Unten wurde ein breiter Gang nach<br />
Norden getrieben. Zwar durfte ich nie hinunter, Frauen und<br />
Kindern war es verboten, hineinzusteigen, aber jeden Morgen<br />
nahm mein Vater Erdöl mit, um das Licht zu unterhalten. Die<br />
Arbeit war immerhin geßhrlich. Ich kann mich noch gut erinnern,<br />
wie die Männer jedesmal bevor sie hinunter stiegen, sich<br />
um das Loch herumstellten und laut ein Vaterunser beteten und<br />
wenn sie abends herauf kamen, beteten sie wieder bevor sie<br />
nach Hause gingen. Wenn der Vater einmal eine Viertelstunde<br />
später als sonst heim kam, waren wir in Angst und Sorgen.<br />
Zwar ist ein schweres Unglück nie vorgekommen, aber verschüttet<br />
wurden doch zweimal Arbeiter. Mit einigen Quetschungen<br />
kamen sie davon." Dass es beim Bohnerzabbau auch<br />
zu tödlichen Unfällen kam, ist aus dem nahen Erpfingen belegt. Am<br />
6. Dezember 1849 wurde der dreißig Jahre alte Erzgräber Johannes<br />
Höneß in einem Untertagebau am Roßberg verschüttet. Zwar<br />
konnte er von seinen Mitarbeitern unter großer Mühe geborgen<br />
werden, doch erlag er seinen Verletzungen wenig später. Seine Gattin<br />
verwand den Verlust nicht und folgte ihm bereits vier Wochen<br />
später ins Grab. Nahe der Grube erinnert ein (leider unbeschrifteter)<br />
Gedenkstein an diesen Unglücksfall (ROMMEL 1948).<br />
Mit dem Graben des Erzes allein war es nicht getan. Die Tochter<br />
von Johann Georg Schmid berichtet weiter: "An einem langen<br />
Seil, das über eine Rolle lief, und an dem zwei Bottiche hingen,<br />
wurde das Erz, das mit Lehm vermischt war, heraufgezogen, auf<br />
den Wagen geladen und an das Bächlein gefahren, das vor dem<br />
Ort an dem Weg nach Ringingen floß. Dort wurde es abgeladen<br />
und gewaschen. Heute noch heißt der Weg dorthin Erzweg<br />
und das Gebiet, wo das Erz gewaschen wurde, die E r z w ä s c h e.<br />
Wenn dann das Erz gewaschen dalag und die Sonnne drauf<br />
schien, dann sah es wunderschön aus. War genügend Erz vorhanden,<br />
dann wurde es nach Laucherthal oder Thiergarten gefahren.<br />
Fünf Fuhrwerke fuhren miteinander. Wenn es bergauf<br />
ging, mußten die Fuhrleute einander Vorspann leisten. Einmal<br />
durfte ich auch mit. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern<br />
gewesen. In Laiz haben wir eingekehrt und ich sehe heute noch<br />
die dicke Wirtin vor mir, die mir einen ganzen Teller voll<br />
Zuckerbrezeln brachte, es waren die ersten, die ich zu essen bekam<br />
und ich habe wacker zugegriffen. Wenn dann alles wieder<br />
daheim war, dann füllte sich abends unsere Stube mit Arbeitern<br />
und Fuhrleuten. Jetzt wurde das so schwer verdiente Geld verteilt.<br />
Der Verdienst war den damaligen Verhältnissen entsprechend<br />
gut. Einmal haben die Männer die Kronentaler und Gulden<br />
in einen neuen Stiefel meines Vaters geschüttet und der<br />
Stiefel wurde fast voll. Niemals habe ich erlebt, daß sich die<br />
Männer um ihren Verdienst gestritten haben. Nach einigen fahren<br />
hat mein Vater für sein Erz keinen Abnehmer mehr gefunden.<br />
Warum, das weiß ich nicht." (BIEGER 1935).<br />
Nach diesen Schilderungen darf man Johann Georg Schmid als<br />
Großunternehmer in Sachen Bohnerzförderung und -vertrieb ansprechen.<br />
Der Zeitzeugenbericht seiner Tochter wird durch die<br />
Eintragungen in der Salmendinger Pfarrchronik bestätigt. Im offensichtlichen<br />
Spitzenjahr der Förderung 1861 lieferte Schmid<br />
annähernd 1000 Tonnen Erz nach Thiergarten, das bessere Preise<br />
zahlte als Laucherthal. Er machte einen Umsatz von etwa 60000<br />
Gulden, die Gemeindekasse konnte durch Steuereinnahmen, sogenanntes<br />
Kübelgeld, um 600-700 Gulden aufgebessert werden.<br />
Auch 1863/64, das Hammerwerk Thiergarten hatte seinen Betrieb<br />
bereits eingestellt, lieferte Schmid immerhin noch 280 Tonnen Erz<br />
nach Laucherthal und machte einen Umsatz von 17000 Gulden.
5 Das Ende des Bohnerzabbaus<br />
Die von Ferdinand Steinbeis bereits 1841/42 vorausgesagte Krise<br />
der Bohnerzverhüttung wurde rasch zur Gewissheit. Schon 1863<br />
schloss der Hammer Thiergarten wegen Unrentabilität seine Pforten.<br />
Auch die Hüttenwerke in Laucherthal steckten bereits 1865 in<br />
einer tiefen Krise. Der Absatz des hier produzierten Eisens stockte.<br />
Die Hüttenverwaltung informierte die erzfördernden Gemeinden in<br />
Hohenzollern: "Durch die ungünstigen Conjunkturen, welche<br />
die Hüttenwerke zu bestehen haben, worunter namentlich die<br />
gedrückten Preise zu nennen sind, war es der Verwaltung nicht<br />
möglich, den Hochofen zu betreiben, so daß ein großer Vorrat<br />
von Erz vorhanden ist. Wir ersuchen deshalb das Bürgermeisteramt,<br />
dort bei Gelegenheit zum Wissen der Erzgräber zu<br />
bringen, daß sie vorerst mit der Erzgräberei sich nicht beschäftigen<br />
wollen, indessen sind wir bereit, nähere Auskunft auf<br />
mündliche Anfragen zu ertheilen." (DESCHLER 1969: 63).<br />
Im Jahr 1868 stellte auch der württembergische Hochofen zu Friedrichstal<br />
bei Freudenstadt seine Produktion ein, welcher über Zwischenhändler<br />
in Ofterdingen von den hohenzollerischen Erzgrä-<br />
Schriftenverzeichnis<br />
ACHENBACH, A. (1859): Ueber Bohnerze auf dem südwestlichen<br />
Plateau der Alp. - Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde<br />
in Württemberg, 15:103-125; Stuttgart.<br />
BIEGER, J. (1935): Wie früher in Salmendingen Erz gegraben<br />
wurde. Nach den Erinnerungen der ältesten Frau von Salmendingen.<br />
- <strong>Hohenzollerische</strong> Blätter: 22. März 1935.<br />
BORGER, H. (1990): Bohnerze und Quarzsande als Indikatoren<br />
paläogeographischer Verwitterungsprozesse und der Altreliefgenese<br />
östlich von Albstadt (Schwäbische Alb). - Kölner geographische<br />
Arbeiten, 52; Köln.<br />
bern beliefert wurde. Um 1870 war auch Hohenzollern an das<br />
flächendeckende Eisenbahnnetz in Deutschland angeschlossen;<br />
ein schnellerer und somit kostensparender Rohstofftransport, vor<br />
allem von Steinkohle aus entfernteren Gebieten Deutschlands war<br />
nun möglich. Der siegreiche 1870-er-Krieg gegen Frankreich läutete<br />
das endgültige Ende der Bohnerzgräberei ein. Die Nutzung der<br />
riesigen Eisenerzvorkommen im annektierten Lothringen führten<br />
zu einem drastischen Verfall der Marktpreise für Eisen, die Kosten<br />
für den rar gewordenen Rohstoff Holz stiegen hingegen. Die Bohnerzverhüttung<br />
war somit, trotz weiterhin vorhandener Ressourcen,<br />
nicht mehr kostendeckend. Wann genau die Bohnerzförderung in<br />
Salmendingen und seinen Nachbarorten zum Erliegen kam, konnte<br />
bisher nicht ermittelt werden. Noch im Dezember 1871 erlangte<br />
der Ringinger Bürger Jordan Dieter die Befugnis, auf dem "Burren"<br />
nach Sand oder Erz zu suchen (KRAUS 1977: 29). Im Winter<br />
1878/79 wurde der Hochofen in Laucherthal letztmals angefahren.<br />
Sein Erlöschen bedeutete das endgültige Aus für den Bohnerzabbau<br />
in Hohenzollern.<br />
Ehemalige Bohnerzabbaugruben im Salmendinger Wald mit Erläuterungen zum Bohnerzabbau. Foto Eugen Hönes, Salmendingen<br />
35<br />
DESCHLER, J. (1969): Über die Bohnerzgewinnung in der Gemeinde<br />
Bingen. - <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>, 19 (4): 61-63; Sigmaringen.<br />
EISELE, F. (1899): Pfarrchronik Salmendingen (unveröffentlicht).<br />
Pfarrarchiv Salmendingen.<br />
GASSMANN, G. (1997): Neue Forschungen zur keltischen Eisenproduktion<br />
in Süddeutschland. - Archäologische Ausgrabungen in<br />
Baden-Württemberg 1996: 94-100; Stuttgart.<br />
HÜBNER, C. (1997): Zur keltischen Eisenproduktion in Südwestdeutschland:<br />
geophysikalische und geologische Prospektion. - Archäologische<br />
Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1996: 100-<br />
104; Stuttgart.
KEMPA, M. (1996): Das eiserne Zeitalter. Frühe Eisenverhüttung<br />
im Vorland der Schwäbischen Alb. - Begleitheft zur Ausstellung in<br />
Grafenberg (Historische Kelter, 27.04. - 08.07.96) und in Konstanz<br />
(Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, 21.07. -<br />
03.11.96); Grafenberg.<br />
KRAUS, J. A. (1977): Zur Bohnerzgewinnung auf der Alb. - <strong>Hohenzollerische</strong><br />
<strong>Heimat</strong>, 27 (2): 29-30; Sigmaringen.<br />
KRAUS, J. A. (1978): Uralte Erzgewinnung. - <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>,<br />
28 (2): 26-27; Sigmaringen.<br />
LINDER, R. (1981): Eisen von der Alb. - <strong>Heimat</strong>kundliche Blätter<br />
Balingen, 28 (11): 330-331. Bahngen.<br />
MAIER, J. (1958): Geschichte des Fürstlich <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Hüttenwerkes Laucherthal. - <strong>Hohenzollerische</strong> Jahreshefte, 18: 1-<br />
OTTO H. BECKER<br />
Beobachtungen zur Fidelisverehrung<br />
in der Nachkriegszeit<br />
Die Verehrung des Heiligen Fidelis weist in seiner Vaterstadt eminent<br />
emotionale Züge auf. So rühmen sich viele Angehörige der alt<br />
eingesessenen Familien, mit dem Stadtpatron verwandt zu sein.<br />
Das von dem glühenden Fidelisverehrer und Kapuzinerpater Ferdinand<br />
della Scala getextete und von dem Feldkircher Domorganisten<br />
Wunibald Briem vertonte Fidelislied „Nun lasst ein Lied erklingen..."<br />
pflegt bei vielen Sigmaringern geradezu Schauder auszulösen.<br />
Nicht wenige sind noch als gestandene Männer stolz, dass<br />
sie als Knaben einmal die Fideliswiege bei der Prozession am 24.<br />
April mittragen durften. Viele Katholiken in unserer Stadt bekunden<br />
mit großer Freude, nach dem Empfang des Taufsakramentes<br />
in die Wiege des Heiligen Fidelis gelegt worden zu sein. Unserer<br />
weitgehend säkularisierten Gegenwart zum Trotz hat das Fidelisfest<br />
im Jahresablauf in Sigmaringen seinen außerordentlichen Platz behaupten<br />
können.<br />
Für die Sigmaringer i^t der Bekenner Fidelis vor allem aber Stadtpatron.<br />
So wähnte sich die Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg unter<br />
dem besonderen Schutz des Heiligen Fidelis. Wie wir aus dem<br />
Tagebuch von Maximilian Schaitel entnehmen können, soll Stadtpfarrer<br />
Norbert Beuter in seiner kurzen Ansprache am 24. April<br />
1945 in Sankt Johann gesagt haben: „Sankt Fidelis hat seine <strong>Heimat</strong>stadt<br />
vor schwerem Leid bewahrt. Danket ihm!" Der Geistliche<br />
spielte dabei auf das so genannte „Fideliswunder" an. Danach<br />
sollte Sigmaringen im April 1945 durch einen Bombenangriff zerstört<br />
werden; dieses Vorhaben sei dann aber in letzter Minute<br />
durch das Walten des Heiligen Fidelis vereitelt worden. Dieser geplante<br />
Angriff auf die Stadt wird übrigens durch Zeugnisse von<br />
deutscher, aber auch von französischer Seite gestützt. Bezeugt ist<br />
ferner, dass in der Pfarrkirche Sankt Johann vor dem drohenden<br />
Bombardement die Sturmnovene abgehalten wurde.<br />
Das besondere Verhältnis der Sigmaringer zu ihrem Stadtheiligen<br />
erfuhr in der Nachkriegszeit eine üble Kolportage. So ist in der<br />
Schwäbischen Zeitung Sigmaringen vom 11. August 1949 folgender<br />
Bericht enthalten: „Ein Sturm der Entrüstung wurde unter den<br />
Katholiken der Kreisstadt durch eine Meldung der in Augsburg erscheinenden<br />
Tagespost ausgelöst, wonach Father Reichenberg, ein<br />
amerikanischer Geistlicher, in Ottobeuren vor mehr als 30 000<br />
Flüchtlingen die Sigmaringer Katholiken angeklagt habe, Andachten<br />
zum heiligen Fidels zu veranstalten, damit er das Land vor dem<br />
Zuzug von Flüchtlingen rette. Der Rundfunk übernahm diese Meldung<br />
und behauptete, daß man in Sigmaringen sogar Messen in<br />
diesem Sinne lesen würde..."<br />
36<br />
143; Gammertingen.<br />
ROMMEL, K. (1948): Erzgräber auf der Alb.- Reutlinger <strong>Heimat</strong>buch,<br />
5. erw. Aufl.: 265-268; Reutlingen.<br />
SIEBERTZ, P. (1952): Ferdinand von Steinbeis. Ein Wegbereiter<br />
der Wirtschaft. Stuttgart.<br />
STAUSS, L. (1951): Die Bohnerzgewinnung in Inneringen. - Hohenzollereische<br />
<strong>Heimat</strong>, 1: 24; Sigmaringen.<br />
WEIGER, K. (1908): Beiträge zur Kenntnis der Spaltenausfüllungen<br />
im weißen Jura auf der Tübinger, Uracher und Kirchheimer Alb. -<br />
Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg,<br />
64:187-248; Stuttgart.<br />
ZILLENBILLER, E. (1975): Bohnerzgewinnung auf der Schwäbischen<br />
Alb. Gammertingen<br />
Der Artikel wurde gekürzt in dem in Hechingen erscheinenden<br />
„Schwäbischen Tagblatt" vom 13. August 1949 abgedruckt. In der<br />
Augsburger Tagespost vom 2. August 1949 heißt es hierzu: "Wenn<br />
man, sagt F. Reichenberg wörtlich 'Andachten zum hl. Fidehs von<br />
Sigmaringen veranstaltet, daß er das Land vor dem Zuzug von<br />
Flüchtlingen verschonen solle, dann ist dies die Bankotterklärung<br />
des Christentums'".<br />
Der Ankunft der Flüchtlinge sah man in Sigmaringen wie übrigens<br />
auch anderswo mit großer Sorge entgegen. Dass die Sigmaringer<br />
zu deren Abwehr den Märtyrer Fidehs bemüht haben sollten, ist<br />
nicht belegt. In der Schwäbischen Zeitung vom 11. August 1949<br />
heißt es denn auch: „Gegen diese groben und gehässigen Verleumdungen<br />
hat Stadtpfarrer Maier sofort bei den zuständigen Stellen<br />
Beschwerde erhoben und verlangt, daß Father Reichenberg<br />
sich darüber ausspricht, was ihm Anlaß zu dieser unwahren Behauptung<br />
geben hat. Tatsächlich ist in den Sigmaringer Kirchen<br />
niemals zum heiligen Fidehs um ein solches Anliegen gebetet worden.<br />
Ein einziger derartiger Fall würde bestimmt bei der großen<br />
Zahl der Flüchtlinge und der Kirche nicht wohlgesinnter Kreise der<br />
Öffentlichkeit in Sigmaringen.. .und im ganzen Lande nicht verborgen<br />
gebheben sein..."- Obgleich diese Vorwürfe jeglicher Grundlage<br />
entbehrten, macht die Episode in Ottobeuren doch deutlich,<br />
was Zeitgenossen den Sigmaringern in Bezug auf ihren Stadtpatron<br />
zu unterstellen in der Lage waren.<br />
FRIEDRICH R. WOLLMERSHÄUSER<br />
Auswanderer aus Hermannsdorf<br />
im Jahr 1816<br />
In einer Aufstellung der für die Höfe in Hermannsdorf zu Martini<br />
1816 schuldigen Abgaben heißt es bei folgenden Bauern, sie seien<br />
nach Rußland ausgewandert: Friedrich Nagel (l'A Hof), Christian<br />
Nagel, Matheus Kiebel, Michael Wießmann, Jakob Kiedaisch (je 1<br />
Hof), Franz Schuler (l'A Hof), Johann Mauthe (1 Hof), Johann<br />
Georg Kümmerle der Vogt, Andreas Schäufele, Friedrich Baur, Johann<br />
Rein, Johann Stiefel, Melchior Stierles Witwe und Adam Vesters<br />
Witwe (je 1/2 Hof).<br />
Folgende Bauern blieben am Ort: Jakob Klein, Kaspar Stiefel, Matheis<br />
Maiers Witwe (je 1 Hof), Alt Michael Schäufele, Jung Michael Schäufele,<br />
Jakob Gaiser, Michael Weiß, Friedrich Reichart, Heinrich<br />
Wernle, Bernhard Braun,Jakob Dietz und Johann Weiß (je 'A Hof).<br />
Die frei gewordenen Höfe wurden am 22. Juh 1816 von Wendelin<br />
Mauz aus Burladingen gepachtet.<br />
(Ouelle:Staatsarchiv Sigmaringen Dep. 39 DH 14 T. 1 Band 11,<br />
Renteirechnung Hechingen 1816/17, Seite 49).
ULRICH FELDHAHN<br />
Der „Columbus von Hohenzollern":<br />
Rudolf Graf von Stillfried-Alcäntara<br />
(1804-1882)<br />
Ausstellung zum 125. Todestag<br />
Rudolf von Stillfried war eine der vielseitigsten und schillerndsten<br />
Figuren am preußischen Hof im 19- Jahrhundert. Als Spross einer<br />
in Schlesien beheimateten Adelsfamilie zeigte er schon früh ein<br />
ausgeprägtes Interesse an Geschichte und Kunst. Die Bekanntschaft<br />
mit dem sich im benachbarten Hirschberger Tal verschiedene<br />
Sommersitze einrichtenden preußischen Königshaus bildete<br />
den Auftakt einer glänzenden Karriere, die u. a. das Amt des Oberzeremonienmeisters,<br />
die Leitung des königlichen Hausarchivs sowie<br />
zahlreiche Würden und Auszeichnungen umfassen sollte. Im<br />
Auftrag des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV.<br />
(1795-1861) erforschte Stillfried die ältere Geschichte der Hohenzollern<br />
und konnte die lückenlose Abstammung des .preußischen<br />
Herrscherhauses von den schwäbischen Grafen von Zollern<br />
nachweisen, weshalb ihn Alexander von Humboldt (1769-1859)<br />
humorvoll als „Columbus von Hohenzollern" bezeichnete.<br />
Portrait des Grafen Stillfried in der Bibliothek der Burg Hohenzollern<br />
Stillfrieds Erkenntnisse flössen auch unmittelbar in den 1850 bis<br />
1867 erfolgten Wiederaufbau der Burg Hohenzollern ein, den er<br />
maßgeblich mitgestaltete und unermüdlich vorantrieb. Seine Rolle<br />
als Berater und Vermittler erlangte bei der vorausgegangenen<br />
Übernahme der hohenzollerischen Fürstentümer durch Preußen<br />
auch politische Dimensionen. Erfolgreich appellierte er damals an<br />
das dynastische Selbstverständnis des preußischen Königs, indem<br />
er ihm nach den Unruhen von 1848/49 erfolgreich vermitteln<br />
konnte, dass ohne einen derartigen Schritt die etwaige Übernahme<br />
der Stammlande durch Württemberg drohe.<br />
Bereits 1835 war Stillfried erstmals nach Südwestdeutschland gereist,<br />
um sich von der seinerzeit noch ruinösen Stammburg ein<br />
Bild zu machen und die vor Ort befindlichen Quellen und Zeug-<br />
37<br />
nisse zu den Anfängen der Hohenzollern zu studieren. Die Ergebnisse<br />
seiner Forschungen begann er bereits wenig später in umfangreichen<br />
und aufwendig gestalteten Publikationen, wie den ab<br />
1838 erscheinenden „Alterthümerfn] und Kunstdenkmale[n] des<br />
Erlauchten Hauses Hohenzollern" zu veröffentlichen. Mit dem offiziell<br />
mit der Wiederherstellung der Burg betrauten Architekten<br />
Friedrich August Stüler (1800-1865) verband ihn ein respektvollkollegiales<br />
Verhältnis, wenngleich sich dessen an einer internationalen<br />
Neugotik orientierten Entwürfe nicht immer mit den betont<br />
dynastisch ausgerichteten Vorstellungen Stillfrieds deckten. Nach<br />
dem Tode Stülers übernahm Stillfried die Bauleitung und hielt<br />
schließlich bei der am 3- Oktober 1867 erfolgten Einweihung der<br />
Burg in Gegenwart König Wilhelms I. (1797-1888) eine enthusiastische<br />
Rede, die gewissermaßen die Krönung semer jahrzehntelangen<br />
Bestrebungen bildete.<br />
II •w -y-' t h<br />
iifr.. y p !<br />
Burg Hohenzollern, Federzeichnung des Grafen Stillfried in seinem Tagebuch<br />
von 1867 (Privatbesitz)<br />
Auch bei Angehörigen der süddeutschen Familienzweige genoss<br />
Stillfried Ansehen und Vertrauen. So begleitete er die 1858 mit König<br />
Pedro V. von Portugal (1837-1861) vermählte Prinzessin Stephanie<br />
von Hohenzollern-Sigmaringen (1837-1859) nach Lissabon<br />
und erhielt hierfür den Titel eines Granden von Portugal und<br />
Grafen von Alcäntara. Nachdem er infolge seines Mitwirkens an der<br />
1861 in Königsberg abgehaltenen Krönungsfeier Wilhelms I. auch<br />
in den preußischen Grafenstand erhoben war, nannte er sich<br />
fortan „Graf von Stillfried-Alcäntara".<br />
Die zu seinem 125. Todestag im eigens hierfür renovierten und<br />
erstmals öffentlich zugänglichen Torturm präsentierte Ausstellung<br />
zeichnet den steilen Aufstieg Stillfrieds nach und beleuchtet<br />
Aspekte seines umfangreichen Schaffens. An Hand von Gemälden,<br />
Grafiken, Fotografien, persönlichen Objekten und Publikationen,<br />
darunter bibliophile Kostbarkeiten wie die seltene „Fürstenausgabe"<br />
seines erfolgreichsten Werkes „Die Hohenzollern und das<br />
deutsche Vaterland", wird die einstige Bedeutung dieses ambitionierten<br />
Mannes vor Augen geführt.
Die Ausstellung auf der Burg Hohenzollern dauert von 11. August<br />
bis 28. Oktober 2007 und ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.<br />
Weitere Informationen:<br />
Verwaltung Burg Hohenzollern<br />
72379 Burg Hohenzollern<br />
Tel. +49-(0)7471-2428<br />
Fax: +49-(0)7471-6812<br />
verwaltung@burg-hohenzollern.com<br />
www.burg-hohenzollern.com<br />
JOSEF SCHNEIDER<br />
Als man in Gruol noch das Wasser hütete<br />
Die Wiesenbewässerung im Hausertal<br />
Auf der Gemarkung Gruol gibt es noch den alten Flurnamen „Wässergraben".<br />
Die junge Generation kann damit nicht viel anfangen,<br />
so wichtig die Bezeichnung gewesen sein mag. Gemeint ist damit<br />
ein alter, im Sommer trockener Wassergraben im Hausertal zwischen<br />
Gruol und Binsdorf, der in der Zeit des einstigen Wässerrechts<br />
wirtschaftliche Bedeutung hatte. Dieses Wässerrecht hat<br />
eine lange Vergangenheit. „Schon seit urdenklichen Zeiten", so<br />
heißt es in einer Verlautbarung im „<strong>Hohenzollerische</strong>n Wochenblatt<br />
1851, „benützen unsere Voreltern dieses Wasser zur Bewässerung,<br />
woher es auch kommt, dass der Ertrag der betreffenden<br />
Wiesen mit keinem anderen Dungmittel so hoch gesteigert werden<br />
kann als mit dem Wasser aus Erlaheim und Binsdorf."<br />
Denn bei hohen Niederschlägen nach Gewittern oder Schneeschmelzen<br />
pflegten die Gülle- und Abortgruben in diesen beiden<br />
Orten überzulaufen. Das von hohen Nährstoffen angereicherte<br />
Wasser des Hausertalbaches und den Nebenfluss Keinbach war den<br />
Landwirten, die in der Tallage Wiesengrundstücke besaßen, geradezu<br />
willkommen. Die Ertragssteigerung der Wiesen bheb bei diesem<br />
angereicherten Wasser nicht aus. In vielen Fällen war diese so<br />
hoch, dass Trocknung auf dem Boden kaum mehr möglich war<br />
und das Heu auf die Heinzen gebracht wurde, wo es dann mehrere<br />
Tage Zeit bis zu einem guten Heu brauchte.<br />
Nun war allerdings ein System erforderlich um das kostbare Wasser<br />
gleichmäßig auf die Grundstücksbesitzer zuzuleiten. Denn keiner<br />
wollte auf die „Wässere" verzichten und noch viel weniger auf<br />
das Wasser, das ihm aufgrund des Rechts zustand. Über die beiden<br />
Wasserführungen, dem Hausertalbach und dem Wässergraben,<br />
wurde das Wasser erfasst, über anschließende Gräben zu den Wiesen<br />
geleitet.<br />
Im Hausertalbach waren von altersher massive Fallen eingebaut,<br />
die bei Hochwasser mit einem Holzverschlag versehen wurden,<br />
um das Wasser in die Wiesen zu leiten. Kein Tropfen durfte daneben<br />
gehen; die Falle wurde noch mit Rasen abgestopft. Im Frühjahr<br />
wurden zumeist die oft zugeschwemmten kleinen Gräben von<br />
Hand oder mit einem Pflug wieder freigelegt. Man geht zum „Wässere"<br />
hieß es früher, wenn das Wasser vom kleinen Heuberg ins<br />
Hausertal floss und manchmal auch den Landwirten übel mitspielte,<br />
wenn es neben dem Wässern das Heu wegschwemmten.<br />
Das Wässern wurde je nach Niederschlägen mehrmals im Jahr<br />
durchgeführt. Die Zeitdauer über die ein Grundstücksbesitzer<br />
Wasser einleiten durfte, bestimmte der „Wässermeister", der bei<br />
38<br />
Überschreiten eingreifen und die betreffenden Gräben zumachen<br />
durfte. Dennoch gab es mitunter Landwirte, die der Regel nicht<br />
trauten. Sie begaben sich zur Nachtstunde auf ihre Wiesen im Hausertal<br />
und achteten darauf, dass ihnen nicht der Nachbar oder<br />
auch oberhalb ansässige Grundstücksbesitzer das „Wasser nicht<br />
abgruben". Es soll auch Landwirte gegeben haben, die ständig mit<br />
der Hacke den Schlamm in diese Wiesen leiteten. Das hatte den<br />
Sinn, möglichst viel Wasser zu ergattern, und zum anderen war<br />
auch der Schlamm nährstoffangereichert. Die Wiesenbewässerung<br />
war aber nur im Hausertal möglich. Früher soll eine solche auch<br />
in der Flur „Lehen", man sagt landläufig „Laien" dazu, die Regel<br />
gewesen sein.<br />
Ob die Geschichte auf Wahrheit beruht, ist nicht sicher. Jedenfalls<br />
soll es mal zwischen zwei Landwirten wegen des Wassers zu einem<br />
heftigen Streit nüt Totschlag gekommen sein. Das Sühnekreuz am<br />
„Krotenbühl" soll damit im Zusammenhang stehen. Es gibt aber<br />
auch noch eine andere Version: Zwei Fuhrleute seien sich in dem<br />
engen Hochweg in die Haare geraten, wobei es ebenfalls zu einem<br />
Morde gekommen sei.<br />
Übrigens ist auf Veranlassung des früheren Ortsvorstehers Erwin<br />
Pfister (+ 2006) das Kreuz renoviert und auf eine Platte gestellt<br />
worden, wo es vor der Bodenfeuchtigkeit geschützt ist.<br />
Die Wiesenbewässerung ist nur noch ein Stück Wirtschaftsgeschichte.<br />
Mitte der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts ging sie<br />
zu Ende. Die alte Hausertaleiche könnte wohl viel erzählen aus der<br />
Zeit, wo jede Gabel Heu gut gebraucht wurde.<br />
Die alte Hausertaleiche im gleichnamigen<br />
alt. Foto: Josef Schneider<br />
Tal ist über500Jahre
Mit dem Hausertalbach verband sich schon immer eines der reiz-<br />
vollsten Wiesentäler des hohenzollerischen Unterlandes. Der Bach<br />
durchfloss in einigen Windungen das von anmutigen Waldbildern<br />
umrahmte Tal, wobei sich die alte Keinbachmühle nahezu hedhaft<br />
(„In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad..") in das Gesamtbild<br />
harmonisch einfügte. Diese hegt nahe der Landesgrenze<br />
und gehört kommunal zu Binsdorf. Über ihr Alter ist wenig bekannt.<br />
Schon 1748 erwähnt, wurde sie 1888 von Valentin Schluck<br />
aus Geishngen käuflich erworben. In der dritten Generation befin-<br />
Der Müller vom Keinbach hatte es früher nicht leicht. Bei den unwegsamen<br />
Verhältnissen hatte er viel Mühe, die Getreide- und<br />
Mehlfuhren zur und von der Mühle zu bringen. Erst 1884/85<br />
wurde die Kreisstraße Gruol - Binsdorf gebaut und der Durchstich<br />
oberhalb der Eiche gemacht. Hyronimus Schluck hatte zwölf Kinder<br />
zu ernähren. Im Zuge der Kriegsereignisse im April 1945 war<br />
das Anwesen in großer Gefahr. Das Loreto-Wäldle wurde am 20.<br />
April zusammengeschossen und auch im nahen Binsdorf gab es Ziviltote.<br />
Von Gruol herkommend tauchten nachmittags französische<br />
Panzer auf, die auf dem einsamen Gehöft deutsche Soldaten vermuteten<br />
- und bei dieser Gelegenheit den guten Most probierten.<br />
Und da trat auch ein Kuriosum ein: Tatsächlich hatten sich deutsche<br />
Soldaten auf dem Heuboden versteckt, während zur gleichen<br />
Zeit unten in der Scheune Franzosen ihre Fahrzeuge reparierten.<br />
Zum Glück wussten beide nichts von einander. Die Deutschen verließen<br />
in den darauf folgenden Tagen die Keinbachmühle Richtung<br />
<strong>Heimat</strong>. Sie brauchten nicht abgeführt zu werden wie einst der Zigeunerhannes<br />
zu Fürst Josephs Zeiten, als dieser ebenfalls in der<br />
Keimnachmühle campierte.<br />
Der Hausertalbach, der mit seiner Buschlandschaft der Talaue das<br />
Gepräge gibt, hat sich in den Siebzigerjahren zu einem großen Sorgenkind<br />
entwickelt. Schuld daran war der Mensch, der in den<br />
natürhchen Bachlauf eingriff. Im Zuge der 1968 beschlossenen<br />
Flurneuordnung wurde der Bachlauf als Vorfluter für Dränageflächen<br />
kerzengerade ausgebaut. Die Folge war, dass die Uferböschung<br />
auskolkte. Die Uferbefestigung war den zuweilen großen<br />
Wassermassen, die der Bach vom Kleinen Heuberg brachte, nicht<br />
gewachsen. Dieses riss Löcher in die Ufer und schwemmte viel Boden<br />
weg. Die Reparaturen gingen in die Tausende. Der Gemeinderat<br />
Haigerloch war nicht mehr bereit, Unsummen in den Bach zu<br />
werfen und einem Fass ohne Boden gegenüber zu stehen. Ge-<br />
39<br />
det sie sich im Besitz der Familie Schluck, die heute noch dort<br />
schaltet und waltet, allerdings nur noch mit Landwirtschaft. Die geringe<br />
Wasserkraft, die der Keinbach über einen Kanal lieferte, ließ<br />
den Mühlenbetrieb nicht mehr zu. Hyronimus, der Sohn des 1904<br />
verstorbenen Valentin, erwarb 1919 die Untere Mühle in Gruol, die<br />
bis zuletzt vom Sohn Klemens betrieben und auch modernisiert<br />
worden war. Im Zuge des allgemeinen „Mühlensterbens" nach<br />
dem 2. Weltkrieg stellte auch die Untere Mühle ihren Betrieb ein.<br />
Die Kainbachmühle bei<br />
Binsdorf erhielt ihren<br />
Namen von dem bei<br />
Binsdorf entspringenden<br />
Kainbach (Keinbach),<br />
einem kleinen<br />
Zufluss des Hausertalbacbes.<br />
Die Mühle wurde<br />
schon 1748 erwähnt.<br />
Postkarte aus der<br />
Sammlung Josef<br />
Schneider.<br />
meinde- und Ortschaftsrat erkannten das Problem. Man merkte,<br />
dass der um 500 Meter verkürzte Bach den Eingriff in seinen natürhchen<br />
Lauf übel genommen hat. Der Ausbau und die Sicherung der<br />
Ufer hielten nicht stand. Eingelegte Bongosischalen wurden vom<br />
Wasser weggeschwemmt, Tiefenerosion, Böschungs- und Uferauskolkungen<br />
versetzten den Bach in einen Zustand der ernste Sorgen<br />
machte und darüber hinaus die Schönheit des Tales beeinträchtigte.<br />
Über 30 Jahre brachte er die Gemeindepolitiker auf Trab.<br />
Der arg mitgenommene Hausertalbach unterhalb des Kain-<br />
bachs. Die 1968 beschlossene Flurneuordnung verursachte<br />
durch die Begradigung des Baches diese Schäden.<br />
Foto: Josef Schneider.
Man wollte daran gehen den angerichteten Schaden wieder gut zu<br />
machen und den Bach zu renaturieren. Die Verwaltung ließ sich<br />
vom Institut für Wasserbau und Kulturtechnik an der Technischen<br />
Hochschule Karlsruhe die Technik des mäandierenden Bachlaufes<br />
aufzeigen. Es wurden Bemühungen um Grunderwerb getätigt und<br />
der Bach abermals in eine Baustelle verwandelt. Jetzt drehte man<br />
den bisherigen Sachverhalt ins Gegenteil um: Es gab jetzt Flachufer<br />
und eine neue angepasste Uferböschung. Es entstand ein neuer<br />
Hausertalbach und ein schöner dazu. Das Tal erhielt wieder sein<br />
altes vertrautes Bild. Und der Bach hat in seiner neuen Ufergestaltung<br />
fürs erstemal die Probe bestanden. Als man den Bach in sein<br />
neues Bett auf die Wanderschaft schickte, dachte man auch ökologisch:<br />
Die Lebewesen wurden in ihre neue Lebenswelt mit umgesiedelt.<br />
Die Baukosten lagen bei 450 000 Mark. Vom Land bekam<br />
die Gemeinde 70 Prozent Zuschuss. Ebenso wurde der Grunderwerb<br />
für die Neuanlage des Baches vom Staat mit 80 Prozent bezuschusst.<br />
Das war nun die zweite „Restaurierung", die der Hausertalbach<br />
über sich ergehen lassen musste. Eine der ersten fand 1851 statt.<br />
Daüber berichtet das „<strong>Hohenzollerische</strong> Wochenblatt" 1851:<br />
„Restaurierung einer Wiesenbewässerung auf der<br />
Gruol.<br />
Gemarkung<br />
Auf der Gemarkung Gruol, gegen Erlaheim und Binsdorf bin,<br />
liegt ein, den Grundbesitzern zu Gruol zugehöriges Wiesen thal.<br />
Mitten durch dieses Thal, sogenanntes Hauserthal, führt ein<br />
Graben, sog. Kainbach, welcher das Abwasser von genannten<br />
Orten ableitet. Wenn z. B. Regenwetter eintritt, so macht das<br />
Wasser die Güllenbehälter in E. [Erlaheim] und B. [Binsdorf]<br />
überlaufend, nimmt überhaupt jeden dunghaltigen Stoff in<br />
sich auf, und geht so mit Nahrungsstoff geschwängert, durch<br />
genanntes Wiesenthal. Natürlich benutzten unsere Voreltern<br />
schon vor urdenklichen Zeiten dieses Wasser zur Bewässerung,<br />
woher es auch kommt, dass der Ertrag betr. Wiesen mit keinem<br />
andern Dungmittel so hoch gesteigert werden kann, als mit<br />
dem Abwasser von E. undB.<br />
Das Hauserthal hat einerseits eine mäßige Erhöhung, und kann<br />
das Wasser, des mitten durch das Thal führenden Kainbachs<br />
beim Eintritte in' s Thal am Rande der Erhöhung hingeleitet<br />
werden, wodurch und von wo aus die Bewässerung des ganzen<br />
Thaies bewerkstelligt werden kann, indem man das mäßig<br />
schnell abgelaufene Wasser der Wässerungswiesen am sog.<br />
Wässergraben wiederum diejenigen Wiesen bewässert, welche<br />
unter dem länglich dahinziehenden Abhang liegen. Die Wiesen,<br />
welche unmittelbar am Wässergraben liegen, und so durch die-<br />
ROLF VOGT<br />
Krach und Irrtum -<br />
eine Fußballgeschichte<br />
Zum 100. Jubiläum des FC Hechingen<br />
100 Jahre Fußball in Hechingen im Jahr 2007? Kann sein. 100<br />
Jahre FC 07 Hechingen, wie es in diesem Sommer gefeiert wird?<br />
Kaum. So geradlinig läuft die Geschichte nicht, schon gar nicht die<br />
deutsche.<br />
Gegründet wurde der FC 07 Hechingen am 16. Januar 1951. Die<br />
Gründungsversammlung fand im Konstantinsaal des Museums statt.<br />
Sie war aus der Not geboren. Der Sportverein Hechingen, zu dem bis<br />
40<br />
sen bewässert werden können, betragen ungefähr 80 Morgen;<br />
diejenigen, welche durch das ablaufende Wasser von diesen<br />
wiederum bewässert werden können, eben so viel, oder auch<br />
mehr.<br />
Seit vielen Jahren her lag aber leider der Wässergraben im Hauserthal<br />
im Argen, indem die Zeit denselben mit Schlamm verebnete,<br />
ohne dass er ausgeschlagen wurde. Abgesehen davon,<br />
dass den betr. Wiesen durch Bewässerung kein Nahrungsstoff<br />
mehr zugeführt wurde, konnten die Mäuse, da der Boden sehr<br />
locker ist und die Wiesen, oder vielmehr das ganze obere Thal<br />
vom Walde umgeben ist, so überhand nehmen, dass durch deren<br />
Verwüstung der Ertrag der Wiesen, weniger als nur auf die<br />
Hälfte gegenüber früher verminderte. Dies nun wohl einsehend,<br />
namentlich aber fühlend, waren auch recht gerne die betr. Wiesenbesitzer<br />
bereit und erbötig, gedachte Bewässerung auf Anregung<br />
des Herrn Bürgermeisters Flaiz wieder in einen solchen<br />
Zustand zu bringen, dass eine vollkommene Bewässerung, wie<br />
ehemals, stattfinden kann. Unter Aufsicht wurde der Wässergraben<br />
wieder vom Schlamm befreit, demselben die gehörige<br />
Weite und Tiefe gegeben, Fallen angebracht, so, dass die Bewässerung<br />
nun vor ungefähr 14 Tagen beginnen konnte. Von den<br />
Wässermeistern, Joseph Münzer undJohann Kränzler, wurde die<br />
„Wässere" den obersten Wiesenbesitzem angesagt, dieses durften<br />
sie eine gewisse Zeit, je nach der Größe des Grundstücks,<br />
behalten, und hatte sie sodann wiederum seinem Nachbarn anzusagen,<br />
und so geht's fort bis zum untersten Wiesenbesitzer,<br />
dann fängt's wieder oben an. Daß die Sache immer ihren<br />
gehörigen, oder vielmehr ortsübl. Gesetze geht, darüberhaben<br />
die beiden Wässermeister zu wachen, und allenfallsige Uebertretungen<br />
mit Strafe zu rügen. In 6 Stunden können bei mittlerem<br />
Wasser-Zudrang 2 Morgen bewässert werden. Ist das<br />
nicht schön? Ganz versiegbar, auch bei anhaltend trockener<br />
Witterung, ist das Wasser niemals, indem in gedachten Orten<br />
Brunnen sich befinden, welche immerhin Wasser liefern, auch<br />
vom Felde her sich ganz geeignetes Wasser beimischt.<br />
Die Kosten und Mühen der Erneuerung - Restaurirung des seit<br />
mehreren Jahren her gleichsam „wüst" gelegenen Wässergrabens<br />
im Hauserthal auf der Gemarkung Gruol werden durch<br />
den erhöhten und bessern Futter-Ertrag schon im ersten Jahre<br />
mehr ah vollkommen gedeckt werden, und die Wiesenbesitzer<br />
werden sich gewiß zu großem Danke verpflichtet fühlen gegen<br />
utisem, in dieser Hinsicht ganz besonders eifrigen und thätigen<br />
Ortsvorstand."<br />
dahin die Sparte Fußball gehörte, hatte sich im Herbst 1950 aufgelöst,<br />
weil die wichtige Turnabteilung aus dem Verein ausgetreten<br />
war, um einen eigenen Verein zu bilden. Die Auflösung des Sportvereins<br />
wurde zum 1. Januar 1951 wirksam. Die Fußballsparte<br />
musste sich neu organisieren.<br />
74 Hechinger traten dem neuen Verein als Gründungsmitglieder<br />
bei. Zwei fast gleich große Gruppen saßen im Museum. Das zeigte<br />
sich in der Vorstandswahl. Nachdem es nicht gelungen war, den<br />
bisherigen Spartenleiter Wolfgang Walhshauser zur Kandidatur zu<br />
überreden, wurde „mitgeringer Stimmenmehrheit" in geheimer<br />
Wahl der Zahnarzt Dr. Erich Buri zum Vorsitzenden gewählt. Er<br />
nahm das Amt nicht an, erklärte sich aber zum stellvertretenden<br />
Vorsitz bereit. In einem zweiten Wahlgang wurden danach „durch
Zuruf einstimmig" der Rechtsanwalt Dr. Oswald Reinhardt zum<br />
Vorsitzenden und Buri zu seinem Stellvertreter gewählt 1 . Was kann<br />
das heißen?<br />
Erich Buri war der Mann der bisherigen Fußballgesellschaft Hechingen<br />
1909, die er von 1932 bis 1934 zuerst als Vorsitzender<br />
und dann als Vereinsführer geleitet hatte. Die Gleichschaltung<br />
durch die Nationalsozialisten hatte er gut überstanden. „Der richtige<br />
Hitlergeist" zog am 26. Juli 1933 in der Fußballgesellschaft<br />
ein. So war damals zu lesen 2 . Buri nannte sich seit dieser Generalversammlung<br />
Vereinsführer und ließ seinen Vorstand nicht mehr<br />
wählen, sondern ernannte ihn selbst. Er blieb bis 1935 Vorsitzender<br />
und war danach Jugendleiter. Sein Club spielte - im Jugendbereich<br />
- Fußball bis in die letzten Kriegstage und schickte schon am<br />
23. September 1945 wieder eine Mannschaft zum „Wettspiel" auf<br />
den Platz 3 . Dahn ging die Fußballgesellschaft auf Geheiß der Militärregierung<br />
als Fußball-Sparte im Sportverein auf.<br />
Oswald Reinhardt war Rechtsanwalt in Hechingen, fast 42 Jahre alt<br />
und nach dem Krieg im Juli 1945 wohl als „Fliegergeschädigter"<br />
aus Wuppertal in die Stadt gekommen 4 . 1951 richtete er sich eine<br />
Kanzlei auf dem Schlossplatz ein. Vorsitzender blieb er zwei Jahre<br />
lang, 1994 starb er. Mehr ist über ihn letztlich nicht mehr bekannt.<br />
Reinhardt der Zugezogene, Buri der Alteingesessene: Es kann gut<br />
sein, dass der eine Kopf der Hechinger Gruppe im Museum war<br />
und der andere die erste Wahl der seit einigen Jahren in die Stadt<br />
strömenden Flüchtlinge. Sie hatten exzellente Fußballer in ihren<br />
Reihen. Die erste Mannschaft der Fußballabteilung des Sportvereins<br />
spielte 1949/50 eine Saison lang in der Zonenliga sogar erstklassig.<br />
Die Namensgebung war in der Gründungsversammlung am 16. Januar<br />
1951 ein wichtiges Thema. „Bei aller Hochachtung vor der<br />
glänzenden Tradition der früheren Fußballgesellschaft" wurde<br />
ihr Name verschmäht - so schrieb der Mitarbeiter der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Zeitung, wahrscheinlich ihr Redakteur Walter Sauter. Einen<br />
Grund nennt sein Bericht nicht. Aber Buris Entscheidung für<br />
die zweite Reihe und der Verzicht auf den alten Namen könnten<br />
ähnliche Gründe haben. Möglicherweise wollte der neue Fußballverein<br />
den Neuanfang betonen, indem er 1951 seine NS-Vergangenheit<br />
ein Stück zurück drängte. Die Vergangenheit war kein Vorbüd<br />
für die Zukunft, aber ein Platz wurde ihr nicht verwehrt. So<br />
war die Übernahme der bisherigen Ehrenmitgliedschaften in den<br />
neuen Verein ein wichtiger Beschluss der Gründungsversammlung.<br />
Erstes neues Ehrenmitglied wurde Wolfgang Wallishauser. Der<br />
Spartenleiter stand über allen Zweifeln, wollte aus „beruflichen<br />
Gründen und wegen kulturelle[r] Verpflichtungen" aber nicht<br />
länger Frontmann sein. Wallishauser war Druckereibesitzer und<br />
leidenschaftlicher Sänger. Er machte mit dem Silcher-Doppelquartett<br />
eine erstaunliche Karriere, im Fußballclub zog er sich auf den<br />
Posten des Beisitzers zurück. In seiner aktiven Zeit war er Torwart<br />
der Fußballgesellschaft 1909 gewesen.<br />
Welcher neue Vereinsname in der Gründungsversammlung gewählt<br />
wurde, ist schwer zu sagen. Nach dem Bericht im Schwarzwälder<br />
Boten, vermutlich aus der Feder von Bruno Ewald Reiser,<br />
erhielt der Verein „den Namen des schon vor 43 Jahren in Hechingen<br />
bestandenen Fußballvereins FC Hechingen 1907<br />
e. V.'". Walter Sauter hörte für die <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung anderes:<br />
,Als aber von der Versammlungsleitung klargelegt wurde,<br />
daß ein Jahr vor Gründung der FGH im Jahre 1908 erstmals in<br />
Hechingen ein Fußbaiklub Hohenzollern 1908' gegründet<br />
wurde, der nicht lange bestand, entschieden sich die Anwesenden<br />
geschlossen für den neuen Vereinsnamen 'Fußballclub Hechingen<br />
08', die alte Tradition im besten Sinne des Wortes wah-<br />
41<br />
rend." Dementsprechend nannte die <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung<br />
den neuen Verein „FC 08 Hechingen", und der Schwarzwälder<br />
Bote notierte den Gründungsnamen mit „FC 07Hechingen". Wer<br />
die Versammlungsleitung hatte, schreibt keine der beiden Zeitungen.<br />
Wahrscheinlich war es Wolfgang Wallishauser. Am Vorstandstisch<br />
dürfte auch Dr. Ludwig Kinkel gesessen haben, der Vorsitzende<br />
des gerade verblichenen Sportvereins. Er sprach Wallishauser<br />
in der Versammlung die Ehrung aus.<br />
Das Protokoll der Gründungsversammlung vom 16. Januar 1951<br />
ist nicht erhalten. Die sich widersprechenden Zeitungsartikel sind<br />
die einzigen bekannten Berichte. Sie hinterlassen den Eindruck,<br />
dass in der Versammlung selbst die Konfusion um sich griff. Vielleicht<br />
war damals schon unklar, was genau beschlossen wurde.<br />
Der Rechtsanwalt Reinhardt und der Redakteur Reiser, beide nach<br />
dem Krieg in die Stadt gekommen, verstanden 1907, und der geschichtskundige<br />
Hechinger Redakteur Sauter hörte 1908. Tags<br />
darauf schrieb er neben seinem Bericht über die Gründungsversammlung<br />
eine kleine Expertise über die Anfänge des Fußballsports<br />
in Hechingen. 1908 sei nachweisbar, meinte Sauter, mehr<br />
nicht: „Als das Jahr, in dem der Hechinger Fußballsport aus der<br />
Taufe gehoben wurde, [steht] einwandfrei das Jahr 1908 fest 5 ."<br />
Trotzdem setzte sich 1907 als Geburtsstunde des Fußballsports in<br />
Hechingen durch. Mit diesem Jahr hat sich der Verein vom Amtsgericht<br />
registrieren lassen. Der Brief von Oswald Reinhardt fehlt<br />
zwar in der Akte, aber ein anderer Name als FC 07 Hechingen findet<br />
sich dort nicht. So war es konsequent, 1957 bereits das 50. Jubüäum<br />
zu feiern. Das Fest erstreckte sich über vier Tage vom 1. bis<br />
zum 4. August. Zuerst wurde der neue Sportplatz an der Zollerstraße<br />
feierlich eingeweiht, dann folgten auf der Lichtnau ein Jugendtag<br />
und am Samstag und Sonntag ein hochkarätig besetztes<br />
Pokalturnier. Mit den Top-Teams aus Reutlingen und Pforzheim<br />
gab es zwei sportliche Kracher, dazu kamen das Festbankett am<br />
Samstag und das Platzkonzert der Stadtkapelle am Sonntag. Hechingen<br />
spielte damals zweitklassig. Über der 2. Amateurliga gab<br />
es deutschlandweit nur eine höhere Spielklasse.<br />
Fußballklub Hohenzollern 1908<br />
Fußball in Hechingen im Jahre 1907 lässt sich bisher nicht nachweisen.<br />
Dass damals junge Erwachsene im Freundeskreis verschiedentlich<br />
- erstaunt beäugt von den Älteren - dem runden Leder<br />
hinterher hetzten, ist zwar gut möglich, aber einen organisierten<br />
Verein hatten sie nicht. Dieser Schritt kam im Jahr darauf. Am<br />
9. Mai 1908 schaltete ein nicht genannter Auftraggeber eine Anzeige<br />
in den <strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern, mit der er „zwecks Gründung<br />
eines Fussball-Klubs [...] Interessenten" für den 11. Mai in<br />
das Gasthaus Fecker einlud 6 . Diese Zeitungsanzeige ist der bislang<br />
früheste bekannte schriftliche Beleg für Fußball in Hechingen.<br />
Wie die Versammlung ausging und welchen Namen der neue Verein<br />
sich gab, bleibt bis zum November 1908 im Dunkel. Dann betrat<br />
der „Fußball-Club Hohenzolkrn 1908" die Öffentlichkeit der<br />
wilheminischen Oberamtsstadt. Seine Mannschaft reiste nach den<br />
Berichten der beiden Hechinger Tagezeitungen zu ihrem „ersten<br />
Wettspiel" am 15. November 1908, einem Sonntag, nach Ebingen.<br />
Sie verlor 2:0, konnte aber gegen die komplette Ebinger Mannschaft<br />
auch nur zehn eigene Spieler aufbieten. Zwei Wochen später<br />
war Revanche auf dem Hechinger Sportplatz Lichtnau. Das Rückspiel<br />
ging mit 0:4 genauso in die Hose 7 . Trotzdem fand die Leistung<br />
der Spieler Anerkennung. Der Zoller, die katholische Tageszeitung,<br />
nannte namentlich Harter, Blum, Zoll und Hirschauer, die sich<br />
„wirklich wacker" geschlagen hätten, und wünschte sich, dass<br />
„die übrigen aktiven Mitglieder in Zukunft ebenso tatkräftig
eingreifen". Die <strong>Hohenzollerische</strong>n Blätter attestierten dem Klub,<br />
„in Anbetracht seines kurzen Bestehens, Vorzügliches" und<br />
nannten den Fußball einen „schönefn] Sport", der „mehr Anhänger"<br />
verdiene. Damals war Fußball Randsportart. Hirnen war<br />
der Sport Nummer 1.<br />
Die Gründungsversammlung - wenn das unterstellt werden darf -<br />
im „Fecker", der monatliche Stammtisch im „Sträßle" und meist<br />
im „Paradies", war der FC Hohenzollern 1908 ein Oberstadt- und<br />
Innenstadtverein. Das einzige bekannte Bild der Mannschaft zeigt<br />
27 junge Männer, davon 17 in Sportkleidung 8 . Vier andere - mit Anzug<br />
und Hut - tragen Fahnen mit den Farben Hohenzollerns. Fans.<br />
Der Verein war der Kader und sein Freundeskreis. Vorsitzender<br />
war Eugen Hirschauer 9 . Er war damals 25 Jahre alt und Kaufmann,<br />
vermuthch der Kapitän der Mannschaft, die sich im November<br />
1908 zweimal achtbar gegen Ebingen hielt. Später wurde er Betriebsleiter<br />
in der Textilfirma Carl Loewengard und nach der Arisierung<br />
1938 bei Heinrich Maute. Im Dezember 1909 war er Gründungsmitglied<br />
und Schriftführer der Freiwilligen Sanitätskolonne<br />
im Roten Kreuz, sozusagen der Bereitschaft des Ortsvereins 1 ". Exakt<br />
identifizerbar aus dem Fußball-Club Hohenzollern 1908<br />
scheint sonst nur noch Eugen Riedel zu sein". Der spätere Eisengroßhändler<br />
aus der Schlossstraße kam am 15. Juh 1907 als Junggehilfe<br />
der Firma M. A. Levy nach Hechingen. Er war nicht einmal<br />
17 Jahre alt. Geboren am 26. November 1890 in Steinheim, war er<br />
zur Lehre in Bietigheim und hatte dort vielleicht den Fußball kennen<br />
gelernt.<br />
Der FC Hohenzollern 1908 spielte länger, als ihm das nachgesagt<br />
wird. Er „konnte der außergewöhnlichen Schwierigkeiten nicht<br />
lange Herr werden" und sei „nach einjähriger Lebensdauer" von<br />
der Fußballgesellschaft 1909 abgelöst worden, schrieb 1957 Ernst<br />
Mayer, als er die Hechinger Fußballgeschichte aufarbeitete 12 . Er<br />
datiert die Gründungsversammlung der Fußballgesellschaft auf<br />
den Juh 1909-<br />
Aber im Sommer 1909 stand der FC Hohenzollern 1908 praktisch<br />
jeden Sonntag auf dem Platz und hatte sogar zwei Mannschaften.<br />
Den Reigen eröffnete.die Monatsversammlung im Cafe Sträßle am<br />
10. Juh. Tags darauf fuhr die Mannschaft zum Wettspiel nach Ebingen<br />
und in der Woche darauf, am 18. Juh, ging es auf der Lichtnau<br />
gegen den FC 05 Tübingen H. Der „F. C. H." fuhr mit 1:10 eine<br />
Schlappe ein, hatte aber auch nur zehn Mann auf dem Platz - möglicherweise,<br />
weil sich ein Spieler im Training zwei Tage vorher den<br />
Fuß gebrochen hatte. Das nächste Spiel am 8. August brachte auf<br />
der Lichtnau ein 8:1 gegen Ebingen 13 . Es war ausdrücklich die erste<br />
Mannschaft, die dieses Spiel bestritt. Auffällig ist, dass sie danach<br />
nicht mehr belegbar ist. Sie stand nie mehr auf dem Rasen.<br />
Ganz anders die zweite Mannschaft, die sich in diesem Sommer<br />
1909 bildete. Zum Training am 16. Juli, als sich ein Spieler den Fuß<br />
brach, waren bereits erste und zweite Mannschaft aufgerufen, zu<br />
ihrem „ersten Wettkampf' hef die Zweite am 25. Juh auf. Gegner<br />
war Arminia Reuthngen HI. Am 1. August fuhr die zweite Mannschaft<br />
nach Ebingen und gewann dort mit nur neun Mann 0:1. Am<br />
Sonntag danach sahen die Zuschauer auf der Lichtnau außer dem<br />
Kantersieg der ersten Mannschaft eine 3:8-Schlappe der zweiten<br />
Mannschaft gegen Tübingen. Gegen Arminia Reuthngen V am 15.<br />
und einen nicht genannten Gegner am 22. August hatte die zweite<br />
Mannschaft weitere Wettspiele in diesem Sommer, dann erst wieder<br />
Anfang Oktober, wohl am 3-, dem Sonntag 14 .<br />
Im September 1909 gab es keinen Fußball, der Verein traf sich am<br />
2. September zur Monatsversammlung im „Vereinslokal" und das<br />
nächste Mal einen Monat später am 5- Oktober im „Paradies". Die<br />
Zweite hatte ihre Mannschaftssitzung am 2. Oktober im „Silber-<br />
42<br />
groschen", einem Gasthaus vor der Stadt am Obertorplatz. Schon<br />
am 21. August hatte sie zu einer getrennten Sitzung gerufen 15 . Anscheinend<br />
bildeten sich in dieser Zeit zwei Chquen im Verein, vielleicht<br />
barg die Trennung Zündstoff. Nach der Monatsversammlung<br />
am 5- Oktober 1909 im „Paradies" gibt es jedenfalls keine Nachrichten<br />
mehr vom Fußballklub Hohenzollern 1908.<br />
Fußballgesellschaft Hechingen 1909<br />
Die neue „Fußball-Gesellschaft Hechingen 1909" wird am Jahresende<br />
1909 erstmals greifbar. Am 4. Dezember kündigte sie mit einer<br />
Anzeige in den <strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern das Wettspiel ihrer<br />
ersten Mannschaft gegen den FC Ebingen I am Tag darauf auf der<br />
Lichtnau an. Das ist der bislang früheste schriftliche Beleg für den<br />
neuen Verein 16 .<br />
Möglicherweise findet sich in der Fußballgesellschaft eine der beiden<br />
Mannschaften des alten Vereins wieder, am ehesten die zweite.<br />
Die Fußballgesellschaft 1909 feierte ihre Stiftungsfeste, die Jahrtage<br />
der Vereinsgründung, in der Regel im August und berief sich<br />
bereits zum 25. Jubiläum im Jahre 1934 auf die Vereinsgründung<br />
im Juh 1909 17 . In dieser Zeit schlug die Geburtsstunde der zweiten<br />
Mannschaft des Fußballklubs Hohenzollern 1908. Unter eigenem<br />
Namen trat sie jedoch erst im Dezember 1909 auf.<br />
Dass die Fußballgesellschaft aus dem Fußballklub hervorgegangen<br />
ist, legt auch das Foto aus dieser Zeit nahe. Es zeigt 13 Spieler, die<br />
meisten mit Mütze, und einen Herrn mit Gehrock und Hut, der<br />
Überlieferung nach der Vorsitzende und Trainer. Die Fußballgesellschaft<br />
spielte offensichtlich in den schwarz-weiß gestreiften Trikots<br />
des Fußballklubs Hohenzollern, der Torwart in hellem Sweater.<br />
Selbst der Ball scheint identisch zu sein. Die Firma Kaibacher<br />
hatte die Ausrüstung besorgt 1S . Vielleicht gab die erste Mannschaft<br />
des Fußballklubs Hohenzollern, obwohl sie nicht mehr spielte, den<br />
Namen nicht her, aber die Zweite hatte die Trikots.<br />
Ab dem März 1910 lieferte sich die Fußballgesellschaft 1909 einmal<br />
im Monat Wettspiele, zuerst mit dem sensationellen 3:4 bei der<br />
Fußballgesellschaft Tübingen III, dann mit der Heimniederlage im<br />
„Retourwettspiel" am 3- April und am 29. Mai mit dem Rückspiel<br />
in Ebingen (3:2). Zu diesem Zeitpunkt war eine zweite Mannschaft<br />
hinzugekommen, die ihr erstes Wettspiel am 5. Juni beim 1. FC Tübingen<br />
IV bestritt. Am Tag zuvor hatte der Verein erstmals eine Versammlung<br />
in seinem „neuen Vereinslokal", der „Kaiserburg" in<br />
unmittelbarer Nähe des Sportplatzes auf der Lichtnau 19 . Dort richtete<br />
sich die Fußballgesellschaft fortan ein. Vielleicht war das „Paradies"<br />
zu klein geworden. Das Domizil bei Gastwirt Adam Wahl<br />
hatte auch den Vorteil, dass die Torstangen nicht weit vom Sportplatz<br />
verstaut werden konnten 20 .<br />
Als Männer der ersten Stunde der Fußballgesellschaft Hechingen<br />
und - wenn sie's denn ist - der zweiten Mannschaft des Fußballklubs<br />
Hohenzollern nennt die Vereinshistorie Eduard Bausinger,<br />
Anton Bogenschütz, Friedrich Braitsch, Ernst Gruhler, Richard<br />
Jost, Max Kässmodel, Karl Rieger, Max Steck, Otto Strobel, Eugen<br />
Vetter sowie einen vornamenlosen Spieler Roth. Auch Eisenmann,<br />
Moos, Nerz, Kaibacher und der erste Vorsitzende und Trainer Moll<br />
bleiben in der Überlieferung ohne Vornamen. Gruhler und Hans<br />
Scheffel werden als weitere Vorsitzende aus der Frühzeit genannt 21 .<br />
Der regelmäßige Wechsel im Vorsitz war damals durchaus üblich.<br />
Zeitgenössisch belegbar ist ein in der Vereinsgeschichtsschreibung<br />
nirgendwo auftauchender Karl Banzhaf aus der Marktstraße, der<br />
im Namen der Fußballgesellschaft Hechingen am 14. Juni 1910 im<br />
Bürgermeisteramt beantragte, dem Verein wie „seinerzeit dem<br />
nunmehr aufgelösten Fussballclub Hohenzollern 1908" die Nutzung<br />
des Spielplatzes Lichtnau zu genehmigen 22 . Der Gemeinderat<br />
gab das gewünschte Plazet.
Jost, Kässmodel, Rieger, Vetter und wohl auch Braitsch waren<br />
Kaufmänner oder Handlungsgehilfen, Strobel junger Flaschner,<br />
Gruhler Buchdrucker und Scheffel Modelleur. Trainer Moll kam<br />
aus Hamburg und war in der Buchhandlung Albrecht Walther am<br />
Obertorplatz angestellt.<br />
Die häufige Nennung von Kaufleuten im Zusammenhang mit beiden<br />
frühen Hechinger Fußballmannschaften ist auffällig, aber anscheinend<br />
alles andere als zufällig. In Balingen entstand der später VfR<br />
genannte Fußballverein an einem „Kosttisch von Kaufleuten" im<br />
Hotel Eugen Roller 23 . In beiden Städten war der Fußball anfangs<br />
bürgerlich. Als Erste begannen junge Kaufleute und Handlungsgehilfen,<br />
Lehrlinge, gegen den Ball zu treten. Sie arbeiteten in den Industriebetrieben<br />
und im Großhandel und kamen oft von auswärts,<br />
wo sie möglicherweise den Fußball kennen gelernt hatten. In Hechingen<br />
fanden sie Freunde, die ihr Faible teilten. Dass sich die<br />
Gründung von auswärts als Erfolgsnummer 100 Jahre gehalten hat,<br />
ist beachthch.<br />
Der Fußballklub Hohenzollern und die Fußballgesellschaft Hechingen<br />
waren schon zu einem frühen Zeitpunkt nicht die Einzigen<br />
auf dem Platz. 1910 spielte die Fußballgesellschaft gegen einen<br />
Lehrlingsklub aus Hechingen, kurz vor dem Kriegsausbruch 1914<br />
trat das Militärteam der Burg Hohenzollern auf der Lichtnau an.<br />
Auch am Gymnasium wurde Fußball gespielt. Nichts macht den<br />
schnellen Siegeszug des Fußballs in dieser Zeit in Hechingen deutlicher.<br />
Den nächsten Schwung brachte die Endzeit der Weimarer Republik.<br />
1930 entstand die Fußballvereinigung Friedrichstraße als Arbeiterverein,<br />
auch die katholische Deutsche Jugendkraft und die<br />
Freie Turnerschaft spielten im Ligabetrieb Fußball. Durch den Nationalsozialismus<br />
konnte sich nur die Fußballgesellschaft 1909 retten,<br />
aber große Betriebe wie die Textilfirma Grotz hatten in dieser<br />
Zeit auch Fußballmannschaften. Die französische Militärregierung<br />
setzte der Fußballgesellschaft ein Ende und zwang alle Hechinger<br />
Sportler in den Sportverein. Die anscheinend wenig behebte<br />
Zwangsehe zerbrach in der frühen Bundesrepublik schnell. Der FC<br />
07 Hechingen entstand. Er überlebte die ebenfalls neue Viktoria<br />
und ist bis heute der dominierende Faktor im Hechinger Fußballleben<br />
gebheben, den außerdem die Fußballvereinigung Friedrichstraße<br />
und der Türkische Kultur- und Sportverein bestimmen. Innerhalb<br />
der Gesamtstadt hat der FC Hechingen seine Vormachtstellung<br />
aber verloren. Die Nummer 1 ist derzeit der TSV Boll.<br />
Concordia<br />
Mit dem Jubiläum 1957 taucht erstmals die Concordia in der Vereinsgeschichte<br />
auf, die bei der Fußballgesellschaft nie eine Rolle<br />
gespielt hatte. Ernst Mayer warf sie in die Waagschale und berief<br />
sich dabei „auf das Gedächtnis der ältesten Mitglieder" 24 . Nach seiner<br />
Festschrift hielt „der 1. Fußballclub 'Concordia', mit nur wenigen<br />
Anhängern, [...] wohl eine Zeitlang regelmäßig seine Versammlungen<br />
ab, auf dem grünen Rasen aber kam er über einige<br />
Trainingsabende nicht hinaus. Schon im August 1908 mußte er<br />
dem 'Fußballklub Hohenzollern 1908' weichen." Bei dieser Begründung<br />
für das Jahr 1907 ist es bis heute geblieben. Sie findet<br />
sich in den Festschriften des FC 07 Hechingen zum 75. Jubüäum<br />
1982 genauso wie zum 90. im Jahr 1997". In der Festschrift 1982<br />
wird außerdem die Gründung der Concordia auf den Februar<br />
1907 26 datiert.<br />
Die Vereinsgeschichtsschreibung hat sich in Hechingen allgemein<br />
durchgesetzt. Als Bruno Ewald Reiser, der Redakteur, der wohl<br />
1951 für den Schwarzwälder Boten aus der Gründungsversammlung<br />
des FC 07 Hechingen berichtet hatte, die Ehrenberg-Ausgabe<br />
von Ludwig Eglers Stadt-Chronik für die Neuauflage vorbereitete,<br />
schrieb er die Jahre 1907 bis 1909 neu hinzu. „Erstmals bildete<br />
sich eine lose Vereinigung zur Ausübung des Fußball-Sports, kam<br />
jedoch nicht über Trainingsspiele hinaus", setzte er in dem chronologisch<br />
angelegten Band in das Jahr 1907 Das war 1980. Seitdem<br />
ist das Gründungsdatum des FC 07 Hechingen gewissermaßen<br />
stadtoffiziell. Selbst die Konkurrenz, die FV Friedrichstraße, übernahm<br />
in der Festschrift zu ihrem 70. Jubiläum im Jahr 2000 die<br />
Version vom ersten Fußballclub Concordia 27 .<br />
Fußballhistorisch ist die Concordia allerdings ein eher zweifelhafter<br />
Club. Der Verein fand bereits 1905 zusammen und lässt sich bis<br />
in den September 1909 hinein verfolgen 28 . 1907 scheint kein bedeutungsvolles<br />
Jahr gewesen zu sein. Im August 1906 feierte die<br />
Concordia ihr zweites Stiftungsfest, im März 1907 war Generalversammlung,<br />
1908 unternahm sie eine Schlittenfahrt nach Haigerloch,<br />
feierte Stiftungsfest, hatte Generalversammlung und traf sich<br />
zum guten Schluss zur Weihnachtsfeier. Immer wieder wird betont,<br />
dass die Concordia ein „junger Verein" sei, was offenbar auch das<br />
Alter ihrer Mitglieder bezeichnen sollte. In den Zeitungsberichten<br />
sah sich die Concordia „im Aufblühen". Trotzdem gab es im<br />
Herbst 1909 einen Bruch. Für den 18. September riefen „mehrere<br />
Mitglieder" mit Zeitungsannonce zu einer Versammlung im Ver-<br />
Schwarz-weiße Trikots,<br />
schwarz-weiße Fahnen: der<br />
Fußballklub Hohenzollern 1908
einslokal auf und eine Woche später der Vorstand zur außerordentlichen<br />
Generalversammlung 29 . Danach erscheint die Concordia<br />
nirgendwo mehr.<br />
Ihr Vereinszweck war offenbar die Geselligkeit. Wenn die Runde<br />
zusammen kam, gab es zuerst ein Festessen, und danach verging<br />
der Abend mit Gesang und Toasten. Dass getrunken wurde, darf<br />
unterstellt werden. Bisweilen ging die Concordia auf Tour. 1908<br />
stand außer der Schlittenfahrt nach Haigerloch auch ein Ausflug<br />
nach Sigmaringen auf dem Programm. Von Fußball ist im Zusammenhang<br />
mit der Concordia bisher nichts bekannt.<br />
Durchaus wahrscheinlich ist aber, dass Mitglieder der Concordia<br />
unter den Spielern des Fußballklubs Hohenzollern 1908 waren.<br />
Beide Vereine trafen sich im selben Gasthaus, dem „Paradies". Auf<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Schwarzwälder Bote (künftig: SB). Ausgabe A3. Nr.<br />
2<br />
10/18.01.1951. Vgl. <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung (künftig: HZ)<br />
Nr. 10/19 01.1951. Amtsgericht Hechingen, Vereinsregister/FC<br />
Hechingen.<br />
Der Zoller (künftig: Z) Nr. 170/28.07.1933. Vgl. <strong>Hohenzollerische</strong><br />
Blätter (künftig: Hz. Bl.) Nr. 171/28.07.1933.<br />
3 WALTER SAUTER: Der Index zu den Hechinger Zeitungen<br />
1829-1970. Bearb. von Thomas Jauch. Hechingen 1996. S.<br />
2294. Vgl. Nachrichtenblatt für den Kreis Hechingen Nr.<br />
14/26.10.1945,<br />
21/17.12.1945.<br />
17/16.11.1945, 18/23.11.1945,<br />
4 Stadtarchiv Hechingen (künftig: StadtAH), Meldeakten, Altregistratur<br />
Einwohnermeldeamt, ohne Reg.-Nr.<br />
5 [WALTER SAUTER:] Aus den Anfängen des Hechinger Fußballsports.<br />
In: HZ Nr. 10/19.01.1951.<br />
6 Hz. Bl. Nr. 105/09.05.1908.<br />
7 HZ. Bl. Nr. 262/17.11.1908, 271/27.11.1908,<br />
272/28.11.1908, 274/01.12.1908. Z Nr. 262/17.11.1908,<br />
271/27.11.1908, 272/28.11.1908, 273/30.11.1908. Ein<br />
Wettspiel gegen Ebingen war für Walter Sauter „der erste<br />
Spielbericht in der Hechinger Presse", s. HZ Nr.<br />
8<br />
10/19-01.1951. In seinem Zeitungs-Index führt er aber nur<br />
das Retourspiel an, s. WALTER SAUTER (wie Anm. 3) S. 2289-<br />
50 Jahre Fussball-Club Hechingen. Festschrift FC 07 Hechingen<br />
(künftig: Festschrift 1957). Hechingen 1957. S. 13. 90<br />
Jahre Fussballclub 1907 Hechingen e. V. 1907-1997 (künftig:<br />
Festschrift 1997). Hechingen 1997. S. 16.<br />
44<br />
ihrem zweiten Stiftungsfest 1906 verabschiedete die Concordia<br />
ihren Vorsitzenden Moos. Moos ist auch der Name eines Spielers<br />
der neuen Fußballgesellschaft 1909- Möglicherweise sind beide<br />
identisch.<br />
Der Zeitpunkt, zu dem die Concordia verschwindet, fällt genauso<br />
auf. Im Herbst 1909 trennte sich die zweite Mannschaft vom Fußballklub<br />
1908, um sich bald danach Fußballgesellschaft 1909 zu<br />
nennen. Die Eintracht endet. Dass die Concordia unter dem Zwist<br />
im Fußballverein zerbrach, kann immerhin vermutet werden.<br />
Entstand die Fußballgesellschaft 1909 im Krach? Es könnte sein.<br />
Warum der FC 07 Hechingen nicht auch im Irrtum. Grund zum Feiern<br />
findet sich allemal.<br />
Die Fußballgesellschaft<br />
Hechingen 1909<br />
9 Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 12. Festschrift 1997 (wie<br />
Anm. 8) S. 14.<br />
10 StadtAH, Meldeakten, Altregistratur Einwohnermeldeamt,<br />
ohne Reg.-Nr. Hz. Bl. Nr. 276/04.12.1909.<br />
11 [WALTER SAUTER: ] Aus den Anfängen (wie Anm. 5). SB Nr.<br />
273/26.11.1960, HZ Nr. 273/26.11.1960. Dort wird Riedel<br />
„Mitbegründer des Hechinger Fußballclubs" genannt. Vgl.<br />
SB Nr. 273/26.11.1965, HZ Nr. 273/26.11.1965. Riedel starb<br />
am 11.07.1967, s. HZ Nr. 157/12.07.1967, SB Nr.<br />
12<br />
157/12.07.1967.<br />
Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 12.<br />
13 Hz. Bl. Nr. 151/09.07.1909, 156/15.07.1909,<br />
159/19.07.1909, 163/23.07.1909, 164/24.07.1909,<br />
168/29.07.1909, 172/03.08.1909, 174/05.08.1909,<br />
177/09.08.1909. ZNr. 158/17.07.1909.<br />
14 Hz. Bl. Nr. 156/15.07.1909, 163/23-07.1909,<br />
164/24.07.1909, 168/29.07.1909, 172/03.08.1909,<br />
174/05.08.1909, 177/09-08.1909, 180/12.08.1909,<br />
188/21.08.1909,223/02.10.1909.<br />
15 Hz. Bl. Nr. 188/21.08.1909, 197/01.09.1909,<br />
16<br />
223/02.10.1909.<br />
Hz. Bl. Nr. 276/04.12.1909.<br />
17 Z Nr. 185/24.08.1934. Hz. Bl. Nr. 193/24.08.1934. Die Fußballgesellschaft<br />
sah den Fußballklub Hohenzollern 1908 als<br />
ihren Vorgänger. Von Fußball im Jahr 1907 war ihr nichts bekannt.<br />
18 Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 14-16. Festschrift 1997 (wie<br />
Anm. 8) S. 17-19-
19 Hz. Bl. Nr. 57/12.03.1910, 59/15.03.1910, 71/01.04.1910,<br />
72/02.04.1910, 74/05.04.1910, 95/29-04.1910,<br />
119/31.05.1910,120/01.06.1910.<br />
20 Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 15. Die dort genannte Grün-<br />
dung im Gasthaus Kaiserburg ist nicht belegbar.<br />
21 25 Jahre Fußballgesellschaft Hechingen 1909 e. V. In: Z Nr.<br />
185/24.08.1934. Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 12, 14,<br />
46. Festschrift 1997 (wie Anm. 8) S. 11,15,17.<br />
22 StadtAH, Reg. Nr. A200/8310, 2. Turnhalle, Turn- und Spiel-<br />
plätze. StadtAH, Bände, A 34, Beschlüsse des Gemeinderats<br />
18. Juni 1904 bis 5.7.1910. Der Gemeinderat gestattete am<br />
23.06.1910 die Nutzung der Lichtnau widerruflich, Bürgermeister<br />
Anton Häußler antwortete Banzhaf am Tag danach.<br />
23 Baiinger Volksfreund 25.07.1932, frdl. Mitt. Michael Haigis.<br />
24 Dass die Überlieferung problematisch ist, wurde schon<br />
mehrfach festgestellt. „Vereinsakten aus der ersten Zeit fehlen",<br />
schrieb Walter Sauter 1957, s. [WALTER SAUTER:] Aus<br />
den Anfängen (wie Anm. 5). Auch Vereinschronist Ernst<br />
Mayer nannte 1957 die „Unterlagen zu bescheiden, da leider<br />
Vereinsakten aus der alten Zeit völlig fehlen", s. Festschrift<br />
1957 (wie Anm. 8) S. 10. Mayer nennt auch den Aktenbestand<br />
„aus den späteren Jahren nur dürftig". Schon die Fußballgesellschaft<br />
1909 kannte sich nur ungenau aus. Akten<br />
aus der Gründungszeit gebe es „nur noch spärlich", war zum<br />
25. Jubiläum 1934 zu lesen, s. Z Nr. 185/24.08.1934. Hz. Bl.<br />
Nr. 193/24.08.1934<br />
25 Festschrift 1957 (wie Anm. 8) S. 10-12. 75 Jahre Fussball-<br />
Club 1907 Hechingen e. V. Hechingen 1982. S. (3). Festschrift<br />
1997 (wie Anm. 8) S. 14.<br />
WILLI RÖßLER<br />
Dreiländereck „Blindloch"<br />
In meiner Eigenschaft als Gaukulturwart des Schwäbischen Albvereins<br />
habe ich die beiden Landkreise Sigmaringen und Tuttlingen<br />
angeregt beim Dreiländereck „Blindloch" an der Straße Buchheim<br />
- Beuren eine Grenztafel aufstellten zu lassen. Sie ist so ausgerichtet,<br />
dass jeweils die Ausschnitte die Grenzlinien der früheren Länder<br />
Baden, Hohenzollern und Württemberg erkennen lassen. Neben<br />
der Grenztafel steht eine Informationstafel mit einem Kartenausschnitt,<br />
die von den Kreisarchivaren Dr. Ewin Weber und Dr.<br />
Hans-Joachim Schuster entwickelt wurden. Gefördert wurde die<br />
Grenztafel vom Naturpark Obere Donau.<br />
Leider ist der Grenzstein nicht mehr vorhanden. Der Grenzpunkt<br />
hegt heute in der Strasse. Früher stand hier auch eine Grenztafel,<br />
wie sie heute noch vor dem Runden Turm in Sigmaringen zu sehen<br />
ist. Dreiländerecken gibt es nicht nur im Bereich der Gemeinde<br />
Ostrach, auch im Westen des Landkreises Sigmaringen sind<br />
Dreiländerecken vorhanden. Im Dreiländereck „Bündloch"<br />
stießen vor 1803 die Herrschaftsgebiete der oberen Grafschaft Hohenberg<br />
mit Fridingen, der Freiherrn von Enzberg mit Buchheim<br />
und des Klosters Beuren zusammen. Die Grenze zwischen der Enzbergischen<br />
und der Klosterherrschaft verläuft vom Dreiländereck<br />
südlich im Blindloch bis ins Liebfrauental, auf diesem Abschnitt<br />
sind noch zwei alte Grenzsteine zu finden mit den Zeichen E (Enzberg)<br />
und B (Beuren). Nach 1810 waren es die württembergische<br />
Gemeinde Fridingen, die badische Gemeinde Buchheim und die<br />
hohenzollerische Gemeinde Beuren, die das Dreiländereck bilde-<br />
45<br />
26 Ludwig Eglers Chronik der Stadt Hechingen. Band I. Bearbeitet<br />
von Walter Sauter und Bruno Ewald Reiser. Hechingen<br />
1980. S. 334. Bearbeiter war letztlich Bruno Ewald Reiser,<br />
der auf die Vorarbeit des 1970 verstorbenen Walter Sauter<br />
zurückgreifen konnte.<br />
27 „Die ersten Vereine hatten allerdings eine kurze Lebensdauer.<br />
Der erste Fußballclub 'Concordia' wurde 1908 aufgelöst,<br />
der 'Fußballclub Hohenzollern 1908' bestand ebenfalls<br />
nur ein Jahr. 1909 wurde die 'Fußballgesellschaft 1909 Hechingen<br />
gegründet, welche [...] als Vorgänger des 'FC 07 Hechingen'<br />
gilt", s. 70 Jahre FV Friedrichstrasse e. V. 1930-<br />
2000. Hechingen 2000. S. 12.<br />
28 Nachweise von Zeitungsartikeln zur Concordia vgl. WALTER<br />
SAUTER (wie Anm. 3) S. 224. Der Index ist nicht vollständig,<br />
weitere Zeitungsberichte zum Beispiel in Hz. Bl. Nr.<br />
107/12.05.1908, 267/23.11.1908, 282/11.12.1908,<br />
289/19-12.1908. Z Nr. 267/23.11.1908. Die Concordia findet<br />
sich auch in der von der Stadtverwaltung am 07.03.1907<br />
angelegten Liste der Hechinger Vereine und in einer Aufzählung<br />
1909 in den <strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern. In der Zeitungsübersicht<br />
werden sowohl die Concordia als auch der<br />
Fußballklub Hohenzollern genannt, s. Stadtarchiv Hechingen,<br />
A200 Reg.-Nr. 6180 Vereine. Hz. Bl. Nr.<br />
29<br />
144/01.07.1909- Die Concordia hatte Ende der 1880er Jahre<br />
einen gleichnamigen Vorgänger, der Tanz-Abende organisierte.<br />
Hz. Bl. Nr. 211/18.09.1909, 216/24.09.1909.<br />
ten. Die Grenztafel zeigt die Verhältnisse zwischen 1806 und 1850.<br />
Nach 1850 tritt an die Stelle Hohenzollerns der Staat Preußen. Die<br />
meisten Grenzsteine weisen in diesem Gebiet die Bezeichnung KP<br />
„Königreich Preußen" auf. 1918 müssen die gekrönten Häupter<br />
Deutschlands abdanken, im Blindloch stoßen nun die Grenzen der<br />
Reichsländer Baden, Württemberg und Preußen zusammen. Nach<br />
dem zweiten Weltkrieg wird Preußen von den alliierten Siegermächten<br />
aufgelöst, bei der Länderneugliederung entsteht zunächst<br />
Südwürttemberg Hohenzollern, 1952 Baden-Württemberg. Im<br />
Blindloch stoßen jetzt die Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen<br />
zusammen; die Landkreise Tuttlingen, Stockach und Sigmaringen.<br />
Nach der Kreisreform 1973 wird der Landkreis Stockach aufgelöst,<br />
die Gemeinde Buchheim kommt zum Landkreis Tuttlingen,<br />
so ist heute das Blindloch die Grenze zwischen den Landkreisen<br />
Sigmaringen und Tuttlingen und Schnittpunkt der Gemeinden Beuren,<br />
Buchheim und Fridingen. Neben der Dreiländergemeinde<br />
Ostrach gibt es auch eine Dreiländer- Verwaltungsgemeinschaft<br />
Fridingen mit Buchheim (früher badisch), Bärenthal (früher hohenzollerisch)<br />
und Fridingen (früher württembergisch).<br />
Zwei weitere Dreiländerecken sind mir bekannt: Ein noch vorhandener<br />
Grenzstein hegt auf einer kleinen Insel in einem alten Donauarm<br />
zwischen der neuen Donautalstrasse L 277 und der Bahnlinie<br />
unterhalb des Eichfelsens. Beim Bahnbau 1890 wurde der<br />
Donauarm abgeschnitten und ein neues Flussbett zwischen Bahnlinie<br />
und Donauhaus geschaffen. Die Grenze zwischen Baden und<br />
Beuren verlief von dort bis St. Maurus in der Donau. Das rechtsseitige<br />
Donauhaus gehörte bis 1973 zur Gemeinde Leibertingen,<br />
heute zu Beuren. Dieses Dreiländereck ist der Schnittpunkt der<br />
früheren Länder Hohenzollern mit Beuron, Württemberg mit Irn-
dorf und Baden mit Leibertingen. Der Zugang ist außerordentlich<br />
beschwerlich, früher verhef die alte Donautalstrasse um das<br />
Käpfle, von dort konnte man den Stein gut sehen. Dieser Weg ist<br />
heute vollkommen verwachsen.<br />
Das dritte Dreiländereck befindet sich im Truppenübungsplatz und<br />
ist nur bei Führungen zugänglich. Hier stoßen die früheren Gemeinden<br />
Heinstetten (Baden), Meßstetten (Württemberg) und<br />
Frohnstetten (Hohenzollern) zusammen. Der Grenzstein von 1604<br />
weist bereits auf frühere Herrschaftsbezirke hin. Heinstetten<br />
gehörte vor 1806 zur Herrschaft Werenwag, Meßstetten war seit<br />
1403 württembergisch und Frohnstetten war dem Damenstift<br />
Buchau gehörig.<br />
Buchbesprechungen<br />
Bärbel Wolf-Gellatly: Johann Wolf, der China-Hannes.<br />
Das Lebensschicksal eines Hettingers,<br />
Biografische Aufzeichnungen aus Kreisen des so genannten kleinen<br />
Mannes müssen zumeist mit der Lupe gesucht werden. Im Bereich<br />
der mittleren Lauchen konnte bisher nur auf den von Erwin Burkarth<br />
in der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> 1955 publizierten Beitrag<br />
mit dem Titel "Was uns Großvaters Wanderbuch erzählt" hingewiesen<br />
werden. Während sich Erwin Burkarth im Wesentlichen mit einer<br />
Inhaltsangabe der Aufzeichnungen des Zimmermannsgesellen<br />
Balthasar Burkarth begnügte, bietet Bärbel Wolf-Gellatly einen<br />
vollständigen Abdruck des Berichts ihres Urgroßvaters Johann<br />
Wolf über dessen Teilnahme an der Niederschlagung des so genannten<br />
Boxeraufstandes in China in den Jahren 1900 bis 1901.Zu<br />
diesem Einsatz hatte sich der 1878 in Hertingen geborene<br />
Schreinergeselle, der seit 1899 in Aachen beim Füsiherregiment<br />
Fürst Karl Anton von Hohenzollern (Hohenzollernsches) Nro. 40<br />
Dienst leistete, aus "Abenteuerlust" als Freiwilliger gemeldet. In<br />
seinem Bericht beschreibt er zunächst die Schiffsreise, die von<br />
Bremerhaven durch das Mittelmeer, den Suezkanal, das Rote Meer,<br />
den Indischen Ozean und das Chinesische Meer nach Tientsin in<br />
Nordchina führte.<br />
Das teilweise recht grausame Kriegsgeschehen beschreibt und bewertet<br />
Johann Wolf aus der Sicht des kleinen Mannes. Mit Interesse<br />
beobachtete er aber auch das Land China, seine Menschen und<br />
seine Gebräuche. So berichtet er, dass in China nur die Männer<br />
Zöpfe tragen. Den Zopf zu verlieren, würde Schimpf und Schande<br />
bedeuten. Er weiß auch davon zu berichten, dass die begüterten<br />
Chinesen der Vielweiberei frönten, wobei die Frauen weitgehend<br />
rechtlos waren. Nach dem Bericht verzehrten die Chinesen auch<br />
Mäuse, Schlangen und Heuschrecken. Faule Eier würden geradezu<br />
als Leckerbissen gelten. Auch die Willkürjustiz der chinesischen<br />
Mandarine blieb ihm nicht verborgen. Malariakrank kehrte Johann<br />
Wolf wieder in seine <strong>Heimat</strong> Hertingen zurück. Nach seiner<br />
Einsetzung als Postagent 1903 in Hertingen gründete er eine Familie.<br />
Im Ersten Weltkrieg wurde Johann Wolf im Westen und dann<br />
im Osten eingesetzt. Gesundheitlich stark angeschlagen starb der<br />
"China-Hannes" bereits 1921 im Alter von erst 42 Jahren. Die Postagentur<br />
und der damit verbundene Gemischtwarenladen wurden<br />
zunächst von seiner Witwe Katharina und dann von seinem Sohn<br />
weitergeführt. Karl Wolf gab die Postagentur 1955 und den Gemischtwarenladen<br />
1967 ab.<br />
46<br />
Der Grenzstein von<br />
1604 markiert das<br />
Dreiländereck Baden<br />
(Gemeinde<br />
Heinstetten), Württemberg(Meßstetten)<br />
und Hohenzollern<br />
(Frohnstetten)<br />
Mit der Geschichte von Johann Wolf und seiner Nachkommenschaft<br />
ließ es die Bearbeiterin nicht bewenden. Sie steuerte ihrem<br />
Buch auch noch eine Stammtafel der Familie Wolf vom 18. Jahrhundert<br />
bis in die Gegenwart bei. Im Zusammenhang mit der Postagentur<br />
wird ferner eine Darstellung der Hettinger Postgeschichte<br />
geboten. Die Ausführungen werden außerdem mit einer Vielzahl<br />
von eindrucksvollen Bilddokumenten illustriert. Es soll hier vor allem<br />
auf die darin enthaltenen Abbildungen von illustrierten Postkarten,<br />
von Orden und von Andenken des China-Hannes, aber<br />
auch von Famihenfotos und Ansichten von Hertingen hingewiesen<br />
werden.<br />
Die bemerkenswerte Veröffentlichung kann zum Preis von 32,90<br />
Euro zzgl. 1,40 Euro Porto bei Frau Bärbel Wolf-Gellaüy, Hainbuchenweg<br />
6, 72488 Sigmaringen (Tel. 07571/684114), bezogen<br />
werden.<br />
Sigmaringen 2006. 136 S. und 1 Falttafel mit zahlreichen Abb.,<br />
zumeist in Farbe (Bk)<br />
Manfred Mai und Roland Single:<br />
Em Durchschnitt semmer guat<br />
Der Winterlinger Manfred Mai hat sich als Kinder- und Jugendbuchautor<br />
einen Namen gemacht. In Roland Single, ebenfalls ein<br />
Winterhnger und unweit von Mai wohnend, hat er einen Partner<br />
gefunden, der sich mit seinem Können, gepaart mit hintergründigem<br />
Humor, in der Reihe der schwäbischen <strong>Heimat</strong>dichter nicht<br />
verstecken muss. Die beiden haben zusammen das hundertseitige<br />
Büchlein „Em Durchschnitt semmer guat- Schwäbisch dichtet auf<br />
dr Alb" verfasst. In ihren Gedichten und kurzen Erzählungen zeigt<br />
sich, dass sie es verstehen, dem Volk aufs Maul zu schauen und<br />
dann so wiederzugeben, dass der Leser tiefe und amüsante Einblicke<br />
in die schwäbische Seelenlandschaft erhält. Der Mundartband<br />
ist im Tübinger Silberburg-Verlag erschienen und kostet 9,90<br />
Euro. ISBN: 978-3-87407-742-2. (ba)<br />
Rainer Fieselmann: Südwestalb<br />
Der Tübinger Silberburg-Verlag legte mit dem hundertseitigen<br />
Bildband „Südwestalb" ein Werk vor, in dem der Fotograf Rainer<br />
Fieselmann mit 99 prächtigen Farbaufnahmen die Schönheit unserer<br />
schwäbischen Landschaft eindrucksvoll präsentiert und viel<br />
Raum auch der hohenzollerischen <strong>Heimat</strong> widmet. Die Bilderreise<br />
beginnt in Trochtelfingen und führt hinunter durch das Laucherttal.<br />
Weitere Stationen sind unter anderem Mengen, Scheer und Sigmaringen.<br />
Dann geht es hoch zum Heuberg, in die Landschaft rund<br />
um Tuttlingen und ins Donautal. Die Verschiedenartigkeit der ein-
zelnen Regionen wird deutlich, das Betrachten der Fotos weckt<br />
Lust zu Ausflügen und Entdeckungsreisen. Der Reutlinger Journalist<br />
Wolfgang Alber gibt am Ende des Bandes eine zweiseitige Beschreibung<br />
der Südwestalb. Diese Zeilen und auch die kurzen Büdunterschriften<br />
sind dreisprachig gehalten (deutsch, englisch,<br />
französisch). Der Bildband ist ein ideales Souvenir für Besucher<br />
und Touristen, die ein .Andenken" mit nach Hause nehmen wollen,<br />
aber auch der in der Südwestalb Beheimatete dürfte Freude an den<br />
gelungenen Fotos haben (ISBN: 978-3-87407-736-1; 17,90 Euro).<br />
(ba)<br />
Württembegische und hohenzollerische Biographien<br />
Am 27. April 2007 wurde im Großen Sitzungssaal des Tübinger<br />
Rathauses der erste Band der "Württembergischen Biographien<br />
unter Einbeziehung hohenzollerischer Persönlichkeiten" der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt. In der auf insgesamt fünf Bände geplanten<br />
Reihe der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-<br />
Württemberg mit Sitz in Stuttgart sollen Persönlichkeiten aus Württemberg,<br />
aber auch aus Hohenzollern beschrieben und bewertet<br />
werden, die im Zeitraum zwischen 1918 bis 1952, dem Jahr der<br />
Bildung des Südweststaates Baden-Württemberg, gestorben sind.<br />
Der vorgelegte Band der Reihe enthält insgesamt 179 Lebensbeschreibungen;<br />
13 Biographien davon sind Persönlichkeiten gewidmet,<br />
die aus Hohenzollern stammen oder dort wesentliche Jahre<br />
ihres Lebens und Schaffens verbracht haben.<br />
Beigesteuert hat Ines Mayer aus Bisingen Lebensbeschreibungen<br />
der jüdischen Mitbürger Paul Levi, Moritz Meyer und Leon<br />
HERBERT RÄDLE<br />
Eine Heiligenberger Wappenscheibe<br />
der Gräfin Apollonia von Zimmern<br />
zu Meßkirch, geborene von Henneberg<br />
Zu den Schätzen der Fürstenberg-Sammlungen auf Schloß Heiligenberg<br />
gehört auch eine prachtvolle Wappenscheibe der Gräfin<br />
Apollonia von Zimmern, geb. von Henneberg, Gattin des Grafen<br />
Gottfried Werner von Zimmern.<br />
Apollonia von Henneberg war seit Mitte der 30er Jahre mit Graf<br />
Gottfried Werner von Zimmern, Herrn zu Wildenstein und<br />
Meßkirch, verheiratet: die beiden sind bereits auf den Seitenflügeln<br />
des Wildensteiner Altars von 1536 als Stifterehepaar dargestellt.<br />
Gottfried Werner von Zimmern (1484-1554) war es, der die<br />
Pfarrkirche St. Martin in Meßkirch erbaute, wo noch heute ein<br />
großes Bronze-Epitaph an ihn erinnert. Bekannt geworden ist er<br />
vor allem als der große Föderer des Meisters von Meßkirch, welcher<br />
die Kirche St. Martin in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts<br />
mit zahlreichen Altären ausstattete, von denen freilich nur noch<br />
der "Dreikönigsaltar", einst Hochaltar, bis heute als Seitenaltar in<br />
der Kirche verbheben ist.<br />
Was andererseits Apollonia von Henneberg betrifft, deren obengenanntes<br />
Wappen unsere Abb. 1 zeigt, so entstammte sie dem hochangesehenen<br />
Adelsgeschlecht der Henneberger. Als deren Stammvater<br />
gilt Graf Poppo I. aus dem Geschlecht der Babenberger, welcher<br />
sich erstmals 1037 nach seiner Burg Henneberg (bei Meiningen)<br />
nannte 1 . Einer der bedeutendsten Angehörigen dieses Geschlechts<br />
war zu Beginn der Neuzeit der Mainzer Erzbischof<br />
Berthold von Henneberg (1481-1504), der als Erzkanzler des Rei-<br />
47<br />
Schmalzbach. Karl Werner Steim verfasste Biographien von dem<br />
vom Nazi-Regime verfolgten Pfarrer Franz Schach, von Pfarrer Wühelm<br />
Sickinger und von Karl Waldner, ehemals Rektor des Fideliskonvikts<br />
in Sigmaringen. Monika Spiller handelte über den Hofmaler<br />
Gustav Bregenzer. Über den Architekten und Landeskonservator<br />
Wilhelm Friedrich Laur schrieb Franz-Severin Gäßler. Die Lebensbeschreibungen<br />
von Erzabt Ildefons Schober und Pater Sebastian<br />
von Oer von Beuron übernahm Sr. Johanna Buschmann, Rietberg.<br />
Den Artikel über den in Gorheim beigesetzten ehemaligen<br />
Generalminister des Franziskanerordens und Titularerzbischof von<br />
Nazianz, Dionysius Schuler, schrieb Karl Suso Frank.<br />
Otto H. Becker schließlich steuerte in dem Band Lebensbeschreibungen<br />
von Studienrat Cyriakus Grünewald, der zeitweise Vorsitzender<br />
des Vereins für Geschichte, Kultur und Landeskunde Hohenzollerns<br />
und kommissarischer Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen<br />
war, sowie von Gustav Hebeisen, Direktor der Fürstlichen<br />
Sammlungen, des Archivs und der Bibliothek in Sigmaringen und<br />
Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in<br />
Hohenzollern, bei. Weitere Biographien hohenzollerischer Persönlichkeiten<br />
werden in den folgenden Bänden erscheinen. Mit<br />
diesem Projekt leistet die Kommission für geschichtliche Landeskunde<br />
in Baden-Württemberg unter der Mitarbeit von Forschern<br />
aus dem Hohenzollernland auch einen wichtigen Beitrag zur weiteren<br />
Erschließung der hohenzollerischen Geschichte.<br />
(Bk)<br />
ches maßgeblichen Einfluß auf den jungen König und Kaiser Maximilian<br />
I. ausübte.<br />
Die in der Überschrift genannte Wappenscheibe zeigt in einem von<br />
reichem Schweifwerk gerahmten Oval das gevierte Wappen der<br />
Apollonia von Henneberg mit den Emblemen Säule und Hahn (welche<br />
Stärke und Wachsamkeit symbolisieren). Inschrift, Signatur<br />
und Jahreszahl fehlen. Die dreidimensional sich gegenseitig durchdringenden<br />
Roll- und Beschlagwerkformen sind, wie wir sehen,<br />
mit figürlichen, tierischen und vegetabüen Motiven besetzt. Die<br />
Farbgebung in Gold, Rot und Blau macht einen vornehmen und<br />
zurückhaltenden Eindruck.<br />
Die Scheibe dürfte in Basel oder Schaföiausen in der Zeit um<br />
1570/80 entstanden sein. Ihre Gestaltung erinnert nach Ansicht<br />
von Fachleuten an ähnliche dort entstandene Arbeiten, denen niederländische<br />
Ornamentstiche zugrundehegen.<br />
Zum Schluß noch eine generelle Bemerkung! Die Gepflogenheit,<br />
Wappenscheiben anfertigen zu lassen und sie gegenseitig auszutauschen<br />
war im 16. Jh. ein weit verbreiteter Brauch geworden,<br />
nicht nur in Adelskreisen, sondern auch beim wohlhabenden städtischen<br />
Bürgertum und sogar bei Klöstern. Durch gegenseitiges<br />
Schenken von Wappen- oder Kabinettscheiben, wollte man demonstrieren,<br />
wie weit die eigenen Verbindungen reichten, mit welchen<br />
anderen Familien, Fürsten, Städten oder Klöstern man in<br />
freundschaftlichen oder politischen Beziehungen stand.<br />
ANMERKUNG<br />
1 So Gerhard Taddey, Lexikon der deutschen Geschichte, Stuttgart<br />
(Kröner) 1983, s.v. Henneberg
Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3,72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAI<br />
herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />
72486 Sigmaringen<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />
eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern<br />
und den angrenzenden Landesteilen mit der<br />
Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />
bringt neben fachhistorischen auch populär gehaltene<br />
Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
ist der Bezugspreis im Beitrag<br />
enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
€ 11,-. Abonnements und Einzelnummern können<br />
beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
Die Autoren dieser Nummer<br />
Gerd Bantle<br />
Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Otto H.Becker<br />
Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Ulrich Feldhahn<br />
Klausener Platz22,14059 Berlin<br />
Dr. Herbert Rädle<br />
Veit-Jung-Straße 13 a, 92318Neumarkt<br />
Willi Rößler<br />
Am Schönenberg 7, 72488 Sigmaringen<br />
Jürgen Scheff<br />
Im Raidental 66, 72458Albstadt<br />
Josef Schneider<br />
Heiligkreuzstraße 16, 72401 Haigerloch-Gruol<br />
RolfVogt<br />
Marktplatz 6, 72379 Hechingen<br />
Dr. Edwin Emst Weber<br />
Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />
Friedrich R. Wollmershäuser<br />
Herrengasse 8-10, 89610 Oberdiscbingen<br />
48<br />
Abb. 1: Wappenscheibe der Apollonia von Henneberg,<br />
Gattin Graf Gottfried Werners von Zimmern (1484-<br />
1554), Basel oder Straßburg um 1570/80. Hüttengläser,<br />
rotes Überfangglas, Schwarzlot, Silbergelb, blaue<br />
Schmelzfarbe, Höbe 46 cm, Breite 34 cm. Schloß Heiligenberg,<br />
Fürstlich Fürstenbergische Sammlungen. Bildnachweis:<br />
Ausstellungskatalog Die Renaissance im<br />
deutschen Südwesten, Karlsruhe 1986, Band 1, S. 286<br />
Gesamtherstellung:<br />
Druckerei Acker GmbH,<br />
Mittelberg 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon (07574) 9301-0,Fax9301-30<br />
info @druckerei-acker. de<br />
www.druckerei-acker.de<br />
Schriftleitung:<br />
Robert Frank<br />
Miederstraße 8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />
Tel.: (07474) 2161, robertgfrank@web.de<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />
Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />
als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />
an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />
<strong>Heimat</strong>« weiterzuempfehlen.
<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />
Herausgegeben vom ^ ^ H <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
57. Jahrgang ^ ^ ^ ^ ^ Nr. 3 - September 2007 E 3828<br />
Blick über den Weiher des Prinzengartens in Sigmaringen entlang der im März 2007 wieder freigelegten Sichtachse<br />
auf Prinzenbau und Schloss. Unter dem damaligen Erbprinzen Leopold (1835-1905) wurde in den siebziger Jahren<br />
des 19. Jahrhunderts die Fassade des Neuen Prinzenbaus durch den Hofkammerbaurat Josef Laur (1817-1886) neu<br />
gestaltet und bekam der Prinzengarten seine noch heute erkennbare Struktur durch den Gartendirektor Heinrich<br />
Grube (1840-1907). Foto: F.-S. Gäßler, März 2007
FRANZ-SEVERIN GÄßLER<br />
Integration der Gegensätze - vom Wesen<br />
des Sigmaringer Prinzengartens 1<br />
Jahrzehntelang verharrte der Sigmaringer Prinzengarten, ein ungefähr<br />
sieben Hektar großer Park im Zentrum der Stadt, im Dornröschenschlaf.<br />
Längst aufgegeben ist jene botanische Pracht, die ihn<br />
einstmals auszeichnete und die auf alten Aufnahmen noch zu sehen<br />
ist (Abb. 1.) Wildnis hatte sich über ihn gelegt und bot Gelegenheit<br />
für jene, die danach trachteten, Flächen aus seinem Areal als Verfügungsmasse<br />
für Straßen und Parkplätze zu rauben 2 . Glücklicherweise<br />
einigten sich Fürstenhaus und Stadt im September 2006,<br />
dem Prinzengarten im Rahmen der Kleinen Landesgartenschau<br />
2013 seine überlieferte Gestalt wieder zurückzugeben'.<br />
Abb. 1: Blick vom Oberen Parterre des Prinzengartens nach<br />
Südosten in den Landschaftspark um 1875. Vorlage: Pürstl.<br />
Hohenz. Sammlungen Sigmaringen<br />
Ideen für die Nutzung des Prinzengartens gibt es viele, und unterschiedliche<br />
Aspekte eröffnen unterschiedliche Fragen. Wäre es<br />
beispielsweise nicht sinnvoll, die ehemals domestizierte Natur sich<br />
selbst zu überlassen, oder Freizeiteinrichtungen unterzubringen -<br />
Kinderspielplatz, Bolzplatz, Cafe -, vielleicht doch den einen oder<br />
anderen Teil verkehrhch oder für Wohn- oder Dienstleistungszwecke<br />
zu nutzen und an anderer Stelle einen Ausgleich zu suchen?<br />
Wege und Wiesen, Bäume und Sträucher, Wasser, Mauern und Felsen<br />
sind auch an anderer Stelle zu finden. Spricht überhaupt etwas<br />
dafür, Gestalt und Funktion des Prinzengartens, wie sie uns überliefert<br />
sind, zu bewahren?<br />
Der Prinzengarten besitzt noch immer eine Gestalt, die aus prägnanten<br />
Teilen gefügt ist. Von Beginn an diente er sowohl der Erholung<br />
als auch der Repräsentation. Zudem ist er ein Denkmal, und<br />
er ist untrennbar mit dem Prinzenbau und dessen Geschichte verbunden.<br />
Denn Garten und Gebäude des Neuen Prinzenbaus sind im<br />
19. Jahrhundert als Stadtresidenz des Erbprinzen entstanden. Sie<br />
bilden eine Einheit: Der Garten wäre nicht ohne das erbprinzliche<br />
Stadtschloss angelegt und der Neue Prinzenbau nicht ohne den<br />
Prinzengarten errichtet worden. Beide haben sich gegenseitig bedingt.<br />
Und wie den Fassaden des Prinzenbaus ist auch dem Prinzengarten<br />
in den siebziger Jahren des 19- Jahrhunderts eine für<br />
jene Zeit typische Gestalt gegeben worden 4 . Gebäude und Garten<br />
sind Teil eines Gesamtkunstwerks, das die Hohenzollern bis zum<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts aus Stadt und Landschaft formten.<br />
Und zugleich sind Prinzengarten und Prinzenbau geschichtüche<br />
50<br />
Zeugnisse, ohne die weder Gestalt noch Gefüge der Stadt verständlich<br />
sind.<br />
Den Prinzengarten kennen zu lernen, sich auf ihn einzulassen, mit<br />
ihm vertraut zu werden und schließlich achtsam mit ihm umzugehen,<br />
kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Wann diese Anlage<br />
geschaffen wurde und von wem, welche Bäume und Sträucher dort<br />
vorhanden sind, wo und welche blühenden Stauden ihre Pracht<br />
entfalteten und welchen Tieren er Lebensraum bietet, in welchem<br />
historischen und kunsthistorischen Kontext der Garten steht, kann<br />
beispielsweise gefragt werden, um seinen Wert kennen und schätzen<br />
zu lernen. Zuallererst ist der Prinzengarten jedoch ein sinnlich<br />
wahrnehmbares Werk. Wenn wir uns auf die ursprüngliche Intention<br />
der Gartengestalt (Abb. 2) konzentrieren, darauf, wie die<br />
Flächen und Räume geformt, wie die Wege geführt und die Gehölze<br />
angeordnet sind, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass das,<br />
was wir sehen und hören, spüren und riechen, nicht willkürlich<br />
angelegt, sondern gezielt geschaffen, gestaltet und zu einer Einheit<br />
gefügt wurde. Und so stellt sich die Frage, wenn es denn ein Kunstwerk<br />
ist, wie es in sich gefügt und geschaffen ist, ob es Gestaltungsprinzipien<br />
oder Merkmale gibt, die sich wie ein roter Faden<br />
durch die Anlage ziehen, und was uns dann schließlich das Werk<br />
eröffnet und erfahren lässt.<br />
Besonders überraschend ist der erste Eindruck, wenn man den<br />
Prinzengarten durch die Vorhalle zwischen Altem und Neuem Prinzenbau<br />
betritt, weil hier der Übergang von einer Welt in die andere<br />
kontrastreicher nicht sein könnte. Mit einem Bein fast noch in der<br />
Stadt stehend, ist das Auge beim Öffnen des Durchfahrtstores bereits<br />
auf den Garten hin ausgerichtet. Schon hegt der Leopoldplatz<br />
im Rücken, jener Ort an dem sich die steinerne Stadt mit ihrem geschäftigen<br />
Treiben und dem lärmenden und abgasreichen Verkehr,<br />
mit der prägnanten Platzform und den repräsentativen Gebäuden,<br />
verdichtet; und dem vorwärts gerichteten Bhck bietet sich bereits<br />
die geformte Flora. Ruhig liegt der Garten da mit seinen Düften,<br />
den fein differenzierten Farbtönen, den leisen und subtilen Geräuschen.<br />
Bisweilen versinkt er in Stille. Zwei völlig unterschiedliche<br />
Welten, Gegensätze sind es, die hier fast unmittelbar aufeinandertreffen<br />
und im Kontrast zueinander stehen. Und treten wir vom<br />
Prinzenbau aus in den Garten, erkennen wir auch hier unterschiedliche<br />
Bereiche, die wiederum Gegensätze bilden. Denn im<br />
unmittelbaren Umfeld des Prinzenbaus, im Bereich der Parterre-<br />
Anlagen, ist der Garten geometrisch geformt; ansonsten ist er landschaftlich<br />
geprägt bis auf die Allee. Mit ihrer streng geometrischen<br />
Form und der rhythmischen Abfolge der Bäume bildet die Allee einen<br />
weiteren eigenständigen Bereich in dieser Anlage 5 . Und<br />
während das Auge vom oberen Parterre aus Gestalt und Grenzen<br />
des geometrisch geformten Teils genau zu erfassen vermag, bleiben<br />
diejenigen des Landschaftsparks in ihrer Gesamtheit dem<br />
Bhck entzogen. Hier, im geometrischenTeil, ist das Wasser durch<br />
die kreisrunde Linie des Beckens oder der Schale in eine künstliche<br />
Form gefasst; dort, im Landschaftsgarten, bleibt der Umriss des<br />
Wassers, die unregelmäßig verlaufende Uferlinie, dem Natürlichen<br />
verhaftet. Auch die Flächen der Wege und des Rasens, ja sogar die<br />
Rabatten für das Arrangement der blühenden Stauden und Gehölze<br />
sind bei den Parterre-Anlagen der Geraden, dem rechten Winkel<br />
und dem Kreisbogen untergeordnet gewesen. Blühende Stauden<br />
und Gehölze standen im Kontrast zu penibel gepflegten Rasenflächen<br />
und beschnittenen Büschen in geometrisch geformter Gestalt,<br />
wie beispielsweise den Buxuskugeln (Abb. 3). Vom oberen<br />
Parterre aus erschließt sich der Bhck nicht nur die Nähe, der Bhck<br />
schweift auch in die Ferne - über den ausgedehnten Wiesengrund
Mitteilungen<br />
aus dem<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong><br />
I. Veranstaltungen im 4. Quartal 2007<br />
I. Vortragsveranstaltung<br />
Im Anschluss an die erfolgreiche Ausstellung „Adel im Wandel" veranstaltet<br />
der <strong>Geschichtsverein</strong> am 13. Oktober in der renovierten und sanierten<br />
„Villa Eugenia" in Hechingen ein Kolloquium über das Thema<br />
Von Achberg bis Glatt. Zur Umwidmung herrschaftlicher<br />
Schlösser und Landhäuser in Hohenzollern..<br />
In den letzten Jahrzehnten wurden die meisten herrschaftlichen Sitze<br />
in Hohenzollern an Privatleute und öffentlche Körperschaften veräußert,<br />
saniert und neuen, oft ganz unterschiedlichen Nutzungen zugeführt.<br />
Diese Umwandlung soll in den angebotenen Kurzvorträgen im<br />
Einzelnen dargestellt und auch bewertet werden.<br />
Programm:<br />
9.30 Uhr Dr. Otto H. Becker, Sigmaringen<br />
Begrüßung<br />
9.30 - 9.50 Uhr Dr. Otto H. Becker, Sigmaringen<br />
Schloss Hohenfels<br />
10.00 - 10.40 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber, Inzigkofen<br />
Schloss und Kloster Inzigkofen<br />
10.50- 11.10 Uhr Georg Loges, Hertingen<br />
Schloss Hettingen<br />
II.20- 11.40 Uhr Kai Sprenger M.A„ Ravensburg<br />
Schloss Achberg<br />
11.50 - 12.30 Uhr Uwe A. Oster M.A., Hechingen<br />
Schloss Lindich und Villa Eugenia<br />
12.40 - 14.00 Uhr Mittagspause<br />
14.00 - 14.30 Uhr Thomas Jauch M.A., Hechingen<br />
Altes und Neues Schloss Hechingen<br />
14.40 - 15.00 Uhr Dr. Ralf Laschimke, Straßberg<br />
Burg Strassberg<br />
15.10- 15.30 Uhr Dr. Andreas Zekorn, Balingen<br />
Schloss Haigerloch<br />
15.40 - 16.00 Uhr Bernhard Rüth, Rottweil<br />
Schloss Glatt<br />
Anschließend Schlussdiskussion und Verabschiedung<br />
Anmeldungen zu dieser Veranstaltung sind nicht erforderlich. Den interessierten<br />
Vereinsmitgliedern wird jedoch empfohlen, sich wegen begrenzter<br />
Raumverhältnisse rechtzeitig in der Villa Eugenia einzufinden.<br />
des Landschaftsparks und die Allee hinweg auf jene Höhen, die das<br />
Donautal begrenzen. Von hier aus bindet der Blick Vorder- und<br />
Hintergrund zusammen, die kontrastreich gegeneinander abgegrenzt<br />
sind.<br />
Beim Oberen Parterre bildet die balusterbesetzte Brüstung auf der<br />
Terrassenmauer die Grenze, beim Unteren Parterre sind es neben<br />
der Mauer die aus Geraden und Halbkreisen geformten Wege und<br />
Rabatten, die den Bereich der Parterre-Anlagen vom landschaftlich<br />
geprägten Teil abgrenzen. Bereits die Namen der beiden Parterre-<br />
Anlagen sagen schon etwas über ihre Lage und Verschiedenheit<br />
aus. Oben und Unten sind eindeutig voneinander geschieden -<br />
durch Mauer und Böschung. Und bezeichnenderweise wurde der<br />
überdachte Sitzplatz, der in seiner Funktion als schattenspendender<br />
Rückzugsort für die Hofgesellschaft in zahlreichen Fotografien<br />
dokumentiert ist, auf dem oberen Parterre angelegt und immer<br />
dort, wo Oben und Unten von zwei Seiten her am sichtbarsten ge-<br />
51<br />
2. Einzelvortrag<br />
Dr. Andreas Zekorn<br />
Von der Zensur zur Gleichschaltung. Presse in<br />
Hohenzollern 1808 -1945<br />
Montag, 19. November, um 20 Uhr im Prinzenbau (Staatsarchiv) in<br />
Sigmaringen. Wiederholung des Vortrags, den der Referent im April<br />
in Hechingen gehalten hat.<br />
3.Führungen<br />
Dr. Otto H. Becker<br />
Führung auf dem Hedinger Friedhof in Sigmaringen<br />
Samstag, 27. Oktober, und Samstag, 10. November. - Treffpunkt:<br />
14.30 Uhr am oberen Eingang Friedhofstraße<br />
Zusammen mit dem Kreiskulturforum Sigmaringen<br />
II. Hinweise<br />
Ausstellungen in Hohenzollern<br />
Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der Leipziger<br />
Straße, fotografiert von Julius Braatz<br />
Staatsarchiv Sigmaringen (nähere Informationen HH 57, 2007. S. 4)<br />
Evangelische Kirche in Hohenzollern. 150Jahre<br />
Johanneskirche in Hechingen<br />
Vom 16. September bis 2. Dezember im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum<br />
in Hechingen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 14.00<br />
bis 17.00 Uhr, Sonn-und Feiertage 10.00 bis 17.00 Uhr<br />
Historische Adventskalender aus der Sammlung Esther Gajek<br />
Vom 9. Dezember 2007 bis 10. Februar 2008 im <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Landesmuseum in Hechingen. Öffnungszeiten: Wie in der Ausstellung<br />
im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum davor<br />
Lesungen im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />
...sei 1000 mal innig gegrüßt und geküßt<br />
Sonntag, 7. Oktober, um 18.00 Uhr mit Gebhard Füßler und Corinna<br />
Knobloch<br />
Gute Kost am Lakaientisch<br />
Sonntag, 9- Dezember, um 18 Uhr mit Sibylle Brühl, Birgit Meyenberg<br />
und Volker Trugenberger<br />
gez. Dr. Otto H. Becker, Vorsitzender<br />
schieden waren und auch das Vorne und Hinten: direkt an der Terrassenmauer,<br />
entweder in der Achse des Oberen Parterres, direkt<br />
über der Grottenarchitektur, oder an der nordöstlichen Mauerkante''.<br />
Denn hohes Gehölz schirmte diesen Ort nach Norden hin,<br />
gegen Reithalle und Marstall hin ab. An kaum einer anderen Stelle<br />
des Prinzengartens, dessen Zugang von Osten und von Süden her<br />
wohl bis zum Ende des Kaiserreichs durch keinen Zaun geschützt<br />
war, konnte der gesellschaftliche Rang, der Gegensatz zwischen<br />
Adel und Bürger und die damit verbundene Distanz so ausgeprägt<br />
und kontrastreich dargestellt werden, wie an dieser Stelle. Es war<br />
ein intimer Ort, der einerseits abgeschirmt war und doch zugleich<br />
den Blick nach Südosten, in die Weite des landschaftlich geprägten<br />
Gartenteils und darüber hinaus in die Landschaft jenseits des Gartens<br />
und der Donau zuließ.<br />
Im Landschaftspark wechseln sich enge Räume mit weiten Räumen<br />
und helle Zonen mit dunklen Bereichen ab. Als Blickfang steht ein
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21 Fö'Rfrp. MAl/^OPFl/M / FRPÖfFKKIRCHF HFPiNGFN<br />
F*. GAffPFR, 7/Z006<br />
MFI£f\<br />
Abb. 2:<br />
Lageplm des Prinzengartens mit dem Bestand von 1934; Umzeichnung nach dem von Frick gefertigten Plan (StAS, Dep. 39, P 71)<br />
52
Baum bald licht vor schattigem Grund, bald ist es umgekehrt, und<br />
die Umrisse des im Dunkeln stehenden Gehölzes heben sich ab<br />
vom hell leuchtenden Laub im Hintergrund. Im Park sind Bäume<br />
mit glatter Rinde neben solche mit stark rissiger Borke gesetzt. Und<br />
Blätter mit geschlossener Form und weichem, fließendem Rand<br />
stehen im Kontrast zu solchen mit fingerförmig aufgebrochener<br />
Kontur. Umgeben von Laubbäumen setzen dann vereinzelt Koniferen<br />
Akzente durch ihre andersartige Gestalt und Farbe - oder<br />
Gehölze, deren Blattfarbe sich von derjenigen anderer Bäume abhebt,<br />
wie jene Blutbuche nahe des Weihers, die bis zum Sommer<br />
2001 die Zäsur zweier unterschiedlicher Räume pointiert hervorhob:<br />
Das Dunkel der meist im Schatten hegenden steilen Nordund<br />
Osthänge verstärken die dort gehäuft stehenden Koniferen und<br />
bilden kontrastreiches Gegenüber zum helleren Gehölzsaum.<br />
Abb. 3: Blick vom Unteren Parterre auf die Terrassenmauer<br />
und die Fassade des Neuen Prinzenbaus um 1900. Vorlage:<br />
Fürstl. Hohenz. Sammlungen Sigmaringen<br />
In der Bewegung eröffnen sich dem Wandelnden ständig neue Bilder.<br />
Und auch für den Ruhenden bleiben die Szenen nicht statisch.<br />
Denn unaufhaltsam wandelt der Lauf der Sonne die Erscheinung<br />
der einzelnen Szenen. Und Wind und Wolken beleben die Bilder<br />
auf ihre Weise. Wer aufmerksam dem Winde lauscht, wird bald erstaunt<br />
sein, welch Unterschiede wahrzunehmen sind unter Ahorn<br />
und Buche, Linde oder Eiche. Bald erfüllt ein leises Zittern der<br />
Blätter die Luft, bald fährt der Wind durch tanzendes Geäst und<br />
entlockt dem Gehölz ein kräftiges Rascheln.<br />
Die Wege führen an der Peripherie der großen Freiräume entlang<br />
und verschwinden immer wieder hinter Büschen. Oder sie queren<br />
die Freiräume und die Sichtachsen, die den Blick lenken und auf<br />
ausgewählte Objekte richten. Immer wieder kommen auf diese<br />
Weise Prinzenbau und Schloss ins Blickfeld (Abb. 4), aber auch<br />
einzeln stehende Bäume oder die Kuppel der Hedinger Erlöserkirche.<br />
Und zugleich führen die Sichtachsen nah und fern zusammen.<br />
In der Regel sind die Wege im landschaftlich geprägten Teil so gelegt,<br />
dass der Blick von ihnen aus in die Tiefe des Raumes zu<br />
schweifen vermag, und die Distanz des Raumes vor Augen liegt.<br />
Eher selten fallen Gehrichtung und Blickrichtung zusammen, wie<br />
dies besonders im südhchen Teil des Landschaftsgartens der Fall<br />
ist. Dort taucht beispielsweise an verschiedenen Stellen in der Gehrichtung<br />
der Kuppelbau der Hedinger Kirche auf, der sich über der<br />
fürstlichen Gruft erhebt. Und ist dann doch die Richtung ein kurzes<br />
Stück gemeinsam, fängt der Weg an, sich sanft zu krümmen,<br />
und eh man sich gelenkt versieht, wird zunächst der Fuß und<br />
schließlich auch das Auge in eine andere Richtung geleitet - oder<br />
53<br />
der Weg führt nach unten und das nahende Gehölz entzieht die Architektur<br />
dem Blick. Was im Augenbhck gegenwärtig ist, ist einen<br />
Schritt weiter bereits Vergangenheit und weicht dem neu Erspähtem,<br />
dem sich neu Eröffnenden, neuen Szenen. Dann gabelt sich<br />
plötzhch der Weg, und die Entscheidung ist gefordert, links oder<br />
rechts zu gehen - oder auch umzukehren.<br />
Abb. 4: Blick über den Weiher, dem zentralen Element des landschaftlich<br />
geprägten Gartenteils, in nordwestliche Richtung<br />
entlang der im März 2007 wieder freigelegten Sichtachse mit<br />
Prinzenbau und Schloss. Foto: F.-S. Gäßler, März2007<br />
Beim Weiher sind die Gegensatzpaare gehäuft anzutreffen. Auf<br />
Himmel und Erde treffen wir, auf Land und Wasser. Das Fließende<br />
und das leicht zu Bewegende des Wassers steht der Dauerhaftigkeit,<br />
der Unbeweglichkeit und der Härte des Felsens gegenüber,<br />
die der Zeit zu trotzen scheinen. Und in ähnlicher Weise stehen<br />
sich Biegsames und Sperriges gegenüber: Gras, das sich dem Tritt<br />
des Fußes beugt, dem Gehölz, das den Schritt hemmt. Die ebene<br />
Fläche steht im Kontrast zur Böschung und die sanft ausschwingenden<br />
Hänge zum schroff abfallenden Fels. Wie auch andernorts<br />
zu sehen - möchte man einwenden. Und doch sind die einzelnen<br />
Elemente in ihrer unterschiedlichen Wesensart auf kleinem Raum<br />
so zueinander gefügt, dass sich in ihnen Grunderfahrungen widerspiegeln<br />
können: Kein Weg führt zwischen Fels und Wasser entlang;<br />
steil bricht der Fels ab ins Wasser und ist dem Zugriff des Betrachters<br />
entzogen. Wie so manches im Leben bleibt er unerreichbar.<br />
Noch auf festem Grund stehend, bringt einen Schritt weiter das<br />
Bodenlose die unüberwindbare Distanz und hemmt den Fuß, nach<br />
vorne, dorthin zu treten, wo der Grund nicht mehr sichtbar ist und<br />
unter der spiegelnden Oberfläche des Wassers verschwindet. Der<br />
Bhck unter die Oberfläche ist verwehrt; mit bloßem Auge ist die<br />
Tiefe nicht auszuloten. Erreichbares und dem Zugriff Entzogenes<br />
nimmt das Auge wahr. Derart gibt es Bereiche, die bestimmten Sinnen<br />
verschlossen bleiben - das Rätselhafte existiert neben der ver-
meintlich erfassbaren Welt. Und mit der Spiegelung treffen Wirk-<br />
lichkeit und Schein aufeinander. Vielleicht das Faszinierendste<br />
überhaupt im Park, weil die Welt hier umgekehrt erscheinen darf,<br />
Ding und Werk unvermittelt doppelt auftauchen, in ihrer Dimension<br />
um das Doppelte gesteigert sind (Abb. 5), und in derselben<br />
horizontalen Ebene neben dem dunklen Grund plötzlich die Lichte<br />
des Himmels zu sehen ist und bisweilen die Naht zwischen Wirklichkeit<br />
und Schein entschwindet und nicht mehr zu erkennen ist,<br />
wo Reales ist und wo der Schein beginnt. Während Teile des Objekts<br />
vom Geäst und Laub der Bäume verdeckt werden, eröffnet das<br />
Spiegelbild den Bhck auf das, was dem direkten Bück entzogen ist<br />
(Abb. 6). Ist die Luft einmal unbewegt und lässt die Oberfläche des<br />
Wassers still daliegen, zeigt sich das Spiegelbild unverzerrt. Den<br />
Augenblick zu erhaschen, da dies der Fall ist, gilt es abzuwarten.<br />
Zeit und Geduld sind gefordert - wie so oft im Leben.<br />
Abb. 5: Blick über den Weiher auf die Felspartien im Sigmaringer<br />
Prinzengarten, deren Dimension durch die Spiegelung gesteigert<br />
wird. Foto: F.-S. Gäßler, März2007<br />
Auf den ersten Bück scheint der Prinzengarten nur ein aus wenigen<br />
Elementen geformter Ort der Ruhe und Erholung inmitten der<br />
Stadt zu sein. Doch wenn die Sinne aufmerksam die inszenierte Natur<br />
wahrnehmen, wird sein Wesen erlebbar. Auf äußerst subtile<br />
Weise ist mit Gegensatzpaaren die Vielfalt der Welt wohlgeordnet in<br />
Szene gesetzt. Bewusst wird das „sowohl als auch", das, was wir als<br />
Kontrast, als Gegensätzhches wahrnehmen, ins Werk integriert.<br />
Der Betrachter wird damit konfrontiert und neben dem Erlebnis<br />
vielleicht auch zur Reflektion angeregt. Wer sich öffnet, wird diese<br />
Welt erkennen - bisweilen bei innehaltendem Schritt und dann<br />
wieder in der Bewegung. Und wer sich selbst zu verändern vermag,<br />
kann das Werk als Kunstwerk bestehen lassen und vermag dessen<br />
Sinn zu erfassen. Die Freude an der Vielfalt der Schöpfung, die<br />
Fähigkeit zur feinfühligen, nuancenreichen und differenzierten<br />
Wahrnehmung sowie kunstvoll das Wesentliche zu ordnen ist in<br />
diesem Werk der Gartenkunst enthalten. Volle Wirkung wird das<br />
Werk jedoch nur dann entfalten, wenn es - im Gegensatz zur lärmenden<br />
Stadt - ein Ort der leisen Töne bleibt.<br />
Einst für eine privilegierte Minderheit als paradiesischer Mikrokosmos<br />
voller Poesie geschaffen gleichsam als Spiegel der<br />
menschhchen Fähigkeit zur Sinnlichkeit und Vernunft, zur Freude<br />
an der Schöpfung und dem spielerischen Umgang mit ihr, ist heute<br />
Vielen die Chance gegeben, sich auf dieses Kunstwerk und damit<br />
auch auf sich selbst einzulassen.<br />
54<br />
Abb. 6: Blick über den Weiher des Sigmaringer Prinzengartens<br />
in Richtung Schloss und Prinzenbau. Während Teile der Gebäude<br />
vom Geäst und Laub der Bäume verdeckt werden, eröffnet<br />
das Spiegelbild den Blick auf das, was dem direkten Blick<br />
entzogen ist. Foto: F.-S. Gäßler, April2007<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Der Beitrag entstand für die Führungen durch den Prinzengarten,<br />
die der Verfasser auf Einladung des Landesamts für<br />
Denkmalpflege und auf Initiative des Kreiskulturamts Sigmaringen<br />
leitete: anlässlich der Eröffnung des Tags des Denkmals,<br />
die am 9- September 2006 für Baden-Württemberg in<br />
Sigmaringen stattfand, im Rahmen des Begleitprogramms<br />
„Adel im Wandel" am 27. Juli 2006 sowie anlässlich des Tag<br />
des Denkmals am 10. September 2007.<br />
2 Der allgemeine Unterhalt des Parks obhegt seit der Öffnung<br />
des Prinzengartens für die Öffentlichkeit im Mai 1974 der<br />
Stadt Sigmaringen, der Unterhalt für die Gehölze, die Einfriedungen<br />
und den Weiher der Fürstüchen Hofkammer; frdl.<br />
Mitteilung der Stadt Sigmaringen vom 25. August 2006. Vor<br />
mehr als zehn Jahren verlor der Prinzengarten in seinem<br />
nördhchsten Teil Fläche seines Gartenparterres an ein Parkhaus,<br />
so dass sich nun hinter dem Alten Prinzenbau statt des<br />
Gartens Blech, Asphalt und Beton ausbreiten; vgl. Schwäbische<br />
Zeitung Nr. 287 vom 13. Dezember 1993- Am Ende des<br />
vergangenen Jahrhunderts hatte die Stadtverwaltung geplant,<br />
die östliche Hauptausfallstraße durch den Prinzengarten zu<br />
führen. Die Straße hätte den Garten nicht nur sinnwidrig geteilt<br />
und in seiner Gestalt stark beeinträchtigt, sondern ihn<br />
auch weitestgehend seiner Erholungsfunktion beraubt; vgl.<br />
Franz-Severin Gäßler: Der Ursprung des Sigmaringer Prin-
zengartens. In: HH 50. Jg. 2000, S. 55-60, bes. S. 55 sowie S.<br />
60, Anm. 1. Das Stadtplanungsamt Sigmaringen hatte schon<br />
im März 1974 in der Broschüre „Generelle Verkehrsüberlegungen"<br />
mit den Varianten II, IV und V die Querung des Prinzengartens<br />
und damit zusammenhängend den Abbruch von<br />
Gebäuden am Leopoldplatz - Neuer Prinzenbau bzw. Hofbuchhandlung<br />
Liehner - zur Diskussion gestellt. Der Eigentümer<br />
des Prinzengartens, Friedrich Wilhelm Fürst von Hohenzollern,<br />
der den Prinzengarten vor mehr als dreißig Jahren<br />
der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte, bewahrte den Park<br />
vor diesem verheerenden Eingriff; vgl. Schwäbische Zeitung<br />
Nr. 238 und 239 vom 14. und 15. Oktober 1999- Den Ansprüchen<br />
der Planer hatte sich bereits dessen Großvater, Fürst<br />
Wilhelm (1860-1926), wie auch der Urahn, Fürst Karl Anton<br />
(1811-1886) erfolgreich entgegengestellt. Denn 1869 hatte<br />
die württembergische Eisenbahnverwaltung beabsichtigt,<br />
Bahnhof und Schienentrasse ins Herz des Prinzengartens zu<br />
legen, und auch die 1907 geplante Trasse der Landesbahn<br />
hätte Allee und Park schwer beeinträchtigt; vgl. StAS, Dep. 39,<br />
NVA sowie Dep. 43 Nr. 514 (Prinzengartenlinie).<br />
3 Vgl. Schwäbische Zeitung Nr. 209 vom 9- September 2006,<br />
WINFRIED HECHT<br />
Ein Empfehlungsschreiben<br />
für einen Scharfrichter nach Ostrach<br />
Empfehlungsschreiben für Berufsanfänger sind bis heute für die<br />
Betroffenen nicht selten eine wichtige Angelegenheit. Verständlicherweise<br />
galt dies einst in besonderem Maß für Vertreter eines<br />
derart außergewöhnlichen Berufs wie jenem eines Scharfrichters.<br />
Die Notwendigkeit eines solchen Empfehlungsschreibens ergab<br />
sich bei angehenden Scharfrichtern aus dem Umstand, dass sie<br />
nicht selten aus kinderreichen Familien stammten, aus standesrechtlichen<br />
Gründen beim Beruf des Vaters bleiben mussten und<br />
schließlich die betreffenden Stellen am <strong>Heimat</strong>ort in der Regel<br />
durch den Vater oder einen älteren Bruder besetzt waren, wenn ein<br />
jüngerer Sohn eines Scharfrichters das entsprechende Alter erreicht<br />
hatte. Dann gab es für den „Berufsanfänger" nur die Möglichkeit,<br />
sich nach auswärts weg zu bewerben, und gerade in solchen<br />
Fällen konnte die betreffende Obrigkeit wenigstens durch ein<br />
Empfehlungsschreiben helfen.<br />
In Rottweil war dies 1724 der Fall bei Johannes Ritter. Der junge<br />
Mann stammte aus einer Familie, deren Oberhäupter in der<br />
Reichsstadt Rottweil das Amt des Scharfrichters mit Unterbrechungen<br />
nachweislich schon fast ein Jahrhundert versahen 1 , aber mit<br />
ihrem Beruf auch andernorts in Südwestdeutschland vielfach<br />
nachzuweisen sind. In Rottweil war Ritters älterer Bruder Heinrich<br />
Ritter gerade Anfang Februar 1724 seinem verstorbenen Vater in<br />
der Reichsstadt auf Grund eines Ratsbeschlusses nachgefolgt,<br />
nachdem ihm dessen Stelle schon 1719 in Aussicht gestellt worden<br />
war 2 . Auch der jüngere Johannes Ritter hatte allerdings bereits als<br />
Scharfrichter unter der Verantwortlichkeit seines Vaters gearbeitet<br />
und sein „Meisterstück" im Jahre 1722 mit der Enthauptung eines<br />
Delinquenten abgelegt, wobei es sich um die wegen mehrfachen<br />
Ehebruchs und Diebstahls trotz eines für sie günstigen Gutachtens<br />
der Universität Tübingen am 27. Mai 1722 zum Tod verurteilte<br />
Magdalena Schoder gehandelt haben dürfte'. Derartige „Meisterstücke"<br />
wurden in Rottweil durch Angehörige der Familie Ritter<br />
auch noch später wie im Jahre 1788 abgelegt 4 .<br />
55<br />
Sigmaringen: Gartenschau-Pläne sollen zügig umgesetzt werden.<br />
4 Vgl. Franz-Severin Gäßler, Gartendirektor Heinrich Grube -<br />
der Schöpfer des Sigmaringer Prinzengartens. Eine biographische<br />
Notiz. In: <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>, 57. Jg. 2007, S.<br />
6-10; ders., Sigmaringen - Fürstliche Präsenz im Stadtbild.<br />
Der Ausbau zur Residenz- und Landeshauptstadt im 19. Jahrhundert.<br />
In: Adel im Wandel. Oberschwaben von der frühen<br />
Neuzeit bis zur Gegenwart. Hrsg. von Mark Hengerer und Elmar<br />
L. Kuhn in Verbindung mit Peter Blickle. Bd. 1, Ostfildern<br />
2006, S. 439-460.<br />
5 Die Allee wurde um 1750 angelegt und in den siebziger Jahren<br />
des 19. Jahrhunderts in den Prinzengarten integriert; zur<br />
Allee vgl. Franz-Severin Gäßler, Die Allee in Sigmaringen: barocke<br />
Landschaftsinszenierung und fürstliches Herrschaftssymbol.<br />
In: <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>. 55. Jg. 2005, [33]—37,<br />
54-56; 56. Jg. 2006, S.4-6<br />
6 Vgl. die Fotos in den Sammlungen der Fürstl. Hofbibliothek<br />
Sigmaringen.<br />
7 Die Buche hatte während eines Sturms einen Ast verloren und<br />
wurde wenige Tage später Opfer der Säge.<br />
Wenn sich die Rottweiler Obrigkeit mit Ritters Anliegen 1724 an<br />
Abt Stephan I. Jung von Salem (1698-1725) wandte, dann hatte<br />
dies vor allem zwei Gründe: Der Abt von Salem war Landesherr des<br />
Marktfleckens Ostrach und des zugehörigen Klosteramts und<br />
konnte so auch über die zugehörige Scharfrichter-Stelle verfügen 5 .<br />
Abt Stephan war ferner „Vater-Abt" für die Zisterzienserinnen der<br />
Reichsabtei Rottenmünster vor den Toren von Rottweil und dort<br />
ständig durch den Beichtvater der Schwestern vertreten.<br />
In Rottenmünster, das selbst 1651 auf die Ausübung der Hochgerichtsbarkeit<br />
zu Gunsten von Rottweil verzichtet hatte, kannte man<br />
den jungen Johannes Ritter zweifellos persönlich, lebte doch seine<br />
Familie in Rottweil-Altstadt gerade eine Viertelstunde entfernt von<br />
den Mauern der Reichsabtei. Die wiederum war auch immer wieder<br />
von guten Beziehungen zum mächtigeren Nachbarn Reichsstadt<br />
Rottweil abhängig, so dass sich die damalige Reichsäbtissin<br />
Williburg Frey (1687-1725), eine gebürtige Überlingerin, sicher<br />
im Sinn des Rottweiler Empfehlungsschreibens einsetzte, wenn<br />
dies irgendwie möglich oder nötig war. Vielleicht hat Johannes Ritter<br />
sogar umgekehrt aus Rottenmünster erfahren, dass die Stelle<br />
eines Scharfrichters in Ostrach neu durch den Reichsabt von Salem<br />
zu besetzen war. In dieser Situation entstand jedenfalls auf der<br />
Rottweiler Stadtkanzlei im Namen von Bürgermeister Ignaz Moser<br />
der folgende Brief:<br />
Bürgermeister und Rat der Reichsstadt Rottweil empfehlen<br />
Reichsabt Stephan von Salem Johannes Ritter aus Rottweil<br />
für das Amt des Scharfrichters in Ostrach. - Rottweil, 1724,<br />
Februar 27.<br />
Hochwürdiger Reichs Praelat, Gnädiger Herr.<br />
Es hat Unns Fürweiser dies, Johannes Ritter, Unseres verstorbenen<br />
Nachrichters söhn, zuvernemmen gegeben, wie daß Ewer Hochw.<br />
Und Gnaden gesinnet seyen, auff Ostrach, ohnweith Pfulendorf, Einen<br />
Freymann zusetzen Und auffzunehmen, mit inständiger geziemender<br />
bitt, Wür Ihme zu solcher stelle durch Unser Vorworth<br />
verhülffhch seyn wollten: Wann Er Ritter nun von Jugent auff sich<br />
bey seinem Vatter seel. In Underschiedlichen dergleichen professionsmassigen<br />
Casibus gebrauchen lassen, uns mithin in dieser pro-
fession sich also qualificiert, das Er nicht allein vor 10 Jahren Ei-<br />
nen Soldathen mit dem sträng, sondern auch Anno 1722 Eine Person<br />
dahier mit dem schwerdt feliciter hingerichtet hat, so volglichen<br />
sein Maisterstuckh mit Satisfaction dermassen verrichtet,<br />
gleichwie von Einem Nachrichter erforderet wird, sich annebenst<br />
in seinem Thun und Lassen auch also aufferbäwlich bezeiget, das<br />
Wür Ihme ein anderwährtige Promotion von Hertzen gönneten, Ja<br />
in Unsere selbst aigene dienst hetten auffnemmen mögen, sofern sein<br />
Bruder nicht vorlängst schon darauf! were vertröstet worden.:<br />
Solchemnach recommendiren Ewer Hochw. Und Gnaden gehors.<br />
Und gantz angelegentlich, diesem Johannes Ritter besagte Vorhabende<br />
Scharpfrichterstelle vor anderen Competenten in gnaden zu<br />
verleyhen. Die ahnhoffende hoche gnaden wird der Supplicant neben<br />
Mers jederzeit geflüssen seyn, auf all ersinnliche weiß hinwieder zu<br />
demeriren, nebst Unser gehors. empfehl. stähts Verharrende.<br />
Ewer Hochw. Und Gnaden Wirkl. gehors.<br />
Buergermeister unndt Rath daselbsten.<br />
Rothweil, den 27.ten Febr. 1724.<br />
Dem Hochwürdigen des Heyl. Rom. Reichs Praelaten und Herren<br />
Herrn Stephano, des Königl. Eximirten Stüffts und Münsters Salmonsweil<br />
Abten, auch Vicario Generali des löbl. Cisterc. Ordens<br />
etc. Unserem gnädigen Herren<br />
Salmonsweill.<br />
St.A Sigmaringen Dep.30 Salem/Rottenmünster Nr. 186<br />
HERBERT RÄDLE<br />
Ein Bildnis des Johann Jakob Schad<br />
von Mittelbiberach von 1651 aus<br />
dem Ulmer Stadtarchiv<br />
Die Adelsfamilie der Schad von Mittelbiberach hat mit dem hohenzollerischen<br />
Ländchen insofern etwas zu tun, als diese Familie eine<br />
Zeitlang die Ortsherrschaft von Neufra (Krs. Sigmaringen) innehatte,<br />
und in dieser Eigenschaft 1591 die dortige, sehr sehenswerte<br />
Muttergotteskapelfe errichtete. Stifter der Neufraer Muttergottes-Kapelle<br />
waren nämlich, wie eine gemalte Inschrift innen<br />
über der Tür ausweist, der damalige Ortsherr, Reichsfreiherr Joh.<br />
Philipp Schad von Mittelbiberach und seine Gattin Margaretha,<br />
geborene Speth von Zwiefalten 1 .<br />
Der 1275 erstmals genannte Ort Mittelbiberach (wohl eine Ausbausiedlung<br />
von Biberach) war 1440 an die reiche Biberacher und<br />
Ulmer Patrizierfamilie Schad gekommen. Ein mit dem obengenannten<br />
Neufraer Ortsherrn namensgleicher Joh. Philipp Schad,<br />
kaiserlicher Rat und Beamter, ist dort bis 1571 nachgewiesen. Von<br />
seinem namensgleichen Sohn, dem Ortsherrn von Neufra und Stifter<br />
der Muttergottes-Kapelle im Jahre 1591, besitzen wir nun zwar<br />
kein Bildnis, wohl aber von seinem Vetter Joh. Jakob Schad, geb.<br />
in Ulm 1574 und dort mehrere Jahre Regierender Bürgermeister,<br />
und dieses, einen qualitätvollen Kupferstich von 1651, wollen wir<br />
im Folgenden in Bild und Text vorstellen (Abb. 1).<br />
Johann Jakob Schad von Mittelbiberach (1574-1653) hatte in<br />
seiner Jugend die Lateinschule in Ulm besucht, seit 1589 studierte<br />
er in Straßburg und Tübingen. Auf einer "Kavalierstour" durch<br />
Frankreich und Italien erwarb er weitere Sprachkenntnisse (unser<br />
Kupferstich, siehe Abb. 1, weist ein Motto in italienischer Sprache<br />
auf: Meglio invidia che compassione = "Besser Neid als Mitleid").<br />
In Padua setzte er sein Jurastudium fort. 1599 kehrte er nach<br />
56<br />
Ob das Empfehlungsschreiben des Rottweiler Magistrats für Johannes<br />
Ritter seinen Zweck erfüllte, ist nicht bekannt - jedenfalls<br />
wird Ritter in der Fachliteratur im Zusammenhang mit Ostrach<br />
nicht erwähnt 6 .<br />
AMERKUNGEN<br />
1 Nach PfarrA St. Pelagius Rottweil-Altstadt, Pfarrbuch 1601 ff<br />
p.785, heiratete schon am 1. August 1636 Scharfrichter<br />
(„Carnifex") Johannes Ritter die Jungfer Catharina Uttenriedt.<br />
Die engere Familie des hier in Frage stehenden Johannes Ritter<br />
kam 1687 aus Oberndorf nach Rottweil (vgl. RPR vom<br />
5.August 1687 p.633).<br />
2 Vgl. StadtA Rottweil, Ratsprotokoll 8.Mai 1719 P-534 und vom<br />
15. Februar 1724 p.426<br />
3 StadtA Rottweil, Ratsprotokoll vom 27. Mai 1722 p.66)<br />
4 Vgl. W. Hecht und K. Maier, „Ein neues Lied von zwey Mördern"<br />
aus Rottweil. Jahrbuch für Volkslied-Forschung 25. Jg.<br />
(1980) S.95 mit Anm. 34<br />
5 Vgl. Artikel „Ostrach" im Handbuch der Historischen Stätten<br />
Deutschlands VI. Baden-Württemberg. 2. Aufl. Stuttgart 1980<br />
S.620<br />
6 Vgl. J. Glenzdorf und F. Treichel, Henker, Schinder und arme<br />
Sünder Bd. II. Bad Münder am Deister 1970 S.81 ff Nr.3540 ff.<br />
lOjähriger Abwesenheit nach Ulm zurück, wo er bereits zwei Jahre<br />
später in den Rat aufgenommen wurde. In der Ulmer Administration<br />
durchlief er eine steile Karriere, beginnend 1609 mit dem Amt<br />
eines Wassergeschworenen. 1635 wurde er schließlich "Geheimer<br />
Rat" und übernahm im folgenden Jahr 1636 erstmals das Amt des<br />
Regierenden Bürgermeisters, welches er insgesamt fünfmal (!) innehatte.<br />
Als "Geheimer Rat" hatte er 1635 mit König Ferdinand III.<br />
über den Beitritt Ulms zum Prager Frieden (im 30jährigen Krieg)<br />
verhandelt und aus diesem Anlass vom König eine goldene Kette<br />
nebst Denkmünze zum Geschenk erhalten (Er trägt sie auf unserer<br />
Abb. 1). Solche Ketten waren nach der Ulmer Kleiderordnung von<br />
1574 den "Geschlechtern", also den noch über den Patriziern stehenden<br />
städtischen Adelsfamilien, vorbehalten und zählten nebst<br />
den Kleidern zu den wichtigsten Statussymbolen 2 . Unser Porträt ist<br />
unmittelbar nach der Bestätigung seines ritterbürtigen Adels und<br />
der Turnierfähigkeit 1651 entstanden, welche ihm das Recht gab,<br />
das quadrierte Wappen der freiherrlichen Familie Schad von Mittelbiberach<br />
zu tragen" 1 .<br />
Beschreibung des Bildnisses<br />
Der in der Tracht eines "ritterbürtigen" Ulmer Patriziers dargestellte<br />
77jährige Johann Jakob Schad ist in Dreiviertelfigur vor den<br />
Betrachter gestellt. Durch das perspektivisch vorgerückte Tischchen<br />
im Bildvordergrund, auf das sich der Porträtierte mit der<br />
Rechten leicht aufstützt, erscheint er selbst diskret in den Mittelgrund<br />
gerückt, von wo aus er den Betrachter mit Offenheit und unaufdringlichem<br />
Selbstbewußtsein ins Auge faßt. Hervorgehoben<br />
hat der Künstler außer dem Porträtkopf selbst noch die kräftigen,<br />
energischen Hände als "psychische Ausdrucksträger", deren linke,<br />
ebenso leicht vorgeschoben wie die rechte, lässig auf dem Degenknopf<br />
ruht. Von stolzem Selbstbewußtsein zeugt auch das in italienischer<br />
Sprache dargebotene Motto: "Lieber Neid als Mitleid".
Was schließlich noch die Urheber unseres Porträt-Kupferstiches,<br />
also den Maler und den Stecher, betrifft, so ist der Maler, Andreas<br />
Schuch, (Andreas Schuch pinx.) durchaus kein Unbekannter. Er<br />
ist in Ulm nachgewiesen zwischen 1600 und 1686. 1630 schließt<br />
er eine Ehe als Ulmer Bürger. Schuch war vor allem als Bildnismaler<br />
tätig, doch haben sich von seiner Hand auch Altarblätter und<br />
eine Anzahl häufig signierter Zeichnungen erhalten. Er wird als der<br />
bedeutendste in der Mitte des 17. Jh. tätige Ulmer Maler angesehen.<br />
"In seinen frühen Porträts wirken trotz barocker Auffassung<br />
gelegentlich tradierte Bildelemente des 16. Jh. nach" (Monika<br />
Kopplin).<br />
Abb. 1: Johann Jakob Schad mit goldener Kette und Denkmünze.<br />
Kupferstich von Wolfgang Kilian nach einem Gemälde von Andreas<br />
Schuch, Ulm 1651. Text oben: Johann Jakob Schad von Mittelbiberach<br />
zu Sankt Bartlmä und Palmertshofen, zur Zeit Duumvir<br />
der Stadt Ulm (=reipublicae Ulmensis pro tempore Duumvir).<br />
Text unten: Meglio invidia che compassione (=Besser<br />
Neid als Mitleid). Bildnachweis: wie Anm. 3, S. 634<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Der Text der Inschrift ist abgedruckt bei Walter Genzmer<br />
(Hrsg.), Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns, Band H, Stuttgart<br />
1948, S. 254.<br />
2 Vgl. Hartmut Bock, Goldene Ketten und Wappenhelme - Zur<br />
Unterscheidung von Patriziat und Adel in der Frühen Neuzeit,<br />
in: Ztschr. des Hist. Vereins für Schwaben, Band 97, 2004, S.<br />
59-120.<br />
3 Oliver Fieg, Das Ulmer Patriziat zwischen Zunftbürgertum und<br />
Landadel, in: Adel im Wandel, Ausstellungskatalog, Beiband<br />
H, Sigmaringen (Thorbecke) 2006, S. 636f.<br />
57<br />
HELMUT GÖGGEL<br />
Musterlehrer Heinrich Reiser<br />
aus Gammertingen<br />
Der in Gammertingen 1804 geborene Heinrich Reiser war in seiner<br />
Zeit ein über die engeren <strong>Heimat</strong>grenzen hinaus bekannter<br />
und geschätzter Lehrer. Er war von 1837 bis 1867 Erster Lehrer<br />
und Schulleiter an der katholischen Volksschule in Gammertingen<br />
und hatte, wie damals üblich, auch die Aufgaben eines Mesners zu<br />
übernehmen 1 . Da er musikalisch sehr begabt war, übernahm er<br />
auch den Organistendienst. Einem Namensvetter von ihm, Musikdirektor<br />
August Reiser, ebenfalls ein geborener Gammertinger,<br />
wurde mit der „August-Reiser-Straße" eine Ehre zuteil, die Heinrich<br />
Reiser bis jetzt versagt bheb. Daher ist es besonders erwähnenswert,<br />
dass der spätere Musikdirektor August Reiser seine musikalische<br />
Grundausbüdung bei Musterlehrer Heinrich Reiser erhielt.<br />
Jene Jahrzehnte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachten<br />
weitere Lehrerpersönlichkeiten in Hohenzollern hervor, deren Namen<br />
und Wirken mindestens in Lehrerkreisen in den jeweihgen<br />
Orten noch heute präsent sind. Sie wurden von verschiedenen Autoren<br />
schon gewürdigt: Sebastian Locher in Veringenstadt und Sigmaringen<br />
2 , Joseph Hartmann in Inzigkofen 3 , Josef Beck in Sigmaringendorf'.<br />
Diese Lehrer durchliefen, im Gegensatz zu ihren Vorgängern, bereits<br />
eine standardisierte Ausbildung. Denn bis in das siebte Jahrzehnt<br />
des 18. Jahrhimderts stand die Schule in beiden Fürstentümern<br />
außerhalb des Interesses der Regierungen. Für die<br />
Annahme eines Schulmeisters oder Schulhalters war ausschließlich<br />
die einzelne Gemeinde zuständig 5 .<br />
Wie unzureichend die Fürstliche Regierung selbst noch im Jahre<br />
1809 über die schulischen Verhältnisse in ihrer Grafschaft orientiert<br />
war, ist einem Rundschreiben der Regierung in Sigmaringen<br />
an sämtliche Ämter zu entnehmen, innerhalb von drei Monaten einen<br />
vollständigen Bericht über folgende Sachverhalte zu erstellen:<br />
Ob und in welchen Orten geprüfte Lehrer vorhanden seien; ob in<br />
dem betreffenden Ort nur ein befristet angestellter Lehrer oder ein<br />
ständiger Lehrer sei; worin das Gehalt des Lehrers bestehe und ob<br />
es im Amtsbezirk Jünglinge gebe, die befähigt seien, den Beruf des<br />
Lehrer anzustreben".<br />
Schließlich kam es zu der „Allgemeinen Schulordnung für die<br />
Stadt- und Landschulen" vom 19. November 1809, in der es im<br />
Hinblick auf die Lehrer heißt: So wird auf ausdrücklich höchsten<br />
Befehl die gegenwärtige allgemeine Verordnung zu dem Ende<br />
bekannt gemacht, damit nicht nur die aufgestellten Schullehrer<br />
sich genau nach derselben benehmen, sondern auch die Aemter<br />
und Schulkommissariate auf ihrer unausgesetzten Befolgung<br />
bestehen 7 . Und an anderer Stelle: Die Obliegenheiten des<br />
Lehrers umfassen nicht bloß den Unterricht, sondern auch die<br />
sittliche Ausbildung der Schulkinder...Es werden hierüber den<br />
Lehrern für ihr Verhalten noch besondere Vorschriften ertheilet<br />
werden". Damit war man hinsichtlich des Aufbaus eines Schulwesens<br />
und einer geregelten Lehrerausbüdung ein gutes Stück voran<br />
gekommen, wenn auch in der praktischen Verwirklichung noch etliche<br />
Hindernisse zu überwinden waren.
Abb. 1. Musterlehrer Heinrieb Reiser.<br />
Vorlage: Stadtarchiv Gammertingen.<br />
Reiser als Lehrer und Ausbilder von Schulaspiranten<br />
Im folgenden soll über die Ausbildung zum Volksschullehrer in<br />
den f830/40er Jahren berichtet werden. Glücklicherweise ist uns<br />
die Autobiografie eines Lehrers überhefert, aus der wir die Vorbildung<br />
von Lehreranwärtern für die Volksschule bis zu ihrem Eintritt<br />
in die Präparandie in Habsthal mit Abschlussexamen nach zwei<br />
Jahren erfahren können. Es handelt sich um den in Krauchenwies<br />
geborenen Carl Holl', der nach Abschluss der Volksschule bei<br />
Heinrich Reiser in Gammertingen eine zweijährige Vorbereitungszeit<br />
durchlief.<br />
Heinrich Reiser wurde im August 1838 zur Ausbildung der „Schuldienstineipienten"<br />
ermächtigt 10 . Er war zu diesem Zeitpunkt Lehrer<br />
in Salmendingen. Vermuthch führte die Ernennung zu seiner<br />
anschließenden Versetzung an die größere Schule in Gammertingen.<br />
Gleichzeitig kam Rupert Fischinger aus Langenenslingen an<br />
die damit zweiklassige Gammertinger Schule. Als staatlich bevollmächtigter<br />
Ausbilder der Schulaspiranten durfte Reiser die Bezeichnung<br />
„Musterlehrer" führen.<br />
Die Schulaspiranten wurden von Musterlehrer Reiser in allen<br />
Schulfächern unterrichtet und darin auch regelmäßig überprüft.<br />
Sie durften erste Versuche im Unterrichten wagen. Neben dem Unterrichten<br />
legte Reiser großen Wert auf die körperliche Ertüchtigung<br />
und musikalische Fortbildung seiner Zöglinge. Sie gingen<br />
spazieren, botanisierten, badeten in der Laudiert und übten sich<br />
im Ball werfen. Reiser unterrichtete sie in Klavier, Orgel, Violine<br />
und Gesang. Offensichtlich hatte er zur gleichen Zeit mehrere Aspiranten<br />
zu unterrichten. Daneben unterrichtete er Klavierschüler<br />
und - Schülerinnen aus der Stadt und nahm auch andere Zöglinge<br />
unter seine Obhut und Fürsorge. In Reisers Haus schwieg das Klavier<br />
fast den ganzen Tag nicht. Schwieg es, so hörte man Violine,<br />
Gesang und Flöte. Das war eine Rührigkeit, eine wetteifrige<br />
Strebsamkeit".<br />
58<br />
Abb. 2. Als staatlich bevollmächtigter Ausbilder von Schulaspiranten<br />
durfte Reiser die Bezeichnung „Musterlehrer" führen,<br />
wie aus diesem Zeugnis eines neunjährigen Mädchens aus dem<br />
Jahre 1849 zu ersehen ist. Vorlage: Ingrid Kreidler, Sigmaringen.<br />
Nach den zwei Jahren folgte die Studienzeit am Seminar in Habsthal.<br />
Dort war damals zur gleichen Zeit die Waisen- und Taubstummenanstalt<br />
für Hohenzollern-Sigmaringen untergebracht. Die Studienfächer<br />
waren dieselben wie in Gammertingen. Im Zentrum des<br />
Studiums standen verstärkt die religiöse Erziehung und die Erziehung<br />
zur Ehrfurcht vor der Obrigkeit und zur Vaterlandshebe. Wer<br />
nach zwei Jahren die Abschlussprüfung bestand, wurde für den<br />
Schuldienst in Hohenzollern als „befähigt" erklärt. Er wurde als<br />
„Provisor" eingestellt, sofern eine Stelle frei war 12 . In seinen Erinnerungen<br />
würdigt Holl die Leistung Reisers als Musterlehrer in der<br />
Vorbereitung der „Incipienten" auf das Seminar in Habsthal und<br />
seinen dortigen hervorragenden Ruf mit den Worten: Reiser war<br />
einer der tüchtigsten Lehrer in Hohenzollern, ein ausgezeichneter<br />
Musiker und Componist und ein hervorragender<br />
Pädagoge...Die Incipienten von H. Reiser konnte man am Seminar<br />
in Habsthal am besten brauchen, insbesondere auch in<br />
der Musik' 3 .<br />
Reiser als Komponist<br />
Reiser war nicht nur ein vortrefflicher Musikpädagoge, er trat auch<br />
als Komponist in Erscheinung. Hier einige Beispiele:<br />
- Dreistimmige Lieder für die reifere Jugend, namentheh in Sonntags-,<br />
Fortbildungs- und Realschulen, 1846 und 1884, Hallberger'sche<br />
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
- Klavierschule für Kinder, mit besonderer Rücksicht auf einen<br />
leichten und langsam fortschreitenden Stufengang und Übungsstücke<br />
für junge Klavierschüler in fortschreitender Ordnung<br />
und mit Bezeichnung des Fingersatzes, 6. Auflage, Jg.?, Hallberger'sche<br />
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
- Deutsche vierstimmige Messe mit Orgelbegleitung, Steindruck,<br />
N. Allgaier, Veringenstadt.
Vierstimmige Messe Nr. 2, Steindruck, N. Allgaier, Veringen-<br />
stadt.<br />
Hirtenlied für gemischte Stimmen, handschriftlich.<br />
Pange lingua für Männerstimmen, handschriftlich..<br />
Requiem zweistimmig handschriftlich^.<br />
& r e t f t t m n u g e t i i e k c v<br />
für<br />
im* reifere Jlujjeiifc<br />
n a Hi t n t! i dj in<br />
©ontitagß», gortbiltmngä = imto 9?eat = ©tauten<br />
cpmpomrt<br />
A>einvtcb Reifer.<br />
S t II t t fi H t t.<br />
f i qf V'f du 4! t ti nq#Ii on» Mi im.<br />
Abb. 3- Heinrich Reiser war nicht mir ein sehr befähigter Musikpädagoge,<br />
sondern er komponierte auch. Vorlage: Grutidund<br />
Hauptschule mit Werkrealschule (GHWRS) Gammertingen.<br />
Reiser als pädagogischer Schriftsteller<br />
Reiser gab auch Schulbücher heraus für die verschiedenen Fächer<br />
und Klassenstufen und äußerte sich zu Fragen der Erziehung und<br />
Methodik. Auch hier einige Beispiele:<br />
- Lehr- und Lesebuch für die Unterklasse in katholischen Volksschulen,<br />
11. Auflage, 1885, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.<br />
- Der katholische Volksschüler in der Oberklasse. Ein Sprachund<br />
Lesebuch für Schüler von 11 bis 14 Jahren, 4. Auflage,<br />
1864, Hallberger'sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
- Materiahen zum Tafelrechnen. Beispiele über Längen-,<br />
-<br />
Flächen- und Körperberechnungen, 1866, Verlag Albert Koch,<br />
Stuttgart.<br />
Die Realien. Ein Lehrbuch für gehobene Volksschulen, 1852,<br />
Hallberger'sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
- Lehr- und Lesebuch für Handwerker- Fortbildungs- und männliche<br />
Sonntagsschulen,<br />
handlung, Stuttgart.<br />
1861, Hallberger'sche Verlagsbuch-<br />
- Die fünf Weltteile, dargestellt in Wort und Bild. Ein Handbuch<br />
der Länder- und Völkerkunde nach den vorzüglichsten geogra-<br />
59<br />
phischen und ethnographischen Erkenntnissen, Jg.?, Bibliographisches<br />
Institut, Hildburghausen. Seiner Hoheit, dem Durchlauchtigsten<br />
Fürsten Carl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen,<br />
ehrfurchtsvoll gewidmet.<br />
- Die Briefschule. Eine Anleitung zum Briefschreiben, enthaltend:<br />
369 neu bearbeitete Briefmuster und 304 Aufgaben und Skizzen<br />
zu Briefen, nebst einer Anleitung zur Abfassung von Eingaben<br />
und Bittschriften, 1852, Hallberger'sche Verlagsbuchhandlung,<br />
Stuttgart.<br />
- Erziehung und Unterricht. Abhandlungen und Erörterungen<br />
über die wichtigsten Fragen aus dem Gebiet der Pädagogik, Didaktik,<br />
Methodik, 1871, Verlag H.R. Sauerländer, Aarau 15 .<br />
Wie man aus den Jahreszahlen der Veröffentlichungen unschwer<br />
erkennen kann, war Reiser nicht nur während seiner aktiven Zeit,<br />
sondern auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin<br />
schriftstellerisch tätig. Manche seiner Werke erfuhren hohe Auflagen.<br />
Für die Qualität seiner Arbeiten zeugt die Zusammenarbeit mit<br />
renommierten Verlagen der damaligen Zeit.<br />
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„ iiebunbesi in imb ©tfleber ,n l. 45.<br />
Stuttgart.<br />
3>vii(J ttnb SBertag »Ot B. SRupjct.<br />
1889.<br />
Abb. 4. Auch als pensionierter Musterlehrer gab Heinrich Reiser<br />
Schulbücher heraus. Vorlage: GHWRS Gammertingen.<br />
Alltagssorgen des Lehrers<br />
Im Alltag ging es ihm wie vielen Lehrern damals. Es war ein ständiger<br />
Kampf um bessere Wohnverhältnisse und Bezahlung. 1850<br />
stellte Reiser bei der Gemeinde den Antrag auf eine Besoldungserhöhung.<br />
Die Gemeinde legte den Antrag der Königlich Preußischen<br />
Regierung in Sigmaringen vor, deren Bescheid letzten Endes positiv<br />
war mit der Bemerkung, eine zwangsweise Aufbesserung des<br />
Gehalts könne nicht verfügt werden, da die erste Lehrer- und Meßmerstelle<br />
in Gammertingen mit einem Einkommen von 280 Gul-
den ausgeschrieben worden sei und Musterlehrer Reiser somit das<br />
normalmäßige Gehalt beziehe. Da derselbe aber in Erziehung,<br />
Fleiß und Geschicklichkeit einer Gehaltsaußesserung sehr<br />
würdig sei, sei man gerne einverstanden, wenn ihm die Ortsschulund<br />
Gemeindebehörden eine persönliche Gehaltszulage aus dem<br />
Ortsschulfond oder der Gemeindekasse oder aus beiden mit 50<br />
Gulden bewilligten. Die Gemeinde lehnte einen Zuschuss aus der<br />
Gemeindekasse ab, fand aber eine Lösung über die Michaelspflege<br />
und den Schulfond. Reiser erhielt „widerruflich" eine jährliche Zulage<br />
von 50 Guldenl6.<br />
Ein anderes Beispiel aus dem Jahr 1857: Reiser stellte bei der Gemeinde<br />
den Antrag, dass beide Lehrerstellen gleich behandelt<br />
und das fraglich Holz samt Reisig an die erste und zweite Lehrerstelle<br />
frei geliefert werden möchte. Seinem Antrag wurde<br />
schließlich entsprochen' 7 .<br />
Öffentliches Engagement<br />
Über seine Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter hinaus war Heinrich<br />
Reiser auch im öffentlichen Leben seiner <strong>Heimat</strong>stadt präsent. Er<br />
gründete die Musikkapelle und den Männerchor 18 . Im Revolutionsjahr<br />
1848 wurde er zum Kapellmeister im Offiziersrang ernannt.<br />
1 '.<br />
Auch im politischen Raum war er engagiert. Er wurde zwei Mal,<br />
1842 und 1845, in den Landtag des Fürstentums Hohenzollern-<br />
Sigmaringen gewählt 20 . In einer Sitzung der Ständeversammlung<br />
vom 11. April 1849 äußerte er sich zum Thema „Fortbildungsschule":<br />
Er finde es unbegreiflich, wie ein Teil der Finanzkommission<br />
sich gegen das Fortbestehen der Fortbildungsschulen habe<br />
aussprechen können, in einer Zeit, wo es allgemein anerkannt<br />
werde, dass die Jugend in ihrer Bildung weiter geführt werden<br />
müsse, als es früher der Fall gewesen sei.<br />
Für sein segensreiches Wirken auf den verschiedenen Gebieten<br />
wurde Reiser mehrfach geehrt. Er bekam den Orden „Ritter des<br />
Königlich Preußischen Kronenordens 4. Klasse". Darüber hinaus<br />
war er Inhaber mehrerer Ehrenmedaillen 21 .<br />
1867, im Alter von 63 Jahren, wurde Reiser wegen Schwerhörigkeit<br />
in den Ruhestand versetzt. Er zog zunächst nach Rheinfelden<br />
zu seinem Sohn Friedrich Hermann, der dort Musikdirektor war.<br />
Nach Angabe der „Zollerheimat" (1. Jahrgang, Nr. 9) soll er in den<br />
1880er Jahren nach Leoben in der Steiermark verzogen und dort<br />
gestorben sein. Im Familienregister der katholischen Pfarrei Gammertingen<br />
1889 ist als Sterbeort Kapfenberg in der Steiermark eingetragen,<br />
allerdings mit Fragezeichen versehen 22 .<br />
Wie sieht Heinrich Reiser seine Arbeit und sich selber?<br />
Die Volksschule soll ihre Zöglinge auf jene Stufe allgemeiner<br />
Menschenbildimg erheben, ivelche sie für ihre künftige Bestimmung<br />
in jeder Richtung fähig und tüchtig macht. Der Schüler<br />
soll besonders durch die poetischen Stücke mit Beihilfe des<br />
Lehrers die Schönheit seiner Muttersprache kennen lernen, weil<br />
diese am meisten dazu geeignet sind, die Vorzüge unserer Sprache<br />
im schönsten Lichte zu zeigen. Sie üben zugleich den größten<br />
Einfluß auf Geschmacks-, Gemüths- und Geistesbildung<br />
überhaupt und nähren den Sinn für alles Schöne, Edle und<br />
Große (Der deutsche Volksschüler, 1852, S. V und VI).<br />
Es ist eine ebenso traurige als allseitige Erfahrung, daß Schüler,<br />
welche die Werktagsschule mit sehr schönen Kenntnissen verlassen<br />
haben, in den zunächst folgenden Jahren das Meiste davon<br />
vergessen und mit einem sehr unbefriedigenden Reste von<br />
60<br />
Wissen und Können aus der Sonntagsschiüe treten. Diese Wahrnehmung<br />
ist besonders für den Lehrer sehr betrübend, indem er<br />
sich genöthigt sieht, auf einen befriedigenden, bleibenden Erfolg<br />
seiner Bemühungen, welcher ihm allein einigen Ersatz für<br />
seine Anstrengungen gewähren könnte, zu verzichten (Lehrund<br />
Lesebuch, 1861, S.V).<br />
Eine Hauptbedingung für das Gedeihen der Fortbildungsschulen<br />
liegt ohne Zweifel darin, dass der Unterricht mit Lebendigkeit<br />
und Eifer ertheilt und dem Schüler möglichst angenehm<br />
gemacht werde, weßhalb der Lehrer sich auch immer auf die<br />
Unterrichtsstunden gehörig vorbereiten soll.. Es sollte wohl<br />
kaum nöthig sein zu erwähnen, dass eine solche anstrengende,<br />
aufopfernde Thätigkeit auch eine angemessene Belohnung<br />
verdiene. Eine solche erhält jedoch der Lehrer nur da, wo die<br />
Vorstände der Gemeinden, sowie diese selbst, die Wichtigkeit<br />
des Jugendunterrichts gehörig anerkennen und würdigen und<br />
die von der Überzeugung ausgehen, dass kein Kapital nutzbringender<br />
angelegt sei, als dasjenige, das man auf den Unterricht<br />
und die Bildung der heranwachsenden jungen Gemeinde verwendet<br />
hat (Lehr- und Lesebuch, 1861, S. VII und VIII).<br />
Diese wenigen Zitate sowie das bereits Gesagte deuten darauf hin,<br />
dass die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörden, Reiser als Lehrerausbilder<br />
zu berufen, gerechtfertigt war. Nun soll aber nicht verschwiegen<br />
werden, dass auch ein begnadeter Pädagoge und Musiker<br />
einem Irrtum unterliegen kann. Obwohl seine musikalischen<br />
Fähigkeiten und Erfolge allgemein anerkannt wurden, wich er seltsamerweise<br />
gerade in der Schulmusik vom üblichen Notensystem<br />
ab und versuchte, über ein Ziffernsystem die Schüler zum rascheren<br />
- und wie er meinte - leichteren Singen und Musizieren zu<br />
führen. Seine Begründung lautete (verkürzt): Der Verfasser hat<br />
hiebei dem Ziffemsystem vor dem Notensystem den Vorzug gegeben,<br />
nicht als ob erden Werth des letzteren verkennen würde,<br />
sondern weil letzteres auf kürzerem Wege erreicht, was man in<br />
dieser Beziehung von der Volksschule, die keine kunstgerechten<br />
Sänger zu bilden hat, erwarten darf (Der deutsche Volksschüler,<br />
1852, S. VIII). Der geneigte Leser möge versuchen, die Melodie<br />
des beigefügten Liedes „Der Mond" zu erschließen und dies<br />
womöglich in trauter Stunde zweistimmig zu zelebrieren.<br />
Uro, 87. l ,= F cbtt G.<br />
2er Sütotii. »tidiam.<br />
- L ®t. 1 • 5 5 4 4 [T~2 5 j 5 4 4 31<br />
It. 3m ftit . [ru, iiei = fern Ith; et l'u fanft titu<br />
12. ttt li.djclt (tili, t!rfd)eW«i, Ba.plltfein 3n-beli, ffiif ffl -- neitt trcui-ten<br />
Iii. ©auf fftr jl • It grait», (jaf©auf f8r btL-ntu<br />
II. St. \ 113 3 2 2 1, 3 3 2 2 t<br />
/ 2 - 2 | 4 4 3 3 | 6 5 4 j 3 3 2 2<br />
I<br />
1. fiet: mir ift im SttMten*frait fo ftb&n gtjdjmüdt atä et?<br />
2. fiiljt, uuS iiifcl [t isi*! $vtttbtR mit fei:Htm tranken l'ifM.<br />
3. st!, inibwtsftbtr mü«bttt Gcr = bt inr ftiiich 31 --fctnb.-ruf'.<br />
4. £«ft; bie je* (ig=ßtn ©e ; fiijwit giejjt tr in mi * frt SJntfl<br />
5. l'iihi, JjftßgrcuVam fco * bfn Stöbert,foiijtgät>ß bu ihn uns iiidjt.<br />
8.Sionb, ber ia*gt$ ßajl uiib Stirbt» fr ititfc nnbfreuuMirf) ieijitt.<br />
|" 2 2 TT TTTj , 73<br />
'S* 7 1 1. 18 8 5 5 3<br />
Abb. 5. Heinrich Reiser glaubte mit einem Ziffemsystem statt<br />
eines Notensystems die Schüler zum rascheren und leichteren<br />
Singen und Musizieren führen<br />
Gammertingen.<br />
zu können. Vorlage: GHWRS
Wie realistisch und nüchtern Heinrich Reiser sein Wirken als Leh-<br />
rer und Musiker schon früh einschätzte und doch nicht resi-<br />
gnierte, zeigen die folgenden abschließenden Verse (Dreistimmige<br />
Lieder für die reifere Jugend, 1846, S. 51):<br />
Meine Lieder, meine Sänge, sind dem Augenblick geweiht,<br />
Ihre Töne, Ihre Klänge, schwinden mit derflüchtigen Zeit.<br />
Große Sänger sind geschieden, die kein Mensch jetzt mehr erwähnt.<br />
0, wie töricht, wenn hienieden ich den Nachruhm mir<br />
ersehnt.<br />
Abb. 6. Musikdirektor August Reiser erhielt in Gammertingen<br />
eine nach ihm benannte Straße, während Heinrich Reiser, bei<br />
dem August Reiser die musikalische Grundausbildung erhielt,<br />
diese Ehre bisher versagt blieb. Links ist das ehemalige<br />
amt zu sehen. Vorlage. Helmut Göggel,<br />
Ober-<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Josef WIEST, Lauchert-Zeitung, 25. 02.1933.<br />
2 Erwin ZILLERBILLER, Sebastian Locher, eine außergewöhnliche<br />
Persönlichkeit in Hohenzollern. Festvortrag und Historienspiel<br />
am 29. Juni 2002 in Veringenstadt.<br />
3 Gregor RICHTER, Joseph Hartmann, ein „ausgezeichneter<br />
Lehrer", <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong> 1994, Nr. 1, S. 2-4.<br />
4 Der Autor dieses Beitrags wohnt in der Josef-Beck-Straße in<br />
Sigmaringendorf. Nähere Forschungen folgen.<br />
5 Fritz KALLENBERG, Die Fürstentümer in Hohenzollern am<br />
Ausgang des Alten Reiches, Dissertation 1961, S. 165.<br />
6 Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürsthentum Sigmaringen<br />
(künftig: VAB), 1809,S. 202.<br />
7 VAB, 1809, S. 185.<br />
MARIUS REISER<br />
Dem Mundartdichter Bruno Gern<br />
zum 100. Geburtstag 1<br />
Es kommt nicht oft vor, daß jemand über zwanzig Jahre nach seinem<br />
Tod noch mit einem Festakt geehrt wird. So etwas geschieht<br />
gewöhnlich nur bei Politikern, die eine bleibende Leistung aufzuweisen<br />
haben, oder bei Geistesgrößen, die ein bleibendes Werk<br />
der Kunst oder Literatur geschaffen haben. Ein Politiker war Bruno<br />
Gern nicht, also eine Geistesgröße? Sehen wir genauer zu.<br />
Um 1938 beginnt Bruno Gern eine kurze Selbstcharakteristik mit<br />
folgendem Satz: „Als ältester Sohn wenig begüterter Landleute am<br />
12. März 1907 geboren und in einfachen, etwas ungesunden Ver-<br />
61<br />
8 VAB, 1809, S. 195.<br />
9 Carl HOLL, Das Leben ein Kampf, Selbstverlag des Verfassers,<br />
DruckJ Ruopp, Mengen.<br />
10 VAB, 1838, S. 300.<br />
11 Wie Anm. 9, S. 18.<br />
12 Dazu Gustav HEBEISEN, Beiträge zur Geschichte des Schulwesens<br />
in Hohenzollern 63, 1932, S. 67 ff: Im Jahre 1826<br />
wurde in Sigmaringen eine Präparandie gegründet, die 1841<br />
nach Habsthal verlegt wurde. Nach dem Anschluss Hohenzollerns<br />
an Preußen wurde die Präparandie in Habsthal geschlossen.<br />
Die Abstimmung ergab 16 gegen 2 Stimmen für die<br />
Aufhebung. Die Ausbildung der Lehreraspiranten aus Hohenzollern<br />
erfolgte ab 1851 am Lehrerseminar in Brühl a. Rh.<br />
und ab 1876 in Boppard. In der Hohenzollern'sehen Volkszeitung<br />
Nr. lo4 vom 12. Juli 1885 lesen wir: Im Laufe dieser<br />
Woche haben dahier ( in Hechingen, der Verf.) 10 Schulpräparanden<br />
ihre Aufnahmeprüfung ins Schullehrer-Seminar<br />
in Boppard zu machen versucht. Bei solchen Anlässen drängt<br />
sich immer die Frage auf: Warum hat Hohenzollern kein eigenes<br />
Schullehrer-Seminar mit einer für dasselbe vorbereitenden<br />
Präparandenschule? Ob diese Frage nicht wert wäre eingehend<br />
betrachtet und dann nach gepflogener Erwägung<br />
tatsächlich beantwortet zu werden?<br />
13 Wie Anm. 9, S. 16.<br />
14 Diese und weitere Kompositionen wie Anm. 1. Genauere Hinweise<br />
zu den einzelnen Kompositionen sind bei Wiest nicht<br />
vorhanden.<br />
15 Diese und weitere Werke wie Anm. 1. Dank des freundlichen<br />
Entgegenkommens von Herrn Rektor i.R. Diego Häußel,<br />
Gammertingen, konnte der Verfasser Einblick nehmen in weitere<br />
Werke von Musterlehrer Heinrich Reiser. Diese sind in<br />
der Mediothek der Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule<br />
in Gammertingen archiviert. Für die vorhegende Abhandlung<br />
sollen die aufgeführten Beispiele genügen.<br />
16 Stadtarchiv Gammertingen, Nr. 0849.<br />
17 Wie Anm. 16, Nr. 858.<br />
18 Wie Anm. 16, Nr. 0890.<br />
19 Herbert BURKARTH, Die Revolution 1848/49 in Gammertingen,<br />
in: <strong>Heimat</strong>kundliche Schriftenreihe des Landkreises<br />
Sigmaringen, Band 7, S. 109-<br />
20 VAB, 4. Dezember 1842 und 18. Dezember 1845.<br />
21 Wie Anm. 18.<br />
22 Herbert BURKARTH, Schulgeschichte Gammertingen (nicht<br />
veröffentlicht).<br />
hältnissen aufgewachsen, besuchte ich die Dorfschule, war aber<br />
nur ein mittelmäßiger Schüler ohne besonderen Fleiss, jedoch mit<br />
einem starken Hang zur Verträumtheit, einer fast fanatisch religiösen<br />
Schwärmerei, einem stark hervorstechenden Geltungsbedürfnis<br />
und einer lebhaften Phantasie." Wer den gereiften Bruno Gern<br />
kennenlernte, konnte feststellen: Von einer fast fanatischen religiösen<br />
Schwärmerei war nichts zu bemerken und das stark hervorstechende<br />
Geltungsbedürfnis war einer liebenswerten Bescheidenheit<br />
gewichen. Nur die lebhafte Phantasie, die hatte nicht nachgelassen.<br />
Übrigens weist das Abschlußzeugnis seiner Dorfschule<br />
auch zwei „sehr gut" auf: in Religion und Singen.<br />
Mit den Glücksgütern der Welt war Bruno Gern nicht gesegnet.<br />
Beide Eltern stammten aus Storzingen, der Vater war Bahnbeamter,<br />
verlor aber durch eine Unvorsichtigkeit diese Stelle und lebte dann
von Fabrikarbeit und von der kleinen Landwirtschaft. Und die Mit-<br />
arbeit des Sohnes in dieser Landwirtschaft war selbstverständlich.<br />
Ihr verdankte Gern zweifellos seine innige Liebe zur Natur. Aber<br />
seit seiner Jugend fühlte er sich zum Dichter berufen und hätte<br />
gerne eine höhere Schule besucht, doch das ließen die Verhältnisse<br />
nicht zu. Er machte eine Schreinerlehre, konnte den Beruf<br />
aber wegen einer Lungenkrankheit nicht ausüben. Da winkte eine<br />
Karriere bei der „Ebinger Volkszeitung", die ihn sogar auf einen<br />
halbjährigen Weiterbildungskurs des Volksbildungsvereins nach<br />
Kochel schickte. Seine sorgfältigen Mitschriften der Kurse sind<br />
noch erhalten. Er avancierte zum Redakteur, aber wenige Wochen<br />
später wurde die zentrumsorientierte Zeitung von den neuen<br />
Machthabern liquidiert. Man schrieb das fatale Jahr 1933. Damit<br />
war Bruno Gerns Traum von einem schriftstellerischen Beruf ausgeträumt.<br />
Er schlug sich dann als Handwerker und Gelegenheitsarbeiter<br />
durch, am längsten als Maurer. Von seiner Arbeit als Wegmacher<br />
zeugt noch eine „Wegmacher-Epistel" im Nachlaß. Die<br />
prekären finanziellen Verhältnisse verhinderten, von anderem abgesehen,<br />
auch, daß Bruno Gern seine längst ausgesuchte Braut<br />
Elisabeth Hipp heiraten konnte, die Lehrerstochter war. Sie bheben<br />
sich trotz allem treu, und nach Elisabeths Pensionierung - sie arbeitete<br />
beim Gesundheitsamt in Sigmaringen - konnten sie endlich<br />
heiraten. Man schrieb das schöne Jahr 1967; Bruno Gern war 60<br />
Jahre alt, seine Braut 57. Damit begann für beide die glücklichste<br />
Zeit ihres Lebens. Auch diese altmodische Liebesgeschichte verdient<br />
es, daß man sie festhält. Sie zeigt, von beiden Seiten, geistige<br />
Größe.<br />
Abb. 1. Das Foto entstand 1930 als Bruno Gern von der „Ebinger<br />
Volkszeitung" auf einen halbjährigen Weiterbildungskurs<br />
des Volksbildungsvereins nach Kochel am See geschickt wurde.<br />
Und die Gedichte? Bruno Gern schrieb unentwegt Gedichte, aber es<br />
kam nur zu vereinzelten Veröffentlichungen, vor allem im „Schwäbischen<br />
Bauer" und im „Schwäbischen <strong>Heimat</strong>kalender". Eine<br />
selbständige Veröffentlichung eines Gedichtbandes scheiterte, weil<br />
der versprochene Druckkostenzuschuß am Ende doch ausblieb.<br />
So gedieh der Band nur bis zu den Druckfahnen. Ich selbst lernte<br />
Bruno Gern 1980 kennen, und das kam so. Ich stöberte wieder<br />
einmal in einem Tübinger Antiquariat und entdeckte dabei ein<br />
Buch, das 1949 erschienen war. Es trug den Titel: „Aus dem Zollerland"<br />
und war herausgegeben von Anton Bumiller. Darin standen<br />
auch Mundartgedichte, und das beste davon hieß: "Dr Schnailuft".<br />
Es war von einem Dichter, dessen Namen ich noch nie gehört<br />
hatte. Ich halte es bis heute für eines der vollkommensten Naturgedichte<br />
der schwäbischen Mundartliteratur 2 .<br />
62<br />
DR SCHNAILUFT<br />
Dr Schnailuft döberet um 's Haus,<br />
spinnt seine weißa Fäda,<br />
stäubt seine Wolkatüecher aus<br />
und nottlet a da Läda.<br />
Daganza Obedpfeift'r schao<br />
sein Dudelsack und bloset<br />
und danzet um da Gaatazao<br />
drzwischet nei und loset -<br />
und duuderet dur s Täte rauf<br />
und aosget dur dia Fohra,<br />
duet do an Schnauf und det an Schnauf<br />
und nimmt da Wald bei'n Hoora.<br />
Und duet als hett'rgrausig z'deand<br />
mit seina wüaschta Krappa,<br />
hurniglet mit seim weißa Gwand<br />
undpfludret über's Obedland<br />
a woiche Winterkappa.<br />
In dem Buch von 1949 war noch ein zweites ausgezeichnetes Gedicht<br />
desselben Dichters enthalten („'s Bauraweib"), und dort<br />
stand nach dem Namen noch „Storzingen" 3 . Das war über dreißig<br />
Jahre her, aber zufällig hörte ich, daß es in Storzingen noch Gerns<br />
gab. Und so schrieb ich aufs Geratewohl einen Brief nach Storzingen<br />
ohne genaue Adresse, einfach: Bruno Gern, Storzingen. Am<br />
übernächsten Tag klingelte mein Telephon und es meldete sich -<br />
Bruno Gern. Man mag es Zufall nennen, ich nenne es Fügung. Wir<br />
stellten dann eine Auswahl von Gedichten zusammen und ich trug<br />
sie zum Verleger Karl Knödler in Reutlingen, der sie auf Empfehlung<br />
seines Beraters für Mundartliteratur, Professor Norbert<br />
Feinäugle, sofort in sein Verlagsprogramm aufnahm. Das Büchlein<br />
erschien 1981 unter dem Titel „Des laß dr gsait sei!" Diesen Titel<br />
schlug der Verleger selbst vor. Ich gab ihm aber noch den Untertitel<br />
„Mundartgedichte aus dem Zollerland". Und selbstverständlich<br />
sind darin „Dr Schnaüuft" und „'s Bauraweib" enthalten. Wir<br />
brachten noch zwei weitere Büchlein im selben Verlag heraus, für<br />
die Gern den Burladinger Zeichner Christian Ritter als Illustrator<br />
gewinnen konnte". Aber das Erscheinen des dritten Bändchens hat<br />
er schon nicht mehr erlebt. Er starb am 30.01.1985.<br />
Was macht nun das Besondere seiner Dichtung aus? Wie wurde er<br />
zum Mundartdichter? Ein wichtiger Lehrer war ihm hier Hans<br />
Reyhing (1882-1961). Reyhing war von 1919-1933 Leiter der<br />
<strong>Heimat</strong>abteüung des Volksbildungsvereins und von 1920-1961 der<br />
Herausgeber des „Schwäbischen <strong>Heimat</strong>kalenders", außerdem ein<br />
vielgelesener Autor von Erzählungen, Romanen und Mundartliteratur.<br />
Bruno Gern lernte ihn 1928 auf einem Fortbüdungskurs des<br />
Volksbildungsvereins kennen. Reyhing schärfte ihm ein, er dürfe in<br />
seinen Gedichten kein Wort und kein Bild gebrauchen, das einem<br />
schwäbischen Bauern fremd sei. Diesen Rat hat der Dichter dann<br />
so gründlich beherzigt, daß Reyhing selbst Verständnisschwierigkeiten<br />
bekam. So fragte er zum Beispiel in einem Brief nach der<br />
Bedeutung verschiedener Wörter in den eingesandten Gedichten<br />
wie „Ruach", „suttera", „heigla" und „zeampla". Gerns Antwortbrief<br />
ist in einer Durchschrift erhalten. Ich zitiere daraus seine Erklärung<br />
des Wortes „heigla": „Unter ,heigla' versteht man Durcheinanderbringen.<br />
So frägt man ein Mädchen mit wirren Haaren: Jo<br />
wear hot au' Di' so verheiglet?' Die Windsbraut heiglet das Heu<br />
durcheinander und nach einem Sturm sieht s Täle bais verheiglet<br />
aus. 5 " Diese Angaben werden von den entsprechenden Artikeln im<br />
„Schwäbischen Wörterbuch" voll bestätigt''.
Überblickt man das mundartliche Werk Bruno Geras im Ganzen,<br />
so fällt der formale und inhalthche Reichtum auf. Wir finden eine<br />
Vielfalt des Vers- und Strophenbaus und eine Natürlichkeit der<br />
Sprache, wie sie sonst nur bei den ganz Großen der schwäbischen<br />
Mundartliteratur anzutreffen ist. Man darf Bruno Gern ohne Weiteres<br />
mit Sebastian Salier, August Lämmle oder Sebastian Blau vergleichen.<br />
Man wird nicht leicht einen Dichter treffen, der den Humor<br />
des einfachen Menschen mit so unauffälliger Kunst trifft und<br />
anspricht. Und wenn jemand die Musikalität der Storzinger Mundart<br />
ins schwäbische Land hinausgetragen und durch seine Gedichte<br />
unsterblich gemacht hat, dann ist er es. Der formalen Vielfalt entspricht<br />
auch eine inhaltliche. Kein schwäbischer Dichter hat ein<br />
ganzes Bändchen mit Pflanzengedichten aufzuweisen wie Bruno<br />
Gern. Es sind insgesamt über 80 Gedichte 7 . Und der Dichter liebte<br />
auch die unscheinbaren Pflänzlein wie das Zittergras 8 :<br />
Abb. 2. Bruno Gern schuf auch reizvolle Scherenschnitte<br />
ZITTERLE<br />
Des Zitterle, desklei, ischtgwieß<br />
it s Vürneamscht vo dr Sommerwies<br />
und s schöscht vo älla Gräser,<br />
aber s ischt sauber zeema griicht<br />
und bot a Habs, a sealtas Gsiicht,<br />
und it bloß so an Mäser'.<br />
Koi anders bot dr Sommer jetzt<br />
so wusaleg e d Wealt neigsetzt,<br />
63<br />
duat wispra drin und weaba,<br />
lot's laus des Zitterte, des klei,<br />
und zittern im Sonnaschei<br />
voar lauter Freud am Leaba.<br />
Ohne Zweifel hegt in der Naturlyrik die eigenthche Stärke unseres<br />
Dichters. Aber auch auf anderen Feldern hat er Beachtliches geschaffen.<br />
Wo gibt es in der schwäbischen (oder auch hochdeutschen)<br />
Literatur einen Zyklus von Kindergedichten wie den zum<br />
100. Geburtstag pubüzierten Band „Guggusele"? 10 Viele von Geras<br />
Gedichten befassen sich, wie zu erwarten, mit dem dörflichen Leben<br />
und dem Alltag des Bauern, dem Alltag freilich einer vergangenen<br />
Zeit. Das Alterswerk enthält zahlreiche Gedichte, die man in<br />
der Bibel „Weisheitshteratur" nennt. Und unter dieser Rubrik sei<br />
auch einmal ein hochdeutsches Gedicht Bruno Geras gestattet. Es<br />
heißt:<br />
BILANZ<br />
Des Jahres letzter Tag bricht an,<br />
und du ziehst die Bilanz,<br />
findest noch vieles ungetan<br />
und unerfüllt vom alten Plan,<br />
nur übertüncht vom Glanz.<br />
Du schaust voraus, du blickst zurück,<br />
du überlegst und wägst,<br />
nimmst hier ein Stück und dort ein Stück,<br />
ein Quentchen Pech, ein Quentchen Glück,<br />
das du ins Merkbuch trägst.<br />
Legst dir ein frisches Blatt zu recht,<br />
noch neu und ungeneppt,<br />
und spürst, dein neuer Plan ist echt,<br />
und zückst beschwingt, wie zum Gefecht,<br />
dein besseres Rezept.<br />
Du überprüfst es, mengst und mißt,<br />
was du dir so bestimmst,<br />
nur, daß du ganz dabei vergißt,<br />
daß es der alte Adam ist,<br />
den du hinüber nimmst!<br />
Der Nachlaß enthält noch manches, was einer Veröffentlichung<br />
wert wäre. Darunter ist ein kleines Epos über eine Wallfahrt, die<br />
die Storzinger Kirchengemeinde früher alljährlich nach Engelswies<br />
führte: „S Umganggaoh ge Engelswies". Darunter ist weiter ein<br />
großes dramatisches „Fasnachtsbegräbnis", das in Storzingen bis<br />
heute alljährlich begangen wird. Im Nachlaß ist außerdem ein längeres<br />
Gedicht über die Schmeier und ein kleineres Werk, das es<br />
mir besonders angetan hat. Dieses Werk beschreibt einen Ort, an<br />
dem das Herz des Dichters besonders hing und an dem das Herz<br />
jedes Christen besonders hängen muß: die Kirche, in diesem Fall<br />
natürhch die Storzinger Kirche. Bruno Gern war ein frommer<br />
Mann. Und seine Frömmigkeit war auch die Quelle seines Humors<br />
und seines Optimismus, den er sich in allen ihm auferlegten Verzichten<br />
und Leiden immer bewahrt hat. Dieses kleine Werk soll<br />
hier zum ersten Mal publiziert werden". Es ist ein Gelegenheitsgedicht<br />
und stammt vermutlich aus den sechziger Jahren des letzten<br />
Jahrhunderts, als man im Storzinger Kirchlein ein furchtbares Untier<br />
entdeckte. Die Verse sind Schnadahüpfl, die zum Singen gedacht<br />
sind. Der Dichter hat sie auf einer Fastnachtsveranstaltung<br />
vorgetragen.
DR HOLZWURM<br />
S ischt schlimm mit da Leut ond s ischt schlimm mit dr Zeit,<br />
denn d Wealt ischt heut voola Respektlosigkeit.<br />
Au d Tieria sogar haod et vill maih Respekt,<br />
suscht hett ma e'r Kirch et da Holzwurm entdeckt.<br />
Ond hett ma drweaga im Blättle doch it<br />
an langa Artikel verbrocha drmit.<br />
So daß sogar s oifachschte Kirchaliacht woißt,<br />
wo s herkonnt, was machet, des Tier, ond wia s hoißt.<br />
E'r Orgel denn ka-n es am ehnschta verstaoh,<br />
denn do duet dear Kerle sich bläsala lao.<br />
Sitzt na auf dia Flötla ond zuzzlet ond zielt,<br />
wenn s Chor so schö singt ond dr Thedore spielt,<br />
Ond so als dr Stoazinger Hoforganischt<br />
wahrscheinle wohl au schao weng wurmmäßig ischt.<br />
Drum spielt 'r wohl oft au so leirig ond lahm<br />
ond ischt voar dr Kircha duß suscht au so zahm.<br />
Doch des hotjo schliaßle noitzzdeand mit dearn Wurm,<br />
wo nuehlet e'r Orgel ond boahret im Turm.<br />
Im Dachstuehl, do ischt des schao weniger schö,<br />
denn dogohts um d Sparra, ond dia wearat hee!<br />
De'scht et wia bei'n Leuta, wo's maischtens ganz guet<br />
au mit ama Dachsparra weniger duet.<br />
Ond weil des so ischt ond a dringende Sach,<br />
steigt sicher dr Pfarr aos jetzt au bald aufs Dach.<br />
Ondploget aos wieder äll Sonnteg ond milkt<br />
dia Gealdbeutel, bis halt dr Wurm ischt vertilgt.<br />
Bei'r Kanzel, do isch scheints koiSach noh, wo brennt,<br />
weil suscht drauf dear Ma et so rumfuuchtla könnt.<br />
Ond neischla aufs Gleander, so daß do beizeit<br />
da Holzwurm bestimmt de ganz Arbet et freut.<br />
Doch manchmol, do deuchts me au do schao weng lätz,<br />
suscht gäbs drauf et oft so a wurmstichigs Gschwätz.<br />
Dr Wurm macht sich noitz draus ond drum au, i denk,<br />
halt weiter wia suscht: au det dun en da Bänk.<br />
Ganz bsonders, seit do jetzt die Heizong ischt dra,<br />
wo er sich weng pfleaga ond warm halta ka.<br />
Bei'n Mannsbilder kriagt'r jo gratis drzua<br />
d Woch dure noh extra sei butzete Ruah.<br />
S ischt bloß guet, daß dBöda noh guat sind ond nui,<br />
suscht hettat a d Weiber jo lang schao e'n Knui.<br />
Ganz bsonders de sälle, wo ganz guet sind dra<br />
beim Pfarr ond en d Kirch gaod im Abonnema.<br />
Obs zwar graoß vill Weat bot, bezweifla i stark,<br />
denn meischtens isch bloß so a scheiheiligs Weark.<br />
Ondfaltet de sälle am eifrigschta d Händ,<br />
wo nohear so gallig ond giftnudlig sind.<br />
64<br />
Doch des ischt et mei Sach ondgoht mi noitz a,<br />
do ändret bestimmt au der Holzwurm noitz dra.<br />
Der woißt, wie ällz mind auf dr Welt ischt ond mau<br />
ond mürb, denn im Beichtstuehl, do hocket der au.<br />
Ond machet deam Wurm do im Gwissa, deam Stenz,<br />
wo inwendig tiägt, seim Kolleg, Konkurrenz.<br />
Ond loset drbei ond loschoret ond sieht<br />
drum ällaweil au, was so scheiheiliggschieht.<br />
Doch s Schlimmste vo ällam ond s graischte Malör:<br />
Mir haod schao da Holzwurm sogar i'n Altär.<br />
Des ischt et so oifach ond au mit dr Zeit<br />
a Sach, wo oim z schaffet ond z nodenket geit.<br />
Denn wenn ma noitz duet dra ond gucket et drauf,<br />
ka's sei, derfrißt aos de ganz Kirchagschiicht auf.<br />
Drum trag jeder bei, dass dr Herr des verhüet,<br />
ond et aosr Pfarr gao noh arbeitslos wiad.<br />
Ond zoiget au, daß mir im Gstell ond im Grind<br />
noh guet beianand ond et wurmmäßig sind.<br />
Sind luschtig mitnander ond lachat drzua<br />
ond laod jetzt dean Holzwurm, dean arrna, in Ruah.<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Laudatio, vorgetragen beim Festakt am 10. März 2007 im Gemeindehaus<br />
Weckenstein, Storzingen.<br />
2 Dieses Gedicht erschien erstmals in den „<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Blättern" vom 9- Februar 1935.<br />
3 A. BUMILLER, Aus dem Zollerland. Plaudereien über Land<br />
und Leute, Sigmaringen (M. Lieners Hofbuchdruckerei)<br />
1949,196 unter dem Gedicht „'s Bauraweib". „Dr Schnailuft"<br />
ebd. 70.<br />
4 B. GERN, Sonnawirbel. Ein Schwäbisches Herbarium, mit<br />
Zeichnungen von Christian Ritter, Reuthngen 1983; DERS.,<br />
Sonnaschei und Reaga. Schwäbische Monatsbilder, mit Zeichnungen<br />
von Christian Ritter, Reuthngen 1985. Alle drei Büchlein<br />
sind noch lieferbar. Christian Ritter starb 2005 im 90. Lebensjahr.<br />
5 B. GERN, Brief an H. Reyhing vom 6.6.1949-<br />
6 Vgl. Schwäbisches Wörterbuch, bearbeitet von Hermann Fischer<br />
Bd. 2, Tübingen 1908, ll69f (s.v. verheiglen); ebd. Bd.<br />
3 (1911) 1345f (s.v. heiglen). Auch dort wird speziell zerzaustes<br />
Haar genannt.<br />
7 B. GERN, Sonnawirbel. Ein schwäbisches Herbarium. Zeichnungen<br />
von Christian Ritter, Reuthngen (Karl Knödler) 1983.<br />
8 B. GERN, Sonnawirbel (s. Anm. 7) 87.<br />
9 Ein „Mäser" ist ein Knorren oder Wurzelstock.<br />
10 GUGGUSELE. Schwäbische Kinderlieder. Mundarttexte von<br />
Bruno Gern mit Bildern von Sr. Maria Innocentia Hummel<br />
und Melodien von Martin D. Loritz, hg. von Martin D. Loritz<br />
und Marius Reiser 2007. Zu beziehen über das Bürgermeisteramt,<br />
Rathausplatz 1,72510 Stetten am kalten Markt.<br />
11 Ich habe das Gedicht behutsam redigiert und um einige<br />
Strophen gekürzt.
OTTO H. BECKER<br />
Mitgliederversammlung des <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s 2007<br />
Die Jahresversammlung des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
fand am 11. Juni im Nebenzimmer der Brauereigaststätte „Zoller-<br />
Hof" in Sigmaringen statt. Nach der Begrüßung der Teilnehmer<br />
verlas der Vorsitzende Dr. Otto H. Becker die Liste der seit der Mitgliederversammlung<br />
des Vereins am 23- Mai 2006 in Hechingen<br />
verstorbenen Mitgheder. Persönlich würdigte der Vorsitzende<br />
Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, Ehrenmitglied des <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />
aus Gammertingen, Herrn Alois Schleicher aus Sigmaringen,<br />
der viele Jahre das Amt des Rechnungsprüfers wahrgenommen<br />
hat, und Herrn Prof. Hans-Karl Schuler aus Jungingen.<br />
Anschließend berichtete der Vorsitzende über die Aktivitäten des<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s im Berichtszeitraum. Angeboten wurden danach<br />
alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen in Hechingen<br />
und in Sigmaringen insgesamt 10 Vorträge. Diese waren<br />
jeweils in den „Mitteilungen" in der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> angekündigt<br />
mit Ausnahme des Vortrags von Franz-Severin Gäßler<br />
„Der Leopoldplatz in Sigmaringen. Monument der Landeshauptstadt"<br />
am 19- Januar 2007 in Sigmaringen, der wegen des drohenden<br />
Abrisses des „Deutschen Hauses" eingeschoben wurde. Nach<br />
Einführungsvorträgen in Sigmaringen und Hechingen veranstaltete<br />
der Verein am 12. Mai 2007 unter der Leitung von Herrn Archivassessor<br />
Carsten Kohlmann M.A. mit dem Thema „Landjuden am<br />
Oberen Neckar" eine Führung in Horb a.N. und in Rexingen. Der<br />
Vorsitzende unternahm am 14. Oktober und am 18. November<br />
2006 Führungen auf dem Hedinger Friedhof in Sigmaringen. - Die<br />
Veranstaltungen waren allesamt gut bis sehr gut besucht.<br />
Einen Schwerpunkt der Vereinsarbeit bildete die Herausgabe der<br />
Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte 42 (2006), die im Juli<br />
d. J. schließlich an die Mitglieder verschickt werden konnte. Die<br />
<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong> erschien jeweils fristgerecht. Der Umfang<br />
dieser Zeitschrift wurde zum Jahresbeginn von 16 auf 24 Seiten<br />
pro Heft aufgestockt. Seit Frühjahr verfügt der <strong>Hohenzollerische</strong><br />
<strong>Geschichtsverein</strong> auch über eine eigene Homepage, die unter<br />
der E-Mai-Adresse www.hohenzollerischer-geschichtsverein.de angekhckt<br />
werden kann. Sie enthält neben aktuellen Vereinsnachrichten<br />
auch Angaben über die in der Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />
Geschichte der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> enthaltenen Abhandlungen<br />
und Beiträge. - Sehr schwierig und aufwändig erwies<br />
sich ferner die durch neue Versandbestimmungen der Deutschen<br />
Post erzwungene Umstellung der vereinsinternen EDV. - Vorstand<br />
und Beirat tagten am 13. Juli und 8. November 2006 und am 21.<br />
März 2007 jeweils gemeinsam im Gasthof „Kreuz" in Gammertingen.<br />
Anschließend legte Schatzmeister Wolfgang Wenzel einen positiven<br />
Kassenbericht zum 31. Dezember 2006 vor. In ihrem anschließenden<br />
Bericht bescheinigten die Rechnungsprüfer Hans-Joachim<br />
Dopfer und Gebhard Füßler bescheinigten dem Schatzmeister eine<br />
korrekte Rechnungsführung, Daraufhin erteilte die Mitgliederversammlung<br />
Herrn Wenzel einstimmig die Entlastung. Es folgte die<br />
Entlastung der Vorstandschaft insgesamt. Der Vorsitzende nahm<br />
diese zum Anlass, den Mitgliedern des Vorstands und Beirats für<br />
ihre Mitarbeit im Ehrenamt zu danken. Sein besonderer Dank galt<br />
dem stellvertreten Vorsitzenden Otto Werner, Schriftführer Helmut<br />
Göggel und Schatzmeister Wolfgang Wenzel sowie dem Mitschriftleiter<br />
der Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte, Herrn Kreis-<br />
65<br />
archivar Dr. Andreas Zekorn, und dem Schriftleiter der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Heimat</strong>, Herrn Robert Frank.<br />
Der nächste Tagungsordnungspunkt bildete die Wahl eines neuen<br />
stellvertretenden Vorsitzenden. Diese war notwendig geworden,<br />
nachdem Rektor a.D. Otto Werner aus Altersgründen um die Entbindung<br />
von seinem Ehrenamt gebeten hatte. Auf Vorschlag der<br />
Vorstandschaft wählte die Mutgliederversammlung Herrn Thomas<br />
Jauch M.A., Stadtarchivar von Hechingen, einstimmig zum neuen<br />
stellvertretenden Vorsitzenden. Auf die von Herrn Jauch bisher im<br />
Beirat besetzte Stelle wurde von der Mitgliederversammlung ebenfalls<br />
auf Vorschlag der Vorstandschaft Herr Uwe A. Oster M. A., stellvertretender<br />
Chefredakteur der in Stuttgart erscheinenden Zeitschrift<br />
„Damals", aus Hechingen berufen.<br />
Herrn Jauch und Herrn Oster wünschte der Vorsitzende gute Zusammenarbeit<br />
und viel Erfolg in ihrem neuen Ehrenamt. Anschließend<br />
dankte Dr. Becker Herrn Otto Werner für seine dem<br />
Verein seit 1999 geleistete Arbeit. In seiner kurzen Ansprache hob<br />
der Vorsitzende die gute und von gegenseitigem Vertrauen geprägte<br />
Zusammenarbeit hervor. Als kleines Zeichen des Dankes und der<br />
Anerkennung übergab Dr. Becker dem scheidenden stellvertretenden<br />
Vorsitzenden ein Weinpräsent. Frau Werner erhielt einen Blumenstrauß.<br />
Im letzten Tagesordnungspunkt „Anträge und Verschiedenes" trug<br />
der Vorsitzende den Inhalt eines Schreibens von Herrn Prof. Dr.<br />
Paul Münch vom 5. Juni 2007 mit der Überschrift „Initiative zur<br />
Förderung der hohenzollerischen Geschichtsschreibung" vor. Das<br />
Vereinsmitglied regte darin die Errichtung eines Fonds an, aus dessen<br />
Erträgen Forschern Zuschüsse im Rahmen ihrer Arbeiten zur<br />
hohenzollerischen Geschichtsschreibung gewährt werden sollten.<br />
Zur Aktivierung von Forschungsarbeiten könnten aus dem Fonds<br />
ferner „ein Preis für hervorragende akademische Qualifikationsarbeit<br />
zur hohenzollerischen Geschichte sowie ein Preis für eine heimatgeschichtliche<br />
Arbeit ausgelobt werden". Der Vorsitzende versprach,<br />
die Initiative bei den kommenden Vorstands-und Beiratssitzungen<br />
zu thematisieren.<br />
Im Anschluss an die harmonische Versammlung wurde ein öffentlicher<br />
Vortrag angeboten. Es sprach Stadt-und Stiftsarchivdirektor<br />
Dr. Hans-Bernd Spies, Aschaffenburg, zum Thema „Von Carl zu Carol<br />
- der Weg eines Hohenzollernprinzen auf den rumänischen<br />
Thron".<br />
Buchbesprechungen<br />
Heinz Krämer: Erinnerungen an Ludwig Uhland<br />
Feuerbach, vor hundert Jahren zur Stadt erhoben, und der Tübinger<br />
Dichter Ludwig Uhland (1787 - 1862), stehen im Mittelpunkt<br />
des Buchs „Louis Uhland am Neckar, an der Seine - und am Feuerbach"<br />
des Stuttgarter Autors Heinz Krämer. Ludwig Uhland,<br />
schon in seiner Jugendzeit „Louis" gerufen, war zwischen 1810<br />
und 1820 gut achtzigmal zu Gast in Feuerbach: bei seinem „Oncle",<br />
dem Pfarrer Johann Georg Schmid, und der Tante „Gottliebin".<br />
1810 unternahm er eine achtmonatige Bildungsreise nach<br />
Paris an der Seine. Von kargen Tagebucheintragungen Uhlands und<br />
anderen Quellen ausgehend, schließt Heinz Krämer auf ein inniges<br />
Verhältnis des Dichters zu Feuerbach und der umhegenden Region<br />
im allgemeinen und zur Familie Schmid im besonderen. Er erzählt<br />
verschiedene Begebenheiten aus dem Leben Uhlands und würzt<br />
seine Darlegungen mit Gedichten des Poeten oder Auszügen daraus.<br />
Vollständig abgedruckt sind beispielsweise die Uhland-Ge-
dichte , Der Überfall in Wildbad", „Des Sängers Fluch" und „Droben<br />
stehet die Kapelle". Illustriert wurde das 128seitige Buch mit<br />
sieben Farbbildern und 21 Schwarz-Weiß-Abbildungen. Es erschien<br />
im DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG, Leinfelden-<br />
Echterdingen (ISBN 978-3-87181-046-6) und kostet 9,90 Euro.<br />
(ba)<br />
Paul Sauer: Jugend in einem schwäbischen Bauerndorf<br />
Der Landeshistoriker Professor Dr. Paul Sauer, der auch im Staatsarchiv<br />
Sigmaringen tätig war und jetzt im Ruhestand lebt, erinnert<br />
sich in seinem Buch „Wolfsölden" an seine Jugendzeit in einem<br />
schwäbischen Bauerndorf. Wolfsölden hegt bei Winnenden, Backnang<br />
und Marbach. Der Band ist mehr als nur die Darstellung einer<br />
Familiengeschichte oder ein Wolfsöldener <strong>Heimat</strong>buch. Was<br />
Dr. Sauer unterhaltsam und kurzweilig beschreibt, könnte sich so<br />
ähnlich auch irgendwo auf der Schwäbischen Alb, auf dem Heuberg<br />
oder im Donautal zugetragen haben. Detailliert berichtet der<br />
Autor von seiner Kindheit und Jugendzeit in den 30er-, 40er- und<br />
50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und gibt somit wertvolle Einblicke<br />
in das damalige Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
auf dem Land. Das heikle Thema „Nationalsozialistischer Alltag",<br />
in der die Jugend indoktriniert und verführt wurde, klammert<br />
er so wenig aus wie die Zeit des Kriegs, der Bombenangriffe und<br />
deren Folgen.<br />
Paul Sauer: Wolfsölden- Jugend in einem schwäbischen Bauerndorf.<br />
288 Seiten, 46 Abbildungen. Silberburg- Verlag, Tübingen.<br />
19,90 Euro. JSBN 978-3-87407-738-5. (ba)<br />
Botho Walldorf: Hertingen - Inneringen im Wandel, Band 2<br />
Botho Walldorf, 72827 Wannweil, Lenaustraße 23, hat rechtzeitig<br />
zum Jubiläum „600 Jahre verbriefte Stadtrechte in Hettingen -<br />
1407 bis 2007" im Selbstverlag den Bildband „Hettingen<br />
- Inneringen im Wandel, Band 2" (Band I erschien 1985 im Geiger-<br />
Verlag, Horb) herausgegeben und ihm bescheiden den Untertitel<br />
„Eine nicht wissenschaftliche Microstudie zum Verschwinden der<br />
vorindustriellen Bausubstanz" gegeben. Walldorfs schon viele<br />
Jahrzehnte währendes Wirken für die hohenzollerische <strong>Heimat</strong>geschichte<br />
und insbesondere für die Region Laucherttal ist ein Segen.<br />
Mit großer Beharrlichkeit, angetrieben vom Bewusstsein, dass es<br />
sinnvoll ist, den Zeitenwandel fotografisch zu dokumentieren, hat<br />
er in mühevoller Kleinarbeit immer wieder Bilder gemacht und ergänzend<br />
Informationen von Zeitzeugen zusammengetragen. Vieles<br />
mag auf den ersten Bück banal und unwichtig erscheinen, doch<br />
Walldorf liefert das, was man in Ergänzung zu rein wissenschaftlichen<br />
Erhebungen als das „Salz in der Suppe" bezeichnen könnte.<br />
Durch solche volkstümlichen Bilder und Schilderungen wird Geschichte<br />
erleb- und nachvollziehbar. Vieles, was auf den rund 250<br />
Schwarz-weiß-Fotos zu sehen ist, gibt es mittlerweile nicht mehr,<br />
und so kommt Bildern von einstigen Häusern und von alten Hettingern,<br />
aber auch von Schuppen, Dunglegen und Plumpsklos<br />
ebensolche Bedeutung zu wie Erinnerungen an kleine Episoden<br />
und Anekdoten, an Hausnamen und Familiengeschichten, an<br />
Schicksalsschläge und persönliches Empfinden. Der 282seitige<br />
Band (22 Euro) ist in einer Auflage von 300 Exemplaren erschienen<br />
und dürfte wohl bald vergriffen sein, denn es ist spannend, in<br />
ihm zu blättern, zu betrachten und zu lesen (ba)<br />
Armin Kohnle: Geschichte der Markgrafschaft Baden<br />
Im G. Braun Buchverlag, Karlsruhe, erschien innerhalb der Reihe<br />
„Regionalgeschichte -fundiert und kompakt" vom Heidelberger<br />
66<br />
Historiker Armin Kohnle das 208seitige handliche Buch „Kleine<br />
Geschichte der Markgrafschaft Baden" (208 Seiten, 45 Abbildungen,<br />
sechs Karten und sechs Stammtafeln, ISBN: 978 - 7650 - 8346<br />
-4, 14,90 Euro). In verständlicher Sprache, übersichtlich gegliedert<br />
und trotz aller Kompaktheit packend erzählend, schildert der<br />
Autor die ereignisreiche Geschichte der Markgrafschaft Baden vom<br />
Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, als das Großherzogtum Baden<br />
(1806) entstand. Die Anfänge der Badischen Geschichte werden<br />
skizziert und dann der Aufbau des badischen Territoriums im Wettstreit<br />
(friedlich und gewaltsam) adliger Familien. Stark vorangetrieben<br />
haben den inneren Landesausbau die Markgrafen Bernhard<br />
I. und Christoph I. Eine äußerst wechselvolle Geschichte begann<br />
mit dem Aufkommen des Humanismus, dem Bauernkrieg<br />
und der Reformation. Schreckliche Epochen mit Kriegen und Zerstörungen<br />
infolge des Kräftemessens mächtiger Herrscher folgten<br />
im 17. Jahrhundert, bis dann der Wiederaufbau und die barocke<br />
Kultur in der Markgrafschaft Einzug hielten. Zum Schluss seines<br />
lehrreichen Geschichtsbuchs legt Armin Kohnle das Wirken der<br />
Markgrafen Friedrich VII. Magnus (1677 - 1709) und Karl Wilhelm<br />
von Baden-Durlach dar, die Zeit unter Markgraf Karl Friedrich<br />
von Baden-Durlach und den Übergang von der Markgrafschaft<br />
zum Großherzogtum Baden.<br />
Stadtverwaltung Hettingen (Hrsg.):<br />
Dorfleben hinter Stadtmauern<br />
600 Jahre Stadt Hettingen, 1407 bis 2007<br />
Zum Jubüäum „600 Jahre Stadtrechte" organisierten die Hettinger<br />
ein umfangreiches und vielfältiges Veranstaltungsprogramm<br />
während des Jahres 2007. Dazu gehörte auch die Herausgabe einer<br />
l76seitigen Festschrift, herausgegeben von der Stadtverwaltung,<br />
produziert und gestaltet im Gmeiner-Verlag, Meßkirch (ISBN<br />
3-926633-65-4, 15 Euro). Konzeption und Redaktion übernahmen<br />
Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst Weber, Sigmaringen, und Wilfried<br />
Liener, Hettingen. Die reich bebilderte Schrift dokumentiert<br />
in sechs Abschnitten die Geschichte Hettingens. Dr. Weber präsentiert<br />
die Urkunde vom 6. September 1407 aus dem Gräflich Rechbergschen<br />
Archiv in Donzdorf. In ihr wird Hettingen erstmals als<br />
Stadt erwähnt. Die Entwicklung Hettingens im Mittelalter wird in einem<br />
Beitrag von Dr. Casimir Bumiller skizziert. Alexander Sancho-<br />
Rauschel stellt das Stift St. Martin zu Hettingen vor, um dann in einem<br />
weiteren Beitrag auf die Entwicklung der Stadt in der frühen<br />
Neuzeit einzugehen. Wilfried Liener hat seinen Beitrag über Hettingen<br />
im 19- und 20. Jahrhundert mit dem Titel „Vom Ritterort zum<br />
Industriestandort" überschrieben, und das Thema „Hettingen im<br />
Nationalsozialismus" wird von Norbert Möller behandelt. Nach diesen<br />
Geschichtsbeiträgen werden in der mit einem Geleitwort des<br />
Bürgermeisters Stefan Bubeck versehenen Festschrift von Hans-<br />
Jürgen Becker bau- und kunstgeschichtliche Sehenswürdigkeiten<br />
in Hettingen vorgestellt. In fünf Kurzbeiträgen werden danach Hettinger<br />
Persönlichkeiten gewürdigt: die Adehgen Dietrich von Speth,<br />
Phillipp Dietrich von Speth und seine Frau Dorothea geb. von<br />
Rechberg (Beiträge von Alexander Sancho-Rauschel) sowie Marie<br />
Koenig geb. Reichsgräfin von Spee (Jugenderinnerungen von<br />
Dr. Adolf Lieb), der „China-Hannes" Johann Wolf (Bärbel Wolf-<br />
Gellatly hat ihm ein eigenes Buch gewidmet und im Hettinger Jubiläumsjahr<br />
auch daraus vorgelesen.) sowie der einstige Sigmaringer<br />
Chefarzt und Hettinger Ehrenbürger Professor Dr. med.<br />
Hermann Lieb (Beitrag von Dr. Gerda und Dr. Helmut Lieb). Ergänzt<br />
wird die Festschrift außerdem durch die Vorstellung Hettinger<br />
Vereine und Firmen. (ba)
Hartmut Jericke: Begraben und vergessen? - Dritter Band<br />
Im DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen, ist in der Reihe „Begraben<br />
und vergessen?" nun der dritte Band von Hartmut Jericke erschienen.<br />
In allen drei Bänden geht es um Tod und Grablegen deutscher<br />
Kaiser und Könige. Band 1 umfasst die Zeitspanne zwischen<br />
König Konrad I. bis zum Ende der Stauferzeit (1273), Band II die<br />
Zeitspanne zwischen dem Sterben König Rudolfs von Habsburg<br />
(1291) und jenem von Kaiser Rudolf II. (1612). Mit seinem dritten<br />
Band nun schließt der Autor seine Reihe ab. Band III von „Begraben<br />
und vergessen?" trägt den Untertitel „Tod und Grablege der<br />
deutschen Kaiser und Könige - Von Kaiser Matthias bis Kaiser Wilhelm<br />
II. ( 1619 - 1941 )". Der 128seitige Band ist mit 20 zeitgenössischen<br />
Stichen und Abbildungen ansprechend illustriert.<br />
Kenntnisreich und spannend schildert Jericke das Sterben von 17<br />
Kaisern und die nach dem Tod vorgenommenen Rituale. Er beschreibt<br />
auch genau die Ausgestaltung der Sarkophage in den verschiedenen<br />
Grablegen. Jedem Kaiser ist zu Beginn der einzelnen<br />
Abhandlungen ein Kurzporträt gewidmet Eine Karte, knappe Literaturverzeichnisse<br />
zu den verschiedenen Kapiteln, eine Einleitung<br />
und ein Nachwort ergänzen das handliche Buch (ISBN: 978-3-<br />
87181-024-4; Preis: 12,90 Euro). Wenn der Autor darlegt, unter<br />
welchen Umständen, wo und wie die Kaiser einst aus dem Leben<br />
schieden, wie sie leiden mussten oder wie ihnen vergönnt war,<br />
sanft zu entschlafen, wenn der Geschichtskenner schildert, wie Bevölkerung,<br />
Hof und Adelsgesellschaft mit dem Tod ihres Oberhaupts<br />
umgegangen sind, so rührt dies beim Lesen oftmals an,<br />
macht betroffen und nachdenklich. (ba)<br />
Klaus Riexinger/Detlef Ernst: Vernichtung durch Arbeit.<br />
Rüstung im Bergwerk. Die Geschichte des KZ Kochendorf<br />
Das KZ Kochendorf war eins von über 50 Außenkommandos des<br />
KZ Natzweiler-Struthof, etwa 50 Kilometer südwestlich von Straßburg<br />
gelegen. Zu diesen Nebenlagern gehörten in unserem Raum<br />
u.a. auch Schömberg, Dautmergen, Schörzingen, Spaichingen, Erzingen,<br />
Bisingen und Sulz am Neckar. Die Anzahl dieser Außenlager<br />
stieg bis 1944/45 auf 1634 mit rund 700 000 Zwangsarbeitern,<br />
die für die Rüstungsindustrie arbeiten mussten. Damit waren „die<br />
Interessen der Machthaber in Wirtschaft und NS-Staat verschmolzen".<br />
Denn die Häftlinge waren in der Nähe der Fabriken untergebracht,<br />
und die SS übte in den Lagern weiterhin die Verfügungsgewalt<br />
über die Zwangsarbeiter aus.<br />
Das KZ Bad Friedrichshall-Kochendorf bei Heilbronn wurde am<br />
21. Aug. 1944 „gegründet", und als Häftlinge kamen evakuierte<br />
aus Außenkommandos aus Frankreich, da diese wegen der heranrückenden<br />
Front der Westalliierten verlagert werden mussten. Die<br />
Arbeitszeit der Häftlinge betrug im Schnitt täglich elf Stunden, gearbeitet<br />
wurde an sechseinhalb Tagen, und nur der Sonntagnachmittag<br />
war frei. Das Ziel der Nazis war es, die KZ-Insassen durch<br />
Arbeit zu vernichten. „Die mangelhafte Ernährung war eine wichtige<br />
Größe zur Vernichtung der Menschen. Sie wurde so berechnet,<br />
dass die Häftlinge bei schwerer körperlicher Arbeit kontinuierlich<br />
schwächer wurden." Morgens vor Arbeitsbeginn gab es nur<br />
schwarze Brühe (Kaffee). Mittags erhielt jeder Häftling 0,75 Liter<br />
einer Wassersuppe, worin manchmal eine Kartoffel oder eine rote<br />
Rübe schwamm. Abends erhielten die KZ-Insassen 150 Gramm<br />
Brot und etwas Margarine.<br />
Die Autoren beschreiben weiterhin die namhaften Industriebetriebe,<br />
die die Arbeitskraft dieser Gefangenen ohne Skrupel ausnutzten.<br />
Schon am 30. März 1945 musste das KZ von der SS<br />
geräumt wurden, es hatte sieben Monate exisitiert. Alle Gehfähigen<br />
mussten den unmenschlichen Marsch ins KZ Dachau durchma-<br />
67<br />
chen, der für jeden Tag hier genau beschrieben wird. Das Buch<br />
thematisiert auch das schwere Erbe dieses KZs und die Strafermittlungen,<br />
die Rüstungsspionage und den Streit um Entschädigung.<br />
Ein sehr empfehlenswertes Buch, da es das Leben im KZ und<br />
die Organisation des Tötens beschreibt, wie es sich in jedem anderen<br />
der Arbeitslager genauso oder ähnlich zugetragen hat.<br />
Klaus Riexinger/Detlef Ernst: Vernichtung durch Arbeit. Die Geschichte<br />
des Konzentrationslagers Kochendorf- Außenkommando<br />
des KZ Natzweiler-Struthof. 336 Seiten, 65 Abbildungen, Silberburg-Verlag<br />
Tübingen, ISBN 3-87407-556-7, 14,90 Euro.<br />
Oft)<br />
Johannes Lehmann: Caracalla & Kohorten. Reise zu den<br />
Römern in Südwestdeutschland<br />
Das römische Weltreich umfasste über 40 Provinzen rund ums Mittelmeer,<br />
und Julius Cäsar hatte um 50 v.Chr. mit Gallien und Britannien<br />
eine „ letzte Lücke im Kranz der Provinzen geschlossen."<br />
Nur „Germanien" blieb unbekanntes Land. Lediglich im Süden<br />
zwischen Alpen und Neckar unterstand ein schmaler Streifen der<br />
Herrschaft Roms, 200 Jahre gegen die Barbaren gesichert durch<br />
den Limes. Der Autor beschreibt zunächst die Geschichte Roms<br />
von Cäsar an bis zum Zusammenbruch infolge der Völkerwanderung.<br />
Ein Kapitel widmet sich den Alamannen, die dann dieses Vakuum<br />
füllten. Der Limes erfährt eine ausführliche Darstellung,<br />
ebenso die „Römer im Ländle" und das Verhältnis zu den Kelten.<br />
„Unter Römern leben" beschreibt deren Wohnkultur, ihre Essgewohnheiten,<br />
wie sie lebten (Körperpflege und Badekultur, Fußbodenheizung),<br />
ihre Götterverehrung, Kaufen und Verkaufen. Nach<br />
diesen Basisinformationen lesen wir weiter in der unkomplizierten,<br />
kurzweiligen und dennoch profunden Schreibweise des ehemaligen<br />
Rundfunkredakteurs und erfahren nun Genaueres über<br />
die Reiseziele zu den Römern. Den „Erinnerungen in Stein" folgen<br />
wir „parallel mit dem Ablauf der Zeit" den Römern zunächst an<br />
den Rhein, dann zwischen Schwarzwald, Donau und Neckar- was<br />
natürlich unseren Leserkreis mit Rottweil, Oberndorf, Sulz, Rosenfeld,<br />
Rottenburg und Hechingen-Stein besonders interessiert - ,<br />
weiter an den Obergermanischen Limes, den Rätischen Limes,<br />
Stuttgart und die Römer-Museen und eine Auswahl weiterer Museen.<br />
Eine Zeittafel, Römerliteratur, Orts- und Personenregister<br />
und Übersichtskarte runden den empfehlenswerten Reiseführer ab.<br />
Johannes Lehmann: Caracalla & Kohorten. Reise zu den Römern in<br />
Südwestdeutschland. 180 Seiten, 129 Farbabbildungen, Silberburg-Verlag<br />
Tübingen, ISBN 3-87407-578-8,16,90 Euro (rfr)<br />
Johannes Lehmann: Teutates & Konsorten. Reise zu den<br />
Kelten in Südwestdeutschland.<br />
In logischer Fortsetzung schrieb Lehmann nun dieses Buch über<br />
die Kelten, den frühesten mit Namen bekannten Bewohnern im<br />
Südwesten. Vor mehr als 2500 Jahren tauchten sie in der Geschichte<br />
urplötzlich auf, dehnten sich über ganz Europa aus, und<br />
besiedelten auch Teile Kleinasiens. Keine schriftlichen Zeugnisse<br />
hinterließen sie uns. Das Wissen über dieses Volk haben wir von<br />
archäologischen Funden und den ehemaligen Gegnern, nämlich<br />
aus griechischen und römischen Quellen. Zunächst tauchen wir<br />
ein in die Geschichte der Kelten, in ihre Lebensweise (Aussehen,<br />
Kleidung, Auftreten, Essen, Wohnung), in ihre Kultur und in ihren<br />
Götterhimmel.<br />
Bei den Reisezielen musste eine Auswahl getroffen werden, die<br />
„stellvertretend einige interessante, besonders gut erhaltene, typische<br />
und mit einigem Vergnügen erwander - und erlaufbare Fundorte"<br />
vorstellt. Wir folgen Viereckschanzen, dann den Höhenbur-
gen (z.B. die Heuneburg), den Oppida (Oppidum = stadtartige,<br />
ausgedehnte und befestigte Siedlung der Kelten), den Hügelgräbern<br />
und schließlich Stätten zwischen Himmel und Erde, den Naturheiligtümern<br />
der Kelten. Museen, eine Zeittafel, Keltenliteratur,<br />
ein Orts- und Personenregister und eine Übersichtskarte vervollständigen<br />
diesen gut lesbaren, ausgezeichneten Reiseführer.<br />
Johannes Lehmann: Teutates & Konsorten. Reise zu den Kelten in<br />
Südwestdeutschland. 180 Seiten, 103 farbige Abbildungen, Silberburg-Verlag<br />
Tübingen, ISBN 13:978-3-87407-693-7,16,90 Euro<br />
(rfr)<br />
SÜDWEST-Fernsehen (Hrsg.): Schätze des Landes.<br />
(Begleitband zur gleichnamigen SWR-Sendereihe)<br />
Dieser Reiseführer soll „auf eine sinnvolle, eigenständige Weise"<br />
die Filme der Sendereihe ergänzen. Und dies gehngt sehr gut durch<br />
die informativen Texte und ausgezeichnete farbige Bebilderung.<br />
Die vorgestellten Reiseziele beinhalten vor allem Schlösser und<br />
Museen als lohnende Ausflugsziele: Die Schlösser Mergentheim,<br />
Weikersheim, Ludwigsburg und Kloster und Schloss Bebenhausen;<br />
das Glasmuseum Wertheim, das Odenwälder Freilandmuseum<br />
Gottersdorf, das Hällisch-Fränkische Museum Schwäbisch-Hall,<br />
das Keltenmuseum Hochdorf/Enz, das Limesmuseum Aalen, das<br />
Deutsche Landwirtschaftsmuseum Hohenheim, die „MärklinWelt"<br />
Göppingen, „Die Welt von Steiff" in Giengen an der Brenz, das Auto<br />
& Technikmuseum Sinsheim, das Besucherbergwerk „Tiefer Stollen"<br />
in Aalen-Wasseralfingen und das Museum Ott Pausersche Fabrik<br />
in Schwäbisch-Gmünd, einer ehemaligen Produktionsstätte<br />
von Schmuck und Silberwaren (Bijouteriefabrik).<br />
SÜDWEST-Fernsehen: Schätze des Landes. Von Schloss Mergentheim<br />
bis zum Limesmuseum Aalen. 128 Seiten mit 129 Farbabbildungen,<br />
1 Karte, DRW-Verlag Weinbrenner in Leinfelden-Echterdingen,<br />
ISBN 13:978-3-87181-030-5,14,90 Euro.<br />
(rfr)<br />
Manfred Grohe/ Harald Schukraft:<br />
Flug über Donau und Schwäbische Alb<br />
Einfach überwältigend schön zeigen sich unsere Schwäbische Alb<br />
mit Albvorland und Donau, wenn man die herrhchen, farbigen<br />
Luftaufnahmen von Manfred Grohe auf sich wirken lässt. Da<br />
schlängelt sich die Breg wie ein schwarzes Band in der schneebedeckten<br />
Landschaft, und die Sauschwänzlesbahn dampft über das<br />
24 Meter hohe Biesenbach-Viadukt. Das malerische Zollernschloss<br />
in Bahngen und die Stadtanlage von Haigerloch bezaubern<br />
ebenso wie das verschneite „Badkap" in Albstadt. Der Blick auf<br />
Schloss Bronnen (bei Beuron) ist atemberaubend, ebenso Kloster<br />
Beuron einsam in der verschneiten Landschaft des Donautales.<br />
Einsam ragt die Burg Hohenzollern aus dem riesigen Nebelmeer<br />
und das Sigmaringer Schloss erhebt sich am höchsten Punkt der<br />
Altstadt. Diese Beispiele sollen genügen, denn die Flugreise führt<br />
uns bis nach Nördlingen, eingebettet in den Rieskrater. Die Texte<br />
von Harald Schukraft sind auch in englisch und französisch verfasst.<br />
Manfred Grohe/Harald Schukraft: Flug über Donau und schwäbische<br />
Alb. Fotos von Manfred Grohe, Texte von Harald Schukraft.<br />
Deutsch, englisch, französisch. 176 Seiten, 183 Farbaufnahmen,<br />
Silberburg-Verlag Tübingen, ISBN 3-87407-670-9, 32,80 Euro.<br />
(rfr)<br />
Markus T. Mall: Mord in Schwaben. Wahre Fälle und ihre<br />
Hintergründe vom Mittelalter bis in die Gegenwart<br />
Den Autor befielen Skrupel, als er den Titel „Mord" wählte. Aber<br />
68<br />
überzeugend legt er dar, dass „Geschichten über Mord und Totschlag<br />
faszinieren [... ] Nicht zufällig handeln so viele berühmte<br />
Werke der Weltliteratur von Mord und Totschlag". Ihm als Psychologen<br />
standen „nicht neue geschichtliche Erkenntnisse im Fokus<br />
der Aufmerksamkeit, sondern die psychologischen und sozialen<br />
Hintergründe, vor denen die Verbrechen begangen wurden. Spannender<br />
als die Tat war für mich die Suche nach den Ursachen und<br />
ihren Auswirkungen auf das soziale Umfeld und auf spätere Generationen.<br />
[... ] Das Ergebnis meiner Nachforschungen ist eine<br />
mörderische Landesgeschichte aus psychologischer und sozialer<br />
Perspektive." Die sechs Kapitel, in denen jeweils drei Fälle besprochen<br />
werden, beginnen mit „Der Staat als Mörder", wo vor allem<br />
der Justizmord an Joseph Süß Oppenheimer erwähnt sei. In „Beziehungsmorde<br />
in der Gründerzeit" behandelt der Autor u.a. den<br />
Amokläufer Ernst Wagner, der 1913 ein ganzes Dorf (Mühlhausen<br />
an der Enz) auslöschen wollte, dabei seine Frau, die vier kleinen<br />
Kinder und acht Bewohner tötete. Dass „ Mord - Alltag im NS-<br />
Staat" war, zeigen die Beispiele des Massenmordes an Behinderten<br />
und Kranken, sowie die Ermordung von Eugen Bolz. Das gescheiterte<br />
Attentat von Georg Elser auf Hitler galt einem Massenmörder.<br />
„Kehrseiten des Wirtschaftswunders" und „Morde im Spiegel politischer<br />
Konflikte" (u.a. die RAF in Stuttgart) lauten die nächsten<br />
Kapitel. „Kindsmorde an der Schwelle zum 21. Jahrhundert" beleuchtet<br />
das Niederträchtigste, wozu Menschen fähig sein können.<br />
Markus T. Mall: Mord in Schwaben. Wahre Fälle und ihre Hintergründe<br />
vom Mittelalter bis in die Gegenwart. 176 Seiten, Silberburg-Verlag<br />
Tübingen, ISBN 3-87407-701-2,12,90 Euro. (rfr)<br />
Guggusele. Schwäbische Kinderlieder. Bruno Gern zum<br />
100. Geburtstag<br />
Dem schwäbischen Mundartdichter Bruno Gern ist dieses sehr hebevoll<br />
und in sehr ansprechender Aufmachung herausgegebene<br />
Kinderliederbuch gewidmet. Schon der Titel „Guggusele" klingt<br />
einfach nur schön. Berta Hummel, als Schwester Maria Innocentia<br />
Hummel Klosterfrau bei den Franziskanerinnen von Siessen bei<br />
Saulgau, malte in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen<br />
Jahrhunderts faszinierende Kinderbilder, die als Fleißbildchen gedruckt<br />
und verschenkt wurden. Diese Bildchen wurden schließlich<br />
international bekannt. Diese „Hummel-Bilder", alle in Farbe, wurden<br />
zu jedem Lied passend ausgewählt. Die Melodien zu den<br />
Mundarttexten schuf Martin D. Loritz, ein in Oberndorf am Neckar<br />
geborener Professor für Musikpädagogik, während Marius Reiser,<br />
ein in Gammertingen geborener Professor der katholischen Theologie,<br />
die Liedtexte gesammelt hatte und zur Verfügung stellte. Über<br />
den Dichter Bruno Gera ist ein ausführlicher Artikel von Marius<br />
Reiser in dieser Ausgabe der Zeitschrift zu lesen, (siehe Seite 61 -<br />
64) Natürlich wurde für NichtSchwaben, und vielleicht auch für<br />
manchen „echten" Schwaben, Worterklärangen zugefügt. Ein Liederbuch,<br />
dem in Kindergärten und Grundschulen eine weite Verbreitung<br />
zu wünschen ist..<br />
GUGGUSELE: Schwäbische Kinderlieder. Mundarttexte von Bruno<br />
Gern mit Bildern von Sr. Maria Innocentia Hummel und Melodien<br />
von Martin D. Loritz, hg. von Martin D. Loritz und Marius Reiser<br />
2007.<br />
Das Liederbuch ist im Eigenverlag 2007 erschienen, es umfasst<br />
103 Seiten mit über 40 farbigen Hummel-Bildern. Es ist für 10<br />
Euro bei der Gemeinde Stetten am kalten Markt zu beziehen.<br />
(rfr)
ANNALIES KELLER<br />
Der Taufstein des jetzigen Papstes Benedikt<br />
XVI. in Marktl am Inn, geschaffen von<br />
Anselm Sickinger, in Haigerloch-Owingen<br />
geboren.<br />
Erinnerung zum zweihundertjährigen Geburtstag von Bildhauer<br />
Anselm Sickinger<br />
Merkwürdig - des Merkens würdig - sind oft kleine Geschehnisse,<br />
die uns auf unserem Lebensweg widerfahren. Im Leben mancher<br />
Menschen trifft dies in besonderem Maße zu. Im Betrachten des<br />
Werdegangs von Bildhauer Anselm Sickinger können wir dies auch<br />
feststellen.<br />
Vor 200 Jahren, am 20. April 1807, wurde Anselm Sickinger als<br />
Sohn der Eheleute Fidelis Sickinger und Anna Maria geb. Edele in<br />
Haigerloch-Owingen geboren. Seine Tante, Anna Sickinger, war in<br />
zweiter Ehe mit Konrad Volm, „Chirurgus, Wundarzt und Bildhauer",<br />
verheiratet. Da das Ehepaar kinderlos war, nahm Konrad<br />
Volm den Anselm Sickinger, den Neffen seiner Frau Anna, als Bildhauerlehrling<br />
an.<br />
Sein Landsmann, Reallehrer Prof. Dr. Franz Xaver Wannenmacher<br />
aus Owingen, schreibt in seinem Büchlein „In der Fremde" über<br />
die Wanderjahre des Bildhauers Anselm folgendes: „Ein strebsamer<br />
Geselle der ehrsamen Steinmetzzunft wanderte gen Überlingen<br />
am Bodensee und nach kurzem Aufenthalt iveiter gen<br />
München. Er trug seine wenigen Habseligkeiten samt Vesper in<br />
einem Tüchlein an einem derben Wanderstock über die Schlüter.<br />
So kam er vor die Tore der bayrischen Residenz. An der<br />
Landstraße von München wollte er sein letztes Brot verzehren.<br />
Dabei soll ein großer Hund ihn angefallen haben. Ja, er beraubte<br />
ihn seines Brotes. Diesem, wenig ansprechenden Vortrab<br />
folgte in einer feinen Kutsche ein vornehmer und leutseliger<br />
Herr, der Anselm nach dem Woher und Wohin fragte. Dann<br />
schrieb der Herr ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, wies dem<br />
Fremdling den Weg und öffnete ihm und seinem mitwandernden<br />
jüngeren Bruder Wendelin, ebenfalls Bildhauer, die Tore zu<br />
seinem späteren großen Erfolg. So soll König Ludwig I. von Bayern<br />
den armen Wandersburschen von Owingen in seine Laufbahn<br />
eingeführt haben."<br />
Tatsache ist, Bayerns Herrscher König Ludwig I. war den meisten<br />
Künstlern Münchens sehr gewogen, so auch Anselm Sickinger.<br />
Desöfteren hat ihn seine Majestät in seiner Werkstatt besucht und<br />
ihm Aufträge erteilt, oder aber solche aus dritter Hand vermittelt.<br />
Im Jahre 1825 hatte König Ludwig I. den Thron bestiegen und<br />
überstürzte sich beinahe in den Plänen für mächtige und prächtige<br />
Bauwerke. Alle Bauten wechseln sich ab im Stil der Antike, Romanik,<br />
Gotik und Klassizismus. In diesen Strom geriet auch der<br />
schlichte Steinmetz Sickinger als Lernender. Er besaß ein gutes Talent<br />
und Fleiß und war bald in der Lage sich selbständig zu machen.<br />
Seine Tüchtigkeit auch in geschäftlichen Dingen ermöglichte<br />
es ihm, seiner Bildhauerwerkstätte noch eine Kunstschreinerei<br />
sowie eine Bauhütte anzugliedern. Zeitweise beschäftigte er an die<br />
30 Leute. Seine beiden Hauptmitarbeiter waren die Künstler Adolf<br />
Guggenberger und Josef Knabl.<br />
Besonders zu beachten sind die Arbeiten von Anselm Sickinger an<br />
der Befreiungshalle in Kehlheim, wo er zwölf Jahre arbeitete, und<br />
Abb. 1. Tauf stein und Hochaltar. In diesem Tauf stein in der Kir- Abb. 2. Tauf stein. Der Taufstein - Taufbecken vom jetzigen<br />
che von Marktl am Inn wurde derjetzige Papst Benedikt XVI. am Papst Benedikt XVI. Foto: Gerhard Sauter, Trillfingen.<br />
16. April 1927getauft. Den Tauf stein und den Hochaltar schuf<br />
der aus Haigerloch-Owingen stammende Bildhauer Anselm<br />
Sickinger. Foto: Gerhard Sauter, Trillfingen<br />
69
an der Walhalla bei Regensburg, wo er acht Jahre tätig war. Durch<br />
Vermittlung des bayrischen Königshauses erhielt er Aufträge nach<br />
Griechenland, wo ein Sproß des bayrischen Hauses Wittelsbach<br />
den griechischen Thron inne hatte. Auch Fürst Konstantin von Hohenzoliern-Hechingen<br />
finden wir unter den Auftraggebern unseres<br />
Meisters. Zu seinen besten Arbeiten gehören die Altäre der Kirchen<br />
St. Jodak, St. Martin und St. Jakob in Landshut und in der Pfarrkirche<br />
in Velden-Niederbayern und Frontenhausen St. Jakob.<br />
Ein glücklicher Zufall führte nun Hanna und Gerhard Sauter aus<br />
Haigerloch-Trillfingen nach einer Wallfahrt in Altötting im Jahr<br />
2006 in die Kirche des niederbayrischen Ortes Marktl. Dort fanden<br />
sie den Taufstein, in dem Papst Benedikt XVI. als Neugeborener am<br />
Karsamstag, 16. April 1927, das Sakrament der Taufe empfing. An<br />
der Kirchenwand entdeckten sie eine Beschreibung, dass der neugotische<br />
Hochaltar der Kirche und der davor stehende Taufstein<br />
von dem berühmten Künstler Anselm Sickinger geschaffen wurden.<br />
(Abb. 1,2 und 6)<br />
Der Text auf der Erinnerungstafel zum Taufstein trägt folgenden<br />
Wortlaut:<br />
„Der Taufstein -Taufbecken unseres Hl. Vaters<br />
Der Taufstein ist das Juwel der Kirche. Besondere Bedeutung erhielt<br />
er durch die Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum<br />
Papst.<br />
Am Karsamstag, 16. April 1927, wurde hier Joseph Alois<br />
Ratzinger wenige Stunden nach seiner Geburt - um<br />
08.30 Uhr - durch das Sakrament der Taufe zur Kindschaft<br />
Gottes berufen.<br />
Der Taufstein wurde von dem Münchner Bildhauer Anselm<br />
Sickinger (1807 -1873) für die im Jahre 1857 neu errichtete<br />
St. Oswaldkirche in Marktl geschaffen. Er ist ein sechseckiger<br />
Stein aus Donau-Kalkstein mit sechs unterschiedlichen Engelsköpfen<br />
und das, wie man heute weiß, künstlerisch ivertvollste<br />
Stück in Marktl. Aus seiner Werkstatt stammt auch der St. Oswaldaltar,<br />
der vom damaligen neugotischen Bau erhalten ist.<br />
Beim Umbau der Kirche im Jahre 1965 wurde der alte Taufstein<br />
aus der Kirche entfernt und durch einen im modernen Stil geschaffenen<br />
ersetzt. Bis vor wenigen Jahren fristete er ein unbeachtetes<br />
Dasein im Pfarrgarten. Der <strong>Heimat</strong>bund rettete ihn,<br />
brachte ihn ins Museum und stellte ihn jetzt der Pfarrkirche<br />
wieder zur Verfügung. Nach kleinen Reparaturen wurde der<br />
Taufstein in neuem Glanz am Gründonnerstag des Jahres 2006<br />
wieder in der Kirche aufgestellt. Die neue Abdeckung aus Glas<br />
mit derJakobsmuschel ist eine Arbeit des Künstlers Franz Hämmerle<br />
aus Windach am Ammersee. Papst Benedikt XVI schreibt<br />
in einer persönlichen Grußbotschaft an die Marktler:<br />
,... und ich bin froh, dass der Taufstein nun wieder seinen<br />
Platz in der Pfarrkirche gefunden hat. Es ist ein<br />
schönes Symbol dafür, dass unser Glaube nicht der Vergangenheit<br />
angehört, deren Zeugnisse man in Museen<br />
aufbewahrt, sondern dass er lebensspendendes Zentrum<br />
unseres Daseins ist.'"<br />
Dem ausführlichen Werk „Die Frauenkirche in München" von Peter<br />
Pfister und Hans Ramisch ist zu entnehmen, dass der neugotische<br />
Hochaltar der Frauenkirche von Josef Knabl und Anselm<br />
Sickinger 1861 gefertigt und durch Brand beim Bombenangriff auf<br />
München 1945 zerstört wurde.<br />
70<br />
202<br />
Abb. 3• Hochaltar in der Frauenkirche München. Den Hochaltar<br />
in der Münchner Frauenkirche schufen Joseph Knabl und<br />
Anselm Sickinger 1861. Dieser wurde 1945 durch Luftangriff<br />
zerstört. Vorlage: Die Frauenkirche in München.<br />
In Anselm Sickingers Werkstätte wurden die zwölf Apostel an der<br />
Predella (Sockel des Altaraufsatzes) dieses Hochaltars geschaffen.<br />
(Abb. 4.)<br />
Die von Sickinger stammende Kanzel und ein Altar im Kapellenkranz<br />
der Münchner Frauenkirche fielen ebenfalls diesem Brand<br />
zum Opfer. Eine größere Anzahl schöner gotischer Grabdenkmale<br />
auf verschiedenen Friedhöfen Münchens wurden ebenfalls in<br />
Sickingers Werkstätten hergestellt. Anselms Vetter, der Bildhauer<br />
Jakob Sickinger aus Owingen, der bis nach Anselms Tod in den<br />
Werkstätten in bedeutender Position tätig war, arbeitete besonders<br />
in Marmor.<br />
Anselm Sickinger verstarb 66-jährig am 17.10.1873 in München.<br />
Seinen ersten Sohn verlor er in dessen bestem Alter von 38 Jahren,<br />
und seinen jüngsten 26-jährig an Tuberkulose infolge einer Staublunge.<br />
Sie sollten die Nachfolger des Vaters werden. Der mittlere<br />
Sohn Adalbert verkaufte nach des Vaters Tod die gesamten Werkstätten.<br />
Er arbeitete als Architekt. Seinem Willen gemäß fiel das beträchtliche<br />
Vermögen nach seinem Ableben in 1920 als Stiftung an<br />
die Stadt München. Es sollte den Hilfsbedürftigen der Stadt zugute<br />
kommen. Im Zweiten Weltkrieg wurden auch die Werkstätten der<br />
Sickinger durch Bombenhagel vernichtet. Das Gelände, auf dem<br />
diese einstmals standen, erhielt nach den Aufräumarbeiten die Bezeichnung<br />
„Sickinger Platz". Die Landeshauptstadt München ehrte<br />
Anselm Sickinger (1807-1873), seine verstorbenen drei Söhne Anselm<br />
(1830-1867) und dessen Frau Barbara (1835-1870), Adalbert<br />
(1837-1920), Adolf-Joseph (1845-1871), seinen Enkel Adalbert<br />
(1878-1896), seine Frau Theresia (1806-1974) und seine
Schwiegertochter Jeanette (1846-1910) in Dankbarkeit mit der<br />
Errichtung eines neuen Grabmales am Familiengrab der Familie<br />
Sickinger auf dem Südfriedhof in München. (Abb. 5.)<br />
Abb. 4.: 12 Apostel. In Anselm Sickingers Werkstätte wurden die Bildwerke der Predella des neugotischen Hochaltars geschaffen, wie<br />
hier die zwölf Apostel. Vorlage: Die Frauenkirche in München.<br />
m<br />
• ; *<br />
HIER RUHEN DIE<br />
A R CH IT E KT E N S EH EG AUEN<br />
DEANETTE SICKINGER<br />
• 24-OKT-1846 + 3-DEZ-191C)<br />
ADALBERT SICKINGER<br />
* 2 3UL11837 + 17-MÄRZ1920<br />
GRÜNDER EINER STIFTUNG FÜR<br />
HILFSBEDÜRFTIGE MÜNCHENER BÜRGER<br />
DANKBAR EHRT IHR ANDENKEN<br />
DIE LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN<br />
AUS DER FAMILIE SICKINGER GINGEN<br />
IHNEN VORAUS<br />
ANSELM 1830-166? BARBARA 1835-1870<br />
ADOLF 1845-1871 ANSELM 1807-1873<br />
THERESE 1806 1874 ADALBERT
Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3,72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />
72486 Sigmaringen<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />
eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern<br />
und den angrenzenden Landesteilen mit der<br />
Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />
bringt neben fachhistorischen auch populär gehaltene<br />
Beiträge.<br />
Bezugspreis:<br />
Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
ist der Bezugspreis im Beitrag<br />
enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />
e 11,-. Abonnements und Einzelnummern können<br />
beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
(s. o.) bestellt werden.<br />
Die Autoren dieser Nummer<br />
GerdBantle<br />
Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />
Dr. Otto H. Becker<br />
Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />
Robert Frank<br />
Fliederstraße 8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />
Franz-Severin Gäßler<br />
Jakobsplatz 28 b, 86152Augsburg<br />
Helmut Göggel<br />
Josef-Beck-Straße 10, 72517 Sigmaringendorf<br />
Dr. Winfried Hecht<br />
Lorenzgasse 7, 78628 Rottweil<br />
Dr. Herbert Rädle<br />
Veit-Jung-Straße 13 a, 92318Neumarkt<br />
Annalies Keller<br />
Hauptstrafe 58, 72401 Haigerloch-Owingen<br />
Prof. Dr. Marius Reiser<br />
Katholisch-Theologische Fakultät Universität<br />
Mainz, 55099 Mainz<br />
72<br />
Abb. 6.<br />
Engelskopf. Einer der sechs<br />
Engelsköpfe, die den Taufstein zieren.<br />
Foto: Gerhard Sauter, Trillßngen.<br />
Gesamtberstellung:<br />
Druckerei Acker GmbH,<br />
Mittelberg 6, 72501 Gammertingen<br />
Telefon (075 74) 9301-0, Fax 9301-30<br />
info@druckerei-acker.de<br />
www.druckerei-acker.de<br />
Schriftleitung:<br />
Robert Frank<br />
Fliederstraße 8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />
Tel.: (07474) 2161, robertgfrank@web.de<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />
persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />
diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />
Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />
als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />
an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />
<strong>Heimat</strong>« weiterzuempfehlen.
<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />
Herausgegeben vom ^ ^ H <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />
57. Jahrgang ^ ^ Nr. 4 - Dezember 2007 E 3828<br />
Die spätbarocke Klosterkrippe in der ehemaligen Klosterkirche St. Luzen in Hechingen nimmt den ganzen Altarraum<br />
in Anspruch. Die großen Figuren sind zwischen 85 und 100 cm groß, die kleineren 40 bis 60 cm. Die Figuren sind<br />
beweglich und mit aufwändiger Kleidung ausgestattet. Auf dieser Abbildung erkennen wir die „Drei Weisen" aus dem<br />
Morgenland mit ihrem Gefolge in orientalischer Pracht. Ein Großteil der Figuren stammt wohl aus der 2. Hälfte des<br />
18. Jahrhunderts. Foto: Leobert Fäßler, Hechingen
RUTHILD MANGLER<br />
Die Krippe von St. Luzen in Hechingen<br />
Jedes Jahr, zwischen Weihnachten und Ende Januar, ist die große<br />
Krippe in der St. Luzenkirche in Hechingen aufgebaut. Groß ist die<br />
Krippe in mehr als einer Hinsicht: Zum einen ist sie räumlich groß<br />
- der ganze Chorraum ist Krippe - und zum anderen sind die Figuren<br />
bis zu einem Meter groß und so verschmelzen Kirche und<br />
Krippe zu einer „groß"artigen Einheit.<br />
Zur Geschichte der Krippe<br />
Erstaunlicherweise gibt es über diese historische Krippe wenig<br />
schriftliche Zeugnisse. Erschwerend kommt noch hinzu, dass<br />
wenn über eine Krippe von St. Luzen berichtet wird, oft die Ströbelekrippe<br />
1 oder die Buhlsche Krippe 2 gemeint ist oder Wissenswertes<br />
von diesen Krippen miteinander vermischt ist. 3<br />
Der bisher älteste Hinweis auf die jetzige Krippe befindet sich in einem<br />
Inventarverzeichnis vom 19. November 1819- Unterzeichnet<br />
von Frater Irenä Ertle und Frater Isack Schmid heißt es darin:<br />
„In der Sakristeikammer: Zur Krippe 26 Personen und die dazugehörigen<br />
Kleider. "Außerdem: „Nro. 15 befindet sich zu der<br />
Krippe gehörigen Gerätschaften". 4<br />
Da es die Ströbelekrippe 1819 noch nicht gab und die Buhlsche<br />
Krippe über 200 Figuren besitzt, kann davon ausgegangen werden,<br />
dass hier von der heutigen Krippe die Rede ist.<br />
Eine weitere Quelle ist die Zeitschrift „Der Katholik" von 1841, in<br />
dem sich ein Augenzeuge erinnert:<br />
„Von früheren glücklicheren Tagen zeugt noch das in der Nebenkapelle<br />
des hl. Antonius von Padua zur Weihnachtszeit errichtete<br />
Kripplein, welches alle evangelischen Begebenheiten, von der Geburt<br />
des Herrn bis zum zweiten Sonntag nach Epiphania - zur<br />
Hochzeit in Kanaan - sinnbildlich darstellt und durch Veränderung<br />
seiner Personen und Situationen der christkatholischen Jugend<br />
und jedem kindlichen Gemüte jene Engel, Hirten und Könige samt<br />
ihren strahlenden Kleidern, Schalmeien und Kamele, so lebendig<br />
und anschauhch vor die Seele rückt, dass auch die Einfältigen und<br />
Geringsten hier eine deutliche Anschauung von jenen hohen<br />
himmlischen Ereignissen erhalten, wodurch die Erlösung des<br />
Menschengeschlechtes eingeleitet worden ist." 5<br />
Das nächste sichere Datum kam bei der Restaurierung zum Vorschein:<br />
das Auge einer Figur entpuppte sich als Zeitungsschnipsel<br />
des Schwarzwälder Boten von 16. November 1842. In dieser Zeit<br />
war die Krippe also bereits renovierungsbedürftig. Diese Tatsache<br />
und der Vergleich mit anderen historischen Krippen lassen auf eine<br />
Entstehungszeit im ausgehenden Barock schließen. Der frühere<br />
Hechinger Stadtpfarrer Rudolf Schatz nahm sogar an, dass die St.<br />
Luzenkrippe um 1740 entstanden ist. Er vermutete auch, dass die<br />
Krippe aus der Gegend um Mindelheim, Landsberg und Augsburg<br />
stammt, da viele Mönche von St. Luzen aus diesem Raum kamen<br />
und zudem die Krippenfiguren mit der Jesuitenkrippe aus Mindelheim<br />
große Ähnlichkeit haben."<br />
Bestätigt konnte dies bis jetzt noch nicht werden, denn auf eine<br />
diesbezügliche Nachfrage antwortete das katholische Pfarramt St.<br />
Stephan in Mindelheim nur: „Die Ähnlichkeit der Figuren in der Jesuitenkirche<br />
mit denen in St. Luzen ist in Fachkreisen bekannt.<br />
Nicht bekannt ist hier in Mindelheim, dass etwa im 19. Jahrhundert<br />
74<br />
Figuren nach Hechingen durch Kauf oder Schenkung gekommen<br />
sein sollten. Es ist richtig, dass die Jesuitenkrippe früher wesentlich<br />
umfangreicher war. Wohin ältere, heute nicht mehr vorhandene<br />
Figurenbestände gekommen sind, lässt sich leider nicht mehr<br />
feststellen oder rekonstruieren." 7<br />
Dr. Bollinger, Vorsitzender des Sülchgauer Altertumsvereins in Rottenburg,<br />
hat eine andere Hypothese: 1773 wurde das Jesuitenkolleg<br />
in Rottenburg aufgelöst und der Sitz der Marianischen Kongregation<br />
des Jesuitenkollegs wurde nach Hechingen verlegt. 8 In diesem<br />
Zuge könnte auch die Krippe der Rottenburger Jesuiten in St.<br />
Luzen ein neues Zuhause gefunden haben - kein Einzelfall, so kamen<br />
zum Beispiel in Straubing an der Donau die Krippe und die<br />
Marianische Kongregation des Jesuitenkollegs zusammen im Karmeliterkloster<br />
unter.<br />
Aufbau der Krippe<br />
Die Herkunft und das Alter der Krippe sind also unklar, gesichert<br />
ist aber, wie und wo sie aufgebaut worden war. Bis zu ihrer Renovation<br />
hatte sie ihren Platz in der Antoniuskapelle; dort wurden, auf<br />
einer erhöhten Bühne mit Hintergrundskuhsse, vier Szenen gezeigt:<br />
die Geburt, die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die Darstellung<br />
im Tempel und die Hochzeit in Kana. Diese Tradition<br />
wurde an Weihnachten 1967 beendet, als eine Stuckrosette vom<br />
Gewölbe der Antoniuskapelle abstürzte und den Krippenaufbau<br />
zerschlug. Die Kirche wurde wegen Einsturzgefahr geschlossen, instand<br />
gesetzt und erst 1975 wieder eröffnet. 9 Die Krippe, die in dieser<br />
Zeit ausgelagert gewesen war, kehrte zwar zurück, war aber in<br />
einem erbärmlichen Zustand, so konnten zum Beispiel viele Figuren<br />
überhaupt nicht mehr stehen. Stadtpfarrer Rudolf Schatz erkannte<br />
dann den Wert der Krippe und ließ sie von Gisela und Peter<br />
Früh aus Salem-Neufrach restaurieren. In ihrer neuen barocken<br />
Lebendigkeit wurde sie Weihnachten 1985 zum erstenmal<br />
aufgestellt, und zwar im Chorraum. Jahr für Jahr kamen weitere renovierte<br />
Figuren hinzu, bis schließlich der ganze Chorraum Krippe<br />
war. Da die Krippenkuhssen nicht mehr existieren, wird inzwischen<br />
aus Styropor, Rupfentüchern, Moos und Naturmaterialien<br />
eine Landschaft geschaffen, in die hinein die Figuren gestellt werden,<br />
nicht mehr als Wechselkrippe mit vier Szenen, dafür immer<br />
ein wenig anders. Zudem wird seit 1993 auch wieder umgestellt:<br />
die Hirten machen den Königen auf den 6. Januar Platz und kehren<br />
auf ihre Weiden zurück.<br />
Inventarverzeichnis von Dezember 2006,<br />
aufgelistet von Ruthild Mangler<br />
Im Hochschrank in der Sakristei:<br />
25 bekleidete, große Figuren (85cm -100cm) mit Zubehör:<br />
Maria, Josef mit Stab, 6 Engel ohne Flügel, mit Stäben, 4 Frauen mit<br />
Gaben ( Körbe mit Äpfel, Wolle, Blumen), 3 Hirten mit Schippen<br />
bzw. Stab, 2 Hirten mit Haaren, Flöte, Trinkflasche und Tasche, 3<br />
Könige mit Szepter bzw. Halbmond, 3 Diener mit Gaben<br />
(Weihrauch, Gold, Myrrhe), 2 Standartenträger mit einer Fahne<br />
1 kleines Jesuskind (aus Holz geschnitzt)<br />
mit Krippe und Windel<br />
9 bekleidete, kleinere Figuren (40cm - 60cm) mit Zubehör:<br />
2 kleine Mädchen mit einer Windel, 1 kleiner Hirte mit Schippe<br />
und Laterne, in Lederhose, 1 kleiner Schleppenträger, 1 kleiner<br />
Bettelmönch auf Kasten, 4 kleine Engel mit Flügel
Mitteilungen<br />
aus dem<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong><br />
Veranstaltungen im 1. Quartal 2008<br />
I. Veranstaltungen des <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
1) Vorträge<br />
Rolf Vogt M.A., Hechingen<br />
Skandal im Kaiserstammland: der Hechinger Stadtkassendefekt<br />
1907.<br />
Zentrumssturz, liberaler Triumph und Bürgermeister-Rücktritt<br />
in der wilhelminischen Glanzzeit Hohenzollerns<br />
Dienstag, 12. Februar, 20 Uhr im <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseum<br />
in Hechingen<br />
Karl Werner Steim, Sigmaringen<br />
Neues zur Biographie der Helene von Schatzberg<br />
(1799 - 1861) - Eine natürliche Tochter der Fürstin<br />
Amalie Zephyrine?<br />
Montag, 25. Februar, 20 Uhr im Prinzenbau (Staatsarchiv) in<br />
Sigmaringen<br />
2) Führung<br />
Doris Muth M.A.<br />
Führung durch die Stauffenberg-Gedenkstätte im<br />
Schloss Lautlingen<br />
Samstag, 19. Januar, um 15 Uhr<br />
Treffpunkt am Eingang des Stauffenberg-Schlosses in Lautlingen<br />
Eintritt: 1 Euro pro Person<br />
Die zum 100. Geburtstag von Claus Schenk Graf von Staufenberg<br />
am 15. November 2007 mit einem Festakt eröffnete Gedenkstätte<br />
wurde von Frau Muth konzipiert. Den Teilnehmern<br />
wird somit eine Führung aus erster Hand geboten.<br />
3) Hinweis<br />
Fürstin Eugenie von Hohenzollern/Hechingen 1808-1847<br />
Veranstaltungsreihe anlässlich des ziveihundertsten<br />
Geburtstages.<br />
In der Sakristei an der Wand:<br />
Ein großer Engel mit Schriftband: Gloria in excelsis Deo<br />
Im Schrank im oberen Kreuzgang:<br />
1 Pferd, 7 Schafe (ab 1985), 1 Kamel (1999), 1 Hund (2002), 1<br />
Ochse (2003), 1 Esel (2004),<br />
Für die Krippenlandschaft: Styroporballen, Abdeckbretter für<br />
das Kirchengestühl, Rupfentücher, Steine, Stroh, Heu, Baumteüe,<br />
Stall (aus ehemaliger Kommunionbank)<br />
Heute besitzt die Krippe insgesamt 48 Figuren, 22 mehr als im Inventarverzeichnis<br />
von 1819 erwähnt. Eine Krippe lebt eben, nie ist<br />
sie fertig, stets wurde und wird abgeändert, ergänzt oder umgestaltet.<br />
So auch in Hechingen: Der große Engel ist zum Beispiel<br />
eine Schenkung aus einem Hechinger Privathaus. Die vier kleinen<br />
Engel sind neu, alt sind nur ihre Köpfe, sie stammen vermutlich von<br />
der zerstörten Kulisse, die Körper ergänzten Familie Früh.<br />
75<br />
Der hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> wird in Zusammenarbeit<br />
mit dem Förderverein Villa Eugenia mit Vorträgen dazu<br />
beitragen. Ein Faltblatt mit Veranstaltungshinweisen wird Mitte<br />
Januar erscheinen und kann unter Tel.: 07471/940-181 bzw.<br />
thomas.jauch@hechingen.de angefordert werden.<br />
Das aktuelle Programm des <strong>Geschichtsverein</strong>s ist unter der Internet-Adresse<br />
jederzeit abrufbar: www.hohenzollerischer-geschichtsverein.de<br />
II. Ausstellungen in Hohenzollern<br />
1) <strong>Hohenzollerische</strong>s Landesmuseum in Hechingen<br />
„Advent, Advent ein Lichtlein brennt..."<br />
Historische Adventskalender aus der Sammlung<br />
Esther Gajek - Vom 9- Dezember 2007 bis 10. Februar 2008<br />
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr;<br />
Sonntag und Feiertag: 10.00 bis 17.00 Uhr<br />
2) Villa Eugenia in Hechingen<br />
Büder des Hechinger Malers Konrad Ruff (1895 - 1946)<br />
aus den Beständen des <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesmuseums<br />
Vom 23. Januar bis 17. Februar 2008<br />
Bilder von Dr. Carl Gregor Herzog zu Mecklenburg und seiner<br />
verstorbenen Gemahlin Margarete zu Mecklenburg,<br />
geb. Prinzessin von Hohenzollern<br />
Vom 24. Februar bis 23. März 2008<br />
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag jeweils von 15.00 bis<br />
17.00 Uhr<br />
3) Staatsarchiv Sigmaringen<br />
Brechungen - Willy Pragher: Rumänische Bildräume 1924 -<br />
1944 vom 14. März bis 11. April 2008<br />
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 9-00 bis 16.30 Uhr<br />
gez. Dr. Otto H. Becker, Vorsitzender<br />
Die Tiere ( 7 Schafe, 1 Kamel, 1 Hund, 1 Esel, 1 Ochs) schnitzte<br />
ab 1985 nach und nach Peter Früh. Das kleine Pferd könnte von einem<br />
Altar stammen, denn es ist nur auf einer Seite plastisch. Die<br />
fünf kleineren Figuren (die Schwestern, der kleine Hirte, der<br />
Schleppenträger und der Bettelmönch) gehören vermutlich nicht<br />
zur ursprünglichen Krippe, denn die übrigen Figuren haben alle<br />
„Jesuitenmaß", das heißt sie sind zwischen 85 cm und 100 cm<br />
groß. Diese Figuren mitsamt dem kleinen Jesuskind dürften jene<br />
„26 Personen" aus dem Inventarverzeichnis von 1819 sein.<br />
Die 25 großen Figuren, die Schwestern, der kleine Hirte und der<br />
Schleppenträger sind Holzgliederpuppen. Die Köpfe sind lose,<br />
können also auf andere Körper gesetzt werden, ihre Güedmaßen<br />
sind mit Scharnieren versehen, somit hat man beim Aufstellen die<br />
Möghchkeit, die Figuren zum Beispiel sitzen, knien oder etwas heben<br />
zu lassen. Manche Figuren haben geschnitzte, manche echte<br />
Haare. Köpfe, Hände und Füße sind geschnitzt. Da es früher auch
noch verschiedene Kleider gab, konnte man die Figuren umziehen<br />
und erhielt so andere „Personen". (So wurde aus dem Josef an der<br />
Krippe Jesus auf der Hochzeit von Kana.) Heute hat jede Figur nur<br />
„ihr" Kleid, bei der Restaurierung wurde versucht, die alten, oft<br />
kostbaren Kleider so weit wie möglich zu erhalten (Maria, die Engel,<br />
die Könige und die Hirten), dem Josef, den königlichen Dienern,<br />
den Standartenträgern und den Frauen wurden jedoch neue<br />
Kleider, wenn möglich aus alten Stoffen, geschneidert. 10<br />
Sechs Wochen im Jahr zeigt sich die Krippe in ihrer ganzen Pracht.<br />
Die himmlischen Heerscharen, den römischen Legionären nachgebildet,<br />
verkünden die frohe Botschaft, die Hirten und die Frauen<br />
bringen ihre Gaben und die Heiligen Drei Könige beten andächtig.<br />
Ihre drei Diener sind so fürstlich gekleidet, dass mancher Besucher<br />
meint, es wären sechs Könige. Zwischen Maria und Josef aber<br />
liegt die kleinste und wichtigste Figur. Was wäre auch eine Krippe<br />
ohne Jesuskind?<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Der frühere St. Luzenmesner Adalbert Ströbele baute ein Leben<br />
lang an „seiner" Krippe. 1907 machte er den Anfang mit<br />
Maria, Josef und dem Kind. Die Krippe befand sich in seinem<br />
Wohnzimmer, der ehemaligen Krankenstube des Klosters. Sie<br />
wurde zur Weihnachtszeit viel besucht. Die Krippe (mit ca.<br />
200 Figuren) befindet sich heute bei Maler Hermann Ströbele<br />
in den Schelmenäcker/Hechingen<br />
In <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung vom 24.12.1994<br />
2 Eine weitere St. Luzenkrippe, vermutlich eine Stiftung der<br />
Maximiliane von Künigl (gest. 1743), der Tochter von Madame<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
600 Jahre Stadt Hertingen<br />
iUftä<br />
%<br />
mi<br />
76<br />
de Hombourg, der zweiten Frau des Fürsten Friedrich Wilhelm<br />
von Hohenzollern-Hechingen, galt als die schönste süddeutsche<br />
Krippe. Nach der Aufhebung des Klosters schenkte sie der Fürst<br />
seinem Mundkoch Franz Josef Gfrörer, dessen Sohn in Rottenburg<br />
die Thum- und Taxische Posthalterei innehatte. Dort war<br />
die Krippe im Wartezimmer das ganze Jahr aufgebaut. Später erwarb<br />
sie der Lehrer Pius Buhl aus Baisingen. Heute ist sie im Besitz<br />
des Württembergischen Landesmuseums in Waldenbuch.<br />
In <strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung vom 24.12.1994 und Ludwig Egler:<br />
Chronik der Stadt Hechingen S. 154<br />
So bei Heinrichsperger: Er (St. Luzenmesner Adalbert Ströbele)<br />
hatte die alte (Kloster) Krippe in seiner Wohnung, die,<br />
wie in ganz Tirol und Bayern, eine Zimmerwand einnahm. In<br />
Max Heinrichsperger: Hechingen/Hohenzollern. In: Alemania<br />
Franciscana Antiqua 16, S. 172<br />
Otto Werner: Die Säkularisation des Franziskanerklosters St.<br />
Luzen und des Kollegiatssüfts St. Jakobus in Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />
Geschichte 2002/3, S. 137<br />
Otto Werner: Die Säkularisation des Franziskanerklosters St.<br />
Luzen und des Kollegiatssüfts St. Jakobus in Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />
Geschichte 2002/3 S. 171<br />
<strong>Hohenzollerische</strong> Zeitung vom 24.12.1985<br />
Aus dem Schriftverkehr von Ruthild Mangler mit der katholischen<br />
Pfarramt St. Stephan in Mindelheim vom 19.10.1994<br />
Zimmermann/Priesching(Hg) Württembergisches Klosterbuch,<br />
Thorbecke, 2003 S.413 ff<br />
9 St. Luzen in Hechingen, Theiss, 1991<br />
10 Informationen von Hedwig und Anton Wolf, Mesner in St. Luzen<br />
Schloss und Stadt Hettingen, colorierter Stich<br />
bach, 1. Hälfte 19- Jahrhundert<br />
vonAbresch/Um-<br />
(Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen IN4/15).<br />
»fit<br />
VMM<br />
- - j
Will man im Landkreis Sigmaringen das Musterbeispiel einer<br />
Adelsresidenz benennen, die ihrer Funktion als Herrschaftssitz na-<br />
hezu alles, auf jeden Fall aber den Status der Stadt sowie eine Reihe<br />
von qualitätsvollen und bis heute ortsbild-prägenden Bauwerken<br />
verdankt, so stößt man neben den ehemaligen Hochadels-Residenzen<br />
Sigmaringen, Scheer und Meßkirch unweigerlich auch auf<br />
Hettingen, dessen 600jähriges Jubiläum als Stadt 2007 gefeiert<br />
wird. Das Lauchert-Städtchen mit seinem wie eh und je die Tallage<br />
beherrschenden Schloss vereint dabei so manche Gegensätze in<br />
seiner langen Geschichte: Neben der zumindest zeitweise glanzvollen<br />
Adelsresidenz besteht eine stets bescheidene, durchgehend<br />
ländlich und bäuerlich geprägte Zwergstadt, einer durch die Jahrhunderte<br />
dominanten Herrschaft steht eine eher schwach ausgeprägte<br />
kommunale Selbstverwaltung gegenüber, und das ärmliche<br />
Ackerbürgerstädtchen mit seinen kleinbäuerlichen Verhältnissen<br />
wird in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu nahtlos von<br />
einem dynamischen Gewerbestandort abgelöst, der mit seiner Relation<br />
von 980 Einwohnern zu 650 vor allem industriellen Arbeitsplätzen<br />
beinahe einzigartig im Landkreis ist. All dieses und noch<br />
vieles mehr kann jetzt in einer 176 Seiten starken facettenreichen<br />
Stadtgeschichte nachgelesen werden.<br />
Stadtgründung der Grafen von Veringen<br />
Die insgesamt sechs, von auswärtigen Historikern und örtlichen<br />
Geschichtskennern verfassten Fachaufsätze zur städtischen Historie<br />
vom Mittelalter bis in die Gegenwart vermögen manch Neues<br />
über den bisherigen Kenntnis- und Diskussionsstand hinaus zu<br />
bieten: So kann der Autor des Mittelalter-Beitrags, Dr. Casimir Bumiller,<br />
plausibel machen, dass Hettingen analog zu Gammertingen<br />
wohl erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Stadt entstanden<br />
ist und als Gründer der städtischen Siedlung im Anschluss<br />
an die ältere Burg wohl weniger die um die Mitte des 12. Jahrhunderts<br />
ausgestorbenen Grafen von Gammertingen und statt dessen<br />
eher die Grafen von Veringen in Frage kommen, die um 1250 von<br />
ihrem Sitz in Veringenstadt aus nach Hettingen und Gammertingen<br />
ausgreifen und nach dem Verlust ihres Stammbesitzes nach 1291<br />
ihre Residenz in die Hettinger Burg verlegen. 1267 stellt Graf Wolfrad<br />
von Veringen erstmals eine Urkunde auf der Burg Hettingen<br />
aus, womit er dieser zugleich die urkundliche Erstnennung beschert.<br />
Wie die meisten im Mittelalter gegründeten Städte hat auch Hettingen<br />
eine dörfliche Vorgeschichte, die sicherlich in das Frühmittelalter<br />
zurückreicht, aber erst um 1135 mit einer Nennung in der<br />
Zwiefalter Chronik des Mönchs Ortlieb ihren ersten schriftlichen<br />
Niederschlag findet. Zur Versorgung der wohl um 1120 von einer<br />
Hettinger Linie der Grafen von Gammertingen errichteten Burg auf<br />
dem Schlossberg entsteht in der Folge eine zunächst bescheidene<br />
Burgsiedlung als Niederlassung von herrschaftlichen Bediensteten<br />
und Handwerkern. Der 1254 in den Quellen auftauchende „minister"<br />
Konrad von Hettingen bezeichnet wahrscheinlich einen<br />
„Amtmann" oder „Schultheißen" und damit eine städtische Amtsfunktion.<br />
Dies ist aber auch schon bis in das 14. Jahrhundert hinein<br />
der einzige in der Überlieferung fassbare eindeutige Hinweis<br />
auf den städtischen Status Hertingens, was Casimir Bumiller zur<br />
Vermutung veranlasst, dass Hettingen im Kontext des veringischen<br />
Herrschaftsausbaus zwar nach 1250 zusammen mit Riedlingen<br />
und Veringenstadt zur Stadt erhoben wurde, sich in der Folge aber<br />
nicht so recht stabilisieren konnte. Mit Hettingen ist im 14. und<br />
frühen 15. Jahrhundert dann vor allem der etappenweise Nieder-<br />
77<br />
gang der einst mächtigen Grafen von Veringen verbunden: Nach<br />
dem Verlust des Großteils des Besitzes südlich der Donau und sogar<br />
von Grafschaft und Stammburg Veringen 1291 nach einem verlorenen<br />
Prozess vor einem königlichen Gericht wird Hettingen zum<br />
neuen Herrschaftsmittelpunkt der Grafen, die in der hiesigen Martinskirche<br />
auch eine neue Grablege für ihr Geschlecht begründen.<br />
Der schhchte Grabstein des 1366 verstorbenen Grafen Heinrich V.<br />
erinnert im Chor der Pfarrkirche an die über mehr als eineinhalb<br />
Jahrhunderte währende herrschaftliche Präsenz der Veringer in<br />
Hettingen.<br />
Die letzten Jahrzehnte der Veringer Herrschaft sind gekennzeichnet<br />
von einem fortschreitenden Ausverkauf der einst ansehnlichen und<br />
weit ausgreifenden Besitzungen des Grafenhauses, von denen dann<br />
um 1400 nur noch die Städtchen Gammertingen und Hettingen<br />
nebst einem kleinen Umland übrig gebheben sind. Der - im<br />
wahrsten Sinne des Wortes - endgültigen Besiegelung des Untergangs<br />
der Grafen von Veringen in einer vor dem kaiserlichen Hofgericht<br />
zu Rottweil ausgestellten testamentarischen Verfügung von<br />
Graf Wölfle von Veringen vom 6. September 1407 hat Hettingen<br />
seine älteste urkundliche Nennung als Stadt zu verdanken. Graf<br />
Wölfle, der letzte und ohne legitime Nachkommen verbliebene<br />
Spross des Veringer Geschlechts, vermacht darin seinem Neffen<br />
Heinrich von Rechberg seine verbliebenen Herrschaftsrechte und<br />
Besitzungen, darunter auch „Hätingen" die „Stat". Dieses Geburtstagsdokument<br />
für das Hettinger Stadtjubiläum wird übrigens bis<br />
auf den heutigen Tag im Archiv der nunmehrigen Grafen von Rechberg<br />
in Donzdorf verwahrt und von Graf Bernhard von Rechberg<br />
und Rothenlöwen der Stadt im Jubeljahr als Leihgabe zur Verfügung<br />
gestellt. Wie Edwin Ernst Weber in seiner Transkription nebst<br />
Regest zur Erstnennungsurkunde in der Jubiläumsschrift deutlich<br />
macht, ist die kleine Misslichkeit in der Urkunde, dass bei der ersten<br />
Nennung nicht klar zwischen Hettingen und Hechingen zu entscheiden<br />
ist, nicht weiter für das Alter der Stadt Hettingen und damit<br />
auch für unser Jubiläum gefährlich - folgt doch glücklicherweise<br />
eine zweite Erwähnung nach, die jetzt eindeutig Hettingen<br />
benennt.<br />
Herrschaftssitz bis ins 19. Jahrhundert<br />
Wie sämtliche frühere Residenzstädte im Landkreis mit Ausnahme<br />
von Sigmaringen im Laufe ihrer Geschichte bitter erfahren müssen,<br />
hegt das große Risiko für die im Anschluss an Adelssitze entstandenen<br />
bürgerhchen Siedlungen im Untergang ihrer Herrschergeschlechter<br />
und im Abstieg zu Landstädten innerhalb größerer Territorialstaaten.<br />
Für die beiden ehemaligen Hochadelsresidenzen<br />
Meßkirch und Scheer etwa war mit dem Verlust der Residenzfunktion<br />
im 18. Jahrhundert der wirtschaftliche Niedergang auch der<br />
bürgerhchen Stadt verbunden. So sind es oft Zufälle der dynastischen<br />
Erbfolge und der Herrschaftspohtik, die über das Wohl und<br />
Wehe von Residenzstädten entscheiden. Hettingen hat trotz zahlreicher<br />
Herrscherwechsel vom Hochmittelalter bis ins frühe 16.<br />
Jahrhundert ausgesprochen Glück und vermag, abgesehen von einem<br />
württembergischen Intermezzo in der Mitte des 15. Jahrhunderts,<br />
seine Stellung als Herrschaftssitz und Zentralort einer kleinen<br />
Herrschaft letztlich bis in das beginnende 19. Jahrhundert zu<br />
bewahren.<br />
Noch deutlicher als in der Geschichte anderer Residenzstädte in<br />
der Region hängt bei Hettingen die Dynamik in der städtischen Ent-<br />
wicklung entscheidend von Impulsen und zumal dem Wohlstand
der jeweiligen Ortsherren ab. Eine Glanzzeit in seiner langen Ge-<br />
schichte erlebt das Lauchertstädtchen nach dem Übergang der<br />
Herrschaft Gammertingen-Hettingen von Württemberg an die Herren<br />
von Bubenhofen, als um 1500 der in die Geschichtsbücher als<br />
„Goldener Ritter" eingegangene Hans Caspar von Bubenhofen Hettingen<br />
zu einer glanzvollen Residenz auszubauen versucht und insbesondere<br />
den qualitätsvollen Ausbau der Martinskirche zur Stiftskirche<br />
und Grablege seines Geschlechts betreibt. Der auf ihn<br />
zurückgehende Chor gehört zusammen mit der Taufkapelle in der<br />
Pfarrkirche bis heute zu den Meisterwerken der gotischen Baukunst<br />
im Landkreis Sigmaringen. Wie nahe Aufstieg und Niedergang<br />
zumal bei Adelsgeschlechtern beieinander hegen können, erleben<br />
die Hettinger Untertanen gerade bei diesem Stadtherrn, dessen<br />
sagenhafter Reichtum sich innerhalb kurzer Zeit durch eine<br />
der Zimmernschen Chronik zufolge unbändige Verschwendungssucht<br />
in eine ausweglose Verschuldung mit dem Verlust sämtlicher<br />
Besitzungen verwandelt. Aus der Konkursmasse des „Goldenen Ritters"<br />
gelangt die Herrschaft Gammertingen-Hettingen 1524 an Dietrich<br />
Speth von Zwiefalten, bei dessen Niederadelsgeschlecht das<br />
mittlere Laucherttal sodann 300 Jahre lang bis zur Mediatisierung<br />
der Reichsritterschaft 1806 und sodann dem Verkauf auch der verbliebenen<br />
Spethschen Feudalrechte und des Privatbesitzes samt<br />
Schloss 1827 an den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen verbleibt.<br />
Dominante Herrschaft und dörfliche Strukturen<br />
Hettingen wird nicht nur topographisch von seinem Schloss beherrscht,<br />
auch in den Quellen ist die städtische Siedlung mit ihren<br />
Bürgern bis in das Spätmittelalter neben der dominanten adhgen<br />
Herrschaft nur schwerlich zu fassen. Erst um die Mitte des 14.<br />
Jahrhunderts treten in den Quellen erstmals „Bürger" von Hettingen<br />
in Erscheinung, und ein kommunales Siegel begegnet erst um<br />
1463- Hettingen bleibt vom Mittelalter bis ins 19- Jahrhundert eine<br />
in der Forschung sogenannte „Minderstadt" mit eingeschränkter<br />
wirtschaftlicher Funktion und bescheidener kommunaler Selbstverwaltung.<br />
Wie nicht zuletzt auch die Themen der endlosen Auseinandersetzungen<br />
zwischen der Stadtgemeinde und ihren adhgen<br />
Stadtherren in der Frühen Neuzeit offenbaren, gleicht Hettingen in<br />
seiner Wirtschaftsverfassung und seinen Herrschaftsverhältnissen<br />
eher einer bäuerlichen Dorfgemeinde, die sich mit ihrer ritterschaftlichen<br />
Obrigkeit um die Leibherrschaft, um Frondienste, um<br />
Weide- und Waldnutzungsrechte, um die „Bannung" der Bewohner<br />
auf die herrschaftliche Mühle, Ziegelei und das Bräuhaus und damit<br />
die typischen Gegenstände der ländlichen Untertanenkonflikte<br />
streitet. Stadtluft macht die Bürger im Fall Hettingens nicht frei,<br />
vielmehr bleiben die hier lebenden Menschen letzthch vorwiegend<br />
landwirtschaftlich tätige und der ländlichen feudalen Unfreiheit<br />
unterworfene Untertanen, die sich von ihrer bäuerhchen Umgebung<br />
im Wesentlichen nur durch den Herrschaftssitz und die Stadtmauer<br />
unterscheiden. Der vom Mitschriftleiter der Jubiläumsschrift<br />
Wilfried Liener entworfene Buchtitel „Dorfleben hinter<br />
Stadtmauern" charakterisiert sehr treffend diese Verhältnisse Hettingens,<br />
die nur wenig mit der wirtschaftlichen Dynamik und bürgerschaftlich-kommunalen<br />
Freiheit und Autonomie anderer,<br />
reichsfreier, aber auch landsässiger Städte in der Region gemeinsam<br />
haben.<br />
Ihr kommunales Profil gewinnt die städtische Bürgergemeinde<br />
Hettingens in der Frühen Neuzeit in endlosen Auseinandersetzun-<br />
78<br />
gen mit den Freiherren Speth von Zwiefalten, die über Beschwerdeschriften<br />
und vor den Schiedsinstanzen des Ritterkantons Donau<br />
sowie des Bischofs von Konstanz als Lehensherrn der Herrschaft<br />
Hettingen ausgetragen werden. In der harten Bilanz betrachtet ist<br />
die Hettinger Bürgerschaft in diesen Konflikten letzthch nur wenig<br />
erfolgreich: Die Leibeigenschaft der Stadtbürger bleibt mit den damit<br />
verbundenen Abgaben und Freiheitsbeschränkungen bis zur<br />
Ablösung 1841 bestehen; die Fronverpflichtungen für die Herrschaft<br />
mit Transport-, Holzmacher-, Acker-, vor allem aber lange<br />
Zeit ungemessenen, d.h. nach Bedarf zu verrichtenden Bau- und<br />
Jagddiensten sind drückend und hegen deuthch über den Belastungen<br />
in den allermeisten Nachbarterritorien. Erst 1748 vermag<br />
man eine Einschränkung der Jagdfronen auf jährlich höchstens<br />
zehn Tage zu erreichen, und bei den ungehebten Baufronen für die<br />
herrschaftlichen Gebäude und Anlagen erringt man 1774 wenigstens<br />
einen kosmetischen Erfolg, als unter bischöflicher Vermittlung<br />
die von den Untertanen geforderten Arbeiten für die Anlegung<br />
eines repräsentativen Gartens am hinteren Schlossberg als freiwillige<br />
„Ehrenfron" ohne Schuldigkeit deklariert werden. Die kommunale<br />
Selbstverwaltung der Stadtgemeinde beschränkt sich im<br />
Wesenthchen auf den agrarisch-genossenschaftlichen Bereich sowie<br />
die auch in den Dörfern anzutreffende Tätigkeit des Ortsgerichts<br />
und wird in der Frühen Neuzeit, im Gefolge der auch von den<br />
Herren Speth betriebenen absolutistischen Herrschaftsintensivierung,<br />
weiter beschnitten. Im 17. Jahrhundert klagt die Stadtgemeinde,<br />
dass die Herrschaft die Einberufung des Ortsgerichts verhindere,<br />
im folgenden Jahrhundert über Eingriffe in die kommunale<br />
Bürgermeisterwahl, und bereits 1615 bezichtigen die Hettinger<br />
Bürger ihre Obrigkeit, sich das Stadtsiegel angeeignet und im<br />
Namen der Gemeinde damit Leibeigenschaftsurkunden und Besitzstände<br />
im Lagerbuch attestiert zu haben. Die kommunalen Spielräume<br />
der Hettinger Bürgerschaft und ihrer Stadtgemeinde bleiben<br />
gegenüber einer in jeder Beziehung dominierenden Herrschaft<br />
stets ausgesprochen bescheiden.<br />
Ungeachtet dieser mageren Erfolgsbilanz ist Alexander Sancho-<br />
Rauschel, dem Autor des Kapitels zur frühneuzeithchen Stadtgeschichte<br />
im Jubiläumsband, durchaus zuzustimmen, wenn er als<br />
Resultat und Folge der sich durch die ganze Frühe Neuzeit hinziehenden<br />
Untertanenkonflikte ein wachsendes kommunales Selbstbewusstsein<br />
der Hettinger Bürgerschaft konstatiert. Nicht zuletzt<br />
wird die Stadtgemeinde mit ihrer Konfliktführung gegen herrschaftliche<br />
Belastungen und Eingriffe zum Prozess- und sodann<br />
auch zum Vertragspartner der Obrigkeit, der mit dieser die Herrschaft-<br />
und Wirtschaftsverfassung der Stadt in mehreren Rezessen<br />
neu regelt und vereinbart. Das ungeachtet aller herrschaftlichen<br />
Beschränkungen wachsende kommunale Gewicht der Stadt zeigt<br />
sich im 17. und 18. Jahrhundert an einer stetig zunehmenden Zahl<br />
kommunaler Amtsträger und öffentlicher Gebäude: Neben den<br />
herrschaftlich besetzten Funktionen des Schultheißen, von Lehrer<br />
und -damit zumeist identischem - Mesner sowie den kommunalen<br />
Ämtern der Bürgermeister als Verwalter der Stadtkasse, des Gemeindebaumeisters<br />
und der Ortsrichter finden sich seit dem 17.<br />
Jahrhundert Stadtknecht, Schütz, Totengräber, Nachtwächter, Hirten,<br />
Wassermeister sowie Hebammen als Gemeindebedienstete.<br />
Der kommunale Gebäudepark umfasst im 18. Jahrhundert Waschhaus,<br />
Backhaus, Gemeindescheuer und bereits seit dem frühen 17.<br />
Jahrhundert ein Rathaus - letzteres bekanntlich der Hort der kommunalen<br />
Identität und Weisheit!
Entzug der Stadtrechte durch Preußen<br />
Mit der territorialen Flurbereinigung Deutschlands durch Napo-<br />
leon zu Beginn des 19- Jahrhunderts und der sich anschließenden<br />
Bauernbefreiung büßen die Hettinger zunächst ihre ritterschaftlichen<br />
Ortsherren ein und werden zu Untertanen des Fürsten von<br />
Hohenzollern-Sigmaringen, ehe sie in der Folge durch die Ablösung<br />
von Grundherrschaft, Zehntherrschaft, Leibherrschaft, Fronverpflichtungen,<br />
Bannrechten etc. auch noch ihrer feudalen Beschränkungen<br />
ledig werden. Mit dem Übergang der Landeshoheit<br />
an Hohenzollern-Sigmaringen durch die sog. Mediatisierung 1806<br />
und sodann 1827 mit dem Verkauf der verbhebenen Feudalrechte<br />
und Eigengüter durch Freiherr Friedrich Adalbert Speth von Zwiefalten,<br />
den letzten männlichen Spross des ritterschaftlichen Geschlechts,<br />
an den Sigmaringer Fürsten verliert Hettingen aber<br />
gleichzeitig auch seine angestammte Funktion als Adelsresidenz<br />
und als Verwaltungssitz, der in Gestalt des Obervogteiamts bereits<br />
1814 zum Oberamt Gammertingen geschlagen wird. Hettingen ist<br />
jetzt ohne die herrschaftliche Überhöhung ein kümmerliches und<br />
ärmliches Ackerbürgerstädtchen mit gleichbleibend rund 600 Einwohnern,<br />
das den neuen preußischen Herren als derart bescheiden<br />
erscheint, dass sie ihm 1883 zusammen mit Gammertingen,<br />
Veringenstadt, Trochtelfingen und Haigerloch die Stadtrechte entziehen.<br />
Bis 1951 muss Hettingen dann in der Folge bekanntlich<br />
warten, ehe ihm durch die damalige württembergisch-hohenzollerische<br />
Landesregierung die Stadteigenschaft wieder zurückgegeben<br />
wurde.<br />
Wilfried Liener beschreibt in seinem Beitrag die nur wenig spektakulären<br />
Verhältnisse im landwirtschaftlich geprägten Örtchen Hettingen<br />
im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Wiedereinführung<br />
von jährhch zwei Jahrmärkten 1852 ist ein Fortschritt, noch mehr<br />
der Bahnanschluss 1907, der Aufbau einer zentralen Wasserversorgung<br />
bis 1914, die Errichtung eines neuen, bis heute<br />
schmucken Schulhauses am südlichen Stadteingang 1904 und<br />
schließlich auch die Errichtung eines Kindergartens mit Schwe-<br />
OTTO H. BECKER<br />
Schlösser im Wandel - ein Kolloquium<br />
des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />
In der im vergangenen Jahr von der Gesellschaft Oberschwaben<br />
und dem Staatsarchiv im Prinzenbau und im Landeshaus in Sigmaringen<br />
gezeigten Ausstellung „Adel im Wandel" wurde die Entwicklung<br />
des Adels vom 18. bis ins 20. Jahrhundert dokumentiert.<br />
In der viel beachteten Schau blieben jedoch u.a. die Schicksale der<br />
vielen ehemals hochherrschaftlichen Schlösser und Burgen unberücksichtigt,<br />
die infolge der politischen und wirtschaftlichen<br />
Umbrüche der Vergangenheit von ihren adehgen Eigentümern veräußert<br />
wurden.<br />
Auch in Hohenzollern gelangten die meisten Schlösser in jüngster<br />
Vergangenheit an Gebietskörperschaften oder an Privatleute, die<br />
diese anschließend ganz neuen Nutzungen zuführten. So baute beispielsweise<br />
der neue Eigentümer im Schloss Inzigkofen Appartements<br />
ein. Aus Schloss Glatt ist ein Kultur-und Museumszentrum<br />
des Landkreises Rottweil geworden. Schloss Hohenfels beherbergt<br />
die Unterstufe der Schule Schloss Salem. Das ursprünglich<br />
Speth sehe Schloss Hettingen ist nunmehr Sitz der Gemeindever-<br />
79<br />
sternstation und öffentlichen Baderäumen 1930. Wie allenthalben<br />
in Hohenzollern und Oberschwaben nimmt seit der zweiten Hälfte<br />
des 19- Jahrhunderts auch das Vereinsleben mit der Gründung von<br />
Musikverein, Turnverein, Gesangverein und Militärverein einen<br />
markanten Aufschwung und bringt neue Formen einer bürgerlich<br />
geprägten Geselligkeit und Gemeinschaft in den Bauernort. Bittere<br />
Einschnitte in die Ortsgeschichte bringen die beiden Weltkriege sowie<br />
die Gewalt- und Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus,<br />
die mit ihren auch im kleinen Hettingen auftretenden Abgründen<br />
und Verbrechen Norbert Möller in der Jubiläumsschrift dokumentiert.<br />
Erscheint der Fortschritt im Lauf früherer Jahrhunderte als<br />
Schnecke, so erfährt die von Wilfried Liener untersuchte Entwicklung<br />
seit den 1950er Jahren eine atemberaubende Beschleunigung:<br />
Innerhalb weniger Jahre entwickelt sich das bescheidene<br />
Ackerbürgerstädtchen zum dynamischen Industriestandort mit<br />
ausgreifenden Gewerbe- und Wohngebieten, wo die Landwirtschaft<br />
nur noch eine Randexistenz führt. Seine kommunale Eigenständigkeit<br />
vermag Hettingen 1975 zu retten und durch den Zusammenschluss<br />
mit dem Albdorf Inneringen zu stärken. Anstelle des adligen<br />
Stadtherrn residiert heute der Bürgermeister als gewählter<br />
oberster Repräsentant der Bürgergemeinde mit seiner Verwaltung<br />
im schmuck sanierten Schloss über dem Städtchen - ein eindrücklicheres<br />
Zeugnis für die in den letzten zwei Jahrhunderten<br />
eingetretenen grundstürzenden Veränderungen der öffentlichen<br />
und kommunalen Verhältnisse ließe sich wohl kaum finden!<br />
Literatur<br />
Herbert Burkarth: Geschichte der Herrschaft Gammertingen-Hettingen.<br />
Sigmaringen 1983.<br />
Edwin Ernst Weber u. Wilfried Liener (Red.): Dorfleben hinter Stadtmauern.<br />
600 Jahre Stadt Hettingen 1407 - 2007. Hettingen 2007.<br />
Überarbeitete Fassung des Festvortrags beim zentralen Festakt<br />
am 24. Juni 2007 zum Jubiläum 600Jahre Stadt Hettingen anlässlich<br />
der urkundlichen Erstnennung als Stadt 1407.<br />
waltung. Aus dem ehemals hohenzollerischen Residenzschloss<br />
Haigerloch ist ein „Gastschloss" geworden. Wohnzwecken dient<br />
heute das Schloss Lindich. Im Alten Schloss in Hechingen befindet<br />
sich heute das <strong>Hohenzollerische</strong> Landesmuseum.<br />
Diesen Wandel hat der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong> in einer<br />
Ganztagesveranstaltung mit dem Thema „Von Achberg bis Glatt.<br />
Zur Umwidmung herrschaftlicher Schlösser und Landhäuser in<br />
Hohenzollern" am 13. Oktober 2007 in der renovierten und sanierten<br />
Villa Eugenia in Hechingen erstmals in einer Gesamtschau<br />
aufgezeigt und auch bewertet. Für die Veranstaltung konnten als<br />
Referenten aus den Reihen des <strong>Geschichtsverein</strong>s gewonnen werden:<br />
Dr. Otto H. Becker (Sigmaringen), Stadtarchivar Thomas<br />
Jauch M.A. (Hechingen), Dr. Ralf Laschimke (Straßberg), Studienrat<br />
Georg Loges (Hettingen), Redakteur Uwe A. Oster M.A. (Hechingen),<br />
Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst Weber (Sigmaringen) und<br />
Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn (Bahngen). Als Referenten stellten<br />
sich ferner die Kreisarchivare Bernhard Rüth (Rottweil) und<br />
Kai Sprenger M.A. (Ravensburg) zur Verfügung.<br />
Behandelt wurden die folgenden Sitze: Schloss Hohenfels (Dr.<br />
Becker), Schloss und Kloster Inzigkofen (Dr. Weber), Schloss Hettingen<br />
(Herr Loges), Schloss Achberg (Herr Sprenger), Schloss<br />
Lindich und Villa Eugenia (Herr Oster), Burg Straßberg (Dr. La-
schimke), Schloss Haigerloch (Dr. Zekorn) und Schloss Glatt<br />
(Herr Rüth). Unberücksichtigt blieb der Prinzenbau in Sigmarin-<br />
gen, dessen Geschichte im Zusammenhang mit der Renovierung<br />
und dem Umbau für das Staatsarchiv bereits hinreichend aufgearbeitet<br />
worden ist. - In der Mittagspause wurde den Interessenten<br />
eine Führung durch die sanierte Villa Eugenia von dem Vorsitzenden<br />
des Fördervereins, Herrn Uwe A. Oster M.A., angeboten.<br />
Die Veräußerung und die damit verbundene Erarbeitung neuer,<br />
tragfähiger Nutzungskonzeptionen erwiesen sich, wie im Verlauf<br />
des Kolloquiums deutlich wurde, in den meisten Fällen als sehr<br />
schwierig. So war beispielsweise das 1982 verkaufte Schloss Achberg<br />
bis zum Erwerb durch den Landkreis Ravensburg 1988 Gegenstand<br />
wilder Bauspekulationen.<br />
Das von den Herren von Neuneck errichtete Wasserschloss Glatt<br />
etwa bückte viele Jahre einer ungewissen Zukunft entgegen. Der<br />
Ankauf des von dem Volkshochschulheim genutzten Klosters durch<br />
die Gemeinde Inzigkofen und die Finanzierung der erforderlichen<br />
Sanierungsmaßnahmen wurden vom Referenten geradezu als<br />
„Wunder" charakterisiert. Im Unterschied hierzu verdankten<br />
Schloss Lindich, das ehemalige zollerische Residenzschloss Haigerloch<br />
und die Burg Straßberg ihre Rettung privaten Initiativen.<br />
Die Referenten legten dar, dass dank der Initiative von Privatpersonen<br />
und Institutionen sowie der Unterstützung öffentlicher Zuschussgeber<br />
die veräußerten herrschaftlichen Gebäude in Hohen-<br />
JOSEF SCHNEIDER<br />
Rückkehr der Kirchenglocken<br />
im Jahre 1947- vor 60 Jahren<br />
Die Vorfreude auf Weihnachten war im Jahre 1947 in den Kirchengemeinden<br />
Haigerloch, Gruol und Weildorf von einem freudig bewegenden<br />
Ereignis geprägt: Am 7. Dezember, also vor 60 Jahren<br />
durften die 1942 für Rüstungszwecke beschlagnahmten Glocken<br />
als Heimkehrerinnen wieder in Empfang genommen werden. In einem<br />
Lager in Lünen (Westfalen) hatten sie den Krieg überstanden<br />
und blieben vor der Einschmelzung bewahrt.<br />
Die Freude über die Rückkehr der Glocken war in den Gemeinden<br />
groß. Pfarrer Gustav Reiber, Gruol, schrieb in die Chronik: „Der<br />
Nikolaus hat uns die Glocken wieder gebracht!" So jedenfalls empfand<br />
man das zufällige Zusammentreffen der beiden besonderen<br />
Tage, zumal auch am Nikolaustag 1946 die Nachricht über das Vorhandensein<br />
der Glocken über das Dekanat erfolgt war.<br />
In die Freude mischte sich allerdings Bangen und Hoffen, denn in<br />
den darauffolgenden Monaten hörte man von einer Rückführung<br />
nichts mehr. Niemand mochte mehr an die Rückkehr glauben. Es<br />
kam die Vermutung auf, dass die Alliierten, vor allem die Engländer,<br />
die Glocken zu Reparationszwecken beschlagnahmen würden.<br />
England und Frankreich, wie auch Deutschland, erlitten<br />
große Luftkriegsschäden im 2. Weltkrieg.<br />
Die Befürchtung erwies sich zum Glück als grundlos. Die Alliierten<br />
gaben sogar dem Rücktransport anfangs Dezember 1947 bewaffnetes<br />
Geleit. Am Bahnhof Hechingen standen alle Glocken zur Abholung<br />
bereit, was die Firma Zöhrlaut Haigerloch mit ihrem Fuhrpark<br />
besorgte. Haigerloch erhielt sieben Glocken zurück, Gruol<br />
80<br />
zollern erhalten und damit vor dem drohenden Verfall gerettet werden<br />
konnten. Eindrucksvoll war hierbei vor allem der Bericht von<br />
Dr. Laschimke über die Umwidmung der Burg Straßberg zu seinem<br />
persönlichen Wohnsitz.<br />
Deutlich wurde im Verlauf der Vortragsveranstaltung aber auch,<br />
dass für die Rettung der historischen Gebäude oft ein sehr hoher<br />
Preis bezahlt werden musste. So wurden zum Beispiel bei der Einrichtung<br />
von Appartements im ehemaligen Schloss Inzigkofen,<br />
einst Residenz der Fürstin Amalie Zephyrine, der ursprünglichen<br />
Zimmereinteilung kaum noch Rechung getragen. Vom Neuen<br />
Schloss in Hechingen sind nur noch die Außenmauern erhalten geblieben.<br />
Einige Referenten wussten auch von Gemälden, Spiegeln<br />
oder Stuckarbeitenen zu berichten, die bei den Sanierungen der<br />
Gebäude oft auf sehr wundersame Weise abhanden gekommen waren.<br />
Auch auf Probleme der Bauunterhaltung wurde von Referenten<br />
hingewiesen. Schließlich hätten, so war ebenfalls zu erfahren,<br />
die in verschiedenen Schlössern untergebrachten kulturellen Einrichtungen<br />
stets ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen.<br />
In seinem Resümee bedauerte der Vereinsvorsitzende Dr. Becker<br />
die Tatsache, dass in den ehemals hochherrschaftlichen Gebäuden<br />
von der ursprünglichen Einrichtung in der Regel nichts mehr vorhanden<br />
sei. Es sei geplant, die bei dem Kolloquium gehaltenen Referate<br />
zur Gegenwartskunde Hohenzollerns in der Zeitschrift für<br />
<strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte 44 (2008) zu veröffentlichen.<br />
zunächst drei - das Glöckle der Heiligkreuzkapelle folgte im Mai<br />
1948 - und Weildorf erhielt eine Glocke zurück. Die Glocken wurden<br />
daraufhin geschmückt und vor den Kirchen aufgestellt. Diese<br />
erhielten bei Glockenfeiern ihre Weihe wieder. Rasch kehrten sie<br />
wieder in ihre Türme zurück, um zusammen mit ihren verbliebenen<br />
Schwestern Weihnachten wieder festlich einzuläuten und den<br />
Frieden der Heiligen Nacht zu verkünden. Kaum ein schönerer<br />
Neubeginn hätte sich für die Rückkehrerinnen angeboten! Manch<br />
bittere Erinnerung klang nochmals an jene Märztage 1942 an, zumal<br />
die Glocken gerade zwei Jahre vorher die Besetzung von Paris<br />
am 21. Juni, und am 28. Juni den Waffenstillstand mit Frankreich<br />
durch tagelanges Geläute "mitfeiern" mussten. Aber auch ihre<br />
zurückgebliebenen Schwestern führten bald auch ein trauriges Dasein.<br />
Das erlassene Läuteverbot vom 19. November 1942 wurde<br />
damit begründet, dass das Läuten den militärischen Luftnachrichtendienst<br />
bzw. den Luftwarndienst stören würde.<br />
Manche Gemeinden mussten vergeblich auf die Rückkehr ihrer<br />
Glocken warten und waren in den Jahren danach gezwungen, neue<br />
Glocken zu beschaffen. Von 34 Glocken aus dem Haigerlocher<br />
Raum (Haigerloch hatte neun Glocken herzugeben, Owingen fünf,<br />
Gruol vier, Stetten drei, Weildorf drei, Trillfingen vier, Bad Imnau<br />
und Heiligenzimmern je zwei, Bittelbronn und Hart je eine) waren<br />
nur zwölf zurückgekehrt. Die anderen fielen dem Moloch Krieg<br />
zum Opfer. So zählten die Glockenweihen zu den außergewöhnlichen<br />
Anlässen der Nachkriegszeit. Etliche der neuen Glocken wurden<br />
dem Gedenken der Gefallenen gewidmet. Und wer wollte es<br />
leugnen: Glocken sind für die Bevölkerung mehr als Schall und<br />
Klang. Sie werden gleichermaßen als Begleiter durch das Leben,<br />
bei Freud und Leid, verstanden. Ein wertvolles Kulturgut war für<br />
den Krieg missbraucht worden.
Eine sehr seltene Aufnahme vom 19- März 1942 von einer unbekannten Person zeigt die Glockenabnahme in Gruol. Pfarrer Reiher,<br />
der ebenfalls fotografiert hatte, bekam den Film unmittelbar von der Gestapo abgenommen. Aufdem Bild rechts der damalige Gruo-<br />
ler Mesner Josef Pfister, die weiteren Arbeiter stammen aus Owingen von der Baufirma Henne, die diese Arbeit auszuführen hatte.<br />
Die Glocken von rechts: Die große Glocke der Pfarrkirche aus dem Jahre 1429, dann die beiden Glocken von der Oberen Kirche aus<br />
dem Jahr 1725 und dazwischen die kleine Glocke der Heiligkreuzkapelle aus dem Jahre 1488. Die Rückführung und die Glockenfeier<br />
konnten nicht fotografiert werden, weil es 1947 keine Filme zu kaufen gab. Reproduktion: Foto Weber, Haigerloch.<br />
FRANZ-SEVERIN GÄßLER<br />
Der Leopoldplatz in Sigmaringen -<br />
Monument der Residenzund<br />
Landeshauptstadt 1<br />
Der Name des Bundeslandes Baden-Württemberg lässt vergessen,<br />
dass zwischen Baden und Württemberg ehemals Hohenzollern existierte<br />
- bis 1972 im Namen des Regierungsbezirks Südwürttemberg-Hohenzollern<br />
noch präsent und mit dem <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
Landeskommunalverband noch mit einer gewissen pohtischen Eigenständigkeit,<br />
bis 1952 im Namen des Bundeslandes Württemberg-Hohenzollern,<br />
bis 1945 als preußischer Regierungsbezirk<br />
mit teilweise provinzähnhcher Stellung und bis 1850 in Form<br />
zweier souveräner Fürstentümer: Hohenzollern-Hechingen und<br />
Hohenzollern-Sigmaringen 2 .<br />
Beiden Fürstentümern war es 1805 aufgrund persönlicher Beziehungen<br />
Amalie Zephyrines, der Gemahlin des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen,<br />
zum Kaiserhof Napeoleons gelungen, der Mediatisierung<br />
zu entgehen. Hohenzollern-Sigmaringen ging sogar<br />
gestärkt aus den pohtischen Umwälzungen hervor. Es erreichte<br />
nicht nur die volle Souveränität über jene Gebiete, die zuvor österreichisches<br />
Lehen gewesen waren, sondern konnte zudem bedeutenden<br />
Gebietszuwachs verzeichnen. Wie Karlsruhe für Baden und<br />
Stuttgart für Württemberg waren fortan die beiden Residenzstädte<br />
81<br />
Hechingen und Sigmaringen auch Hauptstädte souveräner Staaten,<br />
bis die Revolution von 1848 den Bestand fürstlicher Rechte gefährdete<br />
und die Fürsten der beiden Staaten ihre Souveränitätsrechte<br />
gegen Entschädigung an die preußische Krone abtraten<br />
(Abb. 1).<br />
Sigmaringen blieb nach 1850 Residenzstadt und insbesondere Sitz<br />
der fürstlichen Hofkammer. Nach der Rückkehr des fürstlichen<br />
Hofs im Jahr 1871 erhielt die Stadt mit zahlreichen Neu- und Erweiterungsbauten<br />
für den fürstlichen und erbprinzlichen Hof und<br />
die fürstliche Verwaltung sowie mit dem Ausbau der fürstlichen<br />
Gärten und Anlagen ihren weiteren repräsentativen Ausbau als Residenzstadt.<br />
Hechingen verlor nicht nur seine Funktion als Landeshauptstadt,<br />
sondern auch die einer Residenz, als Friedrich Wilhelm<br />
Konstantin, der letzte Fürst von Hohenzollern-Hechingen, Stadt<br />
und Land verheß, um sich auf seinen schlesischen Besitzungen seiner<br />
Leidenschaft, der Musik, zu widmen.<br />
Im Gegensatz zu Hechingen war es in Sigmaringen während der<br />
Zeit der Souveränität gelungen, den Status der Landeshauptstadt<br />
auch städtebaulich darzustellen 1 . Innerhalb einer Dekade, von<br />
1839 bis 1848, hatte die Stadt eine Gestalt gewonnen, die sie von<br />
derjenigen der Landstädte und auch der Residenzorte des mediatisierten<br />
Adels in der näheren und weiteren Umgebung eindeutig unterschied<br />
(Abb. 2). Im Gegensatz zu diesen war die Stadterweiterung<br />
entsprechend der differenzierten Funktion der Landeshaupt-
Stadt auch differenziert gestaltet. Wesentliches Merkmal war nicht<br />
nur die Architektur der herrschaftlichen Gebäude, die in jener Zeit<br />
entstanden, sondern insbesondere der Bau der Carlsstraße und<br />
des Carlsplatzes, die bereits 1840, noch unvollendet in ihrer Gestalt,<br />
ihren Namen erhalten hatten, sodann die Stellung der herrschaftlichen<br />
Gebäude an dieser Straße, die gestalteten Freiflächen<br />
sowie Bauweise und Architektur der Bürgerhäuser am Carlsplatz,<br />
dem heutigen Leopoldplatz.<br />
fffPDH/WHPAND UXNPPK. VNP WNP^HAl/PKTÄPTf diW<br />
HU^at&cH. •<br />
K6 (v<br />
« JV. ,<br />
SHZM.VHfWN<br />
»^JtuifytMt<br />
W 9 R.TTE-H* EP, 6<br />
-IMummh Jp"<br />
X^FfM. HOHfNZOH-fRN<br />
'Jig-ttuMuyw<br />
{AdAfttfmi<br />
k v/zom<br />
Abb. 1: Südwestdeutschland 1849, politische Gliederung mit<br />
den Hauptstädten<br />
Damit hatte Sigmaringen das typische städtebauliche Gefüge einer<br />
Landeshauptstadt erhalten wie dies in der ersten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts in Süddeutschland nur Karlsruhe, Darmstadt und<br />
Abb. 2: Stadtgrundriss südlich der Donau 1800 und 1850<br />
82<br />
Wiesbaden sowie Stuttgart und in anderer Dimension vor allem<br />
München mit geometrischen Platzanlagen an zentraler Stelle in den<br />
Stadterweiterungsgebieten zeigten'.<br />
Die schnurgerade angelegte Carlsstraße, als Rückgrat der Stadterweiterung<br />
1836 geplant und 1837 gebaut, war durch Auffüllungen<br />
und Abgrabungen von bis zu vier Metern eine einheithche Steigung<br />
im bewegten Gelände gegeben worden. Dort, wo 1839/40 das Regierungsgebäude<br />
errichtet worden war, wurde wenige Jahre später<br />
durch Abgrabungen nach Süden hin ein künstlicher Hochpunkt in<br />
der Carlsstraße geschaffen, um dem Regierungsgebäude die höchste<br />
Position im Straßenzug zu geben. Hinzu kam, dass das Regierungsgebäude<br />
zwei Bauten rahmten, deren Gestalt identisch war:<br />
das zusammen mit dem Regierungsgebäude errichtete Hofkammergebäude<br />
im Norden und das 1844 fertiggestellte Oberamtsgebäude<br />
im Süden. Die Architektur der beiden ersten Gebäude hatte<br />
der Frankfurter Architekt Burnitz d. Ältere geschaffen. Um die Symmetrie<br />
zu wahren, erhielt das Oberamtsgebäude die gleiche Fassade<br />
wie das Hofkammergebäude. Damit stand das Regierungsgebäude<br />
im Zentrum einer achsialsymmetrischen Anlage, die die östliche<br />
Seite der Carlsstraße beherrschte. Auf der gegenüberliegenden<br />
Straßenseite korrespondierte mit dieser bauhchen Anlage ein<br />
langgestreckter, baumbestandener Platz in derselben Längenausdehnung,<br />
mit einem Brunnen in der Hauptachse. Die ganze Platzanlage<br />
war wiederum achsialsymmetrisch auf das Regierungsgebäude<br />
hin ausgerichtet. Mit Bedacht war kein Baum in die Straße<br />
gesetzt worden, damit der Straßenraum und die Fassaden in ihrer<br />
vollen Dimension und Pracht wirken konnten. An diesem Ort waren<br />
die beiden Mittelbehörden des Fürstentums - die Landesregierung<br />
und die Hofkammer - erstmals räumhch vom Schloss und<br />
auch voneinander getrennt untergebracht. Hier war die Verwaltung,<br />
die Exekutive gegenwärtig und prägte diese Straße bis in die<br />
achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als Standort für höhere<br />
und untere Landesbehörden der Justiz und der Verwaltung sowie<br />
der Kreisverwaltung.<br />
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Abb. 3: Carlsplatz von Südwesten um 1800. Vorlage: F.H. Sammlungen, Sigmaringen<br />
Doch wo wurden die Gesetze beraten und beschlossen, wo war die<br />
Legislative baulich präsent? Im Ständehaus am Carlsplatz, dem<br />
heutigen Leopoldplatz, der 1840, wenige Jahre nach der Aufstellung<br />
des Stadtbauplans, als Teil der Stadtverschönerungsmaßnahmen<br />
in regelmäßiger Form geplant wurde (Abb. 3). Acht Gebäude<br />
der Altstadt samt Stadtmauer mussten erworben und niedergelegt<br />
werden, um dem Platz seine endgültige Größe und Form zu geben,<br />
um die westliche und nördliche Seite bebauen zu können und eine<br />
Zufahrt von Süden her in die Altstadt herzustellen. Die Initiative zur<br />
Stadtverschönerung war von der Landesherrschaft ausgegangen.<br />
Fürst Carl berief eine Stadtverschönerungskommission, deren Vorsitz<br />
Erbprinz Carl-Anton führte, und stattete diese mit Mitteln aus,<br />
um insbesondere die regelmäßige Form des Carlsplatzes verwirklichen<br />
zu können. Bevor wir das Ständehaus betrachten, werfen<br />
wir einen Bhck auf die Wände und den Grundriss des Platzes, um<br />
zu schauen, was denn die wesentlichen Merkmale dieses Platzes<br />
sind: Die Raumkanten beschreiben ein klares Rechteck von unge-<br />
fiOMAMNöW<br />
CAfU-mATZ Mir F>l«T-UM
Vier Jahrzehnte später musste dieses Denkmal dem Reiterstandbild<br />
für den Fürsten Leopold weichen, das an der östhchen Peripherie<br />
des Platzes, zur Karlstraße und zum Prinzenbau hin gewendet aufgestellt<br />
wurde (Abb. 6). Geschehen war dies wohl auf Wunsch der<br />
Fürstin Antonia, die im Prinzenbau ihren Witwensitz hatte. Seitdem<br />
heißt der Platz Leopoldplatz. Auch hier gibt es über die Beziehung<br />
zwischen Denkmal und der Witwe des Fürsten Leopold hinaus ei-<br />
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0 5 -10<br />
nen sinnvollen Bezug. Denn Leopold hatte als Erbprinz sein damaliges<br />
Domizil, den Prinzenbau, erweitern und ihm eine neue Fassadengliederung<br />
im Formenkanon der Neorenaissance geben lassen.<br />
Das erste Gebäude, das auf die spätestens 1839 ins Auge gefasste<br />
und 1840 geplante prägnante Platzform reagierte war das Haus des<br />
WA&NFK. HfCK.<br />
AUFFv rMNZfNWl/ (HHpßwF) NFI/FK rR'lNZFNWI/<br />
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Abb. 5: Carlsplatz, Fassaden der Platzrandbebauung 1848<br />
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84<br />
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Buchhändlers Beck. Jahrzehntelang residierte dort das Hotel<br />
„Deutsches Haus", das als das vornehmste Lokal am Ort galt (Abb.<br />
7). Nicht ohne Grund installierten die Nationalsozialisten in den<br />
späten Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an dieser<br />
städtebauhch und architektonisch herausragenden Stelle ihre Parteizentrale<br />
mit der Kreisleitung. Das „Deutsche Haus" war nicht<br />
nur bis weit ins 20. Jahrhundert hinein das größte bürgerliche Gebäude<br />
in der Stadt, sondern setzte sich auch mit der Fassadengliederung<br />
und den Detaüs deutlich von den übrigen Gebäuden ab.<br />
Eher ghch es einem herrschaftlichen Gebäude. Dies bewirkten sicher<br />
die rhythmische Gliederung durch acht Fensterachsen, das<br />
Hochparterregeschoss mit noch einmal zwei darüberliegenden hohen<br />
Stockwerken und dem abschließenden Halbgeschoss, die<br />
breite Freitreppe und der obere Abschluss der Fassade. Denn ursprünglich<br />
verdeckte eine Attika das flach geneigte Dach. Im Detail<br />
zeigt dieses Gebäude Gliederungen, die auf die Architektur des gerade<br />
fertiggestellten Regierungsgebäudes verweisen: Den Sockelbereich<br />
gliedert die Bandrustika, und zugleich ist er gestuft. Über<br />
eine große Freitreppe führt der Zugang durch nebeneinanderstehende<br />
Portale ins Gebäude. Portalgewände und Fenstergewände<br />
sind profiliert gestaltet. Dagegen sind die Gurtgesimse einfach gehalten.<br />
Das Traufgesims wiederum ist kräftig profiliert ausgeführt.<br />
Auch wenn Architekturdetails des Regierungsgebäudes übernommen<br />
wurden, ist die Fassade eine eigenständige Schöpfung. Sie ist<br />
wohlproportioniert und ausgewogen gegliedert. Fein ausgebildet<br />
sind die Übergänge - von innen nach außen und zum Boden und<br />
zum Dach hin. Dazu trägt auch das dekorative Band bei, in das die<br />
Fenster des Halbgeschosses integriert sind und das die Wand zum<br />
Traufgesims hin abschließt. Gerade die Eingangssituation ist hervorragend<br />
inszeniert. Die Stufen, die zum Hochparterre führen,<br />
verhindern ein Hineinstolpern; und beim Hinaustreten gewinnt<br />
man vom erhöhten Standpunkt aus Überblick und Orientierung.<br />
Im Gegensatz zum benachbarten Wohnhaus des Hofkammerrats<br />
Horn oder auch der herrschaftlichen Gebäude in der Carlsstraße<br />
wurde beim Beck'schen Haus auf Wandschichtung oder Gliede-<br />
rung mittels Lisenen verzichtet. Dafür spiegelt dieses Haus mit seiner<br />
klar formulierten, wohlproportionierten Fassade jene Dimension<br />
und jenen klassizistischen Stil wider, der in der Stuttgarter Königsstraße<br />
oder der Neuen Mainzer Straße in Frankfurt, in Städten<br />
wie Karlsruhe und Darmstadt um 1840 zu sehen war und wenig<br />
später bereits wieder neuen Strömungen weichen musste. Wie der<br />
Platz bringt auch das Gebäude etwas vom Flair der großen Welt in<br />
die kleine Stadt.<br />
Zu klein waren die Verhältnisse in diesem Ort, um Kapital, Menschen<br />
und Arbeit zu binden. So bheben Form und Dimension dieses<br />
Gebäudes singulär, und auch im Stadträumlichen gelang es der<br />
Stadt seit dieser Zeit nicht mehr, einen weiteren Platz zu formen.<br />
Der Entwurf des „Deutschen Hauses" stammt vom fürstlichen<br />
Bauinspektor Bröm; 1839 hatte er den Plan gezeichnet. 1843<br />
wurde er zum Baurat ernannt und war damit zuständig für das Dominal-Bauwesen<br />
bei der Hofkammer und das Technische Referat<br />
bei der Regierung. Ursprünglich wollte Erbprinz Karl Anton an dieser<br />
Stelle Wohnungen für höhergestellte Beamte errichten lassen.<br />
Das war 1838. Ein Jahr später sollte an dieser Stelle das Regierungsgebäude<br />
platziert werden, für das auch bereits Entwürfe existierten.<br />
Doch das Raumprogramm wurde ausgeweitet und in der<br />
Carlsstraße der passende Platz für die Landesregierung gefunden.<br />
Möglicherweise ist das „Deutsche Haus" Planungsrelikt beider<br />
Vorhaben. Denn die FassadengÜederung entspricht jener, die Geheimrat<br />
Schnell in seiner Skizze für die Konferenzsitzung vom Juli<br />
1838 als Vorschlag für den Bau eines neuen Gebäudes in der Carlsstraße<br />
entwickelt hatte: viergeschossig über hohem Sockel, Attika<br />
und flaches Dach. Und vermutlich ist es nicht nur eine Reaktion auf<br />
den geplanten Platz, sondern auch bereits auf das angedachte Ständehaus<br />
auf der nördhchen Platzseite. Denn im selben Jahr, als<br />
Bröm den Bau hochführen heß, war bereits seitens der Stadtverschönerungskommission<br />
gefordert, die auf der nördhchen Platzseite<br />
entstehenden Bauten unter einem Dach und hinter einer Fassade<br />
zusammenzufassen.<br />
Abb 6: Leopoldplatz, Leopold-Denkmal mit dem ehemaligen Ständehaus um 1920. Vorlage: Frau M. Bruttel, Sigmaringen<br />
85
Die östliche Platzseite, die zugleich zur Carlsstraße gehört, nehmen<br />
der Alte und der Neue Prinzenbau ein. Beide Gebäude verbindet<br />
ein Zwischentrakt, der die Durchfahrt enthält. Der Alte Prinzenbau<br />
wurde 1823 als „Schlössle" für die Fürstin Amalie Zephyrine errichtet.<br />
Den Neuen Prinzenbau ließ Erbprinz Karl-Anton 1842-47<br />
als Stadtpalais nach Plänen von Bröm im Stil des romantischen<br />
Klassizismus mit zahlreichen neogotischen Elementen erbauen.<br />
Völlig unterschiedhch war das Erscheinungsbild der beiden Gebäude.<br />
Klassizismus mit eher derben Formen korrespondierte mit<br />
dem Formenkanon der Neogotik. Das modische Erscheinungsbild<br />
war wichtiger als die Symmetrie und insbesondere die Homogenität<br />
- doch steht die Platzwand im Vergleich zur südhchen geschlossen<br />
da. Dass der Platz gerade an dieser Stelle entstand,<br />
dürfte mehrere Gründe haben: Einmal ist es die Fläche, die durch<br />
die Straßen ausgeschieden wird, dann das Gelände, das nach der<br />
Planierung nur wenig geneigt war, und insbesondere das Dasein<br />
des „Schlössle". Denn mit der Erweiterung dieses Gebäude und<br />
dem angrenzenden weitläufigen Gartenareal war es möghch, eine<br />
für den Erbprinzen zeitgemäße und angemessene Residenz zu<br />
schaffen. Und als es darum ging, dem Platz seine prägnante Form<br />
zu geben, sprach man von der „Herstellung eines regelmäßigen<br />
Platzes beim Schlössle".<br />
Auf der westhchen Platzseite heß sich 1844 der Stadtbürgermeister<br />
Gastel sein zweigeschossiges Wohnhaus errichten. Er musste die<br />
Planung der Verschönerungskommission vorlegen. Diese bestimmte<br />
auch, dass das anschließende Gebäude mit dem des Bürgermeisters<br />
unter ein gemeinsames Dach kommen sollte und auch<br />
die Traufe durchgehend zu gestalten wäre. Im Gegensatz zu den<br />
beiden vorher genannten Platzwänden zeigt die westliche also geschlossene<br />
Bauweise und gleiche First- und Traufhöhe bei den Gebäuden.<br />
Erst 1846-49 wurde das Ständehaus auf der Nordseite des Carlsplatzes<br />
errichtet. Doch war, wie erwähnt, bereits 1840 von der<br />
Stadtverschönerungskommission unter Vorsitz des Erbprinzen Karl<br />
Anton das Ziel gefasst worden, an dieser Stelle nicht verschiedene<br />
Bauten zuzulassen, sondern die unterschiedlichen Nutzungen hinter<br />
einer Fassade und unter ein gemeinsames Dach zu bringen. So<br />
nahmen die Räume für die Ständeversammlung mit der Säulenhalle<br />
und der halbgewendelten Treppe, dem mehr als zwei Geschosse<br />
hohen Ständesaal, den Emporen sowie den Nebenräumen<br />
das Zentrum des Gebäudes ein, während westhch davon die Sparkasse<br />
und auf der östlichen Seite Behörden der Landesverwaltung<br />
mit je eigenem Eingang ihr Domizil hatten. Direkt auf den Platz war<br />
der Saal gerichtet und mit drei hohen, die Geschosse übergreifenden<br />
Fenstern vom Platz aus als Stein gewordene Präsenz der 1833<br />
gegebenen Verfassung sichtbar. Fein gegliederte Pilaster in kolossaler<br />
Ordnung und der darübersitzende, akroterbestückte Giebel<br />
gaben dem Saal auch nach außen hin eine Architektur, die von keinem<br />
anderen Gebäude in der Stadt, nicht einmal vom Stadtpalais<br />
des Erbprinzen, geschweige denn den schmucklosen Fassaden des<br />
Residenzschlosses erreicht wurden. Ob auch die Konzeption des<br />
Gebäudes vom damaligen Werkmeister und späteren Regierungsund<br />
Baurat Wilhelm Laur stammt oder nur die Ausführungs- und<br />
Detailplanung, ist nicht überliefert. Doch hat Laur wie an fast allen<br />
nach seinem Entwurf entstandenen öffentlichen und sakralen Bauten<br />
seinen Namen auf dem Gebäude hinterlassen, gleichsam für<br />
ewige Zeiten auf der östlichen Seite des Mittelrisalits in den Stein<br />
meißeln lassen. Der Ständeversammlung bheb die Nutzung des<br />
Saales versagt, weü sich die Zeit des souveränen Fürstentums nach<br />
86<br />
den Wirren der Revolution schnell dem Ende zuneigte. Genutzt<br />
wurde er zu zahlreichen feierlichen Anlässen und seit der Gründung<br />
des Landeskommunalverbands auch von den Mitgliedern des<br />
Kommunallandtags, bis der Verband sein eigenes Haus erhielt.<br />
Abb. 1: Carlsplatz, „Hotel Deutsches Haus" um 1915, von Westen.<br />
Vorlage: Fotosammlung Gäßler<br />
Was ist nun das Entscheidende, das Einzigartige, im Vergleich zum<br />
Gefüge anderer Städte in der ersten Hälfte des 19- Jahrhunderts im<br />
deutschen Südwesten - ausgenommen eben die Landeshauptstädte?<br />
Es sind zwei Aspekte: die prägnante Platzgestalt und das<br />
große Platzgeviert, dessen Fläche der üblichen städtischen Nutzung<br />
entzogen ist. Denn erst unter den Nationalsozialisten begann die<br />
wesensfremde Nutzung des Platzes: Am westhchen Rand des Platzgevierts<br />
schuf man damals Flächen für parkende Autos. Und auch<br />
diese Nutzung wäre wieder entfallen, denn die damaligen Machthaber<br />
planten am Leopoldplatz das Kreisforum der Parteileitung zu<br />
errichten: Der Platz sollte zum Aufmarschplatz umgestaltet werden,<br />
und auf der Südseite des Platzes sollte das Kreishaus in gewaltigen<br />
Dimensionen entstehen.<br />
Mehrmals gewandelt hat sich die Gestalt des Platzgevierts. Noch<br />
immer ist das Geviert erkennbar, auch wenn es in den vergangenen<br />
eineinhalb Dekaden zunehmend der Verwahrlosung preisgegeben<br />
wurde, weil weder Einsicht noch Kraft da waren, die unterschiedlichen<br />
Funktionen so zu ordnen, dass das Charakteristische dieser<br />
Stadt und die Lesbarkeit ihrer Geschichte wieder treffend in Erscheinung<br />
treten. Denn im vergangenen Jahrzehnt heß die Stadtverwaltung<br />
im westhchen Platzbereich Bäume fällen, um einige zusätzliche<br />
Parkplätze für Autos zu schaffen und, wie vor wenigen<br />
Jahren geschehen, Raum zu schaffen für ein Riesenrad anlässlich<br />
des wenige Tage dauernden Stadtfestes.
Noch ist ablesbar, in welcher Zeit der Platz entstand. Die Fassaden<br />
des Deutschen Hauses und des Ständehauses haben trotz Veränderungen<br />
jenen typischen Formenkanon bewahrt, der in die vierziger<br />
Jahre des 19- Jahrhunderts verweist. Damit ist der Platz, der zwischen<br />
diesen beiden symmetrischen Platzwänden eingespannt daliegt,<br />
in diese Zeit einzuordnen.<br />
Und nur mit diesen Fassaden und dem Handel und Wandel entzogenen<br />
Platzgeviert wirkt er authentisch, vermittelt historische Kontinuität<br />
und vermag seine Prägnanz zu behalten, die Tür in die Geschichte<br />
zu öffnen und Zeugnis zu geben über die Vergangenheit<br />
und damit auch über die Herkunft. Nirgendwo in der Stadt lässt<br />
sich aufgrund der überlieferten Gestalt der Wandel zur Landeshauptstadt<br />
besser dokumentieren als an diesem Ort. Für die historische<br />
Bedeutung der Stadt ist der Wert von Platzgeviert und Fassaden<br />
unersetzlich. Der Leopoldplatz ist kein Schmuckplatz der<br />
Gründerzeit, wie ihn zahlreiche Städte hervorbrachten, und er ist<br />
auch kein Vorplatz des ehemaligen Ständehauses, und erst recht ist<br />
er kein Platz für Handel und Wandel und Nutzungen, die beliebig<br />
sind. Mit seiner prägnanten Grundrissfigur und seinem baumbestandenen<br />
Geviert war er von Beginn an Handel und Wandel entzogen,<br />
was zu jener Zeit im deutschen Süden - ausgenommen die<br />
Landeshauptstädte - keiner anderen Stadt gelang. In seiner „Nutzlosigkeit"<br />
daliegend, ist er bewusst geschaffen worden zur Zierde<br />
der Stadt, als herausragendes Denkmal für den Fürsten und als<br />
sichtbares, Gestalt gewordenes Monument der Landeshauptstadt.<br />
Buchbesprechungen<br />
Bernd Merkle: Gibts ebbes Neis?<br />
In mehreren im Tübinger Silberburg-Verlag erschienenen Büchern<br />
hat Bernd Merkle schon heitere schwäbische Kurzgeschichten und<br />
Gedichte präsentiert. Sein neuestes Werk „Gibt's ebbes Neis?" zeigt<br />
Schwächen. Nicht alles, was wohl lustig und originell sein soll, ist<br />
es unbedingt, denn ethche der geschilderten Geschichten aus dem<br />
Alltag sind Platitüden, diskriminieren und verletzen. Uber das abgedroschene<br />
Thema „Männerängste beim Zahnarzt" mag man vielleicht<br />
noch schmunzeln, aber das Männergespräch „Uff dr Parkbank"<br />
vermittelt statt Witz nur den Eindruck von alten Menschen<br />
als „Deppen". Auch die Geschichte „Neue Nochbr" kann die<br />
falsche Annahme entstehen lassen, den Schwaben seien Neugierigsein<br />
und Fremdenangst angeboren. Der Unterhaltungswert des<br />
Buchs ist eher mäßig.<br />
Bernd Merkle: „Gibts ebbes Neis? Heitere Kurzgeschichten und<br />
Gedichte". Mit Zeichnungen von Helga Merkle. 144 Seiten, 15 Abbildungen,<br />
12.90 Euro. Silberburg- Verlag, Tübingen. ISBN: 978-3-<br />
87407-768-2. (ba)<br />
Bruno Ensslen: Erseht war nex<br />
Das Buch des Grafikers und Künstlers Bruno Ensslen „Erseht war<br />
nex" ist ein ,Hingucker", hebe- und anspruchsvoll gestaltet. Man<br />
freut sich schon vor dem Lesen der Texte an der gelungenen, hintergründig-witzigen,<br />
aber auch nachdenklich stimmenden Illustration<br />
und schmunzelt dann zum wiederholten Mal beim Lesen der<br />
schwäbischen Texte dieser biblischen Bilderballade, die die Entstehung<br />
der Welt, den Sündenfall von Adam und Eva im Paradies,<br />
deren Vertreibung aus dem Garten Eden, die Sintflut und den<br />
Turmbau von Babel zum Inhalt hat. Der Autor erzählt und inter-<br />
87<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Gekürzte Fassung des gleichnamigen Vortrags, den der Verfasser<br />
am 19. Januar 2007 auf Einladung des Kreiskulturforums und<br />
des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s im Spiegelsaal des Sigmaringer<br />
Prinzenbau hielt.<br />
2 Zum geschichtlichen Überblick vgl. Fritz Kallenberg (Hrsg.), Hohenzollern,<br />
Stuttgart 1996 (Schriften zur politischen Landeskunde<br />
Baden-Württembergs; 23)<br />
3 Vgl. hierzu zusammenfassend, Franz-Severin Gäßler, Sigmaringen<br />
- Fürstliche Präsenz im Stadtbild. Der Ausbau der Residenzund<br />
Landeshauptstadt im 19. Jahrhundert. In: Adel im Wandel.<br />
Oberschaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Ostfildern<br />
2006, S. 439-460. Darin auch weiterführende Literatur.<br />
4 Plätze mit repräsentativem Charakter, die über die Funktion eines<br />
Marktplatzes hinausgehen, sind in jener Epoche auch in Aschaffenburg<br />
und Regensburg, Bamberg und Mainz sowie in Kehl, zu<br />
finden - allerdings innerhalb der Altstadt. Die Planungen gehen<br />
zurück auf jene Zeit, als unter Dalberg Regensburg für wenige<br />
Jahre Fürstentum wurde und Aschaffenburg Residenz und Verwaltungsmittelpunkt,<br />
Mainz Hauptstadt eines französischen Departements<br />
war und zur Nebenresidenz Napoleons ausgebaut<br />
werden sollte, und Bamberg bayerisch und Residenz einer Wittelsbacher<br />
Nebenlinie wurde; Kehl, nach einem vernichtenden<br />
Stadtbrand wiederaufgebaut, bildet in gewisser Weise einen Sonderfall.<br />
Eine vergleichende Studie der Plätze untereinander hinsichtlich<br />
Gestalt und Funktion wird an anderer Stelle erfolgen.<br />
pretiert verschmitzt-ironisch, stichelt und teilt Seitenhiebe aus, übt<br />
Zeitkritik. So schreibt er, in Noahs Arche „do isch zuaganga wia em<br />
Bundestag". Dem Herrgott hält er vor: „S Hirn hot r zemlich knapp<br />
bemessa, beim Mensch, do hätt r s schier vrgessa" und schon im<br />
Prolog meint Ensslen: „Alles... ischt bloß noh a Trauerspiel", so<br />
dass ihm im Schluss-Satz nur die Erkenntnis bleibt: „D Menscha<br />
send halt wia d Leit".<br />
Bruno Ensslen „Erseht war nex. Eine biblische Bilderballade in<br />
schwäbischer Mund- und Gangart". 80 Seiten, zahlreiche Illustrationen,<br />
17,90 Euro. ISBN: 978-3 -87407 - 770-5. Erschienen im<br />
Silberburg- Verlag, Tübingen. (ba)<br />
Das Naturschutzgebiet Federsee<br />
Der Federsee, das größte zusammenhängende Moorgebiet in Baden-Württemberg,<br />
ist ein Besuchermagnet, der jährlich Tausende<br />
von Besuchern anlockt. Viele von ihnen lassen sich von der Vielfalt<br />
der Flora und Fauna in diesem Naturschutzareal faszinieren. Dr.<br />
Hans Günzl betreute über zwei Jahrzehnte lang die Außenstelle Bad<br />
Buchau des Lehrstuhls für Zoologie der Universität Tübingen. Das<br />
Standardwerk zum Naturschutzgebiet Federsee ist nun gründlich<br />
überarbeitet worden, und die neuesten Erkenntnisse aus umfangreichen<br />
wissenschaftlichen Untersuchungen, deren Ergebnisse das<br />
Wissen um ökologische Zusammenhänge wesentlich erweitert haben,<br />
wurden eingearbeitet. So ist nun ein fachkundiger Führer<br />
durch die Landschaftsgeschichte und Ökologie des Federsee-Gebiets<br />
entstanden und Dank der kurzen, prägnanten, aber gut verständlichen<br />
und reich bebilderten Kapitel auch ein interessantes und spannendes<br />
Lesebuch, das man gern zur Hand nimmt und das dazu animieren<br />
kann, mit gesteigertem Umweltbewusstsein und wachen Sinnen,<br />
der Pflanzen- und Tierwelt des Moores nachzuspüren. Dargelegt<br />
werden auch die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des<br />
Gebiets, die Auswirkungen der menschlichen Eingriffe in das sensible<br />
Ökosystem und die Auswirkungen auf die Artenvielfalt.
Hans Günzl: „ Das Naturschutzgebiet Federsee Ein Führer durch<br />
Landschaftsgeschichte und Ökologie". 128 Seiten, 164 Abbildungen,<br />
Silberbuch- Verlag, Tübingen. 9,90 Euro. ISBN. 978-3-87407-<br />
747-7. (ba)<br />
Hier wie anderswo" - Geschichten aus Hertingen<br />
Als „Liebeserklärung an Hettingen und die Hettinger" wurde das<br />
im Geest-Verlag erschienene 185seitige Buch „Hier wie anderswo -<br />
Geschichten aus Hettingen" der Gammertinger Bibliothekarin Gabriele<br />
Loges von einem Lektor beurteilt (ISBN 978-3-86685-087-<br />
3; 11 Euro), und die rege Anteilnahme der Bevölkerung bei der<br />
Vorstellung des Bands zeigte, dass dem allgemein zugestimmt<br />
wurde. Die in Hetüngen lebende Autorin präsentiert 19 Erzählungen,<br />
die auf Erzählungen aus der Zeit des vorigen Jahrhunderts basieren<br />
und einen Bezug zu der Laucherttal-Stadt haben. Einige Personen-<br />
und Ortsnamen wurden geändert. Trotzdem war es das Ziel<br />
der Autorin, die Menschen, von denen sie erzählt, möglichst authentisch<br />
darzustellen. Weil sie den Stoff literarisch umformulierte<br />
und ihre eigenen Erfahrungen und Beobachtungen einfließen ließ,<br />
ist natürlich kein Geschichtsband im strengen wissenschaftlichen<br />
Sinn entstanden. Trotzdem ist ihr Buch wertvoll und eine gute Ergänzung<br />
zu den anlässlich des Jubiläums „600 Jahre Stadt Hettingen"<br />
gedruckten anderen vier Bänden. Der Titel signalisiert es<br />
schon: „Hier wie anderswo". Die erzählten Geschichten hätten sich<br />
auch andernorts so oder in ähnlicherweise ereignen können, und<br />
mancher Leser wird, wenn er beispielsweise die Schilderungen aus<br />
seiner Schul- oder aus der Nazizeit mit den eigenen Erlebnissen<br />
vergleicht, sofort erkennen:, Ja, so war es damals". Die Genre-Bilder,<br />
Milieu-Schilderungen und Beobachtungen sind treffend und<br />
geben Einblick in die damaligen Zeitverhältnisse und Lebensumstände,<br />
mit denen persönliche Schicksale und Lebenswege von<br />
Menschen vernetzt sind. So wird Zeitgeschichte plastisch und begreifbar.<br />
Hinzu kommt, dass es die Autorin versteht, nicht nur genau<br />
zu beobachten und Wesentliches auf den Punkt zu bringen,<br />
sondern auch packend und frisch zu erzählen. Vieles geht dem Leser<br />
„unter die Haut", viele Episoden sind aber auch mit feinsinnigem<br />
Humor gewürzt. (ba)<br />
Margarete Endreß und Inge Landwehr (Hrsg.)<br />
Weihnachten mit der Landesschau<br />
Gebacken und erzählt<br />
Köstliche Rezepte, besinnliche Geschichten<br />
Eine Erfolgsgeschichte setzt sich fort: Wie in den zwei vorangegangenen<br />
Jahren hat die SWR-Landesschau wieder zu einem weihnachtlichen<br />
Wettbewerb aufgerufen und aus den besten und preisgekrönten<br />
Rezepten wurde ein reich bebildertes Backbuch zusammengestellt.<br />
Neu diesmal: Neben Plätzle, Brodle, Gutsle konnten<br />
die Fernseh-Zuschauer auch selbst erlebte Weihnachts-Geschichten<br />
einsenden.<br />
Präsentiert von den erfindungsreichen Küchengeistern aus ganz<br />
Baden-Württemberg, finden sich auch im dritten Backbuch die<br />
pfiffigsten, köstlichsten und ausgefallensten Weihnachts-Rezepte.<br />
Garniert wird das Gebäck mit heiteren und anrührenden Weihnachtsgeschichten<br />
der Zuschauer, mit weihnachtlichen Erzählungen<br />
des Landesschau-Autors Thomas Hoeth und Kindheitserinnerungen<br />
der Moderatorinnen und Moderatoren. Ein gelungenes<br />
Buch voller Anregungen für eine besinnliche Advents- und Weihnachtszeit.<br />
Margarete Endreß und Inge Landwehr (Hrsg.)<br />
Gebacken und erzählt. Köstliche Rezepte, besinnliche Geschichten.<br />
88<br />
Weihnachten mit der Landesschau.<br />
120 Seiten, 136 Abbildungen, fester Einband, Silberburg-Verlag<br />
Tübingen,. ISBN 978-3-87407-757-6,14,90 Euro..<br />
Elfriede Hahn<br />
Mit Kindern auf den Spuren der Fürstin Eugenie<br />
Die Autorin hat mit diesem Buch etwas Besonderes geschaffen:<br />
Kindern einen geschichtlichen Sachverhalt anregend, verständlich,<br />
also kindgemäß, und historisch korrekt zu erklären. Die eingestreuten<br />
Bilder und Fotografien der Personen und Gebäude, sowie<br />
Zeichnungen der Enkeltochter Janina und die große Druckschrift<br />
komplettieren ein Buch, das natürlich von Kindern selbst gelesen<br />
werden kann. Aber die Autorin meint: „Doch viel schöner ist es,<br />
wenn Großeltern, Eltern und Kinder sich gemeinsam mit dem Inhalt<br />
des Buches auseinandersetzen". „Als ehemalige Stadtführerin<br />
von Hechingen war ich besonders gern mit Kindern unterwegs....<br />
Mein Urenkel Jannik hat mich durch sein Interesse und seine Fragen<br />
- auch nach der Fürstin Eugenie - angeregt, nachzulesen und<br />
zu forschen und schließlich dieses Buch zu schreiben", so Frau<br />
Hahn im Vorwort. In diesem Buch übernimmt nun Jannik die Rolle<br />
des Führers auf den Spuren der Fürstin Eugenie ((1808 - 1847),<br />
die durch die Heirat mit Erbprinz Konstantin von Hohenzollern-<br />
Hechingen in die Stadt kam. Die spätere Fürstin blieb den Hechingern<br />
vor allem als Wohltäterin für bedürftige Kinder in Erinnerung.<br />
Und natürlich bildet die nun renovierte Villa Eugenia eine unauslöschliche<br />
Spur dieser bemerkenswerten Frau.<br />
Elfriede Hahn: Mit Kindern auf den Spuren der Fürstin Eugenie.<br />
Glückler Druck und Grafik, Hechingen. 71 Seiten. ISBN 3-925012-<br />
45-1. 15,90 Euro (1 € davon geht an den Förderverein Villa<br />
Eugenia) (rfr)<br />
Josef Schneider<br />
Donnergrollen<br />
Einen unschätzbaren Beitrag zur Erhellung der Kriegsereignisse im<br />
Frühjahr 1945 hat Josef Schneider mit diesem Buch geleistet.<br />
Schon das umfangreiche Quellenverzeichnis lässt das immense Arbeitspensum<br />
erahnen. Theodor Heuss, der spätere 1. Bundespräsident,<br />
gab am 9- Februar 1946 in einem Zeitungsbeitrag die Anregung<br />
„Schreibt Erinnerungen auf". Der Autor nahm dies nicht erst<br />
jetzt, sondern schon während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als<br />
<strong>Heimat</strong>forscher und natürlich als Lokalredakteur des Schwarzwälder<br />
Boten, als Aufforderung, als Ansporn, sich dieser Thematik anzunehmen.<br />
Zudem erlebte er hautnah als Soldat, was Krieg bedeutete.<br />
Vor allem die Befragung von Zeitzeugen, von denen etliche<br />
nicht mehr leben, ist ein unverzichtbarer Teil der Geschichtsforschung.<br />
Mit einer wahrlich beeindruckenden Fleißarbeit beschaffte<br />
Josef Schneider sich Informationen von allen Orten in der<br />
Region Empfingen, Haigerloch, Hechingen und Bisingen, die mehr<br />
oder weniger stark vom Kriegsende betroffen waren. Auch Nordstetten<br />
und Bierlingen werden erwähnt. Letzterer Ort hatte sehr zu<br />
leiden. Alle Ergebnisse dieser Forschertätigkeit wurden zu einem<br />
gut lesbaren, aber sehr betroffen machenden Ganzen zusammengefügt.<br />
Diese Geschehnisse in den Orten im Kapitel IV bilden den<br />
Großteil des Werkes. Darunter befindet sich auch Freudenstadt,<br />
das als wichtiger Verkehrsknotenpunkt des nördlichen Schwarzwalds<br />
unbeschreibliches Leid erfuhr. Mit den Vorboten des Krieges<br />
(Griff nach den Glocken, Kriegspropaganda der Allüerten) beginnt<br />
das Buch, um danach den Luftkrieg der Alliierten zu thematisieren,<br />
der die Bevölkerung terrorisieren und demoralisieren sollte. Hier<br />
als abscheuliche Beispiele die Opfer der Angriffe auf die Züge der<br />
<strong>Hohenzollerische</strong>n Landesbahn mit vielen Toten in Jungnau, Gau-
seifingen und Bisingen. Der Kriegsschauplatz „<strong>Hohenzollerische</strong><br />
Lande" wird unter den strategischen Aspekten der alliierten Truppen<br />
im Südwesten beleuchtet und „Das traurige Ende" folgt. Im<br />
Schlussabschnitt „Das Te deum der Erlösten" zieht Josef Schneider<br />
das einzig konsequente Resümee, um einen solchen Krieg für<br />
immer unmöglich zu machen: „Europa ist die große Hoffnung der<br />
Menschen und unser aller Ziel auf dem Weg unserer Völker. Dafür<br />
zu arbeiten lohnt sich". Wenn dann am Schluss „Der Weltkrieg in<br />
Zahlen" vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge zu lesen<br />
ist, dass der Krieg 55 Millionen Tote forderte und es heißt „zu jeder<br />
Stunde starben 1045 bzw. in jeder Minute 17 Menschen", dann<br />
wird einem die Abscheuhchkeit jedes Krieges noch eindringlicher<br />
bewusst.<br />
Josef Schneider: Donnergrollen. Das Kriegsende 1945 in der Region<br />
Empfingen-Haigerloch-Hechingen-Bisingen. Historia-Verlagsbuchhandlung<br />
Empfingen. 149 Seiten. ISBN 978-3-86755-301-7.<br />
24,80 Euro. (rfr)<br />
Josef Schneider<br />
Wir haben seinen Stern gesehen<br />
Die Weihnachtskrippe „hat mich Zeit meines Lebens angerührt; als<br />
Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener". Folgerichtig betrieb<br />
Josef Schneider Quellenstudien, arbeitete Literatur durch, führte<br />
Gespräche und besuchte „vor allem häufig" Krippenausstellungen.<br />
So hegt der Schwerpunkt auch auf der Weihnachtskrippe. „Neben<br />
der Passion hat keine Epoche der Heilsgeschichte in der Kunst und<br />
Musik bis in unsere Zeit herein eine so reiche und tiefe Abwandlung<br />
erfahren wie das Wunder der Hl. Nacht im Stalle zu Bethlehem".<br />
Die Weihnachtskrippe „kündet das Geheimnis der Hl.<br />
EDWIN ERNST WEBER<br />
Einmalige Zeugnisse aus 231 Jahren<br />
Ortsgeschichte<br />
Das Gemeindearchiv Walbertsweiler<br />
und seine Schätze<br />
Zum Abschluss der Sicherung, Ordnung und Erschließung des Gemeindearchivs<br />
Walbertsweiler durch das Kreisarchiv Sigmaringen<br />
fand am 28. und 29- Oktober 2006 im Dorfgemeinschaftshaus des<br />
heutigen Teilorts der Gesamtgemeinde Wald eine Ausstellung mit<br />
ausgewählten „Schätzen" aus dem Archivbestand statt, die an beiden<br />
Tagen bei der Bevölkerung regen Anklang fand.<br />
Auf den ersten Blick enthält die vollmundig angekündigte Schatzkammer<br />
des Gemeindearchivs nur höchst bescheidene und zumal<br />
reichlich junge Pretiosen: Von den 1150 Jahren der schriftlich belegten<br />
Ortsgeschichte von Walbertsweüer, die die Ortschaft vor<br />
zwei Jahren mit beträchthchem Stolz und Selbstbewusstsein gefeiert<br />
hat, haben im kommunalen Archivbestand gerade einmal die<br />
letzten 231 Jahre ihre Spuren hinterlassen. Das älteste Dokument<br />
im Gemeindearchiv datiert aus dem Jahr 1775 und ist eine von der<br />
Klosterwalder Oberamtskanzlei bestätigte Darlehensaufnahme der<br />
„Ehrsammen Gemeindt Waldpertsweyler" in Höhe von 600 Gulden<br />
und gegen 5 Prozent Verzinsung beim damaligen Pfullendorfer<br />
Stadtammann Franz Xaver Walter (GA Walbertsweiler I Best.-Nr.<br />
43). Als Sicherheit haften die Gemeindebürger gemeinsam mit<br />
89<br />
Nacht, sie offenbart die Ergriffenheit der Seele, und sie zeigt, und<br />
das macht sie für den <strong>Heimat</strong>freund wertvoll, die starke <strong>Heimat</strong>verwurzelung".<br />
Vor diesem Hintergrund lädt der Autor ein zur Lesereise,<br />
wobei „Herz und Sinn für die Frohbotschaft vom Kommen<br />
des Herrn" geöffnet werden sollen. Wir erfahren von der geschichtlichen<br />
Entwicklung der Krippendarstellungen und vom<br />
Krippenvater Franz von Assisi (1181-1126). Vom Krippenzentren<br />
Rottenburg ist die Rede, vor allem vom „Weggetaler Kripple".<br />
Natürlich finden die spätbarocke Krippe in der ehemaligen Klosterkirche<br />
Sankt Luzen , ebenso dieselben in Horb, auf dem Palmbühl,<br />
im Missionshaus in Haigerloch, in Täbingen und in Gruol Erwähnung<br />
in eigenen Kapiteln. Einen umfangreichen Beitrag liefert<br />
Albert Mauz mit seiner Abhandlung über das seit 1973 bestehende<br />
Krippenzentrum in der Killertalgemeinde Hausen. Von vielen anderen<br />
Orten in Hohenzollern werden zumeist Farbaufnahmen von<br />
Krippen gezeigt. Vom ehemaligen Pfarrer in Gruol, Albert Waldenspul<br />
(+), stammt eine Abhandlung „Weihnachtsbilder in Hohenzollern".<br />
Ausführlich wird auch über „Altes Brauchtum an<br />
Weihnachten in Rangendingen vor 100 Jahren" berichtet. Das große<br />
Verdienst von Josef Schneider ist es, dass er das Wissen über die<br />
Darstellung der Heilsgeburt in unserem Raum zusammenfasst. Das<br />
Buch ist hervorragend ausgestattet und idealer Lesestoff für die<br />
Weihnachtszeit.<br />
Josef Schneider: Wir haben seinen Stern gesehen. Weihnachtskrippen,<br />
Weihnachtskunst und Weihnachtsbrauchtum in Hohenzollern<br />
und den Randgebieten. Geiger-Verlag Horb am Neckar. 60<br />
Seiten mit vielen Farbaufnahmen. ISBN 978-3-86595-173-1.19,80<br />
Euro<br />
(rfi)<br />
ihrem mobilen Besitz gegenüber dem Kreditgeber. Eine kommunale<br />
Kreditaufnahme mit Schuldverschreibung der Einwohnerschaft<br />
als das ehrwürdigste Dokument im Gemeindearchiv! Ein<br />
klein wenig mehr geschichtlichen Glanz würde man sich selbst in<br />
einer kleinen Landgemeinde wie Walbertsweiler schon wünschen!<br />
Gleichwohl sagt gerade dieses geschichtliche Zeugnis über Walbertsweiler<br />
und seine kommunale Vergangenheit doch einiges aus.<br />
Zum einen besteht in der Ortschaft bereits vor rund 230 Jahren<br />
eine handlungsfähige und überdies noch kreditwürdige Dorfgemeinde<br />
als genossenschaftlicher Verbund der hier ansässigen und<br />
verbürgerten Bauern und Seidner, die für die Schulden ihrer Kommune<br />
überdies mit ihrem Privatbesitz einstehen. Wenn in der<br />
Darlehensbestätigung davon die Rede ist, dass die Gemeinde Walbertsweiler<br />
mit dem Pfullendorfer Kredit eine ältere Schuld ablöst,<br />
so belegt dies überdies, dass die kommunale Schuldenwirtschaft<br />
nicht erst eine Erfindung der Gegenwart ist, sondern bereits von<br />
früheren Generationen beherrscht wurde.<br />
Die Gemeinde und deren Verwaltung hat in ländlichen Kleinsiedlungen<br />
vom Zuschnitt Walbertsweilers vor 231 Jahren und letzthch<br />
auch noch vor 50 Jahren wenig mit den hauptamthch besetzten<br />
und professionell agierenden Kommunalverwaltungen zu tun, wie<br />
wir diese seit der Gemeindereform der 1970er Jahren auch im<br />
ländhch strukturierten Landkreis Sigmaringen als Selbstverständlichkeit<br />
kennen. Bis vor rund 30 Jahren ist in Walbertsweüer und<br />
in einer Vielzahl von Nachbardörfern die Gemeindeverwaltung ein<br />
Feierabendgeschäft von Bürgermeistern, Gemeindepflegern und<br />
Ratschreibern, die im Haupt- und Brotberuf als Bauern oder Hand-
werker tätig sind und in aller Regel über keinerlei Verwaltungs-<br />
ausbildung verfügen. Der ältesten im Archivbestand erhaltenen Ge-<br />
meinderechnung von 1901/02 zufolge besteht das ganze kommunale<br />
Verwaltungspersonal in Walbertsweiler zu dieser Zeit aus den<br />
nebenberuflich tätigen Bürgermeister und Gemeinderechner, weiter<br />
dem Polizeidiener, einem Hilfsnachtwächter, einem Kiesgrubenarbeiter,<br />
Wegewarten, einem Farrenwärter und einem Spritzenmeister<br />
(GA Walbertsweiler II Best-Nr. 1). Zudem stehen noch der<br />
Dorfschullehrer sowie die Hebamme als einzige weibliche Bedienstete<br />
auf der Gehaltshste der Dorfgemeinde.<br />
„<strong>Heimat</strong>losigkeit" der Gemeindeverwaltung<br />
Weiterhin typisch für Klein- und Zwerggemeinden vom Zuschnitt<br />
Walbertsweilers ist sodann eine weitgehende „<strong>Heimat</strong>losigkeit"<br />
der Kommunalverwaltungen. Mit Ausnahme von größeren Ortschaften<br />
wie Wald oder Krauchenwies kommt die überwiegende<br />
Mehrzahl der Kleingemeinden im heutigen Landkreis Sigmaringen<br />
noch bis zur Kommunalreform zumeist ohne Rathaus und damit<br />
ohne feste Bleibe für ihre Verwaltung sowie ihr Verwaltungsschriftgut<br />
in Registratur und Archiv aus. In Walbertsweiler beispielsweise<br />
verfügt man zwar bereits seit den 1770er Jahren über ein eigenes<br />
Schulhaus zwischen Kirche und Pfarrhaus, das sodann in den<br />
1860er Jahren durch einen durchaus stattlichen Neubau am heutigen<br />
Standort ersetzt wird. 1901 umfasst der kommunale Gebäudebestand<br />
überdies den Ortsarrest, das Spritzenhaus, den Farrenstall<br />
sowie ein Armenhaus. In den 1950er Jahren kommt noch ein<br />
neu erbautes Gemeindehaus mit öffentlicher Waschküche, Backstube,<br />
Badeanlage und einer Mietwohnung hinzu (GA Walbertsweiler<br />
I Best.-Nrn. 222,401). Ein eigenes Rathaus indessen besitzt<br />
die 1950 349 Bewohner zählende Ortschaft demgegenüber nicht,<br />
Bürgermeister und Gemeinderechner „amten" vielmehr in ihren<br />
privaten Wohnhäusern. Erst mit dem Kauf des leer stehenden alten<br />
Pfarrhauses in den 1960er Jahren kommt die Walbertsweiler Gemeindeverwaltung<br />
erstmals zu einem festen Dienstsitz, der zehn<br />
Jahre später von der Ortschaftsverwaltung zugunsten des inzwischen<br />
gleichfalls freien Schulhauses aufgegeben wird. Neuerdings<br />
zu einem Dorfgemeinschaftshaus erweitert dient das frühere<br />
Schulhaus bis heute als Sitz der Ortschaftsverwaltung und überdies<br />
als Unterkunft für verschiedene Vereine.<br />
Es kann nicht überraschen, dass angesichts dieser „<strong>Heimat</strong>losigkeit"<br />
der Gemeindeverwaltung die kommunale Schriftgutverwaltung<br />
lange Zeit einen schweren Stand hatte. Nachdem die Archivberatungsstelle<br />
des hohenzollerischen Landeskommunalverbandes<br />
1939 bei einem Inspektionsbesuch in Walbertsweiler immerhin<br />
ein eigenes Archivzimmer im „Gemeindehaus", hinter dem<br />
sich wohl das Schulhaus verbirgt, entdecken konnte, findet sich bei<br />
der nächsten Visite 1956 die laufende Gemeinderegistratur in einem<br />
Aktenschrank im Wohnhaus des damaligen Bürgermeisters<br />
Jerg, während die aus Rechnungen ab dem Jahr 1901 bestehende<br />
„Altregistratur" in einem Dachzimmer des Gemeindehauses untergebracht<br />
ist.<br />
Immerhin fällt auf, dass die im Gemeindearchiv erhaltenen Verwaltungsakten<br />
aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert sorgfältig<br />
angelegt, nach dem hohenzollerisch-preußischen Gemeinderegistraturplan<br />
geführt und nach preußischem Muster in der sog. Fadenheftung<br />
blattweise zu Aktenheften vernäht wurden. Hier hat mit<br />
großer Wahrscheinlichkeit eine strikt wahrgenommene Kommunalaufsicht<br />
des zuständigen preußischen Oberamts zunächst in<br />
90<br />
Wald und seit 1862 in Sigmaringen für Ordnung auch in der gemeindlichen<br />
Aktenführung gesorgt. Anhand der Aktenstruktur lässt<br />
sich im übrigen mit einem Bück die Zugehörigkeit einer Gemeinde<br />
zu Hohenzollern, Baden oder Württemberg ermitteln: Während die<br />
preußischen Akten, wie erwähnt, eine aufwändige Fadenheftung<br />
aufwiesen, zeichnen sich die badischen Verwaltungsakten durch<br />
den sog. badischen Knoten, also eine leichter handhabbare Oberrandheftung<br />
aus. Entgegen aller Vermutung am leichtesten machen<br />
es sich die württembergischen Verwaltungsbehörden, die ihr<br />
Schriftgut ohne weitere Sicherung einfach lose in Mappen einlegen.<br />
Mit der Büroreform in den 1920er Jahren und einer nicht mehr<br />
ganz so strengen staatlichen Kommunalaufsicht nach dem Ersten<br />
und zumal dem Zweiten Weltkrieg büßen die Walbertsweiler Gemeindeakten<br />
rasch ihre strenge Ordnung ein. Zu Beginn der<br />
1950er Jahre gibt man die altertümliche, noch nach einem Rubrikensystem<br />
gegliederte hohenzollerische Gemeinderegistraturordnung<br />
auch in Walbertsweiler auf, steigt auf den modernen württembergischen<br />
Flattichplan als Ordnungssystem für die Gemeinderegistratur<br />
um und führt seither auch hier lose Aktenmappen mit<br />
allen damit verbundenen Risiken der Unordnung und des Verlustes<br />
von Verwaltungsunterlagen. Zum Ende der 1960er Jahre ist man<br />
dann in der Walbertsweiler Gemeindeverwaltung geradezu „up to<br />
date", als man nur wenige Jahren nach dessen Aufkommen den<br />
noch fast druckfrischen „Aktenplan für die Gemeinden und Landkreise<br />
in Baden-Württemberg" (Boorberg-Plan) einführt, so dass<br />
die hiesige Verwaltungsüberheferung zuletzt insgesamt drei Registraturschichten<br />
aufweist.<br />
Ungewöhnlich schmaler Archivbestand<br />
Mit einem Umfang von gerade einmal 6,5 laufenden Metern erscheint<br />
das Walbertsweiler Gemeindearchiv ungewöhnüch schmal.<br />
Die weitaus kleinere, gleichfalls ehemals hohenzollerische Ortschaft<br />
Oberndorf bei Herdwangen, deren Kommunalarchiv unlängst<br />
ebenfalls vom Kreisarchiv geordnet und verzeichnet worden<br />
ist, bringt es immerhin auf 8,5 Meter. Während der ältere Walbertsweiler<br />
Aktenbestand durchaus gehaltvoll erscheint und viele<br />
Facetten der dörflichen und kommunalen Entwicklung vom ausgehenden<br />
18. bis ins 20. Jahrhundert dokumentiert, ist die jüngere<br />
Aktenüberlieferung von den 1920er Jahren bis zur Gemeindereform<br />
teilweise weitaus weniger ergiebig und enthält nahezu durchgehend<br />
einen Überhang an Generalbetreffen der vorgesetzten staatlichen<br />
Stellen gegenüber ortsspezifischen Vorgängen. Auffallend<br />
bescheiden ist sodann die mit dem Jahrgang 1901/02 einsetzende<br />
Serie der Gemeinderechnungen, die sich anderenorts in Hohenzollern<br />
bis in das beginnende 19- oder gar ausgehende 18. Jahrhundert<br />
zurückverfolgen lässt. Schmerzüche Verluste haben weiter<br />
auch die Gemeinderatsprotokolle erhtten, von denen sich gerade<br />
einmal zwei gebundene Bände zu den Zeiträumen von 1903 bis<br />
1939 sowie von 1956 bis 1974/84 erhalten haben. Dass hier einmal<br />
mehr vorhanden gewesen sein muss, offenbaren zahlreiche<br />
Protokollauszüge in den Sachakten des 19- Jahrhunderts.<br />
Ungeachtet solcher Lücken hat das Walbertsweiler Gemeindearchiv<br />
gleichwohl eine Fülle einmaliger und unersetzlicher Zeugnisse<br />
zur Geschichte dieser hohenzollerischen Ortschaft und ihrer Bewohner<br />
zu bieten. Gut dokumentiert ist die Aufhebung der herrschaftlichen<br />
und genossenschaftlichen Bindung des bäuerhchen<br />
Bodens bis zur Mitte des 19- Jahrhunderts durch die Ablösung der
herrschaftlichen Feudallasten sowie die Aufteilung des dörflichen<br />
Allmendbesitzes. Die - materiell allerdings nur wenig bedeutsame<br />
- Leibeigenschaft mit den damit verknüpften Sterbfall- und Manumissionsgebühren<br />
wurde 1842 durch eine auf alle Leistungspflichtigen<br />
umgelegte Ablösungszahlung endgültig beseitigt (GA Walbertsweiler<br />
I Best-Nr. 477).<br />
Unübersehbar zeigen die Walbertsweiler Archivalien das bäuerliche<br />
Selbstbewusstsein und die Streitbarkeit der Bevölkerung dieser<br />
Ortschaft. 1835 beispielsweise verweigert man sich gemeinsam<br />
mit den Angehörigen des Filialortes Kappel hartnäckig, ungeachtet<br />
aller Einwirkungen der kirchlichen und staathchen Stellen, der geforderten<br />
Leistung von Hand- und Spanndiensten für Baumaßnahmen<br />
am Walbertsweüer Pfarrhaus (GA Walbertsweiler I Best.-Nr.<br />
60). Ebenso wenig wollen die beiden Gemeinden drei Jahre zuvor<br />
von der auf ihre Kosten vorzunehmenden Verlegung des Friedhofes<br />
von der alten Kirche in das Gewann „Grundösch" außerhalb des<br />
Ortes wissen und gehen mit ihrem Widerstand - allerdings letztlich<br />
erfolglos - sogar bis vor das württembergische Appellationsgericht<br />
in Stuttgart (GA Walbertsweüer I Best.-Nr. 172). Mit großer Hartnäckigkeit<br />
verteidigt die bäuerhche Bevölkerung von Walbertsweiler<br />
gemeinsam mit anderen ehemals klosterwaldischen Untertanenorten<br />
ihre Holzgerechtigkeit gegenüber dem Fürstenhaus Hohenzollern,<br />
das mit der Säkularisation vom aufgehobenen Kloster Wald<br />
die Verpflichtung zur Lieferung von Bau- und Brennholz an bäuerhche<br />
Lehenshöfe wie auch an die Schulen in der ehemaligen Klosterherrschaft<br />
übernommen hatte. Das Anrecht auf die fürstliche<br />
Holzlieferung bewahrt sich die Gemeinde Walbertsweiler gemeinsam<br />
mit benachbarten Schulverbänden auch gegen die Begehrlichkeiten<br />
der Lehrer, die das Holz für sich anstelle der Schulträger<br />
beanspruchen und dafür gleich mehrere Prozesse führen (GA Walbertsweiler<br />
I Best.-Nr. 133). Erst nach der Gemeindereform<br />
kommt es im Gefolge einer veränderten Rechtssprechung dann zu<br />
einer Ablösung der fürstlichen Beholzungspflicht - zu allerdings<br />
erhebhch ungünstigeren Bedingungen, als dies einige Jahre zuvor<br />
noch bei einer freiwilligen Übereinkunft möglich gewesen wäre.<br />
Reichhaltige Überlieferung zum Schulwesen<br />
Überdurchschnitthch qualitätsvoll und reichhaltig ist die Überlieferung<br />
des Gemeindearchivs zum dörflichen Schulwesen. Bis in das<br />
Schuljahr 1796 zurück reichen die vom damaligen Lehrer Johann<br />
Baptist Schweikart geführten tabellarischen Listen der Walbertsweiler<br />
Schüler, ihrer schulischen Leistungen in den damaligen<br />
Lernfächern von der Katechismuslehre über Buchstabieren, Lesen<br />
und Schreiben bis zum sittlichen Betragen und schließlich und vor<br />
allem auch ihrer - von den Bedürfhissen der elterhchen Landwirtschaft<br />
bestimmten - Fehlzeiten in der damahgen Winterschule (GA<br />
Walbertsweüer I Best.-Nr. 20). Die Lehrertätigkeit ist zu dieser Zeit<br />
und noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein fest mit dem Mesmerdienst<br />
verbunden und letztlich auch nur durch diese Doppelfunktion<br />
finanziell überhaupt ertragreich. Zwei regelrechte Kleinode<br />
im Archivbestand sind dem langjährigen Pfarrer Joseph Dionys<br />
Ebe zu verdanken, einem ehemaligen Zisterzienserpater aus Salem,<br />
der nach der Aufhebung seines Klosters durch die Säkularisation<br />
eine neue Aufgabe in der Pfarrseelsorge gefunden hatte und<br />
von 1807 bis 1834 in Walbertsweüer tätig war. Neben dem Obstbau<br />
gehörte sein besonderes Interesse der Hebung und Verbesserung<br />
des ländlichen Schulwesens, das dem Dorfpfarrer in Walbertsweiler<br />
auch in seiner Funktion als lokaler Schulaufseher anvertraut<br />
war. Seine pädagogische Interessen dokumentiert sein 1811 ei-<br />
91<br />
genhändig verfasstes „Lesebuch für die Stadt- und Landschulen",<br />
das den Schülern über ihre Schullaufbahn hinaus, wie Ebe in seinem<br />
Vorwort schreibt, „zu einem nützlichen Hand- und Hausbuche<br />
dienen" sowie „euch in euerem Betragen, Geschäften, Verfallenheiten<br />
dieses Lebens Belehrung, Einsicht, Rath, Trost und Zufriedenheit<br />
ertheilen und somit euch beglücken wird."<br />
Im Walbertsweiler Gemeindearchiv ist der frühere Ortspfarrer Ebe<br />
mit einem umfangreichen Vorbericht in dem seit 1814 von Lehrer<br />
Johann Baptist Schweikart geführten „Verzeichnißbuch des täglichen<br />
Erscheinen oder Nichterscheinen der schulfähigen Kinder in<br />
der Werktagschule" präsent (GA Walbertsweüer I Best.-Nr. 21).<br />
Dieser im August 1814 verfasste, höchst interessante Vorbericht<br />
des Pfarrers und Schulaufsehers bietet neben einer praktischen<br />
Anleitung zur Herstellung einer „guten Dinte" knappe Abrisse zur<br />
örtlichen Schulgeschichte, eine Beschreibung des in den 1770er<br />
entstandenen Schulhauses, Beiträge zu den Schullehrern und ihrer<br />
Besoldung, zur landesherrlichen Schulordnung, zu den Lehrgegenständen<br />
und schließlich auch zu den Verhaltensregeln der<br />
Schüler und hier insbesondere Empfehlungen, „wie sich die<br />
Schüler gegen ihren Lehrer verhalten sollen". Ein archivalisches<br />
Juwel von nicht geringerer Bedeutung bildet der 1808 gleichfalls<br />
von Ebe eigenhändig gezeichnete „Grundriß der Kirche und des<br />
Kirchhofes der Pfarre Walpertsweiler samt den Familien-Begräbnissen,<br />
nach den Haus-Nummern bezeichnet, und der Gräber aller,<br />
so ich (...) begraben habe" (GA Walbertsweiler IV Best.-Nr. ^.Neben<br />
den nach den dörflichen Hausnummern geordneten und mit<br />
den Sterbedaten der Toten bezeichneten Familienbegräbnissen<br />
enthält der Plan überdies ein nach Monaten gegliedertes Jahrtagsverzeichnis<br />
sowie eine kolorierte Zeichnung von Pfarrhaus nebst<br />
Ökonomie und Pfarrgarten sowie der damahgen Dorfkirche mit<br />
Turm. Auf einem kunstvoll gezeichneten und mit einem Opferkelch<br />
bekrönten Sockelquader hat sich Pfarrer Ebe mit einer lateinischen<br />
Inschrift als Urheber von Plan und Zeichnung selbst verewigt.<br />
Eine weitere Hinterlassenschaft dieses aufgeklärten und der Erziehung<br />
und Bildung seiner Gemeindekinder verpflichteten Seelsorgers<br />
ist die von ihm und zwei weiteren Pfarrern geführte Walbertsweiler<br />
Pfarrchronik, die mit ihren höchst interessanten Schilderungen<br />
der dörflichen Kirchen- und Lebensverhältnisse in der ersten<br />
Hälfte des 19- Jahrhunderts mittlerweile im Erzbischöflichen<br />
Archiv Freiburg verwahrt wird und unlängst vom <strong>Heimat</strong>forscher<br />
Falko Hahn eine ansprechende Auswertung erfahren hat. Sollte in<br />
Walbertsweüer in nächster Zeit noch ein Straßenname zu vergeben<br />
sein, so wäre dieser rührige und verdiente Dorfpfarrer aus dem ersten<br />
Drittel des 19. Jahrhunderts unbedingt zu berücksichtigen.<br />
Karten zum Neubau von Schule und Kirche<br />
Interessante Aufschlüsse zur baulichen Entwicklung der Ortschaft<br />
im 19- Jahrhundert vermitteln die im Zuge der Landesvermessung<br />
1844 angelegten Flurkarten. Die Karte mit dem überbauten dörflichen<br />
Etterbereich von 1844 (GA Walbertsweiler IV Best.-Nrn. 4 u.<br />
7) erlaubt im Abgleich mit der bis in die 1880er Jahre fortgeführten<br />
Ergänzungskarte (GA Walbertsweiler IV Best.-Nr. 8) die Rekonstruktion<br />
aller baulichen Veränderungen in diesem Zeitraum<br />
und hier zumal den Neubau der Pfarrkirche 1868 an einem neuen<br />
Standort sowie die in analoger Weise erfolgende Verlegung der<br />
Schule vom bescheidenen Vorgängerbau zwischen alter Kirche und<br />
Pfarrhaus aus den 1770er Jahren in das heute als Rathaus genutzte
stattliche neue Schulgebäude. Von besonderem Reiz ist die Ergänzungskarte<br />
durch die gleichzeitige Wiedergabe der alten und der<br />
neuen Kirche, wobei das alte Gotteshaus kurze Zeit später schon<br />
abgerissen wird und das Gelände als Pfarrgarten Verwendung findet.<br />
Gut dokumentiert ist im Gemeindearchiv sodann auch der Einbruch<br />
der modernen Zeit mit Technik und Infrastruktur in den<br />
ländlichen Kosmos. So finden sich beispielsweise Unterlagen zum<br />
Anschluss der Ortschaft an das Stromnetz der Oberschwäbischen<br />
Elektrizitätswerke seit 1912 (GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 59),<br />
zum allmählichen Ausbau der Landstraße von Meßkirch nach<br />
Wald zu einer viel befahrenen und überörtlich bedeutsamen Fernverbindung<br />
(GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 84) und zur Einrichtung<br />
einer Postautoverkehrslinie von Pfullendorf über Wald nach<br />
Meßkirch mit einer Kostenbeteiligung aller Anrainergemeinden<br />
1926 (GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 83). Die zunehmende Mobilität<br />
der dörflichen Bevölkerung zeigt sich an einer 1955 erstellten<br />
Auflistung der mittlerweile zahlreichen Führerscheininhaber im<br />
Ort, darunter auch bereits die ersten Frauen (GA Walbertsweiler I<br />
Best.-Nr. 91). Dass Freizeitaktivitäten und insbesondere der Sport<br />
im 20. Jahrhundert allmählich auch die dörflich-bäuerliche Welt<br />
erreichen, offenbart ein 1950 abgeschlossener Grundstückspachtvertrag<br />
zwischen dem Fürstlich Hohenzollernschen Forstamt Wald<br />
und der Gemeinde Walbertsweiler zur Nutzung eines Grundstücks<br />
im Distrikt „Leopoldswald" als Sportplatz durch den FC Walbertsweiler<br />
(GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 170).<br />
Spuren haben im Gemeindearchiv weiter auch die Gewaltherrschaft<br />
des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg sowie die<br />
französische Besatzungszeit hinterlassen. Im Vordergrund der<br />
Überlieferung stehen die Gefallenen, Vermissten und Kriegsgefangenen<br />
des Weltkriegs aus Walbertsweiler (GA Walbertsweiler I<br />
Best.-Nr. 173,195) und die Requisitionen durch die französische<br />
Besatzungsmacht (GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 212). Durch den<br />
Zuzug zunächst von ausländischen Zwangsarbeitern, von Evakuierten<br />
aus den luftkriegszerstörten Großstädten und schließlich von<br />
<strong>Heimat</strong>vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten veränderte<br />
sich die Bevölkerungsstruktur in Walbertsweiler nachhaltig und<br />
letztlich auf Dauer (GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 146). Gut dokumentiert<br />
ist schließlich auch noch das Ende der selbstständigen<br />
Gemeinde Walbertsweiler im Gefolge der Kommunalreform 1975<br />
(GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 226, 231). Nachdem die Gemeinde<br />
sich zunächst 1970 noch gegen eine Aufgabe der „Eigen- und<br />
Selbstständigkeit" gewehrt hatte und an der erst kurz zuvor beschlossenen<br />
Verwaltungsgemeinschaft festhalten wollte, fügte man<br />
sich 1974 in einer Abstimmung im Gemeinderat doch einmütig in<br />
das Unvermeidliche, und Bürgermeister Wächter unterzeichnete<br />
am 7. Juni 1974 zusammen mit seinem Walder Kollegen Zeh die<br />
Vereinbarung über die Eingliederung seiner Gemeinde nach Wald,<br />
die sodann zum 1. Januar des Folgejahres wirksam wurde.<br />
Fundgrube zur Geschichte des Ortes<br />
Die aus der Verwaltungstätigkeit der Gemeindeadministration erwachsenen<br />
Unterlagen präsentieren sich nach der archivfachlichen<br />
Bewertung des Erhaltenswerten, der Ordnung auf der Grundlage<br />
der alten Registraturzusammenhänge und schließlich der Erschließung<br />
und Inventarisierung in einem Repertorium als Fundgrube<br />
zur Geschichte des Dorfes, der Gemeinde und der Bevölkerung<br />
von Walbertsweiler. Es sind durchweg einmalige und uner-<br />
92<br />
setzliche Quellenzeugnisse, die im Unterschied zu der in den<br />
Staats-, Kreis- und Adelsarchiven dokumentierten staatlich-obrigkeitlichen<br />
Außenperspektive die dörfliche Innenansicht wiedergeben.<br />
Es sind Dokumente zu den dörflichen Verhältnissen und Vorgängen,<br />
die in der Ortschaft selbst entstanden sind und von Bewohnern<br />
des Ortes in Gestalt von Bürgermeister, Gemeinderechner,<br />
Lehrer oder auch Ortspfarrer angelegt worden sind. Jeder <strong>Heimat</strong>forscher<br />
oder Wissenschaftler, der sich mit der Vergangenheit<br />
von Walbertsweiler und seiner Bewohner in den letzten 231 Jahren<br />
beschäftigen will, wird zentral auf diesen kleinen, aber, wie geschildert,<br />
durchaus gehaltvollen Archivbestand zurückgreifen<br />
müssen. Es sind einmalige Zeugnisse der dörflichen Geschichte,<br />
die nicht weniger als das alte Pfarrhaus, das Schulhaus oder manches<br />
Kunstwerk in der neuen Pfarrkirche die bleibende Bewahrung<br />
und Erhaltung für künftige Generationen verdienen.<br />
Es ist deshalb gut angelegtes öffentliches Geld, das die Gemeinde<br />
Wald in den vergangenen fünf Jahren im Umfang von ca. 5500,in<br />
die restauratorische und konservatorische Sicherung sowie die<br />
archivfachliche Ordnung und Erschließung dieser wertvollen und<br />
unersetzlichen Dokumente zur Geschichte der Ortschaft Walbertsweiler<br />
investiert hat. Gemeinsam mit dem Kreisarchiv Sigmaringen<br />
sowie der Restaurierungswerkstatt Raum hat die Gemeinde mit<br />
dieser über mehrere Haushaltsjahre gestreckten Maßnahme Kulturgut<br />
der Vergangenheit für künftige Generationen gesichert und<br />
erhalten und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Kenntnis<br />
der eigenen Herkunft und Vergangenheit und zur lokalen und regionalen<br />
Identität der Bevölkerung geleistet, die als Gegenpol in einer<br />
zunehmend globalen Welt und Gesellschaft immer größere Bedeutung<br />
erlangen wird.<br />
Nahezu fünf Jahre haben der Landkreis Sigmaringen und sein<br />
Kreisarchiv diesen Schatz im Auftrag der Gemeinde Wald in die Obhut<br />
genommen, ihn gesichert, geordnet, verzeichnet und nutzbar<br />
gemacht. Die Bearbeitung der insgesamt 782 Archivalien, die sich<br />
auf vier sogenannte Bestände der Akten, der Amtsbücher und<br />
Rechnungen, der Schulunterlagen und schließlich der Karten und<br />
Pläne verteilen, wurde unter der fachlichen Aufsicht des Kreisarchivars<br />
vom Werkstudenten Tobias Teyke und der Archivangestellten<br />
Angela Vielstich geleistet. Das Kreisarchiv gibt den gesicherten<br />
Archivbestand mitsamt einem Findbuch als Schlüssel zum Zugang<br />
zu diesen Unterlagen an die Gemeinde Wald, die Ortschaft Walbertsweiler<br />
und ihre Bewohner zurück - in der Hoffnung, dass die<br />
im Gemeindearchiv enthaltenen einmaligen und unersetzlichen<br />
Zeugnisse der dörflichen Geschichte eine bleibende Fürsorge,<br />
Wertschätzung und nicht zuletzt auch Nutzung für das Wissen und<br />
die Kenntnis um die eigene Herkunft und Vergangenheit erfahren.<br />
Geringfügig überarbeitete Fassung eines Vortrags zur Eröffnung einer<br />
Ausstellung mit „Schätzen" aus dem Gemeindearchiv Walbertsweiler<br />
am 28. und 29. Oktober 2006 im Dorfgemeinschaftshaus<br />
Walbertsweiler.<br />
QUELLEN UND LITERATUR:<br />
Gemeindearchiv (GA) Walbertsweiler<br />
Tobias Teyke und Angela Vielstich (Bearb.): Das Gemeindearchiv<br />
Walbertsweiler. Findbuch. 1775 - 1999- Kreisarchiv Sigmaringen<br />
2006 (masch.-schr. vervielfältigt).<br />
Landratsamt Sigmaringen, Stabsbereich Kultur und Archiv, Dienstregistratur,<br />
Az. 044.30 Kommunale Archivpflege: Wald-Walbertsweiler
Archivpflege in den Gemeinden, Gemeinden T - Z, 1934 - 1966<br />
(Staatsarchiv Sigmaringen Ho 337 Nr. 15).<br />
Joseph Dionys Ebe: Lesebuch für die Stadt- und Landschulen, 1811<br />
(Erzbischöfliches Archiv Freiburg).<br />
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Falko Hahn: Der verschreyte Pfarrort. Streithähne im Weinberg<br />
Gottes. Eine Pfarrchronik um Macht, Ohnmacht und Tod in Walbertsweiler,<br />
Wald-Sentenhart 2002 - 2004.<br />
Ein besonderes Schmuckstück im Gemeindearchiv Walbertsweiler bildet der 1808 vom damaligen Ortspfarrer Joseph Dionys Ebe angelegte<br />
„Grundriß der Kirche und des Kirchhofes der Pfarre Walpertsweiler samt den Familien-Begräbnissen, nach den Haus-Nummem<br />
bezeichnet, und der Gräber aller, so ich (...) begraben habe" (GA Walbertsweiler IV Best.-Nr. 1).<br />
HERBERT RÄDLE<br />
Zum Falkensteiner Altar des Meisters von<br />
Meßkirch: Der dortige Hl. Erasmus hat<br />
eine Dürer-Graphik zum Vorbild<br />
Der Falkensteiner Altar ist eines der bedeutendsten und zugleich<br />
der frühesten Werke des Meisters von Meßkirch. Der Altar stand<br />
ursprünglich auf Burg Falkenstein (einer sogenannten Nostalgie-<br />
Burg der Freiherren von Zimmern über dem oberen Donautal),<br />
und zwar in der Burgkapelle, die sich im Turm der heute nicht<br />
mehr vorhandenen Burg befand. Mit diesem relativ dunklen Standort<br />
dürfte es auch zusammenhängen, daß der Falkensteiner Altar<br />
in besonders reichem Maße vergoldete Hintergründe (Heiligenscheine,<br />
Gewandborten) aufweist 1 .<br />
93<br />
Datierung auf die Zeit vor 1525<br />
Die - in der Forschung umstrittene - Datierung des Falkensteiner<br />
Altars muß wohl in erster Linie im Lichte der Besitzverhältnisse auf<br />
Burg Falkenstein gesehen werden. Die Zimmernsche Chronik (entstanden<br />
um 1560) berichtet dazu, daß Gottfried Werner von Zimmern,<br />
Herr zu Wildenstein und Meßkirch, die Burg 1516 für 4880<br />
Gulden erwarb, sie neun Jahre lang innehatte und sie 1525 an seinen<br />
älteren Bruder Johann weiterverkaufte, "welcher bis dahin zu<br />
Seedorf (Kreis Rottweil) gewohnt" und nach den Wirren des Bauernkrieges<br />
"den Seedorfer und anderen Pauren in der Herrschaft<br />
nicht mehr trauen wollte, sondern nach einem anderen und sichereren<br />
Haus trachtete" (ebd. II 226). Johann kaufte die Burg, zog<br />
jedoch nicht nach Falkenstein, sondern blieb nach dem Ende des<br />
Bauernkrieges in Seedorf und besetzte Falkenstein lediglich mit einem<br />
Burgvogt. Was hingegen Gottfried betrifft, so bezeugt die genannte<br />
Chronik, daß dieser "viel auf Falkenstein war und das<br />
Schloß mehrteils, wie es jetzund ist, erbawen" (H 238).
Salm (1950) hat also wohl gute Gründe, wenn er der Ansicht ist,<br />
daß nur der von 1516 bis 1525 auf Falkenstein wohnende Gottfried<br />
von Zimmern der Stifter gewesen sein kann. Gottfried habe sich im<br />
Gegensatz zu seinem älteren Bruder Johann "immer bau- und ausstattungsfreudig<br />
gezeigt ", während jener "ein wenig begabter,<br />
Abb. 1: Albrecht Dürer, Der Hl. Arnolfaus der "Ehrenpforte" Kaiser Maximilians<br />
/., um 1515,17 x 11 cm, Bildnachweis: Albrecht Dürer, Das gesamte graphische<br />
Werk in zwei Bänden, eingeleitet von W. Hütt, Verlag Rogner und Bernhard, bei<br />
Zweitausendeins, Band 2, S. 1647.<br />
94<br />
kleinlicher und knauseriger Mann" gewesen sei, "ohne irgendwelche<br />
geistigen oder künstlerischen Interessen". Schon dieser Charakter<br />
mache es nicht wahrscheinlich, daß er großen Aufwand für<br />
die Anschaffung eines solchen Altars getrieben habe 2 .<br />
Der heilige Erasmus des Falkensteiner Altars<br />
Wenden wir uns nun der in der Überschrift genannten<br />
Erasmus-Darstellung des Falkensteiner Altars zu, einem<br />
Tafelgemälde, das dort den rechten Seitenflügel<br />
(Innenseite) büdet und von dem wir die Hypothese<br />
aufstellen, es gehe auf eine Druckgraphik Dürers<br />
zurück (vgl. Abb. 1 mit 2).<br />
Bei der genannten Graphik handelt es sich um ein<br />
Blatt aus der "Ehrenpforte" für Kaiser Maximilian I.<br />
aus dem Jahr 1515, und dargestellt ist der heilige Arnolf.<br />
Daß die in hohen Auflagen unters Volk gebrachte<br />
Druckgraphik Dürers zahlreiche fränkische und<br />
schwäbische Meister der ersten Hälfte des 16. Jh. beeinflußt<br />
hat, ist weithin bekannt. Interessant ist aber<br />
immer wieder zu beobachten, wie der jeweilige Rezipient<br />
sein Vorbild schöpferisch weiterverarbeitet, wie<br />
er es für seine Zwecke und unter den ihm vorgegebenen<br />
Umständen adaptiert und umgestaltet hat.<br />
Im vorhegenden Fall fällt zunächst einmal auf, daß<br />
der Meister von Meßkirch die Proportionen des Büdes<br />
und der Figur stark verändert hat. Während der<br />
heilige Arnolf bei Dürer auf einem schmalen Sockel<br />
an einer Säule steht und auch durch die senkrechten<br />
Linien der Umgebung eher schlank wirkt, ist bei dem<br />
Tafelgemälde des Meisters von Meßkirch genau das<br />
Gegenteil der Fall. Der heilige Erasmus des Meßkirchers<br />
wirkt massig-breit, geradezu drohend wie ein<br />
Riese. Der Meister von Meßkirch erreicht diesen Effekt<br />
sowohl durch die Gestaltung des Hintergrunds als<br />
auch durch die Gestaltung der Figur selber.<br />
Den Hintergrund bestimmen die horizontalen Linien<br />
eines Architekturaufbaus (Abb. 2), bestehend aus<br />
Treppenstufen und einer Renaissance-Balustrade; die<br />
Figur des Heiligen selbst wird in die Breite gezogen z.<br />
B. durch die nach rechts ausladende Gestaltung der<br />
Bischofsmütze (aufklaffende Mütze, Band über der<br />
Schulter), sowie dadurch, daß der Bischof mit seiner<br />
Linken einen Zipfel seiner (im Vergleich etwas zu<br />
kurz geratenen) Kasel energisch über die Brust zu ziehen<br />
scheint, wodurch sich auf Brust und Bauch starke<br />
Querfalten bilden. Noch einmal wird die Horizontale<br />
betont durch die Reihe der (im Vergleich zu Dürer<br />
stark hervorgehobenen) Troddeln des Untergewandes,<br />
sowie durch die am Boden nach links ausgestellte<br />
Albe. Trotz dieser gravierenden Unterschiede<br />
bleibt die Abhängigkeit des Falkensteiner-Tafelgemäldes<br />
von seinem dürerschen Vorbild offenkundig. Ähnlich<br />
ist bei beiden Heiligen zumal der Gesichtsausdruck.<br />
Beide schauen den Betrachter aus mürrischen<br />
(wohl als asketisch zu verstehenden) Gesichtern von<br />
der Seite her an.
Im oberen Teil der Tafel nehmen sodann beim Märtyrerbischof<br />
Erasmus die Attribute einen breiten Raum ein. Fast drohend hebt<br />
er die Rechte mit der Märtyrerpalme und der -- für Erasmus typischen,<br />
weil auf seinen Märtyrertod anspielenden ~ mit seinen Gedärmen<br />
umwickelten stockartigen Winde. Energisch scheint Erasmus<br />
den Bischofsstab an sich zu reißen, sodaß der Pannisellus<br />
(Handhabe am Bischofsstab) nach außen "geweht" wird.<br />
Abb. 2: Meister von Meßkirch, Der Hl. Erasmus aus dem Falkensteiner Altar, vor 1525 (?), Innenseite<br />
rechter Flügel, Tanne, 50x29 cm, Fürstenbergsammlungen Donaueschingen, Inv. Nr.<br />
83, heute als Leihgabe in Stuttgart. Bildnachweis: Grimm/Konrad, wie Anm. 2, S. 215.<br />
95<br />
Mag manches an der Gestaltung des Erasmus-Gewandes auch ein<br />
wenig trocken wirken und vielleicht auf Mithilfe eines "Gesellen"<br />
bei der Ausführung hinweisen, so zeugt der zweifellos eigenhändig<br />
vom Meister gestaltete Kopf jedenfalls überaus eindrucksvoll von<br />
der großen Meisterschaft des Meßkirchers. Vor allem das Gesicht<br />
weist unverkennbar die typischen Stilmerkmale des Meisters auf,<br />
welcher bei seinen Figuren die runde Gesichtsform bevorzugt und<br />
die Physiognomie oft wie aus einer "quellenden<br />
Teigmasse" (Claus Grimm) modelliert.<br />
Und der Blick des heiligen Märtyrers<br />
wirkt auf den Betrachter so intensiv und<br />
eindringlich, daß, wer dieses Bild einmal<br />
gesehen hat, es nicht so leicht wieder vergißt.<br />
Von der großartigen Farbigkeit des Meisters,<br />
die von den Beurteilern fast unisono<br />
immer wieder gerühmt wird, vermittelt im<br />
übrigen auch dieses Bild einen lebhaften<br />
Eindruck (siehe Abb. 3). Die Erasmus-Tafel<br />
des Falkensteiner Altars hängt heute<br />
übrigens als Dauerleihgabe in der Staatsgalerie<br />
Stuttgart'.<br />
ANMERKUNGEN<br />
1 Eine farbige Abb. der Mitteltafel des<br />
Falkensteiner Altars findet sich bei<br />
Hans Hofstätter, Die Fürstenbergsammlungen<br />
Donaueschingen, Schnell-Steinersche<br />
Große Kunstführer, Band 81<br />
(1980) S. 67.<br />
2 Christian Altgraf zu Salm, Der Meister<br />
von Meßkirch, Diss. masch., Freiburg<br />
i. Brsg. 1950, S. 64. Vgl. Claus-<br />
Grimm/Bernd Konrad, Die Fürstenberg-Sammlungen<br />
Donaueschingen,<br />
3<br />
Altdeutsche und schweizerische Maleriei<br />
des 15. und 16. Jh., München: Prestel<br />
1990, S. 212ff., bes. S. 216.<br />
Über den Verkauf bzw. die Auslagerung<br />
der Fürstenberger Kunstschätze im<br />
Jahre 2001 (zwei vollständige Flügelaltäre<br />
des Meisters von Meßkirch wanderten<br />
als "Dauerleihgaben" in die<br />
Staatsgalerie Stuttgart) siehe Bernd<br />
Konrad, Die Kunstsammlungen der<br />
oberschwäbischen Adelshäuser, in:<br />
Adel im Wandel, Ausstellungskatalog,<br />
Begleitband 2, Sigmaringen: Thorbecke,<br />
2006, S. 735ff. bes. S. 737. Mit<br />
dem Verkauf der Fürstenberger Kunstschätze<br />
hat Donaueschingen seinen<br />
Rang als Standort einer bedeutenden<br />
Kunstsammlung verloren.
Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />
Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />
E 3828<br />
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herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />
<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />
72486 Sigmaringen<br />
ISSN 0018-3253<br />
Erscheint vierteljährlich.<br />
Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />
eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />
die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern<br />
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Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />
bringt neben fachhistorischen auch populär gehaltene<br />
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ist der Bezugspreis im Beitrag<br />
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96<br />
26<br />
Meister von Meßkirch, Kopf des Hl. Erasmus aus<br />
dem Falkensteiner Altar, vor 1525 (?), Ausschnitt.<br />
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