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LA CENERENTOLA - Wiener Staatsoper

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Gioachino Rossinila cenerentola


InhaltsverzeichnisInhaltsangabe 4La cenerentola, dramma giocoso in zwei Akten 8Über den heutigen Abend 12Gioachino Rossini | Biografie 14Gioachino Rossini | Musikdramatisches Schaffen 18Jacopo Ferretti | Biografie 24Ihr Gesang strotzt in Perlen | Andreas Láng 26Aschenbrödel | Charles Perrault 30An meine wohlwollenden Dramatiker-Brüder | Jacopo Ferretti 32Man kann nicht umhin, fröhlich zu sein! | Stendhal 34Figaro qua ... Cenerentola va là! 38Der kompositorische Großonkel der Cenerentola | Martin Haag 40Gesangspartien in La cenerentola | Erich Seitter 46Die wichtigsten Sänger der Cenerentola-Uraufführung 48La cenerentola in Wien | Michael Jahn 50Die Cenerentola-Interpreten vor der aktuellen Produktion 60Wir hatten eine enorme Freude | Christa Ludwig 76Erinnerungen an Don Magnifico | Karl Löbl 78Eine Krone und ein Herz | Oliver Láng 80Griselda | Giovanni Boccaccio 88San Sogno | Sven-Eric Bechtolf 92Jesús López-Cobos | Interview 98Das Cenerentola-Bühnenbild | Rolf Glittenberg 104Die Cenerentola-Kostüme | Marianne Glittenberg 106


InhaltsangabeInhaltsangabe1. AktInhaltsangabeIn einem etwas verwahrlosten Schloss wohnt Don Magnifico, Baron vonMontefiascone, mit zwei Töchtern und einer Stieftochter. Während Clorindaund Tisbe nichts anderes als Müßiggang, Putz und Tanz im Kopf haben, mussAngelina (Cenerentola) ihre Halbschwestern bedienen und die kompletteHausarbeit machen. Eines Tages singt sie, sehr zum Missfallen Tisbes undClorindas, die Ballade vom Königssohn, der auszog, sich eine Braut zu suchen,dabei aber gleich drei Anwärterinnen fand und sich schließlich für jeneentschied, die ein gutes Herz hatte.Das Lied wird durch das Klopfen an der Haustür unterbrochen. Ein Bettlerbittet um etwas Nahrung. Clorinda und Tisbe weisen ihm angewidert die Tür,nur Angelina erbarmt sich seiner. Sie gibt ihm Brot und Kaffee. Die beidenHalbschwestern möchten Angelina am liebsten verprügeln – nur durch dasErscheinen einer Gruppe von Kavalieren, die eine Einladung des auf Brautschaubefindlichen Prinzen Ramiro an Don Magnifico und seine Töchterüberbringen, wird das Vorhaben unterbunden. Als die Kavaliere auch nochdas persönliche Erscheinen des Fürsten ankündigen, gibt es für Clorinda undTisbe kein Halten mehr: Aufgeregt hetzen sie Angelina mit Befehlen hin undher, um sich rasch herausputzen zu können. Schließlich geraten die beidenauch noch in Streit darüber, wer von ihnen als Erste dem Vater die Neuigkeitenmitteilen darf.Das Gezänk Clorindas und Tisbes weckt den Vater. Mürrisch erscheint er underzählt einen wundersamen Traum: Er selbst sei darin als prächtiger, fliegenderEsel vorgekommen und habe, auf einer Kirchturmspitze thronend, feierlichesGlockengeläut gehört. Don Magnifico deutet diesen Traum auf seineWeise: Als Großvater würde er einst eine große fürstliche Enkelschar umarmen.Schließlich gelingt es, Don Magnificos Redeschwall zu unterbrechen, um ihmden fürstlichen Besuch und die Einladung mitzuteilen. Hochbeglückt findetDon Magnifico seine Traumdeutung, zumindest in Ansätzen, bestätigt.Prinz Don Ramiro tritt als einfacher Kammerdiener verkleidet auf. Zu diesemRollenspiel riet ihm sein Lehrer, der Philosoph Alidoro, der bereits zuvor alsder Mitleid heischende Bettler die Lage ausgekundschaftet hatte.Angelina und Ramiro verlieben sich auf Anhieb ineinander. Als der jungeMann von Angelina wissen möchte, wer sie denn eigentlich sei, erhält er dieAuskunft, dass Don Magnifico nicht ihr wahrer Vater wäre, sondern nur jenerder beiden Halbschwestern.Ramiro kann sich nicht erklären, warum ein so liebliches Mädchen in Lumpenherumlaufen muss.Die Kavaliere des Prinzen geleiten den verkleideten Dandini, den KammerdienerDon Ramiros, herein, der auf dessen Befehl als Fürst auftritt. Durchdiese Maskerade hofft Ramiro, die wahren Absichten der einzelnen Heiratskandidatinnendurchschauen zu können.Überschwänglich wird der vermeintliche Prinz von Don Magnifico, Tisbe undClorinda begrüßt.Dandini wächst mit sichtlichem Vergnügen immer mehr in die ihm anbefohlenePrinzen-Rolle. Und durch ihn erfahren es alle: Eine testamentarischeVerfügung des verstorbenen Königs zwingt den Prinzen (unter Androhungder Enterbung), ehebaldigst zu heiraten.Als Angelina bescheiden bittet, auch auf das Schloss mitgehen und wenigstensbeim Tanzen zusehen zu dürfen, wird sie vom Stiefvater mundtot gemacht.Gegenüber dem nun als Hofbeamten mit einem Register der heiratsfähigenTöchter des Hauses auftretenden Alidoro wird Angelina als Magdausgegeben, damit also verleugnet und für gestorben erklärt. Ramiro ist überdie Art, wie Angelina behandelt wird, höchst empört. Sein Protest geht allerdingsin der turbulenten Aufbruchstimmung unter. Voller Erwartung begebensich alle zum Fürstenpalast.Dandini spielt seine Rolle perfekt, wobei er durchaus nicht geizt, den selbstgefälligenDon Magnifico mit Scheinehren zu überhäufen und ihn zum Kellermeisterdes Schlosses zu ernennen. Auftragsgemäß flirtet er mit Clorindaund Tisbe, die beide versuchen, den vermeintlichen Prinzen für sich zu gewinnen.Im Hochgefühl seines frisch verliehenen Amtes dekretiert und diktiert DonMagnifico einen langen Erlass, wonach es 15 Jahre verboten sein soll, Weinzu verwässern. Inzwischen berichtet Dandini seinem Herrn von der EitelkeitClorindas und Tisbes, die damit für die Heiratspläne Don Ramiros nichtweiter in Betracht kommen.45


InhaltsangabeInhaltsangabe2. AktFestliche Musik und aufgeregte Rufe kündigen einen unerwarteten Gast an:eine elegante, verschleierte Dame. Sie führt sich mit der Erklärung ein, dasssie äußeren Glanz verachte und gesonnen sei, nur denjenigen zum Gatten zunehmen, der ihr sein warm empfindendes Herz schenken würde. Daraufhinwird sie gebeten, den Schleier zu lüften. Die Dame kommt der Bitte nach underregt durch ihre Schönheit allgemeines Entzücken. Es ist Angelina, die es mitHilfe des alles durchschauenden Alidoro geschafft hat, den Ball doch noch zubesuchen. Verblüfft sind all jene, die Angelina kennen. Zwar stellen sie dieÄhnlichkeit fest, doch können sie nicht glauben, dass diese wunderschöneDame und die arme Cenerentola ein und dieselbe Person sein könnten.Im Schloss Don Ramiros hält Don Magnifico mit Clorinda und Tisbe Familienrat.Das Erscheinen der Konkurrentin, die noch dazu der unterdrückten Stieftochterso überaus ähnlich sieht, hat den Alten tief beunruhigt. Magnificosschlechtes Gewissen meldet sich: Hat er doch Cenerentolas Erbteil für sichund die Kleider seiner leiblichen Töchter verschwendet. Vor dem drohendenfinanziellen Ruin kann er nur noch dann gerettet werden, wenn der Prinz eineseiner Töchter heiratet.Ramiro belauscht unbemerkt ein Gespräch zwischen Dandini und der unbekanntenDame, bei dem Angelina die Werbungen des vermeintlichen Prinzenzurückweist. Sie gesteht, einen anderen, nämlich den „Kammerdiener“, zulieben. Voller Freude stürzt Ramiro hervor und hält um sie an. Doch Cenerentolastellt eine Bedingung: Sie gibt ihm einen Armreif mit dem Auftrag, sie zusuchen. Sie werde in ihrer gewohnten Umwelt den gleichen Armreif tragen– daran möge er sie erkennen. Sollte sie ihm dann nicht missfallen, würde siedie Seine. Nach diesen Andeutungen enteilt sie. Sofort gibt Ramiro Befehl, dieWagen vorfahren zu lassen. Ungeduldig begibt er sich auf die Suche nach derGeliebten, nicht ohne vorher Dandini wieder in den Kammerdienerstand zurückzuversetzen.Magnifico muss nun von Dandini die für ihn bittere Wahrheiterfahren. Voll ohnmächtiger Wut sieht Don Magnifico all seine Ehren und diebereits als sicher angenommene finanzielle Rettung entschwinden.hereinpolternden Don Magnifico und die enttäuschten Stiefschwestern wirdihr Träumen unterbrochen. Alle aufgestaute Wut wird jetzt auf die arme Cenerentolaabgeladen. Da zieht ein Gewitter auf, und wie das Schicksal – oder eineManipulation Alidoros – es will, bringt ein Schaden ausgerechnet vor DonMagnificos Schloss das fürstliche Fahrzeug zum Stehen, sodass Don Ramirovor dem Regen bei Don Magnifico Schutz suchen muss. Dank des Armreifeserkennt der Prinz seine als Magd gehaltene Geliebte wieder, die nun ihrerseitsüber die wahre Identität des Angebeteten aufgeklärt wird. Überglücklich erklärtsich Angelina bereit, Don Ramiro zu folgen.Als die neue Fürstin in den Thronsaal einzieht, wird ihr in großem Stil gehuldigt.Da bittet Angelina ihren Gatten um Verzeihung für ihre Anverwandten,da ihre Herzensgüte sie alle Unbill vergessen lässt.Vom Fest heimgekehrt, träumt Angelina wieder vom Königssohn, der seineFrau lediglich nach der Neigung seines Herzens wählt. Durch den wütend67


La cenerentolaLa cenerentolaPersonen der Handlung:Don Ramiro, Prinz(Tenor)Dandini, seinKammerdiener(Bariton)Don Magnifico, Baron(Bassbuffo)Clorinda, TochterDon Magnificos(Sopran)Tisbe, TochterDon Magnificos(Mezzosopran bzw. Alt)Angelina,genannt Cenerentola,Don Magnificos Stieftochter(Koloratur-Mezzosopran)Alidoro, LehrerDon Ramiros(Bass)Hof des Prinzen(Chor, Statisterie)la cenerentola OSSIA <strong>LA</strong> BONTà IN TRIONFODramma giocoso in zwei AktenVorlagenCendrillon, Märchen von Charles Perrault (1697)Agatina o La virtù premiata, Dramma semiserio von Felice Romani undStefano Pavesi (1814)Weitere Vertonungen des StoffesCendrillon, Oper in einem Akt von Jean-Louis Laruette (1759)Cendrillon von Daniel Steibelt (1810)Cendrillon, Opéra-féerie von Nicolas Isouard (1810)Cendrillon, Conte de fées von Jules Massenet (1899)Cendrillonnette, Operette von Victor Roger und Gaston SerpetteCenerentola, fiaba musicale von Hugo Wolf Ferrari (1900)Cendrillon, Oper in drei Akten von Pauline ViardotAschenbrödel, Ballett in drei Akten von Sergej Prokofjew (1940-1944)Autoren der OperMusik: Gioachino Rossini | Libretto: Jacopo FerrettiOriginalspracheItalienischSchauplatz der Handlung1. Akt, 1. Bild: Don Magnificos Palast1. Akt, 2. Bild: Don Ramiros Schloss2. Akt, 1. Bild: Don Ramiros Schloss2. Akt, 2. Bild: Don Magnificos Palast2. Akt, 3. Bild: Don Ramiros SchlossOrchesterbesetzung2 Flöten, 2 Piccoloflöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner,2 Trompeten, 1 Posaune, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass,Hammerklavier (Cembalo)Spieldauer2 Stunden 45 MinutenEntstehungIm Februar 1816 unterschrieb Rossini den Vertrag zur Komposition einerneuen Oper. Ein knappes Jahr später gelangte das betreffende Werk – Lacenerentola – in Rom am Teatro Valle zur Uraufführung. Wie zumeist komponierteRossini auch diese Oper unter enormem Zeitdruck. Jacopo Ferrettischrieb das Libretto in einer Nacht-und-Nebel-Aktion und Rossini, kaum dasser die Textseiten in der Hand hielt, die Musik. Da die Zeit drängte, übernahmer einige Teile aus früher von ihm verfassten Opern und bat Luca Agolinieinige unwesentliche Passagen an seiner statt zu komponieren. Trotz desmangelnden Erfolgs bei der Weltpremiere war die Oper bald international(und das bis heute) ein enorm populäres Stück.AutografPartitur: Accademia Filarmonica Bologna;Arie „Là del cielo nell’arcano profondo“: Fondazione Rossini PesaroUraufführung25. Jänner 1817, Teatro Valle, RomWichtige <strong>Wiener</strong> Aufführungstermine<strong>Wiener</strong> Erstaufführung: 29. August 1820 (Theater an der Wien)Erstaufführung im Haus am Ring: 2. Mai 1881Premiere der aktuellen Produktion: 26. Jänner 2013Zeit der HandlungOriginal: 18. Jahrhundert | In der aktuellen Inszenierung: 1950er-JahreWeitere wichtige Aufführungsorte in WienKärntnertortheater, <strong>Wiener</strong> Volksoper, Treumanntheater89


Über den heutigen Abendüber den heutigen abendPremierenbesetzung 2013, Valentina Nafornită als Clorinda und Margarita Gritskova alsTisbeFür viele ist die in sehr kurzer Zeit geschaffene Cenerentola die poetischstevon allen komischen Rossini-Opern – und tatsächlich besitzt dieses Werk zumindestin der sehr subtilen musikalischen Porträtierung der Charaktere einesinguläre Stellung innerhalb des Buffo-Œuvres des „Schwanes von Pesaro“.Für den Dirigenten der Premiere der aktuellen Produktion, Jesús López-Cobos,weist der Untertitel dieser Oper „Der Triumph der Güte“ außerdem auf denhumanitären Aspekt hin, der unter dem Mantel der Komödie auch in derMusik zu finden ist.Das von der Form her zweitaktige Dramma giocoso La cenerentola, das imWesentlichen auf der berühmten Geschichte des Aschenbrödels (vor allem inder Version von Charles Perrault) basiert, weist also eine gelungene Balanceaus Ironie, Komik, Lyrik, Melancholie sowie eine märchenhafte Grundstimmungauf und spricht somit sowohl Erwachsene als auch jüngere Opernbesuchergleichermaßen an. Nichtsdestotrotz handelt es sich nicht um eine Zauberoper,da sowohl Rossini als auch sein Librettist Jacopo Ferretti jede Formder Magie ablehnten.Da die besonders anspruchsvolle Titelpartie den Interpretinnen eine großeBandbreite an Darstellungsmöglichkeiten bietet, nahmen viele der bedeutendenSängerinnen die Rolle gerne ins persönliche Repertoire auf. An der <strong>Wiener</strong><strong>Staatsoper</strong> waren in der Vergangenheit etwa Adele Kern, Christa Ludwig oderAgnes Baltsa als Cenerentola beziehungsweise Angelina, wie das arme, vonihrem Stiefvater und ihren Stiefschwestern unterdrückte Mädchen mit ihremeigentlichen Namen heißt, zu erleben.Sven-Eric Bechtolf, der Regisseur der aktuellen Inszenierung, verlegte dieHandlung ins Italien der 50er-Jahre, genauer in einen, San Sogno genannten,fiktiven Zwergstaat am Mittelmeer, in dem der etwas spleenige, teure Autossammelnde junge Prinz Don Ramiro die Regentschaft ausübt. Bei der Premieredieser Produktion, die am 26. Jänner 2013 über die Bühne der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>ging, sangen Tara Erraught (Angelina/Cenerentola), Dmitry Korchak (DonRamiro), Alessandro Corbelli (Don Magnifico), Vito Priante (Dandini), IldebrandoD’Arcangelo (Alidoro) und die beiden Ensem blemitglieder ValentinaNafornită (Clorinda) und Margarita Gritskova (Tisbe).1213


BiografieGIoachino Rossini | Biografie1792 Gioachino Rossini wird am 29. Februar in Pesaro in eine Musikerfamiliegeboren: Sein Vater Giuseppe ist Hornist und Trompeter,seine Mutter Anna Guidarini Sängerin.1797 Sein Vater muss aus politischen Gründen Pesaro verlassen undverdingt sich mit seiner Ehefrau fortan als Wandermusikant. SeinSohn bleibt bei der Großmutter in Pesaro. Später wird GiuseppeRossini zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.1801 Übersiedlung nach Bologna, wo der Vater eine Unterrichtstätigkeitbeginnt. Die musikalische Ausbildung Gioachino Rossinisbeginnt.1804 Erste Kompositionen entstehen.1805 Unterricht bei Padre Angelo Tesei und Auftritte als Sopransolistin Kirchen und im Teatro del Corso.1806 Eintritt ins Liceo Musicale in Bologna, es folgen vier Jahre Kompositionsstudium.Seine erste Oper entsteht in dieser Zeit:Demetrio e Polibio.1810 Beendigung der Studien. Die Oper La cambiale di matrimoniowird am Teatro San Moisè in Venedig uraufgeführt. In den nächstenJahren entstehen zahlreiche Musiktheaterwerke.1812 Am 26. September debütiert er an der Mailänder Scala als Komponistmit der Oper La pietra del paragone.Gioachino Rossini1813 Uraufführungen u. a. von Il Signor Bruschino, Tancredi,L’italiana in Algeri, im folgenden Jahr von Il turco in Italia.1415


Biografie1816 Am 20. Februar wird in Rom Il barbiere di Siviglia urauf geführt.1817 Am 25. Jänner wird in Rom La cenerentola urauf geführt.1822 Heirat mit der spanischen Primadonna Isabella Colbran.Einziger Wien-Aufenthalt Rossinis, Zusammentreffen mit Ludwigvan Beethoven.1823 Reisen nach Paris und London, wo er gefeiert wird.1824 Übernahme der Leitung des Théâtre Italien in Paris. In den folgendenJahren arbeitet er einige seiner Werke für Paris um.1828 Entstehung seiner letzten komischen Oper – Le Comte Ory.1829 Guillaume Tell wird in Paris uraufgeführt. Rossini beendet seineLaufbahn als Opern-Komponist.1837 Trennung von Isabella Colbran. Er lebt seit längerem bereits mitOlympe Pélissier zusammen.1842 Uraufführung seines Stabat Mater in Paris.1845 Übernahme der ehrenamtlichen Direktion des Liceo Musicale inBologna.1846 Heirat mit Olympe Pélissier.1868 Tod in seiner Villa in Passy am 13. November.1887 Überführung seiner sterblichen Überreste nach Florenz.Gioachino Rossini, Portraitaufnahme um 1865 (Nadar, Paris)1617


Musikdramatisches SchaffenGIOACHINO ROSSINI | Musikdramatisches SchaffenDemetrio e Polibio,Libretto: Vincenza Viganò-Mombelli, Opera seria in zwei Akten,Uraufführung: 1812 in Rom (komponiert vor 1809)La cambiale di matrimonio,Libretto: Gaetano Rossi, Farsa comica in einem Akt,Uraufführung: 1810 in VenedigL’equivoco stravagante,Libretto: Gaetano Gasparri, Dramma giocoso (Opera buffa) in zwei Akten,Uraufführung: 1811 in BolognaL’inganno felice,Libretto: Giuseppe Foppa, Farsa in einem Akt,Uraufführung: 1812 in VenedigCiro in Babilonia ossìa La caduta di Baldassare,Libretto: Francesco Aventi, Dramma con cori (Oratorio) in zwei Akten,Uraufführung: 1812 in FerraraLa scala di Seta,Libretto: Giuseppe Foppa, Farsa comica in einem Akt,Uraufführung: 1812 in VenedigLa pietra del paragone,Libretto: Luigi Romanelli, Melodramma giocoso (Opera buffa) in zwei Akten,Uraufführung: 1812 in MailandPremierenbesetzung 2013, Dmitry Korchak als Don RamiroL’occasione fa il ladro ossìa Il cambio della valigia,Libretto: Luigi Prividali, Burletta per musica (Farsa) in einem Akt,Uraufführung: 1812 in Venedig1819


Musikdramatisches SchaffenMusikdramatisches SchaffenIl signor Bruschino ossìa Il figlio per azzardo,Libretto: Giuseppe Foppa, Farsa giocosa in einem Akt,Uraufführung: 1813 in VenedigTancredi,Libretto: Gaetano Rossi,Melodramma eroico (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung: 1813 in VenedigL’italiana in Algeri,Libretto: Angelo Anelli, Dramma giocoso in zwei Akten,Uraufführung: 1813 in VenedigAureliano in Palmira,Libretto: Gian Francesco Romanelli,Opera seria (Dramma serio) in zwei Akten,Uraufführung: 1813 in MailandIl turco in Italia,Libretto: Felice Romani,Dramma buffo (Opera buffa) in zwei Akten,Uraufführung: 1814 in MailandSigismondoLibretto: Giuseppe Foppa,Dramma (Opera seria) in zwei Akten, Uraufführung: 1814 in VenedigElisabetta, regina d’Inghilterra,Libretto: Giovanni Federico Schmidt, Dramma in zwei Akten,Uraufführung: 1815 in NeapelTorvaldo e Dorliska,Libretto: Cesare Sterbini, Dramma semiserio in zwei Akten,Uraufführung: 1815 in RomAlmaviva ossìa L’inutile precauzione, später Il barbiere di Siviglia,Libretto: Cesare Sterbini, Commedia (Opera buffa) in zwei Akten,Uraufführung: 1816 in RomLa gazzetta,Libretto: Giuseppe Palomba und Andrea Leone Tottola,Dramma (Opera buffa) in zwei Akten,Uraufführung: 1816 in NeapelOtello ossìa il moro di Venezia,Libretto: Francesco Berio di Salsa,Dramma (Opera seria) in drei Akten,Uraufführung: 1816 in NeapelLa Cenerentola ossìa La bontà in trionfo,Libretto: Jacopo Ferretti, Dramma giocoso in zwei Akten,Uraufführung: 1817 in RomLa gazza ladra,Libretto: Giovanni Gherardini,Melodramma (Opera semiseria) in zwei Akten,Uraufführung: 1817 in MailandArmida,Libretto: Giovanni Federico Schmidt, Dramma (Opera seria) in drei Akten,Uraufführung: 1817 in NeapelAdelaide di Borgogna ossìa Ottone, re d’Italia,Libretto: Giovanni Federico Schmidt, Dramma in zwei Akten,Uraufführung: 1817 in RomMosè in Egitto,Libretto: Andrea Leone Tottola, Azione tragico-sacra (Oratorio) in drei Akten,Uraufführung: 1818 in Neapel2021


Musikdramatisches SchaffenMusikdramatisches SchaffenAdina o Il califfo di Bagdad,Libretto: Gherardo Bevilacqua-Aldobrandini, Farsa in einem Akt,Uraufführung: 1826 in Lissabon (komponiert 1818)Ricciardo e Zoraide,Libretto: Francesco Berio di Salsa,Dramma (Opera seria, auch Opera semiseria) in zwei Akten,Uraufführung: 1818 in NeapelErmione,Libretto: Andrea Leone Tottola, Azione tragica in zwei Akten,Uraufführung: 1819 in NeapelEduardo e Cristina,Libretto: Giovanni Federico Schmidt(überarbeitet von A. L. Tottola und G. Bevilacqua-Aldobrandini),Dramma in zwei Akten, Uraufführung: 1819 in VenedigLa donna del lago,Libretto: Andrea Leone Tottola, Melodramma (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung: 1819 in NeapelBianca e Falliero ossìa Il consiglio dei tre,Libretto: Felice Romani, Melodramma (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung: 1819 in MailandMaometto II,Libretto: Cesare della Valle, Dramma (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung: 1820 in NeapelMathilde (di) Shabran ossìa Bellezza e cuor di ferro,Libretto: Jacopo Ferretti,Melodramma giocoso (auch Opera semiseria) in zwei Akten,Uraufführung: 1821 in RomZelmira,Libretto: Andrea Leone Tottola,Dramma (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung:1822 in NeapelSemiramide,Libretto: Gaetano Rossi,Melodramma tragico (Opera seria) in zwei Akten,Uraufführung: 1823 in VenedigIl viaggio a Reims ossìa L’albergo del giglio d’oro,Libretto: Luigi Balocchi,Cantata scenica (Dramma giocoso) in zwei Akten,Uraufführung: 1825 in ParisLe siège de Corinthe (Bearbeitung von Maometto II),Libretto: Luigi Balocchi und Alexandre Soumet,Grand opéra (Tragédie lyrique) in drei Akten,Uraufführung: 1826 in ParisMoïse et Pharaon ou Le passage de la Mer Rouge,Libretto: Luigi Balocchi und Étienne de Jouy (nach Mosè in Egitto),Grand opéra in vier Akten,Uraufführung: 1827 in ParisLe Comte Ory,Libretto: Eugène Scribe und Charles-Gaspard Delestre-Poirson,Opéra-comique in zwei Akten,Uraufführung: 1828 in ParisGuillaume Tell,Libretto: Étienne de Jouy, Hippolyte-Louis-Florent Bis,Armand Marrast und Adolphe Crémieux, Grand opéra in vier Akten,Uraufführung: 1829 in Paris2223


BiografieJacopo FerrettiJacopo FerrettiDer italienische Librettist Jacopo Ferretti wurde am 16. Juli 1784 in Rom in einekulturliebende Familie geboren – vor allem seinem Vater verdankte er die Liebezur Musik und Literatur. Sehr bald schon begann der junge Jacopo Ferretti, derübrigens fließend Latein, Altgriechisch, Französisch und Englisch sprach, ersteGedichte zu schreiben, wobei er sich zunächst an Metastasios Stil orientierte.Spätestens nachdem er die Sängerin Teresa Terziani geheiratet hatte, entwickeltesich sein Heim zu einem Zentrum der kulturellen Haute-Volée. Ferretti galt alsumgänglicher und liebenswerter Charakter, der mit vielen Komponisten freundschaftlichverbunden war – mit Donizetti stand er beispielsweise über vieleJahre in regelmäßigem Briefkontakt. Sein Werk umfasst praktisch jede Formder literarischen Form und Gattung – so schrieb er nicht nur Opernlibretti,sondern auch Traueroden, Nekrologe, Hochzeitselogen, Sonette, literarischeLiebesbriefe und festliche Vorträge. Seinen ersten großen Erfolg als Dichter vonOperntextbüchern feierte er mit La cenerentola zu der Gioachino Rossini dieMusik schrieb. Besonders gefeiert wurde er vor allem für seine Libretti zu komischenOpern – neben Rossini arbeitete er unter anderem für Donizetti, Fioravantiund Guglielmi. Berühmt war er auch für die Schnelligkeit im Verfassenseiner Texte, für seine Spontaneität in Bezug auf das Erstellen dramaturgischgeglückter Situationskomiken und für seinen authentischen Stil, sodass er alseiner der Hauptvertreter der Textdichtung der italienischen romantischen Operin die Musikgeschichte einging. Nicht umsonst stand er daher bei allen anderenitalienischen Librettistenkollegen – allen voran bei Felice Romani – in hohemAnsehen. Jacopo Ferretti starb am 7. März 1852 im 68. Lebensjahr in seinerHeimatstadt Rom, in der der Großteil seiner Werke zur Uraufführung gelangtwar. Von 1814 bis 1845 hatte der zeitlebens an Asthma leidende Textdichterübrigens eine Stellung in der italienischen Tabakindustrie inne, was seiner stetsangeschlagenen Gesundheit nicht unbedingt entgegen kam.Von seinen rund 70 Opernlibretti seien hier nur einige erwähnt: La cenerentola(1817 für Gioachino Rossini), Mathilde di Shabran (1821 für Gioachino Rossini),L’ajo nell’imbarazzo (1824 für Gaetano Donizetti), Il furioso nell’isola di SDomingo (1833 für Gaetano Donizetti), La casa disabitata (1834 für LauroRossi), La pazza per amore (1835 für Pietro Coppola).2425


Ihr Gesang strotzt in Perlen | Andreas LángIhr Gesang strotzt in PerlenDie Entstehung von Rossinis La cenerentolaGenau an seinem 24. Geburtstag, am 29. Februar 1816, unterschriebGioachino Rossini den Vertrag zur Komposition einer neuen Oper. Einknappes Jahr später gelangte dann das betreffende Werk – La cenerentola– in Rom am Teatro Valle zur Uraufführung. Wie schon beim Barbier einigeMonate zuvor setzte der Publikumserfolg zwar nicht sogleich bei derPremiere, sondern etwas verzögert, dafür aber dauerhaft, ein. Und bis heutebesticht diese auf dem bekannten Aschenbrödel-Märchen basierende Buffo-Oper durch ihre perfekte Ausgewogenheit an musikalischer Genremalerei,Personencharakteristik, vollkommenen Kantilenen, Melodienreichtum, wirkungsvollenEnsembles und buffonesken Situationen.Im Mittelpunkt der Handlung steht bei Rossini und Ferretti die zu Unrechtals Magd gehaltene Angelina, um die herum eine durch Rollentausch inszenierteKomödie zur Ausführung gelangt, wobei die wesentlichen undallgemein bekannten Aspekte der Geschichte – Prinz heiratet die erniedrigteAußenseiterin und böse Stiefschwestern gehen leer aus – erhalten bleiben.Entgegen der überlieferten Versionen des Märchens (vor allem nach CharlesPerrault) finden sich in der rossinischen Opernhandlung aber keinerleiÜbernatürlichkeiten – der Librettist Jacopo Ferretti schrieb in diesem Zusammenhangin seiner Vorrede (siehe auch Seite 32), dass dieses Weglassenjeglicher Zaubereien den Umständen der Bühnen des Teatro Valle geschuldetwar. In Wahrheit verabscheute Rossini derartiges in den Libretti und so mussteCenerentola bei ihm ohne die berühmte verwandelte, von Mäusen gezogeneKürbiskutsche auskommen, was dem römischen Publikum der Uraufführungauch nicht weiter verstörte. Enttäuschend für manche Besucher – so etwafür Théophile Gautier im Zuge einer Aufführung in Paris – war hingegender Umstand, dass Ferretti den bekannten Aspekt der Schuhprobe einfachwegließ und stattdessen einen Armreif als Wiederkennungsobjekt einsetzte(vermutlich, weil die Zensur einen für eine Schuhprobe notgedrungenerweisesichtbaren bloßen Frauenfuß auf der Bühne aus Schicklichlichkeitsgründenniemals geduldet hätte).Premierenbesetzung 2013, Tara Erraught als Angelina2627


Ihr Gesang strotzt in Perlen | Andreas LángIhr Gesang strotzt in Perlen | Andreas LángHeute dürften solche Abweichungen vom „üblichen“ Plot kaum nochjemanden irritieren. Eher der Charakter der Angelina, die, allen Träumereinzum Trotz, praktisch nie wirklich aufbegehrt, ja sich mit ihrer Rolle alsCenerentola fast schon identifiziert (wie dies im Schlussbild der aktuellenInszenierung ironisch unterstrichen wird). Nicht umsonst vergleicht sieAlbert Gier mit der schon krankhaft sich unterordnenden Griselda inBoccaccios Decamerone (sieh auch S. 88). Dass Angelina in der Oper alsplastisches Wesen und nicht nur als Schablone vor den Hörer tritt, verdanktsie ausschließlich der Musik und nicht der Darstellung im Textbuch.Wie meistens, komponierte Rossini auch diese Oper unter enormen Zeitdruck,vielleicht sogar unter noch größerem Druck als gewöhnlich: Am 26. Dezember1816 hätte die Uraufführung stattfinden sollen – drei Tage davor wurde erstdas Sujet entschieden. Jacopo Ferretti verfasste das Textbuch daher in einerNacht-und-Nebel-Aktion, unter Vertilgung vieler Tassen „guten Mokkas“,Rossini schrieb, kaum dass die Tinte auf den Librettoseiten getrocknetwar daraufhin in Windeseile seine Musik. Da er einsah, dass die Arbeit aufdiese Weise zu langsam voranging, wandte er sich an den, vor allem alsPassionen- und Oratorienschreiber renommierten, inzwischen vergessenenrömischen Komponisten Luca Agolini, der ihm die Seccorezitative und einigeunwesentliche Passagen schrieb. Außerdem übernahm Rossini einige Teile,wie die Ouvertüre, aus früher von ihm selbst verfassten Opern. Und auchFerretti dürfte von einem bereits existierenden Aschenbrödel-Libretto mehrals nur inspiriert worden sein: Felice Romanis Textbuch zu Pavesis Agatinaweist derartig viele Ähnlichkeiten auf (unter anderem in den auftretendenCharakteren – Dandini und Alidoro sind reine Erfindungen Romanis gewesenund von Ferretti einfach übernommen worden), dass Ferrettis Version sogarmit dem Vorwurf des Plagiats verunglimpft wurde.Die Annahme, dass Rossini und alle Beteiligten wohl einiges an Lampenfieberdurchlitten haben dürften, liegt nahe, zumal manches erst im allerletztenMoment fertig wurde. Das Duett von Dandini und Magnifico „Un segretod’importanza“ beispielsweise entstand rund 24 Stunden vor der Uraufführungund wurde erst am Tag der Premiere einstudiert und geprobt. Schließlichkam es mit einem Monat Verspätung am 25. Jänner 1817, also fast auf den Taggenau 196 Jahre vor der <strong>Staatsoper</strong>npremiere der aktuellen Produktion desWerkes zur Uraufführung. Laut Ferretti tropfte den Sängern bei dieser erstenCenerentola-Aufführung der „Todesschweiß von der blassen Stirn“ und somanche Musiknummer wurde von Publikum gnadenlos ausgepfiffen.Der ursprüngliche, von Ferretti angedachte Titel Angiolina, mussteübrigens auf Druck der Zensur geändert werden, da zur damaligen Zeiteine stadtbekannte Angiolina mit einer Reihe von aufsehenerregendenVerführungen auf sich aufmerksam machte und eine Oper gleichen Namensals Anspielung missverstanden hätte werden können.Trotz des mangelnden Erfolges bei der Uraufführung war La cenerentolabald, wie Rossini es mit den Worten „Bevor der Karneval vorbei ist, wird manCenerentola lieben“ von Anfang an prophezeite, ein enorm populäres Stück,das im wahrsten Sinn des Wortes weltweit gespielt wurde: 1818 in Barcelona,1820 in Wien und London, 1822 in Paris, 1825 in Berlin und Moskau, 1826 inBuenos Aires und New York, 1844 sogar in Australien.Abschließend sei noch ein Ausspruch des strengen Kritikerpapstes EduardHanslick erwähnt, da dieses Dictum sehr schön die Qualität von Cenerentolain einem Satz zusammenfasst: „Dieses italienische Aschenbrödel ist es in derTat nur ihrem Kleide nach; ihr Gesang strotzt in Perlen, Samt und Seide.“2829


Aschenbrödel | Charles PerraultAschenbrödelAuszug aus Charles Perraults VersionAls dem Prinzen die Ankunft einer mächtigen aber unbekannten Prinzessingemeldet wurde, eilte er höchstselbst die Treppe hinab, um sie zu empfangen,reichte ihr die Hand beim Aussteigen und führte sie in den Saal. Da wurde esmit Einemmal ganz still, mäuschenstill. Alles hörte auf zu tanzen, die Violinenhörten auf zu spielen und man tat gar nichts anderes, als die außerordentlicheSchönheit der Unbekannten zu betrachten. Höchstens, dass man hie und daden Ausruf hörte: „Oh, wie schön ist sie!“ Die Damen studierten vorzugsweiseStoff und Schnitt der Kleider, sowie den Kopfputz der fremden Prinzessin, umgleich morgen alles genau nachmachen zu lassen, denn Frauen meinen immer,der Anzug tue es, und dass sie gerade so schön sein würden, wie die schönstePerson, wenn sie nur erst auch so gekleidet wären. O Himmel, welch’ bedauerlicherIrrtum! Wenn sich die Sache so verhielte, dann wären die Schneiderund Friseure die Könige der Welt und mächtiger als die mächtigsten Monarchen,von denen man je gehört.Der Kronprinz führte Aschenbrödel auf den höchsten Ehrenplatz, dann bat ersie um eine Tour und sie tanzte mit solcher Anmut, dass man sie noch mehrbewunderte als zuvor. Bei Tische brachte der Prinz keinen Bissen herunter, sosehr war er in Betrachtungen der großen Schönheit verloren und so stark hattesich bei ihm schon jene Appetitlosigkeit eingestellt, welche als ein bedrohlichesSymptom der hitzigen Liebeskrankheit vorauszugehen pflegt. Aschenbrödelsetzt sich neben ihre Schwestern, überhäufte sie mit Liebeswürdigkeiten, undgab ihnen von den Zitronen und Orangen, die ihr der Prinz vorlegte, was diebeiden sehr verwunderte, weil sie Aschenbrödel nicht erkannten. Da schluges ein Viertel vor Mitternacht; rasch erhob sich Aschenbrödel, machte derGesellschaft einen tiefen Knix und entfernte sich, so schnell sie konnte.Illustration zu Perraults Cendrillon von Gustave Doré3031


An meine wohlwollenden Dramatiker-Brüder | Jacopo FerrettiAn meine wohlwollendenDramatiker-BrüderMein armes Aschenbrödel, eine nicht geplante Tochter und Arbeit wenigerTage, möchte, dass ich sie Ihnen empfehle, weil sie, nachdem sie aus derHerdasche herausgesprungen ist, einen Beschützer haben will, und sie weiß,dass sie keinen besseren finden könnte, als einen von Ihnen. Auf ihren Wunschmöchte ich Ihnen auch mitteilen, dass es nicht als Fauxpas gewertet werdensollte, wenn sie nicht in Gesellschaft eines Magiers auftritt, der Zauberkunststückevollbringt, oder einer sprechenden Katze, und beim Ball keinen Pantoffelverliert, wie auf der französischen Bühne oder in einem großen italienischenTheater (sondern stattdessen einen Armreifen hergibt); entscheidendwar vielmehr, was im Teatro Valle szenisch möglich ist, und die Rücksicht aufden guten Geschmack des römischen Publikums, das nicht auf der Bühnedargestellt sehen will, was es in einer Geschichte, die am Kaminfeuer erzähltwird, unterhaltsam findet. Die Überstürztheit, mit der der Stoff gewählt unddramatisiert werden musste, damit er, Stück für Stück in Verse gebracht, demMaestro vorgelegt werden konnte, hat vielleicht die Möglichkeit eingeschränkt,einige der üblichen Fehler von Buffa-Libretti zu vermeiden. Aber was könnteIhr Wohlwollen und Ihre Erfahrung nicht alles verzeihen? Mein Aschenbrödelbittet schließlich, dass Sie als gute Beschützer den wenigen, die es nicht wissen,mitteilen, dass sie die Stieftochter und nicht die Tochter des Don Magnificoist, und deshalb etwas älter sein kann als die beiden Schwestern, und dasseiner meiner Hauptgründe, diesen Stoff zu wählen, gerade die naiv-gütigeAusstrahlung war, die einen der wesentlichen Charakterzüge der tüchtigenFrau Giorgi darstellt – eben jener Charakterzug wurde bei Aschenbrödel, derChronik der Feen zufolge, belohnt.Meine Brüder! Ich weiß, wie mittelmäßig meine Verse sind, die ich nicht überarbeitenkonnte, aber ich habe das Glück, dass ich sie dem modernen Prometheusder Harmonie anvertrauen kann, der es fertig bringen wird, sie mit demSonnenfunken zum Glühen zu bringen.Kostümfigurine (Don Ramiro) von Marianne Glittenberg3233


Man kann nicht umhin, fröhlich zu sein! | StendhalMan kann nicht umhin, fröhlich zu sein!Auszüge aus Stendhals Cenerentola-BesprechungDie Cenerentola ist aus dem Jahre 1817; Rossini schrieb sie in Rom für dieKarnevalssaison im Theater Valle.Die Introduktion besteht aus dem Gesang der drei Schwestern: die ältesteversucht einen Tanzschritt vor ihrem großen beweglichen Standspiegel; diezweite rückt eine Blume in ihrem Haar zurecht; das arme Aschenbrödel blästgetreu der Rolle, in der wir es seit unserer Kindheit kennen, das Kaminfeueran, um Kaffee zu kochen. Diese Introduktion ist sehr amüsant; der Gesangvon Aschenbrödel ist rührend. Diese Musik ist außerordentlich rossinisch. Niehaben Paisiello, Cimarosa oder Guglielmi diesen Grad von Leichtigkeit erreicht.Reizvoll ist auch „Una grazia, un certo incanto“; ich finde sehr viel Geist in„Quel ch’e padre nin è padre“ ... wir lernen Rossinis Talent in seiner vollenKraft und von seiner glänzenden Seite kennen.Die Kavatine des Kammerdieners Dandini, der als Prinz verkleidet auftritt(„Come il ape ne’ giorni d’aprile“) ist äußerst amüsant. Hier ist der Stil derAntichambre am Platz; Musik und Libretto haben gerade den Anstrich vonVulgarität, der nötig ist, um uns Dandinis Stand zu erinnern, ohne anstößig zuwirken. Bei Cimarosa bekommen wir eher die Leidenschaft der subalternenFiguren zu sehen als die sozialen Gewohnheiten, die sie aufgrund ihrerStellung in der Gesellschaft angenommen haben. Diese Kavatine, ein gutesKonzertstück für eine Bassstimme, wird in Paris von dem ausgezeichnetenPellegrini oft herrlich gesungen.Das Duett „Zitto, zitto; piano, piano“ ist hinreißend. In Triest sagte man, es seidas Meisterwerk der Oper. Ramiro fragt Dandini, seinen als Prinz verkleidetenKammerdiener, was er von dem Charakter der beiden Töchter des Baronshalte. Der Part des Tenors (Ramiro) ist von herrlicher Frische und voll undganz im Einklang mit den Gefühlen eines jungen Prinzen, dem der ihnbeschützende Zauberer enthüllt hat, dass eine der Töchter des Barons seinerGioachino Rossini3435


Man kann nicht umhin, fröhlich zu sein! | StendhalMan kann nicht umhin, fröhlich zu sein! | StendhalWünsche würdig ist; der Zauberer meint Aschenbrödel. Die Schnelligkeitdieses Duetts ist ebenso unnachahmlich wie seine Lebhaftigkeit, es ist einFeuerwerk. Nie zuvor hat die Musik die Seele der Zuschauer so schnell underfolgreich mit neuen und ungewöhnlichen Empfindungen überflutet. Wennjemand unter gewöhnlichen Umständen dieses Duett hört, kann er nichtumhin, fröhlich zu sein; er spürt, wie ihm die drolligsten Einfälle in den Sinnkommen oder vielmehr sein Entzücken über das Glück, in dessen Genuss ihndiese Ideen bringen.Das Quartett, das durch die Ankunft der beiden Schwestern zustande kommt,hat hübsche Passagen von großer dramatischer Wahrheit: „Con un’animaplebea! Con un’aria dozzinale!“Anmutig und vor allem sehr geistreich ist die Arie der Cenerentola, als sie denSalon betritt: „Sprezza quei don che avversa“.Der zweit Akt beginnt mit einer Arie von Don Magnifico, in der er uns erzählt,wenn eine seiner Töchter die Frau des Prinzen werde, dann würden alleGüter dieser Erde auf ihn herabregnen.Der verliebte Ramiro singt eine angenehme und sehr amüsante Arie, inder er schwört, seine Schöne zu finden („Se fosse in grembo a Giove“).Dieses brillante Stück für eine hübsche Tenorstimme passt ausgezeichnetin ein Konzert. In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass dieNachahmer Rossinis Schnelligkeit übernommen haben – so etwas lässt sichin der Musik auch leicht kopieren –, aber sie haben es nie vermocht, seinenGeist nachzuahmen.Das folgende Duett „Un segreto d’importanza“ ist die Vollendung der Kunstder Nachahmung. Sehr wahrscheinlich gäbe es dieses Duett nicht ohne das„Se fiato in corpo avete“ im zweiten Akt des Matrimonio segreto. Aber selbstwenn man das Duett aus der Heimlichen Ehe auswendig kennt, hört mandieses hier noch mit unendlich viel Vergnügen. Die Worte „Son Dandini, ilcameriere!“ bringen durch ihre äußerste dramatische Wahrheit und durchdas plötzliche Unglück, das dem Baron in seiner übertriebenen Eitelkeitwiderfährt, das Publikum jedes Mal zum Lachen.Auf das Duett folgt bald ein Orchesterstück, das einen Sturm darstellt,währenddessen die Karosse des Prinzen umstürzt. Es ist mitnichten imdeutschen Stil geschrieben; dieser Sturm ist gar nicht so wie der von Haydnin den Vier Jahreszeiten oder der beim Guss der verhängnisvollen Kugelnim Freischütz von Carl Maria von Weber. Dieses Gewitter wird nicht tragischgenommen, dennoch wird die Natur wahrheitsgetreu nachgeahmt; es hatseinen Moment des Schreckens, der sehr gut wiedergegeben ist. Schließlichbildet dieses Stück ohne große Prätention des Tragischen einen reizendenKontrast in einer Opera buffa. Wenn man es hört (aber nicht im Louvois,sondern gespielt von einem Orchester, das ein Gefühl für die Nuancen hat,vom Dresdener oder vom Darmstädter zum Beispiel), ruft man zwanzigMal: „Wie geistreich!“ Ich habe mit meinen deutschen Freunden schon vieleDiskussionen über dieses Stück geführt; ich habe wohl erkannt, dass dieserSturm in ihren Augen nur eine unscheinbare Miniatur ist. Um ihre Verachtungbeurteilen zu können, muss man wissen, dass sie sich nur von den FreskenMichelangelos rühren lassen; sie lieben zum Beispiel den Höllenlärm amEnde des Freischütz, bei dem die teuflischen Freikugeln gegossen werden.Ein neuerlicher Beweis dafür, dass das musikalische Schönheitsideal soverschieden ist wie die Klimata.Nach dem Sturm kommt das reizende Sextett „Quest’è un nodo inviluppato“von verblüffender Originalität. Dieses Sextett kann den Rang als Meisterwerkdes Stücks dem reizenden Duett aus dem ersten Akt zwischen Ramiro undDandini durchaus streitig machen.Die große Schlussarie, die Aschenbrödel singt, ist etwas mehr als einegewöhnliche Bravourarie. Man kann feststellen, dass es nunmehr drei Opernsind, die Rossini mit einer großen Arie der Primadonna beendet: Sigilara, dieItaliana in Algeri und die Cenerentola.3637


Figaro qua ... Cenerentola va là!Figaro qua ... Cenerentola va là!Ahimè! Che furia! Che folla!Uno alla volta per carità!Figaro qua, Figaro làFigaro su, Figaro giù,Pronto prontossimo son come il fulmine!Oh weh! Was für eine Raserei, was für eine Menge!Ich bitte euch: eins nach dem anderem!Figaro hier, Figaro da,Figaro hinauf, Figaro herunterschnell wie der Blitz!Il barbiere di Siviglia, 1. Akt, 2. SzeneCenerentola vien qua, Cenerentola va làCenerentola va su, Cenerentola vien giù.Questo è proprio uno strapazzo!Mi volete far crepar?Aschenbrödel, hier, Aschenbrödel, daAschenbrödel, hinauf, Aschenbrödel, herunter.Das ist nicht mehr auszuhalten!Wollt ihr mich umbringen?La cenerentola, 1. Akt, 1. SzeneKostümfigurine (Angelina) von Marianne Glittenberg3839


Der kompositorische Großonkel der Cenerentola | Martin HaagCimarosa, der kompositorische GroSSonkelder Cenerentola?Premierenbesetzung 2013, Alessandro Corbelli als Don Magnifico und Vito Priante alsDandiniWohl selten erwies ein so erfolgreicher Komponist einem längst verstorbenenKollegen eine so selbstvergessene Reverenz: Befragt, welche seiner (nahezuvierzig) Opern er für die bedeutendste und künstlerisch gelungenste halte,replizierte Gioachino Rossini einst ebenso lapidar wie aphoristisch vielsagend:Il matrimonio segreto. Mit diesem frappanten Bonmot bezog sich Rossini –international bejubelter Autor des Barbiere di Siviglia und der Cenerentola– auf das bis heute bekannteste der zahlreichen Meisterwerke seines nahezuein halbes Jahrhundert älteren Landsmannes Domenico Cimarosa: Auf dessen1792 uraufgeführte <strong>Wiener</strong> Erfolgsoper Die heimliche Ehe (Il matrimoniosegreto). In einer Art von musikphilosophischem „Hintergrundgespräch“ mitdem Komponisten und profilierten Publizisten Ferdinand Hiller pries Rossiniden genialen Mozart-Zeitgenossen Cimarosa als den herausragendstenMusiker des italienischen Settecento und als einen universal gebildetenGeist. Zeitleben, so belegen verschiedene Quellenzeugnisse, erschienRossini – dem damals sowohl in der Alten, wie in der Neuen Welt alsführender Repräsentant italienischer Musikkultur anerkannten „Schwanvon Pesaro“ – das staunenswert vielseitige und facettenreiche Œuvre desgroßen Spätneapolitaners Cimarosa als ästhetischer Kulminationspunkteines spezifisch mediterranen Musiktheaters. Voll Bewunderung verwiesRossini zum Beispiel auf das feingliedrige Quintett am Ende des ersten Aktesvon Cimarosas dramma giocoso Le trame deluse. Die turbulente Strettadieses Ensembles wurde für Rossini, seiner Aussage nach, besonders beider Niederschrift seines berühmten Sextetts in der Scena penultima deszweiten Aktes seiner Cenerentola zu einer Inspirationsquelle. Doch auchdie kontrastreiche Introduktion des ersten Aktes der Cenerentola lässtdie musikalische Kontinuitätslinie zwischen Cimarosa und Rossini deutlicherkennen. Da ist zum einen die großformale Gliederung dieser tableauhaftenEröffnungsszene: Rossini gestaltete sie als sechsteiliges Ensemble mitstetig wechselnden Tempi, Tonarten und Klangfarben bei kontinuierlichanwachsender Personenzahl. Das gleiche, künstlerische Verfahren verwandte4041


Der kompositorische Großonkel der Cenerentola | Martin HaagDer kompositorische Großonkel der Cenerentola | Martin Haagauch Domenico Cimarosa in den weiträumig disponierten Introduktionsszenenvieler seiner Opern bereits seiner frühesten Schaffensperiode.Kontrastreich und in mitreißender Steigerung verlaufende, vielgliedrig„durchkomponierte“ Eröffnungsensembles enthalten zum Beispiel schonCimarosas L’italiana in Londra und La bella Greca.Auf das Vorbild der reifen Opere serie Cimarosas verweist hingegen dieexponierte Rolle des Männerchores in der Einleitungsszene von Rossinis Lacenerentola. Im fünften Abschnitt (bzw. im dritten Auftritt) dieser Introduktionbricht der Chor der mit Don Ramiro ausgeschwärmten „Kavaliere“, für denZuschauer völlig unerwartet, jäh in das sozusagen symmetrisch zweigeteilteEnsemble der Solisten (Tisbe, Clorinda – Cenerentola, Alidoro) lärmendein. Dies überraschende Erscheinen des Chores verleiht dem fabulösen,in einer Art von protoromantischer Märchenatmosphäre angesiedeltenBühnengeschehen eine unvorhergesehene und folgenreiche Wendung.Ähnlich überraschend und handlungsprägend greift der Chor auch im erstenAkt („Se alla patria ognor donai“) von Cimarosas tragedia per musica GliOrazi e i Curiazi sowie im Finale des zweiten Aktes von Cimarosas zweiter,Fragment gebliebener Artemisia folgenschwer und unerwartet in diekomplexe, szenische Aktion ein.Auch die Auftrittsarie des Don Magnifico „Miei rampolli femminini“ inRossinis Cenerentola knüpft kreativ wohl an ein tradiertes, kompositorischesModell bei Cimarosa an. Es handelt sich um das Duett im ersten Akt vonCimarosas Commedia buffa I due baroni di Roccazzurra, in dem sich diebeiden bizarren Titelhelden Don Demofonte und Don Totaro in absurdenZukunftsvisionen überbieten. In ihrem buffonesken Zwiegesang („La vedoun bel duchino / un conte, un baroncello“) schwelgen die zwei reichlichdekrepiten, süditalienischen Provinzaristokraten Demofonte und Totaro ingrotesker Vorfreude auf ihre imaginierte, künftige adelige Nachkommenschaft.Das (in der Fantasie der beiden dekadenten Feudalherren) gewissermaßen„exponentielle“ Anwachsen dieser ihrer erhofften, aristokratischenDeszendenz wird im Schlussabschnitt des erwähnten Duetts mit ähnlichcrescendierender, ridiküler Emphase beschworen und klangmalerischillustriert, wie in der pathetischen Stretta („Fertilissima regina“) derparodistischen Auftrittsarie des Don Magnifico in Rossinis Cenerentola.Die Analogie beider Nummern, der ihnen gemeinsame, ironische Impetusder „Adelssatire“, ist offensichtlich. Und auch die (selbst von stilhistorischversierten Musikfreunden wohl zu allererst als Rossini-typisch empfundene)musikalisch kleinteilige Silbenzerlegung und rasante Sechzehnteldeklamationder Schlusssektion des Duettino „Un segreto d’importanza“ zwischenMagnifico und Dandini im zweiten Akt von Cenerentola, besitzt zahlreiche,formale Entsprechungen im Buffa-Schaffen Cimarosas. So belegt undverdeutlicht der vergleichende Blick auf den musikalischen KosmosCimarosas vor allem einen, für das Verständnis des OpernkomponistenRossini zentra len Umstand: Die ästhetische Verwurzelung des „Schwanesvon Pesaro“ in der, heute kaum mehr präsenten, Operntradition deskünstlerisch so fruchtbaren, italienischen Settecento.Nicht minder evident erscheint freilich die personalstilistische Differenz dermusikalischen Faktur der (jeweils Italianità in Reinkultur verkörpernden)Belcantokomponisten Cimarosa und Rossini. Cimarosas Musik klingt graziös,schwerelos, unaufdringlich-elegant, ist nuancenreich doch niemals grellinstrumentiert. Rossini hingegen scheut, im Interesse der dramatischenSchlagkraft und Bühnenwirksamkeit seiner Opernpartituren, auch vor gewolltplakativen Klangeffekten nicht zurück und beschränkt sich auf artifiziellfragmentierte, melodische Gebilde zumal dort, wo diese zur Charakteristikder Handlungskonstellation und der Akteure besonders geeignet erscheinen– etwa die dramatisch zündende Stretta der Kavatine des Ramiro im zweitenAkt der Cenerentola.Insgesamt aber hebt sich Rossini von seinem großen Vorgänger Cimarosadurch den ganz anders gearteten Grundcharakter seiner Musik ab, in der nichtselten – wenn auch in verbindlicherer, geglätteter Form und nur wie ein fernesEcho – Einflüsse der französischen Revolutionsmusik und ihres viel glossiertenélan terrible zu vernehmen sind (die latente Bedrohlichkeit so manchertypischer Rossini-Crescendi gewinnt ihre volle Bedeutung erst in diesem nichtallein musikgeschichtlichen, sondern vor allem auch mentalitätshistorischen4243


Der kompositorische Großonkel der Cenerentola | Martin HaagKontext.) Zugleich reflektiert der scheinbare, formalistische Leerlauf zentralerPassagen in Rossinis Opernpartituren – vom Musikhistoriker und Rossini-Experten Stefan Kunze treffend als „Ironie des Klassizismus“ gedeutet – inästhetisierender Verfremdung die Lebenswirklichkeit des heraufziehendenIndustriezeitalters. Die quasi-industrielle Produktionsweise des KomponistenRossini – so der Librettoforscher Albert Gier – erweist sich damit als eine„musikalische Vorwegnahme der industriellen Revolution“. Es war wohldiese frappante Modernität der kompositorischen Faktur des „Schwanesvon Pesaro“, die im Jahre 1817 den britischen Schriftsteller und Theater-Habitué Thomas Love Peacock zu dem leicht verstörten, doch in der Sachebis heute gültigen Kommentar veranlasste: Rossinis Musik stürze und breche„in die Bühne ein wie ein reißender Gebirgsbach“. Ambiguität, Vitalität undUnwiderstehlichkeit der musikalischen Diktion prägen auch die Partitur derCenerentola – dieser nur scheinbaren, in einer eher prekären Märchenweltangesiedelten Restaurationsidylle – die stilgeschichtlich tief in der großenTradition des italienischen Settecento wurzelt und dennoch das Kommen desRisorgimento unüberhörbar und wirkmächtig präludiert.Premierenbesetzung 2013, Ildebrando D’Arcangelo als Alidoro4445


Gesangspartien in La cenerentola | Erich SeitterGesangspartien in La cenerentola | Erich SeitterGesangspartien in La cenerentolaBereits elf Monate nach der Uraufführung vom Barbiere di Siviglia kam dieCenerentola heraus, und man kann aus musikalischer Sicht sagen, dass Rossinisein Erfolgsmodell – wohl auch durch den Einfluss der Theaterdirektion, dieeinen weiteren Kassenschlager wollte – weiterentwickelte. So sind die einzelnenGesangspartien in der Cenerentola noch kunstvoller ausgestaltet, nochbrillanter und virtuoser angelegt, mit noch mehr Verzierungen. Auch die Mischungaus Buffonesk und Märchenhaft-Gefühlvoll ist perfekt und kam demZeitgeschmack sehr entgegen. Für die Gesangspartien bedeutet das, dass siealle in ihrem ironischen Ausdruck gesteigert, in ihrer Bravour auf die Spitzegetrieben wurden – bis an die Grenze des Manierierten; gleichzeitig sind siestimmtechnisch enorm anspruchsvoll. Formal sind viele Arien zweiteilig: einromantisch beziehungsweise elegischer Abschnitt auf der einen Seite, dannglänzende Koloratur-Kaskaden, teils vom Chor eingerahmt. Aus diesem, fürdie Bravourarie benötigten Gesangsstil, entwickelte sich ein besonderer Sängertyp,oder genauer: ein Stimmtypus: die Voce Rossiniana.Für Don Ramiro wird ein sehr hoher, flexibler, geschmeidiger Tenor benötigt,der einen hellen Klang bieten kann und neben den Legatophrasen auch denAnforderungen der Koloratur gewachsen ist. Diese Partie ist übrigens technischanspruchsvoller als der Conte d’Almaviva im Barbier. Der Dandini sollte voneinem jungen, lyrischen Bariton besetzt werden, der die komödiantischeDoppelbödigkeit – Diener/verkleideter Prinz – mit flexibler Stimme glaubhaftmachen muss. Vergleichbar wäre hier zum Beispiel der Guglielmo aus MozartsCosì fan tutte; gerne erinnere ich mich an den jungen Walter Berry, der diePartie an der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> in der Premierenproduktion aus 1959 sang.Ideal als Don Magnifico ist ein reifer Charakter-Bassbariton, der diese opportunistischeVaterfigur stimmlich in komödiantischer Weise umsetzten kann:der Erzkomödiant Giuseppe Taddei war zum Beispiel eine Idealbesetzung.Um die erste „böse Schwester“, Clorinda, stimmlich glaubhaft zu gestalten,kann der junge, hohe, wendige Sopran durchaus eine gewisse „Schärfe“ vertragen– diese unterstreicht den hysterischen, etwas überzeichneten Charakterder Bühnenfigur. Für Tisbe, die zweite Schwester, gilt dasselbe, nur eben imMezzo-Bereich.Die Angelina ist eine echte Rossini-Paradepartie: der Komponist dachte beimArbeiten sicherlich wieder an Geltrude Righetti-Giorgi, die Rosina-Interpretinder Barbiere-Uraufführung, eine Contra-Altistin. Nur ist die Angelina im Stimmumfangviel umfangreicher – sie muss mehr Tiefe haben und gleichzeitig istdie Partie auch koloraturenlastiger –, daher kann diese Rolle nur von einemMezzosopran gesungen werden. Weitere „Anforderungen“ sind eine Durchschlagskraft,eine charismatische Persönlichkeit und vor allem eine brillanteKoloraturentechnik. Eine Primadonnen-Partie also: Früher von Teresa Berganzabis Marilyn Horne gesungen.Zuletzt noch Alidoro: Der Bassbariton sollte über ein samtenes Timbre verfügen,um den weisen, philosophischen Charakter dieser Figur – er führt javerkleidet Angelina durch das Stück – stimmlich glaubhaft zu machen undrückt damit auch ein wenig in die Nähe des Sprechers in der Zauberflöte.4647


Die wichtigsten Sänger der Cenerentola-UraufführungDie wichtigsten Sänger der Cenerentola-UraufführungDie wichtigsten Sänger der Cenerentola-UraufführungDie 1793 in Bologna geborene Altistin Geltrude Righetti-Giorgi (gestorben1862) studierte in ihrer Heimatstadt und trat 1814 erstmals als Sängerin an dieÖffentlichkeit. Nur wenig später gab sie – auf ausdrücklichen Wunsch Rossinis– die Rosina in der Uraufführung des Barbiere di Siviglia. Bereits ein knappesJahr darauf war sie als Cenerentola in der Uraufführung von Rossinis gleichnamigerOper zu erleben. Obwohl sie ihre Karriere schon mit 29 beendete,hatte sich die für ihre Koloraturen bewunderte Geltrude Righetti-Giorgi alsoallein mit diesen beiden Rollenkreationen einen sicheren Platz in der MusikbeziehungsweiseInterpretationsgeschichte gesichert. Nicht unerheblich sindauch ihre schriftlichen Erinnerungen, die den Anekdotenschatz rund umRossini um einige interessante Aspekte erweitern.in der Uraufführung von Donizettis Enrico di Borgogna. Andrea Verni starbim August 1822 in Parma.Der Bass Giuseppe de Begnis, der Uraufführungssänger des Dandini inRossinis La cenerentola, wurde 1793 in Lugo geboren und debütierte 1813 inStefano Pavesis Ser Marcantonio in Modena. Sehr bald entwickelte er sich zueinem der führenden italienischen Sänger des Bufforepertoires – so sang erunter anderem zahlreiche Partien in Werken von Rossini. Seine Karriere führteGiuseppe de Begnis auch mehrfach an das Londoner King’s Theatre, wo erbeispielsweise in der Londoner Erstaufführung von Rossinis Mathilde di Shabranzu erleben war. Im August 1849 starb er in New York.Der Tenor Giacomo Guglielmi, Sohn des bedeutenden italienischen KomponistenPietro Alessandro Guglielmi, wurde 1782 in Massa geboren undstudierte bei Ferdinando Mazzanti und Piccinnis Neffen. Nach seinem Debütam Teatro Argentina in Rom war er vor allem in komischen Opern in Parma,Neapel, Florenz, Bologna und Venedig zu erleben. Außerdem sang er auch inAmsterdam und Paris, wo er insgesamt zwei Jahre verbrachte. 1812 kehrte ernach Italien zurück, um mit Hauptrollen Erfolge zu feiern. Einen der wichtigstenAuftritte absolvierte er mit dem Ramiro in der Uraufführung von RossinisLa cenerentola. Insgesamt wurde seine an sich nicht sehr kraftvolle Stimmefür das schöne Timbre gelobt und sein Gesang für den geschmackvollen Vortrag.Nach 1820 dürfte er bald gestorben sein.Zenobio Vitarelli wurde 1780 geboren und war zunächst Bassist in der SixtinischenKapelle in Rom, wandte sich dann jedoch der Bühne zu und wirktevor allem an Theatern in Rom, trat aber auch frühzeitig an der Mailänder Scalaauf. In der ebenso denkwürdigen wie unglücklich verlaufenden Uraufführungvon Rossinis Barbiere di Siviglia sang er den Don Basilio, wobei er sich anjenem Uraufführungsabend auf der Bühne verletzte, sodass er mit blutenderNase seine Arie „La calunnia“ vortragen musste. Am 25. Jänner 1817 sang er inder Uraufführung von Rossinis La cenerentola den Alidoro. Interessant ist diemehrfach auftauchende Bemerkung, man habe den Sänger Zenobio Vitarellifür einen mit „dem bösen Blick“ ausgezeichneten Menschen gehalten.Andrea Verni wurde 1765 in Rom geboren und gab sein Operndebüt um1790 herum. Von 1800-1816 sang er an der Mailänder Scala, wo er 1814 denDon Magnifico in Pavesis Aschenbrödel-Oper Agatina sang. Ebenfalls den DonMagnifico verkörperte er in der Uraufführung von Gioachino Rossinis La cenerentolaam 25. Jänner 1817 in Rom. Andrea Verni war übrigens nicht dereinzige Sänger seiner Familie – so gab sein Cousin Pietro Verni den Gilberto4849


La cenerentola in Wien | Michael JahnLa Cenerentola in WienKostümfigurine (Angelina) von Girolamo Franceschini, Kärntnertortheater, 1854Viele Opernbesucher haben vermutlich von dem berühmten „Rossini-Taumel“ des Jahres 1822 gehört, den der Komponist auslöste, als er im<strong>Wiener</strong> Kärntnertortheater mit einer Truppe italienischer Sänger (u. a. seinerihm auf der Reise nach Wien angetrauten Gattin, der Primadonna IsabellaColbran) mehrere seiner Opern unter tosendem Applaus aufführte. Wenigerbekannt ist, dass sich Wien eigentlich bereits seit 1816 in einem veritablen„Rossini-Taumel“ befand. Sozusagen zum „Aufwärmen“ lernten die <strong>Wiener</strong>Musikfreunde im November 1816 im Kärntnertortheater (dem damaligenSpielort der Hofoper) die Farsa L’inganno felice kennen – eine Aufführung,die zwar nicht für Ablehnung, aber auch nicht für überbordende Begeisterungsorgte. Ein Monat später jedoch war der Name Rossinis in aller Munde: Dieangeblich mit einer in Wien bis dahin in dieser Qualität nicht gehörtenherrlichen Altstimme gesegnete Gentile Borgondio trat in der Titelpartie desTancredi vor das Publikum und schmetterte die „Cavatina Di tanti palpiti“ inden Zuschauerraum. Von nun an gab es kein Halten mehr; die „Tanti palpiti“wurden an allen Ecken Wiens geträllert, in den verschiedensten Besetzungen inDruck und dadurch unter das musikbegeisterte Volk gebracht; die Borgondiomusste ein Jahr in Wien verweilen und hier u. a. in den Erstaufführungenvon L’italiana in Algeri und Ciro in Babilonia mitwirken. In den Theaternin der Leopoldstadt und in der Josefstadt folgten naturgemäß erfolgreicheParodien des Tancredi (mit Musik von Wenzel Müller bzw. Ferdinand Kauer)und nach der Abreise der Borgondio wurde das Werk in deutscher Spracheam Kärntnertortheater einstudiert (mit der kaum weniger erfolgreichenKatharina Waldmüller in der Titelrolle).Es folgte eine Zeit der deutschsprachigen Rossini-Erstaufführungen in Wien –entweder im Kärntnertortheater oder in dem zu jener Zeit in Personalunionmit diesem geführten Theater an der Wien, das jedoch nie zur Hofbühneerhoben wurde: Elisabeth, Königin von England, Otello, Die diebische Elster,Der Barbier von Sevilla, Richard und Zoraide und Der Türke in Italien – alldiese Opern waren in Wien bekannt, als am 29. August 1820 die Premieredes Aschenbrödel im Theater an der Wien stattfand. Allerdings war auchdieses Werk den <strong>Wiener</strong>n nicht mehr gänzlich fremd: Als am 7. März 1820 der5051


La cenerentola in Wien | Michael JahnLa cenerentola in Wien | Michael JahnTürke in Italien im Theater an der Wien zum ersten Male aufgeführt wordenwar, wollte man dem Publikum nicht die originale Ouvertüre dieses Werkeszumuten, da die <strong>Wiener</strong> jene Teile dieser Nummer bereits kannten, die Rossiniin der Sinfonia zu Otello wiederverwendet hatte – somit entschieden sichdie Verantwortlichen, dem Türken in Italien die Ouvertüre zur Cenerentolavoranzustellen. Dieses Stück hatten die <strong>Wiener</strong> Musikenthusiasten allerdingsbereits zuvor unter dem originalen Titel in „Musikalischen Akademien“ imKärntnertortheater hören können, ebenso wie die finale Arie der Titelrolle –dass ein Teil dieser Szene eigentlich aus dem Barbiere di Siviglia stammte,war in Wien übrigens unbekannt, da die Arie des Almaviva im 2. Akt nichtBestandteil der damaligen <strong>Wiener</strong> Aufführungen des Barbiers war.Die Mitwirkenden an der Cenerentola-Erstaufführung am 29. August 1820zählten zu den Stützen des damaligen <strong>Wiener</strong> Opernensembles, das sowohlim Kärntnertortheater als auch im Theater an der Wien auftrat. Der TenorFranz Jäger (1796-1852), der Interpret des Don Ramiro, war ein gebürtiger<strong>Wiener</strong>, von dem Mozart-Schüler Joseph Weigl für die Bühne entdecktworden und hatte 1818 am Theater an der Wien debütiert. Er wurde vor allemals Rossini-Tenor geschätzt, aber auch Partien wie Max in Webers Freischützund Tamino in Mozarts Zauberflöte zählten zu seinen Lieblingsrollen. Von1824 bis 1828 gehörte er dem Ensemble des Königstädtischen Theatersin Berlin an, von 1828 bis 1836 jenem des Hoftheaters Stuttgart. Den DonMagnifico sang Joseph Seipelt (1787-1847), der zunächst als Chorist andas Theater an der Wien engagiert und von Antonio Salieri zum Solistenausgebildet worden war. Seipelt trat an der <strong>Wiener</strong> Hofoper in zahlreichenRossini-Opern auf (u. a. als Bartolo im Barbier von Sevilla und Mustafà inder Italienerin in Algier), er war aber auch als Sarastro, Pizarro, Kaspar undKomtur sowie in der Uraufführung von Webers Euryanthe (1823, als KönigLudwig) zu hören. Joseph Spitzeder (1796-1832), der Interpret des Alidoro,stammte aus Kassel und wurde zunächst als Schauspieler, dann aber vonJoseph Weigl im Gesang ausgebildet. Bis 1824 war der Künstler in Wien inPartien wie Papageno, Leporello oder Thaddäus (Taddeo) in der Italienerinin Algier zu hören. Dann ging Spitzeder nach Berlin, später nach München,wo die erfolgreiche Karriere durch seinen frühen Tod beendet wurde. Innoch jüngeren Jahren starb seine erste Gattin, Henriette Spitzeder-Schüler(1800-1828), Wiens erste Clorinde (Clorinda) in der Cenerentola. Die ausDessau stammende Künstlerin hatte 1814 in Nürnberg debütiert, 1816 JosephSpitzeder geheiratet und 1819 erstmals in Wien gesungen. Hier trat sie u. a.als Königin der Nacht und innerhalb von nur fünf Jahren in allen drei Frauen-Partien in Mozarts Don Giovanni auf – wohl ein einmaliger Fall in der <strong>Wiener</strong>Operngeschichte. 1824 folgte sie ihrem Gatten nach Berlin. Ihre Bühnen-Schwester in der Cenerentola als Tisbe war Marianne Kainz (1800-1866),eine gebürtige Innsbruckerin, die 1817 in Prag Schülerin von Carl Maria vonWeber gewesen war und über Wien (wo sie insbesondere als Ninetta in derDiebischen Elster einen großen persönlichen Erfolg feierte) nach Italienging. Später reifte sie in Deutschland zu einer großen Primadonna, die mitder berühmten Henriette Sontag verglichen wurde. Der Bariton Joseph CarlSchütz (1794-1840), Wiens erster Dandini, war zunächst als Schauspieler tätig(u. a. auch am <strong>Wiener</strong> Burgtheater), danach als Sänger am Theater an derWien und am Kärntnertortheater.Mit seiner Gattin Amalie Schütz-Oldosi ging der Künstler nach Italien, wo eru. a. Direktor des Teatro Carcano in Mailand wurde. Diese Amalie Schütz (1804-1852, eine gebürtige <strong>Wiener</strong>in namens Holdhaus) war von ihrer berühmtenKollegin Antonia Campi entdeckt worden. Sie feierte als blutjunge Künstlerinin unserer Aschenbrödel-Erstaufführung ihr Bühnendebüt und wurde einJahr später Ensemblemitglied der Hofoper. Sie trat bis 1823 in zahlreichenRossini-Opern auf (u. a. La Donna del lago, L’italiana in Algeri, Tancredi).In Italien zu einer gefeierten Primadonna gereift, die sowohl an der MailänderScala als auch am Teatro San Carlo in Neapel auftrat, kehrte die Schütz-Oldosi1835 nach Wien zurück und begeisterte das Publikum in Bellinis Norma undSonnambula sowie in Donizettis Anna Bolena.Die Schütz entzückte die <strong>Wiener</strong> allerdings bereits im Jahre 1820 alsAschenbrödel durch ihre helle, volle Altstimme, gepaart mit einer ruhigen,durchdachten Darstellung und einer sehr angenehmen Gestalt. Sie erhieltenthusiastischen Beifall, wie wir einer Rezension der Leipziger Allgemeinenmusikalischen Zeitung entnehmen dürfen. Jedenfalls merkten die Zuseherkeinen Augenblick, dass es sich um ein Bühnendebüt handelte, vielmehrbewunderte man die auffallende Sicherheit in Gang, Gebärde und Rede(die Rezitative wurden der damaligen Sitte gemäß in deutschsprachigen5253


La cenerentola in Wien | Michael JahnLa cenerentola in Wien | Michael JahnAufführungen in gesprochenen Dialog umgewandelt; die Bearbeitungstammte von Ferdinand Biedenfeld). Ihre Partner füllten die ihnenanvertrauten Partien ebenso erfolgreich aus, in erster Linie der heftigakklamierte Tenor Franz Jäger, wie Der Sammler berichtete. Die unterder musikalischen Leitung von Ignaz von Seyfried (1776-1841) stehendeAufführung wurde allgemein mit Wohlwollen aufgenommen, die Reprisenwaren gut besucht, und als herausragende Nummern des Werkes wurdenin der <strong>Wiener</strong> Allgemeinen musikalischen Zeitung gepriesen: Der Schlussder Introduktion, die Romanze der Cenerentola, das Duett zwischen ihr undRamiro, das Quintett „Signor, una parola“, mehrere nicht näher bezeichneteEnsembles im ersten Finale, die Soloszenen des Don Magnifico, das Duettzwischen Magnifico und Dandini, Partien aus dem Sextett „Siete voi?“ sowienatürlich die Final-Arie der Primadonna. – Überragend war der Erfolg desWerkes dennoch nicht, gab es am Theater an der Wien doch übermächtigeKonkurrenz durch ein anderes Aschenbrödel, nämlich die FeenoperCendrillon des heute beinahe vergessenen französischen KomponistenNicolas Isouard, die von 1811 bis 1823 nicht weniger als 107 Mal an der Wienaufgeführt wurde.Eine solche Rivalität war am Kärntnertortheater nicht zu fürchten, denn andiesem Haus wurde Isouards Werk nie aufgeführt – ganz im Gegensatz zuRossinis Cenerentola, die allerdings auch hier am 30. März 1822 zunächst indeutscher Sprache als Aschenbrödel gezeigt wurde. Der k. k. HoftheatermalerJohann Janitz sorgte für die Dekorationen, Biedenfelds Textfassung wurde ausdem Theater an der Wien übernommen. Für die musikalische Einstudierungsorgte Rossini selbst, der wenige Tage zuvor in Wien eingetroffen war undbei den Proben die Anleitung zur Aufführung der Oper gab – auf diesenUmstand wurde sogar auf dem Theaterzettel hingewiesen. Für die meistenNummern bestimmte er ein schnelleres Zeitmaß, das sich wiederum mitder schweren deutschen Sprache nicht vertrug. Rossini selbst soll jedochden <strong>Wiener</strong>n erklärt haben, dass man bei seiner Musik nicht jedes Wortverstehen musste, und allein der Effekt die Hauptsache sei – niemand wagte,ihm zu widersprechen. Im Allgemeinen gefiel die Oper dennoch wenigerals im Theater an der Wien. Die Schütz-Oldosi und Jäger wiederholten ihreausgezeichneten Leistungen als Angelina und Ramiro, Seipelt war wieder derMagnifico, Johann Michael Weinkopf der Alidoro und Anton Forti (eines derwandlungsfähigsten Ensemble-Mitglieder der <strong>Wiener</strong> Oper, das von MozartsSarastro bis Rossini Otello Bass-, Bariton- und Tenor-Partien übernahm) derDandini, dessen eher grimmiger Persönlichkeit der Buffo-Charakter dieserPartie laut überlieferter Rezensionen nicht wirklich entsprach.Rossini brachte 1822 einige der berühmtesten Sänger nach Wien: NebenIsabella Colbran u. a. die Tenoristen Giovanni David und Andrea Nozzari,die Mezzo-Sopranistin Fanny Eckerlin und den Bass-Buffo Antonio Ambrogi.Einer der führenden Künstler der italienischen Halbinsel sollte jedoch erstein Jahr später Wien beehren: Luigi Lablache, der sich in Wien als für vieleJahrzehnte wegweisender Figaro im Barbiere di Siviglia vorstellte und derin späteren Jahren u. a. den Giorgio in Bellinis Puritani und die Titelpartiein Donizettis Don Pasquale kreieren sollte. Als nun dieser große Künstler am17. Mai 1823 den Dandini in der ersten italienischen Aufführung derCenerentola am Kärntnertortheater übernahm, war der Erfolg gesichert,nicht zuletzt auch durch seine ausgezeichneten Partner: David sang den DonRamiro, Ambrogi den Don Magnifico, Adelaide Comelli-Rubini (die Gattin desgroßen Tenors) interpretierte die Titelpartie und die junge Karoline Unger(die später unter dem Namen Ungher-Sabatier hochangesehene Primadonna)übernahm die Partie der Tisbe. Bis 1828 gab es etwa 40 Aufführungen derCenerentola in italienischer Sprache, in welchen berühmte Künstler wieRubini den Don Ramiro, Antonio Tamburini den Dandini oder NicolaBassi und Lablache den Don Magnifico interpretierten. Nachdem sich derImpresario Domenico Barbaja, dem Wien diese Hochblüte des italienischenGesanges zu verdanken hatte, aus der Donaumetropole zurückgezogen hatte,kamen wieder die einheimischen Künstler in deutscher Sprache zu Wort, undsofort hatte ein Werk wie La cenerentola, das so sehr auf den Witz und denmelodischen Duktus der italienischen Sprache aufgebaut ist, weniger Erfolg– nach fünf deutschen Aufführungen im Jahre 1829 verschwand das Werkwieder aus dem Spielplan der Hofbühne.Wenn es allerdings die politischen Verhältnisse zuließen und italienischeSpielzeiten am Kärntnertortheater organisiert werden konnten (meistensvon Anfang April bis Ende Juni des jeweiligen Jahres), so war auch Rossinis5455


La cenerentola in Wien | Michael JahnLa cenerentola in Wien | Michael JahnCenerentola ein wertvoller und beliebter Bestandteil dieser Stagione und dieberühmtesten italienischen Künstler interpretierten die Hauptpartien: Sowar etwa 1837 Marietta Brambilla in der Titelrolle neben Agostino Rovere alsMagnifico und Ignazio Marini als Dandini zu erleben, 1847 wiederum sangElena Angri die Angelina und wurde von einem Musikkritiker als „eine dergrößten Sängerinnen der Gegenwart in jeder Beziehung“ bezeichnet. IhrTenorpartner musste eine eingelegte – nicht näher bezeichnete – Arie imzweiten Akt sogar wiederholen. Von 1854 bis 1859 war die Cenerentola mitimmerhin 31 Aufführungen jährlicher Bestandteil der italienischen Stagione;Adelaide Borghi-Mamo und Laura Brambilla-Marulli sangen die Angelina,Raffaele Scalese und Giovanni Zucchini den Magnifico, Camillo Everardi denDandini und Emanuele Carrion den Ramiro. 1865/1866 setzten Künstler wieDésirée Artôt (Angelina) und Luigi Fioravanti (Magnifico) einen weiterenGlanzpunkt im Reigen der großartigen Darbietungen von Rossinis Operabuffa.Die 1869 eröffnete neue, prachtvolle Hofoper am Ring war auf Grund ihrerGröße für die Wiedergabe intimerer Werke der deutschen, französischenund italienischen komischen Oper wesentlich weniger geeignet als dasalte intime Kärntnertortheater – die Diskussion um ein eigenes <strong>Wiener</strong>Opernhaus für kleinere Opern führte zum Bau der Komischen Oper (desspäter unter tragischen Umständen abgebrannten Ringtheaters) sowiedes Kaiserjubiläums-Stadttheaters (der heutigen Volksoper). Nur wenigenSängern gelang es, mit ihren Stimmen den großen Raum der Hofoper zufüllen, und dazu gehörte wohl auch Marietta Biancolini, die am 2. Mai 1881der im Rahmen einer italienischen Stagione organisierten Erstaufführungder Cenerentola im neuen Haus die Partie der Angelina sang, wie wir der<strong>Wiener</strong> Abendpost vom 3. Mai 1881 entnehmen dürfen: „Sgra. Biancolini, einewürdige Gestalt, entzückt, wenn sie den Mund aufthut. Diesem entströmteine große, volle, schöne Altstimme, die ohne Anstrengung das Haus mitWohllaut erfüllt.“ Doch auch ihre Partner, allen voran „der gewandte Buffo“Alessandro Bottero als Magnifico, „der flinke Barytonist“ Napoleone Vergerals Dandini und der „gut geschulte Tenorist“ Giacomo Piazza „erwiesen sichals wirkungsfähig“. Das unter der musikalischen Leitung von Raffaele Kuonstehende Werk wurde damals übrigens als dreiaktiges [!] Melodrammagiocoso aufgeführt und im dritten Akt durch eine Balletteinlage, einen Pasde six, verlängert.Beinahe ein halbes Jahrhundert später, am 25. Juni 1930, wurde das Werkin einer Übersetzung des Münchener Kapellmeisters Hugo Röhr unterHinzufügung der Original-Secco-Rezitative in einer Inszenierung von LotharWallerstein und unter der musikalischen Leitung von Robert Heger wiederin den Spielplan der <strong>Staatsoper</strong> aufgenommen – allerdings nicht in dasgroße Haus, sondern in den als zweite Spielstätte eingerichteten intimerenRedoutensaal. Die wieder durch ein Ballett bereicherte Aufführung wurdevon Ferdinand Scherber, dem Kritiker der <strong>Wiener</strong> Zeitung, als „oft etwas zuüberspitzt burlesk und zu schwerfällig“ geschildert. Der Regisseur Wallersteinhabe das Werk zu ernst genommen, und auch das Orchester unter Hegersei erst gegen Ende der Vorstellung der Stimmung einer komischen Opernahegekommen. Die Sänger (Kolomán von Pataky als Ramiro, Karl Hammesals Dandini und Karl Norbert als Magnifico) gaben zu viel Stimme, nurNicola Zec zeigte als Alidoro eine „gemütliche und maßvolle Buffoleistung“.Mit „technisch vorzüglicher“ Koloratur stellte Adele Kern als Angelina eine„herzige Nippesfigur“ auf die Bühne. In beinahe unveränderter Besetzung(Josef Manowarda übernahm den Alidoro) wurde das Werk am 20. Februar1932 in die <strong>Staatsoper</strong> übernommen, wo es bis November 1933 zu sehen war.An die beiden letzten Inszenierungen der Cenerentola in der <strong>Staatsoper</strong>können sich ältere Opernbesucher noch erinnern: Zunächst am 25. Oktober1959 die geglückte Einstudierung der Angelina in der deutschen Übersetzungvon Joachim Popelka und der szenischen Fassung des MeisterregisseursGünther Rennert, der allerdings auf einer immer gleichbleibendenBesetzung bestand. In allen 21 Aufführungen dieser Inszenierung bis Jänner1965 sangen daher Christa Ludwig die Angelina, Emmy Loose und DagmarHermann Clorinde und Tisbe, Waldemar Kmentt den Ramiro, Walter Berryden Dandini, Karl Dönch den Magnifico und Ludwig Welter den Alidoro.Einzig die musikalische Leitung wechselte von dem Dirigenten der Premiere,Alberto Erede, zu Peter Ronnefeld, Wilhelm Loibner und Heinrich Bender.Am 22. Oktober 1981 folgte dann wieder eine italienische Cenerentola unter5657


La cenerentola in Wien | Michael Jahnder musikalischen Leitung von Roberto Abbado mit Agnes Baltsa als Angelina,Renate Holm und Gertrude Jahn als deren böse Stiefschwestern, FranciscoAraiza als Ramiro, Enzo Dara als Dandini, Giuseppe Taddei als Magnificound Rudolf Mazzola als Alidoro. In den insgesamt 23 Aufführungen derInszenierung von Giancarlo Menotti traten bis Mai 1984 u. a. Lucia Valentini-Terrani als Angelina, John Aler als Ramiro sowie Rolando Panerai und AlbertoRinaldi als Dandini auf.Die Rennert-Inszenierung des Jahres 1959 wurde 1968 an die Volksoperübernommen (unter der musikalischen Leitung von Argeo Quadri), und1997 (unter Gabriele Ferro) fand in diesem Theater die bisher letzteNeuinszenierung von Rossinis geistreicher Opera buffa in Wien statt. DieInszenierung von Achim Freyer stand noch kurze Zeit vor der Premiere deraktuellen Produktion der <strong>Staatsoper</strong> auf dem Spielplan der Volksoper. An derHof- bzw. <strong>Staatsoper</strong> hingegen wurden im 20. Jahrhundert weitere Fassungendes Aschenbrödel-Stoffes gezeigt, und zwar die Ballette Aschenbrödel vonJohann Strauss in der musikalischen Einrichtung von Josef Bayer (1908-1919)und Cinderella von Sergej Prokofjew (1970/1971).Premierenbesetzung 2013, Alessandro Corbelli als Don Magnifico5859


Die Cenerentola-Interpreten vor der aktuellen Produktiondie Cenerentola-Interpreten der <strong>Wiener</strong><strong>Staatsoper</strong> vor der aktuellen NeuproduktionDirigent: Roberto Abbado, Carl Alwin, Heinrich Bender, Alberto Erede, RobertHeger, Raffaele Kuon, Wilhelm Loibner, Peter Ronnefeld, Alberto ZeddaDon Ramiro: John Aler, Francisco Araiza, Waldemar Kmentt, Fritz Krauss,Kolomán von Pataky, Giacomo Piazza, Yoshihisa YamajiDandini: Walter Berry, Enzo Dara, Hans Duhan, Karl Hammes, Rolando Panerai,Alberto Rinaldi, Napoleone Verger, Paul WolfrumDon Magnifico: Alessandro Bottero, Karl Dönch, Karl Norbert, Alfred Šramek,Giuseppe TaddeiClorinda: Giulia Cesario, Graciela de Gyldenfeldt, Luise Helletsgruber, RenateHolm, Emmy Loose, Aenne Michalsky, Marjorie VanceTisbe: Dagmar Hermann, Margareta Hintermeier, Gertrude Jahn, Luise Kaulich,Dora WithAngelina: Agnes Baltsa, Marietta Biancolini, Fritzi Jokl, Adele Kern, ChristaLudwig, Lucia Valentini-Terrani, Rohangiz YachmiAlidoro: Josef Manowarda, Rudolf Mazzola, Luigi Medini, Ludwig Welter, NicolaZecBühnenbildskizze von Alfred Roller für die Cenerentola der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>, 19306061


Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>


Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>


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Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>Wichtige Cenerentola-Besetzungen der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>


Wir hatten eine enorme Freude | Christa LudwigWir hatten eine enorme Freude | Christa LudwigWir hatten eine enorme FreudeLa cenerentola – das Aschenbrödel – warum nennen wir sie nie bei ihremrichtigen Namen? Angelina! So wurde dieses entzückende Rossini-Märchenin früheren Zeiten hier an der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> auch benannt. Es war 1959als das Team Ita Maximowna (Bühnenbild und Kostüme), Günther Rennert(Regie) und der italienische Dirigent Alberto Erede mit geistreicher Brillanzdieser Oper Gesicht gaben. In deutscher Sprache! Damals gab es ja nochnicht die Übersetzungsmonitore, und das Publikum konnte den gesungenenText verstehen.Es war ein gekonntes Arrangement dieser Oper, zum Beispiel mit einemeingeschobenen Ballett, das ein Spiegelbild der Handlung war; oder derPantomime eines Gewitters – natürlich alles mit Musik von Rossini. DieAufführung – Bühnenbild, Kostüme, Regie – war leicht, witzig, komödiantisch,so wie die Musik. Oder, wie eine Kritik schrieb, „eine schillernde Seifenblase“– eben ein Märchen.Mit Walter Berry (Dandini), Waldemar Kmentt (Don Ramiro) und mich alsAngelina war „das junge Ensemble“ der <strong>Staatsoper</strong> auf der Bühne – und wirhatten eine enorme Freude an dem Ganzen. Die Inszenierung von Rennert warminutiös ausgearbeitet – jeder Schritt eine Bedeutung, fast eine tänzerischeChoreographie. Er hatte auch die Idee eine Brücke rechts und links überdas Orchester zu bauen, und so hatten wir auch noch mehr darstellerischeMöglichkeiten. Ich erlaubte mir diesbezüglich noch einen Spaß, indem ich(vor der Vorstellung) sehr viel Puder auf einen Vorbau der Proszeniumslogelegte. Als armes Aschenbrödel musste ich ja unentwegt arbeiten: Die Bühnefegen, sauber machen, Körbe tragen etc. So hatte ich auch abzustauben undwirbelte, bei der Proszeniumsloge angekommen, enorm viel Puderstaub auf,quasi, als ob ich den Staub der Oper wegwischte! Dem Publikum gefiel dasnatürlich, und es passte gut zu der beschwingten Leichtigkeit des Werkes.Obwohl wir keine geschulten Rossini-Sänger waren, konnten wir mit„geläufigen Gurgeln“ alle Koloraturen meistern. Wir hatten auch die Freiheit,eigene, mit Hilfe des Dirigenten Erede erarbeitete, Koloraturverzierungen zusingen.Ich war zwar durch die Rosina mit Hermann Prey (im Redoutensaal) schonetwas an Koloraturen gewöhnt und nach dramatischeren Partien sind diese jaein reiner Jungbrunnen für die Stimme, doch nachdem unser Kollege LudwigWelter, der den Philosophen Alidoro sang, starb, ich glaube es war 1965,wurde Cenerentola wieder abgesetzt. Rennert hatte die Rolle des Alidorosehr ausgebaut – heute würden wir sagen: Alidoro gab als Moderator desSpieles in verschiedenen Verkleidungen die Handlung vor – und so war esleider ganz unmöglich ihn zu ersetzen. Damit war auch meine „Karriere“ alsCenerentola zu Ende, und das war gut so. Denn damals sang ich ja schondie großen dramatischen Rollen wie Fidelio, Kundry, Baraks Frau – und dasich nicht nur meine Stimme vergrößert hatte, sondern auch meine Figur,sagte meine Mutter eines Tages zu mir: „Christa, du bist kein armes, kleinesAschenbrödel mehr. Sie dich an! Du könntest ja deine mittlerweile kleineren,bösen Stiefschwestern totschlagen!“ Ich nahm also leichten Herzens Abschied,da andere Aufgaben warteten, die mir ebenfalls am Herzen lagen.7677


Erinnerungen an Don Magnifico | Karl LöblErinnerungen an Don Magnifico | Karl LöblErinnerungen an Don MagnificoBeide hatten ihr Vergnügen. Das Publikum an jenem 22. Oktober 1981, als die(frühere) Menotti-Inszenierung von La cenerentola an der <strong>Staatsoper</strong> Premierehatte, und die Sänger auf der Bühne, vor allem Agnes Baltsa bei ihrem<strong>Wiener</strong> Rollendebüt als Angelina und Francisco Araiza, in dessen Don Ramirosich auch die Zuschauer verlieben mussten.Mir ist jedoch ein anderer Sänger unvergesslich, nämlich Giuseppe Taddei alsDon Magnifico. Weil er den Komödianten nicht spielen musste. Er war einer.Zwar hat er in Wien Scarpia und Amonasro ebenso häufig gesungen wie denDulcamara im Liebestrank (womit er sich im November 1990 von der <strong>Staatsoper</strong>verabschiedete), doch als Bösewicht, in den dramatischen Partien hatteer sich perfekt verstellt. Eher komische Rollen schienen ihm von Herzen zukommen.Bei dieser Premiere von Rossinis La cenerentola im Jahr 1981 fiel mir ein, wasmeine erste Begegnung mit Taddei gewesen war. 35 Jahre zuvor, im Mai 1946,trat in einem selbstverständlich noch deutsch gesungenen Rigoletto im Theateran der Wien ein italienischer Sänger auf, der die Titelpartie mit impulsivemBühnenpathos, mit glaubhafter Leidenschaft und kerniger, prachtvoll runderBaritonstimme interpretierte. Emmy Loose und Wenko Wenkoff waren seinePartner aus dem Hausensemble, es wurde daher, wie damals keineswegs unüblich,eine zweisprachige Aufführung, und am Schluss ahnte man schon:Dieser Giuseppe Taddei könnte, falls ihn die <strong>Staatsoper</strong>ndirektion engagiert,ein wichtiges Ensemblemitglied und ein Publikumsliebling werden.Beides ist er geworden. Taddei (geboren 1916 in Genua, gestorben 2010 inRom) hat während seiner Karriere 150 Rollen gesungen, davon 27 auch inWien. An der <strong>Staatsoper</strong> hörte man zwar niemals seinen Hans Sachs, EugenOnegin, Pizarro. Diese Partien sang The Darling of Italy (so der Titel eineramerikanischen Schallplatte) nur in seiner Heimat. Man kann sie alle auf CDnochmals erleben, ebenso Taddeis italienische Hauptpartien, viele sogar mehrfach.Dass dabei vom frühen Mozartschen Figaro bis zum späten Falstaff immerwieder Herbert von Karajan am Dirigentenpult stand, bestätigt auch nachträglichdie Qualitäten des Sängers.Eine Rolle jedoch fand ich nicht bei meinen gründlichen Recherchen in europäischenund amerikanischen Platten-Angeboten – eben jenen Don Magnifico,den er so kauzig, schrullig und mürrisch als buffoneskes Schwiegervater-Klischee porträtiert und zuletzt doch liebenswert gemacht hatte. Seltsam, dasses davon keine Aufnahme zu geben scheint.La cenerentola hat sich von Rossinis Werken nach dem Barbier am stärkstenauf den Spielplänen behauptet. Zwischen 2010 und 2013 sind weltweit 43Produktionen von La cenerentola genannt – in 37 Städten, in manchen alsogleich zwei (etwa in Wien, wo das Stück auch an der Volksoper gespielt wird).13 dieser 43 Produktionen gelten als Premieren, darunter jene der <strong>Wiener</strong><strong>Staatsoper</strong>.Wer in den internationalen Angeboten stöbert, findet La cenerentola 15 Malauf CD. Die älteste Aufnahme stammt aus dem Jahr 1950 – eine immer nochbeispielhafte Produktion der RAI Turin (Dirigent: Mario Rossi) mit einem ausgeglichenenEnsemble, das die italienische Buffo-Tradition kennt und respektiert.Eine Sängerin fiel damals besonders auf: Giulietta Simionato. Sie hat dieAngelina 13 Jahre später nochmals aufgenommen.Diese Rolle scheint auf Mezzosoprane eine magnetische Anziehungskraft zuhaben. Alle guten Sängerinnen mit der nötigen virtuosen Technik haben anGesamtaufnahmen von La cenerentola mitgewirkt. Auf CD findet man außerGiulietta Simionato auch Teresa Berganza zweimal (wobei die Produktion ausdem Jahr 1971 mit Claudio Abbado am Pult immer noch als Referenzaufnahmegelten kann). In späteren Aufnahmen singen u. a. Frederica von Stade, AgnesBaltsa, Cecilia Bartoli, Joyce DiDonato, Jennifer Larmore und Vesselina Kasarova.Auch auf DVD trifft man Cecilia Bartoli als Angelina, ebenso Joyce DiDonato(mit Juan Diego Flórez als Partner) und Federica von Stade, außerdem u. a.Ann Murray, Sonia Ganassi und Elīna Garanča. Wer unbedingt Aschenbrödelan einem modenen Elektroherd (samt Kochplatten und Backrohr) sitzendsehen möchte, der muss nach einer DVD mit der Inszenierung Daniele Abbadosgreifen (Live-Aufnahme aus Bari, 2010). Auch dieses Mädchen bleibt alsonicht verschont von dem, was so ungenau als „Regietheater“ bezeichnet wird.7879


Eine Krone und ein Herz | Oliver LángEine Krone und ein HerzMan soll nicht mehr träumen dürfen. Seit die Welt der unschuldigen Märchenin die bedrängende Enge des analytischen Blicks gekommen ist, ist dieseeinstige Domäne der kindlichen Phantasie keine mehr. Man hat beharrlich,immer und immer wieder versucht nachzuweisen, dass es mit der Naivität nichtweit her ist, dass das Märchen nicht nur ein Märchen ist, sondern viel mehr,dass sich dahinter ein weites Land der Seele verbirgt, und die Farben diesesLandes auch dunkel und bedrohlich sind. So müssen die Geschichten hinterfragt,die Symbole auf ihre doppelten Bedeutungen abgeklopft, das Gut undBöse neu bewertet werden. Und, ja, die Gefühle und Emotionsmomente sindnicht mehr einfach, sondern vielschichtig, trügerisch, verräterisch, nichts istso simpel und einleuchtend, wie es auf den ersten Blick scheint. Das Märchenals entzauberter Ort einer neuen Weltwahrnehmung. Assistierend kommt dieWissenschaft dazu. Gerade, um zum Punkt zu kommen, die menschlichenGefühle, vorzugsweise die Liebe, werden ebenso beharrlich der Untersuchungunterzogen. Was ist es? Was bedingt die Zuneigung des Ich zum Du? Was bindetden einen an den anderen? Und vor allem: Wie wird man gebunden? Beliebtist dabei die – eben märchenhafte – Liebe auf den ersten Blick, die zyklischeine Befragung auf Wahrheit und Beständigkeit über sich ergehen lassen muss.Woher kommt sie? Wohin fällt dieser erste Blick, und warum darf nicht jederdiese Erfahrung machen? Und wenn einer sie erlebt: Ist sie beständig? Ist siestark genug für die nächsten, sagen wir, 40 Jahre? Kann es etwas geben, wasder Vernunft scheinbar widerspricht, und dennoch richtig ist, weil es sich ebenrichtig anfühlt?Premierenbesetzung 2013, Valentina Nafornită als ClorindaGerade im Musiktheater, wo nach allen Klischees das Sterben lang und diehandlungsverändernden Wendungen unerwartet sind, gibt es verstärkt diesesplötzliche Moment des unbändigen Verliebens. Das hat gattungsimmanenteUrsachen, weil die Erzählzeit beschränkt ist; das hat aber auch dramaturgischeUrsachen, die im Modellcharakter der Werke liegen: Um die Größe der Gefühleplastisch und möglichst deutlich darstellen zu können, braucht es das Elementder konzisen Fokussierung; die Heftigkeit der Emotion spiegelt sich in derKürze der Liebeserkenntnis wider. Und die Schicksalhaftigkeit zeigt sich in der8081


Eine Krone und ein Herz | Oliver LángEine Krone und ein Herz | Oliver LángUnbedingtheit: Man wird als Mensch in das Spiel der Mächte geworfen undkann gar nicht anders als lieben. Es gibt das, was die moderne Wissenschaft– siehe oben – gerne verneinen würde, nämlich eine über-menschliche Ebene,die bindet und nicht nach vernunftbegründeter Erlaubnis fragt, etwas, demman sogar ausgeliefert ist.Um aber auch einer kritischen Vernunft Genüge zu tun, ein paar Hinterfragungender Märchenhandlung …Was Angelina anbelangt, stellen sich kaum weitere Fragen. Wohl platziert inihr beständig gesungenes Lied eines Königs, der sich von Stolz und Schönheitnicht blenden lässt und sich für die wahre Liebe entscheidet, kommt es zumersten Treffen mit Ramiro, dem verkleideten Prinzen, der sich auf die Suchenach einer Braut macht. Und schon, nach dem ersten Blick, stellt sie sich dieFrage: „Warum schlägt in meiner Brust mir das Herz wohl gar so laut?“ Sie weißnicht und kann nicht wissen, dass er ein Prinz ist, dass er eine Braut sucht.Vielleicht imponiert ihr sein – wahrscheinlich – sicheres und weltmännischesAuftreten, doch für all die verschlungenen Gedankengänge eines strategischenAufstiegplans bleibt keine Zeit: Sie verliebt sich in Ramiro, nicht in den Prinzen,sondern den Menschen. Und sie liebt ihn auch ohne die Erkenntnis, dass erder Notausgang aus ihrer misslichen Situation sein könnte.Seitens seines ebenso schnellen Liebesentschlusses ist die Sache ein bisschenkomplizierter. Denn er erfüllt all die Bedingungen eines jungen, reichen Mannes,der das Leben bereits kennengelernt hat, und zwar von allen Seiten. Dengoldenen Käfig, angefüllt mit Vergnügungen und Umwerbungen, hat er möglicherweiseschon satt bekommen, ebenso das ewige Scharwenzeln allerleiDienstwilliger rund um ihn. Ja, auch das Leben mit Frauen wird er schonsattsam kennengelernt haben; denn ein junger Prinz, Single, dynastisch heiratsverpflichtet,dürfte wohl durchaus von allerlei Gattin-Anwärterinnen umgebensein. Nicht ungewöhnlich, dass er all das schon ein wenig über hat undsich durchaus auch nach Abwechslung sehnt. Dass bei allem Getändel undHofschranzentum, bei all der parfümierten Luft des heimatlichen Schlossesder Wunsch nach Einfachheit und Bodenständigkeit, gleichsam als ausbalancierenderKontrast, aufkommt, ist zumindest nicht ungewöhnlich. Ein kleiner,persönlicher Zurück-zur-Natur-Ruf. Auch ihn trifft, um gattungsspezifisch zubleiben, Amors Pfeil. Und auch er verliebt sich augenblicklich. Was zieht ihnan? Cenerentolas „simplicità“. Eben: Das Gegenteil von all dem, womit er sonstumgeben ist.Die wirklich bedeutungsvolle Frage ist aber, wie sich das Verhältnis der beidennach Abklingen des ersten Hormonrausches entwickeln wird. Oder: Wie dieEhe ausgestaltet sein wird? Man darf nun freilich nicht vergessen, dass Prinznicht nur ein Titel, sondern auch ein Beruf ist. Ramiro wird herrschen müssen,und er wird sich – ohne Zweifel – auch entsprechenden gesellschaftlichenZwängen und Realitäten, eben jenen, welchen er durch seine Hinwendung zur„einfachen“ und ehrlichen Angelina zum Teil zu entkommen suchte, stellenmüssen. War das Finden von Angelina vielleicht eben auch Ausdruck der Suchenach Ehrlichkeit in einer ihn umgebenden unehrlichen Welt, so wird er dochdas Spiel bis zu einem gewissen Grad mitspielen müssen und wird dem auchentsprechen müssen, was die Staatsräson und seine Verantwortung von ihmfordern. Das Entstammen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten machtdabei die Sache womöglich nicht einfacher. Denn beide sind geprägt vonverschiedenen Modi der Lebensführung; Angelina wird immer ein bisschenCenerentola bleiben (was sie ja sympathisch und liebenswert macht!), Ramiroaber immer ein Herrscher. Man wird die Welt wohl nicht unbedingt aus dengleichen Augen betrachten.Ein Anwendungsbeispiel? Mir fällt dazu eine berührende Schlüsselstelle in ErichKästners Jugendbuch Emil und die Detektive ein, in der die aus ärmlichenVerhältnissen entstammende Titelfigur mit einem reichen Kind, genannt Professor,über das Materielle spricht:„Habt ihr viel Geld?“„Das weiß ich nicht. Wir sprechen zu Hause wenig darüber.“„Ich glaube, wenn man zu Hause wenig über Geld spricht, hat man viel vonder Sorte.“Der Professor dachte einen Moment nach und sagte: „Das ist schon möglich.“„Siehst du. Wir sprechen oft darüber, meine Mutter und ich. Wir haben ebenwenig. Und sie muss fortwährend verdienen, und trotzdem reicht es an keinerEcke.“8283


Eine Krone und ein Herz | Oliver LángEine Krone und ein Herz | Oliver LángAuf die Rossini-Oper umgelegt bedeutet das: Angelina wird, und wir nehmenan, dass sie zukünftig nicht der Putzsucht anheimfällt, tendenziell jene sein,die in der Ehe ständig über das Materielle (in allen Aspekten) reden wird, auchwenn sie inzwischen wohl mehr als genug hat. Einfach, weil sie sich von ihrerAschenbrödel-Präexistenz nicht ganz so leicht lösen kann. Das muss freilichnoch keinen wirklichen Konfliktherd darstellen, soll aber demonstrieren, dassder Standesunterschied, der ja de facto existiert, nicht so einfach zu überwindenist. Man denkt anders, wenn man aus verschiedenen Klassen kommt, unddieses Anders-Denken wird das gemeinsame Leben durchaus auch prägen.Und vor allem: Angelina wird sich in einer Umgebung wohl fühlen müssen,die mehrheitlich, wenn nicht sogar geschlossen, anders denkt. Dass das Aufeinandertreffender unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen natürlichbereits in Rossinis Zeiten durchaus ein großes Thema war, ersieht man auchaus der damaligen Kunstproduktion. Es war eben jener Stendhal, der sich literarischausführlich mit dem Komponisten Rossini auseinandersetzte, der inseinem umfangreichen Roman Rot und Schwarz in der Figur des aufsteigenden,beziehungsweise um jeden Preis aufsteigen-wollenden und ehrgeizigenJulien Sorel einen Typus entwarf: Ein von Klassenverachtung geprägter Charakter,der sich, auch in der Liebe, durchaus der Unterschiede zwischen reichund arm bewusst ist – und ihm diese arg zusetzen. Natürlich: Kein so reinerCharakter wie Angelina. Aber doch realistisch in seiner Einschätzung der Welt.Und natürlich wird es auch Ramiro nicht immer ganz leicht fallen, bei allerLiebe die Unterschiede, die sich bei Hof wohl sehr viel deutlicher zeigen werdenals in dem halbverfallenen Schloss des Don Magnifico, ins Leben zu integrieren.Denn, wenn auch sein Verkleidungsspiel Spaß gemacht hat, so bleibtletztendlich die Pflicht der Verantwortung, der er entsprechen muss, bestimmendfür sein Leben als Herrscher. Einer der ausbrach, um ihr zu entgehen,aber erkennen musste, dass man vor ihr nicht flüchten kann, ist der fiktiveOliver VII. des ungarischen Autors Antal Szerb, der im gleichnamigen Schelmenromanerkennen muss: „Mir ist klar geworden, dass der Platz, wo einKönig hingehört, eben doch der Thron ist. Die Pflicht ist kein Rosenbett. Ichhabe mein Land verlassen, weil ich mich danach sehnte, genauso zu leben wieandere Menschen. Heute weiß ich, dass dies eine unerfüllbare Sehnsucht ist.Jeder Mensch, wenn er im guten Sinne des Wortes ein Mensch ist, hat eineBerufung. Ein Fischer ist nicht dazu berufen, König zu sein. Ein Fischer würdeeinen schlechten König abgeben und ein König einen schlechten Fischer. Daswar mein Irrtum. Denn man braucht Fischer, und man braucht Könige.“ DieFrage ist also: Kann ein Aschenbrödel eine gute Königin sein? Kann das PaarAngelina-Ramiro den Ansprüchen eines Königspaares entsprechen? Ist dieBeziehung realitätstauglich? In den 50er-Jahren (in denen die aktuelle Inszenierungspielt) beantwortete der märchenhafte Audrey Hepburn-Film Ein Herzund eine Krone die Frage mit nein; und lässt die Romanze zwischen der PrinzessinAnn und dem bürgerlichen Journalisten Joe auseinanderbrechen, wasschon im Originaltitel Roman holiday vorgezeichnet ist.Für Cenerentola spricht freilich: Dass sie beim Ball durchaus auch zu überzeugenwusste, also nicht nur das Aschenbrödel in sich trägt, sondern auch diegroße Dame.Für beide spricht: Dass Märchen, trotz allem, eben Märchen sind und auchWünsche. Dass die Wissenschaft sich mitunter auch irrt und vom tatsächlichenLeben überholt wird. Dass die Liebe auf den ersten Blick manchmal doch undgerade(!) hält. Dass man unter anderem deshalb gerne in die Oper geht, weiles im Leben ja vielleicht auch einmal so sein könnte wie auf der Bühne. Dassmanchmal die Umstände weniger schwer wiegen, als man denkt.Dass schon Corneille wusste: „Die Liebe schafft Gleichheit, aber sucht sienicht.“Und dass schon Vergil dichtete: „Omnia vincit Amor”.8485


Proben für die Premiere 2013Proben für die Premiere 2013Sven-Eric Bechtolf,Alessandro Corbelli,Ildebrando D’ArcangeloTara ErraughtRolf GlittenbergDmitry KorchakMargarita Gritskova,Valentina Nafornită,Vito PrianteCecile Réstierproben La cenerentola8687


Griselda | Giovanni BoccaccioGriseldaAuszug aus dem Decamerone, 10. Tag, 10. NovellePremierenbesetzung 2013, Tara Erraught als Angelina... Schon lange hatte Herr Gualtieri Wohlgefallen an einem armen Mädchengefunden, das in einem Dorfe nahe bei seinem gewöhnlichen Aufenthaltsortwohnte, und da er sie auch schön fand, glaubte er, dass er mit ihr ein rechtzufriedenes Leben werde führen können. Ohne daher weiter zu suchen, beschlosser, diese zu ehelichen. Er ließ sich den Vater rufen und wurde mitdiesem, der ein ganz armer Mann war, einig, sie zur Frau zu nehmen ... DieHochzeit war groß und prächtig und die Festlichkeiten nicht anders, als wenner die Tochter des Königs von Frankreich heimgeführt hätte ... Sie war schönvon Antlitz und Gestalt, und so schön sie war, so anmutig, gefällig und gesittetwurde sie nun ...Dabei war sie ihrem Manne so gehorsam und so dienstbeflissen gegen ihn;gegen die Untertanen ihres Gemahls aber war sie so freundlich und wohlwollend,dass keiner darunter war, der sie nicht mehr als sich selbst geliebt undihr mit Freuden Ehrfurcht bewiesen hätte.Nicht lange war sie mit Gualtieri vermählt, als sie guter Hoffnung ward undzur gebührenden Zeit eine Tochter gebar, über welche Gualtieri die größteFreude hatte. Bald darauf verfiel er jedoch auf den seltsamen Gedanken, durchlangwierige Erfahrung und fast unerträgliche Proben ihre Geduld prüfen zuwollen. Zuerst fing er an, sie durch Worte zu kränken ...Kurze Zeit darauf schickte er einen insgeheim unterwiesenen Diener zu ihr,der mit gar betrübten Gebärden zu ihr sagte: „Madonna, wenn ich nicht sterbenwill, muss ich tun, was mein Herr mir geboten hat. Er hat mir befohlen, dieseEure Tochter zu nehmen und sie ...“ und mehr sagte er nicht. Als die Damediese Worte vernahm erriet sie, dass jenem befohlen sei, ihr Kind zu töten.Rasch nahm sie es daher aus der Wiege, küsste und segnete es, und so großauch der Schmerz war, den sie im Herzen fühlte, so legte sie dennoch, ohnedie Miene zu verändern, dem Diener das Kind in den Arm. Der Diener nahmdas Kind, und als er Herrn Gualtieri berichtete, was seine Gattin gesagt hatte,staunte dieser über ihre Standhaftigkeit und schickte den Diener mit der8889


Griselda | Giovanni BoccaccioGriselda | Giovanni BoccaccioKleinen nach Bologna zu einer Dame seiner Verwandtschaft, welche er bat, siesorgfältig zu erziehen und auszubilden. Nach einiger Zeit geschah es, dass dieFrau von neuem schwanger wurde und zur rechten Zeit ein Söhnlein gebar,was Herrn Gualtieri sehr erwünscht war ... Wenige Tage darauf sandte Gualtieriin derselben Art, wie er nach der Tochter verlangt hatte, nach dem Sohn, undauf die gleiche Weise machte er sie glauben, dass er ihn getötet habe, währender ihn, wie die Tochter, heimlich nach Bologna schickte, um ihn dort aufziehenzu lassen. Auch bei diesem Anlass verriet die Frau weder in Worten noch inGebärden mehr von ihrem Schmerz, als sie bei ihrer Tochter getan hatte,worüber Gualtieri sehr staunte und bei sich selbst beteuerte, kein anderesWeib vermöge Gleiches zu leisten.Manche Jahre waren seit der Geburt der Tochter verstrichen, als es HerrnGualtieri an der Zeit schien, die Geduld seiner Gattin einer letzten Probe zuunterwerfen. Er äußerte daher, dass er es auf keine Weise mehr ertragen könne,die Griselda zur Frau zu haben und daher beim Papst eine Dispens erwirkenwolle, um eine andere Gattin zu wählen und Griselda verlassen zu können …Als die Frau diese Worte vernahm, hielt sie nicht ohne große, die weiblicheNatur übersteigende Kraft und Anstrengung ihre Tränen zurück und erwiderte:„Mein Gebieter, ich habe immer erkannt, dass meine geringe Geburt sich zuEurem Adel in keiner Weise fügen will ... Wenn es Euch geziemend dünkt, dassdieser Leib, in dem ich von Euch erzeugte Kinder getragen habe, von jedermanngesehen werde, so will ich nackt wieder fortgehen. Doch bitte ich Euchzum Lohn für meine Jungfräulichkeit, die ich Euch zubrachte und die ich nichtmit hinweg nehme, dass es Euch gefalle, mir wenigstens ein einziges Hemdzu gönnen.“Gualtieri, dessen Kinder in Bologna sorgfältig von seiner Verwandten erzogenworden, hatte inzwischen, als die Tochter zwölf Jahre alt und das schönsteGeschöpf war, das man je gesehen hatte, der Sohn aber sechs Jahre zählte,nach Bologna geschickt und seinen Verwandten gebeten, dass es ihm gefalle,mit eben dieser Tochter und dem Söhnlein zu kommen. Ihm schien es nun,als habe er von der Geduld seiner Gattin so viele Proben gesehen, wie er nurirgend wünschte. Da er wahrnahm, dass der Wechsel der Dinge sie nicht immindesten verändere, obwohl er gewiss war, dass dies nicht aus geistiger Beschränktheitgeschehe, denn er hatte sie als äußerst klug erkannt, glaubte er,dass es nun an der Zeit sei, sie von den bitteren Gefühlen zu erlösen. Deshalbließ er sie in Gegenwart aller zu sich rufen und sprach lächelnd: „Griselda, esist endlich Zeit, dass du die Frucht deiner langen Geduld genießest. Als ichmich entschloss, eine Frau zu nehmen, hatte ich große Furcht, dass mir diesnicht gelänge, und dies war der Grund, weshalb ich, um dich zu prüfen, dichin so vielfacher Art, wie du weißt, gekränkt und verletzt habe. Weil ich aberniemals gesehen habe, dass du in Worten oder Taten dich von meinen Wünschenentfernt hättest, und weil ich überzeugt bin, dass ich durch dich dasGlück erreichen kann, das ich begehrte, so gedenke ich dir auf einmal all daswiederzugeben, was ich dir einzeln zu vielen Malen raubte, und durch diehöchsten Freuden die Wunden zu heilen, die ich dir zufügte. So empfangedenn freudigen Herzens diese und ihren Bruder als deine und meine Kinder.Sie sind dieselben, welche du und viele andere seit langen Jahren grausam vonmir ermordet wähnten, und ich bin dein Gemahl, der dich über alles liebt undglaubt, sich rühmen zu können, dass kein anderer lebt, der soviel Ursache hat,sich seiner Gattin zu freuen.“Nach diesen Worten umarmte und küsste er sie, und während sie vor Freudenweinte. Jeder andere war froh über dieses Ereignis, und Freude und Festlichkeitwährten noch mehrere Tage lang.9091


San Sogno | Sven-Eric Bechtolfsan sognoGeografische Lage und AllgemeinesDas Herzogtum San Sogno, idyllisch zwischen San Remo und Mentone gelegen,ist mit 12 Quadratkilometern Fläche und mit 568 Einwohnern derkleinste Staat Europas und zugleich auch das kleinste Herzogtum der Welt.Die gesamte Fläche des Landes liegt am Rande der Seealpen. Es hat Grenzenzu Frankreich und Italien. Die Landessprache ist Italienisch.Seine Fahne ist, um die kulturelle Verbundenheit zu seinem großen Nachbarnin Freundschaft zu dokumentieren, in den Farben Rot-Weiß-Grün gehaltenund trägt das Wappen San Sognos, den Hummer und die Sichel. Seine Nationalhymne„Mi par d’essere sognando“ wurde von dem großen Sohn desLandes, Gioachino Rossini, verfasst.San Sogno Città, mit 500 Einwohnern die Hauptstadt des Landes, ist zugleichRegierungssitz, deren Mitglieder allerdings von Mai bis September jeweilsvon San Sogno/ Villaggio aus die Regierungsgeschäfte leiten.Villaggio schmiegt sich harmonisch an die Hänge eines aktiven Vulkans, desMonte Strepito. Unweit des Dorfes errichtete die Herrscherfamilie Gramildi,unter Ramiro dem XXI. (1702-1801) ihr Lustschloss, das Castello Gioia, seitMitte des letzten Jahrhunderts beheimatet es eine erlesene Sammlung rassigerAutomobile, eine Liebhaberei des heutigen Herrschers, Ramiro desXXV., (*1930). Weitere Sehenswürdigkeiten sind der Dom in San Sogno Cittàsowie der Palazzo Montefiascone in Villaggio, der im Jahre 1961 aufwändigrestauriert wurde.Geschichte und PolitikHerzogtum San Sogno„Tutto cangia – a poco a poco“ – diese Worte Ramiro des XXII. auf dem <strong>Wiener</strong>Kongress zieren bezeichnenderweise sämtliche Amtsräume und Schul-9293


San Sogno | Sven-Eric BechtolfSan Sogno | Sven-Eric Bechtolfklassen San Sognos, ja man kann sagen, sie sind zum Ausdruck der Mentalitätund des Lebensgefühls der Sansognesen geworden. Das Land hat daherkaum Einfluss auf die Geschichte Europas genommen. Ramiro der XXIV.(1890-1960) galt allerdings als besonders autokratisch und unduldsam. Unterseiner Regierung wurde der Weinanbau in San Sogno eingestellt. Auch dasRauchen wurde in San Sogno unter Strafe gestellt. Zugleich erhöhte er dieSteuern und setzte die Verfassung des Landes außer Kraft. Zudem unterhielter eine winzige Armee, die er mit eiserner Faust persönlich befehligte.Nach seinem Tod übernahm sein Sohn, Ramiro der XXV. die Geschäfte. Erlöste die Armee auf. Als Ministerpräsidenten setzte er seinen als besondersliberal geachteten Lehrer Ali Doro ein. Ali Doro, der eine türkische Mutterund einen römischen Vater hatte, ist die Existenz des heutigen Casinos sowiedie Wiedereinführung der Bürgerrechte zu verdanken. Ramiro der XXV. istmit Angelina di Montefiascone, Stieftochter des einzigen Aristokraten desLandes, Magnifico Baron von Montefiascone (Minister für Weinanbau) glücklichverheiratet. Sie haben elf Kinder. Die Schwestern der gestrengen Landesmutter,Clorinda di Montefiascone und Tisbe di Montefiascone gehörtendem internationalen Jetset an und haben durch ihre Textil-Kreationen denRuf San Sognos als Modehauptstadt der Welt begründet. Ramiro der XXV.wurde zudem Formel-1-Weltmeister in den Jahren 1958, 1959 und 1960.Er beendete aus Rücksicht auf seine junge Familie 1961 die erfolgreicheLaufbahn im Motorsport.Wirtschaft, Einwohner und TourismusWer San Sogno bereist, wird den Eindruck gewinnen, die Zeit sei dort stehengeblieben. Insbesondere Villaggio hat seinen ursprünglichen Charme bewahrt.Noch heute lässt man in den Sommermonaten maximal sechs Badegästeeinreisen.Immer noch lebt das Herzogtum im Wesentlichen von der Landwirtschaftund dem Hummerfang, wenngleich die Einnahmen aus dem Casino dieBewohner von jeglicher Steuerpflicht befreit haben.Villaggio verfügt außerdem über einen Bürgermeister (das Amt ist in SanSogno erblich), einen Pfarrer, einen Beeerdigungsunternehmer, eine Dorfprostituierte,eine emigrierte russische Gräfin, vier Playboys, einen Golfspieler(obwohl San Sogno – noch – keinen Golfplatz besitzt, ist der Abschlagvon der Steilküste oberhalb des Mar d’Arragosta ein Geheimtipp), einenEisverkäufer und dessen Gattin, die zugleich die Strand- und Bademeisterinist. Zwei Carabinieri, einen Kellner, einen Koch, Besitzer des vielfach ausgezeichnetenund einzigen Restaurants des Ortes, einen Friseur, einen Bäcker,vier Garagisten, zwei Rennfahrer, die sich um die berühmte Automobilsammlungkümmern, vier Sekretärinnen, die Ramiro dem XXV. bei den Regierungsgeschäftenzur Hand gehen, sowie einen Gärtner und unzählige Kinder.Es ist allerdings zu bemerken, dass sich bei einer Vielzahl der weiblichenBevölkerung deutlich männliche Züge ausgeprägt haben.InstitutionenInternationalen Ruf besitzt der Chor und das Orchestra di Villaggio, das aussämtlichen Einwohnern des Dorfes besteht und Auftritte bei Festivals wieSan Remo und San Lorenzo di Mare absolviert hat.Im Jahre 2013 nimmt es unter der Leitung von Jesús López-Cobos sogar aneiner Aufführung von La cenerentola an der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> teil.Jedes Jahr findet in San Sogno die Ralley Monte Strepito statt.San Sogno verfügt über drei öffentliche Fernsprecher.Berühmte San SognesenDer San Sognesische Schlagerstar Dandini hatte 1963 mit „Come un’ape“einen Nummer-1-Hit in den italienischen Charts.Carlo Capello: Er erfand im Jahre 1905 den Strohhut.Gianni Nivea: Apotheker in San Sogno/Città, erfand 1953 die Sonnencreme.Gioachino Rossini, Komponist, wurde 1792 in San Sogno geboren.9495


San Sogno | Sven-Eric BechtolfDelikatessenDie Pasta all’astice und die Spaghetti alle vongole sind die Nationalgerichtevon San Sogno.Es gibt seit 1960 auch einen National-Longdrink, den „Dandini Speciale“,bestehend aus 13 Likörsorten, Schokoladenpudding, Weißwein, Rotwein,Petit-Fours – und einem Schuss Benzin.WährungSan Sogno ist der Lira treu geblieben.MoralDie Landesmutter Angelina Gramildi gilt als tugendstrenge Moralistin. Soverwendete sie sich persönlich gegen die Homosexuellen-Ehe. Polygamie,außereheliche Verhältnisse und Konkubinat stehen in San Sogno ebenfallsunter Strafe. Die Schulkinder in San Sogno tragen Uniform, das Kaugummikauenauf dem Schulgelände wird mit Karzer geahndet. Scheidungen sindin San Sogno nicht möglich. Make-up darf erst von Damen jenseits der 50verwendet werden. Angelina Gramildi gilt als die „blonde Eminenz“ undheimliche Regierungschefin San Sognos.Premierenbesetzung 2013, Vito Priante als Dandini9697


InterviewJesús López-Cobos | InterviewHerr M o López-Cobos, haben Sie einmal nachgezählt, wie oft sie bisher schonLa cenerentola dirigiert haben?Jesús López-Cobos: Nein, die genaue Anzahl der Aufführungen kenne ichnicht, aber es waren viele! In Paris leitete ich eine Produktion unter Rolf Liebermann– es sangen Teresa Berganza und Frederica von Stade –, die mehrfachwiederaufgenommen wurde; und in Genf eine weitere mit Jennifer Larmorein der Titelpartie. Diese ist also meine dritte Cenerentola.Lässt sich vereinfacht auf den Punkt bringen, was die Besonderheit dieserOper im Gegensatz zu anderen Rossini-Musiktheaterwerken ist?Jesús López-Cobos: Wahrscheinlich, dass es sich um eine Komödie handelt,die nicht nur lustig sein will, sondern auch einen Farbton des Humanistischeneinbringt. Es ist ja auch interessant zu sehen, dass Rossini sich bewusst nichtan der herkömmlichen Aschenbrödel-Fassung orientiert hat, sondern etwastatt der bösen Stiefmutter einen Stiefvater einbrachte, der ein verarmterAdeliger ist. Damit bekommt die Oper eine andere Richtung. Der Untertitelsagt ja: „ossia La bontà in trionfo“, also der „Triumph der Güte“. Unter demMantel der Komödie geht es um das Menschliche. Das ist natürlich auch in derMusik wiederzufinden: Rossini schrieb La cenerentola unmittelbar nach Otellound vor Armida. Also zwischen zwei tragischen Werken. Das d-Moll zum Beispiel,das den Tod des Otello kennzeichnet, kommt in der ersten Arie derCenerentola ebenfalls vor. Die Oper ist also keine reine buffa-Komödie im Stilvon Il barbiere di Siviglia, sondern geht tiefer.Wieweit greifen Sie für diese Produktion in die Partitur ein? Gibt es Striche?Jesús López-Cobos: Nein, absolut keine, mit Ausnahme eines ganz kleinen ineinem Rezitativ. La cenerentola braucht keine Änderungen, keine Striche! Daszeigt ja auch, was für ein Meisterwerk diese Oper ist!Jesús López-CobosWird die von Rossinis Komponistenkollegen Luca Agolini beigefügte Arie auchgespielt?9899


InterviewEin grundlegendes Ausdruckselement bei Rossini ist der Rhythmus. Gilt dasauch für die Cenerentola?Jesús López-Cobos: Ja, unbedingt. Rossini ist wie ein Uhrwerk, ein SchweizerUhrwerk, aber mit einem italienischen Puls. Mit anderen Worten: Präzision mitHerz. Der ganze Witz und die gesamte Spannung kommen aus dem Rhythmus,und wenn man in die Noten schaut, dann sieht man, dass der Komponist auchalles sehr genau notiert hat.Premierenbesetzung 2013, Margarita Gritskova als Tisbe102103


Das Cenerentola-Bühnenbild | Rolf Glittenbergdas cenerentola-BühnenbildRossinis La cenerentola ist für mich ein Fairy Tale, das eher etwas mit Alicein Wonderland und dem verrückten Hutmacher zu tun hat und nichtmit Grimms Märchen. Die Räume für die verarmte Welt Don Magnificossollten sich so deutlich wie möglich von dem Schloss des Prinzen Ramirounterscheiden.Deshalb sehen wir vom Hause einen sehr flachen Flur mit fünf Garderobeschränken.Dieser schäbige Flur mit den Resten einer Gemälde galerieliegt vielleicht vor dem ehemals glänzenden Ballsaal des Hauses. Alle Räumedes Anwesens sind völlig unbewohnbar geworden. Deshalb schläft derHausherr auch in einem Schlafsack in einem der Schränke, eine Art Notkücheist auch da und zauberischer Weise kommt ein Waschtisch plötzlich an Stelleder Schlafimprovisation zum Vorschein. Und das berühmte Temporale?Das Wasser fließt unerwartet in den Kästen. Der extrem flache Raum mitseinen verblichenen Farben – selbst die Sessel haben Überbezüge und damitdie Farbe verloren – ist ein starker Kontrast zur Welt des Prinzen.Ramiro hat ein Hobby: Er sammelt Oldtimer und hat seine schönen Wagenin einer Halle seines Schlosses untergebracht. Rolltore wie in Garagensind in dem Bau aus dem Ende des 19. Jahrhunderts angebracht worden,Leuchtstoffröhren beleuchten seine Sammlung.Ramiros Vater hatte früher die erste Etage als Büro für seine Amtsgeschäftebenutzt. Pompös zieren die Fahnen San Sognos und sein Bild den Arbeitsplatz.Im Gegensatz zu Magnificos bleicher Behausung hat hier ein italienischwarmerGelbton die Architektur überzogen.Premierenbesetzung 2013, Dmitry Korchak als Don RamiroDer Grundcharakter der Räume ist auf den ersten Blick realistisch, wieauch Rossinis Oper mit scheinbar realen Situationen anfängt, um dann ganzschnell in den Strudel von Verirrung, Emotionen und rasender Schnelligkeitzu gelangen. Die realistische Ebene wird ständig zugunsten der Musikverlassen, sie bietet den Anlass, um in das subtile Feuerwerk der fantastischenEnsembles zu münden. Deshalb sollte das Bühnenbild auf keinen Fall einenur realistische oder gar naturalistische Erzählweise haben. Die Räume habenetwas von Trompe-l’œil und Irritationen.104105


Die Cenerentola-Kostüme | Marianne GlittenbergDie Cenerentola-Kostüme | Marianne Glittenbergdie cenerentola-KostümeWie beginnen die Überlegungen zur „Konzeption“ einer „komischen Oper“,wenn man aufgrund der wunderbaren Heiterkeit der Musik Rossinis nicht zueiner drastischen Aktualisierung greifen möchte – obwohl die Konstellation„grausamer Vater – misshandelte Tochter“, wenn man die Cenerentola-Geschichte auf diesen Ausgangspunkt reduzieren möchte, heute in vielradikalerer Grausamkeit leicht in den Nachrichten zu finden wäre?Das Primat der Musik ist bei diesen Überlegungen von noch höherem Vorrangals bei Opern mit ernsten Libretti, da ein „Märchenstoff“ ja eigentlich kein„realer“ Stoff ist, die Figuren nicht unbedingt ausgebildete Charaktere unddie Ereignisse oft eben „wunder“-bar unwirklich sind.Im Falle der Kostümgeschichte der Oper haben sich Erzählweisen entwickelt,die, sei es durch Paraphrasierung von commedia dell’arte-Figuren oder durchÜbertreibungen, Karikierungen oder scheinbare Fantastik, in unzähligenVariationen angewandt, keinerlei speziellen Aspekt erreichen und ohne jedenInhalt oder jede Aussage in Beliebigkeit ersticken. In diesem Sinne ist eintypisches „Opernkostüm“ ein Feindbild, das ich unbedingt vermeiden wollte.Eine andere anfängliche Überlegung – in welche Zeit man die „Neuerzählung“eines Stückes ansiedeln möchte (da wir ja heute gewöhnt sind, jede möglicheEpoche zu wählen, die uns sinnvoll erscheint), führt auf denselben Punkt:ohne realistische Bindung der Figuren schien mir diese Oper nicht darstellbar.Die Vorstellung einer Cenerentola als armes Küchenmädel mit historischemlangen Flicken-Rock und geschnürtem Mieder schien mir ein Klischee vonopernhafter „Beschönigung“, die mich wenig rührt. Es schob sich – ein Lobder „italianità“ – das Bild Anna-Magnani-hafter Frisuren und Kittelkleider als„wirklicher“ vor die Historie, frühe Visconti- und Fellini-Filme der beginnenden50er-Jahre und dann sogar das leichtlebige Dorfklima aus Anthony MinghellasTom Ripley-Film, in dem soziales Elend schon gar kein Thema mehr ist,sondern eher Sonne und Vespa-fahrende Lebensfreude, bildeten mir eineVorstellung, in der diese Geschichte sich abspielen könnte. Unter realistischenFiguren in einer genauen, erzählerischen Gestaltungsweise, die ich in diesemZusammenhang „Schauspiel“-Kostüme nennen möchte, da man dort per seder Realität etwas näher ist. – Nur eben, dass mir dieses dem Sprechtheaterverbundene Arbeiten hier eher dazu zu führen schien, der Musik der Opergerecht zu werden in dem Sinne, dass sich in der genannten Beschreibungrealer Figuren besser ein Gesamtklima, eine „Welt“, in der man sich befindet,eben ein „Kostüm-Bild“ erstellt, das mir als Ganzes immer wichtiger ist alseinzelne „Kleider“.Die Erfindung der Bevölkerung des Dorfes San Sogno war denn auch eine dervergnüglichsten „Kostümbesprechungen“, die ich mit Sven-Eric Bechtolf undRolf Glittenberg hatte, allerdings auch die arbeitsreichste, da wir im Nu einePersonage zusammengetragen hatten, um eine ausgewachsene Kreisstadt zufüllen. Da eine kostümtaugliche Liste der dramatis personae herauszufilternund dem geliebten Rossinischen Männerchor-Charakteristikum eine leichteSchräglage zu verpassen, um auch einen kleinen weiblichen Anteil nicht zuunterdrücken, war eine sehr angenehme Schwerarbeit.Die „Subjektivität“, die mir in der Arbeit immer sehr wichtig ist, erlaubte mirauch einige „Spitzen“ durch Zitate von Allgemeingut gewordenen Bildern,wie die Männer mit Fellinis Haarnetzen oder die Brautjungfern der Hochzeitvon Grace Kelly oder Persönliches wie die himmelblaue Hose des Eismannes.Unerfüllt blieb, wie fast immer, der Wunsch, nicht nur auf das Klima derMusik im Ganzen, sondern auf Lieblingsstellen im Einzelnen einzugehen. Zuden wenigen Takten, mit denen die Gewittermusik endet – in vollkommenfriedlicher Besänftigung, als wolle Rossini in dieser Ruhe auch den „nodoavviluppato“ und den „vertice del lor’cervello“ , das verwirrte Unverständnisim beschränkten Hirn der Handelnden damit lösen – dazu ließen sich leiderkeine Kostüme erfinden. Schön, dass man Ohren hat!106107


Impressum<strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> – Spielzeit 2012/2013 – Direktion Dominique Meyer,Gioachino Rossini, La cenerentolaPremiere am 26. Jänner 2013Konzept und Gesamtredaktion des Programmheftes:Andreas Láng, Oliver LángGraphische Konzeption und Gestaltung:Miwa NishinoLektorat:Inga HerrmannTextnachweise:Alle Texte – außer jene von Charles Perrault, Jacopo Ferretti, Stendhal, Giovanni Boccaccio – sindOriginalbeiträge für die <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong>. Nachdruck nur mit Genehmigung der <strong>Wiener</strong><strong>Staatsoper</strong> GmbH / Dramaturgie.Bildnachweise:Michael Pöhn (Cover, S. 11, 12, 18, 26, 40, 45, 80, 88, 97, 103, 104, Ausklappbilder),Privatarchiv Erich Wirl (s. 62-70, 72-75), Österreichisches Theatermuseum (S. 50, 60),Mario Ferrara (S. 92), alle übrigen Archiv der <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> bzw. unbezeichnetUrheber/innen bzw. Leistungsschutzberechtigte, die nicht zu erreichen waren,werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.Medieninhaber – Herausgeber:<strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong> GmbH, Opernring 2, 1010 WienHersteller:Druckerei Walla GmbH108

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