T I T E L T H E M AAm 22. September steht vor allem fürdas Gesundheitswesen viel auf demSpiel. Denn die kommende Bundestagswahlist auch eine Entscheidung darüber,ob das bisherige Gesundheitssystemmit seinem Nebeneinander vongesetzlicher und privater Krankenversicherungbestehen bleibt.Insgesamt ist hinter den Wahlversprechender Parteien deren jeweilige politisch-ökonomischeTradition gut zuerkennen. Die bürgerlich-liberalen Parteienbetonen die Wahlfreiheit der Bürger,die Eigenverantwortung gegenübergesundheitlichen Risiken und die Selbstregulationdes Marktes, wohingegen diederzeitigen Oppositionsparteien Gleichheit,Solidarität und starke Krankenkassenals Vertreter der Patienten in denMittelpunkt rücken. Alle Parteien unterstreichengrundsätzlich Forderungennach einer leicht zugänglichen undwohnortnahen Versorgung aller Menschen,unabhängig von ihrem sozialenund finanziellen Status.Während die RegierungsparteienCDU/CSU und FDP dabei erwartungsgemäßan einer starken Säule der Privatvorsorgefesthalten wollen, stellen dieSozialdemokraten, die Grünen und DieLINKE speziell im Gesundheitssystemden aktuellen Status Quo zur Debatteund wollen eine sogenannte Bürgerversicherungeinführen. Das Konzept derBürgerversicherung sieht letztlich eineAuflösung des bisherigen Systems ausprivater und gesetzlicher Krankenversicherungvor.Die Absicht der Oppositionsparteien istdabei laut eigenen Verkündungen, dieZwei-Klassen-Medizin abzuschaffen,damit künftig alle wieder in gleichemMaße Zugang zum medizinischen Fortschritterhalten. Und so heißt es imRegierungsprogramm 2013 der SPD:„Unser Ziel ist es, mehr und gleicheGesundheitschancen für alle (…) zuschaffen.“ „Die Bürgerversicherung wirdals Krankenvoll- und Pflegeversicherungfür alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt“,heißt es dort weiter. Unter denBefürwortern ist offenbar die Überzeugungverbreitet, dass „privat Versichertenur ihr eigenes, meist unterdurchschnittlichesKrankheitsrisiko versichern.Zum Solidarausgleich tragen sie so nichtbei“, so ist im Wahlprogramm der Grünenzu lesen.Unterschiede bei denKonzeptenAber: Bürgerversicherung ist nicht gleichBürgerversicherung. In der genauenAusgestaltung des Reformansatzesgehen die Vorstellungen und Präferenzender Parteien teilweise auseinander.Einig sind sie sich allerdings darin, dieVersicherten von gesetzlichen Kassenund privaten Versicherern über kurzoder lang in einem gemeinsamenSystem zu vereinen. Während die Grünenwie auch die Linkspartei alle Privatversichertein die gesetzliche Krankenversicherung(GKV) einzubeziehen beabsichtigen,will die SPD den privat Versichertendie Möglichkeit geben, innerhalbeines Jahres in die Bürgerversicherungzu wechseln.Damit könnten private Versicherer diebisherigen Mitglieder, die nach Ablaufder Frist in der privaten Krankenversicherungbleiben, weiterhin versorgen.Sie dürften aber keine Kunden im Vollgeschäftnach dem bisherigen Prinzipeiner kapitalgedeckten Risikovorsorgewerben. Alle Neuversicherten würdenautomatisch in die Bürgerversicherungkommen.Zumindest nach den Vorstellungen vonSPD und Grünen dürften die privatenVersicherungen neben den gesetzlichenKrankenkassen die neue Bürgerversicherunganbieten – allerdings zu gleichenRahmenbedingungen des Bürgerversicherungstarifes.Bei der LINKEN sollensich private Versicherungen dagegen aufdas Angebot der Zusatzleistungenbeschränken.Paritätische GKV-FinanzierunggeplantIn die Bürgerversicherung soll jederunabhängig von Alter, Geschlecht,Erwerbsstatus oder Krankheitsrisiko aufgenommenwerden. Der Beitrag richtetsich nach der Höhe des Einkommens.Die Grünen wollen dabei alle Einnahmen,also auch Mieteinnahmen, Aktiengewinne,Zinsen etc. zur Beitragsberechnungheranziehen. Die Beitragsbemessungsgrenzesoll auf das in der Rentenversicherunggeltende Niveau angehobenwerden. „Das schafft mehr Gerechtigkeitim Gesundheitswesen, indem esGutverdienende fairer beteiligt, machtdie Finanzierung zukunftsfest undschafft Raum für Beitragssatzsenkungen“,heißt es im Wahlprogramm derGrünen.Die SPD will dagegen mit einem dynamisiertenSteuerbeitrag weitere Einkommensartenzur Finanzierung derKrankenversicherung heranziehen. Ineinem Interview kündigte Prof. Karl Lauterbach,gesundheitspolitischer Sprecherder SPD-Fraktion im Bundestag, an,die Finanzierung der Bürgerversicherungaus drei Beitragssäulen zusammensetzenzu wollen: Bürgerbeitrag, Arbeitgeberbeitragund Steuerbeitrag. Die Beitragsbemessungsgrenzewill der für dasRessort Gesundheit zuständige Mannim Schattenkabinett von Peer Steinbrückentsprechend dem heutigenNiveau beibehalten. Die Krankenkassensollen den Bürgerbeitragssatz nach Plänender aktuellen Oppositionsparteienwieder individuell festlegen, Zusatz- undSonderbeiträge werden abgeschafft.Sowohl die SPD als auch die Grünenund die LINKE wollen außerdem dieparitätische Finanzierung zwischenArbeitgebern und Arbeitnehmernwieder herstellen. Derzeit zahlen dieVersicherten einen Sonderbeitrag von0,9 Prozentpunkten allein. Kindersowie Ehepartner sollen nach Willender SPD weiterhin beitragsfrei mitversichertwerden.B E R L I N E R Ä R Z T E 9/2013 S. 15
T I T E L T H E M ADie Grünen sehen die Mitversicherungvon Familienmitgliedern nur für Erwachsenevor, die auch Kinder erziehen. Beiallen anderen Paaren sollen Einkünfteaddiert und dann halbiert werden. DerBeitrag wird auf beide Teile bis zurBemessungsgrenze fällig.Die LINKE möchte einen eigenständigenVersicherungsanspruch für alle, auch fürKinder und Ehepartner. Wer kein Einkommenhat, soll beitragsfrei versichertwerden.Der Umfang der Gesamtvergütungbleibt unverändertTrotz aller Änderungen müssten sich diegesetzlich Krankenversicherten nichtauf Mehrbelastungen einstellen. Dasbehauptet zumindest Lauterbach. Nachseinen Berechnungen würden „dieBeiträge selbst sogar sinken, weil mehrjunge Gutverdiener hinzukämen undweil wir den Steueranteil erhöhen wollen“,sagte er in einem Interview vorzwei Monaten. Um die benötigten Steuermittelzu beschaffen, will die SPD dieKapitalertragssteuer anheben.Auch <strong>Ärzte</strong> sollen, so zumindest dieBefürworter von Bürgerversicherung,trotz geplanter einheitlicher Honorarordnungglimpflich davonkommen.Sowohl Sozialdemokraten als auch dieGrünen versichern, dass durch denUmbau der Krankenversicherung hin zurBürgerversicherung dem Gesundheitswesenkein Geld fehlen wird, d.h. dieGesamtvergütung der <strong>Ärzte</strong> soll nichtsinken. „Wir werden sicherstellen, dassBürgerversicherung: Wo sind die Unterschiede?KriteriumSPDGrüneLINKEWer darf versichern?Gesetzliche Krankenkassenund private KrankenversicherungenGesetzliche Krankenkassenund private KrankenversicherungenNur gesetzliche Krankenkassen,Beschränkung der PKVauf ZusatzversicherungenWer ist versichert in derBürgerversicherung?Bisher gesetzlich VersicherteAlle Neu-VersichertePrivatversicherte: Wechselinnerhalb eines JahresmöglichIntegration alle Versicherten(gesetzlich und privat)Integration alle Versicherten(gesetzlich und privat)FinanzierungBürgerbeitrag, Arbeitgeberbeitrag,dynamisierterSteuerbeitragBürgerbeitrag unter Berücksichtigungaller Einkommensarten,ArbeitgeberbeitragBürgerbeitrag unter Berücksichtigungaller Einkommensarten,ArbeitgeberbeitragBeitragsbemessungsgrenzeBei Arbeitnehmern unverändert,bei ArbeitgebernaufgehobenErhöhung auf das Niveau derGRV (2013: 5.800 Euro)Abschaffung der BeitragsbemessungsgrenzeBeiträgeParität der GKV-Finanzierungzwischen Arbeitgeber undArbeitnehmerParität der GKV-Finanzierungzwischen Arbeitgeber undArbeitnehmerParität der GKV-Finanzierungzwischen Arbeitgeber undArbeitnehmerÄrztliche VergütungNeue, einheitliche Honorarordnungbei gleichbleibenderGesamtvergütungErhöhter EBM statt GOÄk.A.SonstigesAnhebung der Abgeltungssteuer,Abschaffung vonZusatz- und SonderbeiträgenAbschaffung aller ZuzahlungsverpflichtungenAbschaffung aller ZuzahlungsverpflichtungenBERLINER ÄRZTE 9/2013 S. 16B E R L I N E R Ä R Z T E 9/2013 S.16