E D I T O R I A LWahl 2013 –Duales Systemversus „Einheitsversicherung“Im Zusammenhang mit der Wahl werdenwieder viele Themen angesprochen.Schaut man genauer hin, werdennicht selten Probleme mit Leidenschaftdiskutiert, die weitgehend in Brüsseloder Straßburg entschieden werden. DieGesundheitspolitik gehört diesmal wenigerdazu, obwohl in unserem Lande bishernoch die alten nationalstaatlichenRechte gelten wie teilweise noch im19. Jahrhundert. Dass unterschiedlicheModelle denkbar sind, zeigt ein Blick aufEuropa: Von der voll steuerfinanziertenStaatsmedizin bis zur privatwirtschaftlichorganisierten Versorgung, prämienoderbeitragsfinanziert, alles ist möglich.In Deutschland wird die Krankenversorgung,wie sie prägend ist für die beruflichenMöglichkeiten und Zwänge der<strong>Ärzte</strong>schaft, durch Gesetze des Bundestagesbestimmt, die zum Teil bis inskleinste Detail alles regeln – siehe SGB V!Deshalb will BERLINER ÄRZTE im vorliegendenHeft die aktuellen Pläne derParteien für unser Gesundheitssystemmal genauer unter die Lupe nehmen, derÜbersicht halber beschränkt auf die fünfderzeit im Bundestag vertretenen Fraktionen.Da hat sich vieles getan, insbesonderebei SPD und Grünen. Wer in der<strong>Ärzte</strong>schaft hat schon wirklich realisiert,Dr. med. Elmar WilleArzt für Augenheilkunde undVizepräsident der <strong>Ärzte</strong>kammerBerlinFoto: Foto: K. privat Friedrichdass diese Parteien das seit BismarcksZeiten bestehende Nebeneinander vonprivater und gesetzlicher Versicherungzu Gunsten einer Einheitsversicherung,genannt Bürgerversicherung, abschaffenwollen? Wollen Sie das auch? Der Deutsche<strong>Ärzte</strong>tag in diesem Jahr in Hannoverwollte das nicht (siehe S. 19)! Verständlich,denn wer wagt schon, sich auf die Zusageder „gleichbleibenden Gesamtvergütung“zu verlassen? Frei nach dem Motto, wersich auf Politikerzusagen verlässt, ist verlassen,haben wir <strong>Ärzte</strong> in den letzten vierJahren mit den Zugeständnissen aus derPolitik – egal von welcher Partei – ja aucheher sehr schlechte Erfahrungen gemacht.Wenn Herr Schäuble und FrauMerkel (und vor ihnen Eichel und Schröder)ihre Versprechungen gehalten hättenund vertragstreu (Maastricht) gewesenwären, ja dann hätte z.B. die <strong>Berliner</strong><strong>Ärzte</strong>versorgung viele Millionen mehr inder Deckungsrückstellung. Vom Trauerspielum die GOÄ ganz zu schweigen.2009 wurde erstmals ein Arzt Gesundheitsminister.Seine Partei gilt gemeinhinals den freien Berufen zugewandt. ImKoalitionsvertrag 2009 wurde sodannversprochen, die GOÄ von 1982 ! endlichzu reformieren – wofür übrigens auchhier allein der Bund zuständig ist. Manglaubt es nicht. Der Arzt und Gesundheitsministergibt sein Ressort nach 1,5Jahren ab, ohne seine Ankündigungenumzusetzen und der neue Minister, eingelernter Bankkaufmann/Volkswirt,schiebt dieses grundlegende Thema aufdie lange Bank. Hingegen erhielten dieZahnärzte eine neue GOZ, die Tierärzteund Rechtsanwälte eine pauschaleAnpassung ihrer Honorare und diePatienten bekommen ein Patientenrechtegesetz.Allein die <strong>Ärzte</strong>schaft bliebaußen vor.A propos Patientenrechte, im Lichte neuerEreignisse, die von außen diese Republikerreichen, sprich der NSA-Skandal, sindwir <strong>Ärzte</strong> doch gut beraten, uns zumThema Datensicherheit und Umgang mitelektronischen Medien gut zu informieren.Unsere Patienten haben ein Rechtdarauf, von uns aufgeklärt zu werden,wie großzügig im Sozialsystem mit intimstenDaten umgegangen wird und wound wie lange diese gespeichert werden.Jeder schaue sich da seine ICD-Codierungenan. Nach diesem Skandal solltendoch alle Netzwerk-Freunde sowieTelematik- und eGK-Befürworter sehrnachdenklich werden. Glauben Sie denZusicherungen des Amtes für Datensicherheit?Ich nicht. Auch meine ich,dass wer einen gläsernen Arzt oderPsychotherapeuten will, der bekommtauch einen gläsernen Patienten! Dasheißt in letzter Konsequenz: Wahrlich,ein Orwell-Szenario. Besonders einfachumzusetzen bei einer Einheitskasse füralle. Prüfen Sie diesbezüglich bitte dieParteiprogramme! Sind diese wirklich(Unwort des Jahres 2010): „alternativlos“?BERLINER ÄRZTE 9/2013 S. 3
B U C H B E S P R E C H U N GB U C H B E S P R E C H U N G„Personale“, nicht„Personalisierte“ MedizinGerhard Danzer: Personale MedizinVerlag Hans Huber, Bern 2012550 S. geb. 39,95 EUHier geht’s nicht um die Sorte„Personalisierung“, die Patientenenttäuscht, weil nicht sie, sondern nurihre genetischen Biomarker ernst genommenwerden. Der Autor diesesSchwergewichts, Schüler und Mit ar beitervon Josef Rattner und Psycho somatik-Chefin Neuruppin, geht vielmehrsogar über das biopsychosoziale Konzeptmoderner Psychosomatiker hinaus:Nach seiner Auffassung ist die gesamtePsychosomatik nur eine Vorform der„Personalen Medizin“. Denn zur Persongehöre neben Materie, Leben und Seelenoch eine vierte Dimension: Geist. Diegeistig-kulturellen Facetten des Menschenaber seien selbst in der psychosomatischenMedizin unterrepräsentiert.Danzer erklärt ausführlich den Begriffder Person. Es folgt ein thematischerRundumschlag, der kaum ein Problemder Anthropologie, Philosophie, Psychologieund Medizin auslässt. Zum Beispielerläutert er beredt den Unterschied zwischenKörper und Leib, die Definitionvon Gesundheit und Krankheit querdurch die Kultur- und Medizingeschichte,das Maschinenmodell des Menschen(das den Arzt zum „Uhrmacher“ degradiert),die Problematik von Befund undBefinden, die entscheidende Bedeutungder Anamnese und des Arzt-Patient-Verhältnisses, die Notwendigkeit derVerknüpfung von evidenzbasierter undnarrativer Medizin, um nur einige wichtigePunkte herauszugreifen…Der Theorie folgt die Praxis der PersonalenMedizin, dargestellt an exemplarischenStörungen. Dabei wird das „Personale“zum Glück nicht überzogen; derAutor distanziert sich beispielsweise vonfragwürdigen Hypothesen zur Geneseder Krebskrankheiten. Nicht nur dasRegister und die jedem Abschnitt folgendenLiteraturverzeichnisse zeugenvon der immensen Belesen- und Gelehrsamkeitdes Verfassers, auch der Textselbst ist beladen, ja überladen mit ständigenHinweisen auf Koryphäen vielerwissenschaftlicher Disziplinen sowie derBelletristik. Die Botschaft des Buches istklar und höchst begrüßenswert: „DieBehandlung sollte von der Biologie… bisin die personale Dimension desPatienten reichen.“ Dem an zeit- undMußemangel leidenden Arzt könntenicht nur dieses Postulat, sondern auchdie verwirrende Überfülle des Bucheszuschaffen machen – embarras de richesse.Einer der wichtigsten von vielen interessantenHinweisen Danzers auf andereAutoren: „Der amerikanische KardiologeBernard Lown (geb. 1921) meint sogar,die Ignoranz in Bezug auf die Individualitätvon Kranken mache das ‚inhumaneKernstück’ der heutigen Medizin aus.“Lesen Sie Danzer – und wenn Ihnen dieLektüre vielleicht zu mühlselig wird undSie die harte Hand eines unerbittlichenLektors vermissen: Lesen Sie Lowns „Dieverlorene Kunst des Heilens“ wiederund wieder.R. St.ANZEIGEBER L INER Ä R Z T E 9/2013 S. 4