TARIF- UND SOZIALPOLITIKDer deutsche Arbeitsmarkt brummt. Deutschlandverzeichnet eine Rekordbeschäftigung vonfast 42 Mio. Erwerbstätigen und mehr als 29 Mio.sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. DieArbeitslosigkeit konnte zuletzt dauerhaft aufunter 3 Mio. und eine Quote von 6,8 Prozent gesenktwerden. Allein die Zahl der Langzeitarbeitslosen,also derjenigen, die länger als zwölf Monateohne Beschäftigung sind, ist seit 2005 ummehr als 1 Mio. zurückgegangen. Der „krankeMann Europas“ ist gesundet. In Europa verzeichnennur Österreich und Luxemburg niedrigereErwerbs losenquoten. Im Schnitt der EU-27-Staaten war die Arbeitslosigkeit Ende 2012 mehrals doppelt so hoch wie in Deutschland.Weltweit wird mit Erstaunen und Respekt diegute Verfassung des deutschen Arbeitsmarktsund der deutschen Wirtschaft zur Kenntnis genommen.Vielfach werden diese Erfolge aber leidermit dem Zerrbild einer zunehmend durch Zukunftsangstund schlechte Arbeitsbedingungengeprägten Gesellschaft verbunden. Besondersflexible Beschäftigungsformen (Zeitarbeit, Be -fristungen, Teilzeit, Minijobs) sowie die Arbeitsmarkt-und Sozialreformen der Agenda 2010stehen immer wieder zu Unrecht in der Kritik.Die weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes,z.B. beim Kündigungsschutz oder bei der betrieblichenMitbestimmung, steht nicht mehr ernsthaftzur Diskussion. Stattdessen bekommendirigistische Ansätze neuen Zuspruch. Geradedie Urheber der Agenda 2010, SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, fordern nun eine arbeitsmarktpolitischeRolle rückwärts und setzen so die Er -folge aufs Spiel.ARBEITSMARKTMindestlohn als WahlkampfschlagerEin Thema beherrscht den arbeitsmarktpolitischenDiskurs im Wahljahr <strong>2013</strong> wie kein anderes.Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Inihren Wahlprogrammen haben sich alle Parteienklar zum gesetzlichen Mindestlohn positioniert.SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordernwie der DGB einen allgemeinen, gesetzlichen,flächendeckenden Mindestlohn von mindestens8,50 Euro pro Stunde. Die genaue Höhe soll nachbritischem Vorbild von einer Kommission ausVertretern der Gewerkschaften, Arbeitgeber -verbänden und aus der Wissenschaft bestimmtwerden. DIE LINKE geht noch einen Schritt weiterund will einen rein politisch festgelegten flächendeckendengesetzlichen Mindestlohn von10,00 Euro, der jährlich entsprechend der Pro -duktivitäts- und Preisentwicklung angepasstwerden soll. Nach den Vorstellungen der rotgrünenParteien sollen Tarifverträge durch dengesetzlichen Mindestlohn ausnahmslos verdrängtwerden.Auch im bürgerlichen Lager hat der allgemeinegesetzliche Mindestlohn Befürworter gefunden.Die CDA, der Arbeitnehmerflügel der Union, hatdas Thema über die Basis vehement nach vorngetrieben und Parteitagsbeschlüsse dazu initiiert.CDU/CSU erkennen in ihrem Regierungsprogrammzwar die Handlungsfähigkeit der Tarifpartnerbei der Regelung von Arbeitsbedingungenan. Allerdings plädieren sie ebenfalls für dieEinführung eines durch eine Kommission der Tarifpartnerfestgelegten, allgemeinen tariflichenMindestlohnes in den Bereichen, in denen eskeine Tarifverträge gibt. Dieser Tarifzwang wirktfaktisch wie ein allgemeiner gesetzlicherMindestlohn und beschränktdie Tarif autonomie derTarifparteien in den Branchen.Selbst die FDP, die 2009 noch dieAbschaffung der Allgemeinverbindlichkeitgefordert hatte undeine vehemente Verfechterin derPrivatautonomie und der negativenKoalitionsfreiheit ist, sprichtsich in Ihrem Wahlprogramm nunfür allgemeinverbindliche Branchenmindestlöhneaus.35
TARIF- UND SOZIALPOLITIKBGA gegen staatliche LohnfestsetzungDer BGA wendet sich grundsätzlich gegen jedeForm gesetzlich verordneter Mindestlöhne. Siesind als unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomiestrikt abzulehnen. Die Lohnfindung gehörtallein in die Hände der Arbeitgeber, Arbeitnehmerund der Tarifparteien in den Branchen undRegionen. Nur sie haben die dafür notwendigeSachkunde und Problemnähe. Bei einem allgemeinengesetzlichen Mindestlohn stehen dagegenpolitische Erwägungen und damit keinesachgerechten Aspekte im Vordergrund. Er berücksichtigtnicht die konkreten Situationen inden einzelnen Branchen.Zudem ignorieren gesetzliche Mindestlöhne,dass Tarifverträge neben einem Grundentgeltvielfach weitere Leistungen für die Arbeitnehmerregeln, die aufeinander abgestimmt sind. Damitwirkt sich ein gesetzlicher Mindestlohn letztlichauf die gesamten tarifvertraglichen Strukturenaus. Gesetzliche Mindestlöhne senken die Bereitschaft,Tarifverträge abzuschließen und anzuwenden.Arbeitnehmer verlieren die Motivation,sich gewerkschaftlich zu organisieren. Diesschwächt letztlich das Tarifsystem nachhaltig.Anstatt einen flächendeckenden, einheitlichenMindestlohn voranzutreiben, können bestehendeInstrumente genutzt werden, um Mindest -löhne für einzelne Branchen festzulegen.Branchenmindestlöhne als AusnahmeMit der Allgemeinverbindlicherklärung von Mindestlohntarifverträgen– über das Tarifvertragsoderdas Arbeitnehmer-Entsendegesetz – gibtes die gesetzliche Möglichkeit, sozialen Verwerfungendurch Branchenmindestlöhne entgegenzutreten.Vorausgehen muss allerdings einetarifvertragliche, auf einen untersten Lohn beschränkteMindestlohnregelung, die sich in derBranche mehrheitlich durchgesetzt hat. Niemalsdarf eine Minderheit eine Mehrheit majorisieren.Ein Branchenmindestlohn darf deshalb nicht derSicherung eines Monopols dienen, wie es mitdem Postmindestlohn einst versucht wurde.Schließlich gibt es mit dem Mindestarbeitsbe -dingungengesetz ein Instrument, um eine allgemeinverbindlicheLohnuntergrenze auch in Bereicheneinzuführen, in denen kein tarifvertraglichfestgelegter Lohn existiert (sog. weiße Flecken).Seine Anwendung kann in Ausnahmefällen inBetracht kommen, wenn soziale Verwerfungennachgewiesen sind und nicht in bestehendeTarifverträge eingegriffen wird. Die FDP hatdis kussionswürdige Vorschläge gemacht, diesesInstrument zu modernisieren.TARIFPOLITIKLohn- und Gehaltstarifrunde <strong>2013</strong>:Erneut Planungssicherheit für zwei JahreZum sechsten Mal in Folge konnte in der diesjährigenTarifrunde ein Abschluss mit 24-monatigerLaufzeit erreicht werden. Wie beim vorherigenTarifabschluss 2011 war es diesmal wiederdas Tarifgebiet Baden-Württemberg, wo am14. Juni <strong>2013</strong> in der vierten Verhandlungsrundeder Durchbruch gelang.Der neue Tarifvertrag hat eine zweijährige Laufzeit.Er sieht vor, dass die Löhne und Gehälternach zwei Nullmonaten um 3,0 Prozent undnach weiteren zehn Monaten um nochmals2,1 Prozent erhöht werden. Zusätzlich erhaltendie Mitarbeiter in <strong>2014</strong> einmalig 90 Euro. DasErgebnis in Baden-Württemberg wurde in denanderen Tarifgebieten im Wesentlichen unver -ändert übernommen.Dr. Wilhelm von Moers, Vizepräsident für den BereichTarifpolitik, stufte den Tarifabschluss als fürbeide Seiten interessengerecht ein. Dadurch,dass die Arbeitgeber mit einem abschlussnahenersten Angebot die Tarifverhandlungen eröffnethatten, konnte trotz vereinzelter Streiks zügig einErgebnis erzielt werden. Die Arbeitgeber seienangesichts des witterungsbedingt schwierigenJahresauftakts an die Grenzen der Belastbarkeitgegangen. Die konjunkturelle Unsicherheit nehmeeher zu denn ab. Somit sei auch das zweiteJahr wirtschaftlich noch mit vielen Fragezeichenversehen. Dafür hätten die Unternehmen nunPlanungssicherheit für die Personalkosten in dennächsten zwei Jahren.Neben der reinen Entgelterhöhung konnte infast allen Tarifgebieten eine Umstellung der umstrittenenLebensaltersstufen auf andere Differenzierungskriterien,die den Erfahrungsaufbauberücksichtigen, erreicht werden. Damit wurdeein weiteres wichtiges Ziel der Arbeitgeber umgesetzt.Lohnuntergrenze und Branchenzuschlägein der ZeitarbeitDie seit dem 1. Januar 2012 geltende Lohnuntergrenzein der Zeitarbeit stieg zum 1. November2012 auf 7,50 Euro (Ost) und 8,19 Euro (West).Seit dem Frühjahr <strong>2013</strong> verhandeln die zur Ver-36