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Vorwort - Fritz Thyssen Stiftung

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PROJEKTE IM FOKUS<br />

Hierbei ging es zum einen um persönliche Erfahrungen mit dem<br />

Verlust von Zugehörigkeit und der Suche nach neuen Bindungen,<br />

die der 1938 aus Deutschland emigrierte Historiker <strong>Fritz</strong> Stern am<br />

Beispiel seiner Biographie schilderte. Zum anderen wurden Faktoren<br />

wie Sprache, Religion oder Staatsbürgerschaft diskutiert, die Zugehörigkeiten<br />

konstituieren. Im Ergebnis wurde die Bedeutung von<br />

Mehrfachzugehörigkeiten und „Überkreuzloyalitäten“ für die Stabilität<br />

pluralistischer Gesellschaften hervorgehoben, da die Zugehörigkeit<br />

zu unterschiedlichen Gruppen Verständigungsmöglichkeiten<br />

innerhalb einer Gesellschaft öffne.<br />

Eine anschließende Fachtagung im Oktober 2006 über „Europäische<br />

Zugehörigkeiten im Spannungsfeld von Einwanderung und Auswanderung“<br />

legte den Akzent nicht auf Migrationsbewegungen als<br />

solche, sondern auf unterschiedliche Formen der Zugehörigkeiten,<br />

deren Umrisse im Lichte von Ein- und Auswanderungsprozessen in<br />

der Geschichte deutlicher werden. Dabei wurden sowohl politischrechtliche<br />

Kristallisationen kollektiver Zugehörigkeiten (Flüchtlingsund<br />

Ausländerrecht) als auch Fremdwahrnehmungen und imaginierte<br />

Zugehörigkeiten berücksichtigt. In dieser Perspektive wurde<br />

deutlich, dass die Erfahrungen und Selbstwahrnehmungsmuster von<br />

Menschen mit „Migrationshintergrund“ von der gelebten, keineswegs<br />

immer konfliktfreien „doppelten Kultur“ bis hin zum Gefühl<br />

einer „doppelten Abwesenheit“ („double absence“) reichen. Der<br />

gemeinsame Nenner aller Migrationen ist eine Sprengung der kleineren<br />

(Sozial-)Räume und eine Ausweitung auf neue, größere Zugehörigkeitsräume,<br />

die über die letzteren hinausweisen.<br />

Neben einleitenden theoretischen Überlegungen zu den Begriffen<br />

der Zugehörigkeit im europäischen Vergleich waren und sind die<br />

Ständegesellschaften als Aufnahmegesellschaften ebenso ein wichtiges<br />

Untersuchungsthema wie die semantischen Entwicklungslinien<br />

und Mythenbildungsprozesse im Lichte der konfessionellen<br />

Zwangsmigrationen des 17. und 18. Jahrhunderts. Aus tschechischer<br />

Sicht wurde eine Typologie der europäischen Nationen und<br />

der wesentlichen Elemente der Nationsbildung entworfen, um die<br />

Interaktionen zwischen Nationsbildungsprozessen und Migrationen<br />

näher zu erhellen. Im Europa der Nationalstaaten rückten<br />

hier zwei neue Koordinatensysteme, der moderne Staat und die<br />

moderne Nation, in den Vordergrund und relativierten ältere Bindungen.<br />

Doch die unterschiedlichen Erfahrungen mit Innen- und Außenwahrnehmungen<br />

führten dazu, dass zwischen Inklusion und Exklusion<br />

eine dritte Kategorie, die der „Amalgamierung“, aufkam.<br />

Aus polnischer Sicht liegt es nahe, Vertreibungen als Faktoren der<br />

nationalen Entflechtung zu untersuchen. Die Zwangsmigrationen<br />

und „ethno-nationalen“ Säuberungen des 20. Jahrhunderts nahmen<br />

in der Diskrepanz zwischen der staatlichen und der nationalen<br />

Zugehörigkeit ihren Ausgang. Nicht zufällig wurde aus französischer<br />

Sicht betont, dass in sozialen Krisen die geographische Herkunft und<br />

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