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BLICKWECHSEL 2016

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mutterstädte. Von großen und kleinen Metropolen im östlichen Europa«

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EIN GROSSER GEIST<br />

AUS GLOGAU<br />

Andreas Gryphius zum 400. Geburtstag<br />

Zwei Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges kam<br />

Andreas Gryphius im böhmischen Erbfürstentum Glogau in<br />

Schlesien zur Welt. Am grandiosen Aufschwung der Späthumanisten<br />

in Schlesien und der Pfalz um 1600 im Zeichen<br />

des reformierten Bekenntnisses hatte er – im Gegensatz<br />

etwa zu seinem Landsmann Martin Opitz – nicht mehr teil.<br />

Ihr Ethos aber teilte er.<br />

Gryphius wurde Zeuge eines von Jahrzehnt zu Jahrzehnt<br />

sich intensivierenden Ringens der politischen wie der konfessionellen<br />

Mächte auf deutschem Boden. Und als endlich<br />

Frieden eingekehrt war, verschärfte das katholische<br />

Kaiserhaus im Bündnis mit den Jesuiten den Druck auf die<br />

Evangelischen im Lande. Nur in Enklaven wie Breslau und<br />

unter dem Schirm der Piastenherzöge in Liegnitz, Brieg und<br />

Wohlau durften sie sich sicher fühlen.<br />

»Was sind wir Menschen doch!<br />

Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,<br />

Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,<br />

Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,<br />

Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.«<br />

Aus dem Sonett Menschliches Elende (1637)<br />

Nicht nur der Krieg, sondern auch die religiöse Entzweiung<br />

der Christenheit hat tiefe Spuren in seinem Werk, der Lyrik,<br />

den Dramen, den Leichabdankungen hinterlassen. Wie so<br />

viele Zeitgenossen wendete sich auch Gryphius ab von<br />

den nicht endenden Konflikten zwischen Katholiken und<br />

Protestanten, aber auch von den – womöglich noch verhängnisvolleren<br />

– Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern<br />

und Reformierten. An den praktischen Glauben eines<br />

Johann Arndt und an das mystisch-spiritualistische Gedankengut,<br />

das in seiner Heimat blühte wie nirgendwo sonst,<br />

heftete sich seine Hoffnung. Das Los der Evangelischen aber<br />

suchte er als Syndikus der Glogauer Landstände tatkräftig<br />

und mutig zu mildern.<br />

Als einem der Wenigen seiner Zeit blieben seine großen<br />

Zeitgedichte und Zeitklagen wie seine von tiefem Glauben<br />

geprägten religiösen Gedichte über die Epochen hinweg<br />

lebendig. In den Katastrophen des 20. Jahrhunderts fanden<br />

sie dankbare und ergriffene Leser. Seinen ebenso anspruchsvollen<br />

wie tiefgründigen Dramen war indes keine Heimstatt<br />

auf den Brettern des Theaters beschert. Wo Shakespeare und<br />

auf andere Weise auch Lope de Vega und Calderón oder<br />

Corneille und Racine auf den Bühnen fortlebten, da ist die<br />

theatralische Stimme des Gryphius – wie die seines großen<br />

Zeitgenossen und Landsmannes Daniel Caspar von Lohenstein<br />

– verstummt. In den illustren Gymnasien zu Breslau<br />

vor allem waren sie zur Aufführung gekommen. So war es<br />

ihre Bestimmung, im Akt besinnlicher Lektüre fortzuleben.<br />

Was die Zeit religiös, politisch, staatsrechtlich beschäftigte,<br />

findet einen eigenständigen Niederschlag in seinem<br />

Werk. Auch ein Gryphius gehört hinein in die große Bewegung,<br />

die vom Humanismus zur Aufklärung führt. Diese<br />

wird als frühneuzeitliches Vermächtnis lebendig bleiben –<br />

so lange, wie es in Europa ein Bewusstsein seiner geistigen<br />

Wurzeln gibt. In den 47 Jahren, die dem Dichter vergönnt<br />

waren, kam ein Werk von einer Tiefe und einem inneren<br />

Reichtum zustande, das gewaltige geistige Potenzen birgt<br />

und nicht aufhören wird, seinen Lesern Freude und Bereicherung<br />

zu verschaffen.<br />

Klaus Garber<br />

Prof. em. Dr. Drs. h. c. Klaus Garber lehrte als Professor für Literaturtheorie<br />

und Geschichte der Neueren Literatur an der Universität Osnabrück und<br />

war Direktor des dortigen Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte<br />

der Frühen Neuzeit.<br />

Andreas Gryphius auf einem Kupferstich von Philipp Kilian (1628–<br />

1693), Quelle: WikiCommons<br />

Glogau/Głogów gehört heute zur polnischen Woiwodschaft<br />

Niederschlesien. Andreas Gryphius – eigentlich Andreas Greif<br />

– wurde hier am 2. Oktober 1616 geboren und verstarb am<br />

16. Juli 1664 ebenda. Die Stadt wird den 400. Geburtstag ihres<br />

berühmten Sohnes feierlich begehen.

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