BLICKWECHSEL 2016
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mutterstädte. Von großen und kleinen Metropolen im östlichen Europa«
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METROPOLEN<br />
40<br />
Kaliningrad. 2001. Aus Кёнигсберг, прости – Königsberg, verzeih – Atonement for Königsberg von Dmitry Vyshemirsky. © Dmitry Vyshemirsky<br />
»ICH WEISS, KÖNIGSBERG, DASS DU GEHST«<br />
Die Fotografien von Dmitry Vyshemirsky zeigen das heutige Kaliningrad als Einheit von Widersprüchen<br />
Wie gelingt die fotografische Annäherung an einen Ort,<br />
dessen Identität schichtweise auf- und abgetragen wurde,<br />
wie es mit Königsberg/Kaliningrad geschah? Einst war die<br />
Stadt die kulturelle und geistige Metropole Ostpreußens,<br />
eine reiche Handelsstadt mit prachtvollen Fassaden – prägendes<br />
Umfeld für ihre berühmten Söhne und Töchter<br />
wie Immanuel Kant, Käthe Kollwitz, Hannah Arendt<br />
und viele andere. Auf ihre starke Zerstörung durch<br />
die Kriegseinwirkungen folgten der Zuschlag des<br />
Gebiets zur Sowjetunion, der beinahe komplette<br />
Austausch der Bevölkerung und lange Jahrzehnte des<br />
Sozialismus, in denen die Vergangenheit des Ortes größtenteils<br />
negiert wurde.<br />
Wohin das Auge heute auch blickt, überall sieht es Widersprüche<br />
– städtebaulicher wie kultureller Art. Und ob es die<br />
Augen einst Vertriebener auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit<br />
sind, die Augen interessierter und familiär »nicht<br />
vorbelasteter« Besucher oder die Augen Einheimischer, die<br />
in einer Welt aus mindestens zwei Welten aufwuchsen, spielt<br />
dabei eine erhebliche Rolle. Der Fotograf Dmitry Vyshemirsky<br />
macht noch nicht einmal den Versuch, eine bestimmte Perspektive<br />
einzunehmen oder solche Widersprüche zu überbrücken.<br />
In seinem Bildband Кёнигсберг, прости – Königsberg,<br />
verzeih – Atonement for Königsberg (2007) porträtiert<br />
er eine russischsprachige Bevölkerung vor den<br />
Überresten einer ehemals deutschen Landschaft:<br />
Wo hört das Eigene auf, wo beginnt das Fremde?<br />
Vyshemirsky sieht in seiner Heimatstadt Kaliningrad<br />
überraschenderweise gerade das, was vielen aufgrund<br />
ihrer eingeschränkten Perspektiven verborgen bleibt – das<br />
Ganze. Eine Einheit von Widersprüchen, »ein Mosaik aus<br />
den Symbolen des weiten Russland und der Nostalgie über<br />
Ostpreußen«.<br />
Schwarz und Weiß, Licht und Schatten. Verfallene Ruinen,<br />
offensichtliche Armut. Kabelgewirr und schrille Werbebotschaften<br />
vor erhabenen, trotz fragwürdigen Zustands in