BLICKWECHSEL 2016
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mutterstädte. Von großen und kleinen Metropolen im östlichen Europa«
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Ausgabe 4<br />
<strong>2016</strong><br />
<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />
SZENE<br />
51<br />
seines Rechtsbruchs, schließlich zur Rücktrittserklärung<br />
Berlins vom Bundesvertrag. Damit war der Deutsche Bund<br />
gesprengt, der »Deutsche Krieg« der beiden Großmächte<br />
folgte auf dem Fuße. Die meisten deutschen Staaten standen<br />
auf der Seite Österreichs, das allerdings in der entscheidenden<br />
Schlacht im nördlichen Böhmen nur von sächsischen<br />
Truppen unterstützt wurde. Am 3. Juli 1866 bereiteten<br />
drei preußische Armeen den Truppen der österreichischen<br />
Nordarmee in der Nähe von Königgrätz/Hradec Králové die<br />
entscheidende Niederlage. Preußen besetzte währenddessen<br />
Sachsen, Hannover und Kurhessen und schlug süddeutsche<br />
Verbände. Zwar wurden Österreich und die süddeutschen<br />
Länder in den folgenden Friedensverträgen verschont.<br />
Preußen verleibte sich jedoch neben Schleswig-Holstein<br />
auch Hannover, Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt am<br />
Main ein, vor allem aber zwang es Österreich zur Anerkennung<br />
der Auflösung des Deutschen Bundes und damit<br />
zum Austritt aus dem Verbund der deutschen Länder. Der<br />
Weg war frei für den Norddeutschen Bund unter preußischer<br />
Vormacht und schließlich für einen deutschen »Nationalstaat«.<br />
Der österreichische Kaiserstaat aber war nach<br />
Königgrätz und der Abtretung Venetiens auch<br />
innerlich so geschwächt, dass er 1867 einem »Ausgleich«<br />
mit dem ungarischen Reichsteil zustimmen musste, der<br />
längst nicht mehr nur nach liberaler Unabhängigkeit strebte.<br />
Rund die Hälfte des Vielvölkerstaates war damit dem chauvinistischen<br />
Nationalismus der magyarischen Elite ausgeliefert,<br />
einschließlich des deutschsprachigen Zehntels dieses<br />
Reichsteils. Österreich-Ungarn hatte zwar seinen Platz<br />
im europäischen Gleichgewicht und wurde zum wichtigsten<br />
Verbündeten des Deutschen Reiches, aber die visionäre<br />
Idee eines nicht-national definierten Europa wurde in Königgrätz<br />
für die Dauer vieler Generationen zu Grabe getragen.<br />
Die 150. Wiederkehr dieses Datums am 3. Juli <strong>2016</strong> ist also<br />
durchaus (ge)denkwürdig.<br />
Harald Roth<br />
Dr. Harald Roth ist Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa<br />
e. V. ( S. 56/57)<br />
t q Pickelhaubenverehrung auf der einen und Monarchieseligkeit<br />
auf der anderen Seite: der ikonographische Umgang mit »Königgrätz<br />
1866« in Preußen – Bismarck und Moltke vor Schlachtengetümmel<br />
– und in Österreich – folkloristisch-feierliches Gedenken<br />
ohne Niederlage (S. 50: Farbillustration von Carl Röhling, Berlin<br />
1897; S. 51: kolorierte Federlithographie von Franz Kollarz).<br />
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