lastauto omnibus bus&coach 01/2016
lastauto omnibus e-Paper bus&coach mit einer großen Doppeldecker-Marktübersicht, einem Fahrbericht des Solaris-Gelenkbus Urbino 18, der Vorstellung des MAN Lion's Intercity und einer Historie der Büssing-Omnibusse.
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E-Paper-Sonderausgabe 2/2<strong>01</strong>6<br />
bus & <strong>coach</strong><br />
Große Marktübersicht<br />
Königsklasse<br />
Doppeldecker<br />
ERSTE FAHRT SOLARIS URBINO 18<br />
Gelenkbus mit herausragender Gestaltung<br />
Große Vorstellung<br />
VDL Futura FDD2–<br />
VDL holt mächtig auf<br />
Exklusiv: Neoplan Skyliner<br />
Königlich: Scania<br />
Astromega<br />
Megaseller:<br />
Setra S 431 DT<br />
Großes Spezial<br />
Jahresband<br />
bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6<br />
Ikonen: zwei Generationen Cityliner<br />
Ungleiche Brüder: Büssing und MAN<br />
TEST VDL FUTURA FMD2-129<br />
Dieser Mittelhochdecker bricht Rekorde<br />
VORSTELLUNG MAN LION’S INTERCITY<br />
Die erste neue Baureihe seit zehn Jahren<br />
TEST MERCEDES TOURISMO L<br />
Ein echter Fernlinienwagen
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EDITORIAL | IMPRESSUM [ 3 ]<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
ein Fahrzeugsegment ist wieder da! Auch<br />
wenn es zeitweise so aussah, als würden<br />
Kaufzurückhaltung, Billigflieger und EU-<br />
Gesetzeswut dem Reise-Doppeldecker<br />
den Garaus machen.<br />
Die Freigabe der Fernlinien,<br />
Kunden geradezu auf den Hof getrieben.<br />
Hier empfängt man den Ansturm gerne und<br />
verdient sich mit den ältesten Modellen auf<br />
dem Markt eine goldene Nase. Die würde<br />
sich auch VDL gerne holen, die Chancen<br />
stehen dafür zumindest nicht schlecht. Das<br />
Der Doppeldecker ist das umweltfreundlichste<br />
Verkehrsmittel<br />
Die Redakteure<br />
von <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong><br />
bei Facebook:<br />
<strong>lastauto</strong>.de/rosenberger<br />
<strong>lastauto</strong>.de/braun<br />
<strong>lastauto</strong>.de/wagner<br />
deutlich gesteigerte Effizienzanforderungen<br />
und der hohe Sicherheitsstandard<br />
haben Hand<br />
in Hand zu einem Revival par<br />
excellence beigetragen. Mithin<br />
ist der Doppeldecker das umweltfreundlichste<br />
Fortbewegungsmittel,<br />
wenn es um den<br />
CO 2 -Ausstoß in der „Well-to-wheel“-Betrachtung<br />
geht, der hier klar unter die Zehn-<br />
Gramm-Marke zu drücken ist. Freilich gibt<br />
es Gewinner und Verlierer in diesem Wettlauf.<br />
War Neoplan mit seinem Flaggschiff<br />
Skyliner 2<strong>01</strong>0 verheißungsvoll und glamourös<br />
gestartet, hat man sich in München mit<br />
seinen vielen Produktionsthemen selbst ein<br />
Bein gestellt und so Setra und Van Hool die<br />
Konzept des FDD2 ist gelungen, mit diesem<br />
Wagen wird man rechnen müssen.<br />
Ein Nachfolger der 500er-Baureihe von<br />
Setra ist dagegen wohl frühestens in<br />
Kortrijk 2<strong>01</strong>7 zu erwarten. Wenn er dann<br />
aber auf die Straße rollt, könnte der Hoffnungsträger<br />
des Jahres 2<strong>01</strong>0 – der Neoplan<br />
Skyliner – schon wieder ganz schön alt<br />
aussehen. So schnell kann es gehen in der<br />
Königsklasse.<br />
Thorsten Wagner, Testredakteur<br />
thorsten.wagner.ext@etm-verlag.de<br />
Impressum<br />
Abonnenten-Service,<br />
Einzelheftbestellung, Redaktionsanschrift:<br />
Gründer: Karl Theodor Vogel, Paul Pietsch<br />
Redaktionsanschrift:<br />
Handwerkstraße 15, 70565 Stuttgart<br />
Tel.: 07 11/7 84 98-31,<br />
Fax.: 07 11/7 84 98-88<br />
E-Mail: <strong>lastauto</strong>@etm-verlag.de,<br />
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Chefredakteur: Thomas Rosenberger<br />
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Redaktion: Markus Bauer, Nicole Holzer, Ilona Jüngst<br />
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Claudia Wild, Knut Zimmer<br />
Redaktionsassistenz: Uta Sickel<br />
Ständige Mitarbeiter: Michael Kern, Thorsten Wagner,<br />
Oliver Willms, Frank Zeitzen<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Mathias Heerwagen<br />
Redaktion iPad-Ausgabe: Thomas Rosenberger<br />
Leiter Online: Thorsten Gutmann<br />
Redaktion Online: Susanne Spotz<br />
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Produktion iPad-Ausgabe: Katja Reibold (Ltg.),<br />
Oswin Zebrowski, Jan Grobosch<br />
Text: Birte Labs, Isabel Link, Monika Roller<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> xx/2<strong>01</strong>6
[ 4 ] INHALT | 2<strong>01</strong>6<br />
ÜBERSICHT REISE-RIESEN<br />
ALLES ÜBER DIE KÖNIGSKLASSE DER DOPPELDECKER I SEITE 6<br />
FAHRBERICHT MERCEDES TRAVEGO Safety Coach mit<br />
neuem Notbremsassistent ABA3 | Seite 44<br />
TEST SETRA S 515 MD Mitteldecker als günstiger Einstieg<br />
in das Reisebus-Segment | Seite 138<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
us & <strong>coach</strong><br />
INHALT Ausgabe 2<strong>01</strong>6<br />
Fotos: Karl-Heiz Augustin, Jacek Bilski, MAN. Rüdiger Schreiber, Thorsten Wagner, VDL<br />
Fotos Titel: Karl-Heinz Augustin, Jacek Bilski, MAN, Thorsten Wagner, VDL<br />
3 Editorial | Impressum<br />
Fernbuslinien tragen zu einem Revivial<br />
des Reisedoppeldeckers bei.<br />
6 Marktübersicht | Doppeldecker<br />
Die einstige Königsklassse der<br />
Busse kommt zurück auf die Straße.<br />
16 Vorstellung | Mercedes Capa-City L<br />
Gelenkbus mit Platz für 191 Fahrgäste.<br />
20 Fahrbericht | Setra LE business<br />
Der Low-Entry-Bus setzt sich bewusst von<br />
seinem Konzernbruder Mercedes Citaro ab.<br />
22 Test | VDL Futura FMD2 129<br />
Der FMD2 der neuen Futura-Reihe ist<br />
vom Reisebaukasten des FHD abgeleitet.<br />
28 Fahrbericht | Temsa LD 13<br />
Probefahrt mit dem flexiblen Überlandbus.<br />
32 Buspraxis I Emissionsfreie Busse<br />
Die Hamburger Hochbahn will ab 2020<br />
nur noch saubere Busse anschaffen.<br />
36 Fahrbericht I Volvo 7900 LAH<br />
Wie sich die neue Gelenk-Variante<br />
des Parallel-Hybrids fährt.<br />
40 Fahrbericht I MAN Lion´s Coach GL CNG<br />
Der blitzsaubere Antrieb wird zu<br />
einem Überraschungserfolg.<br />
44 Fahrbericht | Mercedes Travego<br />
Der Safety Coach mit Notbremsassistent<br />
der dritten Generation ABA3 im Travego.<br />
48 Busmesse | UMA, New Orleans, USA<br />
Neuheiten von der US-Messe.<br />
55 Modelle | Miniatur-Omnibusse<br />
Neue Bus-Nachbildungen für die Vitrine.<br />
56 Vorstellung | MAN Lion´s Intercity<br />
Mit dem neuen Bus will MAN das Segment<br />
der preiswerten Überlandbusse knacken.<br />
60 Test | Setra S 415 UL business<br />
Was der „entfeinerte“ Doppelverdiener<br />
tatsächlich den Kunden bietet.<br />
66 Vorstellung | BRT-System Urevo<br />
Hess und Vossloh Kiepe haben das<br />
neue Urevo-System zusammen realisiert.<br />
70 Fahrbericht | VDL Mid Euro<br />
Der Reisemidi auf Sprinterbasis punktet.<br />
76 Porträt | Neoplan Cityliner N 116<br />
Der Busreisenanbieter Müller nutzt den<br />
Oldtimer immer noch im Tagesgeschäft.<br />
80 Report | Alternative Daimler-Antriebe<br />
Vortrieb mit Diesel, Erdgas und Elektro.<br />
84 Fahrbericht I Scania-Van Hool<br />
Die Hersteller gehen zusammen mit<br />
dem Astromega TDX27 neue Wege.<br />
90 Telematik | Fleetboard<br />
Was bringt das Daimler-Telematiksystem?<br />
94 Test | Neoplan Tourliner<br />
Im elften Produktionsjahr kommt<br />
ein gereifter Bus in die Redaktion.<br />
100 Eletktromobilität | Volvo Electri-City<br />
In Göteborg zeigt der Hersteller, wie ein<br />
komplettes E-Bus-System aussehen kann.<br />
104 Busfertigung | Iveco in Tschechien<br />
Basis des Erfolgs vieler Iveco-Marken<br />
haben tschechische Wurzeln.<br />
108 Messetrends | UITP 2<strong>01</strong>5<br />
E-Antriebe und Gasmotoren standen im<br />
Mittelpunkt auf der Messe in Mailand.<br />
110 Test | Mercedes Sprinter 319 CDI<br />
Der Sprinter mit 190 PS, mittlerem<br />
Radstand und Platz für neun Personen.<br />
112 Test | Mercedes Intouro<br />
Der Überlandbus wildert im Markt-<br />
Segment der preiswerten Busse.<br />
118 Fahrbericht | Solaris Urbino 18<br />
Erstmals unterwegs mit der<br />
neuen Gelenkbus-Version.<br />
120 Hintergrund | Solaris-Fertigung<br />
Der Hersteller will in seine vier<br />
Standorte kräftig investieren.<br />
122 Interview | Solaris-Vorstands-Chef<br />
Dr. Andreas Strecker über das Aftersales-<br />
Geschäft und Kundenzufriedenheit.<br />
124 Test | Mercedes City 65<br />
Der Midi gilt als perfekte Ergänzung<br />
für etliche Stadtbusflotten.<br />
130 Test | VDL Futura FDD 2<br />
Stärken und Schwächen des neuen VDL.<br />
134 Produktion | Daimler Buses in Indien<br />
Zweiter Versuch mit neuen Modellen.<br />
138 Test | Setra S 515 MD<br />
Solide Verarbeitung, günstiger Preis.<br />
144 Historie | Jubiläen bei Neoplan<br />
XXL-Busevent: Vier Jubiläen bei dem<br />
Traditions-Omnibus-Hersteller.<br />
148 Vorschau | Busworld Europe<br />
Die spannendsten Neuheiten<br />
von der Busmesse vorab.<br />
150 Messerückblick | Busworld Europe<br />
Die Highlights vom Branchentreffpunkt<br />
im belgischen Kortrijk.<br />
154 Fahrbericht | Temsa MD 9<br />
Neuer Start auf dem deutschen Markt.<br />
158 Test | Mercedes Tourismo<br />
Der waschechte Fernlinienbus<br />
zeigt erstaunliche Qualitäten.<br />
164 Historie | Büssing<br />
Die Enwicklung vom Büssing 110<br />
bis zum MAN Lion´s City G.<br />
E-MOBILITÄT VOLVO ELECTRI-CITY<br />
Projekt in Göteborg | Seite 100<br />
VORSTELLUNG BRT-SYSTEM UREVO<br />
Hybridgelenkbus von Hess | Seite 66<br />
RÜCKBLICK BUSWORLD EUROPE<br />
Messe-Magnet i8 von Irizar | Seite 150<br />
HISTORIE BÜSSING vom BS 110 bis<br />
zum MAN Lion´s City G | Seite 164<br />
Der Stand der Informationen in den Beiträgen und<br />
den Anzeigen entspricht dem jeweiligen Erstveröffentlichungsdatum.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 6 ] TITEL | Doppeldecker in der Übersicht<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
TITEL | Doppeldecker in der Übersicht [ 7 ]<br />
DIE RÜCKKEHR DER<br />
KÖNIGSKLASSE<br />
Marktübersicht: Doppeldecker waren zuletzt eine aussterbende<br />
Gattung. Doch viele Gründe sprechen heute für die Riesen der Straße.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, BEULAS, MAN<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 8 ] TITEL | Doppeldecker in der Übersicht<br />
1 Das exklusive Sharp-Cut-Design macht den<br />
Skyliner unverwechselbar.<br />
2 Beste Aussichten in der spannendsten<br />
ersten Reihe der Buswelt.<br />
3 Deutlich erkennbar die angeschnittene<br />
Glas-Dachkante, die für beste Sicht sorgt.<br />
4 Im kathedralenartigen Heck arbeitet der<br />
bärige D26 mit 505 PS – exklusiv im Skyliner.<br />
5 Schwungvoll, aber nicht ganz auf der Höhe<br />
der digitalen Zeit, zeigt sich das Cockpit.<br />
1<br />
2<br />
Wer hätte vor fünf Jahren dem guten<br />
alten Doppeldecker noch große Sprünge<br />
zugetraut? Sinkende Verkaufszahlen,<br />
hohe Sicherheitsauflagen, schrumpfende Reisegruppen<br />
und oft überalterte Modelle. Bis Ende<br />
der Euro-4-Ära machten Setra und Neoplan als<br />
Platzhirsche mit der Formel „100 zu 100“ verkaufter<br />
Busse den europäischen Markt weitgehend<br />
unter sich aus. Im schlechtesten Jahr der<br />
vergangenen Zeit, 2<strong>01</strong>0, kehrte sich das Verhältnis<br />
dann fast in 100 zu Null bei einem Gesamtmarkt<br />
von rund 200 Fahrzeugen um. MAN<br />
hatte das Thema Skyliner einfach unterschätzt<br />
und zu leichtfertig an das neu entstandene und<br />
schnell wieder verschwundene Unternehmen<br />
Viseon ausgelagert. Zudem wurde die Produktion<br />
bei MAN von Pilsting nach Plauen<br />
und schließlich nach Ankara verlagert – sowas<br />
bringt mehr als Unruhe ins Geschäft. De facto<br />
war Neoplan seit 2<strong>01</strong>0 nicht mehr präsent auf<br />
dem Spielfeld der Königsklasse – just zu dem<br />
Zeitpunkt, an dem durch die Freigabe der Fernlinien<br />
in Deutschland und später auch in anderen<br />
Ländern wie Frankreich oder Italien, der Markt<br />
erstmals wieder so richtig ansprang. Schon 2<strong>01</strong>3<br />
kratzten die Zahlen an der 300er Marke, 2<strong>01</strong>5 bereits<br />
an der von 500 verkauften Bussen und ein<br />
Ende des Boom ist nicht abzusehen.<br />
Dafür gibt es drei gute Gründe: Kein anderes<br />
Fahrzeugkonzept kann mit einer besseren<br />
Bilanz aufwarten, was die Beförderungskapazität<br />
und die Transporteffizienz angeht. Teilweise<br />
3<br />
4<br />
5<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
TITEL | Doppeldecker in der Übersicht [ 9 ]<br />
Neoplan Skyliner – Hoffungsträger mit Starthemmung<br />
Derzeit ist der Skyliner der fünften Generation<br />
wohl der exklusivste Vertreter der Königsklasse,<br />
auch wenn er rund fünf Jahre gebraucht hat,<br />
um stabil in Produktion zu gehen. Verwunderlich<br />
ist die mangelnde Strategie von MAN bei dem<br />
bisher letzten, echten Neoplan-Prestigeprojekt<br />
„Made in Germany“ und dessen Entstehung<br />
aber schon. Zum Glück haben sich die Planer in<br />
München und Wolfsburg besonnen und lassen<br />
den Bus auf Wunsch mit hochwertigen Innenausstattungen<br />
im BMC in Plauen versehen, der<br />
hier abgebildete Messewagen von 2<strong>01</strong>5 ist hierfür<br />
ein Paradebeispiel. Alles aus einer Hand (siehe<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>6) – das kann derzeit<br />
in dieser Form kein Anbieter leisten.<br />
Ebenso einzigartig ist das Design des Busses,<br />
die nach Starliner und Cityliner dritte Emanation<br />
des Neoplan-eigenen Sharp-Cut-Designs aus<br />
der Feder von Michael Streicher. Nicht nur, dass<br />
die massige Erscheinung des 14 Meter langen<br />
Kolosses durch die gekonnt geschliffenen Kanten<br />
und Ecken um einiges graziler daherkommt,<br />
auch die Sichtverhältnisse in der ersten Reihe<br />
oben – immer noch die spannendste überhaupt<br />
im Busmarkt derzeit – sowie die auf den Fensterplätzen<br />
sind dank der oberen „Skylights“<br />
hervorragend und sicher aus Kundensicht ein<br />
echtes Argument für den Premium-Liner aus<br />
Ankara, der bis zu 83 Passagieren Platz bietet.<br />
Freuen werden die sich auch über einen der<br />
größten Kofferräume der Königsklasse, der bis<br />
zu elf Kubikmeter verschluckt. Praktisch auch<br />
der Sondernutzungsraum links hinter der Toilette.<br />
Weniger üppig geht es im Cockpit zu, obwohl<br />
Neoplan den Mittelboden insgesamt nach oben<br />
etwas anschrägt, was der Sicht in die weit herunterragenden<br />
Spiegel zuträglich ist. Aber wegen<br />
der konzeptionell nur links orderbaren Treppe wird es hinter dem Fahrer<br />
schon arg knapp, auch wenn man hier etwas nachgearbeitet hat. Nacharbeiten<br />
sollten die MAN-Mannen auch beim Armaturenträger, der zwar von<br />
einem edlen Multifunktionslenkrad und hochwertigen Materialen gekrönt<br />
wird, aber dem Bauteil selbst und der Elektronik sieht man seine Genese<br />
aus dem Jahr 2004 und dem Zwillingsbruder Starliner schon deutlich an.<br />
Auch der Begleitersitz wirkt eher wie zufällig eingebaut, viel Luxus sollte<br />
der zweite Mann oder die zweite Frau an Bord nicht erwarten. Toll dagegen<br />
die Atmosphäre im Kommandostand,<br />
wenn die<br />
WERTUNG<br />
Exklusives und gleichzeitig<br />
passagierfreundliches Design<br />
Größter Kofferraum seiner Klasse,<br />
gut zugänglich und weitgehend geglättet<br />
Exklusives Fahrwerksystem CDS zur<br />
effizienten Aufbaustabilisierung<br />
Cockpit nicht ganz auf aktuellen Technik-<br />
Stand, Displays zu klein, schwer ablesbar<br />
Platzverhältnisse hinter Fahrer sehr knapp<br />
1<br />
2<br />
1 Hochwertige Sitze, Skylights und bis zu vier Dachfenster verleihen<br />
dem Oberdeck echte Luxusliner-Atmosphäre.<br />
2 Im Unterdeck lässt sich eine separate Welt einrichten, die<br />
Gepäckablagen taugen maximal für Damen-Handtaschen.<br />
3 Träume von Küchen wie diese werden in der MAN-Tischlerei im<br />
Plauener Bus Modification Center (BMC) auf Wunsch gefertigt.<br />
MAN bietet diesen Service als einziger Hersteller aus einer Hand.<br />
Milchglastür zum Passagierbereich<br />
geordert<br />
wird. Die Sitzreihe hinter<br />
dem Begleiter wird in ein<br />
weitgehend abgeschlossenes,<br />
ruhiges Abteil<br />
ähnlich einem Unterflurcockpit<br />
einbezogen. Das<br />
hat vor allem im Fernlinienverkehr<br />
enorme Vorteile (siehe <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>4). Kaum mäkeln<br />
kann man auch am Antriebstrang, der weitgehend auf Elementen der neuen<br />
Lion’s-Chassis-Generation basiert. Der bärige D26-Motor ist auch mit „nur“<br />
2.300 Newtonmetern über fast jeden Zweifel erhaben. Ebenso geht die AS-<br />
Tronic, auch MAN Tip-Matic genannt, gekonnt ihrem Sortierwerk nach. Neu<br />
im Angebot ist die topografische Steuerung Efficient-Cruise mit Efficient-<br />
Roll, was MAN zuerst nicht anbieten konnte. Kleiner Wermutstropfen beim<br />
Fahrwerk: die Nachlaufachse ist zwar starr, aber trotzdem elektrohydraulisch<br />
gelenkt. Der Wendekreis von etwas über 23 Meter bleibt zudem im Rahmen.<br />
Ein anderes Schmankerl zeichnet den Skyliner aus: das elektronische Dämpfersystem<br />
CDS bewahrt den Aufbau vor allzu heftigen Nicken und Wanken.<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 10 ] TITEL | Doppeldecker in der Übersicht<br />
mehr als 90 Personen können (dann freilich nicht<br />
mehr sehr komfortabel) im Bus unterkommen.<br />
Dazu kommt das weitgehend niederflurige Unterdeck<br />
für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste.<br />
Gerade für die Fernlinien mit der seit Anfang<br />
2<strong>01</strong>6 gesetzlich verpflichtenden Notwendigkeit<br />
von zwei Rollstuhlplätzen ist diese bisher eher<br />
vernachlässigte konzeptbedingte Eigenschaft<br />
heute echtes Geld wert. Denn für einen Hublift<br />
am Hochdecker müssten sonst rund 30.000<br />
Euro berappt werden. Zudem ist das Konzept<br />
der Zwei-Zonen-Nutzung – oben Ruhe zum Genießen,<br />
unten Catering und Skatspiele – immer<br />
noch sehr spannend und wird oft genug noch als<br />
„Loungeliner“ oder ähnliches vermarktet. Und<br />
mit den bärenstarken und hocheffizienten Motoren<br />
heute durchbricht ein Doppeldecker heute<br />
schon spielend die zehn Gramm-CO 2 -Marke<br />
pro Fahrgast nach unten.<br />
Getreu dem Effizienzdiktat haben sich daher<br />
die großen Hersteller Setra, Scania und Neoplan<br />
darauf verlegt, nur noch die größten Baumuster<br />
anzubieten, um die beste Kapazität zu erreichen,<br />
aber auch um die Fertigungsbreite deutlich<br />
zu verringern. Vorbei sind die Zeiten, als<br />
zum Beispiel wendige Dreiachser mit zwölf Me-<br />
1<br />
2<br />
Übersicht und technische Daten Doppeldecker<br />
Neoplan<br />
Skyliner<br />
Scania Van Hool<br />
Astromega<br />
Setra<br />
S 431 DT<br />
Van Hool<br />
Astromega<br />
Konzept<br />
Erhältliche Längen 13,99 m 14,10 m 13,89 m 13,15/14,10 m 13,08/14,14 m<br />
Motorisierung<br />
Getriebe<br />
Topografisches<br />
Schaltprogramm<br />
MAN D26, 12,4 L Hubraum,<br />
371 kW (505 PS); 2.300 Nm<br />
max. Drehmoment;<br />
MAN Tip-Matic, automatisiertes<br />
12-Gang Getriebe<br />
MAN Efficient-Cruise mit<br />
Eco-Roll Freilauffunktion<br />
Scania DC 13; 12,7 L Hubraum;<br />
331/363 kW (450/490<br />
PS); 2.350/2.505 Nm<br />
Scania Opticruise, automatisiertes<br />
12-Gang-Getriebe<br />
Scania Active Prediction mit<br />
Eco-Roll Freilauffunktion<br />
MB OM 471; 12,8 L; 375 kW<br />
(510 PS), 2.500 Nm max.<br />
Drehmoment<br />
MB GO 250-8, automatisiertes<br />
8-Gang-Getriebe<br />
Predictive Powertrain Control<br />
mit Freilauffunktion<br />
DAF/Paccar MX13; 12,9 L;<br />
340/375 kW (460/510 PS);<br />
2.300/2.500 Nm<br />
MB GO 230-6 / ZF AS-Tronic,<br />
automat. 12-Gang Getriebe<br />
nein<br />
VDL<br />
FDD2<br />
DAF/Paccar MX13; 12,9 L<br />
Hubraum; 375 kW (510 PS);<br />
2.500 Nm max. Drehmoment<br />
ZF AS-Tronic, automatisiertes<br />
12-Gang Getriebe<br />
nein (geplant)<br />
Art der Nachlaufachse MAN starr, aktiv gelenkt Scania starr, aktiv gel. MB Einzelrad, aktiv gelenkt MAN Einzelrad; aktiv gelenkt ZF Einzelrad, aktiv gelenkt<br />
Radstand 1/Wendekreis 6.700/23.316 mm 6.900/23.800 mm 6.700/22.978 mm 6.160/6.860/24.000 mm 6.195/7.355/21.450/24.300<br />
Stehhöhen unten/oben 1.810/1.680 mm 1.810/1.685 mm 1.828/1.687 mm 1.685/1.810 mm 1.855/1.724 mm<br />
Kapazitäten<br />
Min./Maximale Sitzplatzzahl 68 bis 91+1+1 78 bis 89+1+1 78 bis 93 +1+1 max. 81+1+1/89+1+1 max. 84+1+1/96+1+1<br />
Kofferraumvolumen 9 bis 11 m3 7,2 m3 8,3 m3 6,5/7,2 m3 9,3 m3<br />
Tankvolumen bis zu 720 L 720 L 510+220 (SA) bis zu 900 L 445+250+250<br />
Sicherheitssysteme<br />
ESP ja ja ja ja ja<br />
Dauerbremslimiter ja nein ja nein ja<br />
Adaptiver Tempomat ja ja ja ja ja<br />
Stop&Go Assistent nein nein ja nein nein<br />
Spurverlassenswarner ja ja ja ja ja<br />
Notbremsassistent ja ja ja ja ja<br />
Aufmerksamkeitsassistent ja (Warnung opt./akustisch) ab Mitte 2<strong>01</strong>6 ja (Warnung optisch) ja (Warnung akustisch) ja (Warn. haptisch/optisch)<br />
Regen-Licht-Sensor ja nein ja nein nein<br />
Gurtwarner Fahrer/Begleiter nein nein ja nein nein<br />
Xenon-Scheinwerfer ja ja ja ja ja<br />
LED-Scheinw./Kurvenlicht nein/ja ja /nein nein/nein ja/nein ja/nein<br />
LED Scheinwerfer nein nein ja ja<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
TITEL | Doppeldecker in der Übersicht [ 11 ]<br />
3<br />
4<br />
5<br />
Setra S 431 DT – In Würde gereifter Megaseller<br />
Der Setra S 431 DT läuft und läuft und läuft –<br />
und verkauft sich dank beinahe fünfjähriger Abwesenheit<br />
des ehemals gefürchteten Hauptkonkurrenten<br />
wie geschnitten Brot – bisher mehr als<br />
2.500 Mal. Mit beinahe 300 verkauften Bussen<br />
im Jahr 2<strong>01</strong>5 ist der Koloss, den es nur in einer<br />
Länge gibt und der noch auf der 2003 gestarteten<br />
Top Class 400 basiert, eine Cash-Cow im Wortsinne.<br />
Und das, obwohl das Nachfolgerprojekt<br />
vor einigen Jahren hier wie anderswo durchaus<br />
in den Sternen stand. Wieder waren es die Fernlinien,<br />
die für enormen Bedarf gesorgt haben.<br />
Zudem ist der Doppeldecker relativ preiswert<br />
mit Rollstuhlplätzen auszustatten und bietet im<br />
Unterdeck noch mehr Platz für mobilitätseingschränkte<br />
Fahrgäste. Ein Punkt, der lange Zeit<br />
vernachlässigt wurde. Freilich sieht man der<br />
grauen Eminenz des Doppeldeckermarktes das<br />
Alter an – das aber mehr innen als außen.<br />
Das Außendesign kann dank zeitlosen Longlife-Prinzipen<br />
immer noch gefallen, die sanften<br />
Schwünge inklusive glänzender „La Linea“ sind<br />
sowas wie ein „Premiumbeweis“ auf europäischen<br />
Straßen. Anders sieht es da schon im Innenraum<br />
aus, gerade und besonders im direkten<br />
Vergleich zur kongenialen neuen 500er Baureihe,<br />
die bei so manchem Kunden sicher Begehrlichkeiten,<br />
aber kaum Kaufzurückhaltung weckt. Das<br />
2<br />
WERTUNG<br />
Ausgereiftes Konzept mit moderner und<br />
effizienter Motorisierung sowie Top-Fahrwerk<br />
Umfangreichste Sicherheitsausstattung<br />
Bester Wiederverkaufswert<br />
Nur eine Länge verfügbar<br />
Hoher Kabelkanal vor der Toilette<br />
Beengter Raumeindruck im Cockpit<br />
Design mit Longlife-Qualität im Innenraum<br />
etwas antiquiert<br />
namens Duden fließt durch ihr 1.400 en Ort<br />
und versorgt sie mit den nötigen Regelialien.<br />
Es ist ein paradiesmatisches Land, in dem<br />
1.500 arg in einem die Jahr gebratene gekommene Satzteile Cockpit, in der den hohe Mund Kabeltunnel<br />
Nicht vor einmal der Toilette, von der die allmächtigen fast schon barock Inter-<br />
fliegen.<br />
punktion anmutende 1.600 Verkleidung werden die der Blindtexte Brüstung beherrscht vor ersten<br />
ein Reihe geradezu im Oberdeck unorthographisches – alles zusammen Leben.Ei-<br />
wirkt<br />
–<br />
nes schon Tages etwas aber muffig. bes 1.700 chloß eine kleine Zeile<br />
Blindtext, Anders die ihr Technik: Name war die Lorem hat Setra Ipsum, 2<strong>01</strong>3 hinaus mit rund zu<br />
gehen 40 Neuerungen in die weite geschickt Gra 1.800 mmatik. auf den Der aktuellen große<br />
Oxmox Stand gebracht. riet ihr davon Vor allem ab, es der dort neue, wimmele 2.500 Newtonmeter<br />
Kommata, starke wilden Motor Fragez OM 471, 1.900 der eichen jüngst und auf<br />
von<br />
bösen<br />
hinterhältigen gesteigerte Effizienz Semikoli, getrimmt doch das wurde, Blindtextchen überzeugt.<br />
ließ In Verbindung sich nicht beirren. mit dem hauseigenen, optimierten<br />
Powershift 3-Achtganggetriebe ist das Kraftpaket<br />
eines der stärksten Argumente für den Golden<br />
Oldie. Das prädiktive Schaltprogramm PPC tut<br />
mit bis zu zehn Prozent Einsparung (siehe <strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>4) sein Übriges dazu, um<br />
den Pro-Kopf-Ausstoß an CO 2 des für bis zu 93<br />
Passagieren ausgelegten Busses unter die Zehn-<br />
Gramm-Grenze zu drücken. Vorbildlich auch die<br />
Cockpitelektronik mit aktuellem Lenkrad und<br />
farbigem Multifunktionsdisplay. Weniger schön<br />
ist die tiefliegende Decke, die den Fahrer häufig<br />
zum Verneigen zwingt, um die Spiegel einzusehen.<br />
Aber es gibt ja viele andere gute Gründe, um<br />
sich vor diesem Bestseller zu verneigen.<br />
1 Viele Ablagen<br />
in die<br />
Fahrertür integriert,<br />
die<br />
wegen der<br />
niedrigen<br />
Innenhöhe<br />
praktisch ist.<br />
2 Nicht ganz<br />
so schick<br />
wie die 500er<br />
Armaturen,<br />
aber sehr<br />
funktional.<br />
1<br />
1 Ein erstklassiges Fahrwerk ist eines der<br />
Kaufargumente für den gereiften Setra.<br />
2 Die optisch ineinanderfließenden Decks sind<br />
das Aushängeschild Premium-Doppeldecker.<br />
3 Gut erkennbar sind die etwas beengten<br />
Verhältnisse für den Fahrer im Cockpit.<br />
4 Die überarbeitete Euro-6-Version ist an den<br />
symmetrischen Lüftungsgittern erkennbar.<br />
5 Bei allen Doppeldeckern ist die Nachlaufachse<br />
aktiv gelenkt.<br />
6 Vor allem im Oberdeck stört den Passagier<br />
die etwas altbackene Ausstattung.<br />
6<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 12 ] TITEL | Doppeldecker in der Übersicht<br />
2<br />
1 Die glattflächige Front wird von einer<br />
dreidimensionalen Stirn mit Zusatzscheinwerfern<br />
„Skylights“ gekrönt.<br />
2 Nicht nur Gestaltung und Haptik der<br />
vorderen Treppe setzen Maßstäbe im<br />
Doppeldecker-Segment.<br />
3 Im oberen Mittelfeld rangieren die<br />
Kofferräume der beiden VDL-Modelle in<br />
zwei Längen.<br />
4 Der Fahrer findet ein aufgeräumtes<br />
und luftiges Cockpit vor und mit den<br />
optionalen LED-Scheinwerfern auch<br />
besonders gut den Weg.<br />
1<br />
ter Länge durch die Alpen wuselten. Lediglich<br />
Van Hool und VDL leisten sich den Luxus und<br />
geben dem Kunden die Wahl, einen kurzen Wagen<br />
mit rund 13 Metern Länge zu konfigurieren.<br />
Eine große Rolle werden diese Modelle sicher<br />
nicht spielen, sind sie doch nur unwesentlich<br />
billiger als die ausgewachsenen Modelle, die je<br />
nach Ausstattung zwischen 400.000 und 500.000<br />
Euro rangieren.<br />
Neben den immer kleineren Reisegruppen<br />
und dem Aufstieg der Billigflüge nach Spanien<br />
und in alle Welt, machte dem Doppeldecker<br />
vor allem das Thema Sicherheit lange zu schaffen.<br />
Grund dafür ist neben dem höheren Schwerpunkt<br />
der Busse auch die Ausnahme von der<br />
europäischen Norm für Überrollfestigkeit ECE<br />
R66, die 2<strong>01</strong>7 auch in der verschärften Form für<br />
Hochdecker und andere Busse, nicht aber für<br />
den Doppeldecker greifen wird.<br />
Die hierfür geforderten Parameter, wie der<br />
definierte Überlebensraum für den Passagier,<br />
sind bei diesem Fahrzeugkonzept schier nicht zu<br />
schaffen, ohne soviel Stahl zu verbauen, dass der<br />
Bus keine Passagiere mehr – geschweige denn<br />
Gepäck – aufnehmen kann. Der Buslobby kam<br />
bei der Argumentation gegen die Einbindung<br />
in die R66-Richtlinie zupass, dass seit 2003 in<br />
Sachen Sicherheit so massiv aufgerüstet worden<br />
war, dass mit Notbremssystem, Spurhalteassistent,<br />
LED-Scheinwerfern (Van Hool und<br />
VDL) und anderen Systemen der Doppeldecker<br />
in der aktiven Sicherheit anderen Reisebussen<br />
in nichts nachsteht. Freiwillig verbaute Systeme<br />
wie das wank- und nickreduzierende, elektrohydraulische<br />
Fahrwerk CDS bei Neoplan oder der<br />
Stop&Go Assisent bei Setra tragen ihr Übriges<br />
4<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
TITEL | Doppeldecker in der Übersicht [ 13 ]<br />
dazu bei, dass die Sicherheitsdiskussion ein für<br />
allemal der Vergangenheit angehört.<br />
In die Annalen der Geschichte gehören auch<br />
weitgehend schwachbrüstige Motoren und hakelige<br />
Schaltgetriebe. Fast alle Hersteller spendieren<br />
ihrer Königsklasse auch gleich das Beste<br />
und Stärkste mit ins hohe Heck, was Kraftstoff<br />
in Vortrieb verwandeln kann. Nur Van Hool und<br />
VDL lassen dem Kunden die Wahl, einen etwas<br />
schwächeren Motor zu wählen, wirklich Sinn ergibt<br />
das aber kaum. Die Frontlinie im Leistungswettbewerb<br />
hat sich bei rund 500 PS und 2.300<br />
bis 2.500 Newtonmeter an maximalen Drehmoment<br />
eingependelt. Die Spitze markiert derzeit<br />
Scania mit 2.550 Newtonmetern und einem sehr<br />
seidig agierenden Motor, der exklusiv mit seinem<br />
Zwölf-Gang-Opticruise-Getriebe gepaart<br />
ist. MAN wiederum vertraut noch auf den D26<br />
mit fast schon „schwächlichen“ 2.300 Newtonmetern<br />
mit angepasster ZF-AS-Tronic. Man darf<br />
gespannt sein, ob zuerst der neue MAN-Motor<br />
Einzug hält oder das neue Traxon- Getriebe von<br />
ZF. An diesem modular aufgebauten Nachfolgemodell<br />
arbeiten auch bereits Van Hool und<br />
VDL – beide vertrauen großflächig auf DAF-Motoren.<br />
Einführungstermine für dieses Getriebe,<br />
das erstmal optional mit einem parallel arbeitenden<br />
Hybridmodul gepaart werden kann, will jedoch<br />
noch keiner der Hersteller nennen. Freilich<br />
wäre man im Reisebusbereich ein echter Pionier<br />
bei dem Thema, zumal hier Erdgas- und Elektroantriebe<br />
nicht am Horizont zu erkennen sind.<br />
Und auch im Reisebusbereich müsste das Zeitalter<br />
der alternativen Antriebe langsam eingeläutet<br />
werden.<br />
Alternativen zu ZF bietet vor allem Setra mit<br />
dem Mercedes-Powershift-3-Achtgang-Getriebe,<br />
das zwar nicht so fein gestuft ist wie die AS-Tronic<br />
und Scania Opticruise, was aber bei der bulligen<br />
Kraft des neuerlich nochmals überarbeiteten<br />
OM 471 kein Thema sein dürfte. Bei voller<br />
Beladung sollte man freilich mal den serienmäßigen<br />
Dynamikmodus bemühen, um genügend<br />
raschen Vortrieb zu generieren. Die Fahrwerke<br />
aller Vertreter der Klasse sind State oft the Art,<br />
alle Nachlaufachsen sind elektrohydraulisch<br />
gelenkt, wenn auch nicht immer einzeln aufgehängt.<br />
Beim Van Hool hat die Scania-Antriebsachse<br />
bei den Geräuschemissionen einen leichten<br />
Vorteil gegenüber der ansonsten verbauten<br />
Dana-Achse. Das bereits unter der Hand angekündigte<br />
Chassis von Scania dürfte zur IAA den<br />
Abstand hier wohl noch ein wenig vergrößern.<br />
Bei den Cockpits der Reiseriesen haben derzeit<br />
Setra und VDL die Nase vorn – Setra was<br />
elektronische Anbindung und digitale Darstellung<br />
betrifft, VDL was Design und Ergonomie<br />
angeht. Selten hat der Doppeldeckerfahrer<br />
einen edleren und luftiger geschnittenen<br />
Arbeitsplatz genossen. Das Neoplan-Cockpit<br />
überdimensionierten<br />
Die beherbergen aber ähnlich wie bei Van Hool<br />
auf Wunsch schon LED-Scheinwerfer. Die obere<br />
Scheibe ist weitgehend bündig mit der Karosserie<br />
und der unteren Scheibe verklebt und mündet in<br />
eine dreidimensional modellierte Stirn, an deren<br />
Seiten keine Geheimratsecken sondern vielmehr<br />
„Skylights“, hier sind es Zusatzscheinwerfer, positioniert<br />
sind. In der ersten Reihe sitzend wirkt<br />
die Scheibe etwas schmal, da man aus Sicherheitsgründen<br />
die Bugverkleidung etwas höher<br />
gezogen hat als beim Vorgänger. Bei der Gele-<br />
namens Duden fließt durch ihr 1.400 en Ort<br />
und versorgt sie mit den nötigen Regelialien.<br />
Es ist ein paradiesmatisches Land, in dem<br />
1.500 genheit einem haben gebratene die Ingenieure Satzteile gleich in den Mund Boden<br />
fliegen. an der Nicht Windschutzscheibe einmal von der mit allmächtigen angehoben – Interpunktion<br />
zwar deutlich. 1.600 werden Sinn der die Übung: Blindtexte die Sicht beherrscht des Fah-<br />
und<br />
– rers ein geradezu auf die Spiegel unorthographisches zu verbessern, was Leben.Eineragend<br />
Tages gelungen aber bes ist. 1.700 Wie chloß überhaupt eine das kleine Interieur Zeile<br />
hervor-<br />
Blindtext, des Busses ihr zu Name seinen war besten Lorem Seiten Ipsum, gehört: hinaus hell, zu<br />
gehen freundlich in die und weite modern. Gra 1.800 So lässt mmatik. sich Der nicht große nur<br />
Oxmox das sehr riet übersichtliche ihr davon ab, und es dort funktionale wimmele Cockpit von<br />
bösen beschreiben, Kommata, sondern wilden auch Fragez die Treppenaufgänge<br />
1.900 eichen und<br />
hinterhältigen sowie die Materialen Semikoli, für doch den das Ausbau Blindtextchen des Oberließ<br />
und sich des nicht Unterdecks. beirren. Überall begegnet einer sehr<br />
angenehmen und modernen Haptik, die man bisher<br />
von VDL nicht kannte. Gerade das Cockpit ist<br />
im wahrsten Sinne des Wortes eine „helle Freude“.<br />
Man setzt sich und legt los – einfach so ohne<br />
Probleme. Auch die Verarbeitung ist bei den ersten<br />
Prototypen schon erstaunlich gut – kaum ein<br />
ungebührliches Geräusch dringt ans Ohr. Zudem<br />
brüstet sich VDL nicht zu unrecht mit den klassenbesten<br />
Werten für die Stehhöhen oben und<br />
unten, immer ein leidiges Doppeldeckerthema.<br />
Beste Voraussetzungen also, um als Newcomer<br />
Scheinwerfer-Gehäusen. so richtig durchzustarten im Boom-Segment.<br />
VDL FDD2 – Newcomer mit Ambitionen<br />
Auch der niederländische Hersteller VDL in Eindhoven<br />
will sich ein größeres Stück vom wachsenden<br />
Doppeldeckerkuchen abschneiden. Bisher<br />
rangierte man mit dem auf einem Berkhof-Modell<br />
basierenden Axial 100 Synergy mit jährlichen<br />
Stückzahlen im unteren zweistelligen Bereich<br />
eher unter „ferner liefen“. Das will man nun mit<br />
zwei neuen Modellen der 2<strong>01</strong>0 massiv modernisierten<br />
Futura-Baureihe gründlich ändern. In<br />
Kortrijk war das Ergebnis im Herbst erstmals zu<br />
sehen (siehe <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5). Neben<br />
dem 14,14 Meter langen Wagen mit maximal<br />
96 Sitzen und einem üppigen Wendekreis von<br />
über 24 Metern wird auch eine 13,08 Meter<br />
lange, wendigere Ausführung mit maximal 84<br />
Sitzen und einem Wendekreis von 21,5 Metern<br />
angeboten. Die Kofferräume sind mit 8,8 beziehungsweise<br />
9,3 Kubikmeter ansehnlich, reichen<br />
aber nicht an den Klassenprimus Skyliner heran.<br />
Äußerlich ist der Wagen den Hochdeckern wie<br />
aus dem Blech geschnitten, wobei das Heck insgesamt<br />
harmonischer wirkt als die Front mit den<br />
WERTUNG<br />
Auffälliges Design mit vielen Gleichteilen zu den<br />
anderen Futura-Modellen<br />
Hochwertige Innenraummaterialien und sehr<br />
geräumiges Cockpit mit guter Ergonomie<br />
Kraftvoller Antriebsstrang<br />
Gute Stehhöhe vor allem oben<br />
Noch kein prädiktiver Tempomat verfügbar<br />
Reserverad ragt weit nach unten<br />
Der rechts liegende<br />
Treppenaufgang ist auch<br />
für den VDL Standard.<br />
Die Frontscheibe ist<br />
recht schmal geraten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 14 ] TITEL | Doppeldecker in der Übersicht<br />
3<br />
1<br />
4<br />
2<br />
1 Van Hool bietet neben VDL als einziger<br />
Hersteller zwei Fahrzeuglängen an.<br />
2 Sehr angenehm ist der traditionelle Platz<br />
der Küche über der Vorderachse nahe dem<br />
Begleiter und fern der Toilette.<br />
3 Dem Cockpit mit steilem Armaturenträger<br />
fehlt noch ein Multifunktionslenkrad, der<br />
Begleiter ist aber bestens versorgt.<br />
4 Guter Komfort und separat vom Fahrgast<br />
zu belüftende obere Frontscheibe, kleine<br />
Monitore fehlen hier jedoch.<br />
weiß zwar zu gefallen, die Displays aber sind<br />
mittlerweile als schlecht ablesbar zu bezeichnen<br />
und eine modernere Mediaanlage sollte<br />
man der Königsklasse auch spendieren. Van<br />
Hool wiederum ist der einzige Hersteller, der<br />
bisher auf ein Multifunktionslenkrad verzichtet,<br />
dafür ist der Multifunktionsknopf links<br />
und die Ausstattung des Begleiterplatzes vorbildlich<br />
zu nennen. Die Innenräume der Konkurrenten<br />
bieten allesamt konzeptbedingt nur<br />
wenig Stehhöhe, alleine VDL schafft durch seinen<br />
leichten Sandwichboden die Quadratur des<br />
Kreises und kann höhere Werte vorweisen als<br />
die anderen Busse. Dafür bietet Van Hool ein<br />
durchgehendes Glasdach à la Setra an, allerdings<br />
stehen die vier großen Dächer samt seitlichen<br />
Skylights beim Skyliner der Vollverglasung<br />
kaum nach. Denn wie heißt es so schön bei<br />
allen Himmelstürmern und Hollywood-Liebhabern:<br />
„Only the Sky ist the Limit“. ◼<br />
Scania Van Hool Astromega – der König des Drehmoments<br />
Der größte Unterschied des „Body on Chassis“-Modells von Scania ist der schwedische Triebstrang.<br />
Zumal sich das DC-13-Aggregat mit 2.550 Newtonmeter an die Spitze des Wettbewerbs setzt.<br />
Alternativ gibt es auch die 450-PS-Version, was insgesamt vier Motoren für den Astromega bedeutet.<br />
Zudem ist für die automatisierte Zwölfgangbox das prädiktive Schaltprogramm Scania Active<br />
Prediction zu bekommen. Die Setzgeschwindigkeit für den Tempomaten ist ab Werk im Eco-Modus<br />
auf 95 km/h eingestellt – das wird nicht jedem Fahrer schmecken. Das Cockpit bietet moderne Instrumente,<br />
einen zusätzlichen Monitor für die Van Hool-Aufbaufunktionen mit dem „i-Drive-Knopf“.<br />
Was sonst noch läuft<br />
Neben den etablierten Herstellern tummeln<br />
sich kleinere spanische Busbauer wie Ayats,<br />
Beulas (Foto oben) und Unvi (Foto unten)<br />
im Markt, allerdings mit homöopathischen<br />
Zulassungen der Modelle Bravo, Jewel beziehungsweise<br />
Sil Intercity. Geboten werden<br />
Längen zwischen 13 und 15 Metern, teilweise<br />
sogar als Zweiacher oder mit einer Höhe<br />
von mehr als vier Metern wie der Unvi, der<br />
auf der Busworld auf MAN-Chassis zu sehen<br />
war. Kompromise muss der Kunde nicht nur<br />
bei Technik und Imagefaktor eingehen –<br />
auch beim Service hapert‘s schon mal.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
TITEL | Doppeldecker in der Übersicht [ 15 ]<br />
Van Hool Astromega – flexible Handwerksarbeit<br />
Zu ähnlicher Zeit wie Setra, nämlich 1982, stieg<br />
der belgische Hersteller Van Hool in den wachsenden<br />
Doppeldeckermarkt ein. Die Spezialität der<br />
Belgier: sie bieten für Europa zwei Längen und<br />
zwei Drivelines an: den DAF/MAN-Triebstrang mit<br />
Vollintegralbauweise auf der einen Seite, der immer<br />
noch den Löwenanteil der Lieferungen ausmacht,<br />
sowie eine „Body on Chassis“-Lösung mit<br />
einem Scania-Fahrwerk und -Motor. Mehr als 30<br />
Prozent werden allerdings vom 14 Meter langen<br />
Integralwagen TDX27 verkauft. Die 13-Meter-<br />
Variante spielt im Absatz dagegen kaum eine Rolle.<br />
Sicher auch ein Grund dafür, dass der Scania<br />
Van Hool Astromega ausschließlich in der langen<br />
Version mit bis zu 89 oder sogar 93 Sitzen zu<br />
bekommen ist (siehe <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5).<br />
Für den 13-Meter-Wagen bieten die Belgier sogar<br />
eine etwas moderatere Motorisierung mit 462<br />
PS/2.300 Newtonmeter statt 510 PS/2.500 Newtonmeter<br />
und zudem mit Mercedes-Sechsgang-<br />
Schaltgetriebe an. Als Schmankerl gibt es das<br />
automatische Allison-Wandlergetriebe (siehe <strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>6). Ein um rund einen Meter<br />
gekürzter Radstand wirkt sich auf den Wendekreis<br />
positiv aus, der Kofferraum für die bis zu 59 Passagiere<br />
schrumpft damit auf schmale 6,5 Kubikmeter,<br />
gegenüber den 7,2 Kubikmeter des großen<br />
Bruders. Die sprichwörtliche Flexibilität der Belgier<br />
ist der Trumpf der Busbauers. Zudem hat sich<br />
Van Hool über die Jahre den Ruf des handwerklich<br />
fokussierten Premiumherstellers par excellence<br />
erarbeitet und verteidigt diesen tapfer. So wird im<br />
Innenausbau noch viel mit Holz gearbeitet, zum<br />
Beispiel bei den kompletten Dachablagen, die<br />
oben sogar mit Klappen ausgestattet sind – eine<br />
Seltenheit im Markt. Zudem ist wie bei Setra ein<br />
durchgehendes Glasdach zu bekommen. Vieles<br />
wirkt wir aus dem Vollen gefräst – bis hin zum<br />
Edelstahl-Mülleimer im Treppenaufgang hinten.<br />
Freilich geht das teilweise zu Lasten des Leergewichtes.<br />
Van Hool will hier zeitnah nachlegen und<br />
bis zu 500 Kilogramm abspecken.<br />
Ein paar Abstriche muss der Kunde naturgemäß<br />
bei der Elektrik/Elektronik im Cockpit hinnehmen.<br />
Generell wirkt der Arbeitsplatz etwas altbacken,<br />
positiv muss aber immer wieder der Dreh-Drück-<br />
Steller à la BMW hervorgehoben werden, der direkten<br />
Zugriff auf die Aufbaufunktionen erlaubt.<br />
Ein Multifunktionslenkrad kann Van Hool bei der<br />
Integralversion als einziger Hersteller derzeit nicht<br />
bieten. Das Geräuschniveau des Busses ist gerade<br />
im Cockpit sehr niedrig, Knarzen und Klappern ist<br />
nicht das Handwerk des Belgiers. Die Antriebsachse<br />
aus kombinierter DANA/MAN-Fertigung ist<br />
nicht ganz so leise wie die des Scania-Fahrwerkes.<br />
Aber für eine Entscheidung hierzu werden<br />
1<br />
2<br />
wohl eher gesamtstrategische Überlegungen Ausschlag<br />
geben als die ein oder zwei Dezibel Singen<br />
des Differenzials. Vorbildlich wie eh und je zeigt<br />
sich der Begleiterplatz, der auch und gerade auf<br />
Betreiben der belgischen Busverbände immer<br />
stark im Fokus stand. Vom eigenen Medienmonitor<br />
bis zu beleuchteten Ablage ist alles da und<br />
hochwertig verarbeitet – so sollte es sein. Auch<br />
die Möglichkeit, die Küche über der Vorderachse<br />
hinter dem Begleiterplatz und toilettenfern zu<br />
platzieren ist eine sinnvolle belgische Tradition.<br />
Bei der Sicherheit zeigt sich, dass auch kleine<br />
Hersteller durchaus liefern können. Auf Wunsch<br />
gibt es neben den mittlerweile verbindlichen<br />
Helferlein auch Innovatives wie einen Aufmerksamkeitsassistenten<br />
oder eine Infrarotkamera zur<br />
besseren Nachtsicht. Geht nicht – gibt’s nicht.<br />
1 Geschlossene Gepäckablagen oben gibt es<br />
nur bei Van Hool. Bald soll es auch Kiel-<br />
Sitze zusätzlich zu den hauseigenen geben.<br />
2 Im Unterdeck lassen sich auch luxuriöse<br />
2+1-Bestuhlungen für echtes Lounge-<br />
Ambiente realisieren.<br />
WERTUNG<br />
Hohe Flexibilität mit zwei Längen und zwei<br />
Triebsträngen<br />
Hohe Verarbeitungsqualität<br />
Aufmerksamkeitsassistent und Infrarotkamera<br />
lieferbar.<br />
Etwas lauterer DAF-Triebstrang als Scania<br />
Design nicht ganz auf der Höhe der Zeit<br />
Kein Multifunktionslenkrad<br />
Stehende Pedale schlecht bedienbar<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> e-Paper bus & <strong>coach</strong> 2<strong>01</strong>6
[ 16 ] FAHRZEUGE | Mercedes Capa-City L<br />
STERNE-GROSS<br />
Vorstellung: Seit sechs Jahren bietet Mercedes mit dem Capa-City als einziger Hersteller einen<br />
vierachsigen Gelenkbus auf Citaro-Basis an. Jetzt wächst das Raumwunder weiter.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, DAIMLER<br />
Wenn ein deutscher Bushersteller zur<br />
Adventszeit die Presse aus aller Herren<br />
Länder an einen seiner wichtigsten<br />
Produktionsorte einlädt, dann hat er positive<br />
Nachrichten und neue Produkte im Gepäck –<br />
auch wenn es mehr um Fahrzeuge mit Rädern<br />
als schneetaugliche Kufen geht – um genau zu<br />
sein: mit zwölf Rädern an einer Karosse.<br />
Es geht um einen der wenigen Vierachser in<br />
der Buswelt. Andere süddeutsche Hersteller haben<br />
den Spagat zwischen Gelenkbus mit Zweiachs-Nachläufer<br />
und 15-Meter-Dreiachser auch<br />
probiert, sind aber nicht über den Prototypenstatus<br />
hinaus gekommen. Nicht so Mercedes: der<br />
Hersteller, der auf eine Geschichte von beinahe<br />
40 Jahren Schubgelenkbus-Erfahrung verweisen<br />
kann. 1977 erblickte in Mannheim der O 305 G<br />
das Licht der Straße.<br />
Als Erweiterung der aktuellen Citaro-Palette<br />
und als würdiger Nachfolger des ersten, bisher<br />
rund 350 Mal gebauten Capa-City schicken die<br />
Mannheimer ab 2<strong>01</strong>5 die neue Version des übergroßen<br />
Gelenkbusses ins Rennen um Unternehmers<br />
Gunst – als auf rund 21 Meter verlängerten<br />
Capa-City L.<br />
Der Trend weist immer deutlicher in Richtung<br />
Großraum-Fahrzeuge, erläutert Till Ober wörder,<br />
verantwortlich für Vertrieb und Marketing bei<br />
Daimler Buses, den neuerlichen Aufschlag in<br />
Sachen Beförderungskapazität. Nicht jedoch,<br />
ohne auf den Weihnachtsmarkt und die dort<br />
erworbenen Geschenkpakete anzuspielen.<br />
„Der Capa-City L ist die perfekte Lösung,<br />
um auf den Weihnachtsmarkt zu gelangen und<br />
Pakete mit nach Hause zu nehmen. Mehr Bus<br />
geht nicht!“, sagt er. Und so ist der lange Lulatsch<br />
auch der ideale Kandidat für die hierzulande<br />
noch wenig ausgeprägten „Bus Rapid Transit“-<br />
Strecken (BRT). Rund 250 Busse der ersten<br />
Capa-City-Generation laufen bereits erfolgreich<br />
auf solchen Linien in Istanbul und in Tokio<br />
schaut man sich das Konzept gerade etwas näher<br />
an – Olympia 2020 steht schließlich bevor.<br />
Die Hamburger Hochbahn, seit Jahrzehnten<br />
technischer Entwicklungspartner von Mercedes,<br />
testet nächstes Jahr gleich zwei Busse des<br />
Typs auf Linien, die teilweise nicht von Doppelgelenkbussen<br />
befahren werden können.<br />
Tatsächlich ist der Capa-City L – wie schon<br />
sein Vorgänger – der längste Mercedes-Stadtbus<br />
mit nur einem Gelenk in Europa. Und er ist mit<br />
21 Metern rund 1,5 Meter länger als das Vorgängermodell<br />
und stolze 2,9 Meter länger als ein Citaro<br />
G, der sich 2<strong>01</strong>3 ganze 900 Mal verkauft hat.<br />
Die Verlängerung des Busses findet zu gleichen<br />
Anteilen am Vorder- und Hinterwagen<br />
statt. Der Wendekreis erhöht sich dadurch auf<br />
rund 24,5 Meter bei gleichem vorderen Radstand.<br />
Geschrumpft sind dagegen die minimale Ringbreite<br />
(7,1 Meter) und das Ausschwenkmaß des<br />
Hecks (1,49 Meter), was der ausgefeilten Technik<br />
zuzuschreiben ist. Eine Ausnahmegenehmigung<br />
wird daher nurmehr für die Überlänge benötigt.<br />
Durch die vierte Achse ist die Gewichtsverteilung<br />
des rund 20 Tonnen schweren Busses harmonisch,<br />
was man von Gelenkbussen in der Vergangenheit<br />
nicht immer sagen konnte. Das Gerippe<br />
wurde entsprechend den höheren Belastungen<br />
verstärkt und erfüllt wie alle aktuellen Citaro die<br />
neue Umsturzrichtlinie ECE R 66.02.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
Der ergonomisch perfekte Arbeitsplatz ist gegenüber dem Vorgängermodell leicht erhöht.<br />
Die neue Elektronik ist an den modularen und<br />
tauschbaren Schalterblöcken gut zu erkennen.<br />
In der Serienversion kann der neue Tatzelwurm<br />
aus Mannheim statt bisher 186 jetzt 191<br />
Personen befördern. Dies allerdings bei Berechnung<br />
nach der optimistischen, gesetzlichen Formel<br />
von acht Personen pro Quadratmeter Stehfläche.<br />
Bei einer laut Mercedes realistischen<br />
Belegung von sechs Personen pro Quadratmeter<br />
sind es jedoch nur rund 165 Personen – wie<br />
auch bei der Konfiguration für den Hamburger<br />
Testbus. Immer noch eine beachtliche Leistung<br />
und fürwahr nicht die einzige.<br />
Ein neues Kapitel schlägt Daimler auch in<br />
Sachen Türen auf. Erstmals sind fünf Türen in<br />
einem Mercedes-Gelenkbus verfügbar – und<br />
das in großem Variantenreichtum: mal Innenschwenk-,<br />
mal Außenschwenk-Schiebetüren<br />
oder eine Kombination aus beidem, pneumatisch<br />
oder elektrisch. Da macht sich die Qual der<br />
Wahl breit und man stellt sich zugleich die bange<br />
Frage nach der Länge der Bushaltestellen. Nicht<br />
jede Stadt kann fünf Türen auch wirklich nutzen.<br />
Viel Entwicklungsarbeit steckt in Fahrwerk<br />
und Gelenk. Der Capa-City L ist wie seine<br />
kleinen Brüder der „G-Klasse“ mit der neuen,<br />
elektronischen Knickwinkelsteuerung ATC ausgerüstet,<br />
die im Gelenkbus sozusagen die Rolle<br />
des ESP übernehmen muss und mit der neu-<br />
Anzeige<br />
People<br />
Sie tragen die Verantwortung.<br />
Wir sorgen für die Sicherheit.<br />
Wenn Ihr Geschäft darin besteht, die wertvollste Fracht von allen<br />
zu transportieren, liegt Ihr Fokus auf Sicherheit und Komfort.<br />
Genau wie beim People-Portfolio von Continental, unseren neuesten<br />
Reifen der Generation 3, die speziell für Busse entwickelt wurden.<br />
Unsere innovativen Reifentechnologien bedeuten bessere<br />
Performance für Sie, Ihre Passagiere und Ihre Rentabilität.<br />
GENERATION 3. DRIVEN BY YOUR NEEDS.<br />
Conti Coach HA3 Conti CityPlus HA3 Conti Urban HA3
[ 18 ] FAHRZEUGE | Mercedes Capa-City L<br />
en Elektronikarchitektur E2B Einzug hält. Die<br />
Standard-Schleuderbremse ESP kann derzeit im<br />
Gelenkbus noch nicht umgesetzt werden. Es gibt<br />
schlichtweg zu viele Parameter, die berücksichtigt<br />
werden müssten.<br />
Mercedes-Benz Capa-City L<br />
MOTOR<br />
Reihensechszylinder OM 470 stehend eingebaut,<br />
Common-Rail-Einspritzung, AGR, SCR, DPF, Euro 6,<br />
Leistung: 265 kW (360 PS)/290 kW (394 PS),<br />
max. Drehmoment 1.700/1.900 Nm<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Getriebe: ZF Ecolife / Voith DIWA.6<br />
FAHRWERK<br />
Gelenk Hübner HNGK 19,5, max. Einschlagwinkel<br />
54,5°; elektronische Knickwinkelsteuerung<br />
ATC<br />
Vorderachse Einzelradaufhängung ZF RL 75 EC<br />
Nachlaufachse Einzelradaufhängung ZF RL 75 EC mit<br />
elektrohydraulischer Lenkung ASA<br />
Federung/ elektronisch gesteuert; optional: Wank-/<br />
Dämpfung Nickregelung ENR<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 20.995/2.550/3.120 mm<br />
Länge Vorder-/Hinterwagen 11.140/9.855 mm<br />
Zul. Gesamtgewicht 32.000 kg<br />
Zahl der Türen<br />
3, 4 oder 5 Innenschwenk-/<br />
Außenschwenkschiebetüren<br />
(Luft bzw. Elektro)<br />
Radstand 1/2/3<br />
5.900/7.260/1.600 mm<br />
Wendekreis/min. Ringbreite 22.470/7.100 mm<br />
Ausschwenkmaß Heck 1.490 mm<br />
Im hochwertigen und freundlichen Innenraum<br />
kommen maximal 191 Fahrgäste unter.<br />
Das elektrohydraulische System arbeitet blitzschnell<br />
und bedarfsgerecht. Über den CAN-Bus<br />
des Fahrzeugs werden die nötigen Parameter<br />
wie Lenkwinkel, Knickwinkel (max. 54,5 Grad),<br />
Geschwindigkeit und Last eingesteuert, um den<br />
nötigen Dämpfungsgrad zu errechnen. Da die<br />
bisherige, unspezifische Grunddämpfung des<br />
Gelenks so entfällt, verspricht Daimler besseres<br />
Einlenkverhalten und geringeren Reifenverschleiß<br />
an der Vorderachse.<br />
Clevere Lösungen bietet auch die vierte, jetzt<br />
einzelradaufgehängte Nachlaufachse mit neuer<br />
elektronischer Steuerung. Gezielte Neutralstellung<br />
oder Sperrung sorgen für ein verringertes<br />
Ausschwenkmaß und selteneren Bordsteinkontakt<br />
an der Haltestelle. Die Traktion lässt sich zudem<br />
durch zeitweise Entlastung der Achse erhöhen,<br />
sollte es mal zu verschneit sein auf dem<br />
Weg zum Weihnachtsmarkt.<br />
Weitere Sicherheitsmerkmale an Bord sind das<br />
vordere Crashelement sowie die Reifendruckkontrolle<br />
für alle zwölf Räder. Für den standesgemäßen<br />
Antrieb des Riesen sorgt der OM470-<br />
Reihensechszylinder, der stehend montiert ist<br />
und wahlweise 265 beziehungsweise 290 kW und<br />
1.700 beziehungsweise 1.900 Newtonmeter an<br />
Drehmoment mobilisiert. Gepaart sind die Aggregate<br />
aus dem Daimler-Baukasten mit Voith-<br />
Viergang- oder ZF-Sechsgang-Automatik.<br />
Dank der Common-Rail-Einspritzung sind<br />
die neuen Euro-6-Motoren leiser und auch sparsamer<br />
geworden. Viele Tests haben das schon<br />
bewiesen. In der immer wichtigeren Disziplin<br />
des CO 2 -Ausstoßes pro Fahrgast und Kilometer<br />
bewegte sich der Vorgänger im Test 2009 noch<br />
leicht über 10 beziehungsweise 20 Gramm (volle/halbe<br />
Auslastung, Durchschnittsverbrauch<br />
von 74,8 l/100 km). Der Euro-6-Gelenkbus<br />
hat diese bereits leicht unterschritten (<strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>4) und das ist dem Capa-City L<br />
Euro-6-Power pur mit langen Serviceintervallen<br />
werkelt im Heck des Busses.<br />
ebenfalls zuzutrauen. Doch wie formuliert Projektleiter<br />
Gustav Tuschen? „Größe alleine genügt<br />
nicht, das Fahrzeug muss sich auch rechnen.“<br />
Deshalb ist im Capa-City L alles auf Synergien<br />
ausgelegt. Es werden großenteils Gleichteile<br />
zum Citaro G verbaut. Das hilft spürbar,<br />
bei Wartung und Reparaturen zu sparen und<br />
die TCO-Kosten zu senken. Daimler spricht von<br />
18 Prozent weniger Wartungskosten. Das ist<br />
eine Währung, in der ÖPNV-Unternehmen gerne<br />
rechnen, auch in der Adventszeit.<br />
Und Betreiber, denen der Capa-City L doch<br />
etwas zu üppig ausgefallen ist, müssen nur ein<br />
wenig länger warten. Dann spendiert Daimler<br />
auch wieder eine Kurzversion des längsten<br />
Mercedes aller Zeiten. Diese wird auch<br />
rund 20 Zentimeter auf 19,7 Meter zulegen. Geschenkt<br />
wird es allerdings auch diese Version leider<br />
kaum geben – trotz Weihnachten. ◼<br />
SITZ-/STEHPLÄTZE<br />
Sitz-/Stehplätze (Testwagen) 43/122<br />
max. Kapazität (8 Pers./qm) 191<br />
Dank aufwendiger Elektroniksysteme verfügt der lange Vierachser über gute Fahreigenschaften.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
Faszinierende Geschichte<br />
gemeinsam erleben.<br />
Als Innovationstreiber auf den Gebieten Sicherheit, Komfort und Nachhaltigkeit ist<br />
Mercedes-Benz seiner Zeit immer voraus – seit nunmehr 129 Jahren. Diesen Fortschrittsgeist<br />
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Anbieter: Daimler AG, Mercedesstraße 137, 70327 Stuttgart
[ 20 ] FAHRZEUGE | Setra Multi-Class LE business<br />
STUFEN-LÖSUNG<br />
Vorstellung: Mit dem Setra LE business fährt ein solider Vertreter der<br />
Baureihe 400 vor, der sich ganz bewusst vom Mercedes-Pendant absetzt.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, DAIMLER<br />
Weniger ist in vielen Fällen oftmals mehr.“<br />
Einen so bescheidenen Satz vermutet<br />
man nicht von einem Produktmanager<br />
der Premiummarke Setra. Doch wie in jedem<br />
Produktprogramm gibt es auch dort ein paar<br />
Kandidaten, die etwas länger im Produktlebenszyklus<br />
durchhalten müssen als andere.<br />
So ist es auch im Falle der Setra-Überlandbaureihe<br />
Multi-Class 400, die im Namen den<br />
Zusatz „business“ trägt und die Ende 2<strong>01</strong>3 mit<br />
den Hochbodenmodellen namens UL gestartet<br />
ist. „Der Trend zum Low-Entry-Konzept im<br />
Überlandsegment hält an“, erläutert Thomas<br />
Fricke, Projektleiter für die Baureihe bei Setra.<br />
Nach sieben Jahren hat der Hersteller bereits<br />
mehr als 5.000 Einheiten der Multi-Class 400<br />
abgesetzt. Kein Wunder, dass man sich nun Zeit<br />
lässt in Ulm und dem höherwertig positionierten<br />
und eingepreisten Mercedes Citaro LE eine<br />
preiswerte Alternative an die Seite stellt. Auf die<br />
bisherige Vollniederflur-Variante NF verzichtet<br />
Setra dagegen ganz.<br />
Das Wort „business“ im Modellnamen ist<br />
durchaus als Gegensatz zum gleichlautenden<br />
Begriff im Flugzeug zu deuten – in diesen Fahrzeugen<br />
geht es sachlich, effizient und zuweilen<br />
ein wenig derb zur Sache.<br />
Nicht dass das bekannte 400er-Gesicht ein<br />
hässliches wäre – von wegen! Es strahlt das<br />
bekannte Setra Longlife-Designthema aus. So<br />
mancher eingefleischte Kunde, dem die stilistische<br />
Dynamik der 500er-Baureihe zu weit geht,<br />
mag sogar beglückt sein, sich noch eine Weile<br />
an dem bekannten Design erfreuen zu können.<br />
Weniger schmeichlerisch sind dagegen die<br />
archaisch anmutenden Außenspiegel an simplen<br />
Rohrgestellen, die ihren Zweck erfüllen – mehr<br />
aber auch nicht. Im konzeptbedingt kathedralenartig<br />
hohen Innenraum von über 2,6 Metern<br />
vorne findet sich der Fahrgast auf Anhieb gut<br />
zurecht, auch die durchsichtigen Gepäckablagen<br />
aus Plastik sind noch gut erreichbar. Eben-<br />
Linientreu: Die ansteigende Fensterlinie des<br />
Busses wird geschickt optisch kaschiert.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Setra Multi-Class LE business [ 21 ]<br />
so wie die Haltestangen, deren Elemente teilweise<br />
jedoch unschön und scharfkantig ineinander<br />
gesteckt sind. Auch die groben Schraubenköpfe<br />
an den Sitzgestellen oder auf der Abdeckung<br />
des sehr nüchternen Armaturenträgers wirken<br />
nicht eben wie ein Ausweis der Premiummarke.<br />
Antrieb und Fahrwerk des Arbeitstieres von Setra<br />
sind dagegen vom Feinsten. Selbstverständlich<br />
werkelt unter den neu gestalteten Radkästen,<br />
die in Klasse 2 serienmäßig eine vollwertige<br />
100-Prozent-Bereifung beherbergen, die ZF-<br />
Einzelradaufhängung. Im Vorführwagen ist<br />
sie zwar etwas straff, aber durchaus komfor tabel<br />
abgestimmt. Die hintere, unaufwendige Hypoidachse,<br />
die ja zum großen Teil den Charme eines<br />
Low-Entry-Triebstranges ausmacht, arbeitet sehr<br />
leise und unauffällig.<br />
Motorisiert ist der Setra mehr als ausreichend<br />
mit dem stehenden OM 936, der in Euro 6 sowohl<br />
mit 354 als auch 299 PS angeboten wird<br />
und der in seiner stärkeren Variante auf der Testrunde<br />
über die Schwäbische Alb einen quirligen<br />
Eindruck hinterließ. Besonders die Paarung mit<br />
dem ZF-Ecolife-Sechsgang-Getriebe weiß zu gefallen<br />
– beide ergänzen einander nahezu perfekt.<br />
Alternativ sind sowohl das DIWA.6- Getriebe<br />
von Voith, für den Sparfuchs ein preiswerter<br />
Sechsgang-Handschalter und sogar die luxuriöse<br />
Powershift-8-Box zu bekommen.<br />
Auch bei Sicherheit und Barrierefreiheit<br />
hört die Rationalität nicht auf. ESP und Reifendruckkontrolle<br />
sind optional zu haben, die<br />
neue Überrollrichtlinie wird schon erfüllt. Die<br />
1.150 Millimeter breite Tür zwei ist bereits für<br />
eine Rollstuhlrampe geeignet. Sie kann aber im<br />
Vom Reisebus abgeleitet, gibt sich das Cockpit übersichtlich, aber etwas grobschlächtig.<br />
Gegensatz zur ebenso breiten Tür eins auch gegen<br />
eine doppelt breite Version getauscht werden.<br />
Der Innenraum lässt sich sehr variabel mit bis<br />
zu drei Rollstuhlplätzen ausstatten. Voll bestuhlt<br />
kommen im S 415 LE 49 Fahrgäste sitzend unter.<br />
Beim längeren 416er sind es 53 Personen, jeweils<br />
vier mehr als im Serien-Citaro LE Ü/MÜ.<br />
Konzeptbedingt ist die Auswahl an Optionen<br />
eingeschränkt auf ausschreibungsrelevante<br />
Features – teurer Schnickschnack ist weitgehend<br />
ausgeschlossen. Fazit von Projektleiter<br />
Fricke: „Preis und Leistung stimmen hier zu<br />
100 Prozent.“ Seltene Töne von Setra – so ganz<br />
ohne Glanz und Glamour.<br />
◼<br />
Bruder Mannheims<br />
1<br />
2<br />
1 Kathedrale: Die immense Stehhöhe von<br />
über 2,6 Metern im Vorderwagen lässt<br />
viel Platz für geräumige Gepäckablagen.<br />
Zwei verschiedene, hauseigene Sitztypen<br />
sind lieferbar.<br />
2 Mitgedacht: Bei Zulassung in Klasse 2<br />
werden aus drei Stufen à 15 Zentimeter<br />
zwei Stufen à 22 Zentimeter, um das<br />
angehobene Heck zu erreichen.<br />
Ohne großes Tamtam wurde der Citaro LE<br />
der neuen C2-Generation, der jetzt auch<br />
als dreitürige MÜ-Version in der Länge von<br />
13,19 Metern zu bekommen ist, auf der<br />
MOT 2<strong>01</strong>4 vorgestellt. Der erhöhte Hinterwagen<br />
wird im Gegensatz zum Setra mit<br />
einer teilweisen Dacherhöhung um 310 Millimeter<br />
realisiert. Der Wagen profitiert von<br />
allen technischen Neuerungen des aktuellen<br />
Citaro wie dem hochmodernen VDV-Armaturenträger,<br />
dem erhöhten Fahrerplatz,<br />
Crashelementen im Aufprallbereich sowie<br />
der neuen Elektronikstruktur B2E. Im Gegensatz<br />
zum Setra lässt sich der Mercedes auch<br />
mit einer doppelt breiten Tür eins bestellen.<br />
Antriebsseitig bietet die Serie das 299-PS-<br />
Aggregat mit Voith-Getriebe. Ansonsten<br />
kann der Citaro mit allem ausgestattet werden,<br />
was gut und teuer ist im Mercedes-<br />
Programm, was sich aber auch in einem<br />
etwas höheren Preis niederschlägt.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
[ 22 ] FAHRZEUGE | Futura FMD2-129<br />
Die Mitte ist seit jeher kein schlechter Platz,<br />
um sich massentauglich im Markt zu<br />
positionieren. Sowohl Wahlkämpfer als<br />
auch Marketingstrategen wissen davon zu berichten<br />
– und haben damit mal mehr und mal<br />
weniger Erfolg beim Publikum.<br />
Auch Mitteldecker, also die niedrigere Variante<br />
der bekannten Hochdecker, haben gerade Konjunktur.<br />
Setra stellte unlängst die hochwertigen<br />
MD-Varianten der Comfort-Class vor und am<br />
anderen Ende des Preisspektrums will Van Hool<br />
die in Mazedonien produzierte preiswerte EX-<br />
Baureihe zum Kampfpreis in den Ring schicken.<br />
Nur da dreht schon einer flott seine Runden,<br />
der den Trend gewissermaßen vorweggenommen<br />
hat und sich derweil über mangelnden Erfolg<br />
nicht beschweren kann: der FMD der neuen<br />
Futura-Baureihe von VDL, der vom Reisebusbaukasten<br />
des FHD abgeleitet ist. Schon oft hat<br />
sich dieses Vorgehen als Erfolgsrezept erwiesen.<br />
Seit der Euro-6-Einführung Anfang 2<strong>01</strong>4 setzten<br />
die Niederländer, deren Hauptaugenmerk<br />
zumeist auf Effizienz und Leichtbau liegt, bereits<br />
mehr als 160 Busse der Baureihe ab, davon<br />
allein 43 des später gestarteten FMD2. Dabei<br />
ist nach den Worten von VDL-Marketing-<br />
Mann Wim Chatrou seit geraumer Zeit ver<strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
GOLDENE MITTE<br />
Test: Mitteldecker kommen in Mode - VDL hat mit dem Futura FMD2-<br />
129 einen der ersten ins Rennen geschickt. Und der bricht Rekorde.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: JACEK BILSKI,<br />
THORSTEN WAGNER, VDL<br />
stärkt ein Trend zu beobachten: weg vom<br />
Hochdecker und hin zum 13-Meter-Zweiachser.<br />
Ein leichtes für VDL, hat man doch das<br />
Gewicht traditionell gut im Griff.<br />
13,6 Tonnen Leergewicht können sich durchaus<br />
sehen lassen für den langen Zweiachser, dessen<br />
Aufpreis von rund 5.000 Euro auf den kurzen<br />
Bruder eine gute Investition ist. Durch den um<br />
mehr als 70 Zentimeter verlängerten Radstand<br />
schluckt der Kofferraum zwischen den Achsen<br />
stolze zwei Kubikmeter mehr als der des<br />
FMD2-122. Der Wendekreis des Futura erhöht<br />
sich zwar um rund eineinhalb Meter, was sich<br />
im Testbetrieb zu keinem Zeitpunkt als Manko<br />
herausstellt.<br />
Hier machen sich vor allem die Reisebusgene<br />
des FMD2 bemerkbar, so wie auch bei Fahrverhalten<br />
und -komfort. Zwar ist die Vorderachse<br />
aus dem Hause ZF etwas straff abgestimmt und<br />
ein leises Poltern kann sie sich hie und da nicht<br />
verkneifen, insgesamt darf man dem niedrigen<br />
Futura aber einen hohen Fahrkomfort bescheinigen.<br />
Lediglich der Lenkung, hier in der einfachen<br />
Version ohne geschwindigkeitsabhängige Servounterstützung,<br />
fehlt es etwas an verbindlicher<br />
Rückmeldung um die Mittellage. VDL-typisch<br />
verzichtet der Hersteller auf teure Gimmicks.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
[ 24 ] FAHRZEUGE | VDL Futura FMD2-129<br />
Datenblatt VDL Futura FMD2 129-370<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter Reihensechszylinder-Dieselmotor DAF MX 11-270,<br />
stehend eingebaut. Einstufiger VTG-Abgasturbolader und<br />
Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte Direkteinspritzung per<br />
Common Rail mit 2.500 bar Druck, gekühlte Abgasrückführung und<br />
SCR-Technik mit Adblue-Zusatz. Vier Ventile pro Zylinder, Abgasstandard<br />
Euro 6, Trockengewicht ca. 1.025 kg.<br />
Bohrung/Hub<br />
123/152 mm<br />
Hubraum<br />
10.800 cm³<br />
Verdichtung 17,5 : 1<br />
Leistung<br />
271 kW (369 PS) bei 1.650/min<br />
Maximales Drehmoment 1.600 Nm bei 1.000–1.450/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Kupplung: Einscheiben-Trockenkupplung, Durchmesser 430 mm.<br />
Getriebe: Automatisiertes 12-Gang-Schaltgetriebe ZF AS-Tronic mit<br />
Easy-Start-Bremse und Intarder 3.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 12,33 bis 12. Gang 0,78<br />
R.-Gang 11,41<br />
Achsübersetzung i = 2,93 (alt. 3,23/4,27 getriebeabhängig)<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung an Achse ZF RL 75 E. 2 Luftfederbälge,<br />
2 Stoßdämpfer (Koni), Stabilisator, max. Radeinschlag innen 60 Grad.<br />
Hinten starre Antriebsachse ZF A 132, Längslenker, aufgelöster<br />
Dreieckslenker, 4 Luftfederbälge, 4 Stoßdämpfer, Stabilisator.<br />
Reifengröße 295/80 R 22,5. Elektronisch geregelte Luftfederung.<br />
BREMSEN/SICHERHEIT<br />
Elektronisch geregelte pneumatische Zweikreis-Bremsanlage,<br />
innenbelüftete Scheibenbremsen rundum, ABS, ASR, Bremsassistent,<br />
ESP (Serie), ACC und LGS (Optional, nicht im Testwagen verbaut);<br />
ECE R 66.02 (Serie ab Modelljahr 2<strong>01</strong>5). Xenon-Schweinwerfer und<br />
Abbiegelicht (mittels Nebellampen, beides optional).<br />
LENKUNG<br />
Hydraulische Lenkung ZF Servocom 8098 mit variabler Übersetzung<br />
(22,2–26,2), Lenksäule in Höhe und Neigung pneumatisch<br />
verstellbar, Multifunktionslenkrad.<br />
ELEKTRIK/MULTIMEDIA<br />
Spannung 24 Volt, zwei Drehstromgeneratoren à 110 A, zwei<br />
Batterien 12 V/230 Ah, Multiplexelektrik mit Knotenpunkten in<br />
Schaltkästen stehend vor der Hinterachse, Flottenmanagement<br />
Schnittstelle FMS 3.0, Radio Bosch CR24 (Fahrer) und CAD12<br />
(Kabine) mit Mini-USB und AUX-Eingängen, 18 Lautsprecher in<br />
Fahrgastabteil.<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Vollautomatisch geregelte Aufdach-Klimaanlage Denso mit<br />
integrierter Dachheizung, Kälteleistung 30 kW, Heizleistung 34 kW.<br />
Lufteintritt über Dachkanäle mit Ausströmern über den Gepäckablagen,<br />
verstellbare Düsenbelüftung. Separate Fahrerplatzklimatisierung,<br />
Kälteleistung 6,0 kW, Heizleistung 12 kW. Gebläseheizung mit vier<br />
unterflur montierten Heizgeräten für Fahrgastraum, Heizleistung je<br />
12 kW, zusammen 48 kW, Standheizung Spheros, Leistung 30 kW.<br />
Gesamt-Luftdurchsatz 4800 m 3 /h.<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
22.096 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht 13.520/17.865 kg<br />
Zul./techn. Gesamtgewicht 18.000/19.100 kg<br />
Gepäckraum mit/ohne Toilette 8,1/9,1 m³<br />
Volumen Kraftstofftank 330+330 l (2. Tank optional, dann<br />
beidseitig betankbar)<br />
Volumen Adblue-Tank 50 l<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Gesamte Strecke<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitzplätze (drei Sterne)<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude – Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Hirsau – Neuhengstett*<br />
Bergstrecke<br />
Neuhengstett – Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Sindelfingen – Horb<br />
Autobahn A 8/A 81, mittel<br />
Horb – Solitude**<br />
Autobahn A 81/A8, leicht<br />
55 + 1 + 1 (1 Rollstuhlplatz bei vier<br />
herausnehmbaren Sitzen)<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
CO 2<br />
/ g/Personenkilometer***<br />
Verbrauch Adblue<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
12,1<br />
31,3<br />
50,5<br />
33,0<br />
29,8<br />
51,8<br />
3,6<br />
88,6<br />
49,6<br />
24,8<br />
25,7<br />
56,5<br />
65,3<br />
21,4<br />
87,8<br />
51,5<br />
17,6<br />
88,7<br />
190,3<br />
23,4<br />
10,8/22,0<br />
ca. 1l<br />
70,3<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
80/100 km/h, dB(A) 65/67 64/68,5 63,5/65<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 255.000<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 76.273<br />
Feste Kosten pro km Cent 76,27<br />
Variable Kosten pro km Cent 46,33<br />
Gesamtkosten pro km Cent 122,60<br />
Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko 100 Prozent, jährliche Laufleistung<br />
100.000 km, Nutzungsdauer 60 Monate<br />
*Abweichung wegen Sperrung Bergstrecke Bad-Liebenzell-Unterhaugstett<br />
** Stop and go ab Böblingen bis AB Leonberg nicht berechnet<br />
*** volle/halbe Auslastung inkl. Fahrer/Begleiter bei 55 Sitzen<br />
Wetterbedingungen: trocken und windstill, ca. 17° C, Klimaanlage 22° C<br />
A<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
12.875/2.550 mm<br />
Höhe<br />
3.500 mm<br />
B Radstand<br />
6.830 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 2.705/3.340 mm<br />
D Stehhöhe<br />
1.940 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten 342/368 mm<br />
F Fußbodenhöhe 1.230 mm<br />
E<br />
A B<br />
D<br />
F<br />
WERTUNG<br />
Äußerst günstiger Verbrauch, gefälliges<br />
Design, gute Stehhöhe, sicheres Fahrwerk,<br />
geringe Windgeräusche und viele Ablagen im<br />
Cockpit, günstiger Preis, gute Detaillösungen,<br />
sauber abgestimmtes Getriebe.<br />
Kein Heckeinstieg verfügbar, Motor etwas<br />
schwach für schweren Einsatz, einfache<br />
Heizungselemente, bisher kein Notbremsassistent<br />
lieferbar, etwas stoßige Vorderachse,<br />
relativ einfach gehaltene Innenausstattung.<br />
PREIS<br />
Testwagen<br />
255.000 Euro<br />
C<br />
E<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
1<br />
Weder adaptive Dämpfer noch eine hydraulisch<br />
gelenkte dritte Achse lassen sich ordern. Dafür<br />
sollen kurzfristig Abstandsradar und Spurhalteassistent<br />
zu bekommen sein. Erste Fahrzeuge<br />
befinden sich in Erprobung. Ab Modelljahr<br />
2<br />
4<br />
3<br />
1 Viele sekundäre Funktionen sind in den<br />
Lenkradtasten untergebracht, nicht aber ...<br />
2 ... die Menütasten, die ungünstig neben<br />
dem großen Ablagefach platziert sind.<br />
3 Klasse Außenspiegel und weit nach hinten<br />
reichende A-Säulen sorgen für beste Sicht.<br />
4 Weil das schmale Ablagefach direkt links<br />
neben dem Sitz schlecht erreichbar ist,<br />
freut sich der Fahrer über die neue Konsole<br />
mit Flaschenhalter rechts davon.<br />
2<strong>01</strong>5 kommen zudem alle neuen Futura mit Zertifizierung<br />
nach ECE R66.02 (Überrollstabilität).<br />
Später soll sich der Notbremsassistent dazugesellen.<br />
Komfort steigernd ist das geringe Geräuschniveau<br />
sowohl im Cockpit als auch im<br />
Fahrgastabteil. Tolle Leistung – das ist Oberklasseniveau!<br />
Doch entsprechen auch die Fahrleistungen<br />
solch hohen Ansprüchen? Der neue Euro-<br />
6-Sechszyliner MX11 von Paccar bringt 369 PS<br />
und 1.600 Newtonmeter souverän auf die Straße.<br />
Serienausrüstung ist zwar die schwächere<br />
Variante mit 330 PS und 1.400 Newtonmeter maximalem<br />
Drehmoment. Die sollte man aber mit<br />
dem langen Wagen tunlichst nicht kombinieren.<br />
Eine sehr gute Kombination dagegen ist die<br />
mit der AS-Tronic von ZF. Deren Abstimmung<br />
und Bedienung wurde verfeinert. Flott und<br />
kaum spürbar wechseln die Gänge. Nur am kurvenreichen<br />
Anstieg an der berüchtigten Solitude-<br />
Rennstrecke bei Stuttgart haben Motor und Ge-<br />
1 Mehr als 30 Zentimeter hoch öffnen<br />
die Gepäckfächer für die Fahrgäste.<br />
2 Manche Details sind eher einfach, aber<br />
funktional gehalten. Etwa die Servicesets.<br />
3 Der ebene Fußboden lässt Platz für bis zu<br />
fünf Rollstühle. Die Stehhöhe ist etwas<br />
größer als beim Reisebus-Hochdecker FHD.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
[ 26 ] FAHRZEUGE | VDL Futura FMD2-129<br />
triebe ihre liebe Not, gegen die anspruchsvolle<br />
Topografie zu punkten. Da hilft nur der manuelle<br />
Getriebemodus. Eine Alpentour wird man<br />
also mit dieser Antriebskombination kaum wagen<br />
wollen.<br />
Unschlagbarer Vorteil des 10,8-Liter-Aggregates<br />
ist dagegen seine Knauserigkeit. Damit lassen<br />
sich Werte einfahren, die man ausnahmsweise<br />
mit dem Begriff „phänomenal“ bewerten muss.<br />
23,4 Liter Diesel auf 100 Kilometer sind ein Bestwert<br />
für die harte Teststrecke von <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong>.<br />
Auf der Autobahn 81 pegelte sich der Verbrauch<br />
sogar deutlich unter 20 Litern ein.<br />
Zudem musste der VDL noch die Standard-<br />
Überlandrunde absolvieren. Denn auch als klassischer<br />
Doppelverdiener bietet sich der Mitteldecker<br />
durchaus an. Das Gesamtergebnis von<br />
1<br />
1 Der Aufstieg: klappt: tolle Idee,<br />
einfach umgesetzt.<br />
2 Mit Zusatztank ist der Bus<br />
von beiden Seiten betankbar.<br />
3 Sauber eingepasstes Elektronikfach<br />
und preiswerte<br />
Radiallüfter für die Heizung.<br />
4 Tiefstapler: Zur vollen Zugänglichkeit<br />
zum Motor muss die<br />
Stoßstange vorher abmontiert<br />
werden.<br />
31,7 Litern im Durchschnitt liegt ebenfalls mehrere<br />
Liter unter den Testergebnissen vergleichbarer<br />
Fahrzeuge. Neben dem geringen Fahrzeuggewicht<br />
dürfte auch die verbesserte Aerodynamik<br />
verantwortlich für diese Rekordwerte sein.<br />
Auch das Cockpit des Futura offeriert handfeste<br />
Vorteile. Dort findet der Fahrer viele Ablagen<br />
und ein griffiges Multifunktionslenkrad vor.<br />
Auch die Sicht über die großen Außenspiegel ist<br />
hervorragend. Schlechter geht es da schon dem<br />
Begleiter, dessen abnehmbarer Sitz etwas zu tief<br />
platziert ist und der wiederum einen Mangel an<br />
Ablagefächern in Reichweite, auf denen er eine<br />
Kladde oder den Laptop ablegen könnte, beklagt.<br />
Aber etwas Potenzial für weitere Verbesserung<br />
darf auch ein Vertreter der Goldenen Mitte<br />
bieten, der dann doch eher als „Everybody’s<br />
Darling“ denn als Premiumdampfer punktet.◼<br />
5 Der 13-Meter-Zweiachser<br />
bietet wegen des satten Radstands<br />
ganze zwei Kubikmeter<br />
mehr Platz im 84 Zentimeter<br />
hohen Kofferraum als der<br />
zwölf Meter lange Wagen.<br />
6 Die markante Rückansicht erinnert<br />
nicht von ungefähr an<br />
den verblichenen Bova Magiq,<br />
der aber für viele aktuelle<br />
Technikdetails Pate stand.<br />
Rekordverdächtig<br />
Als Schluckspechte<br />
waren Busse von<br />
VDL ja noch nie<br />
verschrien, aber<br />
dieser Mitteldecker,<br />
der als Doppelver-<br />
Thorsten Wagner,<br />
Testredakteur<br />
diener genauso<br />
gut einzusetzen ist<br />
wie als vollwertiger<br />
Reisebus auf weniger<br />
anspruchsvollem<br />
Terrain, hat unter Beweis gestellt, dass<br />
er das Zeug zum Verbrauchsrekord hat. Mit<br />
330-Liter-Zusatztank muss der FMD2 erst<br />
nach sage und schreibe 2.800 Kilometern<br />
zur Tankstelle. Daraus resultieren zudem nur<br />
rund zehn Gramm CO 2 pro Personenkilometer<br />
– sonst ein klassischer Doppeldecker-<br />
Wert. Lob verdient zudem die Möglichkeit<br />
bei VDL, fast jedem Bus mehrere Rollstuhlplätze<br />
einzubauen. Das kann immer noch<br />
nicht jeder Hersteller. Und die Preislage des<br />
in Mitteleuropa produzierten Wagens dürfte<br />
so manchem Sparfuchs als finales Argument<br />
zur Unterschrift dienen.<br />
2<br />
3<br />
5<br />
4<br />
6<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 1-2/2<strong>01</strong>5
[ 28 ] FAHHRZEUGE | Temsa LD 13<br />
NEUER ANLAUF<br />
Fahrbericht: Der türkische Hersteller Temsa zeigt mit dem LD 13 einen flexiblen Überlandbus<br />
und will seine Qualität weiter verbessern. Das dürfte beim Neustart im deutschen Markt helfen.<br />
Die Türkei darf man getrost<br />
wie auch Polen seit vielen<br />
Jahren schon als eines der<br />
wichtigsten Länder für die Busproduktion<br />
bezeichnen. Neben<br />
den deutschen Herstellern, die<br />
hier vor allem wegen der Personalkosten<br />
produzieren, sind es<br />
die inländischen Firmen wie Temsa<br />
und Otokar, die in der Türkei<br />
tätig sind und sich den heimischen<br />
Markt, der vor allem auf Mini busse<br />
fokussiert ist, teilen.<br />
Seit 1987 baut Temsa bereits Busse<br />
– zuerst auf Mitsubishi-Basis,<br />
meist im CKD-Verfahren. Man habe<br />
von den Japanern und ihrer Arbeitsdisziplin<br />
viel gelernt, erklärt<br />
denn auch Entwicklungsleiter<br />
TEXT & FOTOS: THORSTEN WAGNER Hakan Akgün. Doch die Märkte für<br />
diese Busse seien begrenzt gewesen.<br />
Daher startete der Busbauer bereits<br />
20<strong>01</strong> mit dem ersten selbst<br />
konstruierten Fahrzeug: dem Reisebus<br />
Safari, der auch 2007 seinen<br />
Weg als Preisbrecher auf den für<br />
Temsa bis dato unbekannten, aber<br />
deutschen Markt fand.<br />
Der eine oder andere Buskunde<br />
wird sich auch noch an den ersten,<br />
überwiegend glücklosen Versuch<br />
eines Superhochdeckers aus der Feder<br />
von Ex-Neoplan-Chef Bob Lee<br />
erinnern: den Temsa Diamond. In<br />
Deutschland blieb dieser etwas aus<br />
der Zeit gefallene Reisewagen immer<br />
eine Ausnahmeerscheinung –<br />
bisher ohne adäquaten Nachfolger,<br />
was sich aber bald ändern könnte.<br />
So richtig bekannt dürfte die<br />
Marke deutschen Kunden erst<br />
durch den Erfolg des Midi-Busses<br />
MD 9 geworden sein, der seit 2<strong>01</strong>1<br />
in allen gängigen Busgattungen<br />
recht erfolgreich angeboten wird<br />
(Bericht über die Niederflurvariante<br />
in Heft 6/13).<br />
In den USA hat es Temsa sogar<br />
geschafft, die Nische der 30 und<br />
35 Fuß langen Busse in kurzer Zeit<br />
weitgehend in Beschlag zu nehmen<br />
(siehe Kasten auf Seite 89).<br />
In den vergangenen beiden Jahren<br />
hat das 1968 gegründete Unternehmen<br />
mehr durch Restrukturierungen<br />
und Rücktritte des Führungspersonals<br />
auf sich aufmerksam<br />
gemacht als durch Markterfolge.<br />
Mit dem Rückzug des bisherigen<br />
Geschäftsführers Metin Ataman<br />
Anfang 2<strong>01</strong>4 wurde die deutsche<br />
Vertriebsorganisation komplett<br />
neu aufgestellt (siehe Kasten auf<br />
Seite 88). Auch die belgische Zentrale<br />
von Temsa Europe wurde<br />
geschlossen und in drei Business<br />
Units unterhalb von Temsa Global<br />
aufgeteilt, in denen man sich nun<br />
ausschließlich um das Busgeschäft<br />
kümmert – allerdings mit neuem<br />
Geschäftsmodell.<br />
Immer wieder machen in diesem<br />
volatilen Umfeld auch Übernahmegerüchte<br />
die Runde. Hier<br />
im Stammwerk versichert man uns<br />
eindringlich, stolz darauf zu sein,<br />
zum breit aufgestellten Sabanci-<br />
Konzern zu gehören.<br />
Rund die Hälfte der 4.000 im<br />
südtürkischen Adana bei Temsa<br />
jährlich gebauten Busse entfallen<br />
auf den sehr marktgerecht positionierten<br />
Minibus Prestij, der auf<br />
einem Transporter-Chassis von<br />
Mitsubishi aufgebaut wird, das hier<br />
auch gerne zum Klein-Lastwagen<br />
komplettiert wird – und das in er<strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
klecklicher Stückzahl. Ein schöner<br />
„Doppelverdiener“, könnte man sagen,<br />
um einen branchenspezifischen<br />
Begriff zu benutzen, der sonst eher<br />
für Kombibusse verwendet wird.<br />
Und tatsächlich sind wir auch<br />
hier ins Buswerk gekommen, in<br />
dem auf rund 550.000 Quadratmeter<br />
Fläche mehr als 1.500 Menschen<br />
arbeiten, um uns einen echten Doppelverdiener<br />
näher anzuschauen<br />
und auch erstmals selbst zu fahren:<br />
nämlich den auf der vergangenen<br />
Busworld in Kortrijk vorgestellten<br />
Hochbodenbus LD.<br />
In feiner Varianz bietet Temsa<br />
diesen Vorboten einer neuen<br />
Ära in zwei Längen und<br />
drei Modellen an – als ultrapreiswerten<br />
Schulbus, als Überlandvariante<br />
IC (beide mit 860er<br />
Bodenhöhe) sowie als ausflugstauglichen<br />
Hochbodenbus mit rund<br />
1.080 Millimeter Bodenhöhe.<br />
1 Die moderne Frontgestaltung des<br />
LD13 gefällt ebenso wie die<br />
Mekra-Spiegel mit bester Sicht.<br />
2 Servicesets in modernem Layout.<br />
3 Der Dreh-Drück-Steller vereint<br />
viele Funktionen und spart<br />
Tastensalat.<br />
4 Mit Übersichtlichkeit und hochwertigen<br />
Materialien weiß das<br />
Cockpit dem Fahrer zu gefallen.<br />
2<br />
3<br />
1<br />
4<br />
Dieser gerade für Deutschland in<br />
der Klasse von Iveco Crossway,<br />
Mercedes Intouro und Co. angesiedelte<br />
Wagen ist mit 190.000 bis<br />
205.000 Euro marktgerecht, wenn<br />
auch nicht als Schnäppchen eingepreist.<br />
Die IC-Variante kostet circa<br />
10.000 Euro weniger. Mit rund 120<br />
verkauften Bussen war er 2<strong>01</strong>4 das<br />
meistverkaufte Temsa-Modell.<br />
Schon äußerlich macht der LD<br />
einen sehr soliden und gekonnt<br />
gezeichneten Eindruck. Trotz einer<br />
gewissen Kantigkeit schafft es<br />
die Frontpartie auf Anhieb, den Betrachter<br />
für sich einzunehmen. Das<br />
Heck wirkt dagegen etwas pummelig,<br />
die Lüftungsgitter à la Evobus<br />
vermitteln aber etwas optische<br />
Spannung. Ein Hauch von Luxus<br />
umweht den Fahrer beim Einladen<br />
der Koffer, Hubklappen sind nicht<br />
gerade Standard in dieser Klasse.<br />
Spannend ist auch auch das<br />
Cockpit mit dem schicken neuen<br />
Lenkrad, hier ohne Multifunktionstasten<br />
– muss ja nicht immer<br />
sein. Zumal wenn die darunterliegende<br />
„Arbeitsplatte“ derart aufgeräumt<br />
und übersichtlich ist. Wie<br />
von selbst fällt die rechte Hand auf<br />
Tür- und Getriebeschalter. Das gefällt<br />
ebenso wie die hohe Position<br />
des DTCO. Viele Zusatzfunktionen<br />
sind ganz im Stil der neuen Zeit in<br />
einen praktischen Dreh-Drück-Stel<br />
Anzeige<br />
„ Niemand leistet sich gern Risiken.<br />
Deshalb leiste ich mir die Sicherheit<br />
von CharterWay.“<br />
Mit den flexiblen Lösungen, variablen Laufzeiten und der fairen<br />
Rückgabe von CharterWay können Sie sich auf das konzentrieren,<br />
was Sie am besten können: Ihren Job. Alles über Deutschlands<br />
Mobilitätsdienstleister Nr. 1 gibt’s in über 70 Mietstützpunkten<br />
oder unter www.charterway.de<br />
Eine Marke der Daimler AG<br />
Anbieter: Daimler AG, Mercedesstraße 137, 70327 Stuttgart
[ 30 ] FAHRZEUGE | Temsa LD 13<br />
ler gepackt und links auf die Ablage<br />
gewandert.<br />
Ergonomie wird großgeschrieben,<br />
der Fahrer findet zudem jederzeit<br />
seinen optimalen Platz. Der Begleiterplatz<br />
ist zwar nicht sehr üppig<br />
bemessen, bietet aber bis hin zum<br />
Becherhalter alles, was nötig ist. Die<br />
63 Fahrgäste (Drei-Sterne-Sitzteiler)<br />
finden auf den Inova-Sitzen ausreichenden<br />
Komfort und funktio nale<br />
wie schicke Servicesets über sich –<br />
auch ein Rollstuhllift kann geordert<br />
werden.<br />
Die Überraschung kommt dann<br />
beim Fahreindruck: Der Wagen<br />
kann sowohl was Fahrkomfort<br />
als auch -leistung betrifft durchaus<br />
überzeugen. Der DAF-Motor<br />
mit 368 PS (alternativ 330 PS) geht<br />
mit dem ZF-Ecolife-Getriebe eine<br />
schöne Symbiose ein, die man sich<br />
kaum anders wünschen würde. Im<br />
wuseligen Verkehr der Küstenstadt<br />
Das Werk im türkischen<br />
Adana produziert im<br />
Jahr rund 4.000 Busse,<br />
davon rund die Hälfte<br />
landestypische Minibusse<br />
des Typs Prestij.<br />
Der Niederflurbus LF 12<br />
(blau) tut sich gerade<br />
in Deutschland noch<br />
schwer, läuft aber in<br />
Istanbul in CNG-Version.<br />
Adana schwimmt der LD 13 ohne<br />
Mühe und Probleme mit und nimmt<br />
Kurs auf die Toros-Berge am Horizont.<br />
Motorleistung oder Komfort<br />
werden der Strecke absolut gerecht.<br />
Zudem gibt sich das Triebwerk im<br />
Heck manierlich leise. Gut so!<br />
Wir verlassen Adana nicht, ohne auch<br />
einen Blick auf die anderen Produkte<br />
für das Reisesegment zu werfen.<br />
Da wäre der in Deutschland und<br />
mehr noch in Italien erfolgreiche<br />
Midi MD 9, der genau wie der LD<br />
in drei Varianten zu bekommen ist<br />
und sich so im Feld der ausgewachsenen<br />
Midis in Integralauweise<br />
einen Sonderplatz erarbeitet hat.<br />
Mit 9,38 Meter Länge und 2,40<br />
Meter Breite ist er passgenau für<br />
alle Kleinstädte oder Bergpässe<br />
Anatoliens oder des Kleinwalsertals<br />
bestens proportioniert. Das<br />
Fahrwerk des Kleinen mit ZF-Einzelradaufhängung<br />
gibt sich komfortabel<br />
– fast schon wie ein Großer.<br />
Zudem ist der Kofferraum dank<br />
Heckeinstieg geräumig genug, um<br />
für die Mitnehmsel der 39 Personen<br />
an Bord zu genügen. Auch der<br />
MAN D08 in seiner 290-PS- Version<br />
macht große Freude im wendigen<br />
Midi. Alles in allem also eine echte<br />
Kaufempfehlung. Das dürfte sich<br />
auch mit dem in Zukunft verbauten<br />
Cummins-Motor kaum ändern.<br />
Etwas warten sollte man aber<br />
noch mit einem Hochdecker-Reisebus<br />
von Temsa. Derzeit gib es nur<br />
den Reisebus Safir/HD12/13 zu<br />
Temsa Deutschland stellt sich komplett neu auf und setzt verstärkt auf Qualität<br />
Nicht nur das Modellprogramm erfährt derzeit eine Erneuerungskur, auch die Organisationsstrukturen von<br />
Temsa in Europa und Deutschland sind komplett neu. Nach dem Rücktritt des bisherigen Temsa Deutschland-Geschäftsführers<br />
Metin Ataman hat der aus dem Konzern kommende Manager Umut Kamay mit seinem<br />
Team in Bad Rappenau im April 2<strong>01</strong>4 die Geschäfte übernommen. Er führt sie gemeinsam mit seinem<br />
Co-Geschäftsführer Acar Kocaer. Dabei wollen beide nun Nägel mit Köpfen machen: „Wir brauchen einen<br />
Neustart, das Businessmodell war bisher nicht professionell genug.“ Man wolle sich in Zukunft weniger auf<br />
den reinen Marktanteil als vielmehr auf die höhere Kundenzufriedenheit fokussieren. Für 2<strong>01</strong>5 plant Temsa<br />
Deutschland etwas mehr als 80 Busse abzusetzen, Deutschland gehört zu den dezidierten Temsa-Fokusländern.<br />
Um den Aftersales-Service zu verbessern, wurden insgesamt zwölf Vertragswerkstätten verpflichtet,<br />
zudem wird das europäische Ersatzteillager vergrößert, um den Markt noch besser zu versorgen.<br />
Die Qualität der Fahrzeuge steht auch bei der Produktion weiter im Fokus: ein professionelles, auf japanischen<br />
Kaizen-Prozessen basierendes Qualitätsmanagement wurde im Werk Adana eingeführt, bei dem<br />
sich jedes Team selbst überwachen muss. Die Gerippe werden bisher für Deutschland aus hochwertigem<br />
Edelstahl hergestellt, allerdings ist<br />
die Phosphat-Anlage in Adana bereits<br />
im Bau. Wann genau umgestellt wird,<br />
kann Temsa derzeit noch nicht sagen.<br />
Verbaut werden vor allem<br />
DAF- und Cummins-Motoren.<br />
V. l. n. r.: Bulkan Karsak (Vertrieb),<br />
Umut Kamay (Geschäftsführer),<br />
Mustafa Bolahatoglu (Technischer<br />
Leiter).<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
The American Way of Drive<br />
Die USA gehören zu den Fokusmärkten von Temsa. Dabei hat sich Temsa<br />
auf dem amerikanischen Markt mit seinem Importeur CH Bus Sales<br />
mit vier Standorten (Faribault, Orlando, Las Vegas, Dallas-Fort Worth)<br />
bisher auf den Nischenmarkt der 30- und 35-Fuß-Busse (9 beziehungsweise<br />
10,5 Meter) eingeschossen. Diese werden sonst mit sogenannten<br />
„Cut-aways“ bedient, also Fahrgestellaufbauten. Auf der diesjährigen<br />
UMA in New Orleans (ausführlicher Bericht im nächsten Heft) wurde nun<br />
ein Fahrzeug im US-Standard vorgestellt: 45 Fuß (13,5 Meter) und nur<br />
ein Einstieg vorne. Mittelfristig will sich Temsa in den USA mit allen drei<br />
Bussen im Luxussegment festsetzen. Das gelingt teilweise bereits gut,<br />
allein 20 Busse laufen schon für ein Filmstudio an der Westküste, der<br />
Marktanteil im Reisesegment beträgt in den USA laut Temsa schon rund<br />
zehn Prozent. Allein 2<strong>01</strong>4 wurden mehr als 160 Busse verkauft.<br />
kaufen, den die Redaktion leider<br />
nur in der türkischen Ausführung<br />
in die Finger bekam.<br />
Eklatant ist bei dem Wagen der<br />
krasse Unterschied des durchaus<br />
modernen Äußeren und des eher<br />
in die Jahre gekommenen Inneren.<br />
Das will nicht so recht zusammenpassen.<br />
Ebenso wenig wie einige<br />
Abmessungen, die eher auf kleinwüchsige<br />
Menschen ausgelegt zu<br />
sein scheinen. So ist der Verstellweg<br />
des Fahrersitzes derart kurz,<br />
dass man in Verbindung mit den<br />
altbackenen, stehenden Pedalen<br />
mit einer Normgröße von rund<br />
1,80 Metern einfach keine optimale<br />
Sitzposition finden kann. Und<br />
der Heckeinstieg ist mit 1,70 Meter<br />
Höhe und geringer Breite alles andere<br />
als ein herzlicher Willkommensgruß<br />
für die Fahrgäste.<br />
Insgesamt merkt man dem<br />
Hochdecker an, dass er einer gänzlich<br />
anderen Ära als der frische LD<br />
entstammt. Das belegt auch das Interieurdesign,<br />
das mit der schicken<br />
Außenhaut an keiner Stelle mithalten<br />
kann. Aber Abhilfe ist unterwegs,<br />
man munkelt sogar hinter<br />
kaum vorgehaltener Hand, schon<br />
in Kortrijk werde das neue Modell<br />
zu sehen sein. Es gab bereits vor<br />
einigen Jahren recht frühe Prototypen<br />
eines Safari HDH, mit denen<br />
man intern aber nicht hundertprozentig<br />
zufrieden gewesen<br />
sei, räumt Entwicklungschef Hakan<br />
Akgün freimütig ein.<br />
In das neue Projekt setzen die<br />
Türken hingegen große Hoffnungen,<br />
der Wagen treffe die Kundenanforderungen<br />
genau, und das<br />
sowohl mit neuer Überschlagsrichtlinie<br />
als auch einem „sehr wettbewerbsfähigen<br />
Leergewicht“. Dies<br />
sei immerhin die „größte Herausforderung<br />
der Industrie heute“, erzählt<br />
Akgün.<br />
Wenn der neue Reisebus sich ein<br />
Vorbild am flexiblen Überlandwagen<br />
LD nimmt, wovon sehr stark<br />
auszugehen ist, so dürfte der zweite<br />
Anlauf von Temsa mit dem erneuerten<br />
Produktprogramm durchaus<br />
von Erfolg gekrönt sein. ◼<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5<br />
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[ 28 ] FAHRZEUGE | Innovationslinie in Hamburg<br />
VOLVO FÄHRT VOR<br />
Buspraxis: Die Hamburger Hochbahn will ab 2020 nur noch emissionsfreie Busse beschaffen.<br />
Schon heute kommt mit Plug-in-Hybridbussen von Volvo eine neue Technologiestufe zum Einsatz.<br />
TEXT & FOTOS: RÜDIGER SCHREIBER<br />
Das ist der nächste Schritt“, sagt<br />
Ulrike Riedel, Vorstand der<br />
Hamburger Hochbahn (HH),<br />
bei der offiziellen Vor stellung des<br />
Volvo 7900 Electric Hybrid. Die<br />
Weltpremiere feierten die Schweden<br />
im September auf der IAA,<br />
Michael Westhagemann, Siemens:<br />
„Elektrobusse brauchen eine<br />
flankierende Infrastruktur.“<br />
zwei Monate später geht die neue<br />
Technologiestufe schon in den<br />
Praxisbetrieb. Emissionsfreier und<br />
geräuscharmer Einsatz von Linienbussen<br />
im Innenstadtbereich ist<br />
damit keine Utopie mehr.<br />
Gemäß den Vorgaben der Politik<br />
sollen in fünf Jahren nur noch<br />
Linienbusse angeschafft werden,<br />
die aus heutiger Sicht einen alternativen<br />
Antrieb haben. Mit dem Plugin-Hybridbus<br />
gibt die HH eine<br />
Richtung vor. Es wird im wahrsten<br />
Sinne spannend, die Hansestadt hat<br />
sich der Elektromobilität im ÖPNV<br />
verschrieben.<br />
Wie wichtig ein Umdenken ist,<br />
machte Gertrud Sahler, Abteilungsleiterin<br />
im Bundesumweltministerium,<br />
in ihrer Ansprache deutlich:<br />
Der 5. Weltklimabericht erfordere<br />
sofortiges Handeln. Die Bundesregierung<br />
habe sich – wie die Hansestadt<br />
beim ÖPNV – ehrgeizige<br />
Ziele gesetzt. Die Treibhausgasemissionen<br />
sollen bundesweit bis<br />
zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber<br />
1990 gemindert werden.<br />
Besonders schwierig sei die Lage<br />
im Verkehrssektor, Effizienzverbesserungen<br />
im Verkehr würden durch<br />
die Steigerung der Verkehrsleistung<br />
wieder relativiert.<br />
Es werde langfristig nicht besser<br />
werden, wie ein Blick auf die<br />
Verkehrsprognose 2030 zeige: Personen-<br />
und Güterverkehr stiegen<br />
jeweils im zweistelligen Bereich.<br />
Dort wo eine Verkehrsvermeidung<br />
nicht möglich sei, müsse eine Verlagerung<br />
auf umweltfreundliche<br />
Verkehrsträger wie den ÖPNV<br />
erfolgen. Aus diesem Grund habe<br />
das Bundesumweltministerium die<br />
Anschaffung der Busse im Rahmen<br />
des Programms „Erneuerbar mobil“<br />
gefördert.<br />
Die nächste Technologiestufe<br />
erfordert aber ein Weiterdenken,<br />
denn auch die Peripherie ist wich-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
Alle beweglichen Bauteile sind in die Säule integriert, so entfällt<br />
zusätzlicher Wartungsbedarf am Bus.<br />
tig. Um das ambitionierte Ziel in<br />
fünf Jahren erreichen zu können,<br />
wird die benötigte Infrastruktur<br />
für elektrisch angetriebene Busse<br />
gleich mit angeschafft.<br />
Mitte dieses Jahres soll das neue<br />
Elektrobus-Terminal vollständig in<br />
Betrieb gehen und bis zu zwölf Linienbusse<br />
mit Strom versorgen<br />
können. Für den Ladevorgang des<br />
Volvo 7900 Electric Hybrid kommt<br />
einer der beiden Pantografen zum<br />
Einsatz. Die Schweden haben den<br />
Ladevorgang umgestellt, statt des<br />
eigenen Lademastes an Bord nutzt<br />
der Bus einen fest installierten an<br />
der Ladestation.<br />
Die Ladeparameter werden mittels<br />
Wi-Fi an die Ladestation übermittelt,<br />
die Verbindung erfolgt automatisch.<br />
Das Aufladen der Elektro-Hybridbusse<br />
geschieht an der<br />
Start- und Endhaltestelle der Linie.<br />
Herzstück der neuen Ladeinfrastruktur<br />
ist der Lademast mit dem<br />
beweglichen Pantografen. Dieser<br />
senkt sich, nachdem der Bus<br />
seine Parkstation erreicht hat, zu<br />
den beiden Ladeschienen auf dem<br />
Busdach herab – ganz einfach auf<br />
Knopfdruck des Busfahrers. Der<br />
gesamte Ladevorgang dauert gut<br />
sechs Minuten. Mit einer Ladeleistung<br />
von bis zu 300 Kilowatt<br />
kann der Energiebedarf auch für<br />
sehr anspruchsvolle Einsatzbedingungen<br />
abgedeckt werden.<br />
Das Gehäuse des Pantografen<br />
hat die Hamburger Hochbahn von<br />
einem Designer gestalten lassen.<br />
„So wie die Busse der Innovationslinie<br />
eine eigene Lackierung tragen,<br />
so soll auch der Lademast Zeichen<br />
setzen“, sagt der Designer Stephan<br />
Gahlow. Der Verkehrsbetrieb will<br />
Pantograf am Lademast statt am<br />
Bus: spart Gewicht am Fahrzeug<br />
und erhöht die Fahrgastkapazität.<br />
die Wahrnehmung für die neuen<br />
Busse und die Ladevorrichtungen<br />
in der Öffentlichkeit stärken. Besonders<br />
wichtig bei der Gestaltung war,<br />
dass das Laden schnell und einfach<br />
erfolgen kann. Die Form folgt ganz<br />
klassisch der Funktion.<br />
Der Volvo 7900 Electric Hybrid<br />
ist mit einer Lithium-Eisenphosphat-Batterie<br />
mit einer Kapazität<br />
von 19 kWh ausgestattet. Gute<br />
50 Prozent davon seien nutzbar, versichert<br />
Håkan Agnevall, Präsident<br />
der Volvo Bus Corporation, während<br />
der Vorstellung. Diese Kapazität<br />
ermöglicht ein rein elektrisches<br />
Fahren über eine Distanz<br />
von rund sieben Kilometern. Das<br />
ist zwar nicht die ganze Strecke<br />
der Innovationslinie, die insgesamt<br />
9,3 Kilometer misst, aber es<br />
sei mehr als ein Anfang, erklärt<br />
Ulrike Riedel. Spätestens nach sie-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
[ 30 ] FAHRZEUGE | Innovationslinie in Hamburg<br />
Ladestation<br />
Ein großer Teil der Bewegungsenergie wird<br />
beim Bremsen oder Bergabfahren rekupiert.<br />
Durch die Energierückgewinnung kann eine<br />
große Menge Dieselkraftstoff durch eine kleinere<br />
Menge elektrische Energie ersetzt werden.<br />
Ladestation<br />
elektrischer Antrieb<br />
Hybridantrieb<br />
Fünf Fragen an …<br />
Ulrike Riedel, Hochbahn-Vorstand<br />
für Betrieb und Personal.<br />
?: Wann und vor welchem Hintergrund hat<br />
die Hochbahn entschieden, sich im Bereich<br />
Elektromobilität zu engagieren?<br />
Riedel: Der erste Brennstoffzellenbus<br />
wurde schon vor rund 15 Jahren bei<br />
der Hochbahn getestet. Mittlerweile ist<br />
schon die dritte Generation im Einsatz<br />
– und das sehr erfolgreich. Ein wichtiger<br />
Treiber ist die Begrenztheit der<br />
weltweiten Ölreserven, aber auch die<br />
zunehmenden Anforderungen des Klimaschutzes<br />
und der Luftreinhaltung.<br />
?: Welche einzelnen Zwischenziele gibt es<br />
bei der Umsetzung dieses Projekts?<br />
Riedel: Wichtig ist der wirtschaftliche<br />
Einsatz der innovativen Antriebstechnologien.<br />
Sicherlich kann man eine „grüne Dividende“ berücksichtigen.<br />
Aber die Kosten müssen sich in jedem Fall in die Richtung der konventionellen<br />
Busantriebe bewegen. Eine entscheidende Rolle spielt aber auch<br />
die Verfügbarkeit der Fahrzeuge. Hier müssen die innovativen Antriebstechnologien<br />
mit den konventionellen Schritt halten.<br />
?: Welche Bedeutung kommt dem heute präsentierten Volvo Electric Hybrid-<br />
Bus dabei zu?<br />
Riedel: Die Batterietechnologie wird immer interessanter für den Einsatz im<br />
Busbereich. Wir gehen mit dem Elektro-Hybridbus einen wichtigen Schritt<br />
weiter auf dem Weg, nur noch rein elektrische Busse anzuschaffen. Wir<br />
sehen uns hier auch als Partner der Industrie, um wichtige Erfahrungen<br />
im Alltagseinsatz zu sammeln. Der neue Bus wird deshalb mit anderen<br />
innovativen Bussen ab Dezember auf der Innovationslinie 109 in Hamburg<br />
eingesetzt. Hier wollen wir verschiedene Antriebstechnologien unter<br />
identischen Rahmenbedingungen testen.<br />
?: Welche Forderungen an Industrie und Technik würde die Hochbahn, unabhängig<br />
vom Finanziellen, gerne stellen?<br />
Riedel: Das A und O im Einsatz der Busse im ÖPNV ist die Verfügbarkeit.<br />
Schon geringe Abweichungen schlagen sich deutlich in den Betriebs kosten<br />
nieder. Bei den innovativen Antriebstechnologien sind sicherlich noch<br />
Herausforderungen zu meistern. Aber es gibt hier auch schon wirklich<br />
gute Werte.<br />
?: Gibt es deutschland-, europa- oder weltweit schon konkrete Nachfragen anderer<br />
Verkehrsbetriebe, sodass andere ÖPNV-Dienstleister vom Know-how und der<br />
Kompetenz der Hochbahn in Sachen Elektromobilität profitieren können?<br />
Riedel: Wir sind hier in engem Austausch sowohl international auf der<br />
Ebene der UITP als auch national im VDV. Hinzu kommen Kooperationen<br />
unterschiedlichster Art, bei denen wir sehr aktiv den Austausch suchen.<br />
Ich persönlich rechne aber auch damit, dass der Austausch im Rahmen<br />
der Innovationslinie, die ja in Europa einmalig ist, noch stärker wird. Die<br />
Möglichkeit, verschiedene technologische Ansätze im Vergleich zu betrachten,<br />
wird sicher auch viele Experten nach Hamburg locken.<br />
ben Kilometern schaltet sich das<br />
Euro-6-Diesel aggregat ein, das aber<br />
deutlich kleiner als das vergleichbarer<br />
Standardbusse ist. So soll<br />
nach Aussagen von Agnevall der<br />
Dieselverbrauch um bis zu 75 Prozent<br />
reduziert werden, der Energieverbrauch<br />
insgesamt um bis zu<br />
60 Prozent. Die Differenz erklären<br />
die Schweden damit, dass ein<br />
Teil des eingesparten Diesels durch<br />
elektrische Energie ersetzt wird.<br />
Der neue Elektro-Hybridbus<br />
ist eine Weiterentwicklung der<br />
bewährten dieselelektrischen Hybridbusse<br />
von Volvo, die die Hamburger<br />
Hochbahn schon seit 2<strong>01</strong>3<br />
einsetzt. Beim schwedischen Vorgänger<br />
liegt die Kraftstoffeinsparung<br />
bei über 20 Prozent. Genutzt<br />
wird in dem neuen Elektro-Hybridbus<br />
die Technologie des bewährten<br />
Diesel-Hybridbusses 7900 H,<br />
wodurch eine hohe Verfügbarkeit<br />
sichergestellt ist. Seit Jahren ist<br />
die Hamburger Hochbahn für die<br />
Wissenschaft und Hersteller sozusagen<br />
das Tor zur Welt, wenn es<br />
um die Erprobung neuer Technologien<br />
geht. Seit über zehn Jahren<br />
wird die Brennstoffzellentechnologie<br />
intensiv vorangetrieben. Nun<br />
ist Hamburg ein wich tiger Treiber<br />
bei der Praxis erprobung von Batteriebussen.<br />
Insgesamt wird die Flotte in der<br />
Hansestadt mit innovativen Antrieben<br />
(Brennstoffzellenhybridbusse,<br />
dieselelektrische Hybridbusse<br />
und Elektro-Hybridbusse)<br />
in diesem Jahr auf fast 70 Fahrzeuge<br />
auf gestockt. Auch Volvo ist<br />
weiter in Sachen Elektromobilität<br />
unterwegs, wie die Schweden<br />
vor Kurzem in Göteborg zeigten.<br />
In absehbarer Zeit wird es einen<br />
vollelektrischen Bus geben. Damit<br />
geht Volvo dann noch einen<br />
Schritt weiter.<br />
◼<br />
Gemeinsame Sache (v. l.): Agnevall (Volvo), Senator Horch, Riedel (HH),<br />
Sahler (Umweltministerium) und Michael Westhagemann von Siemens.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
Ein Standard setzt neue Maßstäbe.<br />
Der Überlandbus MAN Lion’s Intercity. MAN kann.<br />
Markante Optik, exzellente Fahreigenschaften, herausragende Sicherheit: Der neue MAN Lion’s Intercity verbindet<br />
erstklassigen Komfort mit hoher Funktionalität und solider Qualität. Vor allem seine niedrigen Life-Cycle-Costs machen<br />
ihn zu einem Aktivposten in Ihrer Bilanz. Bis ins Detail hinein ist der neue Champion seiner Klasse auf den Überlandund<br />
Zubringerverkehr zugeschnitten und perfekt im Einsatz als robuster Schulbus. Einer, den Sie unbedingt auf Ihrer<br />
Rechnung haben sollten. Mehr unter: www.man.de/bus<br />
MAN kann.
[ 36 ] FAHRZEUGE | Volvo 7900 LAH<br />
LANGER MARSCH<br />
Fahrbericht: Volvo verkauft seit zwei Jahren in Europa ausschließlich Stadtbusse mit<br />
dem hauseigenen Parallelhybrid-System. Wir haben uns die neue Gelenkvariante des<br />
Volvo 7900 LAH angesehen, die aber noch lange nicht das Ende der Entwicklung ist.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, VOLVO<br />
Der Nutzfahrzeughersteller Volvo hat<br />
sich seit einigen Jahren zu so etwas wie<br />
dem Toyota des Busbereichs entwickelt.<br />
Früh setzte man auf den etwas preiswerteren<br />
Parallelantrieb mit dem automatisierten<br />
I-Shift-Getriebe und schaffte es so, einen<br />
hauseigenen Technik-Baukasten zu entwickeln.<br />
Mit Erfolg, wie sich heute zeigt: In<br />
Zeiten, in denen die deutschen Mitbewerber<br />
gerade mal von 100 oder 200 Hybridbussen<br />
sprechen, zudem meist sündhaft teure<br />
serielle Modelle, können die Schweden stolz auf<br />
Die Dachaufbauten haben die Schweden<br />
formschön ins nordische Design integriert.<br />
rund 1.700 abgesetzte Hybridbusse verweisen.<br />
Zudem bewies das Team um Buschef Håkan Agnevall<br />
eine gute Portion Mut und schaltete das europäische<br />
Modellprogramm im Stadtbusbereich<br />
gleich komplett auf den sparsamen alternativen<br />
Antrieb um. Volvo spricht von den magischen<br />
„30 Prozent Einsparung“, ein zumeist jedoch<br />
theoretischer Wert (einen voll ausgerüsteten<br />
Testbus ist Volvo der Redaktion bisher schuldig<br />
geblieben).<br />
Kurz bevor die schwedischen Strategen so<br />
richtig aufdrehen und fast gleichzeitig die<br />
nächsten beiden Entwicklungsstufen des Plugin-Hybrids<br />
sowie des rein elektrischen Batteriebusses<br />
auf die Straße schicken, bekommt<br />
der seit 2<strong>01</strong>0 verkaufte Solobus ein verlängertes<br />
Pendant. Wie bei Volvo üblich, kommt auch<br />
der 7900 LAH in einer Standardlänge von 18<br />
Metern, jedoch kombiniert mit einem extrem<br />
kurzen vorderen Radstand, der anfangs etwas<br />
gewöhnungsbedürftig ist, den Wendekreis aber<br />
nicht wesentlich verkleinert – schließlich will<br />
der Hinterwagen immer mit um die Kurve gehievt<br />
werden. Rekordverdächtig ist das Leergewicht<br />
von 16,4 Tonnen, das mindestens eine<br />
halbe Tonne unter dem Wettbewerb liegt. Die<br />
Gründe: Zuerst einmal der kleine Vierzylinder-<br />
Motor mit überschaubaren fünf Liter Hubraum.<br />
Wie beim Solowagen wird der Mittelteil des<br />
Gelenkbusses zudem aus Aluminium gefertigt.<br />
Weniger leichtgewichtig und innovativ zeigt<br />
sich die Vorderachse. Hier verbaut Volvo seit<br />
einigen Jahren wieder eine Starrachse – Komfort<br />
und Lenkpräzision lassen daher zuweilen zu<br />
wünschen übrig, bei ansonsten durchaus gutem<br />
Fahrverhalten. Um eine optimale Gewichtsverteilung<br />
zu erreichen, wurden die beiden Lithium-Ionen-Batterien<br />
über der Mittelachse positioniert<br />
– seit jeher ein Gelenkbus-Thema.<br />
Wie schlägt sich das I-SAM genannte<br />
Parallelhybrid-System im Alltagsbetrieb? Kurz<br />
gesagt, nicht schlecht. Vom merklichen Ruckeln<br />
oder deutlich spürbaren Schaltpausen der ersten<br />
Prototypen von vor einigen Jahren ist kaum<br />
mehr etwas übrig geblieben. Der Schaltkomfort<br />
des hauseigenen automatisierten Zwölf-Gang-<br />
Getriebes kann naturgemäß nicht ganz mit einem<br />
im Stadtbus typischen Wandlerautomaten<br />
mithalten, ist aber alles andere als unkomfortabel.<br />
Die feine Spreizung der Gänge ist bei der<br />
nicht übermäßig üppigen Antriebsleistung des<br />
Elektromotors ebenso von Nutzen. Zwar konnten<br />
wir den Bus nur unbeladen erleben, eine<br />
spürbare Untermotorisierung war aber auch bei<br />
Steigungen im Mittelhessischen nicht zu beob-<br />
Wie schon bei den konventionellen Dieselbussen<br />
ist der Kühler oben im Turm montiert.<br />
Extrem kurzer Radstand vorne, langer Radstand hinten. Der Gelenkbus benimmt sich manierlich.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 3/2<strong>01</strong>5<br />
FAHRZEUGE | Volvo 7900 LAH [ 37 ]
[ 38 ] FAHRZEUGE | Volvo 7900 LAH<br />
Technische Daten<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter Reihen-4-Zylinder Volvo D5K240<br />
stehend im Heck, Abgasturbolader und Ladeluftkühlung,<br />
elektronisch geregelte Einspritzung per Common-Rail-<br />
Technik. Vier Ventile pro Zylinder, Abgasreinigung,<br />
SCR-Technik mit Adblue-Einspritzung, Oxidationskatalysator,<br />
Partikelfilter, Ammoniak-Slip-Sperrkatalysator,<br />
Abgasstufe Euro 6.<br />
Hubraum<br />
5.100 cm³<br />
Bohrung/Hub 110/132 mm<br />
Leistung<br />
177 kW (240 PS) bei 2.200/min<br />
Drehmoment 918 Nm bei 1.200–1.600/min<br />
ELEKTROMOTOR<br />
permanent erregter Synchronmotor<br />
Leistung (Dauer/max.) 70/150 kW<br />
Drehmoment (Dauer/max.) 400/1200 Nm<br />
Bremsmoment (Dauer/max.)400/1200 Nm<br />
Batterie<br />
2 Lithium-Ionen-Eisenphosphat-Batterien,<br />
wassergekühlt<br />
Kapazität<br />
9,6 kWh, 600 V<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Vollintegriertes Volvo I-SAM Parallelhybridsystem; vollautomatisiertes<br />
Getriebe Volvo I-Shift AT2412E, zwölf<br />
Vorwärtsgänge.<br />
Übersetzungen 14,9–1,0. Portalachse ZF AV 132,<br />
Übersetzung 4,72 : 1.<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Starrachse Volvo RFS-L, Dreieckslenker, zwei Luftfederbälge,<br />
zwei Stoßdämpfer, zul. Achslast 7,1 t. Hinten<br />
Portalachse ZF AV 132, zwei Längslenker, aufgelöster<br />
Dreieckslenker, vier Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer,<br />
zul. Achslast 12,5 t. Starre Mittelachse, zul. Achslast<br />
10,0 t; Reifengröße 275/70 R 22,5.<br />
BREMSEN/LENKUNG/ELEKTRIK<br />
Zweikreis-Druckluftanlage mit Scheibenbremsen rundum,<br />
elektronisch geregeltes Bremssystem EBS mit ABS,<br />
ASR, Bremsassistent. Dauerbremse Retarder. Lenkung<br />
ZF 8098 Servocom mit elektrohydraulischer Steuerung.<br />
Knickwinkel des Drehgelenks (maximal horizontal/<br />
vertikal): 52°/10°; Serienmäßige Vorbereitung für Volvo<br />
Telematics mit prädiktiver Wartung und Batterieüberwachung<br />
(vertragsabhängig); Multifunktionslenkrad<br />
(optional)<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 18.134/2.550/3.280 mm<br />
Radstand<br />
5.190/6755 mm<br />
Wendekreis<br />
23.500 mm<br />
Überhang vorn/hinten 2.7904/3.485 mm<br />
Fußbodenhöhe über der 320/340/340 mm<br />
Fahrbahn (Einstiegshöhe)<br />
Innenstehhöhe (vo./hi.) 2.300/1.760mm<br />
Tankvolumen Diesel 380 l<br />
Tankvolumen Adblue 30 l<br />
Zul. Gesamtgewicht 29.000 kg<br />
FAHRGASTKAPAZITÄT<br />
Fahrgastsitze Testwagen 53<br />
Stehplätze 1<strong>01</strong><br />
Rollstuhlplätze<br />
1 (+1 Kinderwagen)<br />
Gesamtkapazität 154<br />
Das vollständige Interview mit<br />
dem Volvo Buschef Agnevall<br />
finden Sie im Internet unter.<br />
www.eurotransport.de/7900LAH<br />
1<br />
1 Das mehr funktional als designorientiert<br />
ausgelegte Cockpit verzichtet weitgehend<br />
auf Hybrid-Spielereien und ist gut bedienbar.<br />
2 Gut erreichbar und einsehbar sind die<br />
Instrumente und Gerätschaften im<br />
Eurokasten über Kopf.<br />
achten. Ein wichtiger Vorteil des Hybridantriebs<br />
– neben dem Sparpotenzial – ist der streckenweise<br />
elektrische und somit emissionsfreie Betrieb.<br />
Abhängig davon, wie voll die Batterien sind –<br />
hierüber informiert das sonst auf ablenkende<br />
Hybrid-Spielereien verzichtende Cockpit-Display<br />
–, schafft der Volvo bis zu zwei Kilometer<br />
flüsterleise ohne den Vierzylinder, der sich<br />
jedoch auch unter Last immer manierlich gibt.<br />
Voraussetzung für derart lange Elektrophasen<br />
ist jedoch, dass der Fahrer mit dem Gaspedal<br />
Der Aufbau<br />
des Parallelhybrids<br />
mit einem<br />
600-V-Netz für den Antrieb<br />
ist konzeptbedingt<br />
relativ unkompliziert. Er soll<br />
zeitnah sogar auf die neue Plugin-Variante<br />
aufzurüsten sein, die bis<br />
zu 60 Prozent Energie einsparen soll.<br />
2<br />
extrem vorsichtig umgeht und nicht schneller als<br />
maximal Tempo 25 fährt, sonst springt flugs der<br />
emsige Euro-6-Verbrenner an, um die beiden<br />
Batterien mit 9,6 kWh Speichervermögen wieder<br />
zu füllen. Praxistauglich ist das jedoch maximal für<br />
kurze Fußgängerzonen-Abschnitte.
FAHRZEUGE | Volvo 7900 LAH [ 39 ]<br />
1<br />
2<br />
1 Der Innenraum des Gelenkzuges für bis<br />
zu 154 Passagiere ist hell und geräumig,<br />
einen transparenten Faltenbalg bieten<br />
die Schweden derzeit leider nicht.<br />
2 Die beiden Lithium-Ionen-Batterien auf dem<br />
Dach sind luft- und wassergekühlt, elektrisch<br />
beheizbar und telematisch überwacht,<br />
um eine lange Lebensdauer zu garantieren.<br />
Überwacht werden die Kraftpakete von einem<br />
Telematiksystem – mit einem entsprechenden<br />
Service-Vertrag muss sich der Kunde nicht mehr<br />
selbst um die Batterien kümmern. Zudem kann<br />
künftig vorgegeben werden, in welchen Bereichen<br />
rein elektrisch gefahren werden soll. Sinn<br />
macht dieses „Zoning“ freilich nur, wenn die<br />
elektrischen Phasen länger werden. Das sieht<br />
Volvo auch so und kündigt an, alle Euro-6-Hybride<br />
der ersten Generation auf die neue Elektro-<br />
Hybrid-Technik umrüsten zu können. Dies<br />
dürfte aber den bisherigen Hybridaufpreis von<br />
rund 120.000 Euro weiter in die Höhe treiben.<br />
So könnte bald aus dem Toyota der Busbranche<br />
ein Tesla werden – die Richtung stimmt. ◼<br />
Volvos Stufenplan zur Elektromobilität<br />
Interview: Volvo-Bus-Chef Håkan Agnevall setzt auf offene Systeme. <br />
Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
?: Warum ist es kein Zufall, dass Volvo Buses<br />
heute beim Thema Elektromobilität so gut aufgestellt<br />
ist?<br />
Agnevall: Wir sehen uns hier in einer Vorreiterposition<br />
unter den großen Herstellern. Der<br />
Vorteil von Volvo als Big Player besteht in einem<br />
kommerziell ausgereiften Fahrzeugkonzept,<br />
das robust, zuverlässig und vor allem<br />
bereits lieferbar ist.<br />
Volvo Bus-Lenker Håkan Agnevall auf der<br />
IAA Nutzfahrzeuge im Plug-in-Hybrid.<br />
?: Ist die auf der IAA gezeigte Schnellladetechnik<br />
mittels Pantograf demnach Ihre bevorzugte Lösung<br />
für die Zukunft?<br />
Agnevall: Unsere Elektromobilitätsstrategie<br />
besteht grundlegend aus drei Säulen. Sie basiert<br />
zunächst auf drei Antriebssystemen: den<br />
Diesel-Hybridbussen, den Elektro-Hybridbussen<br />
mit Plug-in-Technologie und den vollelektrischen<br />
Fahrzeugen, die wir im Juni 2<strong>01</strong>5<br />
erstmals in Göteborg vorstellen und im Rahmen<br />
des ElectriCity-Projekts einsetzen werden.<br />
Eine entscheidende strategische Rolle spielt<br />
aber auch unsere Fähigkeit, ein Komplettsystem<br />
bestehend aus Bussen und konduktiver<br />
Ladeinfrastruktur gemeinsam mit unseren<br />
weltweit agierenden Partnern Siemens und<br />
ABB anbieten zu können.<br />
?: Welches Feedback haben Sie von den Betreibern<br />
bisher zu dieser Strategie bekommen?<br />
Agnevall: Wir haben seit 2009 bereits rund<br />
1.700 Diesel-Hybridbusse verkauft. Es ist jedoch<br />
nicht geplant, dass der Elektro-Hybridbus<br />
den Diesel-Hybridbus komplett ersetzen<br />
soll. Ganz im Gegenteil: Die Wahl der geeigneten<br />
Antriebstechnologie hängt immer von<br />
den individuellen Einsatzbedingungen sowie<br />
den infrastrukturellen und städteplanerischen<br />
Vorgaben der einzelnen Städte ab. Was wir damit<br />
erreichen wollen, ist eine deutliche Senkung<br />
der Eintrittshürde zur Nutzung neuer<br />
Technologien.<br />
?: Handelt es sich also um Ihr ganz eigenes,<br />
spezifisches Konzept der Ladeinfrastruktur?<br />
Agnevall: Nein, wir wollen vielmehr offene<br />
Schnittstellen in der Infrastruktur, das haben<br />
wir von Anfang an so gesehen. Also wird es<br />
keine Volvo-eigene, also rein auf die Volvo-<br />
Bussysteme fokussierte Lösung für die Aufladung<br />
geben. Deswegen haben wir uns auch<br />
mit genau diesen global aufgestellten Partnern<br />
zusammengetan. Sicher wird es Wettbewerber<br />
geben, die ebenfalls Elektrobusse anbieten<br />
werden. Das sollen sie auch gerne tun, aber<br />
möglichst unter Verwendung der gleichen Infrastruktur.<br />
?: Was sagen Ihre Kunden zu Ihrer mutigen Entscheidung,<br />
in Kontinentaleuropa ausschließlich Hybrid-Stadtbusse<br />
anzubieten?<br />
Agnevall: Es gibt einige Kunden, die weiterhin<br />
dieselgetriebene Busse haben möchten.<br />
Schließlich war die Umstellung auf Euro 6<br />
für die Industrie mit einem immensen Kraftakt<br />
verbunden. Wir haben eine mutige Entscheidung<br />
getroffen, denn als großer Hersteller<br />
benötigt man eine plausible Strategie<br />
und man muss daran glauben. Die meisten<br />
Kunden verstehen und schätzen unsere klare<br />
Strategie in diesem Punkt.
[ 40 ] FAHRZEUGE | MAN Lion’s City GL CNG<br />
SAUBERE ALTERNATIVE<br />
Fahrbericht: Der MAN Lion‘s City GL CNG wartet mit blitzsauberem Antrieb auf und wird so<br />
zum Überraschungserfolg. Der Erdgasantrieb ist der „Hidden Champion“ der Branche.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: THOMAS KÜPPERS<br />
Es sind nicht immer nur die Stars und Sternchen<br />
eines Medienhypes, die zunächst Verkaufserfolge<br />
verzeichnen, um kurz darauf<br />
umso härter auf dem Boden der Tatsachen zu landen.<br />
Auch technischen Entwicklungen kann es<br />
so ergehen. Zu beobachten ist dieses Phänomen<br />
etwa bei dieselelektrischen Hybridbussen, die<br />
nach fulminantem Mediengewitter vor fünf Jahren<br />
hoffnungsfroh gestartet sind, nur um heute<br />
ein Schattendasein zu fristen, weil sie schlicht zu<br />
teuer sind. Einige Hersteller haben das Angebot<br />
mit Einführung von Euro 6 sogar ganz eingestellt.<br />
Doch der viel gelobte Euro-6-Diesel ist zwar<br />
so sauber, wie er nur sein kann, und verfügt sogar<br />
über weitere Kraftstoff-Einsparpotenziale,<br />
doch die Lösung für Feinstaub- und CO 2 -Emissionsprobleme<br />
der Städte und Kommunen ist er<br />
keineswegs. Zudem will sich so manches Unternehmen<br />
nicht so recht ans Hantieren mit Adblue<br />
und das Freibrennen und Reinigen von<br />
Verkehrsbetriebe wünschen sich eine sehr<br />
saubere, aber auch serienreife Antriebstechnik<br />
Partikelfiltern gewöhnen. Schnell kommt mancher<br />
Betrieb an den Punkt, an dem man sich<br />
bei Neu anschaffungen die Frage stellt: Gibt es<br />
denn keine unkomplizierte, saubere und zudem<br />
serien reife Antriebstechnik für Stadtbusse?<br />
Eine Antwort auf diese Frage kommt aus<br />
einer Nische, die seit Jahren wie ein Schattengewächs<br />
in ganz Europa prächtig gedeiht: der<br />
Erdgasbus. Oft belächelt und notorisch unterschätzt<br />
ist dieser Antrieb, dem man aufgrund<br />
seiner vollständigen Serienreife nur noch ungern<br />
das Label „Alternativ“ umhängen möchte.<br />
Er ist so etwas wie der „Hidden Champion“<br />
der sauberen Antriebsalternativen für die Stadt.<br />
Eine besondere Rolle spielt hierbei MAN,<br />
nach eigenen Angaben mit bisher 8.000 verkauften<br />
CNG-Bussen Marktführer in Europa.<br />
Derzeit würden rund 20 Prozent der Stadtbusse<br />
mit dem Antrieb abgesetzt. In Deutschland hat<br />
das Unternehmen seit mehr als 40 Jahren Erfahrungen<br />
in Städten wie Augsburg und Nürnberg.<br />
Nicht zuletzt aufgrund der massiven Verwendung<br />
von Biogas, wodurch sich der CO 2 -Ausstoß<br />
laut einer Studie der Deutschen Energie-<br />
Agentur (dena) um bis zu 97 Prozent reduzieren<br />
lässt, hat zum Beispiel Schweden mit rund<br />
5,4 Prozent einen der höchsten CNG-Flottenanteile<br />
in Europa (Deutschland: 2,3 Prozent, Niederlande<br />
6,9 Prozent laut europäischem Branchenverband<br />
NGVA, Stand 2<strong>01</strong>4).<br />
Durch Euro 6 ist der Preisabstand zwischen<br />
Diesel und CNG weiter geschrumpft, auch<br />
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wenn MAN noch immer, je nach Flaschenpaket<br />
auf dem Dach, von einem Mehrpreis von<br />
rund 40.000 Euro oder rund 18 Prozent auf den<br />
Dieselpreis ausgeht. Beim sehr gut ausgestatteten<br />
Testwagen sind es nur noch 9,5 Prozent des<br />
Gesamtpreises von 420.000 Euro. Zudem muss<br />
der Verkehrsbetrieb aus Gewichtsgründen auf<br />
18 zahlende Fahrgäste verzichten.<br />
„Die Kostenvorteile des niedrigeren Kraftstoffpreises<br />
gleichen jedoch in den allermeisten<br />
Fällen diese Anfangsinvestitionen sowie die<br />
um rund acht Prozent höheren Wartungskosten<br />
mehr als aus, sodass nach unseren Berechnungen<br />
am Ende ein Plus von rund 15 Prozent bei<br />
den Life-Cycle-Costs über einen Betrachtungszeitraum<br />
von zehn Jahren herauskommt“, erläutert<br />
Stefan Sahlmann vom Produktmarketing<br />
Niederflurbusse bei MAN. Wie sich der aktuell<br />
sinkende Dieselpreis und die daraus resultierende<br />
kleinere Differenz zum Gaspreis auswirken<br />
wird, bleibt freilich abzuwarten. Trotzdem resümiert<br />
Sahlmann: „Oft müssen wir bei den Interessenten<br />
erst auf den Kostenvorteil des CNG-<br />
Motors hinweisen, denn bisher stehen eher die<br />
Umweltaspekte im Vordergrund beim Kauf.“<br />
Und diese Umweltvorteile sind immens.<br />
Nicht nur, dass rein energetisch von einem CO 2 -<br />
Minderausstoß von 20 bis 25 Prozent gegenüber<br />
dem Diesel auszugehen ist, auch die konventionellen<br />
Schadstoffe wie Partikel und Stickoxide<br />
liegen teilweise weit unter den Diesel- und<br />
auch den Euro-6-Grenzwerten. Der Clou dabei:<br />
Es wird keine Chemiefabrik spazieren gefahren<br />
wie beim Euro-6-Diesel, sondern ein einfacher,<br />
wartungsfreier Drei-Wege-Kat, der zur Abgasreinigung<br />
ausreicht.<br />
Das Thema Lärmemission, das durch schärfere<br />
EU-Gesetze schon bald massiv in den Fokus<br />
rücken wird, spielt bei der Kaufentscheidung<br />
ebenfalls eine Rolle. Der Gasmotor mit seinem<br />
fremdgezündeten Otto-Motor-Prinzip liegt um<br />
einige Dezibel unter den selbstzündenden Brüdern.<br />
Im Testwagen säuselt der Zwölf-Liter-Turbomotor<br />
mit 310 PS und 1.250 Newtonmetern im<br />
Stand und außen gemessen mit 66,5 db(A) vor<br />
sich hin. Subjektiv empfinden viele Menschen<br />
das eher zugeschnürte Volllastgeräusch eines<br />
CNG-Motors weitaus angenehmer als einen<br />
kernig-kehligen stampfenden Turbodiesel.<br />
1<br />
1 Kein Hingucker mehr, aber immer noch sehr<br />
funktional: das MAN-Cockpit mit „Pille“.<br />
2 Die Taster für die fünf Türen sind wie an<br />
einer Perlenschnur aufgereiht.<br />
3 Das 10er-Flaschenpaket wiegt mehr als eine<br />
Tonne und reicht für gut 500 Kilometer aus.<br />
4 Das MAN-Design ist unaufgeregt, aber zeitlos.<br />
5 Heller und freundlicher Innenraum dank<br />
transluzentem Faltenbalg und verglasten<br />
Notausstiegsluken.<br />
5<br />
3<br />
2<br />
4<br />
Doch nicht nur die Motortechnik, auch das Fahrzeug<br />
selbst ist eine Besonderheit für MAN. Die<br />
Münchner haben den in die Jahre gekommenen<br />
Niederflur-Stadtbus mit allem aufgepeppt,<br />
was zur Verfügung steht. Das beginnt bei der<br />
Karosserie. Schon zur IAA 2002 hatte die Neoman<br />
Bus GmbH – heute ein Unwort in München<br />
– als eine der ersten gemeinsamen MAN-Neoplan-Produkte<br />
einen 18,75 Meter langen Fünftürer<br />
präsentiert, aber nie breit vermarktet.<br />
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[ 42 ] FAHRZEUGE | MAN Lion’s City GL CNG<br />
2<br />
1 Der Heckbereich des Busses ist aufgrund<br />
des liegenden Motors etwas verbaut.<br />
2 So schick kann ein Stadtbusinterieur sein –<br />
trotz stehplatzoptimiertem Konzept.<br />
3 Ohne WLAN und modernes Ticketing geht<br />
im XL-Stadtbus heute nichts mehr.<br />
Mit dem zunehmenden Bedarf an großen Gefäßen,<br />
nicht zuletzt für das Thema Bus Rapid<br />
Transit (BRT), holte man die Pläne vor einiger<br />
Zeit für das UITP-Projekt „European Bus System<br />
of the Future (EBSF)“ aus den Schubladen<br />
1<br />
3<br />
und strickte den Neoplan Centroliner N 4522 auf<br />
das unaufgeregte MAN-Design um – aber nicht,<br />
ohne die fünf Türen beizubehalten. Und das aus<br />
gutem Grund: Tests in Hamburg haben ergeben,<br />
dass sich die Wechselzeit für 40 Passagiere<br />
„Beim Erdgasantrieb ist noch viel Musik drin“<br />
Interview: Dr. Timm Kehler über Vorteile und Perspektiven des Erdgasantriebs. <br />
Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
?: Ist das Thema Erdgas eine echte Alternative für<br />
den Betreiber oder nur eine Öko-Nische?<br />
Kehler: Aus verschiedenen Gründen verspüren<br />
wir gerade verstärkt Interesse am Thema<br />
CNG. Das ökologische Argument ist zwar immer<br />
noch wichtig, aber wir sehen, dass der ausgereifte<br />
Erdgasantrieb gerade aus wirtschaftlichen<br />
Gründen für den Betreiber zunehmend<br />
eine echte Alternative darstellt. Der „Game<br />
Changer“ für CNG war aus unserer Sicht<br />
Euro 6, wodurch auf der Diesel-Seite einiges<br />
an Komplexität und Mehrkosten dazugekommen<br />
ist. Zudem kann der Kraftstoffkostenvorteil<br />
von Erdgas jetzt voll ausgespielt werden.<br />
?: Wie ist es denn um die CO 2 -Bilanz bestellt?<br />
Kehler: Die CO 2 -Bilanz fällt durch den Einsatz<br />
von Biogas, das sich ja schon zu 20 Prozent im<br />
Erdgas wiederfindet, deutlich vorteilhafter aus<br />
als bei einem Diesel. Viele Kunden, wie seit<br />
Kurzem die Verkehrsbetriebe in Greifswald<br />
(Bild r.), fahren sogar mit 100 Prozent Biogas,<br />
was auch energiewirtschaftlich einige Vorteile<br />
bietet. Sehr interessant ist zudem das Thema<br />
Windgas, weil es heimisch erzeugtes Erdgas<br />
ist, das in das Netz eingespeist werden kann.<br />
?: Der Anwendung bei den Betrieben steht ja zumeist<br />
die fehlende Erdgasinfrastruktur im Wege.<br />
Wie gehen Sie an dieses Thema heran in der<br />
neuerlichen Vertriebskooperation mit MAN?<br />
Kehler: Wir gehen so vor, dass der lokale Energieversorger<br />
mit unserer Unterstützung die<br />
Tankstelle betreibt, aber der Betreiber trotzdem<br />
die Vorteile des günstigen Erdgaspreises<br />
hat. Alternativ bieten wir auch an, dass erdgas<br />
mobil bei der Suche nach Investoren hilft.<br />
?: Was ist genau der Inhalt der Kooperation mit<br />
MAN? Wird es auch ein Lkw-Thema werden?<br />
Kehler: Wir fokussieren uns derzeit auf die Busanwendungen,<br />
weil wir dort ein ausgereiftes<br />
Produkt haben. Wir sind mit MAN exklusiv<br />
vertraglich gebunden. Derzeit hat zumindest<br />
der deutsche Wettbewerb ja auch noch keine<br />
Alternative im Portfolio.<br />
?: Wie geht es denn technologisch weiter?<br />
Kehler: Ein anderes spannendes Thema kommt<br />
derzeit von Volvo und seinem HPDI-Dual- Fuel-<br />
Ansatz, bei dem nur ganz wenig Diesel eingespritzt<br />
wird. Hierbei handelt es sich nicht um<br />
eine Zuliefererlösung mit hoher Bei mischung,<br />
sondern eine durchentwickelte OEM-Lösung.<br />
Im Erdgasthema ist also weiterhin<br />
einiges an Musik.<br />
Dr. Timm Kehler ist Geschäftsführer der<br />
Brancheninitiative erdgas mobil.
FAHRZEUGE | MAN Lion’s City GL CNG [ 43 ]<br />
bei einer Kapazität von bis zu 142 Passagieren<br />
gegenüber dem Viertürer von 26 auf 16 Sekunden,<br />
für 60 Passagiere sogar von 45 auf 26 Sekunden<br />
reduziert. Apropos Türen: Wir empfehlen<br />
den Griff zu den Elektro-Außenschwenktüren.<br />
Die sind um einiges komfortabler und schließen<br />
zudem dichter. Der gesamte Innenraum ist<br />
obendrein auf einen erhöhten Fahrgastfluss ausgelegt.<br />
Zwischen Tür zwei und drei kann der<br />
Fahrer bei hohem Fahrgastaufkommen noch<br />
dazu drei Klappsitze vom Fahrerplatz aus<br />
manuell sperren, was durch eine rote Leuchte<br />
angezeigt wird.<br />
Ebenfalls aus dem EBSF-Projekt stammt der transluzente<br />
Faltenbalg von Conti-Tech, der zusammen<br />
mit den Glasdachluken für viel Licht im<br />
Innenraum sorgt. Hinzu kommt eine WLAN-gestützte<br />
Ticketing-Ausstattung inklusive Hotspot<br />
für die Fahrgäste. Das Cockpit ist mittlerweile<br />
sattsam bekannt, auch der intern „Pille“ genannte<br />
Instrumententräger mit Lkw-Uhren überzeugt<br />
heute trotz neu designter Schalter nicht mehr<br />
wirklich. Andere VDV-angelehnte Lösungen<br />
machen da um einiges mehr her. Die Bedienerfreundlichkeit<br />
ist jedoch gegeben: Einmal alles<br />
verstanden und es flutscht wie am Schnürchen.<br />
Den aktuellen Trend zur hinten angeschlagenen<br />
Kabinentür vermissen wir jedoch schmerzlich.<br />
Das Fahrgefühl eines Gelenkbusses, zumal<br />
eines mit einem Zusatzgewicht von mehr als<br />
einer Tonne auf dem Vorderwagendach, ist schon<br />
etwas Besonderes. Aber nach kurzer Gewöhnung<br />
lässt der Lion’s City GL CNG sich beinahe genauso<br />
gut um die Kurven zirkeln wie ein Solobus mit<br />
13 Metern. Vorteil des Gewichts: Der Vorderwagen<br />
verhält sich sehr ruhig, fast als ob elektronisch<br />
gesteuerte Dämpfer verbaut wären.<br />
Der Nachteil: Die ohnehin nicht als Ausbund<br />
von Komfort bekannte, aber sehr robuste vordere<br />
Starrachse macht sich deutlich klappernd<br />
bemerkbar – wie auch die mit viel Plastik ausgeführte<br />
Wand- und Deckenbeplankung.<br />
Ein anderes Vorurteil gegenüber dem Erdgasantrieb<br />
stammt aus Zeiten, als der CNG-Motor<br />
noch keinen Turbolader hatte und im Magermixbetrieb<br />
werkelte. Mit diesem hat der neue<br />
Motor kaum mehr etwas gemeinsam. Seine<br />
310 PS und 1.250 Newtonmeter verleihen auch<br />
dem Gelenkbus mit maximaler Länge ausreichend<br />
Temperament. Das verbaute Voith<br />
DIWA.5-Getriebe mit topografischer Sensotop-<br />
Steuerung kann dieses aber nicht immer eins zu<br />
eins weitergeben – vor allem nicht in den ersten<br />
beiden Gängen, die ja nicht mechanisch geschaltet<br />
werden. Dort würde man sich auch im<br />
Stadtbus etwas mehr Dynamik wünschen. Vorteil<br />
der durchentwickelten Box: weniger Schaltrucke<br />
und höhere Hitzebeständigkeit.<br />
1<br />
1 Die hochwirksame Abgasreinigung des<br />
fremdgezündeten Otto-Motors besorgt ein<br />
Drei-Wege-Kat im Heck.<br />
2 Mittels Adapter können die 200-bar-Erdgasflaschen<br />
auf dem Dach in überschaubarer<br />
Zeit auch an einer Pkw-Tankstelle mit<br />
Erdgas befüllt werden.<br />
Übersichtlichkeit im Cockpit und Lenkverhalten<br />
sind makellos, wie vom Lion’s<br />
City gewohnt. Die neuen, klobigen Außenspiegel<br />
tragen zur guten Sicht, aber wohl oft auch<br />
zu erhöhten Reparaturkosten bei.<br />
Zum Thema Sicherheit hat sich auch MAN mangels<br />
technisch hoch komplexen ESP-Einbaus<br />
dazu entschlossen, einen elektronischen Knickschutz<br />
für das Gelenk einzubauen, den wir unlängst<br />
in Lappland erleben durften. Mit ABS,<br />
EBS und anderen Systemen ist es um die Sicherheit<br />
durchaus gut bestellt, wenn auch bei Innovationen<br />
wie Überrollfähigkeit nach R66.02 oder<br />
Frontalaufprallschutz Fehlanzeige ver meldet<br />
wird. Da macht sich die beinahe 20 Jahre alte<br />
Grundstruktur des Lion’s City bemerkbar, der<br />
dem Vernehmen nach noch eine Weile auf die<br />
ersehnte Ablösung warten muss.<br />
Aber auch das ist ein Merkmal von Hidden Champions:<br />
Trotz mangelnder Aufmerksamkeit lebt<br />
es sich zuweilen mit Fleiß und Ausdauer in der<br />
Nische lange und gut. <br />
◼<br />
Vergleich CNG-Emissionen zu Euro-6-Grenzwerten (WHTC)<br />
2<br />
QUELLE: MAN TRUCK AND BUS AG<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
[ 44 ] FAHRZEUGE | Mercedes Travego Safety Coach<br />
VERTRAUENSSACHE<br />
Fahrbericht: Würde Daimler dem Notbremssystem ABA3 drei Limousinen opfern oder ist das<br />
Vertrauen gerechtfertigt? Probe aufs Exempel mit dem Mercedes-Benz Travego Safety Coach.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
Vertrauen ist der Anfang von allem – gerade,<br />
wenn es um Leben und Tod geht. Vertrauen<br />
wir aber einer computergesteuerten<br />
Maschine heute schon unser Leben an – auch in<br />
Zeiten, in denen die Vision vom autonomen Fahren<br />
noch in mittlerer Ferne zu sein scheint? Es<br />
gibt bereits Situationen, in denen man sein Vertrauen<br />
in ein Fahrzeug und dessen elektronische<br />
Funktionen auf die Probe stellen kann.<br />
Gelegenheit dazu gibt es auf der Teststrecke am<br />
Daimler-Lkw-Werk im rheinland-pfälzischen<br />
Wörth bei der Demonstration der dritten Generation<br />
des Notbremsassistenten ABA („Active<br />
Brake Assist“). Dieser kam erstmals 2008 bei<br />
Mercedes zum Einsatz und wurde seither kontinuierlich<br />
weiterentwickelt. Demofahrer Manfred<br />
Bachus flößt den anwesenden Fahrgästen<br />
eine gute Portion wohligen Urvertrauens<br />
ein, schließlich macht er den Job bereits seit<br />
mehr als acht Jahren. Um diesen unbeschadet<br />
überstehen zu können, sei etwas Besonderes<br />
mit ihm passiert, erläutert Peter Schumacher,<br />
bei Daimler Buses für den Bereich Fahrwerk/<br />
Systeme zuständig, mit einem Lächeln: Bei<br />
den Testfahrern seien bestimmte natürliche<br />
Reflexe durch eine gezielte Konditionierung<br />
deaktiviert worden.<br />
Der Beweis hierfür lässt nicht lange auf sich<br />
warten, schließlich sind wir schon in der Steilkurve<br />
mit 80 km/h unterwegs in Richtung Ziel.<br />
Dieses besteht aus drei aufgereihten schwarzen<br />
Luxuslimousinen der schwäbischen Premiummarke.<br />
Wert: geschätzte 250.000 Euro, also<br />
nicht ganz so viel, wie die Marke für den gelben<br />
Travego der dritten Safety-Coach-Generation<br />
aufruft. Er steht mit rund 340.000 Euro netto<br />
in der Liste. Welch Vertrauensbeweis!<br />
Natürlich ist der Vorzeige-Reisebus in Sachen<br />
Sicherheit mit viel zusätzlicher Technik ausgerüstet.<br />
Einer der Sitze hinter dem Fahrer ist fast<br />
völlig mit Computertechnik belegt. Monitore<br />
zeigen alle relevanten Parameter der komplexen<br />
Algorithmen des Notbremssystems an. Daneben<br />
sitzt Peter Schumacher und überwacht den<br />
Ablauf. Nach den ab November 2<strong>01</strong>5 geltenden<br />
EU-Regelungen muss ein Notbremssystem aus<br />
Tempo 80 bei einer Differenzgeschwindigkeit<br />
zu einem vorausfahrenden Fahrzeug von maximal<br />
50 km/h einen Unfall vermeiden können.<br />
Daimler übererfüllt bereits heute die nächste<br />
Verschärfung der Vorgaben ab 2<strong>01</strong>8. Bei einem<br />
stehenden Fahrzeug voraus, also die aktuelle<br />
Neuerung beim ABA3-System, muss das<br />
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1 Auf der Autobahn überlassen wir den<br />
Systemen die Hoheit über das Fahren.<br />
2 Die Wahl des richtigen Abstands ist wichtig,<br />
um flüssiges Überholen zu ermöglichen.<br />
3 „Füße weg von den Pedalen!“. lautet das<br />
Motto, das wir auch durchhalten.<br />
Tempo um mindestens 10 km/h reduziert werden.<br />
Das höre sich zwar nach wenig an, aber<br />
der Vorgang dahinter sei nicht trivial, bestätigt<br />
Schumacher: „Ab einer Entfernung von 200 Metern<br />
vor dem Hindernis wird das System aktiv<br />
und sortiert rund 200 Signale nach deren Relevanz.<br />
Erst, wenn alles passt, wird die Notbremsung<br />
ausgelöst.“<br />
Schon wird es ernst. Schumacher konzentriert<br />
sich zu 100 Prozent auf den Monitor. Auf dem<br />
Tacho liegen genau 80 km/h an. Fahrer Bachus<br />
ist hochkonzentriert und doch tiefenentspannt –<br />
mangels natürlicher Reflexe. Plötzlich tut sich etwas<br />
auf dem Bildschirm, was auf eine unplausible<br />
Datenlage in der Auswertung hinweisen kann.<br />
„Abbruch!“, macht Schumacher eine sehr klare<br />
und deutliche Ansage. Noch ist Platz genug,<br />
um den rund 13 Tonnen schweren Reisebus elegant<br />
um die Pkw herum zu manövrieren, ohne<br />
jemanden ernsthaft in die Bredouille zu bringen.<br />
Was ist passiert? „Das System darf niemals<br />
eine Situation herbeiführen, die gefährlicher<br />
ist als die reale Verkehrssituation. Im<br />
Zweifelsfall tut es lieber nichts, als eine Notbremsung<br />
mit 6 bis 7 ms 2 an Verzögerung auszulösen.<br />
Das ist eben die hohe Kunst der Vermeidung<br />
von Fehlauslösungen.“ Irgendwie klingt<br />
das sehr beruhigend. Schon eine unplausible<br />
Bewegung des Fahrers am Lenkrad oder der<br />
Pedalerie kann das System so beeinflussen, dass<br />
es die Notbremse („Override“) zieht. Schließlich<br />
soll der Fahrer nur unterstützt und nicht<br />
entmündigt werden – auch wenn der eine oder<br />
andere genau das fürchtet.<br />
1<br />
2<br />
Szenenwechsel: von der abgeschlossenen Teststrecke<br />
in den realen Alltag auf der Autobahn. Es<br />
ist ein Wochentag auf der A 61 zwischen Rasthof<br />
Kirchheim/Weinstraße und Kaiserslautern, der<br />
Verkehr ist mäßig dicht. Wir wollen dem fahrerischen<br />
Urvertrauen in die Technik auf der Straße<br />
nachspüren. Natürlich ist der Ansatz hier ein<br />
anderer. Wir wollen hier nicht etwa den ABA3<br />
testen, der ist heute nur die Ultima Ratio im Fall<br />
der Fälle.<br />
Stattdessen werden wir versuchen, einen Autobahnabschnitt,<br />
so autonom wie nach heutigem<br />
Stand der Technik möglich, weitgehend ohne<br />
Fahrereingriffe zu absolvieren. Die Zutaten<br />
des teilautonomen Selbstversuchs neben ABA3:<br />
Abstandsregeltempomat (ART), Spurassistent<br />
(SPA), Aufmerksamkeitsassistent (ATA), prädiktive<br />
Getriebesteuerung (PPC) des automatisierten<br />
Powershift-8-Getriebes.<br />
Die Strategie: Wir fahren eine Runde der etwa<br />
60 Kilometer langen Strecke mit allen vorhandenen<br />
Systemen auf Normalmodus und greifen<br />
nicht ein. Die zweite Runde absolvieren wir<br />
völlig selbstbestimmt ohne Tempomat und Co.<br />
Los geht es! Wir biegen vom Autohof auf die<br />
Autobahn ein und starten den Versuch. Tempomat<br />
auf 100 km/h, Getriebe im Normalmodus,<br />
alle Systeme sind bereit und arbeitswillig.<br />
Im Daimler-typischen „Stack and Cards“-Display<br />
ist alles gut zu überblicken, auch die Distanz<br />
zum Vordermann. Schnell stellt sich heraus,<br />
dass der kürzeste einstellbare Abstand des ART<br />
im Sinne einer flüssigen Fahrweise ideal ist, da<br />
man sonst sehr früh beim Überholen ansetzen<br />
müsste, um eine ungewollte Bremsung zu vermeiden.<br />
Auch Bremsvorgänge, sollten sich auf<br />
der zweiten Spur mal Trucks in den Weg stellen,<br />
sind kaum spürbar und gehen fast nahtlos<br />
vonstatten. „Könnte man kaum besser“, schießt<br />
es dem Fahrer durch den Kopf. Überhaupt wird<br />
schnell deutlich, wie gut die Daimler-Systeme<br />
aufeinander und auf die Umwelt abgestimmt<br />
sind. Kein Ruckeln, Fehlauslösen ober übermütiges<br />
Übersteuern – das schafft schnell Vertrauen<br />
in die Technik und wirkt entspannend. Der<br />
Fuß bleibt bis zur Wende kurz vor Kaiserslautern<br />
Die Kunst der Vermeidung von Fehlauslösungen<br />
war ein wichtiger Entwicklungsbaustein<br />
3<br />
standhaft auf dem Boden. Der nächste Schritt der<br />
Sicherheitstechnik wird der aktive Lenkeingriff<br />
sein, der schon heute mit elektrisch parametrierbaren<br />
Systemen möglich ist. Wir würden uns<br />
nicht wundern, sollten wir in naher Zukunft ein<br />
solches System in einem Fahrzeug mit der gleichen<br />
Modellbezeichnung fahren dürfen.<br />
Aber noch ist es nicht so weit, die Ausfahrt<br />
naht und wir müssen unseren kleinen Autonomieversuch<br />
leider unterbrechen. Theoretisch<br />
würde auch die Wende ohne Eingriff funktionieren,<br />
aber dazu bräuchte es ein Führungsfahrzeug,<br />
an das sich der Radarstrahl des Busses<br />
„heften“ könnte. Zudem ist ein solches Manöver<br />
im Alltag nicht für verantwortungsvolles Testen<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
[ 46 ] FAHRZEUGE | Mercedes Travego Safety Coach<br />
1<br />
2<br />
1 In den letzten beiden Sekunden baut das<br />
ABA3-Notbremssystem vollen Druck auf.<br />
2 Auffällige Anzeigen im Display spielen eine<br />
wesentliche Rolle bei der mehrstufigen<br />
Warnkaskade vor der Vollbremsung.<br />
3 Der neue Radarkopf aus der S-Klasse<br />
verfügt über Walzensensoren und kann bis<br />
zu 200 Meter weit „vorausschauen“.<br />
3<br />
geeignet. Nach der manuellen Wende geht es also<br />
in der Gegenrichtung zurück. Mittlerweile ist<br />
der Fahrer so an das unaufdringliche Eigenleben<br />
der Systeme gewöhnt, dass es sich völlig natürlich<br />
anfühlt, diesem die weitgehende Hoheit<br />
zu überlassen – von Entmündigung keine Spur,<br />
dafür stellt sich Gelassenheit und Vertrauen ein.<br />
Um dem rein manuellen Fahren so nahe<br />
wie möglich zu kommen, nutzen wir bei<br />
der zweiten Runde zudem den Dynamikmodus<br />
des GO 250-8 Getriebes, der es etwas<br />
flotter angehen lässt. Nicht gerade gestresst,<br />
aber doch insgesamt etwas angespannter beenden<br />
wir den Selbstversuch. Ergebnis? Im<br />
„teilautonomen“ Betrieb mit PPC haben wir eine<br />
Peter Schumacher,<br />
Leiter Fahrwerk/<br />
Systeme Daimler<br />
Buses:<br />
„Viele der Sicherheitssysteme wie ESP oder<br />
auch den ABA haben wir zuerst in Eigeninitiative<br />
entwickelt. Heute ziehen viele Hersteller<br />
nach, nicht zuletzt aufgrund der gesetzlichen<br />
Vorgaben.“<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit von 95,7 km/h<br />
vorgelegt, im selbstbestimmten Modus dagegen<br />
sind es 97,6 km/h. Das ergibt lediglich sieben<br />
Sekunden, die auf zehn Kilometer Strecke<br />
verloren gehen. Und das bei deutlicher Einsparung<br />
an Kraftstoff und Nerven.<br />
Nerven schonen ist dagegen beim zweiten Anlauf<br />
auf der Teststrecke in Wörth und mit Manfred<br />
Bachus am Steuer nicht angesagt. Wieder<br />
geht es in die Steilkurve, wieder volle Konzentration,<br />
wieder 80 km/h. Bachus hält souverän<br />
drauf und diesmal spielen auch die Algorithmen<br />
in Schumachers Computer klaglos mit.<br />
Das Heck der S-Klasse vorne kommt bedrohlich<br />
näher. Die Warnkaskade des Systems geht<br />
200 Meter vor dem theoretischen Aufprall hoch,<br />
erst optisch dann auch eindringlich akustisch. Das<br />
Bremssystem verzögert zunächst mit 30 Prozent,<br />
um möglichst fahrgastschonend zu agieren. Dann<br />
aber hauen die Bremsbacken in den letzten beiden<br />
Sekunden nach Zeitpunkt „T null“ voll zu. Es<br />
schleudert die Insassen nach vorne in die Gurte<br />
und die Karosserie sinkt ächzend in die Federn.<br />
Mit einem Abstand von rund fünf Metern kommt<br />
das Gefährt vor den Limousinen zum Stehen.<br />
Klar: Diese Demonstration findet unter<br />
Idealbedingungen statt. „Wir können und<br />
wollen die Aufprallvermeidung nicht in jedem<br />
Fall garantieren“, erklärt Schumacher.<br />
„Zumindest jedoch werden die Unfallfolgen im<br />
Rahmen der physikalischen Möglichkeiten deutlich<br />
reduziert.“ Und das Vertrauen von Fahrer<br />
und Fahrgästen gleichzeitig maximiert. ◼<br />
Sicherheit<br />
stufenweise<br />
Die Sicherheit im<br />
Omnibus schreitet<br />
in immer größeren<br />
Schritten voran.<br />
Seit einigen Jahren<br />
macht der Gesetzgeber<br />
richtig Druck<br />
und schreibt viele<br />
Systeme vor. Da<br />
haben es Global<br />
Thorsten Wagner,<br />
Testredakteur<br />
Player wie Daimler gut und können sich an<br />
die Spitze der Bewegung setzen. Kleinere<br />
Hersteller tun sich schwerer und müssen<br />
die Fristen bis zum letzten Moment nutzen.<br />
Andere verheddern sich mit stufenweisen<br />
Lösungen, etwa MAN mit dem Notbremssystem<br />
EBA 1 und 2. Und selbst Daimler muss<br />
sich zuweilen nach der Decke strecken:<br />
ABA3 bedarf der neuen Elektronik-Plattform<br />
und so musste man für den Tourismo eigens<br />
eine andere Lösung auf ABA2-Niveau schaffen.<br />
Zuweilen geht Sicherheit aber auch<br />
ganz einfach: Warum verzichten immer noch<br />
einige Verkehrsunternehmen auf den Fahrergurt<br />
im Stadtbus, auch wenn der bei Einrückfahrten<br />
durchaus mal schneller als 60<br />
km/h fährt? Die Kosten sollten es nicht sein,<br />
aber eine Regelung steht bisher aus. Könnte<br />
gesunder Menschenverstand hier helfen?<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
[ 48 ] MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA<br />
ALL THAT JAZZ ...<br />
Busmarkt: Seit rund elf Jahren bietet Setra die Top-Class in den USA an, seit zwei Jahren mit<br />
einem neuem Importeur. Grund genug, um uns auf der Busausstellung UMA umzusehen.<br />
TEXT UND FOTOS: THORSTEN WAGNER<br />
Das French Quarter in New<br />
Orleans scheint etwas aus<br />
der sonst eher nüchternen<br />
US-amerikanischen Welt<br />
gefallen zu sein. Fast schon europäisch<br />
und jugendlich-frisch gibt<br />
man sich den musikalischen und<br />
kulinarischen Sinnenfreuden des<br />
Südens hin – zumeist im improvisiert<br />
wirkenden und kreativen Takt<br />
des Jazz, der hier so etwas wie sei-<br />
ne US-amerikanische Heimat hat.<br />
Und das nicht nur zu den quirligen<br />
Mardi-Gras-Zeiten, die in etwa unserem<br />
Karneval entsprechen.<br />
Ähnlich fremd wirkt in der amerikanischen<br />
Buswelt ein Setra S 417 TC,<br />
wie sich die bekannte 400er-Baureihe<br />
des Ulmer Herstellers dort<br />
nennt. Die stolze Übersee-Geschichte<br />
des Busbauers begann<br />
schon in den 50er-Jahren mit den<br />
legendären Silver- und Golden-<br />
Eagle-Modellen, von denen rund<br />
200 Einheiten ausgeliefert wurden.<br />
Nach einer Pause startete Setra 1984<br />
dann mit dem S 215 HDH wieder<br />
durch und blickte 2<strong>01</strong>4 somit auf<br />
30 Jahre im Markt zurück.<br />
2003 wurde dann die 400er-Baureihe<br />
im Premiumsegment eingeführt<br />
und bis heute rund 1.100 Mal<br />
verkauft. 2007 konnten sich die<br />
Ulmer auf einer UMA in New Orleans<br />
bereits die Produktionsnummer<br />
500 auf die Frontscheibe kleben.<br />
Der Marktanteil von sieben<br />
bis zehn Prozent am 1.500 Einheiten<br />
großen Reisebusmarkt der<br />
USA (im Premium-Segment bis zu<br />
30 Prozent) ist in den vergangenen<br />
beiden Jahren jedoch aufgrund der<br />
erfolgten Neuausrichtung auf 60 bis<br />
80 Einheiten gesunken.<br />
2<strong>01</strong>1 kam noch die angepasste<br />
Comfort-Class als S 407 mit betont<br />
US-amerikanischem Auftreten hinzu,<br />
allerdings ohne mit der Top-<br />
Class vergleichbaren Stückzahlen,<br />
da dieses Fahrzeug jetzt zu nahe an<br />
den amerikanischen Mittelklasse-<br />
Reisebussen positioniert war, wie<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
sie zum Beispiel vom neuen Generalvertreter<br />
MCI (Motor Coach<br />
Industries) angeboten und bis zu<br />
600 Mal im Jahr verkauft werden.<br />
Mit der Einstellung der Daimler-<br />
Stadtbus-Marke Orion im Jahr 2<strong>01</strong>0<br />
rechnete sich für den Konzern auch<br />
das eigenständige Reisebusgeschäft<br />
bei den geringen Stückzahlen kaum<br />
mehr. Daher sah sich der Konzern<br />
nach einem erfahrenen Partner um,<br />
den man mit dem ehemaligen Konkurrenten<br />
und Marktführer MCI<br />
dann auch fand.<br />
Markts sehr speziell sind. In puncto<br />
Sicherheit sind die gesetzlichen Anforderungen<br />
noch nicht ganz so<br />
hoch wie in Europa – abgesehen<br />
von den neuen Sitzfestigkeitsvorgaben,<br />
die heute das zwanzig fache<br />
der Erdbeschleunigung fordern<br />
und eine Anpassung der Befestigung<br />
der Sitze bedingen.<br />
Neue und luxuriöse Ledersitze<br />
des Typs „Voyage Ambassador“<br />
sind nur ein Merkmal des<br />
S 417 TC, der den MCI-Stand in<br />
New Orleans schmückt. Außerdem<br />
Die Setra Top-Class ist eine<br />
Ausnahmeerscheinung in den USA<br />
„In der Anfangsphase gab es für<br />
beide Partner eine gewisse Lernkurve“,<br />
erläutert Bernd Mack,<br />
in Ulm und Mannheim für das<br />
Marktmanagement beider Busmarken<br />
zuständig. „Jetzt nehmen wir<br />
aber Fahrt auf und auch das Vertrauen<br />
der Kunden haben wir für<br />
die neue Konstellation gewonnen.<br />
Wir wollen auf jeden Fall so schnell<br />
wie möglich wieder dreistellige<br />
Absatzzahlen erreichen und das<br />
ist mit MCI auch möglich.“<br />
Das wäre auch die Voraussetzung<br />
für weitere Neuentwicklungen<br />
für den US-Markt, wie eine angepasste<br />
Top-Class 500, die der eine<br />
oder andere Kunde dort schmerzlich<br />
vermisst. Die Produkt- und<br />
Marktstrategie wird eng mit dem<br />
Generalimporteur abgestimmt,<br />
zumal die Bedürfnisse des US-<br />
bietet der klassischerweise 45 Fuß<br />
lange und 2,6 Meter breite Luxusbus<br />
eine in den USA unübliche Mitteltür,<br />
das Setra-Top-Sky-Glasdach<br />
und eine hochwertige Hecklounge<br />
– eine absolute Ausnahmeerscheinung<br />
auf der überschaubaren<br />
Messe, die im Vergleich zur<br />
Busworld Kortrijk klein anmutet<br />
(mehr dazu in der nächsten Ausgabe).<br />
Entsprechend groß ist das Interesse<br />
der Kunden an dem Fahrzeug.<br />
Viele große Unternehmen wie Arrow<br />
Stage Lines in Norfolk (Nebraska)<br />
oder Yankeeline in Boston<br />
(New Jersey) setzen ganz gezielt<br />
auf das Premium-Image der deutschen<br />
Traditionsmarke.<br />
Das liegt nicht zuletzt am hochwertigen<br />
Design der Top-Class,<br />
das sich ganz bewusst vom kastigen<br />
und lang gezogenen, weitge-<br />
New Orleans war schon mehrfach Ort der amerikanischen Messe UMA.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5<br />
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[ 50 ] MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA<br />
2<br />
1 Schon mit EPA10 kamen die<br />
Lüftungsgitter im Heck zur<br />
Anwendung.<br />
2 Kaum Unterschiede zur europäischen<br />
Version im Cockpit.<br />
3 „Freie Fahrt“ heißt es auf<br />
dem Highway mit 80 Meilen.<br />
4 Die edle Hecklounge ist<br />
ein Highlight der Messeausstattung<br />
von Setra.<br />
1<br />
3<br />
4<br />
hend standardisierten Aussehen<br />
der amerikanischen Modelle abhebt.<br />
Zwar ist auch hier die geteilte<br />
Frontscheibe mit dicken Gummis<br />
eingefasst und die Setra-typischen<br />
Rückspiegel werden von ungeschlachten<br />
Billigspiegeln in Fahrerhöhe<br />
ergänzt. Aber wenigstens die<br />
aufprallabsorbierenden US-Bumpers,<br />
wie sie der preiswertere S 407<br />
trägt, sind der Top-Class erspart geblieben.<br />
Luke Busskohl,<br />
Chief Operating<br />
Officer von<br />
Arrow Stage<br />
Lines, Nebraska:<br />
Wir haben die Gelegenheit, neben<br />
dem luxuriösen Messefahrzeug<br />
ein eher standardmäßiges<br />
Vorführfahrzeug durch New<br />
Orleans und seine Vororte zu lenken.<br />
Das Cockpit der Top-Class entspricht<br />
weitgehend der deutschen<br />
Version, abgesehen vom fehlenden<br />
Schaltknauf, an dessen Stelle<br />
die eher stadtbusartige Bedieneinheit<br />
des Allison-Automatik-Getriebes<br />
verbaut ist.<br />
Die bis vor Kurzem lieferbare<br />
AS-Tronic ist hier – wie auch in<br />
Deutschland – ausgelaufen und die<br />
geniale Powershift-8-Box nicht vorgesehen.<br />
Die Amerikaner lieben zu<br />
„Das Reisebusgeschäft ist ein echtes ‚People’s Business‘ hier in den<br />
USA. Wir wollen, dass der Fahrgast die Erfahrung der Reise an Bord genauso<br />
genießt wie seine Destination. Als einer der ersten Setra-Kunden<br />
in Nordamerika mit einer Firmentradition seit 1928 hat die deutsche<br />
Marke Setra einen echten emotionalen Wert für uns, der uns tatsächlich<br />
sehr geholfen hat, unser Geschäft im Premiumbereich auszubauen.“<br />
sehr das Zugkraft-unterbrechungsfreie<br />
Beschleunigen. Wir auch – dazu<br />
später mehr.<br />
Im Heck werkelt mit dem OM 471<br />
auch noch eine andere Besonderheit:<br />
der erste Vertreter des Common-Rail-Weltmotors<br />
von Daimler,<br />
der ab 2007 zusammen mit Detroit<br />
Diesel entwickelt wurde und bei<br />
dem Daimler-Tochterunternehmen<br />
mit einigen Änderungen als DD13<br />
firmiert.<br />
Schon lange vor der Einführung<br />
von Euro 6, noch zu<br />
Zeiten des hochstilisierten „AGR-<br />
SCR-Konflikts“ in Europa, war<br />
also schon klar, dass auch Daimlerzur<br />
EPA10-Erfüllung auf die Kombination<br />
aus AGR und SCR einschwenken<br />
wird. Das sind eben<br />
die kommunikativen Tücken eines<br />
Weltmotors für gleich drei Triade-<br />
Abgasnormen (US/EU/JP).<br />
Keinerlei Tücken hält die Performance<br />
des Aggregates in Verbindung<br />
mit dem Automatik-Getriebe<br />
bereit. Der 456 PS starke Sechszylinder<br />
mit Common-Rail-Einspritzung<br />
bringt es auf satte 2.100 Newtonmeter<br />
(oder amerikanische 1.650<br />
lb-ft, „foot pound force“), deren<br />
Entfaltung mittels Allison-Getriebe<br />
einfach famos zu nennen ist.<br />
Da schmerzt auch die für europäische<br />
Verhältnisse eher bescheidene<br />
PS-Zahl nicht wirklich. Der Antritt<br />
der Maschine von unten heraus ist<br />
herzerwärmend, zudem sind keinerlei<br />
Schaltrucke der sechs vorhandenen<br />
Gänge (Overdrive mit<br />
längster Übersetzung von 0,64 : 1)<br />
zu erspüren – was ebenfalls zum<br />
edlen Luxus-Feeling im Setra auch<br />
für Fahrgäste beiträgt.<br />
Laut wird der Reisewagen, ganz in<br />
Setra-Manier, nicht mal bei maximaler<br />
Beschleunigung auf 80 Meilen<br />
oder rund 120 km/h, die hier<br />
auf dem Highway gattungsübergreifend<br />
zumeist erlaubt sind. In<br />
Verbindung mit dem makellosen<br />
Fahrwerk (bei MCI-Reisebussen<br />
hält 2<strong>01</strong>5 ebenfalls die vordere Einzelradaufhängung<br />
von ZF Einzug)<br />
kann man das Fahrerlebnis des US-<br />
Setra nur phänomenal nennen.<br />
Kleiner Wermutstropfen: Aufgrund<br />
der Baureihe-400-Elektronik<br />
lassen Helferlein wie ACC, LGS<br />
oder ABA noch etwas auf sich warten,<br />
die Gesetzgebung in den USA<br />
war ausnahmsweise langsamer<br />
als in der EU. ESP, Front Collision<br />
Guard und Abbiegelicht sind aber<br />
serienmäßig an Bord und machen<br />
den Setra zu einem der sichersten<br />
Busse auf dem Interstate Highway.<br />
Nach einem Fotostop am Mercedes-Benz<br />
Superdome Football Stadium<br />
geht es zurück in die pulsierende<br />
Stadt, deren lebendiger Jazz<br />
auch gut als Hintergrundmusik<br />
einer ausgedehnten Reise in diesem<br />
US-Ausnahmebus passt. ◼<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA [ 51 ]<br />
Zwei Seiten einer Medaille: Setra und der neue Generalvertreter Motor Coach Industries<br />
Interview: MCI-Chef Rick Heller über die Herausforderungen des Busmarkts USA. Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
?: Welchen Einfluss hat der Vertrieb der Marke<br />
Setra seit 2<strong>01</strong>2 auf Ihr Portfolio in dem sehr spezifischen<br />
und überschaubaren US-Markt?<br />
Heller: Ich glaube, die beiden Marken MCI<br />
und Setra sind zwei Seiten einer Medaille und<br />
perfekte Partner füreinander. Vom deutschen<br />
Standpunkt aus gesehen benötigte man eine<br />
Service- und Vertriebsinfrastruktur, das war<br />
als unabhängiges Geschäftsmodell kaum zu<br />
realisieren. Genau in diesem Punkt sind wir<br />
als größter Hersteller in den USA sehr nah an<br />
unseren Kunden dran. Auf der anderen Seite<br />
können wir unser Portfolio, das sich mit<br />
der J4500- und der D-Serie eher im mittleren<br />
Marktsegment bewegt, mit einem echten<br />
Luxusprodukt nach oben abrunden – also eine<br />
Win-win-Situation für beide Seiten.<br />
?: Welche Pläne haben Sie in den nächsten Jahren,<br />
um Setra noch besser zu positionieren?<br />
Heller: Um die interne Aufmerksamkeit für die<br />
konkrete Kundenerfahrung weiter zu steigern,<br />
investieren wir gerade massiv Zeit und Geld in<br />
den Aftersales-Support für die Marke. Wenn<br />
sie einen Premium-Bus kaufen, erwarten Sie<br />
eben auch einen Premium Service, und genau<br />
das wollen wir erreichen. Zu diesem Zweck arbeiten<br />
wir auch an weiteren Produktverbesserungen<br />
mit den Evobus-Kollegen, um weiterhin<br />
ganz vorne mitzuspielen. Da werden<br />
einige neue Dinge kommen in der Zukunft.<br />
?: Wie würden Sie Ihre Marktposition beschreiben?<br />
Gibt es eine Gefahr aus China?<br />
Heller: Der Wettbewerb ist sehr stark,<br />
daher nehmen wir alle Marktteilnehmer<br />
sehr ernst. Alle machen einen guten<br />
Job, den ich durchaus respektiere.<br />
Aber gleichzeitig müssen wir besser<br />
sein. Um weiterhin den Markt anzuführen,<br />
müssen wir einfach die besten<br />
Busse verkaufen und immer weiter<br />
Innovationen anbieten, sonst kommt<br />
schnell der Stillstand. Die Chinesen<br />
hatten vor rund sechs Jahren einen ersten<br />
Anlauf genommen. Aber es ist sehr<br />
schwierig für diese Hersteller, hier Fuß<br />
zu fassen. Das ist vor allem eine Frage<br />
des Aftersales und der Restwerte von<br />
Gebrauchtwagen. Gerade in diesem<br />
letzten Punkt steht Setra hier in den<br />
USA sehr gut da.<br />
?: Welchen Herausforderungen steht der<br />
US-Busmarkt generell gegenüber?<br />
Heller: Es gibt eine Reihe von neuen Gesetzen,<br />
die uns stark betreffen würden, zum Beispiel<br />
eine neue Überrollrichtlinie oder weitere Änderungen<br />
an den Fenstern. Beides würde die<br />
Fahrzeuge viel schwerer machen. Hierzu gibt<br />
es einen sehr komplexen und langwierigen Gesetzgebungsprozess.<br />
Die makroökonomischen<br />
Trends dagegen sind sehr positiv zu bewerten.<br />
MCI-Chef Rick Heller setzt im Interview mit Thorsten<br />
Wagner auf die gezielte Portfolioergänzung für MCI.<br />
Immer mehr Menschen fahren mit dem Bus,<br />
und das aus zweierlei Gründen: Erstens sind<br />
viel mehr junge Menschen heute mit dem Bus<br />
unterwegs, als das noch vor zehn Jahren der<br />
Fall war. Auf der anderen Seite gewinnt die<br />
etwas ältere Babyboomer-Generation immer<br />
mehr an Bedeutung, denn gerade diese geht<br />
immer mehr auf Busreisen.<br />
Temsa_HD-ad_86x196_Deutschland Dealer2.pdf 1 17.02.2<strong>01</strong>5 19:45<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 4/2<strong>01</strong>5
[ 52 ] MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA<br />
AMERICAN STYLE<br />
Nachbericht: Der amerikanische Busmarkt hat ganz besondere Gegebenheiten in punkto<br />
Technik und Service. Wir haben uns auf der Messe UMA umgesehen.<br />
TEXT: THOSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, GREYHOUND, MCI<br />
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten<br />
ist nicht unbedingt das Land der modernsten<br />
Busse. Diese Erkenntnis ist nicht<br />
eben neu. Zu groß sind die Entfernungen, zu<br />
sehr lieben die Amerikaner das Auto und das<br />
Fliegen durch „God’s own Country“. Ein hoch<br />
diversifizierten Markt wie in Europa kann sich<br />
so nicht herausbilden. Ausnahmen von der Regel<br />
sind die bereits seit 100 Jahren operierenden<br />
Greyhound-Linies (siehe Kasten) und die schnell<br />
wachsenden Megabus-Fernlinien, die immer<br />
mehr junge Leute und auch Geschäftsleute anziehen<br />
– nicht zuletzt wegen der modernen Annehmlichkeiten<br />
wie Steckdosen und Wifi an Bord.<br />
Deutsche Hersteller spielen auf dem US-amerikanischen<br />
Markt derzeit kaum eine Rolle, sieht<br />
man einmal von Setra im Luxussegment ab, die<br />
Das etwas überfrachtete Cockpit des MCI ist<br />
konsequent um den Fahrer herum gebaut.<br />
mittlerweile ausschließlich über den Importeur<br />
MCI vertrieben werden und mit zwei Modellen<br />
auf dem Markt sind (siehe Heft 4/2<strong>01</strong>5), wenn<br />
auch mit kleinen Stückzahlen. Trotzdem stellt<br />
Setra eine willkommene Ergänzung des MCI-<br />
Portfolios dar und viele Busbetreiber wie Arrow<br />
Stagelines oder Yankeeline setzen gezielt<br />
auf Luxusreisen im europäischen Stil. Schon in<br />
den 90er Jahren stellte Neoplan seine Produktion<br />
in den Staaten ein, das Werk Lamar produzierte<br />
noch ein paar Jahre weiter, schloss aber<br />
dann endgültig in den 2000ern.<br />
Was macht den US-Markt so speziell? Wie genau<br />
sehen typische Reisebusse in den USA aus,<br />
und was sind die aktuellen Trends? Die Messe<br />
UMA in New Orleans, auf der wir uns umgesehen<br />
haben, gibt Antworten auf diese Fragen.<br />
Ein guter Vertreter des amerikanischen Busses<br />
ist sicher der überarbeitete J4500 von Motor<br />
Coach Industries (MCI), seit Jahren einer der<br />
größten Hersteller in den Staaten. Offizielle Absatzzahlen<br />
sind derzeit kaum zu bekommen. Einige<br />
andere Hersteller wie die Kanadier Prevost,<br />
die zu Volvo gehören, rühmen sich gerne ähnlicher<br />
Superlative – ganz in amerikanisch-vollmundiger<br />
Marketing-Sprache.<br />
Larry Plachno, seit 37 Jahren einer der besten<br />
Kenner der Szene und Journalist, bestätigt<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA [ 53 ]<br />
aber, dass MCI seit Jahrzehnten bereits mehr<br />
als 50 Prozent Marktanteil bei Reisebussen besitzt.<br />
Brent Maitland, Marketingchef von MCI,<br />
will denn auch „der absolut beste Partner für<br />
die Kunden sein, mit besseren Produkten, hoher<br />
Qualität und gutem Service.“<br />
Service ist in dem großen Land ein echtes<br />
Killerkriterium beim Kauf. Die Schulung<br />
von Servicepersonal durch Ingenieure hat daher<br />
höchste Priorität. Oder wie Kenner Plachno<br />
es ausdrückt: „Service und Ersatzteile sind<br />
hier ein ganz großes Thema!“. So seien denn<br />
auch Servicethemen bei den Motoren in den<br />
vergangenen Jahren vordringlich gewesen,<br />
sagt Rick Heller, CEO von MCI während der<br />
Pressekonferenz auf dem gemischten MCI/<br />
Setra-Stand, der dieses Jahr ganz im Sinne<br />
deutscher Feierlust und Gaumenfreuden<br />
ausstattfiert ist. Mittlerweile verkaufe<br />
MCI mehr Cummins-Aggregate als Detroit<br />
Diesel und wolle auch ein zertifiziertes Service-<br />
Center für die Marke aufbauen. Nicht zuletzt die<br />
Wirtschaftlichkeit spielt hier eine überragende<br />
Rolle: zusammen mit Bosch hat MCI Verbrauchtests<br />
gefahren, bei denen Traumwerte von bis zu<br />
8,6 Miles per Gallon. Das sind stolze 27,3 Liter<br />
auf 100 Kilometer – nicht schlecht für einen ausgewachsenen<br />
Dreiachser mit 24,5 Tonnen zulässigem<br />
Gesamtgewicht. Busse spulen gerne schon<br />
mal mehrere Millionen Kilometer ab, bevor sie<br />
verkauft werden oder ihr Innenraum komplett<br />
überarbeitet wird. Mehrere Firmen haben sich<br />
auf dieses Thema spezialisiert, auf der UMA<br />
bieten sie Stoffe und sonstigen Angebote feil<br />
nicht unähnlich einem orientalischen Basar.<br />
Das mag auch einer der Gründe dafür sein, dass<br />
der amerikanische Reisebus eher robust als luxurös<br />
daherkommt. Im Falle von MCI in einer<br />
eher auf den leichteren Überland-Verkehr ausgerichteten<br />
D-Line und der schweren J-Line,<br />
die es aber bisher ausschließlich in der üblichen<br />
45-Fuß-Standardausführung gibt, die einem 15<br />
Meter-Dreiachser bei uns entspricht. „Think<br />
Big“, war bisher das Motto in den Staaten, erst<br />
der türkische Hersteller Temsa hat es geschafft,<br />
mit 30- und 35-Fuß-Bussen mit Edelstahlgerippe<br />
– in den Staaten das Heilmittel gegen Rost – die<br />
Service und Ersatzteilversorgung sind in dem<br />
riesigen Land ein absolutes Killerkriterium<br />
amerikanischen Betreiber zu überzeugen, erst<br />
auf der diesjährigen Messe schieben die Türken,<br />
durch den Importeur CH Bus Sales vertreten,<br />
den Standard-45-Fuß-Bus nach. Seitdem ist ein<br />
kleiner Wettlauf ausgebrochen, wer den besten<br />
Kurzen bieten kann. Van Hool gab auf der Messe<br />
ebenfalls den CX 35 bekannt. Dan Leo, Marketingchef<br />
bei ABC, seit 25 Jahren Van Hool Importeur,<br />
sagt: „Diese Länge ist sehr wichtig im<br />
Wettbewerb und zieht enorm viel Aufmerksamkeit<br />
auf sich.“ Erst 2<strong>01</strong>4 hat Van Hool ein neues<br />
Werk in Mazedonien gebaut, nicht zuletzt für<br />
einen Großauftrag von ABC über 300 der CX-<br />
Fahrzeuge (siehe Heft 7/2<strong>01</strong>4).<br />
Auf dem gemeinsamen MCI-/Setra-Stand konnte man den neuen J4500 auch von unten sehen.<br />
100 Jahre Greyhound<br />
Mit kaum einem anderen Namen ist der<br />
amerikanische Busmarkt so fest verbunden<br />
wie dem des Fernlinienbetreibers Greyhound<br />
Am 9. Mai 1914 wurde das Unternehmen als<br />
„Mesaba Transportation Company“ in Hibbing,<br />
Minneapolis gegründet und bedient<br />
heute rund 3.800 Ziele in 48 US-Staaten und<br />
zehn kanadischen Provinzen und Territorien.<br />
Die Umbenennung in „Greyhound“ erfolgte<br />
dann 1930. In dem um Knotenpunkte organisierten<br />
Liniennetz sind 90 hauseigene<br />
Busstationen integriert. Nach einigen Umstrukturierungen<br />
und Besitzerwechseln in<br />
den 80er und 90er Jahren gehört das Unternehmen<br />
seit 2007 der First Group und wird<br />
von CEO Dave Leach geführt, der Greyhound<br />
als „eine der berühmtesten Marken der Welt“<br />
bezeichnet. Heute arbeiten mehr als 6.000<br />
Menschen für Greyhound und kümmern sich<br />
dabei um 1.200 Busse. Rund 75 Prozent davon<br />
kommen von MCI (D4505, G4500 und<br />
102DL3), der Rest von Prevost (X3-45). Etwa<br />
85 Prozent der Busse sind neu oder aufgearbeitet,<br />
der Anteil soll sogar auf 90 Prozent<br />
steigen. Alle sind im blauen „neoklassischen<br />
Design“ gehalten. Die Busse befördern jedes<br />
Jahr rund 18 Millionen Fahrgäste auf<br />
annähernd 5,5 Milliarden Meilen Fahrstrecke.<br />
Der typische Greyhound-Reisende ist<br />
zwischen 18 und 34 Jahre alt und verdient<br />
nach Erhebungen des Unternehmens rund<br />
35.000 Dollar im Jahr. Über 70 Prozent der<br />
Reisenden besitzen einen High School- oder<br />
höhere Bildungsabschlüsse. Typische Reisestrecken<br />
sind kürzer als 700 Kilometer. Wer<br />
früh genug bucht, hat die Chance auf das<br />
Ein-Dollar-Ticket für jeden Bus. Das Portfolio<br />
erstreckt sich heute weit über die klassische<br />
„Greyhound Legacy“-Linie hinaus: „Greyhound<br />
Express“ bedient seit 2<strong>01</strong>0 rund 930<br />
Städtepaarungen mit Schnellverbindungen.<br />
BoltBus bietet „Curb Side Service“, YO!Bus<br />
wiederum bedient explizit China Towns im<br />
Nordosten. Greyhound Package Express<br />
schließlich befördert Fracht. Zum Jubiläum<br />
wurde ein Museumsbus gestaltet (Foto), der<br />
im Sommer 2<strong>01</strong>4 in 40 US-Städten mit acht<br />
weiteren Oldtimern unterwegs war.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
[ 54 ] MÄRKTE | US-amerikanische Busmesse UMA<br />
In Zukunft elektrisch?<br />
Der moderne Diesel steht derzeit in Amerika<br />
im Reisebussegment noch voll im Fokus,<br />
müssen doch lange Strecken mit bis zu 120<br />
km/h bewältigt werden. Das erfordert enorme<br />
Kraftreserven. Im Stadtbus sind teilweise<br />
Erdgasantriebe verbreitet, ohne aber an<br />
europäische Marktverhältnisse heranzureichen.<br />
Die ehemalige Daimler-Marke<br />
Orion, bis 2<strong>01</strong>0 auf dem Markt, baute zudem<br />
eine Flotte von mehr als 3.000 Hybridbussen<br />
für US-Großstädte. Ein Durchbruch für<br />
eine bestimmte Technologie zeichnet sich<br />
er aber auch in den USA derzeit nicht ab.<br />
Einen bemerkenswerten Anlauf für batteriebetriebene<br />
Reisebusse wagt der chinesische<br />
Hersteller BYD mit Sitz in Los Angels. Gleich<br />
in drei Längen (23, 40 und 45 Fuß) wollen<br />
die Chinesen der Elektromobilität Vorschub<br />
leisten. Die Reichweiten werden mit 124 bis<br />
190 Meilen und mehr angegeben, also rund<br />
200 Kilometer. Für die beiden großen Modelle<br />
bieten BYD eigene Radnabenmotoren mit<br />
2 mal 180 kW an, der kleine Wagen verfügt<br />
über einen 180-kW-Zentralmotor. Auffällig<br />
ist das digitale Display des Messeexponats,<br />
das in einem hochwertig anmutenden<br />
Cockpit verbaut ist. Die Preise sollen in den<br />
USA bei 250.000 Dollar beginnen und bis zu<br />
700.000 für den langen Wagen reichen. Dem<br />
Vernehmen nach wird der Bus auch auf der<br />
Busworld Kortrijk zu sehen sein.<br />
Der Hersteller BYD zeigt erstmals einen<br />
batteriebetriebenen Reisebus.<br />
1 Typischer Stadtbus von<br />
New Flyer, die seit einem<br />
Jahr auch von Importeur<br />
ABC vertrieben werden.<br />
2 Mit solchen luxuriös<br />
ausgestatteten Midibussen<br />
im Lounge-Stil<br />
fahren US-Schüler in die<br />
Spring Break.<br />
3 Wer noch keinen kurzen<br />
Reisebus hat, der kündigt<br />
ihn wie Van Hool aber<br />
werbewirksam groß an.<br />
2<br />
Aber zurück zu MCI und seinem Vorzeigemodell<br />
J4500, das zusammen mit seinem kleinem<br />
Bruder rund 500 mal im Jahr abgesetzt<br />
wird. Derzeit ist noch kein 35 Fuß Auto zu haben.<br />
Brent Maitland nennt den Bus auch gerne<br />
das „Zuverlässigkeits-Arbeitspferd“, passend<br />
zum Marken-Claim „Reliability Driven“.<br />
Zum neuen Modelljahr haben die Techniker den<br />
Bus grundlegend überarbeitet. So ist er erstmals<br />
mit einer Einzelradaufhängung vorne und an<br />
der Nachlaufachse zu haben. Die Bauteile kommen<br />
von ZF aus Gainsville/Georgia und wurden<br />
speziell für den MCI angepasst. Kurzerhand<br />
haben die MCI-Marketender denn auch den Bus<br />
auf eine Hebebühne gewuchtet, so dass jeder<br />
die Vorteile des neuen Fahrwerks begutachten<br />
kann. Und gleichzeitig wurde dem Bus ein neues<br />
Bremssystem von Bendix sowie das amerikanische<br />
Wingman-Sicherheitssystem mit Abstandsradar<br />
und Notbremse verpasst. ESP ist bereits in<br />
Serie zu haben. Gesetzlich vorgeschrieben sind<br />
diese Systeme allesamt noch nicht, jedoch sollen<br />
Ende 2<strong>01</strong>6 Drei-Punkt-Gurte Pflicht werden,<br />
bereits heute müssen die Sitzbefestigungen die<br />
20fache Erdbeschleunigung aushalten.<br />
Das Design des J4500 kann durchaus für den<br />
all-american Coach stehen: langer Radstand,<br />
eine Tür vorne, windschlüpfrige Frontscheibe,<br />
verchromte Außenspiegel wie von einem Pickup<br />
– ein wenig wirkt das wie ein Schnellbahnoder<br />
Straßenbahnwaggon. Und dieses Design<br />
hat sich bei fast allen Herstellern flächendeckend<br />
durchgesetzt, nicht zuletzt aufgrund gesetzlicher<br />
Vorgaben. MCI hat mit neuer Buggestaltung und<br />
1<br />
3<br />
Tagfahrlichtern einiges an Modernität dazugegeben.<br />
Trotzdem ist auch der Innenraum für einen<br />
europäisch sozialisierten Busmenschen zuerst<br />
einmal eine Überraschung. Das Cockpit scheint<br />
mehr wie eine Höhle aus Schaltern und Wurzelholz<br />
als wie eine moderne Kommadozentrale.<br />
Und trotzdem ist er einer der erfolgreichsten<br />
Busse der USA.Es is eben eine völlig andere Welt,<br />
die amerikanische Bus-Welt!<br />
◼<br />
Busland<br />
Amerika<br />
Natürlich sind wir<br />
Europäer verwöhnt,<br />
was Angebot und<br />
Technik unserer<br />
Busse angeht.<br />
Hoher Transportbedarf<br />
und großer<br />
Wettbewerb haben<br />
uns an die Spitze<br />
Thorsten Wagner,<br />
Testredakteur<br />
der Entwicklung<br />
gebracht. Auch wenn Amerikaner immer<br />
noch den eigenen Pick-up oder den Flieger<br />
präferieren, der Bus wird auch hier immer<br />
wichtiger. Das zeigen der Erfolg der Megabus-Fernlinien<br />
und die Ausdifferenzierung<br />
des Marktes mit kürzeren Fahrzeugen oder<br />
Luxusangeboten wie dem von Setra. Und Innovationstreiber<br />
in Sachen alternative Antriebe<br />
werden die USA wohl nicht so bald sein.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
MODELLE | Miniatur-Omnibusse [ 55 ]<br />
Bindeglied<br />
DB-Busse kommen nicht nur zum Einsatz, wenn die Schiene gesperrt ist.<br />
Sie sorgen auch vielerorts für die Anbindung des ländlichen Raums an<br />
den Fernverkehr. In dieser Funktion ist der MAN Lion’s City unterwegs,<br />
den sich Wiking zum Vorbild genommen hat. Am Steuer sitzt ganz stilecht<br />
ein DB-Busfahrer. Maßstab: 1 : 87. Material: Kunststoff. Preis: 21 Euro.<br />
Weitere Bus- und Lkw-<br />
Modelle verschiedener<br />
Hersteller finden Sie im<br />
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TRADITION UND MODERNE<br />
Modellpflege: Nach einer längeren Durststrecke gibt es wieder neue Busmodelle. Den<br />
BVG-Veteranen Büssing D 38 bietet Wiking gleich in zwei verschiedenen Maßstäben an.<br />
Berliner Veteran<br />
Das Deutsche Technikmuseum Berlin verwahrt einige der schönsten Oldtimer-<br />
Busse Deutschlands. Einen davon, den Büssing D 38 der Linie 16 mit dem Salamander-Schriftzug,<br />
hat Wiking neu aufgelegt – sowohl im Maßstab 1 : 87 als auch<br />
in 1 : 160. Das Modell besitzt in der Wiking-Historie eine besondere Bedeutung.<br />
Es hat einen Vorgänger, der damals noch in 200-facher Verkleinerung aus Metall<br />
gegossen wurde und wie das Original aus den späten 30er-Jahren stammt. 1981<br />
präsentierte Wiking den D 38 dann im Maßstab 1 : 87. Es war die letzte Miniatur,<br />
die Wiking-Gründer Friedrich Peltzer innerhalb der von ihm begründeten Veteranenserie<br />
auf den Weg brachte. Nun erfährt der Oldie eine gelungene Neuauflage.<br />
Material: Kunststoff. Preis: 15 Euro (1 : 87) und 9 Euro (1 : 160).<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
[ 56 ] FAHRZEUGE | MAN Lion‘s Intercity<br />
KAMPFANSAGE<br />
Vorstellung: Mit dem MAN Lion’s Intercity, der ersten neuen Fahrzeug-Baureihe seit zehn<br />
Jahren, will MAN das Segment der preiswerten Überlandbusse knacken.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER I FOTOS: THORS-<br />
TEN WAGNER, MAN<br />
MAN baut seit nunmehr 100<br />
Jahren Lkw und Busse. Mit<br />
den Bussen aber tun sich die<br />
Münchner seit jeher etwas schwer.<br />
Schlechte Geschäftszahlen, häufige<br />
Umstrukturierungen, wenig<br />
Innovationen und eher dröges<br />
Design – das ist der Eindruck, der<br />
sich vielen Kunden und Marktbeobachtern<br />
zuweilen aufdrängt. Die<br />
Zahlen machen auch heute wieder<br />
Sorgen. Das zweite Jahr in Folge<br />
stehen zweistellige Millionenverluste<br />
in der Bilanz, über die man<br />
für den Busbereich gar nicht ger-<br />
ne redet (siehe Interview mit Vertriebsvorstand<br />
Heinz-Jürgen Löw).<br />
Schwere Zeiten also für die Busse<br />
mit dem Löwen im Logo.<br />
Zeit für einen Befreiungsschlag,<br />
dachten sich die Busleute in München.<br />
Den Produktionsverbund<br />
stellten sie wiederum mit der<br />
Schließung der Werken in Plauen<br />
und Posen noch schlanker auf und<br />
starteten eine – wenn auch kleine –<br />
Produktoffensive. Ausgesucht hat<br />
man sich dafür eine wichtige Nische<br />
von rund 4.000 Einheiten im<br />
europäischen Markt, der nur mit<br />
Kampfpreisen zu beackern ist: das<br />
Budget-Intercity-Segment. Von diesem<br />
Kuchenstück des stagnierenden<br />
europäischen Marktes will sich<br />
MAN mittelfristig bis zu 500 Einheiten<br />
abschneiden. Bisher konnten<br />
die Münchener hier nur mit dem<br />
teuren, auf dem Reisebus-Chassis<br />
basierenden Lion’s Regio und<br />
dem arg in die Jahre gekommenen<br />
Lion’s City LE punkten. In der<br />
Gunst der Kunden liegt der Regio<br />
zwar hoch, so gewinnt er seit 2005<br />
regelmäßig die Kategorie „Überlandbusse“<br />
bei der ETM-Leserwahl<br />
„Die besten Nutzfahrzeuge“.<br />
Allein Geld verdienen lässt<br />
sich mit dem Fahrzeug kaum.<br />
Zu aufwendig sind Grundstruktur<br />
und Ausstattungspakete, um<br />
nachhaltig unter die magische<br />
200.000-Euro-Grenze zu rutschen.<br />
Auch der D20-Motor schien den<br />
Produktstrategen etwas zu groß<br />
dimensioniert. Ein Wechsel auf den<br />
D08 kam aber hier kaum in Frage.<br />
Was tun also? Da sich der MANinterne<br />
Trend zum Body-Chassis-<br />
Konzept schon wieder erledigt zu<br />
haben scheint (so geht der in Heft<br />
11/2<strong>01</strong>4 vorgestellte Midi-Reisebus<br />
nun doch nicht in Serie) und der Regio<br />
sicher in den nächsten Jahren<br />
komplett in die Hand genommen<br />
werden muss, blieb nur die Option,<br />
einen neuen Wagen auf der „Lion’s-<br />
Chassis“-Generation selbst zu entwickeln.<br />
Unter dem Fußboden in<br />
Höhe von 860 Millimetern sind da-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
1<br />
2<br />
1 Der geräumige Innenraum lässt<br />
sich mit gelochten oder geschlossenen<br />
Ablagen aufwerten.<br />
2 Eine durchgehende Aluminiumleiste<br />
verbreitet etwas Noblesse.<br />
3 Das Cockpit ist aufgeräumt und<br />
ergonomisch, die „Pille“ bekannt.<br />
4 Trotz einer kleinen Radkastenerhebung<br />
ist eine durchgehende<br />
Konvektorenheizung lieferbar.<br />
5 Viel Platz und daher gute<br />
Zugänglichkeit im Heck für den<br />
D08-MAN-Motor mit 290 PS und<br />
etwas schwächlichen 1.100<br />
Newtonmeter an Drehmoment.<br />
3<br />
4<br />
5<br />
her Module des Chassistyps RR8<br />
verbaut.<br />
Besonderheit bei dieser Modulbauweise:<br />
erstmals seit Jahrzehnten<br />
verzichtet MAN in Verbindung<br />
mit der neuen, 13 Tonnen tragenden<br />
Hypoidachse HY 1350 auf die<br />
breite Federspur mit den bananenförmigen,<br />
um die Zwillingsreifen<br />
herumgebogenen Federträger. Die<br />
Konstruktion wird so weniger komplex<br />
und auch billiger, da sie direkt<br />
vom Lkw abgeleitet werden kann.<br />
Man mag das als Rückfall in die<br />
Zeiten vor der technischen Emanzipation<br />
des Busses vom Lkw geißeln,<br />
allein wie sehr das Fahrverhalten<br />
bei voller Ausladung beeinflusst<br />
wird, bleibt einem folgenden Test<br />
überlassen. Verwunderlich ist es<br />
schon, dass MAN auf der einen<br />
Seite Innovationspreise für innovative,<br />
um 70 Prozent leichtere<br />
Carbonfaser verstärkte Federträger<br />
verkündet (siehe Seite 8),<br />
auch ZF solche in Aluminium für<br />
den Stadtbus entwickelt, und nun<br />
einfach auf sie verzichtet wird. Bei<br />
einer ersten Ausfahrt rund ums<br />
Werk Ankara mit leerem Fahrzeug<br />
ließ sich jedenfalls kein ungebührliches<br />
Fahrverhalten feststellen.<br />
Brav zeigt sich das neue Löwenbaby<br />
auch von außen. Die 20<strong>01</strong> mit<br />
dem Lion’s Star eingeleitete Formensprache<br />
für den MAN-Bus<br />
wurde eher behutsam als rigoros<br />
weiterentwickelt. Den überfälligen,<br />
großen Sprung will man sich wohl<br />
für die neue Stadt- beziehungsweise<br />
Reisebusgeneration vorbehalten.<br />
Trotzdem ist der Wagen durchaus<br />
gefällig und ist um die Augen<br />
herum dem Regio wie aus<br />
dem Gesicht geschnitten. Auffälligstes<br />
Merkmal der neuen<br />
Bugmaske ist neben neuen<br />
Lichtkanten das neue, vom Lkw abgeleitete,<br />
schwarze MAN-Schild mit<br />
Logo, das so ähnlich schon 20<strong>01</strong><br />
beim Lion’s Star zu sehen war.<br />
Hier trafen sich idealerweise Anforderungen<br />
aus Marketing und<br />
Technik, sitzt doch der Radarsensor<br />
für die diversen Sicherheitssysteme<br />
hinter der Maske, und daher<br />
MAN Lion‘s Intercity/C<br />
MOTOR<br />
Stehend eingebauter Reihensechszyliner MAN D0836 LOH 72 mit elektronisch gesteuerter<br />
Common Rail-Einspritzung und zweistufiger Turboaufladung. Automatische Motorabschaltung<br />
(„Idle Shutdown“) nach drei Min. Leerlauf; Abgasnorm Euro 6 mit SCRT-System mit<br />
Abgasrückführung, SCR-Filter und Partikelfilter.<br />
Hubraum<br />
6.871 cm3<br />
Leistung<br />
231 kW/290 PS bei 2.300/min<br />
max. Drehmoment<br />
1.100 Nm bei 1.200–1.750/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Serie: 6-Gang Schaltgetriebe ZF 6S 19<strong>01</strong> mit Intarder; Option: ZF 6 AP Ecolife/Voith DIWA.6<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung an Mehrlenkerachse MAN VOS-08-B-<strong>01</strong>, zwei Luftfederbälge,<br />
zwei Stoßdämpfer, Stabilisator (Serie): Hinten starre Hypoid-Antriebsachse MAN<br />
HY-1350-B-03 mit 13 t. zul. Achslast; i = 4,56/5,67; schmale Federspur mit 4 Luftbälgen;<br />
BREMSEN/LENKUNG/SICHERHEIT<br />
Elektronisch geregelte, pneumatische Zwei-Kreis-Bremsanlage; innenbelüftete Scheibenbremsen<br />
rundum; ABS, ESP, MSC und BA Serie; ZF Intarder/Voith Retarder; ECE R<br />
66.02; TPM; Optional bei Klasse 2/3: LGS, ACC, LGS, EBA2 (ab 2<strong>01</strong>6)<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe in mm 12.280 bzw. 13.050/2.550/3.400 (inkl. Klima)<br />
Radstand / Wendekreis in mm 6.000 bzw. 6.774 / 20.960 bzw. 22.860<br />
Kofferraumvolumen<br />
5,2/6,4 m3<br />
Überhang vorn/hinten<br />
2.780 mm/3.500mm<br />
Fußbodenhöhe<br />
860 mm<br />
Innenstehhöhe (Mittelgang) 2.230 mm<br />
Tankvolumen Diesel/AdBlue 300 L/35L, rechts betankbar<br />
Zul. /techn. Gesamtgewicht 18.000/19.500 kg<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitz-/Stehplätze max. 55+29/59+25<br />
PREIS<br />
Einstiegspreis Lion‘s Intercity/C<br />
160.000/167.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
[ 58 ] FAHRZEUGE | MAN Lion‘s Intercity<br />
Das Heck ist sauber gezeichnet und durchaus gelungen, trägt aber zumeist bekannte Elemente.<br />
100 Jahre Lkw und Busse bei MAN<br />
Es wird wieder Zeit zum Feiern in München, Augsburg und Nürnberg.<br />
Nach dem großen 250 Jahre Konzernjubiläum im Jahr 2008 steht 2<strong>01</strong>5<br />
das Produktjubiläum für 100 Jahre Lkw- und Busproduktion an. Ganz<br />
nebenbei wird die Premiummarke Neoplan auch noch 80 Jahre. Nach<br />
der Unternehmensgründung am 21. Juni 1915 in Nürnberg verließ alsbald<br />
der erste MAN-Saurer-Lkw das Werk in Lindau am Bodensee und<br />
kurz später die ersten Busse, die für die Reichspost Fahrgäste und Briefe<br />
beförderten (Foto unten). 1961 kam mit dem 750 HO („Metrobus“)<br />
das erste modulare Fahrzeugkonzept auf den Markt. Mit der Schließung<br />
des Werks im bayerischen Penzberg und der Übernahme der Büssing-<br />
Werke in Braunschweig, wurde<br />
Salzgitter zum wichtigsten Buswerk<br />
von MAN bis zur Produktionsverlagerung<br />
nach Polen 2006.<br />
Das Jubiläum wird mit Sondermodellen<br />
(Foto oben), Events und<br />
einer Oldtimertour von Nürnberg<br />
nach München Ende Juli gefeiert.<br />
darf hier kein Metallic-Lack aufgetragen<br />
werden.<br />
Nach und nach will MAN alle<br />
Hochbodenbusse auf die neue Maske<br />
umstellen. Ein 100-Jahre-Sondermodell<br />
des Lion’s Coach war bereits<br />
auf den Busdays in Ankara zu<br />
sehen (siehe unten). Ohne die neue<br />
Maske würde dem Intercity das nötige<br />
Quäntchen an Spannung und<br />
physischer Präsenz fehlen. Weitere<br />
Highlights sucht man aber vergebens<br />
– sieht man von der schnurgeraden<br />
„Schwinge“ aus Aluminium<br />
an der B-Säule einmal ab, die eine<br />
gewisse Wertigkeit vermittelt.<br />
Markentypisch ist die Frontscheibe<br />
optisch weit nach unten und in<br />
die Stirn nach oben gezogen.<br />
Wohlbekannt ist auch der<br />
hier verbaute 6,7-Liter Motor<br />
D0836 mit Common-Rail-<br />
Einspritzung, der in Euro-6-<br />
Ausführung ans Werk geht. Zum<br />
Einsatz kommt ausschließlich die<br />
stärkere Leistungsstufe mit 290 PS<br />
und 1.100 Newtonmeter an maximalem<br />
Drehmoment. Das alleine<br />
macht schon die natürlichen Grenzen<br />
des Einsatzgebietes deutlich.<br />
Die Alpentour mit voller Besetzung<br />
dürfte sich mit diesen Leistungsdaten<br />
verbieten. Der Wettbewerb<br />
ist hier deutlich kerniger<br />
unterwegs: Daimler bietet bis zu<br />
1.400 Nm, Iveco mit dem Cursor 9<br />
sogar 1.650 Nm. Das sind Welten!<br />
Getriebeseitig ist in Serie das<br />
ZF-Sechsgang-Getriebe verbaut,<br />
optional auch das ZF Ecolife oder<br />
Voith Diwa.6. Zwei Fahrzeug-Längen<br />
werden verfügbar sein, der<br />
Zwölf-Meter-Wagen hat Platz für 55<br />
Fahrgäste und bietet 5,2 Kubikmeter<br />
Kofferraum, der 13 Meter lange<br />
Lion’s Intercity C sogar 59 Sitze<br />
und 6,4 Kubikmeter. Einen Dreiachser<br />
plant MAN vorerst – wie beim<br />
eher glücklosen Neoplan Jetliner –<br />
vorerst nicht.<br />
Im Innenraum zeigt sich der MAN<br />
solide und funktional, mit einer<br />
Funktionsleiste aus Aluminium in<br />
der Dachvoute macht sich gar ein<br />
Hauch Noblesse breit.<br />
MAN liefert auf Wunsch geschlossene<br />
oder gelochte Ablagekästen.<br />
Ebenso sind Konvektorenheizung,<br />
Doppelverglasung,<br />
Klimaanlage, Begleitersitz, Kühlschrank<br />
vorne sowie ein Multifunktions-Lenkrad<br />
im Angebot.<br />
Die Varianz ist also um etliches<br />
höher als zum Beispiel beim aktuell<br />
getesteten Setra S 415 UL business.<br />
Freilich wird der Einstiegspreis<br />
von 150.000 Euro in Europa,<br />
beziehungsweise 165.000 Euro in<br />
Deutschland dann schnell zur Makulatur.<br />
Das Cockpit leiteten die<br />
Designer wiederum von der aus<br />
dem Lkw bekannten Armaturen-<br />
Stephan, Schönherr, Leiter Design<br />
Bus, MAN Truck & Bus:<br />
„Ein bedeutendes Erkennungsmerkmal des Fahrzeuges ist der neue<br />
Bugbereich mit der schwarzen MAN-Blende. Der selbstbewusste, leicht<br />
lächelnde Blick vermittelt Reife und Dynamik. Wir wollten so viel skulpturale<br />
Lichtwirkung ins Fahrzeug bringen wie möglich, gerade im Bug.“<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | MAN Lion‘s Intercity [ 59 ]<br />
Modernes Produktionszentrum für zwei Marken<br />
Die Türkei hat sich seit langem zu<br />
einem der ersten Busbauländer<br />
Europas gemausert, wenn auch<br />
die Zugehörigkeit zum Wirtschaftsraum<br />
noch offen ist. Neben Daimler<br />
fertigt auch MAN seit 1966 in Istanbul<br />
Lkw, ab 1985 dann in Ankara.<br />
Seit 1986 werden auch Busse gebaut,<br />
seit 2006 ausschließlich. Mit<br />
der Verlagerung der Produktion der<br />
Neoplan-Modelle aus dem Werk<br />
Plauen, das zum „Bus Modification<br />
Center“ mit rund 140 Mitarbeitern<br />
verkleinert wird, kommen nun alle<br />
Überland- und Reisebusse der<br />
Marken MAN und Neoplan aus Ankara,<br />
inklusive des Doppeldeckers<br />
Skyliner. Anlässlich der Busdays<br />
2<strong>01</strong>5 wurde denn auch die erweiterte<br />
Produktion im Beisein des<br />
türkischen Industrieministers Fikri<br />
Isik, MAN-Produktionsvorstand<br />
Carsten Intra und Vertriebsvorstand<br />
Heinz-Jürgen Löw sowie Werkleiter<br />
Münür Yavuz feierlich eröffnet.<br />
Schon 2<strong>01</strong>0 wurde im Rahmen der<br />
staatlichen Investitionsprogramme<br />
zum 100-jährigen Jubiläum der<br />
Republikgründung im Jahre 1924<br />
ein Forschungs- und Entwicklungszentrum<br />
in Ankara eingeweiht,<br />
2<strong>01</strong>1 wurde die lange erwartete,<br />
hochmoderne KTL-Anlage in Betrieb<br />
genommen, deren Bau rund<br />
zehn Millionen Euro gekostet hat.<br />
Im 320.000 Quadratmeter großen<br />
Werk in unmittelbarer Flughafennähe<br />
sind 1.600 Mitarbeiter<br />
beschäftigt und fertigen pro Jahr<br />
etwa 1.600 Busse. Die tägliche Kapazität<br />
liegt bei rund acht Bussen.<br />
Über eine einzige Produktionslinie<br />
laufen 24 unterschiedliche Typen in<br />
vier Grundkategorien. 2<strong>01</strong>4 nahm<br />
MAN dort zudem eine moderne<br />
Audithalle in Betrieb, in der Qualitätsprüfungen<br />
nach VW-Vorgaben<br />
an jeweils einem Bus pro Woche<br />
durchgeführt werden, um die Arbeit<br />
der sechs sogenannten „Quality-<br />
Gates“ in der Produktion selbst zu<br />
ergänzen. Die größten Aufträge<br />
des Werkes waren die 1.300 CNG-<br />
Hochboden-Stadtbusse für Ankara<br />
sowie der erste Cityliner-Auftrag für<br />
das Werk, für den zeitnah 200 Fahrzeuge<br />
an einen Kunden ins aserbaidschanische<br />
Baku gehen. Eine ideale<br />
Gelegenheit für die Mannschaft,<br />
sich einzuarbeiten.<br />
einheit („Pille“) ab. In Verbindung<br />
mit dem hochwertigen Multifunktionslenkrad<br />
und der ergonomisch<br />
gestalteten Umgebung kann man<br />
sich damit anfreunden.<br />
Die Verarbeitung des zweifarbigen<br />
Cockpits ist durchaus gut, nur<br />
im unteren Bereich wird billiges<br />
ABS-Plastik verwendet. Ungebührliches<br />
Klappern konnten wir bei der<br />
ersten Ausfahrt nicht vernehmen.<br />
MAN rühmt sich, den sichersten<br />
Überlandbus auf die Straße gestellt<br />
zu haben. Da könnte tatsächlich etwas<br />
dran sein. Immerhin ist er der<br />
erste MAN-Bus, der als Neukonstruktion<br />
die neue Umsturzrichtlinie<br />
erfüllt, was ihn aber tendenziell<br />
schwerer macht. Die Münchner<br />
haben aber entsprechende Sparmaßnahmen<br />
ergriffen, alleine bei<br />
der Klimaanlage seien 65 Kilo ein<br />
gespart worden, heißt es bei MAN.<br />
Die Gewichtsbilanz bleibt abzuwarten,<br />
freilich spielt die jetzt in<br />
der EU-Kommission beschlossene<br />
Erhöhung der Gesamtgewichte<br />
auf 19 Tonnen MAN hier in die<br />
Hände, gerade bei der C-Variante.<br />
Zudem wird der Wagen Anfang<br />
2<strong>01</strong>6 – wenn nach Klasse 2<br />
oder 3 zugelassen – mit dem Notbremssystem<br />
EBA 2 ausgeliefert,<br />
das auch auf stehende Hindernisse<br />
reagiert. ESP ist Serie, außerdem<br />
ist erstmals ein Notbremsblinken<br />
verfügbar. LGS und ACC werden<br />
ebenfalls ab 2<strong>01</strong>6 zu haben sein.<br />
Insgesamt ist der neue Lion’s<br />
Intercity sicher kein glamouröser<br />
Hingucker, aber zum echten<br />
Kampfpreis kann er mit solider<br />
Technik und hoher Flexibilität im<br />
Überlandsegment aufwarten. Die<br />
Rechnung könnte für den darbenden<br />
MAN-Busbereich aufgehen.◼<br />
Ein ausführliches Interview mit MAN-Vertriebsvorstand<br />
Heinz-Jürgen Löw finden Sie hier:<br />
www.eurotransport.de/mantuerkei<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
[ 56 ] FAHRZEUGE | Setra S 415 Multi-Class UL business<br />
SPAR-<br />
PROGRAMM<br />
Test: Wer meint, einen Setra muss man sich leisten können,<br />
der wird mit der S 415 Multi-Class UL business eines Besseren<br />
belehrt – auch wenn Verzicht dazugehört.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
Für gewöhnlich pflegt die Daimler-Premiummarke<br />
Setra den Nimbus des Exklusiven<br />
und Unbezahlbaren gut und gerne. Und das<br />
nicht erst seit gestern. Hier wird nicht gekleckert,<br />
man tendiert zum Klotzen. Und in so manchem<br />
Bereich, wie Elektrik- und Cockpitdesign, richten<br />
sich die Ulmer zunehmend komfortabel in<br />
der Position als Benchmark ein. Im Reisebussegment,<br />
zumal in dessen Luxusbereich, mag dies<br />
funktionieren und gewollt sein – die Zahlen geben<br />
der Traditionsmarke Recht. Aber trotz guter<br />
Margen im Luxussegment lässt sich auch auf<br />
der anderen Seite des Marktes mit dem richtigen<br />
Angebot gutes Geld verdienen, gerade im Bereich<br />
der preiswerten Doppelverdiener, die ohne<br />
Pomp und Gloria auskommen müssen. Hier<br />
tummeln sich die Kollegen der Schwestermarke<br />
Mercedes mit dem zur Multi-Class weitgehend<br />
baugleichen Intouro ebenso wie andere Hersteller<br />
wie Iveco oder Temsa oder ganz aktuell<br />
auch MAN mit dem gerade vorgestellten Lion’s<br />
Intercity (siehe Seite 62).<br />
Was auf den ersten Blick wie das letzte Aufgebot<br />
der alten 400er-Baureihe aussieht, entpuppt<br />
sich bei näherem Hinsehen als kluge Kundenbindungs-<br />
und Gewinnoptimierungsstrategie.<br />
Die Modellfamilie, die 2006 gestartet ist, ist seitdem<br />
auf mehr als zwölf Vertreter angewachsen<br />
in einem feinen Sortiment aus Längen von<br />
10,50 bis 15 Metern und verschiedenen Karosserie-Konfigurationen.<br />
Ziel der Übung in eher<br />
markenfremder Wortakrobatik ist es, „ … mit<br />
effizient-sparsamen Ausstattungen einen höchst<br />
wirtschaftlichen Einsatz zu garantieren“. Oder<br />
kurz gesagt: „Weniger ist mehr.“<br />
Ein solch umfassender Anspruch lässt sich natürlich<br />
kaum mit der hochmodernen, aber auch<br />
teuren 500er-Plattform umsetzen. Daher verwendet<br />
Setra hier als einzige Baureihe noch die<br />
bisherige 400er-Plattform, die das Bild des deutschen<br />
Busmarktes der 2000er-Jahre weitgehend<br />
dominierte. Techniknerds mögen das bedauern,<br />
Kostenkillern stellt sich kaum eine andere Alternative.<br />
Und schließlich gehört das Design der<br />
„bewährten“ Setra-Baureihe beleibe nicht zum<br />
alten Eisen – hier zahlt sich das eher dezente,<br />
aber langlebige Setra-Longlife-Design aus.<br />
Freilich, um einen günstigen Einstiegspreis unter<br />
200.000 Euro zu realisieren (der im Übrigen<br />
kaum vom Mercedes-Pendant abweicht), mussten<br />
die Produktstrategen so manche Hand anlegen,<br />
um den Bus zu „entfeinern“, was das<br />
Zeug hergibt. Und das fängt schon bei der<br />
peppig orangefarbenen Außenhaut an. Das<br />
Arbeitstier aus türkischer Fertigung verzichtet<br />
auf so manchen Schmuck wie die Markenplakette<br />
an der B-Säule oder die lackierten Applikationen<br />
an den bis ins Dach reichenden Türen.<br />
Serie sind zudem ausschließlich die steile<br />
Frontscheibe und die eher robust gehaltenen<br />
Spiegel an Metallrohren. Die Verarbeitung ist<br />
an sich gut, trotzdem schmerzt der eine oder andere<br />
grobe Schraubenkopf im Innenraum oder<br />
der von außen durchs Fahrerfenster sichtbare,<br />
fingerbreite Spalt unterhalb des Cockpits.<br />
Den Innenraum betritt der Fahrgast sodann<br />
durch Türen, die fast bis ins Dach reichen, also<br />
auch für groß gewachsene Menschen ideal sind.<br />
Kein Begleitersitz verengt den Durchgang vorne<br />
– es gibt den Sitz erst gar nicht. Auch Toilette<br />
und Kühlschrank fehlen. Das Cockpit stammt<br />
aus der Überlandbaureihe, was seiner bekannten<br />
Bedienungsfreundlichkeit keinen Abbruch tut.<br />
Viel Plastik ist mit ausreichend Ablagen gepaart,<br />
ein Multifunktionslenkrad sucht man in<br />
dieser Klasse ebenfalls vergebens. Wir fühlen<br />
uns trotzdem auf Anhieb wohl hinter dem Volant,<br />
alles findet sich da, wo es hingehört. Auch<br />
die Sicht durch die leicht martialisch anmutenden<br />
Spiegel ist durchaus gut zu nennen, wäre<br />
da nur nicht das leichte Zittern.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5<br />
FAHRZEUGE | Setra S 415 Multi-Class UL business [ 57 ]
[ 58 ] FAHRZEUGE | Setra S 415 Multi-Class UL business<br />
Setra Multi-Class S 415 UL business<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter, liegend eingebauter Reihensechszylinder-Dieselmotor<br />
(Mercedes-Benz OM 936 LA) mit verstellbarer Auslassnockenwelle<br />
VCP (Variable Camshaft Phaser). Zweistufige Turboaufladung und<br />
Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte Common-Rail-Direkteinspritzung<br />
mit hydraulischer Druckverstärkung. Vier Ventile pro<br />
Zylinder, Abgasrückführung, SCR-Technik mit Adblue-Einspritzung,<br />
Partikelfilter, Abgasstandard Euro 6.<br />
Bohrung/Hub<br />
110/135 mm<br />
Hubraum<br />
7.698 cm³<br />
Verdichtung 17,0:1<br />
Leistung<br />
260 kW (354 PS) bei 2.200/min<br />
Maximales Drehmoment 1.400 Nm bei 1.200/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Kupplung: keine.<br />
Getriebe: Sechsgang-Automatgetriebe ZF Ecolife 6 AP 1400 B mit<br />
Drehmomentwandler.<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude–Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Bad Liebenzell–Unterhaugstett<br />
Bergstrecke<br />
Unterhaugstett–Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Solitude–Stuttgart-Schlossplatz<br />
Überland/Stadt, leicht<br />
Stuttgart/Schlossplatz–Solitude<br />
Stadt/Überland, schwer/Überland<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
CO 2<br />
/ g pro Personen-km*<br />
Verbrauch Adblue l<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
11,8<br />
28,7<br />
56,5<br />
35,5<br />
30,1<br />
50,1<br />
3,4<br />
91,2<br />
45,3<br />
25,6<br />
28,0<br />
48,0<br />
23,0<br />
32,3<br />
40,2<br />
13,2<br />
40,4<br />
38,6<br />
112,5<br />
33,0<br />
17/34,7<br />
ca. 1,3<br />
46,3<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 7,80*/3,36 bis 6. Gang 0,62<br />
Gesamte Strecke<br />
R.-Gang 9,84*<br />
Achsübersetzung i = 5,222 (alternativ 5,875 und 4,778<br />
abhängig vom Getriebe)<br />
* inkl. max. Wandlungsverhältnis im Moment des Anfahrens,<br />
abhängig vom Wandlertyp<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL-75/E mit Doppeldreieckslenkern,<br />
zwei Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, max.<br />
Radeinschlag innen/außen 58/46 Grad. Hinten einfach übersetzte<br />
Antriebsachse Mercedes RO 44, vier Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer,<br />
80/100 km/h, dB(A)<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis<br />
vorn<br />
64,5/68<br />
Mitte<br />
65,5/68,5<br />
Euro<br />
hinten<br />
64,5/69<br />
190.000<br />
zwei Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, Stabilisator.<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 50.563<br />
Reifengröße 295/80 R 22,5.<br />
Feste Kosten pro km Cent 84,27<br />
BREMSANLAGE/SICHERHEIT<br />
Variable Kosten pro km Cent 64,58<br />
Elektronisch geregelte, pneumatische Zweikreis-Bremsanlage (EBS,<br />
Gesamtkosten pro km Cent 148,85<br />
Serie), innenbelüftete Scheibenbremsen rundum. ABS, ASR,<br />
* volle/halbe Auslastung inkl. Fahrer bei 51+1 Sitzen, Wetterbedingungen: teilweise Regen und meist windstill, ca.<br />
Bremsassistent (alle Serie). ESP optional. Wartungsfreier Voith-Sekundär-Wasserretarder<br />
10° C, Klimaanlage 22° C, Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko 100 Prozent,<br />
SWR mit max. 3500 Nm Bremsmoment, der jährliche Laufleistung 60.000 km, Nutzungsdauer 72 Monate<br />
Fußbremse vorgeschaltet oder Betätigung über Lenkstockhebel,<br />
Brandmeldeanlage im Motorraum. Optional: Spurassistent (SPA, ab<br />
07/15), AEBS (ab 07/15), TPMS (Reifendruckkontrolle, SA).<br />
LENKUNG<br />
D<br />
Hydraulische Lenkung ZF Servocom 8098 mit variabler Übersetzung<br />
(22,2–26,2), Lenksäule in Höhe und Neigung pneumatisch<br />
A<br />
verstellbar.<br />
ELEKTRIK/MULTIMEDIA<br />
Spannung 24 Volt, zwei Drehstromgeneratoren à 140 A (mit<br />
F<br />
Klimaanlage), zwei Batterien 12 V/200 Ah. Audio-Anlage Bosch<br />
E<br />
Classic Line 3 mit CD-Abspielgerät, USB-Anschluss, Telematikschnittstelle<br />
C<br />
B<br />
C<br />
E<br />
FMS 3.0 (SA) und Onboard-Diagnose<br />
A<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Aufdach-Klimaanlage (Extra), Kälteleistung 32 kW, Heizleistung 38 ABMESSUNGEN<br />
WERTUNG<br />
kW, Lufteintritt in den Fahrgastraum mit schlitzförmigen Ausströmern A Länge/Breite<br />
12.200/2.550 mm<br />
Günstiger Verbrauch; wettbewerbsfähiger<br />
oben zum Mittelgang sowie zu Seitenfenstern, verstellbare<br />
Höhe<br />
3.355 mm<br />
Einstiegspreis; gute Sicherheitsausstattung;<br />
Düsenbelüftung inklusive Fahrerplatzklimatisierung, Heizleistung 18 B Radstand<br />
6.080 mm<br />
sehr hohe Türmaße; intuitive Bedienung.<br />
kW, Kälteleistung 8 kW. Warmwasserheizung für Fahrgastraum,<br />
C Überhang vorn/hinten 2.820/3.300 mm<br />
Heizleistung 12 kW, vier Heizgebläselüfter (je 3,5 kW). Standheizung<br />
Eingeschränkte Ausstattungsflexibilität; kein<br />
D Stehhöhe<br />
2.170 mm<br />
Spheros, Leistung 30 kW. Zwei elektrisch (SA) betätigte Dachluken.<br />
Begleitersitz oder Konvektorenheizung<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten 350/365 mm<br />
erhältlich; einfaches Design mit kleinen<br />
MASSE UND GEWICHTE<br />
F Fußbodenhöhe 860/877 mm (Fahrer/Mittelgang)<br />
Verarbeitungsmängeln; Lenkung in der<br />
Wendekreis<br />
21.070 mm<br />
Mittellage etwas indifferent; kein ECE R66.02<br />
Leergewicht/Testgewicht ca. 11.820/15.300 kg<br />
Zul./techn. Gesamtgewicht 18.000/19.100 kg<br />
Gepäckraum (Tür 2 schmal/breit) 5,2/4,9 m³<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
PREIS<br />
Volumen Kraftstofftank 155+185 l (beidseitig betankbar) Sitzplätze (drei Sterne) 51 + 1<br />
Testwagen (netto)<br />
ca. 190.000 Euro<br />
Volumen Adblue-Tank 35/40 l<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
1<br />
1 Die steile Frontscheibe und Metallrohr-<br />
Spiegel zeichnen die Multi-Class aus und<br />
machen Sie zu einem alten Bekannten.<br />
2 Trotz nach unten versetzem Boden bleiben<br />
bis zu 5,2 Kubikmeter Volumen im Unterdeck.<br />
3 Der kleine 7,7-Liter-Motor der neuen<br />
Generation spart an Gewicht und Verbrauch.<br />
4 Praktisches Glasfenster in der vorderen Tür,<br />
Xenon-Schweinwerfer gibt es leider nicht.<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Die Tür zwei gibt es in Breiten von 900 oder<br />
1.380 Millimetern, Letztere ist Voraussetzung für<br />
einen Rollstuhllift. Natürlich wird dann auch ein<br />
Stellplatz gegenüber der Tür fällig, der von vier<br />
einfachen Klappsitzen flankiert wird. Diese Variante<br />
beschneidet den mit 5,2 Kubikmetern ansehnlichen<br />
und sehr aufgeräumten Kofferraum<br />
allerdings auf 4,9 Kubikmeter.<br />
Der Innenraum selbst ist eher funktional als<br />
wohnlich zu nennen, das können auch die serienmäßigen<br />
Sitze des Typs „Transit“ nicht grundlegend<br />
ändern. Gegen Aufpreis sind durchsichtige<br />
Kunststoffablagen zu haben, im schnelllebigen<br />
Überlandverkehr oft von Vorteil. Weder für Geld<br />
noch gute Worte gibt es jedoch eine Konvektorenheizung,<br />
und das liegt an der etwas eigenartigen<br />
Podestlandschaft des Fahrzeugs, die der<br />
Setra mit dem Mercedes Intouro teilt. Durch<br />
die Absenkung des Bodens gegenüber dem<br />
H-Wagen um rund 16 Zentimeter auf eine Höhe<br />
von 877 Millimetern entfällt zwar eine Stufe<br />
zum Mittelgang und die Stehhöhe vergrößert<br />
sich dementsprechend, aber über der<br />
Vorderachse erhebt sich ein unschönes Podest<br />
in gleicher Höhe über zwei bis drei Sitzreihen,<br />
wo es etwas stört. Statt der durchgehenden<br />
Konvektoren müssen aufgrund dieser<br />
bodennahen Topografie vier Gebläseheizer<br />
mit jeweils 3,5 kW Leistung für Wärme sorgen.<br />
Sollte man vielleicht die besten Plätze im Bus<br />
gesondert kennzeichnen?<br />
Nicht der schlechteste Platz ist der des Fahrers<br />
vorne links. Und das auch wegen der robusten<br />
Fahreigenschaften. Das Fahrwerk der 400er-Baureihe<br />
ist betont sicher und ausreichend straff ausgelegt.<br />
Der Testwagen irritierte lediglich mit einer<br />
um die Mittellage etwas wabbelig agierenden<br />
Lenkung, was aber durchaus nicht Setra-typisch<br />
ist. Im Heck arbeitet der kleine 7,7-Liter Motor<br />
OM 936 mit sauberen Euro-6-Manieren. Zugleich<br />
spart das Aggregat einige hundert Kilo an Gewicht.<br />
Den nicht ganz ausgeladenen Testwagen<br />
beschleunigte die stärkere der beiden angebotenen<br />
Leistungsstufen (260 kW/354 PS statt 220<br />
kW/299 PS) mit 1.400 Newtonmeter Drehmoment<br />
durchaus zügig. Vor allem in Verbindung<br />
mit dem Sechsgang-Automatikgetriebe von ZF<br />
liefert sie eine gute Vorstellung ab. Der Kunde<br />
sollte jedoch einiges an Hirnschmalz in die Auswahl<br />
der richtigen Hinterachse investieren, ge-<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
1 Die Sicht ist hervorragend im funktionalen<br />
und geräumigen Setra-Cockpit.<br />
2 So mancher Schraubenkopf bleibt sichtbar,<br />
Plastik wird heute großflächig verbaut.<br />
3 Die breite Tür mit Lift macht einen Klappmechanismus<br />
für die letzte Sitzreihe nötig.<br />
4 Auf Wunsch werden transparente Gepäckablagen<br />
und höherwertige Sitze geliefert.<br />
5 Mancher wird Probleme haben, die<br />
Ablagen in 1,96 Meter Höhe zu erreichen.<br />
3<br />
4<br />
5<br />
1<br />
2<br />
rade wenn es dann doch die preiswerteste Ausführung<br />
in Form des Schaltgetriebes sein soll. Im<br />
ebenfalls schon getesteten Mercedes Intouro hatten<br />
wir unsere liebe Not, mit der Sechsgang-Box<br />
zwischen dem vierten und dem fünften Gang den<br />
rechten Anschluss ans Drehzahlniveau zu finden.<br />
Auch beim extrem sanft und schnell schaltenden<br />
Eco-Life-Getriebe klafft bei Tempo 80 noch<br />
eine Drehzahllücke von über 500 Touren zwischen<br />
Gang 4 und 5. Es gibt aber sowohl eine<br />
längere als auch eine kürzere Achse im Angebot,<br />
sodass der Unternehmer den Antriebsstrang genau<br />
auf seine Bedürfnisse auslegen kann. Optional<br />
ist auch das an dieser Stelle schon hoch<br />
gelobte, automatisierte Powershift GO 250-8 im<br />
Angebot, was wahrlich mehr Sinn ergibt, will<br />
man den Wagen oft auf der Autobahn bewegen.<br />
Für unseren Geschmack ist die ZF-Box indes<br />
die perfekte Paarung für den gemischten Überlandeinsatz.<br />
Der Verbrauch von 33 Litern im reinen<br />
Überlandeinsatz ohne Autobahnanteil geht in<br />
Ordnung. Die Volllastverbräuche an der berüchtigten<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong>-Bergstrecke im Schwarzwald<br />
liegen dabei sogar deutlich unter 100 Liter.<br />
Das Geräuschniveau des Motors bewegt sich<br />
dabei konzeptbedingt nicht auf Reisebusniveau,<br />
es wird aber nie unangenehm. Die Sicherheit der<br />
Baureihe ist auf einem hohen Niveau – freilich<br />
im Rahmen der Vorgaben. Mangels Neukonstruktion<br />
des Aufbaus muss man zum Beispiel<br />
auf die 2<strong>01</strong>7 Pflicht werdende Zertifizierung nach<br />
der neuen Überschlagrichtlinie verzichten und ab<br />
Juli diesen Jahres wird nicht etwa ABA 3 verbaut,<br />
sondern aufgrund der alten Elektronikstruktur<br />
nur das Notbremssystem AEBS, das auch der Tourismo<br />
bekommt und das nicht auf stehende Ziele<br />
bremsen kann. Ebenso wird der Spur assistent<br />
(SPA) zu diesem Zeitpunkt lieferbar sein, beides<br />
nur bei Klasse-2- beziehungsweise -2- und<br />
-3-Zulassung. Alle anderen wesentlichen Systeme<br />
wie ESP (optional), Bremsassistent, Reifendruckkontrolle<br />
und DBL sind bereits an Bord, das<br />
Fahrzeug kann sich also durchaus eines hohen<br />
Sicherheitsniveaus rühmen. Denn wenn es etwas<br />
gibt, woran auch die Premiummarke Setra auf gar<br />
keinen Fall spart, dann ist es die Sicherheit! ◼<br />
Nur in der<br />
Heckansicht ist der<br />
UL als Euro-6-Wagen<br />
erkennbar aufgrund<br />
der Lüftungsgitter.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5
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[ 66 ] FAHRZEUGE | BRT-System Urevo<br />
REVOLUTION IM ÖPNV<br />
Vorstellung: Der Urevo soll den ÖPNV revolutionieren. Per GPS-gesteuertem Energiemanagement<br />
und zusätzlicher Traktionsbatterie fährt der Doppelgelenk-Hybridbus in der Innenstadt im<br />
Zero-Emission-Betrieb. Hess und Vossloh Kiepe haben das Fahrzeug gemeinsam realisiert.<br />
TEXT & FOTOS: RÜDIGER SCHREIBER<br />
Europaweit ist ein Trend hin zu einem rein<br />
elektrisch betriebenen ÖPNV in Ballungszentren<br />
zu beobachten. Nach Hamburg und<br />
Göteborg macht jetzt Luxemburg auf sich aufmerksam.<br />
Mit drei Doppelgelenk-Hybridbussen<br />
von Hess samt zusätzlicher Traktionsbatterie<br />
startet der Familienbetrieb Voyages Emile Weber<br />
in eine wortwörtlich hochspannende Zukunft.<br />
Urevo ist das Akronym für Urban Revolution.<br />
Dieser Markenname ist ganz bewusst für<br />
den Bus beziehungsweise die ÖPNV-Dienstleistung<br />
gewählt worden. „Schon jetzt fahren wir im<br />
Stadtzentrum von Luxemburg eine Strecke von<br />
über vier Kilometern rein elektrisch“, erklärt Romain<br />
Kribs, Assistent der Geschäftsleitung von<br />
Vo yages Emile Weber. Und diese Leistung wolle<br />
man nicht nur mit einer eigenständigen Gestaltung<br />
der Fahrzeuge, sondern auch mit einem<br />
neuen Namen für das besondere Angebot zeigen.<br />
Langfristig wollen die Luxemburger aber<br />
noch mehr: „Mit Urevo setzen wir Maßstäbe für<br />
die nächste Generation“, sagt Kribs. Und die soll<br />
rein elektrisch fahren.<br />
Das klingt visionär und damit erklärt sich<br />
auch der Name für das Fahrzeug. Es geht um<br />
eine neue Qualität für das menschliche Zusammenleben.<br />
Hierfür hat der Philosoph Henri<br />
Lefebvre mit dem Werk „La révolution urbaine“<br />
die Grundlagen gelegt. Die Stadt wird bei<br />
ihm als komplexes Phänomen dargestellt und<br />
als Ausdruck menschlicher Kreativität.<br />
Kreativ waren die Ingenieure aus der Schweiz, die<br />
zusammen mit denen von Vossloh Kiepe aus<br />
Deutschland den Urevo auf die Räder stellten,<br />
wirklich. Vorgabe war ein emissionsfreier Fahrbetrieb<br />
im Zentrum der Stadt. Dieser Anspruch<br />
ist eng mit der Firmenphilosophie von Voyages<br />
Emile Weber verknüpft.<br />
Die Luxemburger wollen die bisherige Investitionspolitik<br />
in Fahrzeuge, die kontinuierlich<br />
umweltfreundlicher werden und somit deutlich<br />
zur Reduzierung der Schadstoffbelastungen und<br />
des Verbrauchs von Kraftstoff beitragen, weiter<br />
fortsetzen. Die guten Erfahrungen mit den Doppelgelenkbussen<br />
des Schweizer Herstellers Hess,<br />
von denen zwei Fahrzeuge vor fünf Jahren zum<br />
Fuhrpark hinzugefügt wurden, hat die Verantwortlichen<br />
bei Voyages Emile Weber darin bestärkt,<br />
wieder dort einzukaufen.<br />
Doch diesmal sollten die Doppelgelenkbusse<br />
auch rein elektrisch fahren können. Hess und<br />
Vossloh Kiepe sind seit Jahren Partner und haben<br />
viele Projekte realisiert. Die Anfrage aus<br />
Luxemburg wurde von den Schweizern nach<br />
Düsseldorf weitergeleitet. Zusammen war man<br />
sich schnell einig, etwas Revolutionäres in dieser<br />
Gefäßgröße auf die Straße bringen zu können.<br />
Die neuen Doppelgelenkbusse können abgasfrei<br />
und geräuscharm eine vier Kilometer lange<br />
Strecke im Zentrum von Luxemburg bewältigen.<br />
Die Etappe zwischen der Route de Thionville<br />
und der Brücke Grande-Duchesse Charlotte<br />
führt als Linie 16 direkt am Ministerium für<br />
nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen<br />
vorbei. „So können sich die Politiker tagtäglich<br />
davon überzeugen, dass ihre Unterstützung in<br />
die Plug-in-Doppelgelenk-Hybridbusse richtig<br />
war“, erläutert Romain Kribs.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | BRT-System Urevo [ 67 ]<br />
Freude kommt auch bei den Fahrern auf, die<br />
der Betreiber für den Einsatz auf den neuen Doppelgelenkbussen<br />
ausgewählt hat: Sie bekamen<br />
eine Schulung, um das elektrische Fahren zu lernen.<br />
Alles andere sei Standard. Die Wendigkeit<br />
beispielsweise entspräche der eines 18 Meter langen<br />
Fahrzeugs, versichert Kribs.<br />
Der Fahrerplatz ist VDV-kompatibel, gelenkt<br />
wird das 24,5 Meter lange Fahrzeug mit der ersten<br />
und vierten Achse. Voller Stolz bewegen alle<br />
Fahrer den maximal 39 Tonnen schweren Doppelgelenkbus<br />
mit bis zu 190 Fahrgästen an Bord<br />
– 60 sitzend und 130 stehend.<br />
Um rein elektrisch fahren zu können, wurde im<br />
Heck ein 220 kW starker Euro-6-Dieselmotor mit<br />
permanenterregtem Synchrongenerator verbaut.<br />
Und zusätzlich an der zweiten und dritten Achse<br />
je ein 160-kW-Asynchronmotor, der die erzeugte<br />
elektrische Energie auf die Straße bringt. Als<br />
Energiespeicher kommen Lithium-Eisenphosphat-Batterien<br />
mit insgesamt über 15 kWh nutzbarer<br />
Leistung zum Einsatz. Sie sind auf dem<br />
Dach des mittleren Wagenteils verbaut.<br />
Vossloh Kiepe ist für die komplette elektrische<br />
Ausrüstung des Antriebs, die Bordnetzversorgung<br />
und die Energiespeicher des im<br />
Aluminium-System CO-Bolt aufgebauten Doppelgelenkbusses<br />
verantwortlich. Die Diesel-<br />
Generator-Kombination lädt die Traktionsbatterien<br />
während des Betriebs auf. „Und durch<br />
die Speicherung der beim Bremsen rückgewonnenen<br />
Energie“, fügt Kribs hinzu.<br />
Das Ladekonzept sieht in der Spitze Bremsleistungsrückgewinnung<br />
von 300 kW, Nachladung<br />
durch die Diesel-Generator-Kombination<br />
bis zu 200 kW, sowie bis zu 20 kW über das<br />
nächtliche Laden vor. Die Batterien werden auf<br />
dem Betriebshof mittels eines Plug-in-Ladesteckers<br />
aufgeladen.<br />
Mit diesem Energiepaket für den Antrieb kann der<br />
Doppelgelenkbus 80 km/h im Batteriebetrieb<br />
und im dieselelektrischen Betrieb erreichen. „In<br />
der Praxis sieht es aber anders aus, die Höchstgeschwindigkeit<br />
wird verkehrsbedingt selten<br />
erreicht“, erklärt Kribs. Dennoch ist der Doppelgelenkbus<br />
verhältnismäßig flott unterwegs,<br />
wie auf einer regulären Fahrt im Linienbetrieb<br />
vom Flughafen in Luxemburg ins Stadtzentrum<br />
deutlich wird.<br />
Vor allem den Weg zurück, der an einigen<br />
Stellen spürbar bergauf führt, meistert der Urevo<br />
mindestens tendenziell schneller wie ein konventionell<br />
angetriebenes Fahrzeug. Hier macht<br />
sich der serielle dieselelektrische Antrieb über<br />
zwei Traktionsmotoren bemerkbar, zwei angetriebene<br />
Achsen sorgen im besten Wortsinne<br />
für mehr Bewegung. So ein Antrieb mehrerer<br />
Räder hat auch noch weitere Vorteile, wie der<br />
1<br />
2<br />
1 Länge läuft: Neben 60 Sitzplätzen gibt es<br />
noch 20 Quadratmeter Stehfläche, bis zu<br />
190 Fahrgäste können zusteigen.<br />
2 Zusätzlich zu Informationen zum Streckenverlauf<br />
und der nächsten Haltestelle gibt es<br />
Nachrichtenmeldungen.<br />
3 Der Faltenbalg ist transluzent, der Fußboden<br />
verzichtet bis auf den Bereich der Radkästen<br />
auf Podeste.<br />
Vossloh Kiepe regelt das Zusammenspiel von Energiespeicher, Traktionsmotor und Generator.<br />
3<br />
GRAFIK: VOSSLOH-KIEPE<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
[ 68 ] FAHRZEUGE | BRT-System Urevo<br />
1<br />
2<br />
1 Der Fahrerplatz ist VDV-kompatibel,<br />
das Umstellen auf elektrisches Fahren<br />
erfolgt automatisch.<br />
2 Monitor für den Ladezustand der<br />
Batterien und das automatisierte<br />
Energiemanagement.<br />
Luxemburger erklärt: „Der Vierradantrieb verleiht<br />
eine zusätzliche Fahrstabilität und senkt die<br />
Wartungskosten im laufenden Betrieb.“<br />
Keine Frage, die Belastung der Antriebsachsen<br />
und Kardanwellen sowie der Reifenverschleiß<br />
werden reduziert. Neu ist auch die Integration<br />
eines achsselektiven elektronischen<br />
Bremssystems, was nach Aussagen aller Beteiligten<br />
nicht nur für bestes Beschleunigungs-, sondern<br />
gerade auch Bremsverhalten sorgen würde.<br />
Die Ingenieure sind mit den Werten, die der Computer<br />
aufzeichnet, mehr als zufrieden. „Mithilfe<br />
des ortsabhängigen Energiemanagements wird<br />
das Zusammenspiel von Energiespeicher, Traktionsmotor<br />
und Generator intelligent geregelt“,<br />
erklärt Kribs. Dank GPS-Ortung könnte Urevo<br />
so bestimmte vorgegebene Zonen gezielt emissionsfrei<br />
und geräuscharm durchfahren werden.<br />
Von einem autonomen Fahren des Busses sei<br />
dieses System aber noch weit entfernt, das ist<br />
dann irgendwann einmal eine weitere Revolution<br />
im ÖPNV.<br />
◼<br />
„Urevo funktioniert überraschend gut“<br />
?: Wieso beschafft ein Familienunternehmen drei innovative<br />
Doppelgelenk-Hybridbusse für den ÖPNV Luxemburgs?<br />
Kribs: Das ist ganz einfach erklärt, denn es entspricht der<br />
Tradition des Unternehmens, verantwortungsbewusst und<br />
nachhaltig zu handeln und dazu in Innovationen zu investieren.<br />
?: Wie steht es in Luxemburg um die finanzielle Unterstützung<br />
für ein privates Unternehmen, das sich derart engagiert?<br />
Kribs: Wir haben das Urevo-Projekt beim Ministerium für<br />
nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen vorgestellt<br />
und daraufhin einen angemessen Teil der Mehrkosten für<br />
die innovative Technik als Zuschuss bekommen.<br />
?: Wie sieht die Bilanz nach den ersten Monaten aus?<br />
Kribs: Alle Beteiligten sind überrascht, wie gut der Urevo<br />
gestartet ist. Das Fahrzeug ist ein Nischenprodukt und entstammt<br />
der Kleinserie. Im Vergleich zu den ersten Hybriden<br />
von Hess hat die Technik deutliche Fortschritte gemacht.<br />
Romain Kribs,<br />
Voyages Emile Weber<br />
Viele neue Komponenten für das elektrische Fahren müssen gleichzeitig nebeneinander und<br />
miteinander funktionieren. Das Abstimmen der Prozesse war die eigentliche Herausforderung,<br />
die wir aber gut gemeistert haben.<br />
Neben dem individualisierten Design<br />
hat der Urevo auch einen eigenen<br />
optischen Auftritt bekommen.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
Tankkarten versprechen 1000<br />
verschiedene Dinge. Wir versprechen<br />
nur eins: Europa. 7 Tage in<br />
der Woche. 24 Stunden am Tag.<br />
An über 52.000 Akzeptanzstellen.<br />
UTA. Non Stop.<br />
Wenn wir Europa sagen, meinen wir das auch. Deshalb können<br />
Sie sich in 40 europäischen Ländern auf ein dichtes Netz<br />
von über 52.000 Akzeptanzstellen verlassen. Egal, wo Sie<br />
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Sonn- und Feiertagen. Mehr dazu unter unserer gebührenfreien<br />
Servicenummer 0800 8822273 oder www.uta.com
[ 70 ] FAHRZEUGE | VDL Mid-Euro<br />
KÖNIGLICHER<br />
LANGLÄUFER<br />
Fahrbericht: Der Minireisebus VDL Mid-Euro auf Sprinter-Basis punktet mit<br />
hoher Variabilität und einer guten Verarbeitung.<br />
TEXT & FOTOS: THORSTEN WAGNER<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5<br />
FAHRZEUGE | VDL Mid-Euro [ 71 ]
[ 72 ] FAHRZEUGE | VDL Mid-Euro<br />
1 Eine hohe Panoramascheibe für eine bessere<br />
Sicht nach vorne gibt es nicht.<br />
2 Erstmals verfügt der Euro-6-Motor über<br />
einen Assyst-Wartungsrechner.<br />
3 Die Rückfahrkamera ist hoch über den<br />
Hecktüren angebracht.<br />
4 Das Sprinter-Cockpit bietet beste<br />
Funktionalität und Bedienbarkeit.<br />
Leicht ist es nicht, gegen die Übermacht aus<br />
Dortmund anzukämpfen. Von dort aus<br />
schickt die Minibussparte von Daimler<br />
Buses seit nunmehr über zehn Jahren rund<br />
1.200 komplett aufgebaute Minibusse pro Jahr in<br />
alle Welt. Damit ist Daimler in diesem Segment<br />
unangefochtener Marktführer. Mit vier Baureihen<br />
und 24 Modellen bedienen die Dortmunder<br />
fast jeden Kundenwunsch. Hinzu kommt eine erkleckliche<br />
Zahl von Fahrgestellen. In dem 2<strong>01</strong>4<br />
auf etwa 8.300 Einheiten (inklusive Fahrgestelle)<br />
geschrumpften europäischen Markt unter neun<br />
Tonnen reklamiert die Marke mehr als 40 Prozent<br />
Anteil für sich. Beachtlich dabei: In Großbritannien<br />
boomt das mit mehr als 3.000 Einheiten<br />
ohnehin vergleichsweise riesige Segment derzeit.<br />
Frankreich und Deutschland mit einem Volumen<br />
von jeweils etwa 1.000 Minibussen müssen<br />
dagegen gerade Federn lassen. Wachstum<br />
kann ansonsten nur die Iberische Halbinsel<br />
verzeichnen sowie Teile Skandinaviens. Wie<br />
viele Minibusse auf Vans aufgebaut und auch<br />
so zugelassen werden, steht auf einem ganz<br />
anderen Blatt. Von diesem großen Kuchen<br />
schneiden sich die niederländischen Busbauer<br />
von VDL ein schließlich der Kleinbusschmiede<br />
Kusters, die seit einigen Jahren wie alle<br />
85 Konzern firmen nur noch unter den drei<br />
großen Buchstaben firmiert, pro Jahr einen<br />
respektablen Anteil von rund 40 Bussen für<br />
Deutschland ab.<br />
Rund zwei Drittel davon sind Stadtbus- oder<br />
Bürgerbusausführungen. Zu den Kunden für die<br />
Reiseausführung Mid-Euro gehört auch das niederländische<br />
Königshaus, was VDL gerne herausstellt.<br />
Im Segment der Minibusse vertraut<br />
VDL Mid-Euro Sprinter 519<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter V6-Zylinder-Dieselmotor (Mercedes-<br />
Benz OM 642 DE 30 LA) mit Turboaufladung, variabler<br />
Turbinengeometrie (VTG) und Ladeluftkühlung,<br />
elektronisch gesteuerte Direkteinspritzung mit<br />
Common-Rail-System; Euro 6 per SCR, AGR und DPF<br />
Hubraum<br />
2.987 cm³<br />
Leistung<br />
140 kW (190 PS) bei 3.800/min<br />
Drehmoment 440 Nm bei 1.400–2.400/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Sieben-Gang-Automatikgetriebe Mercedes-Benz<br />
W7T700 (SA) mit Wandler-Überbrückungskupplung,<br />
Joystick-Wählhebel, einfach untersetzte Hinterachse.<br />
Übersetzung i = 4,364 (optional 3,923 und 4,182)<br />
FAHRWERK<br />
2<br />
3<br />
1<br />
Vorne Einzelradaufhängung mit Dämpferbein-Vorderachse;<br />
GFK-Querblattfeder, zwei Stoßdämpfer<br />
(verstärkt), Stabilisator (verstärkt); zulässige Achslast 2 t.<br />
Hinten starre Antriebsachse, zwei Luftfederbälge, zwei<br />
Stoßdämpfer (verstärkt); Parabelfedern; zulässige<br />
Achslast 3,5 t. Luftfederung an der Hinterachse (Serie),<br />
Reifengröße 205/75 R16C auf Felgen 5,5 J 16<br />
BREMSEN/LENKUNG/SICHERHEIT<br />
Hydraulische Zweikreis-Bremsanlage mit innenbelüfteten<br />
Scheibenbremsen rundum, Duo-Feststellbremse<br />
hinten; Zusatzbremse Telma-Retarder AE 30-35; ABS,<br />
ASR, ESP, BA, EBV, Bi-Xenon (SA), Abbiege-/Tagfahrlicht<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
4<br />
Länge/Breite/Höhe 8.061/1.993/2.690 mm<br />
Radstand<br />
5.025 mm (SA)<br />
Wendekreis<br />
17.450 mm<br />
Überhang vorn/hinten 1.004/2.<strong>01</strong>5 mm<br />
Kofferraumvolumen 2,9 m³<br />
Innenstehhöhe<br />
1.940 mm<br />
Tankvolumen Diesel 75/100 (SA) l<br />
Zul. Gesamtgewicht 5.300 kg<br />
SITZ-/STEHPLÄTZE<br />
Fahrgastplätze Testwagen 18+1+1<br />
PREIS<br />
Grund-/Testwagenpreis<br />
56.000/129.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
VDL wie auch viele andere Hersteller vorwiegend<br />
auf Mercedes-Sprinter-Fahrgestelle als<br />
Plattform. Aktuell handelt es sich dabei um die<br />
neue, 2<strong>01</strong>4 facegeliftete Version des Sprinter, wobei<br />
die Niederländer vor allem für England zeitweise<br />
auch den VW Crafter verwendet haben.<br />
Die Verwendung dieser weit verbreiteten<br />
Chassis bietet VDL mehrere Vorteile: Zum einen<br />
profitiert der Busbauer von der bekannten Qualität<br />
der technischen Basis und der Motoren, zum<br />
anderen von gut ausgebauten Servicenetzen. Hinzu<br />
kommt ein breites Angebot an Assistenz- und<br />
Sicherheitssystemen, das die großen Transporterhersteller<br />
anbieten. Den Wermutstropfen, dass<br />
bei der Tragfähigkeit des Sprinter bei maximal<br />
5,3 Tonnen Schluss ist, nimmt VDL wie so viele<br />
andere Aufbauer zwangsweise hin.<br />
In Venlo spendiert man dafür dem Fahrwerk<br />
neben diversen Verstärkungen auf Wunsch<br />
eine Verlängerung von 70 Zentimetern, die nicht<br />
nur dem Fahrverhalten, sondern auch der Statur<br />
des niederländischen Kleinbusses sehr zugutekommt.<br />
Auch in dieser Klasse gilt „Länge läuft“,<br />
zumal es den sinnvollen Seitenwindassistenten<br />
wie auch einige andere hilfreiche Assistenten für<br />
den VDL noch nicht gibt, da er nicht auf dem<br />
herkömmlichen Sprinter-Kastenwagen basiert.<br />
Zudem schafft dieser Kniff den benötigten<br />
Platz für eine weitere Sitzreihe. Der Wagen<br />
kann also bis zu 22 Fahrgäste befördern,<br />
das bietet sonst kaum ein Wettbewerber,<br />
auch bei den Dortmundern ist spätestens bei<br />
19 Sitzen Schluss. Freilich ist die Zuladung des<br />
rund vier Tonnen schweren Testwagens dann eher<br />
bescheiden. Bei voller Besetzung muss das<br />
große Reisegepäck zu Hause bleiben.<br />
Im moderat ausgreifenden hinteren Überhang<br />
von etwas mehr als zwei Metern steckt ein recht<br />
großer Kofferraum, der durch die serienmäßigen<br />
Flügeltüren gut erreichbar ist. Optional ist auch<br />
ein einteiliges Busheck mit Hubklappe verfügbar.<br />
Das Volumen ist mit rund drei Kubikmetern<br />
so üppig bemessen, dass sogar auf Höhe der Augen<br />
ein zweiter Boden eingezogen werden kann<br />
– eine einfache, aber sehr gute Idee zur Raumnutzung.<br />
Eine weitere Besonderheit des Busses<br />
ist die hohe Variabilität der vorderen Tür. Hier<br />
haben die VDL-Ingenieure viel Hirnschmalz investiert.<br />
Insgesamt vier Varianten stehen zur Verfügung.<br />
Neben der im Testfahrzeug verbauten<br />
großen Elektrotür in der B-Säule stehen noch die<br />
einfache Schlagtür sowie ein- und zweiflügelige<br />
Elektrotüren hinter oder in der B-Säule zur Verfügung.<br />
Da sollte jeder Kunde doch das Passende<br />
für seinen Einsatz finden.<br />
Das Cockpit bietet nicht viele Überraschungen,<br />
es ist Sprinter durch und durch. Eine Panoramascheibe<br />
wie beim Mercedes Travel 65 gibt es<br />
leider nicht, einen klappbaren Reiseleitersitz Typ<br />
STADT-VARIATION<br />
Vorstellung: Rund 60 Prozent der Kleinbusse von VDL gehen in den<br />
Stadtverkehr. Auch hier ist die Varianz sehr groß.<br />
TEXT & FOTOS: THORSTEN WAGNER<br />
Noch flexibler zeigt sich das Angebot der<br />
Stadtbus-Baureihe Mid-City, die nicht nur<br />
neun grundlegende Baumuster, sondern<br />
auch drei Bürgerbus-Modelle des Typs Mid-<br />
Basic umfasst, sozusagen das Pendant des Mercedes<br />
Sprinter Transfer. Diese Modelle basieren<br />
immer auf den beiden kurzen Radständen mit<br />
3,66 oder 4,32 Metern. Sie bieten bis zu 6,96<br />
Meter Gesamtlänge und bis zu acht Sitzplätze.<br />
Dank des Gesamtgewichts von 3,5 Tonnen sind<br />
diese Fahrzeuge auch mit der B-Fahrerlaubnis<br />
zu bewegen und so ideal für kommunalen<br />
Bürgerbus- und Behindertenverkehr geeignet.<br />
Bis zu 8,4 Meter lang sind die „ausgewachsenen“<br />
Mid-City-Typen. Auch sie profitieren<br />
von der VDL-typischen Radstandsverlängerung<br />
und dem Niederflurprinzip (Smartfloor).<br />
Die Kapazität reicht über die Baureihe von 8 bis<br />
27 Personen und im Normalfall bis zu elf Sitzplätzen.<br />
Die mögliche Komplettbestuhlung mit<br />
1<br />
19 Sitzen und einem Rollstuhlplatz ist für den<br />
Stadtverkehr nur bedingt geeignet.<br />
Das maximale Gesamtgewicht erreicht<br />
durch die aufgelastete Portalhinterachse mit<br />
Hilfsluftfederung von Mercedes hierbei bis<br />
zu 5,5 Tonnen – eine Alternative zum Raumriesen<br />
Mercedes City 77 für 40 Personen bieten<br />
die Venloer derzeit nicht an. Mit der neuen<br />
ZF AV 110-Hinterachse könnte sich dies aber<br />
künftig ändern.<br />
Auch für die Stadtvariante sind drei Türen<br />
zu bekommen, darunter eine doppelflügelige,<br />
elektrisch bedienbare Version. Ebenso ist eine<br />
elektrische Hecktür mit 800 Millimeter Breite<br />
für optimalen Fahrgastfluss erhältlich. Die von<br />
uns begutachtete Version mit 13 fest montierten<br />
und vier zusätzlichen Klappsitzen überzeugte<br />
durch einen aufgeräumten und gut zugänglichen<br />
Innenraum. Eine neue Klapprampe spart<br />
zudem rund 15 Kilo an Gewicht ein. Auch eine<br />
große, ins Dach integrierte Fahrtzielanzeige im<br />
vorderen Bereich ist erhältlich.<br />
◼<br />
2<br />
1 Die doppelbreite Elektrotür schafft Platz<br />
für die neue, leichtere Rollstuhlrampe.<br />
2 Komplett niederflurig ist nur der Vorderwagen<br />
bis zu den zwei Stufen nach hinten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
[ 74 ] FAHRZEUGE | VDL Mid-Euro<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Vogel Primus nur in einigen Konfigurationen.<br />
Der Innenraum des von uns gefahrenen 18-Sitzers<br />
ist hochwertig ausgestattet und bietet echtes<br />
Reisebus-Flair. Dafür sorgen große Gepäckablagen<br />
auf beiden Seiten und praktische<br />
Servicesets an deren Unterseite. Die Scheiben<br />
sind nicht ganz so groß, wie sie von außen scheinen,<br />
hier wird optisch etwas getrickst. Das ist<br />
aber durchaus legitim.<br />
Vor der vierten Sitzreihe haben die Passagiere<br />
eine kleine Stufe zu überwinden, was im Alltag<br />
aber kein Problem darstellen dürfte. Insgesamt<br />
schafft es VDL, der Innenausstattung<br />
ein hochwertiges und edles Ambiente zu verleihen.<br />
Dazu tragen die Kunstlederbezüge der<br />
Dach- und Wandteile ebenso bei wie die edlen<br />
Sitzbezüge oder der Holzimitat-Fußboden des<br />
Typs Voyager. Auch die Verarbeitung des Wagens<br />
lässt keine Wünsche offen und kommt an<br />
Mercedes-Vorlagen heran. Insgesamt eine runde<br />
Sache. Der Antrieb des Wagens ist mit dem hier<br />
verbauten, überarbeiteten Sechszylinder von<br />
Mercedes als souverän zu bezeichnen.<br />
Für kleinere Busse bieten sich durchaus auch<br />
kleinere Leistungsstufen an. Die Paarung des Euro-6-Aggregats<br />
mit Wartungsrechner und der<br />
neuen Siebengang-Automatik ist besonders für<br />
hochwertige Fahrzeuge sinnvoll und wird von<br />
rund der Hälfte der VDL-Kunden gewählt. Derzeit<br />
gebe es aber noch Lieferverzögerungen.<br />
Einen weniger guten Eindruck hinterlässt die<br />
Geräuschkulisse während der Fahrt. Der elektromagnetische<br />
Retarder von Telma, der aus<br />
Sicherheitsgründen immer ratsam ist, stört mit<br />
einem deutlichen Mahl-Geräusch beim Verzögern.<br />
Das trübt den sonst guten Fahreindruck.<br />
Das Geräusch soll aber auf einen einfachen<br />
Defekt zurückzuführen sein, heißt es bei VDL.<br />
Davon abgesehen sollte sich das Thema Energierekuperation<br />
und Effizienzsteigerung auch<br />
in diesem Segment zeitnah durchsetzen, anstatt<br />
Bremsenergie mit einem einfachen Retarder zu<br />
vernichten. Das könnte beispielsweise das stark<br />
beanspruchte Zwölf-Volt-Bordnetz entlasten.<br />
Das Fahrverhalten profitiert merklich von der<br />
optionalen Radstandsverlängerung und ist Sprinter-typisch<br />
zweigeteilt: vorne eher schwammig,<br />
hinten härter und mit klarem Feedback. Dank<br />
der Vollluftfederung der Hinterachse kommt der<br />
Komfort für die Fahrgäste nicht zu kurz, Stabilisatoren<br />
und Dämpfer sind lobenswerterweise<br />
zusätzlich verstärkt. Damit bringt der Minibus<br />
die besten Voraussetzungen für seinen wirtschaftlichen<br />
Erfolg mit.<br />
◼<br />
Die seitlichen Panoramascheiben sind nicht vollständig transparent.<br />
1 Von den vier Türoptionen sind drei elektrisch<br />
angetrieben – auch die zweiflügelige Option.<br />
2 Der Kofferraum bietet für diese Klasse überdurchschnittlich<br />
viel Platz und ist gut nutzbar.<br />
3 Die edlen Sitzbezüge und hochwertigen<br />
Materialen sind für VIP-Transport geeignet.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
Eine Marke der Daimler AG<br />
TCO im Überblick: Erfahren Sie mehr über Kostenfaktoren beim Betrieb eines Omnibusses http://overall-economy.bus.mercedes-benz.com<br />
Passt, wenn andere passen müssen.<br />
Der neue Sprinter City. Profi auf der schlanken Linie. Kleine Abmessungen,<br />
großer Fahrgastraum, maximaler Niederflurkomfort. Überall dort, wo ein Linienbus<br />
auch bei kleinen Fahrgastzahlen wirtschaftlich unterwegs sein soll, schlägt die Stunde<br />
des Sprinter City. Dank kompakter Abmessungen ist er ebenso für enge Stadt- und<br />
Überlandrouten die ideale Besetzung. Mehr unter www.mercedes-benz.de/<strong>omnibus</strong><br />
Anbieter: EvoBus GmbH, Neue Straße 95, 73230 Kirchheim unter Teck
[ 76 ] FAHRZEUGE | Neoplan Cityliner von Müller<br />
ALTERSTEILZEIT<br />
Porträt: Erfolgreiche Busunternehmen pflegen Oldtimer nicht nur aus Nostalgiegründen,<br />
sondern setzen sie gezielt ein – wie Müller in Massenbachhausen seinen aufwendig<br />
restaurierten Neoplan Cityliner, der Star der diesjährigen Oldtimer-Messe Retro Classics.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER I FOTOS:<br />
THORSTEN WAGNER, MAN, OLDTIMER KÜHN<br />
Für gewöhnlich kümmern sich<br />
Fahrgäste herzlich wenig um<br />
die Marke des Reisebusses, mit<br />
dem sie unterwegs sind. Weshalb<br />
auch? Hauptsache das Fahrzeug ist<br />
Walter Müller, Geschäftsführer Müller<br />
Reisen, Massenbachhausen:<br />
„Unsere Kunden wünschen sich ganz konkret einen Cityliner oder<br />
Starliner für ihre Fahrten. Die Oldtimer selbst werden ganz normal in<br />
den Betrieb eingebunden und mit eigenen Fahrten gezielt vermarktet.<br />
Sie sind das Aushängeschild unseres Unternehmens.“<br />
bequem und befördert seine Passagiere<br />
sicher von A nach B.<br />
Es gibt aber auch Ausnahmen:<br />
„Wir wollen mit dem neuen Doppeldecker<br />
von Müller fahren“, lautete<br />
in den 80ern bei dem Busreisenanbieter<br />
aus dem beschaulichen<br />
Massenbachhausen bei Heilbronn<br />
ein häufig geäußerter Wunsch. Anlass<br />
dieser Begehrlichkeit war aber<br />
nicht etwa ein Neoplan Sky liner<br />
oder der damals nagelneue Setra<br />
DT. Es war vielmehr ein braver<br />
Neoplan Cityliner – der erste des<br />
1928 gegründeten Unternehmens.<br />
Die Kundenreaktion war kein untypisches<br />
Phänomen damals. Der Cityliner<br />
mit seiner neuartigen Bauweise<br />
und der extremen Höhe führte<br />
nämlich ein neues Reisehochdecker-Segment<br />
ein, das bis zu diesem<br />
Zeitpunkt unbekannt war. Bis<br />
zur Ablösung durch die neue Generation<br />
im Jahr 2006 bildete der Cityliner<br />
mit seinem breiten Modellangebot<br />
und mehr als 6.000 gebauten<br />
Bussen das Rückgrat der Flotte.<br />
„Mit dem Cityliner hatten wir<br />
ab 1982 erstmals einen Neoplan<br />
im Fuhrpark. Mit dem war man damals<br />
der König der Straße, er fuhr<br />
sich wie ein Traum“, erzählt Walter<br />
Müller, einer der heutigen Geschäftsführer.<br />
Das 65 Mitarbeiter<br />
zählende Unternehmen leitet er zusammen<br />
mit seinem Bruder Albert<br />
und seiner Mutter Traude. Trotz ihrer<br />
81 Jahre ist sie noch jeden Tag<br />
in dem repräsentativen Firmengebäude<br />
anzutreffen, das die Müllers<br />
2002 neu errichteten.<br />
„Ich wollte immer schon einen<br />
Oldtimer besitzen. Vor zehn Jahren<br />
haben wir dann den Saurer LC 4,<br />
Baujahr 1958, gekauft und ihn auf<br />
den Namen unseres Vaters Wilhelm<br />
getauft“, erinnert sich Walter<br />
Müller an die Anfänge der „Oldtimer-Abteilung“.<br />
Vor fünf Jahren kam „Traude“<br />
dazu, ein Auwärter-Oldtimer, Baujahr<br />
1950, auf Mercedes O3500-<br />
Fahrgestell mit Panoramascheiben<br />
und Cabriodach. Die ersten Touren<br />
mit „Wilhelm“ und „Traude“<br />
waren zusammen mit der Lokal-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Neoplan Cityliner von Müller [ 77 ]<br />
zeitung „Heilbronner Stimme“ als<br />
Leserreisen organisiert. In sechseinhalb<br />
Jahren kamen so bereits<br />
40 Touren zusammen.<br />
„Wir haben uns ein neues<br />
Reisen-Segment erarbeitet,<br />
das wir auch mit<br />
einer zielgerichteten<br />
Vermarktung bearbeiten“,<br />
erklärt Busenthusiast<br />
Müller.<br />
„Wenn man mit<br />
dem Oldtimer<br />
zu den Besenwirtschaften<br />
kommt, da<br />
machen alle<br />
das Türle auf“,<br />
flachst er.<br />
Inzwischen verzeichnet der<br />
Müller’sche Hauskatalog acht<br />
Oldtimer-Touren. Dazu gehört<br />
beispielsweise die Reise<br />
„Mit dem Dampfzug durch den<br />
Welzheimer Wald“. Für Walter<br />
Müller sind seine Oldtimer „Visitenkarten“<br />
des Unternehmens.<br />
Grund genug für ihn, den kleinen<br />
Nostalgie-Fuhrpark um einen<br />
weiteren, recht modernen Vertreter<br />
zu vergrößern: den Neoplan<br />
Cityliner mit der Produktionsnummer<br />
9 aus dem ersten Baujahr 1971<br />
(siehe Kasten Seite 59).<br />
Bis 1990 verrichtete der Cityliner<br />
Dienst in Harsewinkel beim Busunternehmen<br />
Bröskamp, ebenfalls ein<br />
langjähriger Neoplan-Kunde.<br />
„Der Cityliner hat zwar<br />
einen völlig anderen<br />
Charakter als die beiden<br />
Haubenbusse,<br />
aber er wird sich<br />
bei uns bewähren“,<br />
behauptet<br />
Walter<br />
Müller.<br />
Dabei<br />
muss<br />
der<br />
Neuzugang<br />
wie auch seine beiden<br />
älteren Kollegen beileibe<br />
nicht nur gutgelaunte Wochenendausflügler<br />
kutschieren: „Unsere<br />
Oldtimer stehen nicht rum,<br />
die müssen jeden Tag raus, das<br />
ist doch klar“, erklärt Bruder<br />
Albert Müller, der sich im Unternehmen<br />
vorwiegend um die Technik<br />
kümmert.<br />
„Für den normalen Schulbusoder<br />
Linieneinsatz sind sie zu<br />
schade, aber für unsere Sonder-<br />
schulfahrten einfach ideal“, sagt<br />
Albert Müller. Und so ist auch der<br />
Cityliner, der inzwischen schon<br />
rund 1,65 Millionen Kilometer auf<br />
der Uhr hat, fast täglich mit einem<br />
Stammfahrer auf Tour.<br />
Bis der hochwertig mit Edelstahl<br />
beplankte Hochdecker, der<br />
wie alle älteren Müller-Busse nicht<br />
komplett rot lackiert ist, ein gesetzt<br />
werden konnte, hat es aber eine<br />
Weile gedauert. Nachdem Neoplan-Unternehmensveteran<br />
und<br />
Oldtimer-Mäzen Konrad Auwärter<br />
Neoplan Cityliner N 116<br />
den Bus vom Vorbesitzer übernommen<br />
hatte, wurde das Gerippe in<br />
einer ersten Restaurationsstufe bei<br />
Matthias Kühn in Syrau bei Plauen<br />
komplett neu aufgebaut. Dies dauerte<br />
bis 2007.<br />
Als der Wagen dann Anfang<br />
2<strong>01</strong>4 nach der Begutachtung von<br />
Müller-Disponent und Oldtimer-Spezialist<br />
Hartmut Nietzold<br />
nach Massenbachhausen geholt<br />
wurde, war schnell klar, dass es<br />
allein mit der äußeren Kosmetik<br />
nicht getan ist. Die Technik<br />
Baujahr 1971<br />
Restaurierung 2006/2<strong>01</strong>5<br />
Zahl der Achsen 2<br />
Lange/Breite/Höhe 12.000/2.500/3.550 mm (Serie)<br />
Motor<br />
Luftgekühlter Henschel-Direkteinspritzer Sechszylinder-Diesel<br />
Hubraum 11.940 cm 3<br />
Leistung<br />
177 kW/240 PS bei 2.150/min<br />
Fahrwerk<br />
Luftfederung, Neoplan-Einzelradaufhängung VN9 vorn,<br />
Starrachse mit patentiertem Dreiecksfahrschemel hinten<br />
Bremsen<br />
Zweikreis-Bremssystem pneumatisch, Trommelbremsen,<br />
Motorbremse<br />
Kofferraumvolumen ca.10 m 3<br />
Zul. Ges. Gew. 16.000 kg<br />
Sitze 52+1+1<br />
Ausstattung<br />
Unterflurtoilette, Düsenbelüftung, Heckeinstieg<br />
1 Deutlich erkennbar aus erhöhter<br />
Perspektive ist das ursprüngliche<br />
Konzept als Aussichtswagen.<br />
2 Auf das Wesentliche beschränkt<br />
ist die Cockpit-Ausstattung.<br />
3 In den 70er-Jahren galt die<br />
Düsenbelüftung durchaus noch<br />
als innovative Technologie.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
[ 78 ] FAHRZEUGE | Neoplan Cityliner von Müller<br />
Die kleine, aber sehr feine Müller-Nostalgieflotte<br />
wird auch im harten Alltagsbetrieb eingesetzt.<br />
musste ebenfalls grundlegend<br />
überholt werden.<br />
Angefangen beim luftgekühlten<br />
Henschel-Sechszylinder mit 240 PS,<br />
der nach Aussage von Albert Müller<br />
„keine Wurst vom Teller gezogen<br />
hat“. Der Grund waren defekte<br />
Kolbenringe und eine falsch eingebaute<br />
sowie verschlissene Kupplungsscheibe.<br />
„Das ging so weiter.<br />
Die komplette Technik war marode“,<br />
berichtet Müller.<br />
Die Liste der unter Führung<br />
von Werkstattmeister Klaus Tiltscher<br />
weitgehend selbst ausgeführten<br />
Arbeiten fand fast kein Ende:<br />
Feste Bus-Nische in den Hallen der Oldtimer-Messe Retro Classics<br />
Die Stuttgarter Retro Classics hat sich über die<br />
Jahre zu einem festen Bestandteil der Messelandschaft<br />
und der Oldtimerszene gemausert. Vom 26.<br />
bis 29. März feierte die Messe ihre 15. Auflage mit<br />
um 20 Prozent auf 120.000 Quadratmeter erweiterter<br />
Ausstellungsfläche. Konrad Auwärter, der in<br />
diesem Jahr den 75. Geburtstag feiert und sich seit<br />
Jahren zum Mäzen der Bus-Oldtimerszene entwickelt<br />
hat, brachte gleich einen ganzen Fahrzeugtross<br />
mit nach Stuttgart. Dort betreibt er auch sein<br />
kleines Auwärter-Museum im Vaihinger Neotel. „Die<br />
europäische Oldtimerbusszene lebt. Wir waren in<br />
Stuttgart auf der Retro Classics mit 13 Fahrzeugen,<br />
darunter solche aus Norwegen, der Schweiz, Österreich<br />
und Frankreich. Das Beziehungsnetz der historischen<br />
Busse wächst immer weiter“, sagt Auwärter.<br />
Auch Setra kümmert sich seit Jahren mit viel Aufwand<br />
und Liebe um die eigene Historie. Die Ulmer waren mit<br />
fünf Fahrzeugen vertreten und feierten mit drei Fahrzeugen<br />
des traditionsreichen Typs S 6 sogar ein Jubiläum:<br />
Die kleinsten Setra-Omnibusse, die jemals gebaut<br />
wurden, galten zusammen mit den Neoplan-Kollegen<br />
als erste selbsttragende Kompaktbusse und wurden<br />
genau vor 60 Jahren auf dem Genfer Automobilsalon<br />
vorgestellt. Zudem gab es auf dem Stand in Halle 8<br />
einen S 10 der Setra Baureihe 10, Baujahr 1955, mit<br />
37 Sitzen (Bild oben) sowie einen Clubbus des Typs<br />
S 208 H aus dem Jahr 1979 zu bestaunen. Das nächste<br />
Europäische Oldtimerbustreffen findet übrigens vom<br />
15. bis 18. Oktober 2<strong>01</strong>5 in Haguenau im Elsass statt.<br />
Luftleitungen, Lichtmaschine, Anlasser<br />
und vieles mehr mussten<br />
komplett erneuert, oft aufwendig<br />
besorgt oder nachgebaut werden.<br />
Hinzu kamen weitere Arbeiten<br />
wie die Erneuerung der markenprägenden<br />
obere Frontscheibe<br />
(drei Stück wurden als Sonderanfertigung<br />
in Finnland für rund<br />
6.000 Euro beschafft). Ebenso stand<br />
die komplette Überholung der<br />
Scheibenwischer in der Lehrwerkstatt<br />
des Herstellers SWF und der<br />
Einbau eines modernen Begleitersitzes<br />
mit Gurt auf dem Programm.<br />
Der Rückbau auf die originalen<br />
Hecklichter und die Umlackierung<br />
auf die Hausfarben von Müller seien<br />
noch das Geringste gewesen.<br />
Die nachträglich auf das Jetliner-<br />
Modell angepassten Frontscheinwerfer<br />
blieben dem Wagen einstweilen<br />
erhalten, original waren sie<br />
etwas gewöhnungs bedürftig hochkant<br />
verbaut.<br />
Das Ergebnis der rund ein Jahr<br />
dauernden Überholung kann sich<br />
sehen lassen. Der Wagen ist nach<br />
den Worten seines geistigen Vaters<br />
Konrad Auwärter von einer<br />
Einser-Bewertung auf dem kritischen<br />
Oldtimermarkt nicht<br />
weit entfernt. „Die Gebrüder<br />
Müller haben mit sehr viel Liebe<br />
den Cityliner auf ihre Hausfarben<br />
hergerichtet und noch einmal<br />
viel Geld investiert. Es ist ein ganz<br />
besonderes Fahrzeug geworden“,<br />
urteilt Konrad Auwärter.<br />
Das zweite Debüt nach 2007,<br />
jetzt als komplett restaurierter<br />
und voll fahrbereiter Oldtimer,<br />
hatte der City liner dann auf<br />
der diesjährigen Retro Classics<br />
in Stuttgart. Dort stellt Auwärter<br />
regelmäßig in schwäbischer<br />
Verbundenheit aus. Schließlich<br />
wurde der Bus einst keine fünf Kilometer<br />
von der Messe entfernt<br />
im Stuttgarter Stadtteil Möhringen<br />
gebaut, wo 2006 das Werk ge-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Neoplan Cityliner von Müller [ 79 ]<br />
schlossen wurde. Die Kollegen unserer<br />
Schwesterzeitschrift „auto<br />
motor und sport“ kürten den Bus<br />
dieser Tage auch im Internet zu<br />
einem ihrer Highlights der Retro<br />
Classics.<br />
Eine kurze Fotoausfahrt mit<br />
dem Wagen über die angrenzenden<br />
Landstraßen bei Massenbachhausen<br />
überzeugt von der Alltagstauglichkeit<br />
und Laufruhe des<br />
Reisebusses. Vom Federungskomfort<br />
der Neoplan-Vorderachse kann<br />
sich so mancher heutige Bus eine<br />
Scheibe abschneiden. Klappern<br />
und Knarzen ist dem Wagen weitgehend<br />
fremd. Und die Aussicht<br />
für die Gäste ist auch heute noch<br />
beeindruckend.<br />
Die Beziehung der Firma Müller<br />
zu MAN und Neoplan hat sich<br />
sicher gewandelt, ist aber immer<br />
noch positiv und von Dauer. Wenn<br />
auch der Fuhrpark mit einigen<br />
technischen Leckerbissen wie den<br />
Midibussen Temsa MD9 und<br />
Viseon C11 sowie einem Van Hool<br />
Altano mit Unterflurcockpit gewürzt<br />
ist, ist die Familie Müller<br />
dem Hersteller weitgehend treu<br />
geblieben.<br />
Die meisten der 17 roten Müller-Reisebusse<br />
auf dem Betriebshof<br />
ziert der schwarze Neoplan-Schriftzug<br />
auf Chrom.<br />
Beim Start des Luxusbusses Starliner<br />
der zweiten Generation im<br />
Jahr 2004 war es keine Frage,<br />
dass die Firma Müller eines der<br />
20 Felderprobungsfahrzeuge unter<br />
seine Fittiche nahm, später<br />
kamen noch sechs Busse des seltenen<br />
Typs dazu.<br />
Letzter Neuzugang ist ein Fünf-<br />
Sterne-Cityliner mit Hecklounge<br />
und zwei weiteren Sitzgruppen<br />
sowie komfortablen Beinauflagen:<br />
„Bisher hatten wir für die<br />
Sitz anlage immer nur gute Noten<br />
bekommen, von der Fünf-Sterne-Variante<br />
sind die Kunden aber<br />
durchweg begeistert“, erklärt<br />
Walter Müller das Konzept der<br />
„Müller-Premium-Linie“. Dieses<br />
dritte Geschäftsfeld zielt vor allem<br />
auf VIP- und Firmenfahrten ab.<br />
„Wir wollen hier keine Kompromisse<br />
machen“, sagt er.<br />
Marken-Ikone<br />
Der Neoplan Cityliner wird 1971<br />
zuerst als Bus für Stadtrundfahrten<br />
mit höhergesetzter Fahrgastebene<br />
konzipiert, um den<br />
Passagieren einen besseren Überblick<br />
zu ermöglichen. Premiere<br />
feierte er auf der internationalen<br />
Omnibuswoche in Monaco. Es<br />
war ein Fahrzeug für den Kunden<br />
Severin & Kühn (Foto oben im Werk<br />
Stuttgart vor dem Versuchsgebäude).<br />
Die auffällige Trennung der Fahrzeugfront durch einen schmalen waagerechten Steg, die dynamisch nach<br />
vorne geneigten Fensterholme und die optische Verlängerung der B-Säule nach unten stehen auch noch nach<br />
vier Jahrzehnten für markantes und zeitloses Design. Inzwischen hat es sich in die Neoplan-DNA eingebrannt.<br />
Zudem haben die Konstrukteure den Fahrersitz weiter nach unten gesetzt und die Sitze auf Podesten montiert,<br />
um den Fahrgästen die beste Aussicht zu bieten. Nebeneffekt: Erstmals ließ sich eine Toilette unter dem Fahrgastboden<br />
unterbringen. Das wiederum ermöglichte mehr Sitze. Die Zusatzverglasung unter den Seitenscheiben<br />
kennzeichnete den Aussichts-Cityliner. Er ist aber mittlerweile sehr selten anzutreffen. Das Konzept erwies sich<br />
mit viel Kofferraum besonders für Reisedecker geeignet.1973 bereits erweiterte Neoplan die Baureihe um einen<br />
Dreiachser, der den Weg zum modernen Großraumreisebus beschritt. Das Fahrzeug gewann denn auch sofort<br />
den Grand Prix des Salons. <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> urteilte seinerzeit: „Seine Fahreigenschaften und der von ihm<br />
gebotene Komfort lassen Kritiker verstummen, befriedigen selbst verwöhnte Passagiere und bieten schlechthin<br />
optimale Bequemlichkeit. Dass dieser Gesamteindruck nicht nur die Ansicht eines einzelnen Testers darstellt,<br />
geht aus dem gewiss strengen Urteil der Jury von Nizza hervor, die eben diesen Neoplan N 116/3 mit dem Grand<br />
Prix d’Excellence auszeichnete, der höchsten Auszeichnung im Wettbewerb des europäischen Omnibusbaus.“<br />
Der Bröskamp-Cityliner mit der Produktionsnummer 9, bis 1990 im Alltagseinsatz, wurde zum 35-jährigen<br />
Jubiläum der Baureihe im Jahr 2006 vom Fachbetrieb Matthias Kühn instand gesetzt (Foto unten links) und vom<br />
neuen Besitzer Müller Reisen in Massenbachhausen auch technisch vollständig überholt.<br />
Kompromisslos soll es auch<br />
weitergehen in Sachen Neoplan.<br />
Auf der IAA Nutzfahrzeuge<br />
in Hannover hat Walter Müller<br />
kurzerhand den auf der Messe<br />
ausgestellten Neoplan Skyliner<br />
gekauft. Müller soll das Fahrzeug<br />
im kommenden Sommer erhalten<br />
– und zwar zu einem denkwürdigen<br />
Datum: dem 75. Geburtstag<br />
von Konrad Auwärter.<br />
Gleichzeitig wird der Cityliner,<br />
Baujahr 1971, sicher noch lange<br />
seinen Dienst verrichten – schließlich<br />
geht man in der Busbranche nie<br />
so ganz in Rente.<br />
◼<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>5
[ 80 ] FAHRZEUGE | Alternative Antriebe von Daimler Buses<br />
DAIMLER GIBT GAS<br />
Report: Die Antriebe für die Stadtbusse von morgen stellt Daimler auf drei Säulen: Diesel,<br />
Erdgas und Elektro. Zu konventionellen Antriebssträngen kommen neue Gas- und Elektrobusse.<br />
TEXT: RÜDIGER SCHREIBER<br />
FOTOS: DAIMLER<br />
Vor 120 Jahren wurde in Mannheim<br />
der Omnibus erfunden.<br />
Was Carl Benz damals auf die<br />
Räder stellte, ist heute rund um den<br />
Globus zu einer tragenden Säule<br />
des Personenverkehrs geworden.<br />
Weltweit wächst die Bevölkerung,<br />
in zehn Jahren dürfte sie die Acht-<br />
Millarden-Schwelle überschritten<br />
haben, so die Vereinten Nationen.<br />
Bereits heute lebt mehr als die Hälfte<br />
der Menschen in Städten, Tendenz<br />
steigend. Für das Jahr 2030 sehen<br />
die Vereinten Nationen rund<br />
fünf Milliarden Menschen, die in<br />
Städten leben werden.<br />
Wissenschaftler und Verkehrsexperten<br />
sprechen unisono davon,<br />
dass der Bus im urbanen Raum<br />
künftig eine zentrale Rolle einnehmen<br />
wird. „Öffentlicher Personennahverkehr<br />
ist mit keinem Verkehrsmittel<br />
so wirtschaftlich und<br />
flexibel zu realisieren, wie mit dem<br />
Bus“, resümiert Hartmut Schick,<br />
Leiter Daimler Buses.<br />
In den Städten der Zukunft werde<br />
es vor allem auf innovative und<br />
passgenaue Mobilitätslösungen ankommen.<br />
Die effektivste Methode,<br />
vielen Menschen Mobilität und damit<br />
auch die Teilnahme am gesellschaftlichen<br />
Leben zu ermöglichen,<br />
sei der Einsatz von Omnibussen.<br />
Für den Leiter der Bussparte<br />
von Daimler ist klar, dass auch in<br />
einigen Jahrzehnten Diesel-Busse<br />
vielerorts unverzichtbar sein werden.<br />
„Deshalb arbeiten wir daran,<br />
die konventionellen Antriebsstränge<br />
weiter zu entwickeln, um sie so<br />
sparsam wie möglich zu machen“,<br />
sagt Schick.<br />
Passend zu dieser Aussage präsentierte<br />
Daimler Buses im Vorfeld<br />
des UITP-Weltkongresses einen<br />
neuen Erdgasmotor. Der Gasmotor<br />
M 936 G wurde mit der Vorgabe<br />
entwickelt, dem Dieselmotor<br />
bezüglich des Bauraums und der<br />
Anschlussmaße zu entsprechen.<br />
Und auch die Leistungs- sowie<br />
Betriebscharakteristika sollten dem<br />
Dieselbruder in nichts nachstehen.<br />
Durch ein hohes Maß an Gleichteilen<br />
haben die Ingenieure die Verwendbarkeit<br />
des Gasmotors in allen<br />
Linienbussen der Citaro-Baureihe<br />
realisiert.<br />
Der neue Erdgasantrieb soll leiser<br />
und sauberer sein als vergleichbare<br />
Dieselmotoren nach Abgasstufe<br />
Euro 6. Seine Leistung liegt<br />
bei 302 PS (222 kW) aus 7,7 Liter<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Alternative Antriebe von Daimler Buses [ 81 ]<br />
Mit intelligentem Mix in die Stadt der Zukunft<br />
Anspruchsvolle Umweltschutzziele werden die Stadt der Zukunft kennzeichnen. Fossile Kraftstoffe werden daher<br />
mittelfristig höchst wahrscheinlich nicht mehr für den ÖPNV in Betracht kommen. Die Kombination von Transportmitteln<br />
in einem intelligenten Mix wird es ermöglichen, lokale Schadstoffemissionen, CO 2 und Geräusche zu<br />
verringern und zugleich die Lebensqualität der Bürger zu steigern.<br />
Busse<br />
Möglicher Weg in der Stadt<br />
Auswirkungen auf die Stadt<br />
Voll elektrisch/<br />
Hybride/Plug-in<br />
Biodiesel Hybride<br />
Biogas<br />
Andere Transportmittel<br />
Fahrrad-Pool Elektro-Pkw-<br />
Pool<br />
Tram/Metro<br />
• Geringe bzw. keine CO 2<br />
-<br />
Emissionen<br />
• Geringe bzw. keine Geräuschemissionen<br />
• Hohe Attraktivität für Passagiere<br />
• Hohe Attraktivität für Fahrer<br />
• Hohe Attraktivität für Bürger<br />
Alain Flausch, Generalsekretär des<br />
internationalen Verbandes für öffentliches<br />
Verkehrswesen (UITP): „Mit<br />
der stetig wachsenden Urbanisierung<br />
steigt auch die Zahl der Nutzer des<br />
ÖPNV. Der ÖPNV ein wichtiges Stück<br />
Lebensqualität im urbanen Raum und<br />
ein immenser Wirtschaftsfaktor. Elektromobilität<br />
hat sich in Europa schon<br />
etabliert, zukünftig fahren wir hier in<br />
den Zentren völlig emissionsfrei.“<br />
Hubraum, das maximale Drehmoment<br />
beläuft sich auf 1.200 Nm zwischen<br />
1.200 und 1.600/min.<br />
Die Performance des Triebwerks entspricht<br />
seinem Ausgangsprodukt,<br />
dem Turbodiesel OM 936. Lediglich<br />
die Nennleistung von 302 PS liegt<br />
etwas höher. Mit Blick auf die maximale<br />
Wärmebelastung des Kühlsystems<br />
wurde die Nenndrehzahl<br />
des neuen Gasmotors im Vergleich<br />
zum Dieselmotor auf 2.000/min gesenkt.<br />
Fahrerprobungen mit dem neuen<br />
Gasmotor zeigten, dass sich das Aggregat<br />
im Sommer wie im Winter<br />
problemlos starten ließ, selbst bei<br />
Temperaturen von minus 26 Grad<br />
Celcius.<br />
Den eigentlichen Vorteil des Aggregats<br />
sieht Hartmut Schick jedoch<br />
in der CO 2 -Bilanz, die mehr als 20<br />
Prozent günstiger sei als jene eines<br />
vergleichbaren Dieselmotors. „Wer<br />
den Motor mit Biogas betreibt,<br />
fährt sogar annähernd CO 2 -neutral“,<br />
versichert Schick.<br />
Passend zum neuen Motor will<br />
Mercedes-Benz noch in diesem<br />
Jahr den Citaro Euro 6 NGT vorstellen.<br />
Laut Gustav Tuschen, Leiter<br />
Entwicklung bei Daimler Buses,<br />
wurden im Vergleich zum Dieselpendant<br />
nicht nur 300 Kilogramm<br />
Gewicht eingespart, sondern auch<br />
noch der Verbrauch im zweistelligen<br />
Prozentbereich gesenkt. Außerdem<br />
hätte man im neuen Citaro<br />
Euro 6 NGT zehn weitere Fahrgastplätze<br />
geschaffen, berichtet der Entwicklungschef.<br />
Auf diesen Lorbeeren wolle man<br />
sich aber nicht ausruhen. Ein Entwicklungsschwerpunkt<br />
der Bussparte<br />
sind alternative Antriebe.<br />
Und da stehe der Elektrobus ganz<br />
vorn auf der Agenda, erklärt Gustav<br />
Tuschen. Dem Trend zur Elektromobilität<br />
begegnet Daimler mit<br />
einer Roadmap und dem größten<br />
Entwicklungsbudget, das es bisher<br />
für die Bussparte gab.<br />
Langfristig werde der Weg zu einem<br />
emissionsfreien Stadtbus mit Bat-<br />
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Der neue Gasmotor M 936 G soll noch leiser und sauberer sein als die<br />
aktuellen Dieselmotoren nach Abgasstufe Euro 6.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
[ 82 ] FAHRZEUGE | Alternative Antriebe von Daimler Buses<br />
terie- oder Brennstoffzellenantrieb<br />
führen, so Tuschen. Für die Citaro-Baureihe<br />
rechnet Daimler mit<br />
einem Volumenanteil von 70 Prozent<br />
im Jahr 2030 im Vergleich zum<br />
Dieselbus.<br />
Und noch eine Aussage dürfte<br />
den Wettbewerb aufhorchen lassen:<br />
„Partiell emissionsfreie Antriebe,<br />
also alle Arten von Hybridantrieben,<br />
werden in der künftigen<br />
Modellpalette von Daimler Buses<br />
keine Rolle spielen“, sagt Tuschen.<br />
Der Aufwand dafür sei unverhältnismäßig<br />
hoch, vor allem aber genüge<br />
nur partiell emissionsfreies<br />
Fahren nicht dem Anspruch moderner<br />
Stadtbus-Mobilitätslösungen.<br />
Deshalb werde man diesen Weg<br />
künftig nicht mehr beschreiten.<br />
Der klassische Verbrennungsmotor<br />
nach Euro 6 im Citaro erreicht<br />
laut Daimler ein so hohes Niveau,<br />
dass Aufwand und Ergebnis komplexer<br />
Hybridsysteme nicht mehr<br />
zusammenpassen. Für Daimler<br />
Buses heißt die Devise deshalb:<br />
nicht teilweise, sondern komplett<br />
emissionsfrei.<br />
Für den Busmarkt in Europa sieht<br />
Tuschen schon in einigen Jahrzehnten<br />
– im Gegensatz zu den Schwellenländern<br />
– in den Städten fast<br />
ausnahmslos Batterie- und Brennstoffzellen-Busse.<br />
Geht es um emissionsfreie<br />
Busse, steht für den Entwicklungschef<br />
aber nicht nur der<br />
Antrieb an sich im Vordergrund.<br />
Wichtig sei auch die Abstimmung<br />
des Fahrzeugs auf die Bedürfnisse<br />
der Kunden. Elektrobusse<br />
„Die modular aufgebaute E-Plattform ermöglicht<br />
emissionsfreies Fahren zu vertretbaren Kosten“<br />
seien kein Produkt von der Stange,<br />
selbst wenn Daimler sie bald in<br />
Serie baue.<br />
Man müsse jedes Fahrzeug genau<br />
abstimmen, beispielsweise auf<br />
den jeweiligen Einsatzort und das<br />
Streckenprofil. Auch die Anzahl der<br />
Haltestellen auf den Linien sei ein<br />
entscheidender Faktor, schließlich<br />
sollte die Batterie so lange halten,<br />
wie der jeweilige Stadtlinienibus im<br />
Einsatz ist.<br />
Der Energiebedarf eines Elektrobusses<br />
muss für den Hersteller<br />
und den Verkehrsbetrieb vorhersehbar<br />
sein, auch weil es zusätzlich<br />
zum Fahrbetrieb weitere Verbraucher<br />
an Bord gibt: „Mit aktiver<br />
Heizung oder Klimaanlage kann<br />
sich die Reichweite eines Elektrobusses<br />
schnell mal halbieren“, erklärt<br />
Gustav Tuschen. Deshalb habe<br />
Daimler auch das Thermomanagement<br />
in die Planungen einbezogen.<br />
Elek trobusse seien heute noch nicht<br />
wirtschaftlich darstellbar – noch<br />
nicht, betont Tuschen.<br />
Passend zum 125-jährigen Geburtstag<br />
des Omnibusses von Carl Benz<br />
werden die ersten, reinen Elektrobusse<br />
mit Stern in fünf Jahren auf<br />
der Straße fahren. Nicht als Versuchsträger,<br />
sondern dann schon<br />
als Serienfahrzeuge, ist sich Daimler-Entwicklungsleiter<br />
Gustav<br />
Tuschen sicher. <br />
◼<br />
Brenstoffzellen- und Elektroantriebe kommen noch in diesem Jahrzehnt<br />
Interview: Daimler-Entwicklungschef Gustav Tuschen über die Zukunft der Omnibus-Antriebe.<br />
Seit 2<strong>01</strong>3 verantwortet Gustav Tuschen die<br />
Entwicklung der Bussparte von Daimler.<br />
Das Gespräch führte Rüdiger Schreiber.<br />
?: Mit Blick auf die wachsende Elektromobilität in<br />
Ballungszentren wird der Citaro E-Cell mit Spannung<br />
erwartet. Wann schicken Sie den ersten Testbus<br />
oder Prototypen auf die Straße?<br />
Tuschen: Die Phase der Technologie-Erprobung<br />
haben wir mit Auslauf der dritten Genera tion<br />
des Citaro F-Cell abgeschlossen. Nun geht es<br />
darum, die Erkenntnisse, die wir mit diesen<br />
Fahrzeugen sowie den Vorgänger-Generationen<br />
gewinnen konnten, in die Serien-Entwicklung<br />
einfließen zu lassen. Es steht nun<br />
vor allem die Wirtschaftlichkeit der Fahrzeuge<br />
im Vordergrund. Über den genauen Zeitpunkt<br />
der Serieneinführung werden wir rechtzeitig<br />
informieren. Wir rechnen mit den ersten<br />
Fahrzeugen zum Ende dieses Jahrzehnts.<br />
?: Welche Technologiesprünge müssen noch<br />
stattfinden?<br />
Tuschen: Heute ist der technologische und wirtschaftliche<br />
Reifegrad eines elektrischen Antriebs<br />
noch nicht ausreichend, um den Dieselantrieb<br />
im Stadtbus zu ersetzen. Reichweite,<br />
Fahrgastkapazität und Kosten erreichen noch<br />
nicht das Niveau von Omnibussen mit Dieselantrieb.<br />
Eine weitere Herausforderung ist<br />
die energieaufwendige Klimatisierung im<br />
Fahrzeug. Hier bedarf es eines intelligenten<br />
Energie-Managements, um den Betreibern zukünftig<br />
Fahrzeuge zur Verfügung stellen zu<br />
können, die keine grundlegende Neustrukturierung<br />
innerbetrieblicher Abläufe erfordert.<br />
Die Antriebsstrategie für die Stadtbusse von<br />
morgen von Daimler Buses steht damit auf drei<br />
Säulen: kontinuierliche Weiterentwicklung des<br />
konventionellen Antriebsstrangs mit Dieselmotoren<br />
und des kürzlich vorgestellten Gasmotors<br />
M 936G, Entwicklung des Citaro E-Cell<br />
mit rein elektrischem Antrieb und Citaro F-Cell<br />
als Brennstoffzellen-Hybridbus.<br />
?: Und wann ist der Citaro E-Cell dann reif für den<br />
täglichen Einsatz im Linienverkehr?<br />
Taschen: Noch in diesem Jahrzehnt werden<br />
wir den Mercedes-Benz Citaro E-Cell in Serie<br />
anbieten können.<br />
?: Beim Citaro E-Cell setzen Sie – anders als der<br />
Wettbewerb – auf konduktives Laden. Warum?<br />
Tuschen: Die derzeit in Entwicklung befindlichen<br />
induktiven Ladesysteme sind von ihrer<br />
Leistung her noch nicht auf einem Niveau angekommen,<br />
das ausreichend ist, um damit die<br />
Batterien eines E-Cell-Busses, beispielsweise<br />
während des Haltens in einer Haltestelle, in<br />
kurzer Zeit ausreichend aufladen zu können.<br />
Die Übertragung derart großer Energiemengen<br />
in kurzer Zeit kann nach unserer Erkenntnis<br />
derzeit nur durch konduktive Ladesysteme<br />
sichergestellt werden. Wir erwarten auch<br />
in naher Zukunft noch nicht den benötigten<br />
Durchbruch bei induktiven Ladeverfahren.<br />
Sollte die Technologie in Zukunft auf einem<br />
Niveau angekommen sein, das sie für die Anwendung<br />
im Omnibus nutzbar macht, werden<br />
wir diese aufgrund der modularen Bauweise<br />
der Citaro-E-Mobility-Plattform auch in unsere<br />
Fahrzeuge integrieren und unseren Kunden<br />
anbieten können.<br />
?: Wird der Citaro E-Cell ein eigenes Design erhalten?<br />
Tuschen: Lassen Sie sich überraschen ...
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[ 84 ] FAHRZEUGE | Scania Van Hool Astromega TDX27<br />
TRAUM-HOCHZEIT<br />
Fahrbericht: Nach der Trennung von Irizar geht Scania mit der belgischen Manufaktur Van Hool<br />
neue Wege und hat sich dabei mit dem Astromega TDX27 viel vorgenommen.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: JACEK BILSKI<br />
Manchmal ist es gar nicht so einfach, dem<br />
Kind einen Namen zu geben – wenn<br />
man denn bei diesem 20-Tonnen-Wonneproppen<br />
noch von Kind sprechen kann. Ist<br />
es nur ein Scania Astromega, ein Van Hool<br />
Astromega oder gar ein Scania Van Hool<br />
Astromega? Letzteres ist die hochoffizielle<br />
Schreibweise, wie Scania Deutschland erklärt.<br />
Auch wenn das Unternehmen in Anlehnung<br />
an die Volkswagen-Werbung gerne den Slogan<br />
„Der Omnibus“ nutzt, als Komplettbusbauer aus<br />
eigener Berufung tun sich die Schweden bisher<br />
kaum hervor.<br />
Sie konzentrieren sich lieber auf das profitablere<br />
Lkw-Geschäft, leiten daraus die entsprechende<br />
Triebwerkstechnik ab und arbeiten<br />
ansonsten mit Busbauern zusammen, die<br />
sich bestens auf ihr Handwerk verstehen: sei<br />
es der finnische Familienbetrieb Lahden mit<br />
den OmniExpress-Modellen, der chinesische<br />
Busbauer Higer, mit dem die Schweden den<br />
Touring fertigen und als erster europäischer Hersteller<br />
chinesische Produkte verkaufen. Von 1998<br />
bis 2<strong>01</strong>2 gehörte dazu auch der baskische Hersteller<br />
Irizar, dessen Reisebusse so etwas wie ein<br />
Scania-Aushängeschild in Europa waren, wenn<br />
auch die Qualität der Fahrzeuge nicht immer<br />
ganz überzeugte.<br />
Nun ist Scania stufenweise in VW-Besitz übergegangen,<br />
ähnlich wie der Münchener Komplettbusbauer<br />
MAN mit seiner Premium marke<br />
Neoplan. Da sollte man meinen, dass sich hier<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
legen<br />
die Koblenzer<br />
vorerst<br />
den Fokus bewusst auf<br />
den Doppeldecker, dem man im<br />
Fernliniensegment das größte Potenzial beimisst.<br />
Den Markt von 200 bis 300 Omnibussen<br />
im Jahr greift derzeit die Marke Setra mit dem<br />
DT 431 aus der Baureihe Top-Class fast allein ab,<br />
nachdem die Produktion des Neoplan Skyliner<br />
mehrfach ins Stocken geriet. So werden im Jahr<br />
2<strong>01</strong>5 Busse aus Ankara nur in kleinen Stückzahlen<br />
auf die Straße rollen.<br />
Zeit genug für die Neu-Ulmer, sich für die<br />
Ablösung des schon angejahrten Vertreters der<br />
400er-Baureihe zu entscheiden. Und auch VDL<br />
steht mit einem neuen Synergy in den Startlöchern,<br />
er soll in Kortrijk gezeigt werden –<br />
wahrscheinlich also noch vor dem Setra. Der<br />
einstmals als sterbendes Segment geltende<br />
Doppeldeckermarkt erlebt also gerade eine ungeahnte<br />
Dynamik durch die Freigabe der Fernlinien<br />
vor zwei Jahren.<br />
Zurück zum Astromega der 2<strong>01</strong>1 vorgestellten<br />
TDX-Generation. Die Kombination aus bewährter<br />
Scania-Antriebstechnik und hochwertigem<br />
Van Hool-Aufbau muss jeden Buskenner<br />
reizen. Scania bietet vorerst ganz bewusst nur<br />
die längere Variante des „Stockbusses“ an, die<br />
auf 14,10 Meter Länge maximal 89 Fahrgäste unterbringen<br />
kann. In unserem Fahrzeug sind es<br />
in komfortablerer Vier-Sterne-Konfiguration immerhin<br />
noch 78 Plätze.<br />
Das Kofferraumvolumen hält mit dieser Kapazität<br />
nicht ganz mit: 7,2 Kubikmeter sind<br />
hier nur Mittelklasse, der Setra bietet über acht,<br />
der Neoplan sogar rund zehn Kubikmeter. Bei<br />
einem Leergewicht des Fahrzeuges von rund<br />
20 Tonnen ergibt das pro Fahrgast etwas mehr<br />
als 81 Kilo Nutzlast, inklusive Gepäck. Doppeldecker-Besitzer<br />
kennen das leidige Thema.<br />
Typisch Van Hool ist das Design: Kantig streng<br />
wirkt das Heck, eher rundlich und gewinnend<br />
geben sich Seitenansicht und Frontpartie. Die<br />
alumiuniumglänzende Dekorleiste, die sich um<br />
den gesamten Wagen zieht, erinnert ein wenig<br />
an die Formensprache von Setra, verleiht dem<br />
Wagen Eigenständigkeit und zurückhaltende<br />
Noblesse. Scheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht<br />
und serienmäßigen Xenon-Lampen sorgen für<br />
zeitgemäße Frontbeleuchtung.<br />
Eher untypisch für Deutschland ist die vordere<br />
Treppe auf der rechten Seite eingebaut. Sie<br />
wird nur so angeboten. Ihr ist jedoch der große<br />
Sitzabstand hinter dem Fahrer zu verdanken.<br />
milliardenschwere Synergien heben ließen in<br />
einer fein abgestimmten Kooperation nach Produktsegmenten.<br />
Dem ist aber (noch) nicht so: In Södertälje<br />
suchten sich die Strategen lieber einen fremden<br />
Partner, um eine neue Reisebus-Kooperation<br />
aufzubauen. Und da ist Van Hool beileibe kein<br />
schlechter Kandidat. Mit seinen handwerklichen<br />
Qualitäten und dem extrem breiten Modellangebot<br />
ist Van Hool einer der letzten Busbauer<br />
in alter europäischer Tradition, der es geschafft<br />
hat, ohne einen finanzkräftigen Konzern im Hintergrund<br />
zu überleben. Zusammen könnten die<br />
beiden Unternehmen zu einem ernstzunehmenden<br />
Player im Premiumsegment werden – so das<br />
durchaus stimmige Kalkül.<br />
Zwar bietet Scania in Deutschland ähnlich<br />
wie in anderen europäischen Märkten bisher nur<br />
vier verschiedene Van Hool-Dreiachsmodelle an<br />
(siehe Interview S. 59), aber in der Vermarktung<br />
1 Mit zwei Spiralfedern wird der Bock-<br />
Klimakompressor vor Vibrationen aus dem<br />
Fahrzeug geschützt – und umgekehrt.<br />
2 Mit 2.550 Newtonmetern ist der 12,7 Liter<br />
große Scania-Motor derzeit der drehmomentstärkste<br />
Serien-Busmotor.<br />
2<br />
1<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
[ 86 ] FAHRZEUGE | Scania Van Hool Astromega TDX27<br />
Astromega TDX27<br />
MOTOR<br />
Stehend eingebauter Reihensechszylinder Scania DC13<br />
125 mit variabler Turbinengeometrie und Scania XPI-<br />
Common-Rail-Hochdruckeinspritzung. Abgasreinigung<br />
SCR mit Harnstoffeinspritzung und Abgasrückführung<br />
sowie wartungsarmem Partikelfilter, Euro 6<br />
Hubraum<br />
12.700 cm³<br />
Leistung<br />
363 kW (490 PS) bei 1.900/min<br />
Drehmoment 2.550 Nm bei1.000–1.300/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Automatisiertes 12-Gang-Overdrive-Getriebe Opticruise<br />
GRSO 895 R mit automatischem Kupplungssystem und<br />
GPS-basierter Scania Active Prediction inkl. Eco-Roll.<br />
Übersetzungen 1. Gang: 9,13, 12. Gang: 0,80;<br />
Rückwärtsgang 1: 8,88; Rückwärtsgang 2: 7,12<br />
FAHRWERK/BREMSEN/LENKUNG<br />
Vorne Einzelradaufhängung AMI 700, max. Achslast 7,5 t,<br />
52 Grad Einschlagwinkel; Hypoid-Antriebsachse ADA<br />
1300, max. Achslast 11,5 t, i = 3,07; starre Nachlaufachse<br />
(aktiv gelenkt) ARA 860, max. Achslast 7,5 t.<br />
Innenbelüftete Scheibenbremsen rundum mit<br />
Bremsassistent, ABS/TC/ASR; Hydro-Lenkung ZF 8098<br />
mit Übersetzung 22,2–26,1 : 1<br />
Ungünstig positioniert ist dagegen der Sitz für<br />
den Begleiter. Er muss jedesmal aufstehen, wenn<br />
Fahrgäste aus dem Oberdeck des Astromega die<br />
Toilette aufsuchen.<br />
Zudem ist der Sitz recht tief hinter dem nach<br />
rechts etwas abfallenden Cockpit angeordnet.<br />
Praktisch sind hingegen die Media-Anschlüsse<br />
und die Laptop-Ablage direkt vor dem Begleitersitz.<br />
Ebenfalls eine Spezialität von Van Hool: die<br />
Küche über der Vorderachse. Allzu groß sollten<br />
Koch oder Köchin aber nicht sein – die ansonsten<br />
ansehnliche Stehhöhe von 1,81 Metern im<br />
Unterdeck schrumpft hier auf 1,76 Meter. Dafür<br />
werden es die Fahrgäste schätzen, dass sich<br />
die Küche nicht wie bei anderen Doppeldeckern<br />
direkt neben der Toilette befindet.<br />
Der besondere Reiz des Doppeldeckers in<br />
Deutschland besteht neben der hohen Kapazität<br />
auch darin, dass ohne viel Aufhebens und<br />
hohe Investitionen Rollstühle an Bord gebracht<br />
werden können: Vor der auf 1.100 Millimeter<br />
verbreiterten hinteren Tür lassen sich zwei Podestsegmente<br />
samt der Stuhlreihen herausnehmen<br />
und mit zwei Rollstühlen belegen – bei allen<br />
ungeklärten, rechtlichen Fragen. Die Faltrampe<br />
ist im Kofferraum so untergebracht, dass sie dort<br />
nicht das Beladen stört.<br />
Leider ist die hintere Sitzreihe an der Tür nicht<br />
klappbar, so behindert sie den freien Einstieg<br />
und verdeckt teilweise die Power-LED im Einstiegsbereich.<br />
Dafür blendet ein weiterer LED-<br />
Strahler den Fahrgast auf dem Weg in den Bus.<br />
3<br />
1<br />
Zwischen den sieben Stufen à 26 Zentimeter<br />
im Aufstieg findet sich hinter einer Klappe ein<br />
geschweißter, metallener Müllbehälter. Hier verbreitet<br />
der Astromega das Flair von Handarbeit<br />
bei Kleinauflagen.<br />
Im Treppenbereich ist der Boden um fünf<br />
Zentimeter abgesenkt, aber auch die sonst anliegenden<br />
1,68 Meter im Oberdeck können sich<br />
sehen lassen für einen Doppeldecker. Die drei<br />
Glasdächer sind für einen stolzen Nettopreis von<br />
rund 18.000 Euro gegen eine Vollverglasung des<br />
Daches zu tauschen. Der über die gesamte lichte<br />
Breite reichende Tisch vor der ersten Reihe, dem<br />
begehrtesten Platz im Bus, zeigt wieder eher ein<br />
an etwas gröbere Handarbeit erinnerndes Finish.<br />
Ein für den Fahrgast nicht unwesentliches<br />
Komfortmerkmal sind die Sitze. Van Hool ist<br />
neben Setra einer der wenigen Hersteller, die<br />
eigenes Gestühl produzieren. Im Astromega<br />
tragen sie die Bezeichnung Grande Luxe TX.<br />
Mit tiefem Sitzkissen, ohne fixierende Körperkonturen<br />
und „französischer“ Weichheit sind<br />
sie auf langen Strecken nicht allzu komfortabel.<br />
Kunden sollten unbedingt Kiel-Sitze als Alternative<br />
in die engere Wahl ziehen.<br />
1 Der Kofferraum ist<br />
nicht rekordverdächtig<br />
üppig, aber dafür<br />
fein ausgekleidet.<br />
2 Direkt oberhalb der<br />
Treppe ist die Rollstuhlrampe<br />
fixiert.<br />
3 Das Heck des belgischen<br />
Doppeldeckers<br />
ist streng gezeichnet<br />
und lässt es nicht an<br />
Imposanz mangeln.<br />
2<br />
SICHERHEIT/ELEKTRONIK<br />
Elektr. Bremssystem EBS5, el. Anfahrhilfe, ESP, Bi-Xenon-<br />
Scheinwerfer und LED-Tagfahrlicht, Notbremsassistent,<br />
geregelter Abstandstempomat, Spurhalteassistent,<br />
Quadbox mit drei Kameras (360 Grad geplant)<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 14.100/2.550/4.000 mm<br />
Radstand<br />
6.900/1.500 mm<br />
Wendekreis<br />
23.800 mm<br />
Überhang vorn/hinten 2.700/3.000 mm<br />
Innenstehhöhe unten/oben 1.810/1.685 mm<br />
Kofferraumvolumen 7,2 m 3<br />
Tankvolumen Diesel/Adblue 720/80 l<br />
Leer-/Zul. Gesamtgewicht 19.820/26.500 kg<br />
SITZ-/STEHPLÄTZE<br />
Fahrgastplätze Testwagen 78+1+1 (4*), Rollst.-Vorb.<br />
PREIS<br />
Grundpreis/Testwagenpreis 437.000/461.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Scania Van Hool Astromega TDX27 [ 87 ]<br />
1<br />
Doch was bietet die Scania-Technik im Raumwunder<br />
aus Belgien? Da wären zunächst Fahrwerk<br />
und Motor: beides vom Feinsten, was der<br />
Markt zur Zeit hergibt. Der verbaute Scania-<br />
Sechszylinder mit knapp 13 Liter Hubraum und<br />
der Common-Rail-Einspritzung namens XPI, die<br />
bis zu 2.400 bar Druck auf die Leitung bringt,<br />
leistet 490 PS bei einem Drehmoment von stolzen<br />
2.550 Newtonmetern. Mehr Drehmoment<br />
bietet momentan kein anderer Bus.<br />
Auch wenn die Testfahrt im hessischen Flachland<br />
ohne Beladung relativ anspruchslos war –<br />
die Performance dieses Motors ist einfach famos,<br />
ebenso wie seine Zurückhaltung in Sachen<br />
Geräusche. Souveränes, sattes Anziehen von unten<br />
heraus mit kräftigem Schub – zu dieser bulligen<br />
Charakteristik passt hervorragend das<br />
fein gestufte Zwölf-Gang-Getriebe Opticruise<br />
(siehe auch Kasten Seite 60). Zudem lässt sich<br />
der Wagen im Rangiermodus quasi Zentimeter<br />
um Zentimeter bugsieren. Ein kleines Manko<br />
ist der spürbar gestufte Retardereinsatz beim<br />
Her unterschalten.<br />
Dann wäre da das Fahrwerk, im Doppeldecker<br />
immer eine besondere Herausforderung, was<br />
2<br />
1 Die Platzverhältnisse<br />
im Unterdeck sind o.k.,<br />
die Sitze zu weich.<br />
2 In der oberen Beletage<br />
gibt es zwar einen<br />
Holztisch, aber keinen<br />
Drei-Punkt-Gurt.<br />
3 Moderne Servicesets<br />
bieten schaltbare<br />
Lautsprecher mit<br />
farblich wechselbarem<br />
LED-Ring.<br />
Komfort, Bauraum und Geräuschentwicklung<br />
betrifft. In allen drei Disziplinen verdient<br />
sich das Scania-Chassis „K 490 EB6x2*4LI“<br />
Bestnoten. Bei der Nachlaufachse handelt es sich<br />
um eine Starrachse, die bis zu einem Einschlagwinkel<br />
von 17 Grad aktiv gelenkt ist.<br />
Der Wendekreis fällt mit knapp 24 Metern<br />
jedoch recht üppig aus. Eine sehr gute<br />
Vorstellung gab die Vorderachse. Sie bekommt<br />
deshalb die Auszeichnung „polterfrei“.<br />
Zu keinem Zeitpunkt hat man den<br />
Eindruck, die Achse sei mit dem Gewicht des<br />
Kolosses überfordert.<br />
Gesteuert wird das Technikensemble aus einem<br />
praktischen und ergonomischen Cockpit. Der<br />
Raumeindruck ist für einen Doppeldecker angenehm.<br />
Die Übersichtlichkeit ist gut, sie wird<br />
noch durch die Spiegel von Van Hool verbessert,<br />
wenn man sich an sie gewöhnt hat. Einstellen<br />
lassen sich die großen Spiegel mittels<br />
eines praktischen Dreh-Drück-Stellers links neben<br />
dem Fahrerfenster, mit dem BMW-Fahrer<br />
schnell vertraut sein dürften.<br />
Bei den übersichtlichen Instrumenten handelt<br />
es sich um die höchste, vierfarbige Aus-<br />
3<br />
Echte Premiumfahrzeuge<br />
aus einer Hand<br />
?: Was versprechen<br />
Sie sich im Privatkundengeschäft<br />
von<br />
der Kooperation mit<br />
Van Hool?<br />
Ludwigkeit: Wir<br />
möchten durch<br />
die Kooperation<br />
mit Van Hool das<br />
Reisebus-Premiumsegment<br />
besetzen<br />
und Van<br />
Hool deckt hier<br />
alle Segmente in<br />
der Oberklasse ab.<br />
Insbesondere mit<br />
Jens Ludwigkeit,<br />
Verkaufsleiter<br />
Busse Privatkundengeschäft<br />
Scania<br />
Deutschland<br />
dem Scania Van Hool Astromega versprechen<br />
wir uns zunehmende Marktanteile<br />
im boomenden Markt der Fernlinien busse.<br />
Gerade auf den Acron als hochwertiges<br />
Produkt im Segment Standardreisebus<br />
setzen wir große Hoffnungen.<br />
?: Wie genau sieht die Kooperation für den<br />
Kunden aus?<br />
Ludwigkeit: Scania Van Hool Astromega,<br />
Acron, Altano und Astronef sind Scania-Fahrzeuge,<br />
die über den Scania-Vertrieb<br />
verkauft, ausgeliefert und dann vom<br />
Scania-Servicenetz betreut werden. Der<br />
Kunde bekommt also Premiumfahrzeuge<br />
mit bewährter Scania-Technologie komplett<br />
aus einer Hand, und das bis hin zur<br />
Ersatzteilversorgung.<br />
?: Was zeichnet für Sie Van Hool als<br />
Omnibushersteller aus?<br />
Ludwigkeit: Van Hool ist eine Busmanufaktur,<br />
die hohe Flexibilität mit hoher Langzeitqualität<br />
verbindet. Die Wünsche des<br />
Kunden lassen sich so weitgehend verwirklichen<br />
– das verstehen wir unter<br />
einem echten Premiumprodukt. Also ein<br />
hoch interessantes Angebot für den Markt,<br />
das unsere andere beiden Busbaureihen<br />
optimal ergänzt.<br />
?: Wie stellt sich derzeit Ihre Marktposition<br />
dar und wo wollen Sie hin?<br />
Ludwigkeit: Unser Ziel ist es, bis 2020 zehn<br />
Prozent Marktanteil in Deutschland über<br />
alle Segmente hinweg zu erreichen, derzeit<br />
beträgt er 7,4 Prozent. Wir stellen momentan<br />
alle Weichen im Unternehmen vom<br />
Vertrieb über Aftersales und angrenzende<br />
Bereiche, um dieses sicher ehrgeizige<br />
Ziel zu erreichen. Dabei ist die neue Kooperation<br />
natürlich ein wichtiger Baustein.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
[ 88 ] FAHRZEUGE | Scania Van Hool Astromega TDX27<br />
Leinen-<br />
Zwang<br />
1<br />
1 Im aufgeräumten Cockpit finden sich die<br />
Top-Instrumente aus dem Lkw sowie ein<br />
Zusatzmonitor für die Busfunktionen.<br />
2 Sehr praktisch ist der Mediahub mit Laptop-<br />
Ablage direkt vor dem Begleitersitz.<br />
3 Der Begleiter sitzt nicht nur recht tief,<br />
sondern versperrt auch öfter den Weg.<br />
stattungsversion aus den Lkw von Scania. Sie<br />
sind gut ablesbar und geben alle wichtigen Triebstranginfos<br />
weiter. Viele Einstellungen lassen sich<br />
über das handliche Multifunktionslenkrad steuern.<br />
Einige Schalter am unteren Rand des Volants<br />
sind aber nicht ganz optimal positioniert.<br />
3<br />
2<br />
Ein wesentlicher Kritikpunkt ist jedoch die Arbeitsweise<br />
des Spurassistenten, dessen haptische<br />
Vibration im Fahrersitz eher zu erahnen als<br />
zu spüren ist. Laut Scania lag keine Fehlfunktion<br />
in dem Assistenzsystem vor. Hier sollte der<br />
Hersteller nachlegen und bald auf den neuen<br />
Fahrersitz NTS 2 von Isringhausen umrüsten.<br />
Seine Vibratoren arbeiten so gut, wie es selten<br />
der Fall ist.<br />
Dafür sind die restlichen Sicherheitssysteme<br />
hervorragend abgestimmt. Sowohl der Abstandsregeltempomat<br />
als auch der neue Notbremsassistent<br />
sind so fein justiert, dass ihre<br />
Unterstützung kaum auffällt – außer es gibt<br />
einen Anlass dafür. So erfolgte vor einer blockierten<br />
Fahrspur sehr frühzeitig eine Kollisionswarnung,<br />
die wie im Lehrbuch ablief.<br />
So muss es sein – denn nur so baut der Fahrer<br />
Ver trauen zu den Systemen auf und nutzt sie<br />
auch entsprechend.<br />
Fazit der Testfahrt: Wenn es der Volkswagen-<br />
Konzern in seiner noch zu definierenden Busstrategie<br />
auch so sieht, dann könnte dieser<br />
Doppeldecker in einem boomenden Segment<br />
durchaus ein Wörtchen mitreden. Doch werden<br />
sich über diese Traum-Hochzeit im Doppeldeckerhimmel<br />
sicher noch viele Strategen in<br />
Södertälje und München Gedanken machen.◼<br />
Moderne Busse<br />
müssen heute<br />
effizient sein, und<br />
das mit immer<br />
ausgeklügelterer<br />
Technik. Bei unserer<br />
unbeladenen<br />
Testfahrt sind 30,2<br />
Liter sicher kein<br />
schlechter Wert<br />
Thorsten Wagner,<br />
Testredakteur<br />
für einen Doppeldecker. Automatikgetriebe<br />
arbeiten heute bereits so perfekt, dass<br />
Scania schon ab Tempo 50 auf die Möglichkeit<br />
eines aktiven Eingriffs durch den Fahrer<br />
verzichtet. Die Schweden waren zudem<br />
mit Daimler der erste Hersteller, der eine<br />
GPS-basierte Getriebesteuerung anbieten<br />
konnte. Basierend auf topografischen Daten<br />
des Geländes reduziert „Scania Active<br />
Prediction“ den Verbrauch um ein paar<br />
weitere Prozente (siehe auch Heft 5/2<strong>01</strong>4).<br />
Wie Daimler bietet Scania mit Opticruise<br />
auch bereits „Eco-Roll“ an, eine Funktion, die<br />
beim „Segeln“ in der Ebene ohne Schubbedarf<br />
das Getriebe in Neutralstellung bringt,<br />
um Sprit zu sparen. Die Kunst besteht darin,<br />
dem System genug „Leine zu lassen“, um<br />
die sogenannte „Hysterese“ – die Abweichung<br />
zur vorgegebenen Setzgeschwindigkeit<br />
des Tempomaten – nach oben und<br />
unten optimal zu nutzen. Scania gibt diese<br />
Spanne ab Werk vor. Dabei ist die Eco-Roll-<br />
Funktion direkt an das Aktivieren des Eco-<br />
Modus des Getriebes gekoppelt, ebenso wie<br />
an die Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h.<br />
Das ermöglicht es der Getriebesteuerung,<br />
eine obere Hysterese bis zu 104 km/h voll<br />
auszunutzen, wenn es bergab geht. Nach<br />
unten ist die Hysterese kleiner: Bei 90 km/h<br />
machen Lkw dem Bus dann doch große<br />
Probleme. Trotzdem ist es eine mutige<br />
Entscheidung von Scania, werkseitig die<br />
Höchstgeschwindigkeit zu limitieren, um<br />
eine hohe Effizienz zu realisieren. Die<br />
beiden Alternativen sind klar: entweder das<br />
Limit in der Werkstatt umprogrammieren<br />
oder die 100-km/h-Begrenzung für Busse<br />
lockern. Dafür plädierte <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong><br />
schon vor einem Jahr.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
VIP CLASS<br />
KOMFORT HOCH ZWEI.<br />
Der Skyliner eröffnet mit seinen außergewöhnlichen Highlights eine einzigartige<br />
Dimension der luxuriösen VIP-Reise auf zwei Ebenen. Er verschiebt die Messlatte<br />
fü r Erlebnis, Komfort und Sicherheit erneut ganz weit nach oben. Seine<br />
außergewöhnliche Kapazität macht ihn umweltfreundlich und wirtschaftlich.<br />
Somit bietet sich der Skyliner geradezu fü r den Fernlinieneinsatz an.<br />
www.neoplan-bus.com
[ 90 ] FAHRZEUGE | Fleet-Board von Daimler für Busse<br />
BITS UND BYTES IM BUS<br />
Telematik: Vor drei Jahren integrierte Daimler Telematikplattformen für Bus und Lkw im<br />
Fleet-Board-System. Wir haben uns angesehen, welche Vorteile das im Einsatz bringt.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, DAIMLER<br />
André Boos und Thorsten Pachonik nehmen<br />
ihr Glück gerne selbst in die Hand,<br />
zumal wenn es um ihre Omnibusse geht.<br />
Zusammen mit rund 100 Mitarbeitern betreiben<br />
sie als Geschäftsführer und Werkstattmeister den<br />
mittelständischen, im Jahr 1913 gegründeten<br />
Wasser- und Verkehrsversorger „Bad Wildunger<br />
Kraftwagenverkehrs- und Wasserversorgungsgesellschaft<br />
mbH“, kurz BKW, in der nordhessischen<br />
Kurstadt Bad Wildungen.<br />
Als Boos im Jahr 2<strong>01</strong>1 die kaufmännische Geschäftsführung<br />
des Unternehmens mit hundertjähriger<br />
Geschichte übernahm, stellte er schnell die<br />
Weichen für eine Modernisierung von Flotte und<br />
Technik. „Wir haben massiv in unseren Fuhrpark<br />
investiert und auch die Vorgaben weitgehend<br />
angepasst, beispielsweise das Maximalalter<br />
der Busse. Da wir nicht mehr eigenwirtschaftlich<br />
arbeiten, sondern für den Aufgabenträger<br />
Verkehre zur Verfügung stellen, werden alle<br />
Ausschreibungen auch von einem Dritten ausgewertet.<br />
Das bedingt ganz andere Dokumentations-<br />
und Nachweispflichten“, erläutert der<br />
studierte Diplom-Betriebswirt, der vorher in der<br />
Gesundheitsbranche tätig war. Das Unternehmen,<br />
das im Jahr jeweils eine Million Kilometer<br />
im Stadt- und Überlandverkehr und mit Anrufsammeltaxis<br />
sowie rund 350.000 Kilometer<br />
im Reiseverkehr leistet, hat seitdem einige neue<br />
Linienbündel gewonnen und betreibt daher<br />
auch verschiedene Betriebshöfe.<br />
Diese Ausdehnung hat konkrete Folgen: „Um unter<br />
diesen Bedingungen wirtschaftlich arbeiten<br />
zu können, ist es wichtig, jederzeit zu wissen,<br />
wo die Busse sind und ob sie die vereinbarte<br />
Leistung auch erbringen, sonst sind empfindliche<br />
Malus-Zahlungen an den Aufgabenträger<br />
fällig“, so Boos.<br />
Fällt eine Linie ganz aus, können bis zu 1.000<br />
Euro Malus anfallen. Deswegen hat sich der<br />
technikaffine Geschäftsführer schnell mit seinem<br />
Werkstattmeister zusammengesetzt und ein<br />
Telematiksystem gesucht, mit dem „gerichtsfest“<br />
und zuverlässig nachgewiesen werden kann, wo<br />
die Fahrzeuge wann genau sind. „Das ist für<br />
uns der wichtigste Grund für den Einsatz des<br />
Systems.“<br />
Auf der IAA 2<strong>01</strong>2 haben sich Boos und Pachonik<br />
erstmals über Daimler Fleet-Board informiert<br />
und festgestellt, dass das System am besten zu<br />
ihrem Fuhrpark passt, auch weil es markenübergreifend<br />
genutzt werden kann. „Das System ist<br />
ausgeklügelt und passt. Wettbewerbersysteme<br />
sind zudem nicht wesentlich günstiger“, erläutert<br />
Thorsten Pachonik.<br />
Seit 2<strong>01</strong>3 hat das Unternehmen dann alle<br />
vefügbaren Dienste für den Bus in einer<br />
Testphase mit neun Bussen ausprobiert<br />
und erfolgreich abgeschlossen. „Die<br />
Der Fahrzeugrechner „TiiRec“ ist mittlerweile<br />
direkt an den CAN-Bus angeschlossen.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
Elektronik<br />
Mobile<br />
Kühlung<br />
Mobile<br />
Mobile<br />
Klim anlagen<br />
FAHRZEUGE | Fleet-Board von Daimler für Busse [ 91 ]<br />
Investition ist mit rund 1.200 Euro pro Fahrzeug<br />
für die Rechnereinheit und drei bis fünf Tagen<br />
Einbauzeit für einen Reisebus überschaubar, und<br />
auch die monatlichen Kosten halten sich in Grenzen,“<br />
erklärt Pachonik.<br />
Je nach Dienstauswahl sind dies zwischen<br />
19 und 77 Euro pro Fahrzeug und Monat.<br />
Weiterer Vorteil sei der „persönliche<br />
Zugang“ und der Service aus einer Hand, den<br />
das Daimler Fleet-Board-Team in Stuttgart-<br />
Vaihingen leistet.<br />
Diplom-Betriebswirt André Boos leitet seit 2<strong>01</strong>1 die BKW im nordhessischen Bad Wildungen.<br />
Für Kfz-Meister und Werkstattleiter Pachonik<br />
hat das Telematiksystem aber noch ganz andere<br />
Vorteile, die auch nach dem Geschmack<br />
seines Chefs sein dürften: „Das System bietet<br />
gerade für den Service eine immense Erleichterung.<br />
Man kann alle Termine pflegen und<br />
gezielt zusammenlegen, da spart man sich oft<br />
einen Tag Arbeit.“ Das ist allein deshalb schon<br />
sinnvoll, weil BKW sich mit 20.000 bis 30.000<br />
Kilometern extrem kurze Ölwechselintervalle<br />
für die Motoren auferlegt hat, die es akribisch<br />
zu überwachen gilt.<br />
„Ich mag es einfach, wenn man sein Glück<br />
selbst schmieden kann, auch was den Service<br />
angeht“, erläutert Pachonik. Und weiter: „Die<br />
Werkstatt erkennt plötzlich Dinge, die man vorher<br />
teilweise gar nicht wusste, dadurch wird die<br />
Arbeit um ein Vielfaches leichter.“ Die lückenlose<br />
Service-Historie sei zudem ein gutes Argument<br />
beim Wiederverkauf der Busse.<br />
Aktuelle Fehlermeldungen der Fahrzeuge<br />
werden in der „Cockpit“ genannten Benutzeroberfläche<br />
des Fleet-Board-Systems in einem<br />
eigenen Fenster angezeigt, die grundlegende<br />
Abfahrtskontrolle kann ebenfalls „virtuell“<br />
vollzogen werden. Von Vorteil ist es da natürlich,<br />
dass bei neuen Mercedes- und Setra-Bussen<br />
mit der aktuellen B2E-Elektronikarchitektur der<br />
„TiiRec“ genannte Fahrzeugrechner von Stoneridge<br />
direkt an den bordeigenen CAN-Bus angeschlossen<br />
wird. So kann ein Maximum an Daten<br />
genutzt werden, auch solche aus Triebstrang<br />
und Getriebe. Dazu gehören auch rund 40 „Tell-<br />
Tale“-Botschaften, die auch so im Fahrzeuginstrument<br />
angezeigt werden, wie zum Beispiel<br />
Kühlmitteltemperatur, Fehler bei Bremsen, Lenkung,<br />
Motor oder Getriebe, Tür- und Rampenstatus,<br />
Fahrgastmeldeanlage, ESP-Einsatz oder<br />
Verwendung der Feststellbremse.<br />
Natürlich können über die seit 2006 etablierte<br />
„Fleet-Management-System“-Schnittstelle (FMS)<br />
in der aktuellen Version 2.0 auch Busse anderer<br />
Marken angeschlossen werden, dann fließen<br />
aber nicht ganz so viele Daten durch die Kabel.<br />
So sichern sich die Hersteller einen gewissen<br />
Vorsprung der eigenen Systeme. Dies gilt insbesondere<br />
für die vorausschauende Wartung, die<br />
in Zukunft immer bedeutsamer werden wird.<br />
Um schon im Ansatz einen notwendigen Wartungsbedarf<br />
zu diagnostizieren, sollte der Betreiber<br />
darauf achten, so viele Daten wie möglich<br />
zu bekommen, um hier ganz vorne mit dabei<br />
zu sein.<br />
Ganz vorne mit dabei sein können auch<br />
die Fahrer mit dem System. „Wir haben Top-<br />
Fahrer und ‚Material-Fahrer‘“, drückt sich<br />
André Boos diplomatisch aus. „Bisher konnten<br />
wir die Verbräuche unserer Fahrzeuge kaum<br />
adäquat vergleichen, das geht jetzt viel leichter.<br />
Damit setzen wir nicht nur Massstäbe für die<br />
Fahrer, sondern auch für andere Unternehmen.“<br />
So lassen sich neben den absoluten und relativen<br />
Verbräuchen auch diverse Fahrstilanalysen bis<br />
hin zur Häufigkeit des Einsatzes von Betriebsbremse<br />
und Retarder vergleichen und fahrzeugsowie<br />
fahrerbezogen analysieren. Kein Wunder,<br />
dass BKW demnächst Fahrerschulung und Fleet-<br />
Board-Schulung gemeinsam durchführen will.<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
[ 92 ] FAHRZEUGE | Fleet-Board von Daimler für Busse<br />
BKW-Techniker Thorsten Pachonik hat seine 20 Busse mit Fleet-Board immer im Blick.<br />
Im Lkw-Bereich gibt es seit dem Jahr 2<strong>01</strong>4<br />
wieder die „Fleet-Board Driver‘s League“, in der<br />
Teams und Fahrer gegeneinander antreten und<br />
ihre Leistungen vergleichen. Ganz so weit ist<br />
es im Busbereich noch nicht, und das aus gutem<br />
Grund: „Wir müssen hier eng mit dem Betriebsrat<br />
des Unternehmens zusammenarbeiten,<br />
damit nicht in die Rechte der Mitarbeiter,<br />
also der Fahrer, eingegriffen wird“, erklärt Boos.<br />
Man sei aber auf gutem Weg zu einer Vereinbarung.<br />
Gerade in großen öffentlichen Verkehrsbetrieben<br />
mit starken Betriebsräten dürfte dieses<br />
Thema zukünftig noch einiges an Sprengstoff<br />
in sich bergen.<br />
Eine Neuerung der aktuellen Fleet-Board-<br />
Version 1.18.0i, die auf der IAA 2<strong>01</strong>4 vorgestellt<br />
wurde, macht das Thema Verbrauchskontrolle<br />
noch spannender: „Ab sofort können die Einsatzparameter<br />
der „Predictive Powertrain Control“<br />
(PPC) genannten Getriebesteuerung auch<br />
über Fleet-Board verfolgt und analysiert werden,<br />
um so die optimale Einstellung zu gewährleisten“,<br />
erläutert Oliver Präg, bei Daimler Fleet-<br />
Board für das Produktmanagement zuständig.<br />
Keine schlechte Idee, fehlt doch manchem Fahrer<br />
schlichtweg die Zeit, sich mit der Komplexität<br />
solcher Systeme in aller Tiefe auseinanderzusetzen.<br />
Außerdem werden alle Systembausteine<br />
noch besser in das Online-„Cockpit“ integriert,<br />
um die Benutzerführung so einfach wie möglich<br />
zu gestalten. Bisher gab es verschiedene<br />
„Internet-Clients“ für die Module, nunmehr<br />
nur noch einen.<br />
Wenn man sich die Systemoberfläche näher anschaut,<br />
ist sie denn auch weitgehend selbsterklärend<br />
und obendrein optisch attraktiv.<br />
Ein sinnvolles Feature beim „Mapping“-Mo-<br />
Telematik ist der Schlüssel zum Erfolg<br />
Im Gespräch: Mit Dietrich Müller, Geschäftsführer Daimler Fleet-Board GmbH. <br />
Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
Dipl.-Wirtschaftsingenieur Müller leitet seit<br />
April 2<strong>01</strong>4 die Daimler Fleetboard GmbH.<br />
?: Welche Vorteile hatte die Integration von Fleet<br />
Board und wie hat sich der Dienst für den Busbereich<br />
seitdem vertrieblich entwickelt?<br />
Müller: Telematik gewinnt auch in der Busbranche<br />
kontinuierlich an Bedeutung. Das System<br />
schafft Transparenz über das gesamte Fahrer-,<br />
Fahrzeug- und Beförderungsmanagement.<br />
Einsparpotenziale wie beispielsweise bei<br />
Kraftstoff und Verschleiß lassen sich so leicht<br />
identifizieren. Speziell für die Busbranche zeigt<br />
Fleet-Board zusätzlich in der Nutzeroberfläche<br />
FleetBoard Cockpit verschiedene, busspezifische<br />
Fahrzeugsignale wie Türöffnungen und<br />
-schließungen an, mit genauer Angabe von<br />
Ort, Uhrzeit und Datum. Diese helfen dem Unternehmer,<br />
die Fahrgastzufriedenheit zu verbessern<br />
und bei Rückfragen seitens der Passagiere<br />
jederzeit auskunftsfähig zu sein. Diese<br />
Vorteile erkennen immer mehr Busflottenbetreiber<br />
und setzen zunehmend auf Fleet-<br />
Board, um ihr Geschäft wirtschaftlicher zu<br />
betreiben.<br />
?: Welches sind die neuesten technischen Anpassungen<br />
des Systems und wie ist die Kundenreaktion<br />
darauf?<br />
Müller: Damit unsere Kunden auch morgen<br />
noch erfolgreich sind, müssen wir ihre Bedürfnisse<br />
und Herausforderungen für ihr Geschäft<br />
kennen. Und ihnen genau die Lösungen<br />
anbieten, die sie brauchen. Ein Beispiel<br />
hierfür ist die neue Fleet-Board Driver-App.<br />
Die androidbasierte App ermöglicht den Busfahrern<br />
jetzt erstmals den direkten Zugriff<br />
auf die persönlichen Daten aus den Diensten<br />
Einsatzanalyse und Zeitwirtschaft. Weitere<br />
Neuerungen bei Fahrzeugen mit neuer B2E-<br />
Elektrikstruktur in Mercedes-Benz und Setra-<br />
Fahrzeugen sind Informationen zur Nutzung<br />
des Assistenzsystems Predictive Powertrain<br />
Control (PPC), Informationen zum Adblue-<br />
Verbrauch sowie zum Reifendruck. Zusätzlich<br />
werden jetzt auch Informationen aus dem<br />
Fehlerspeicher und aktive Fehler in unseren<br />
Fahrzeugmanagementdiensten übertragen, die<br />
dann behoben werden können.<br />
?: Was ist aus Ihrer Sicht der beste Hebel, um der<br />
Telematik auf breiter Front zum Durchbruch zu<br />
verhelfen?<br />
Müller: Allein die kontinuierlich steigenden<br />
Kraftstoffkosten sind ein wichtiger Grund,<br />
Fleet-Board einzusetzen, denn damit können<br />
Busunternehmen bares Geld sparen. In aller<br />
Munde ist heute ja auch das Thema Vernetzung.<br />
Connectivity ist für Fleet-Board keine<br />
Zukunftsmusik mehr, sondern Realität. Unser<br />
Telematiksystem stellt Informationen aus<br />
dem Fahrzeug seit jeher zur Verfügung und<br />
vernetzt diese. Das wird in Zukunft noch umfassender<br />
möglich werden. Telematik ist der<br />
Schlüssel zur Konnektivität.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Fleet-Board von Daimler für Busse [ 93 ]<br />
tan um diesen Dienst wegen seiner großen<br />
Bedeutung für das autonome Fahren und die<br />
Telematik. Zudem kommen wie bei Google<br />
Maps so genannte FCD (Floating Car<br />
Data) zum Einsatz, die sehr zeitnah und anschaulich<br />
den aktuellen Verkehrsfluss abbilden.<br />
Weitere Neuerungen des Service-Moduls<br />
sind die Übermittlung der Füllstände<br />
und Verbräuche von Adblue sowie der<br />
aktuellen Reifendrücke. Oliver Präg dazu:<br />
„Diese Erweiterungen der Dienste bringen<br />
bares Geld.“ Spannend für die Zukunft<br />
dürfte gerade im boomenden Fernlinienmarkt<br />
das „Dispo-Pilot“ genannte, mobile Endgerät<br />
werden, das im Lkw für die Logistikabwicklung<br />
bereits breit genutzt wird. So könnten direkt vor<br />
Ort Fernlinien-Kunden buchen, ihre Fahrkarten<br />
einscannen und vieles mehr. Das können zwar<br />
andere Systeme auch schon, sie bieten aber nicht<br />
die fahrzeugbezogene Funktionsfülle.<br />
Fleet-Board funktioniert ganz einfach: GPS- und andere Fahrzeugdaten werden mittels<br />
eingebauter SIM-Karte zum Daimler-Server übertragen. Dort aufbereitet und gesichert, können<br />
die Auswertungen im Desktop-Cockpit oder in den Smartphone-Apps abgerufen werden.<br />
dul, also der GPS-Verfolgung, ist die Einblendung<br />
aller busspezifischen Verkehrshindernisse<br />
wie Brücken unter vier Meter Höhe oder<br />
akute Verkehrsbehinderungen wie Staus<br />
auf dem Bildschirm. So kann der Disponent seinem<br />
Fahrer einen entstehenden Stau direkt ins<br />
Cockpit senden mit einer Mini-SMS von bis zu<br />
40 Zeichen. Daimler Fleet-Board arbeitet hierbei<br />
mit dem Nokia-Kartendienst „Here“ zusammen.<br />
Viele Autohersteller buhlen momen-<br />
Was bringt aber Fleet-Board für den Bus<br />
im Unterschied zum Truck noch? Da wären<br />
zunächst die zusätzlich gesendeten<br />
Signale von Türen und Rampen. Es lässt<br />
sich so klar beweisen, an welcher Haltestelle<br />
ein Fahrgast oder ein Rollstuhl aufgenommen<br />
wurde. Um diese geografische „Auflösung“<br />
zu gewährleisten, sendet das Fahrzeug<br />
alle zehn Minuten seine Position, im Unterschied<br />
zum Truck, bei dem dies nur<br />
alle 30 Minuten der Fall ist. „In der<br />
Praxis wären Fünf- oder Zwei-Minuten-<br />
Intervalle noch besser“, erläutert Werkstattmeister<br />
Pachonik. Bis Jahresende werden insgesamt<br />
27 Busse von BKW mit Fleet-Board laufen.<br />
„Die vollen Umfänge des Zeitwirtschaft-<br />
Moduls sind bei uns nicht sinnvoll, da wir<br />
im Stadtverkehr keine Fahrerkarten nutzen“,<br />
so Pachonik. Aber trotzdem spare die<br />
Massenspeicherauslese der Reisebusse einiges an<br />
Arbeit, die vorher regelmäßig manuell angefallen<br />
sei. Auf den mobilen Dispo-Piloten oder die seit<br />
neuestem verfügbaren Android- und iOS-Apps<br />
für Fahrer und Unternehmer angesprochen,<br />
winkt Pachonik lachend ab: „Das ist nun doch<br />
etwas zu modern für uns, das lassen wir erst<br />
mal auf uns zukommen.“ <br />
◼<br />
1 Ist der Fahrer partout mal nicht anders zu<br />
erreichen, kann ihm der Disponent bei<br />
Bedarf eine Systemnachricht direkt<br />
aufs Display in den Bus senden.<br />
2 Auch Fahrzeuge anderer Marken profitieren<br />
beim Service von der Telematikanbindung,<br />
allerdings können diese nur per<br />
FMS-2.0-Schnittstelle verbunden werden.<br />
2<br />
1<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>5
[ 94 ] FAHRZEUGE | Neoplan Tourliner L<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Neoplan Tourliner L [ 95 ]<br />
FAMILIEN-<br />
ANGELEGENHEIT<br />
Test: Der Neoplan Tourliner hat es auf dem deutschen Markt<br />
seit jeher schwer, sich als echter Neoplan durchzusetzen. Im<br />
elften Produktionsjahr kommt ein gereifter Reisebus zum Test.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
Wer nicht wirklich zur Familie gehört,<br />
hat es mitunter ein Leben lang schwer,<br />
sich zu etablieren. Das gilt häufig in der<br />
Fahrzeugwelt – so auch für den Neoplan Tourliner,<br />
das zweite Derivat eines MAN-Busses nach<br />
der Übernahme des traditionsreichen Stuttgarter<br />
Herstellers (der 2<strong>01</strong>5 sein 80-jähriges Jubiläum<br />
feiern würde) im Jahr 2002.<br />
Ein Neoplan aus Ankara? Ohne geteilte Frontscheibe<br />
und die traditionell um 19 Grad nach vorne<br />
geneigten Fensterholme? „Das geht gar nicht!“<br />
So schallte es den Verkäufern landauf, landab<br />
von den Kunden laut entgegen. Das Design<br />
des Reisewagens basiert zudem auf der letzten<br />
Neoplan-Generation und ist weit entfernt vom<br />
immer noch markenprägenden „Sharp Cut“-<br />
Konzept der späteren Modelle.<br />
Das liegt auch daran, dass der Tourliner vor allem<br />
in Märkten wie England oder der Türkei der<br />
Bus der Wahl ist. Seit dem vorzeitigen Ende des<br />
Luxusmodells Starliner trägt er gar die Bürde<br />
des einzigen rechtsgelenkten MAN/Neoplan-<br />
Fahrzeugs und ist auf der Insel dementsprechend<br />
präsent. Und so verkörpert der Tourliner<br />
dort tapfer das, was die Marke Neoplan schon<br />
immer ausgemacht hat: Luxus und Exklusivität.<br />
Als eher preiswert positionierter Reisebus (die Basisversion<br />
ist weit unter 300.000 Euro zu haben<br />
und auch der Testwagen knackte diese Marke<br />
nicht) ist der Tourliner hierzulande eher der ideale<br />
Kandidat für den boomenden Fernbusmarkt,<br />
der sich bisher bei der Schwestermarke MAN bediente<br />
oder aber gleich zum Cityliner griff. Warum<br />
also nicht aus der Not<br />
Das hat durchaus Vorteile, wie die große<br />
Frontscheibe, die für beste Sicht für den Fahrer<br />
sorgt, aber auch ein paar Nachteile, zum Beispiel<br />
lassen sich die Einzelspot-Scheinwerfer weder<br />
mit Xenon-Lampen noch Kurvenlicht aufrüsten.<br />
Insgesamt ist der Tourliner jedoch eine<br />
stattliche Erscheinung, die neu gezeichnete<br />
Bugmaske verleiht ihm zudem etwas mehr<br />
Dynamik als bisher.<br />
Bis heute sind die Verkaufszahlen des ersten<br />
türkischen Neoplan nicht unbedingt üppig zu<br />
nennen – 2.500 Fahrzeuge in mehr als zehn Jahren<br />
sind kein Mega-Erfolg. Gerade in Deutschland<br />
sieht man den Bus nicht oft auf den Straßen.<br />
eine Tugend machen, dachten sich wohl die MAN-<br />
Produktstrategen, und dem fernlinientaug lichen<br />
Tourliner in der Langversion mit einer 2+1-<br />
Bestuhlung einen Hauch von Luxus einhauchen,<br />
wie er in der Türkei oder Mexiko schon lange<br />
gang und gäbe ist. Ergebnis der ungewöhnlichen<br />
Übung: Der Raumeindruck des Fahrzeugs mit<br />
ebenem Boden (bisher das Privileg des Lion’s<br />
Coach) und üppigen 53 Zentimeter Gangbreite<br />
bei immer noch rund zwei Meter Stehhöhe<br />
ist famos und hat so gar nichts von einem<br />
Truppentransporter. In der langen Dreiachskonfiguration<br />
mit 13,80 Meter Länge kommen so bei<br />
Fünf-Sterne-Abstand immerhin noch 33 statt der<br />
sonst maximal möglichen 59 Sitze kommod im<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
[ 96 ] FAHRZEUGE | Neoplan Tourliner L<br />
2<br />
1<br />
3<br />
Fahrgastraum unter. Für eine Luxuslinie für Geschäftsleute<br />
ist das sicher o. k., wer aber mit jedem<br />
Sitzplatz rechnet, wird wohl eher abwinken.<br />
Neben dem ebenen Fußboden mussten im<br />
Fahrzeug noch andere konstruktive Anpassungen<br />
vorgenommen werden: So führt die letzte<br />
Stufe im vorderen Einstieg nicht schnurgerade in<br />
den Mittelgang, sondern ist leicht angeschrägt –<br />
gewissermaßen auf den etwas versetzten Laufgang<br />
zielend. Eine Halbierung der Gepäckablage<br />
über den Einzelsitzen ist hier im Gegensatz<br />
zum Lion’s Coach nicht nötig, weil die insgesamt<br />
rund zwei Kubikmeter fassenden Staufächer<br />
nicht so tief bauen wie beim Konzernbruder.<br />
Die hier erstmals für Deutschland verbauten, türkischen<br />
Brusa-Sitze verfügen über dreifach verstellbare<br />
Kopfstützen. Der Komfort der Luxussessel<br />
mit Flugzeugtischen ist durchaus gut zu<br />
nennen, allein an die Stabilität und Wertanmutung<br />
eines Kiel-Sitzes reichen sie dann doch<br />
nicht heran. Ein häufiger Kritikpunkt der vergangenen<br />
Jahre – die relativ unterkühlte Kunststoffdecke<br />
in Beige und Neoplan-Blau – kann<br />
sich für die Fernlinie schon in einen Vorteil verkehren:<br />
Im Fall des Falles kann diese einfach besser<br />
gereinigt werden als ein empfindlicher Stoffbezug.<br />
Ähnlich pragmatisch zu sehen ist auch<br />
die neue, vergrößerte Glova-Toilette mit einer<br />
Stehhöhe von rund 1,90 Metern und auf 150<br />
Liter vergrößertem Tankvolumen.<br />
Das stille Örtchen, jahrzehntelang eher<br />
in der Schmuddelecke vergessen, rückt<br />
durch die Fernlinie nun massiv in den<br />
Fokus – wie auch die bordeigene Versorgung<br />
mit schnellem WLAN und Steckdosen.<br />
Ein Hublift, der bei den MAN-Reisebussen über<br />
1 Der Fahrer weiß die freie Sicht ohne geteilte<br />
Neoplan-Frontscheibe zu schätzen.<br />
2 Gute Ergonomie und ein hochwertiges Multifunktionslenkrad<br />
zeichnen das Cockpit aus.<br />
3 Zu klein geraten ist das Touchscreen-Display<br />
des MMC. Neue, versetzbare Schalter.<br />
der Hinterachse montiert ist und die gesetzlichen<br />
Vorgaben für 2<strong>01</strong>6 erfüllen hilft, ist derzeit<br />
für den Tourliner leider noch nicht zu haben.<br />
Das sollte sich aber spätestens mit dem nächsten<br />
konstruktiven Eingriff, der 2<strong>01</strong>7 durch die<br />
2<br />
1 Die neue Glova-Fernlinientoilette bietet eine<br />
Stehhöhe von 1,90 Metern.<br />
2 Die pflegeleichte Kunststoffinnendecke und<br />
19-Zoll-Bildschirme sind Serie.<br />
3 Servicesets im Neoplan-Walzenstil bieten<br />
LEDs, aber keine separat verstellbaren Düsen.<br />
1<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Neoplan Tourliner L [ 97 ]<br />
1<br />
1 Die erstmals in Deutschland verfügbaren<br />
Brusa-VIP-Sessel haben vielfach verstellbare<br />
Kopfstützen.<br />
2 Dank der neuen 2+1-Bestuhlung mit besonders<br />
breiten Sitzen und einer guten Stehhöhe<br />
ist der Raumeindruck im Fahrzeug<br />
unschlagbar. 2<br />
neue Umsturzrichtlinie ECE R66/02 nötig wird,<br />
ändern. Dann wird MAN auch noch einmal an<br />
die seit Jahren etwas hohen Gewichte rangehen<br />
müssen. Da sind andere Hersteller besser und<br />
bieten sogar 13-Meter-Zweiachser an.<br />
Der große Vorteil der MAN/Neoplan-Plattformstrategie<br />
war und ist die hochwertige Antriebstechnik.<br />
Zwar profitiert der Tourliner ebenso<br />
wie der Lion’s Coach noch nicht vom moderneren<br />
Star-/Cityliner-Fahrwerk (besitzt also weder<br />
eine Einzelradaufhängung für die Nachlaufachse,<br />
den kurzen Überhang des Cityliner C noch<br />
CDS-Dämpfer), aber Motor und Getriebe sind<br />
aus dem konzerneigenen Hightech-Regal und<br />
gehören somit zum Feinsten, was auf dem Markt<br />
ist. Zudem wird ein adaptives, jedoch mechanisches<br />
Dämpfersystem von ZF zeitnah verfügbar<br />
sein. Der Testwagen ist mit dem D26-Aggregat<br />
mit 440 PS ausgerüstet, was bei dieser<br />
Konfiguration durchaus ausreichend ist. Zusätzlich<br />
stehen auch 480 PS zur Verfügung, dann mit<br />
Anzeige
[ 98 ] FAHRZEUGE | Neoplan Tourliner L<br />
Technische Daten Neoplan Tourliner L<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter Reihensechszylinder-Dieselmotor MAN D 2676 LOH<br />
30, stehend eingebaut, zweistufige Turboaufladung und Ladeluftkühlung,<br />
elektronisch gesteuerte Direkteinspritzung per Common Rail.<br />
Vier Ventile pro Zylinder. Abgasstandard Euro 6 mit AGR, SCR und<br />
DPF (S-CRTec).<br />
Bohrung/Hub<br />
126/166 mm<br />
Hubraum<br />
12.419 cm³<br />
Verdichtung 17 : 1<br />
Leistung<br />
324 kW (440 PS) bei 1.900/min<br />
Maximales Drehmoment 2.100 Nm bei 930–1.400/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Kupplung: Einscheiben-Trockenkupplung, Durchmesser 430 mm.<br />
Getriebe: automatisiertes 12-Gang-Schaltgetriebe MAN Tipmatic<br />
(ZF AS-Tronic) mit GPS-gestütztem Tempomat Efficient-Cruise mit vier<br />
individuell wählbaren Hysterese-Einstellungen.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang<br />
12. Gang<br />
12,33<br />
0,78<br />
Achsübersetzung<br />
R.-Gang 11,41<br />
3,15<br />
(alt. 3,42 /<br />
3,74)<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung an Mehrlenkerachse MAN VOS-08-B-<strong>01</strong>,<br />
zwei Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, max. Radeinschlag<br />
innen 56/52 Grad. Hinten starre Antriebsachse MAN<br />
HY-1350-B, Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, vier Luftfederbälge,<br />
vier Stoßdämpfer. Adhäsionsgelenkte, starre Nachlaufachse MAN<br />
NOL-06B-<strong>01</strong>. Geregelte Luftfederung. Reifengröße 295/80 R 22,5.<br />
BREMSANLAGE/SICHERHEITSSYSTEME<br />
Elektronisch geregelte pneumatische Zweikreis-Bremsanlage,<br />
innenbelüftete Scheibenbremsen rundum, ESP, ABS, ASR, BA,<br />
Zusatzbremse ZF Intarder mit 420 kW Bremsleistung. Notbremsassistent<br />
EBA 2 (Vollbremsung auf stehende Hindernisse), LGS (beides<br />
Serie ab 2<strong>01</strong>5), ACC, Reifendruckkontrolle TPM (beides Option).<br />
LENKUNG<br />
Hydraulische Lenkung ZF Servocom 8098 mit variabler, geschwindigkeitsabhängiger<br />
Übersetzung (22,2–26,2), Lenksäule in Höhe und<br />
Neigung verstellbar. Höhenverstellbares Multifunktionslenkrad.<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Gesamte Strecke<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude – Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Bad Liebenzell – Unterhaugstett<br />
Bergstrecke<br />
Unterhaugstett – Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Sindelfingen – AH Sulz*<br />
Autobahn A 8/A 81, mittel<br />
AH Sulz – Solitude<br />
Autobahn A 81/A8, leicht<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
CO 2<br />
/g pro Personen-km**<br />
Verbrauch Adblue l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
12,0<br />
33,6<br />
57,2<br />
35,5<br />
36,6<br />
55,5<br />
3,6<br />
99,2<br />
48,2<br />
23,6<br />
36,0<br />
53,4<br />
58,6<br />
23,1<br />
90,7<br />
68,9<br />
22,8<br />
83,0<br />
202,2<br />
28,8<br />
21,6/44,6<br />
ca. 1,4 L<br />
71,1<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
80/100 km/h, dB(A) 61/65 59/64,5 60/63,5<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 298.000<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 81.646<br />
Feste Kosten pro km Cent 102,06<br />
Variable Kosten pro km Cent 59,44<br />
Gesamtkosten pro km Cent 161,50<br />
Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko<br />
100 Prozent, jährliche Laufleistung 60.000 km, Nutzungsdauer 72 Monate<br />
* Messung erst ab Kreuz Stuttgart aufgrund von Stau, **volle/halbe Auslastung<br />
D<br />
ELEKTRIK/MULTIMEDIA<br />
Spannung 24 Volt, drei Drehstromgeneratoren à 120 A, zwei<br />
Batterien 12 V/225 Ah. Infotainmentsystem „Multi Media Coach<br />
Advanced“ inkl. Navigation und Fünf-Zoll-Touchscreen, Aux-In,<br />
Blootooth, USB, drei Deckenbildschirme 19 Zoll, motorisch<br />
versenkbar. 4G-WLAN-Router verbaut. 230-V-Steckdosen, je Sitzreihe<br />
2 Stück.<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Vollautomatisch geregelte Konvekta-Aufbau-Klimaanlage mit<br />
integrierter Dachheizung, Kälteleistung 33 kW, Heizleistung 40 kW.<br />
Lufteintritt über Dachkanäle mit Ausströmern über den Fenstern und<br />
Gepäckablagen, nicht individuell verstellbare Walzenbelüftung.<br />
Zwangsentlüftung über zwei Dachluken. Separate Fahrerplatzklimatisierung,<br />
Kälteleistung 6 kW, Heizleistung 17,6 kW. Warmwasserheizung<br />
für Fahrgastraum, Heizleistung 13,3 kW, Warmluftkonvektoren.<br />
Standheizung Spheros Thermo, Leistung 35 kW.<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
22.000 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht 15.925/19.060 kg<br />
Zul. Gesamtgewicht 25.530 kg<br />
Gepäckraum (mit Schlafkabine) 8,7 m³<br />
Volumen Kraftstofftank 525 +180 l<br />
Volumen Adblue-Tank 35 l<br />
A<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
13.800/2.550 mm<br />
Höhe<br />
3.800 mm<br />
B Radstand 1/2<br />
6.600/1.470 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 2.680/3.050 mm<br />
D Sicht-/Stehhöhe 1.904/2.100 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten 349/349 mm<br />
F Fußbodenhöhe 1.497 mm<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitzplätze maximal<br />
Testwagen (fünf Sterne, 2+1)<br />
B<br />
59+1+1<br />
33+1+1<br />
E<br />
A<br />
B<br />
F<br />
WERTUNG<br />
Hochwertige Aggregate aus dem MAN-Baukasten;<br />
günstiger Preis; guter Verbrauch durch<br />
neues Effizienz-Schaltprogramm; beste<br />
Raumverhältnisse mit 2+1-Bestuhlung; gute<br />
Sichtbedingungen für den Fahrer; EBA2<br />
Design nicht mehr aktuell; kein Kompaktheck<br />
oder Einzelradaufhängung für Nachlaufachse;<br />
Eco-Roll-Funktion für Getriebe, Regen- und<br />
Lichtsensor, Rollstuhllift noch nicht verfügbar;<br />
Displays im Cockpit schlecht ablesbar<br />
PREIS<br />
Grundpreis/Testwagen Euro 260.000/298.000<br />
C<br />
E<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
2<br />
1 Der recht große Gepäckraum des Dreiachsers<br />
lässt sich dank Hubklappen und hohem<br />
Fußboden sehr angenehm beladen.<br />
2 Leider nur von innen zugänglich sind die<br />
praktischen Stauräume über den Achsen.<br />
1<br />
satten 2.300 statt 2.100 Newtonmeter maximalem<br />
Drehmoment. Im Falle der Komplettbestuhlung<br />
mit 54 oder 59 Sitzen ist dieses Kraftpaket<br />
sicher die bessere Wahl. In beiden Fällen sorgen<br />
die Common-Rail-Einspritzung, zweistufige<br />
Turboaufladung und ein Zweimassenschwungrad<br />
für beste Geräuschwerte auch im Innenraum.<br />
Beim Testwagen machte sich die Vorderachse<br />
zwar etwas vorlaut bemerkbar, Grund<br />
hierfür seien aber die Bremssättel, die in der<br />
Serie bereits getauscht worden seien, so MAN.<br />
Das automatisierte Zwölf-Gang-Getriebe von ZF<br />
trägt sein Scherflein zum guten Durchschnittsverbrauch<br />
bei, verfügt es doch über eine feine Spreizung<br />
der zwölf Gänge, die nunmehr schnell und<br />
ruckfrei gewechselt werden. Zum mittlerweile<br />
üblichen Technik-Arsenal gesellt sich der neue,<br />
Efficient-Cruise genannte GPS-Tempomat, der<br />
Topografiedaten in die Schaltstrategie einbezieht<br />
und so ein paar Prozente Diesel einspart. Er<br />
kommt im Efficient-Paket mit langer Achse und<br />
Alufelgen unter anderem für rund 7.600<br />
Euro oder separat für schmale 1.100 Euro.<br />
Sodann heißt es vollautomatisch: vor<br />
dem Berg Schwung holen, kurz vor der<br />
Kuppe den Gang rausnehmen und nach dem<br />
Berg den Schwung so lange wie möglich ausnutzen<br />
– und das ohne Zutun des Fahrers!<br />
Leider bietet das Getriebe noch keine Eco-<br />
Roll-Funktion, die das Segeln in Neutralstellung<br />
ermöglicht. Diese wird erst 2<strong>01</strong>6 angeboten, es<br />
ist zu hoffen, dass dies dann mit dem Wechsel<br />
zum ZF-Traxon-Getriebe einhergeht. Die Voreinstellung<br />
der sogenannten Hysterese – also die<br />
obere und untere Begrenzung der Geschwindigkeitsabweichung<br />
von der Setzgeschwindigkeit<br />
– liegt standardmäßig bei -6/+5 km/h. Sie<br />
kann jedoch vom Fahrer manuell in alternativen<br />
Eco-Levels verändert werden. Wer eine höhere<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit bei starkem Verkehr<br />
erreichen will, wählt eher -3/+3 km/h, wer<br />
maximales Sparpotenzial auskosten will, greift<br />
zu -9/+6 km/h. Das MAN-System verhindert<br />
dabei zuverlässig längere Überschreitungen der<br />
Toleranz und somit den gerichtsfesten Eintrag<br />
auf der Fahrerkarte. Durchdachtes Management!<br />
Weniger gefallen Zusatzdisplay und Navigationsmonitor:<br />
Beide sind zu klein, die Farbgebung<br />
des Displays zwischen den gut ablesbaren<br />
Uhren hinter dem Lenkrad ist zudem derart<br />
dezent, dass man schon genau hinsehen muss,<br />
um etwas zu erkennen. Zudem sind einige wichtigen<br />
Bedienelemente links neben dem Lenkrad<br />
außerhalb des direkten Sichtbereichs platziert<br />
– allerdings kann man die Schalter wie<br />
bei Mercedes blockweise umstecken. Ähnliche<br />
Flexibilität bietet auch die Sitz-Konfiguration:<br />
Sollte sich der Neoplan aus der Standard-<br />
Klasse im Luxus-Segment nicht ganz heimisch<br />
fühlen, kann er jederzeit auf 2+2-Bestuhlung<br />
umgerüstet werden und als braves Arbeitspferd<br />
der Neoplan-Familie seinen Dienst tun. ◼<br />
1<br />
2<br />
1 Glanzstück: Der<br />
MAN D26 mit 440<br />
PS und 2.100<br />
Nm liefert gute<br />
und flüsterleise<br />
Performance im<br />
Tourliner.<br />
2 Lidstrich: Trotz<br />
des neuen Bugdesigns<br />
ist kein<br />
Xenonlicht<br />
verfügbar.<br />
3 Designermode:<br />
Als einer der<br />
ersten Reisebusse<br />
brillierte<br />
der Neoplan mit<br />
LED-Leuchten<br />
am Heck.<br />
3<br />
Late-Liner<br />
Er mag nicht die<br />
Sportlichkeit des<br />
Cityliner oder die<br />
Exklusivität des<br />
Starliner vorweisen,<br />
aber der Tourliner<br />
ist ein solider<br />
Reisebus mit echten<br />
Nehmer-Qualitäten.<br />
Mit diesen Testredakteur<br />
Thorsten Wagner,<br />
willkommenen Eigenschaften, gepaart mit<br />
den neuesten Assistenz- und Spritspar-<br />
Systemen aus dem Konzern sollte der Erfolg<br />
des Auslandsabsatzes auch in Deutschland<br />
nachzumachen sein. Aber es fehlt dem Tourliner<br />
wie den anderen Modellen aus dem<br />
Hause MAN heute an Aktualität. Denn auch<br />
der Buskunde freut sich über Innovationen –<br />
wie man es von Neoplan schon jeher kannte.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
[ 100 ] FAHRZEUGE | Projekt Electri-City von Volvo<br />
STILLE REVOLUTION<br />
Elektromobilität: Als einer der Vorreiter in Sachen Elektromobilität zeigt Volvo Buses mit dem<br />
Projekt Electri-City in Göteborg, wie ein komplettes Elektrobussystem aussehen kann.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: THORSTEN WAGNER, VOLVO<br />
Busse wurden schon auf die ungewöhnlichsten<br />
Arten der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />
Pomp, Blitz und Donner sind oft<br />
mit von der Partie. Da mutet es fast seltsam<br />
an, wenn Volvo das Publikum in Göteborg<br />
in eine veritable Stadtbücherei einlädt, selbst<br />
wenn sie in einem Pavillon im „Volvo Ocean<br />
Race Village“ untergebracht ist.<br />
Wer hier Tusch und Tara erwartet, wird enttäuscht.<br />
Im hinteren Bereich öffnen sich seitliche<br />
Rolltore und lautlos gleitet ein Bus in die Halle.<br />
Es handelt sich um einen ganz besonderen<br />
Bus, das wird schnell klar: minimaler Überhang<br />
vorne, ein riesiger Radstand von sieben Metern,<br />
zwei breite Türen im Format eines Scheunentors<br />
sowie ein hoher Dachaufbau. Zudem sitzt<br />
der Fahrer in der Mitte. Die großen Schiebetüren<br />
öffnen sich elektrisch, Passagiere steigen staunend<br />
ein und aus und so schnell und lautlos<br />
wie er kam, surrt der Volvo auch schon wieder<br />
auf Linie.<br />
Volvo Buses hat sich seit einigen Jahren konsequent<br />
der Elektromobilität verschrieben<br />
und sein Portfolio an elektrifizierten Bussen<br />
kontinuierlich ausgebaut – oder wie<br />
Håkan Karlsson, Vice President der Volvo<br />
Group, es vollmundig ausdrückt: „Wir<br />
haben uns entschieden, in diesem Bereich<br />
führend zu sein.“<br />
Bereits mehr als 2.000 dieselelektrische<br />
Hybridbusse von Volvo laufen auf der ganzen<br />
Welt – in Europa werden seit 2<strong>01</strong>2 überhaupt<br />
keine reinen Dieselbusse mehr verkauft. Im letzten<br />
Herbst wurden zudem weiterentwickelte<br />
Plug-in-Hybride oder „Electro-Hybride“, wie<br />
sie Volvo nennt, vorgestellt. Einige von ihnen<br />
hat auch die Stadt Hamburg in Dienst genommen.<br />
In einer weiteren Evolutionsstufe zeigt<br />
Volvo nun als einer der ersten großen Her steller<br />
einen reinen Elektrobus, wenn auch noch als<br />
Konzeptfahrzeug. Die ersten Serienfahrzeuge<br />
sollen 2<strong>01</strong>7 folgen.<br />
„Die Eine-Million-Dollar- Frage ist doch, wie<br />
wir einen nachhaltigen und sauberen Nahverkehr<br />
realisieren können“, betont Karlsson auf<br />
dem Galaabend vor den aus aller Welt angereisten<br />
Gästen. Und dies ist nach der Ansicht<br />
der Schweden nicht mehr ohne die Betrachtung<br />
der gesamten städtebaulichen Struktur zu<br />
bewerkstelligen.<br />
Der Ansatz des vor zwei Jahren aus der<br />
Taufe gehobenen und auf drei Jahre ausgelegten<br />
Projektes „Electri-City“ mit zehn Omnibus-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Projekt Electri-City von Volvo [ 1<strong>01</strong> ]<br />
1 Das etwas überfrachtete Cockpit des Volvo-<br />
Konzeptbusses ist mittig platziert.<br />
2 Durch zwei extrem große Türen können bis<br />
zu 86 Passagiere in den sehr geräumigen<br />
Innenraum zusteigen. 2<br />
1<br />
sen (sieben Busse davon besitzen einen Plugin-Hybridantrieb)<br />
ist es denn auch, mit rund<br />
14 verschiedenen Partnern ein einheitliches System<br />
zu liefern, von der Lade- und Haltestelleninfrastruktur<br />
über den Service und die Wartung<br />
bis hin zur Verkehrssteuerung.<br />
Damit wird aus einem reinen Fahrzeughersteller<br />
unversehens ein Lieferant von<br />
schlüsselfertigen Verkehrssystemen, wie es<br />
Jessica Sandström, Leiterin des Bereiches<br />
City Mobility bei Volvo Buses, beschreibt. „Was<br />
mich an dem Projekt so fasziniert, ist die Tatsache,<br />
dass wir damit wirklich etwas bewegen<br />
können für die nachhaltige Mobilität“, erklärt<br />
Jessica Sandström weiter (siehe Interview auf<br />
Seite 66 links). Aber selbst ein so visionäres Konzept<br />
sollte nicht die Kosten aus dem Blick verlieren.<br />
Volvo hat zusammen mit der Unterneh-<br />
Anzeige
[ 102 ] FAHRZEUGE | Projekt Electri-City von Volvo<br />
Alles aus einer Hand<br />
Interview: Vom Fahrzeughersteller<br />
zum Systemlieferanten – Volvo wagt es.<br />
Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
Jessica Sandström leitet den<br />
Bereich City Mobility bei Volvo.<br />
?: Welche Rolle<br />
spielt die Abteilung<br />
„City<br />
Mobility“ bei<br />
Volvo Buses?<br />
Sandström: Wir<br />
arbeiten mit<br />
den regionalen<br />
Vertriebsteams<br />
zusammen<br />
und<br />
bringen das<br />
Wissen und<br />
die Erfahrung<br />
unserer weltweiten<br />
Arbeit<br />
mit ein. Mit<br />
den daraus<br />
entstehenden<br />
Projekten gehen<br />
wir dann<br />
auf die Politik zu. Wir sind so von einem reinen<br />
Fahrzeuglieferanten zu einem Lieferanten schlüsselfertiger<br />
Gesamtsysteme geworden.<br />
?: Wie unterscheidet sich denn der Vertrieb des<br />
Elec tri-City-Projektes von dem des Standard-<br />
Hybrid busses 7900?<br />
Sandström: Nun, Hybridbusse kann man immer<br />
noch ohne die entsprechende Infrastruktur über<br />
den normalen Tenderprozess verkaufen. Aber<br />
wenn auch Ladestationen für den Betrieb nötig<br />
sind, muss man klären, wer diese zahlt und<br />
betreibt. Das erfordert eine Kooperation mit den<br />
potenziellen Kunden und einen Austausch über<br />
unterschiedliche Betreibermodelle.<br />
?: Was wird künftig der Haupttreiber sein, um solche<br />
Projekte zu verwirklichen?<br />
Sandström: Wir müssen unsere Vorstellung von<br />
Lebensqualität und Luxus ändern, genau das<br />
kann uns mit einem attraktiv gestalteten ÖPNV<br />
gelingen. Dazu muss der Bus zum Passagier kommen<br />
und nicht umgekehrt.<br />
?: Wie spiegelt sich das im Electri-City-Projekt wider?<br />
Sandström: Wir wollen mit dem Ansatz der lärmberuhigten<br />
Innenraum-Haltestellen demonstrieren,<br />
wie so etwas konkret zu realisieren ist.<br />
?: Wann werden wir vor allem in der Stadt rein<br />
elektrisch fahren?<br />
Sandström: Das wird in der Fläche sicher noch<br />
20 bis 25 Jahre dauern, denke ich. In den Innenstädten<br />
wird es aber bald kaum noch vermittelbar<br />
sein, weiterhin mit nicht emissionsfreien und<br />
lauten Bussen zu fahren.<br />
mensberatung KPMG die sogenannten „True<br />
Total Cost of Ownership“ (TCO) errechnet,<br />
also die während des Betriebs entstehenden<br />
tatsächlichen Kosten eines Fahrzeuges, inklusive<br />
des Verbrauchs von Ressourcen, der sozioökonomischen<br />
Kosten sowie der eventuell<br />
vorhandenen Steuervorteile.<br />
Volvo-Bus-Chef Håkan Agnevall (rechts) und<br />
Vice President Håkan Karlsson.<br />
Bei einem TCO-Wert von zunächst zusätzlichen<br />
23.000 Euro jährlich durch höhere<br />
Leasingkosten kommen die KPMG-Experten insgesamt<br />
auf einen Betrag von 27.000 Euro, der<br />
sich durch einen Elektrobus jährlich einsparen<br />
lässt. „Das macht addiert für eine Stadt wie<br />
Göteborg mit ihren derzeit 530.000 Einwohnern<br />
eine Gesamtersparnis von elf Millionen Euro sowie<br />
33.000 Tonnen weniger CO 2<br />
-Emissionen pro<br />
Jahr“, resümiert Niklas Gustafsson, seit 2<strong>01</strong>5<br />
„Chief Sustainability Officer“ bei Volvo.<br />
Einsparungen von 17.000 Euro der TCO<br />
sind dabei für die erhöhten Taktzeiten und den<br />
verbesserten Fahrgastfluss durch das innovative<br />
Fahrzeugkonzept berücksichtigt. Diese Zahlen<br />
müssen in der Praxis aber erst noch verifiziert<br />
werden.<br />
An der begleitenden Forschung ist auch<br />
die Göteborger Universität Chalmers beteiligt.<br />
Sie untersucht zum Beispiel die Akzeptanz<br />
der „Indoor-Haltestelle“, die im Rahmen<br />
eines Transport Labs auf dem Science Campus<br />
Lindholmen eingerichtet wurde. Von hier aus<br />
gehen die zehn Busse auf ihre jeweils zehn Kilometer<br />
langen Linien zum Partnercampus durch<br />
die Göteborger Innenstadt.<br />
In dem ansprechenden Gebäude aus Holz<br />
und mit viel Glas fahren die Omnibusse brav<br />
aufgereiht in einer Spur ein und starten wieder<br />
von dort wie in einem Drive-in-Restaurant.<br />
Eine elegante Lösung, um nicht nur die<br />
Fahrgäste, sondern auch die empfindliche Ladetechnik<br />
vor dem rauen skandinavischen<br />
Wetter zu schützen. „Aber diese Busstops<br />
können noch viel mehr sein“, erläutert Mari<br />
Anne Karlsson, Professorin für „Human<br />
Factors Design“ an der Chalmers Universität.<br />
Die Wissenschaftlerin ist auch für die<br />
begleitenden Studien von Electri-City verantwortlich.<br />
Sie werden teilweise vom<br />
europäischen EBSF2-Projekt („European Bus-<br />
System of the Future“) finanziert.<br />
„Es sollen Orte der Zusammenkunft und Kommunikation<br />
sein, ohne feste Trennung zwischen<br />
Arbeits- und Freizeit“, sagt Mari Anne<br />
Karlsson. Ganz nebenbei könne man gemütlich<br />
Kaffee trinken oder ein DHL-Pakt abholen. Wie<br />
alle neuen Electri-City-Haltestellen ist auch<br />
diese besonders lärmreduziert. Schließlich gehen<br />
tiefgreifende Revolutionen meist lautlos über<br />
die Bühne.<br />
◼<br />
Die überdachte Haltestelle bietet ein lärmarmes Umfeld und attraktive Angebote.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
[ 104 ] MÄRKTE | Iveco-Bus-Standort in Tschechien<br />
TRADITION HAT ZUKUNFT<br />
Busfertigung: Iveco Bus verleibte sich so namhafte Marken wie Berliet, Chausson, Renault und<br />
Magirus-Deutz ein. Basis des Erfolgs heute sind aber vor allem die tschechischen Wurzeln.<br />
TEXT: RÜDIGER SCHREIBER<br />
FOTOS: RÜDIGER SCHREIBER, IVECO<br />
Zum Geburtstag haben die Italiener für den<br />
wohl wichtigsten Standort ihrer Bussparte<br />
ein Geschenk ausgepackt: ein eigenes Bus<br />
Design Center! Im tschechischen Vysoké Mýto<br />
will Iveco den Omnibus im wahrsten Sinne des<br />
Wortes erlebbar machen. Alles, was Kunden bei<br />
der Ausstattung des Crossway festlegen können,<br />
ist hier zum Greifen nahe. Unterschiedliche Stoffe,<br />
Sitze und Boden- sowie Wandbeläge können<br />
genauso wie Lackmuster nach Gusto für einen<br />
ersten Eindruck zusammengestellt werden.<br />
Auch Probesitzen ist dort möglich. Da das<br />
Gebäude über zwei Etagen reicht, gibt es genügend<br />
Platz, mehrere Sitzreihen entsprechend der<br />
gewünschten Sitzabstände darzustellen. Und<br />
selbstverständlich legen die beratenden Designer<br />
auch noch den passenden Bodenbelag, den<br />
sich der Kunde ausgesucht hat, in das begehbare<br />
Innenraummodell. Ein kleines Display im<br />
Sitzrücken zeigt an, wie viele Sitzplätze mit dem<br />
vorgegebenen Abstand in Abhängigkeit von der<br />
gewählten Fahrzeuglänge verfügbar sind.<br />
Neben virtuellem Erleben mit Hilfe von dreidimensionalen<br />
Computer-Animationen setzt man<br />
bei Iveco auch auf Traditionelles. Mit dieser Philosophie<br />
kann der Standort in Tschechien mittlerweile<br />
auf 120 Jahre Erfahrung zurückblicken.<br />
Was unter Josef Sodomka mit einer Stellmacherei<br />
und Kutschen begann, ist heute auf<br />
einer Fläche von mehr als 225.000 Quadratmetern<br />
einer der größten Nutzfahrzeug-Produktionskomplexe<br />
in Mittel- und Osteuropa – und<br />
für Iveco der wichtigste Bus-Produktionsstandort<br />
in Europa.<br />
Der italienische Konzern ist ein wichtiger Arbeitgeber<br />
in der Tschechischen Republik. In Vysoké<br />
Mýto beschäftigt Iveco Bus mehr als 3.000<br />
Mitarbeiter. Rechnet man die zuliefernden Betriebe<br />
in der Region mit, dann kommen noch<br />
weitere 1.700 Arbeiter dazu. Und es sollen nach<br />
Ansicht von Pierre Lahutte, Präsident der Marke<br />
Iveco, noch mehr werden: „Wir sind sehr stolz<br />
darauf, dass wir heute in der Lage sind, mit dem<br />
120. Geburtstag auch noch ein kontinuierliches<br />
Wachstum zu feiern.“ 2<strong>01</strong>4 seien in Vysoké Mýto<br />
3.288 Omnibusse produziert worden. 94 Prozent<br />
der Fahrzeuge davon seien exportiert worden.<br />
Der größte Markt für den Bestseller namens<br />
Crossway ist aber laut Lahutte nach wie vor<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | Iveco-Bus-Standort in Tschechien [ 105 ]<br />
Frankreich. Zum Jubiläum wurde dann auch der<br />
120.000. an diesem Standort gefertigte Omnibus<br />
an einen Unternehmer aus Frankreich übergeben.<br />
Veränderungen bahnen sich womöglich an.<br />
Deutschland holt laut Lahutte immer mehr auf.<br />
Hier seien es vor allem die Großbestellungen,<br />
die ins Gewicht fallen würden. Platz drei belegt<br />
der Benelux-Raum, auch hier sei der Crossway<br />
mehr denn je gefragt, sagt Lahutte.<br />
Der Erfolg beruhe auf ständigen Investitionen,<br />
erklärte Lahutte. Besonders auf die kathodische<br />
Tauchlackierung ist man bei Iveco stolz.<br />
Doch nicht nur das: Wer die Fertigung vor Jahren<br />
schon einmal gesehen hat, dem fallen die<br />
vielen neuen computergesteuerten Arbeitsplätze<br />
auf. Und Sylvain Blaise macht als Bus-Chef<br />
von Iveco keinen Hehl daraus, dass so die Produktivität<br />
erhöht wurde, weil die Fertigung nun<br />
flexibler reagieren könne.<br />
Wer mit dem Standort in Tschechien nur die verschiedenen<br />
Crossway-Modelle in Verbindung<br />
bringt, der irrt. Der Urbanway wird zusätzlich<br />
zu Frankreich in Vysoké Mýto gefertigt. Und<br />
neben Omnibussen laufen auch Komponenten<br />
1 Im Design-Center lassen sich Ausstattungen<br />
für einen ersten Eindruck zusammenstellen.<br />
2 Von der Tauchlackierung bis zum Schweißroboter:<br />
am Standort ist alles vorhanden.<br />
3<br />
für andere Iveco-Fahrzeuge vom Band – vom<br />
einzelnen Bauteil bis zum Kabelbaum ist vieles<br />
möglich.<br />
Die größte Produktivität hat neben den Omnibussen<br />
aber die Abteilung der Fahrgastsitze.<br />
Waren es vor fünf Jahren 110.812 Fahrgastsitze,<br />
so sprang deren Anzahl im vergangenen Jahr<br />
auf 168.<strong>01</strong>2. Auch das ist zweifelsohne eine Leistung,<br />
die Iveco feiern kann. Im Mittelpunkt des<br />
„Der Erfolg der Fabrik in Vysoké Mýto und des<br />
Crossway beruht auf ständigen Investitionen“<br />
1<br />
Jubiläums stand aber die Crossway-Baureihe,<br />
die europaweit in ihrem Segment führend ist.<br />
Seit der Hersteller die Baureihe 2006 vorgestellt<br />
hat, konnte Iveco nach eigenen Angaben<br />
über 24.000 Fahrzeuge absetzen. Mittlerweile hat<br />
auch der Wettbewerb dieses Marktsegment für<br />
sich entdeckt, doch Iveco ist schon wieder einen<br />
Schritt vorausgeeilt. Kein anderer Hersteller kann<br />
in einem Überlandbus-Bereich mit fast 13 Metern<br />
auf zwei Achsen 63 Sitzplätze anbieten.<br />
Für den Antrieb stehen zwei Motoren bereit,<br />
die wahlweise mit einer Leistung von 235 kW<br />
(320 PS, Tector 7) oder 265 kW und 294 kW (360<br />
PS und 400 PS, Cursor 9) erhältlich sind. Dabei<br />
soll es aber nicht bleiben. Iveco hat einen<br />
Crossway mit Erdgasmotor angekündigt. Hier-<br />
2<br />
3 Jubiläumsfahrzeug: Der 120.000. Iveco<br />
Crossway geht an das französische<br />
Unternehmen Voyages Inglard.<br />
Ohne Herkunft keine Zukunft<br />
Interview: Sylvian Blaise, Leiter<br />
Global Bus bei CNH Industrial.<br />
Das Gespräch führte Rüdiger Schreiber.<br />
?: Iveco Bus vereint viele<br />
namhafte Unternehmen<br />
und Marken unter einem<br />
Dach. Welche Vorteile ergeben<br />
sich daraus für den<br />
Bau von Omnibussen?<br />
Blaise: Synergie! Denken<br />
Sie nur alleine an<br />
die forschungsintensive<br />
Motorentechnik.<br />
Hier profitieren alle<br />
CNH-International-Unternehmen<br />
von den großen<br />
Stückzahlen des ziehen bei den<br />
Blaise: „Nach-<br />
Gesamtkonzerns – sowohl<br />
in Sachen Tech-<br />
Spezialitäten.“<br />
nik als auch bei den Kosten.<br />
?: Fast 15 Jahre engagiert sich Iveco Bus in Tschechien.<br />
Welche Bedeutung hat der Standort Vysoké<br />
Mýto heute für die Marke Iveco Bus?<br />
Blaise: Vysoké Mýto ist als Produktionsstandort<br />
des Bestsellers Crossway ein unverzichtbarer<br />
Bestandteil der Busaktivitäten. Es ist zudem<br />
eines der modernsten Werke im Konzern.<br />
?: Seit 2006 haben Sie schon mehr als 24.000 Einheiten<br />
des Crossway in Tschechien gefertigt, seit<br />
Werksgründung sogar schon über 120.000 Busse.<br />
Was macht den Erfolg des Standortes aus?<br />
Blaise: Das ist die Modernität des Standorts,<br />
aber auch die schiere Größe und das über<br />
Jahrzehnte gewachsene Know-how der Belegschaft.<br />
Vysoké Mýto steht seit 120 Jahren<br />
für industrielle Produktion und für eine außerordentliche<br />
Expertise im Busbau.<br />
?: Die letzte Investition ist das eben vorgestellte<br />
Iveco Bus Design Center. Was kommt als Nächstes?<br />
Blaise: Iveco Bus verfügt derzeit über das<br />
wohl modernste Busprogramm in der Wettbewerbslandschaft.<br />
Wir müssen dieses Programm<br />
jetzt auch mit Spezialitäten bedienen,<br />
weil wir aufgrund der sehr guten Auftragslage<br />
zunächst die Volumenmodelle bedient haben.<br />
Aber Sie können sich vorstellen, dass wir<br />
bereits über die aktuelle Generation hinaus<br />
denken. Sowohl in Sachen Design als auch bezüglich<br />
künftig geforderter Antriebe.<br />
?: Vor 120 Jahren begann der Fahrzeugbau in<br />
Vysoké Mýto, seit 1928 werden am Standort Omnibusse<br />
gebaut. Wie sehen Sie die Zukunft für<br />
Iveco Czech Republic?<br />
Blaise: Vysoké Mýto ist und bleibt ein unverzichtbares<br />
Juwel in unserem europäischen<br />
Produktionsverbund. Auch die traditionell<br />
dem Busbau verbundenen Unternehmen<br />
in der Peripherie spielen dabei eine Rolle.<br />
Und nicht zuletzt zählt die Nähe zu vielen<br />
Märkten.
[ 106 ] MÄRKTE | Iveco-Bus-Standort in Tschechien<br />
2<br />
für wird man auf den 7,8-Liter-Cursor-8 mit 213<br />
kW (290 PS) zurückgreifen. Und weil alle Beteiligten<br />
bei der Geburtstagsfeier so guter Stimmung<br />
waren, gab es erste Informationen, dass<br />
die Baureihe weiteren Zuwachs erfahren werde.<br />
Ein Dreiachser sei schon in der Vorbereitung.<br />
Laut nachgedacht hätte man aber bisher<br />
nur über einen Hochdecker auf Crossway-Basis.<br />
Mit einem solchen Fahrzeug würde sich Iveco<br />
aber selbst Konkurrenz machen, denn in diesem<br />
Bereich ist man mit dem Magelys schon im Geschäft.<br />
Und der wird in Frankreich gebaut, in<br />
einem Werk, dass zwar nicht an die Zahlen des<br />
tschechischen Standorts herankommt, aber auch<br />
Wurzeln in der Vergangenheit des Busbaus hat.<br />
1<br />
3<br />
1 Osteuropäische Klassiker NO 80 (1961),<br />
Skoda RTO (1958), Karosa 11 (1968).<br />
2 Landauer von 1906: Josef Sodomka legte<br />
schon 1895 in Vysoké Mýto den Grundstein.<br />
3 Die Omnibusse der 700er-Baureihe waren<br />
mit 37.000 Exemplaren ein Bestseller.<br />
Die aerodynamischen Isobloc-Omnibusse von<br />
Joseph Besset wurden hier gefertigt.<br />
Um auf die Tradition des Bausbaus bei Iveco<br />
hinzuweisen, haben die Verantwortlichen auf<br />
dem tschechischen Werksparkplatz eine stattliche<br />
Zahl historischer Omnibusse versammelt:<br />
Sodomka, Skoda und Karosa – alles bedeutende<br />
Marken, die für den Standort Vysoké Mýto<br />
stehen. Seit 1895 steht hier laut Iveco die Wiege<br />
des modernen Omnibusses. 1928 wurde der<br />
erste Bus gebaut, damals noch unter der Marke<br />
Sodomka und auf einer Skoda-Basis.<br />
Was klein begann, wuchs mit politischer Unterstützung:<br />
So war VEB Karosa Sodomka dann<br />
im Jahr 1948 der einzige Hersteller von Omnibussen<br />
in der damaligen Tschechoslowakei. Anfang<br />
der 90er-Jahre wurde Karosa privatisiert und von<br />
Renault Véhicules Industriels übernommen. 1999<br />
wurde das Unternehmen dann Teil von Irisbus.<br />
Seit 2007 firmiert der Busfabrik in Vysoké Mýto<br />
als Iveco Czech Republic. 2<strong>01</strong>5 schließlich kann<br />
das Werk auf 120 Jahre zurückblicken. Pünktlich<br />
zum Geburtstag lässt Iveco die Sonderserie „120<br />
Jahre Vysoké Mýto“ des Crossway auflegen. ◼<br />
1<br />
1 Iveco Crossway Linie: je nach Länge 47 bis<br />
59 Sitzplätze. Die zweiflügelige Tür ist Option.<br />
2 Crossway Pro: Überlandausführung auch mit<br />
reisebustypischen Merkmalen.<br />
2<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
[ 108 ] FAHRZEUGE | Neuheiten vom UITP-Kongress 2<strong>01</strong>5<br />
STROMLINIE<br />
Messetrends: In der Weltausstellungsstadt Mailand traf sich der<br />
Weltverband der Verkehrsunternehmen. Elektroantriebe und Gasmotoren<br />
standen im Fokus der Hersteller und Busbetreiber.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: TEMSA, VAN HOOL, VDL<br />
So ganz entscheiden können sich manche<br />
Hersteller nicht: Nutzen sie den vom internationalen<br />
Verband für öffentliches<br />
Verkehrswesen alle zwei Jahre veranstalteten<br />
Kongress nun als Messe oder schlicht als Kommunikations-<br />
und Netzwerk-Plattform mit Kunden<br />
und Presse? Gezeigt werden daher wenige<br />
Fahrzeuge und nur selten echte Weltpremieren,<br />
auch wenn die norditalienische Metropole derzeit<br />
die Weltausstellung beherbergt. Was nicht<br />
heißt, dass auf der Veranstaltung, die zudem<br />
noch viele Vorträge zu verschiedenenVerkehrsthemen<br />
bietet, nicht spannende<br />
Fahrzeuge zu sehen sind.<br />
Länge ist definitiv ein Trend<br />
dieses UITP-Kongresses. Der<br />
21 Meter lange Mercedes<br />
Capa-City-Vierachser (Heft<br />
1-2/2<strong>01</strong>5) bietet im Messetrimm<br />
fünf Türen und attraktives,<br />
optisches Beiwerk, das<br />
vor allem in Frankreich gerne<br />
gesehen und gekauft wird.<br />
Platz bietet der Lulatsch für rund 189 Fahrgäste.<br />
Im Heck werkelt noch ein Dieselmotor,<br />
auch wenn Daimler sein neues, mit 7,7<br />
Litern recht schlankes CNG-Aggregat mitgebracht<br />
hat, welches 302 PS sowie 1.200 Newtonmeter<br />
leistet. Obwohl der Trend zum Elektroantrieb<br />
auch in Mailand unverkennbar war,<br />
spielen die serienreifen und umweltfreundlichen<br />
Gasmotoren weiterhin eine nicht zu vernachlässigende<br />
Rolle. Neben Mercedes stellte<br />
auch Iveco seinen erst kürzlich renovierten<br />
Stadtbus Urbanway mit einem Gasmotor auf<br />
den Stand. Auch er ist als Cursor 8 mit 7,8<br />
Liter Hubraum eher kleinvolumig ausgelegt.<br />
Eine echte Neuheit hatte der niederländische<br />
Hersteller VDL im Gepäck. Den seit einigen<br />
Jahren verkauften Citea (Foto oben) zeigten<br />
die mit Hybridbussen erfolgreichen Niederländer<br />
in einer Gelenkbusversion im Tramdesign<br />
für die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Wie bei<br />
fast allen Herstellern üblich, ist die Elektroausrüstung,<br />
vor allem das Ladesystem, weitgehend<br />
frei konfigurierbar – schließlich gibt es in jeder<br />
Stadt andere Voraussetzungen und Präferenzen.<br />
In diesem Fall ist ein Schnellladesystem<br />
verbaut, das an der Endhaltestelle mittels Pantograf<br />
von Schunk nur rund zehn Minuten mit<br />
250 kW nachgeladen wird – eine Lösung, die sich<br />
vielerorts durchzusetzen scheint. Der elektrische<br />
Antrieb mit Zentralmotor von Siemens bedient<br />
sich eines 170-kW-Akkus. Der ganze Bus ist in<br />
ein windschnittiges, tramartiges BRT-Design gekleidet,<br />
ein weiterer Trend dieses Kongresses.<br />
Richtung BRT-Zuschnitt geht auch<br />
der belgische Hersteller Van<br />
Hool, der seinen zusammen mit<br />
Scania konzipierten Tram-Gelenkbus<br />
Equi-City in Italien zeigte,<br />
dort aber nicht mit 24 Metern,<br />
sondern in der 18,6 Meter langen<br />
Version, die über 100 Personen<br />
Temsa elektrifiziert den<br />
Allround-Midi MD9 und<br />
stattet ihn sehr peppig aus.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Neuheiten vom UITP-Kongress 2<strong>01</strong>5 [ 109 ]<br />
aufnehmen kann. Neben der triebkopfartigen<br />
Front stechen besonders die tief heruntergezogenen<br />
Seitenscheiben ins Auge, das Dachmittelteil<br />
ist verglast. Erstmals nach dem Piloteinsatz im<br />
Hybrid-Gelenkbus Mercedes Citaro verbaut mit<br />
Van Hool ein namhafter Bus-Hersteller die Elektroportalachse<br />
AVE 130, die momentan bei ZF<br />
weiterentwickelt wird. Im Innenraum gefällt der<br />
Van Hool geht mit seinem<br />
Exqui-City-Design stark in<br />
Richtung Straßenbahn.<br />
Belgier durch sein innovatives,<br />
wohnliches Sitzkonzept<br />
und dem<br />
überarbeiteten<br />
Arbeitsplatz<br />
mit großem<br />
Touchscreen. Ebenfalls<br />
Nutzer der ZF-Elektroportalachse – in<br />
zweifacher Ausführung – ist der Elektrobus-<br />
Newcomer Sileo S18, ein türkischer Gelenkbus<br />
mit Technik und Know-how von Bozankaya<br />
Business Consultant & Commerce (BC&C)<br />
in Wolfenbüttel. Der Bus mit rund 300 Kilometer<br />
Reichweite verfügt über ein raffiniertes<br />
Energie- und Lademanagement für die<br />
300 kW starke Batterie. Man darf gespannt sein,<br />
wie sich dieses zarte Pflänzchen weiterentwickelt.<br />
Etwas kleiner geraten ist der elektrische Midi-<br />
Stadtbus Temsa MD 9 Electri-City, dessen<br />
Modellbe-<br />
Der Exqui-City bietet einen mittig angeordneten<br />
Fahrerplatz und einen riesigen Touchscreen.<br />
zeich-<br />
nung ähnlich<br />
klingt wie ein Volvo-Projekt<br />
in Göteborg (siehe auch Seite 64).<br />
Der 9,50 Meter lange Stadtbus ist so etwas wie<br />
der Tausendsassa des türkischen Unternehmens<br />
– für den vollelektrischen Einsatz hat sich der<br />
Midi mit Platz für rund 45 Personen besonders<br />
schick gemacht. Über der asymmetrisch gestalteten<br />
Frontpartie prangt als Blickfang eine<br />
große blaue LED im Stile eines elektrischen<br />
Ein-Aus-Schalters. Geladen wird<br />
die 160 kW große Batterie per Schnelllader<br />
in rund einer Stunde oder konventionell<br />
über Nacht.<br />
Der Zentralmotor leistet maximal 200 kW<br />
und reisebusverdächtige 2.200 Newtonmeter<br />
Drehmonent, im Teilllastbereich schaltet er<br />
drei seiner sechs Phasen ab und gibt so nur die<br />
Hälfte seiner Power frei. Downsizing spielt also<br />
nicht nur beim guten alten Verbrenner eine<br />
Rolle. Manches Prinzip kann sich auch ins elektrische<br />
Zeitalter retten. Und das ist gut so. ◼<br />
Anzeige<br />
Der Mercedes<br />
unter den Achsen<br />
JOST Achsen Systeme<br />
Seit Anfang 2<strong>01</strong>5 werden die DCA-Achsen<br />
von der neuen JOST Achsen Systeme<br />
GmbH vertrieben.<br />
Eine Achse – viele Anwendungen<br />
• DCA Weightmaster<br />
• DCA Airmaster<br />
• DCA Steermaster<br />
• DCA Megamaster<br />
• DCA Pavemaster<br />
• DCA Railmaster<br />
DCA Family Baukasten<br />
• grenzenlose Vielfalt aus wenigen<br />
Komponenten<br />
Leichteste Achse ihrer Klasse<br />
JOST Achsen Systeme GmbH<br />
Flugplatz 18, 34379 Kassel-Calden<br />
Tel. +49 (0) 5674 9237-0<br />
Fax +49 (0) 5674 9237-480<br />
E-Mail: sales.achsen@jost-world.com<br />
www.dca-family.com<br />
Home of Mercedes-Benz TrailerAxleSystems
[ 110 ] FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter 319 CDI Bluetec<br />
IN ABRAHAMS SCHOSS<br />
Test: Die Redaktion war mit dem Mercedes Sprinter Kombi mit 190 PS, mittlerem<br />
Radstand, Hochdach und Platz für bis zu neun Personen unterwegs.<br />
TEXT: ANDREAS WOLF | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
In Deutschland ist der Mercedes Sprinter die<br />
Nummer eins, in Europa spielt er weit vorne<br />
mit. Neben Iveco Daily, VW Crafter, Fiat Ducato,<br />
Ford Transit und Konsorten ist der Mercedes<br />
eine maßgebende Größe im Segment der<br />
3,5-Tonner. Besonders in Kombi-Ausführung<br />
zeigt er sich mit zwei Dachhöhen und drei Radständen<br />
als Multitalent. Sei es als Shuttle-Bus,<br />
Transporter für Arbeitstrupps und Reiseunternehmen<br />
in der Woche oder als Freizeitfahrzeug<br />
für Großfamilien am Wochenende.<br />
Der V6-Diesel mit drei Liter Hubraum leistet<br />
190 PS und entwickelt schon ab 1.400 Touren<br />
ein maximales Drehmoment von 440 Nm.<br />
Er überzeugt durch ein spontanes Ansprechverhalten<br />
bereits bei niedrigen Drehzahlen und<br />
bringt die leer immerhin 2.580 Kilogramm<br />
schwere Fuhre trotz langer Hinterachse über<br />
den gesamten Drehzahl bereich rasch in<br />
Schwung. Das Leergewicht dürfte auch die<br />
Abgasreinigungstechnik, die den Sprinter auf<br />
Euro 6 bringt, nach oben treiben. Mit dem<br />
zurückhaltend auftretenden Motor ist der Mercedes<br />
mehr als ausreichend motorisiert.<br />
In Verbindung mit der direkten Lenkung<br />
lässt sich der Hecktriebler agil über kurvige<br />
Landstraßen bewegen. Auf kurze Stöße reagiert<br />
er etwas sensibel, insgesamt wiegt der<br />
auf Wunsch mit Luftfederung und Niveauregulierung<br />
zu verfeinernde Kombi seine Fahrgäste<br />
aber wie in Abrahams Schoß. Selbst bei<br />
geringer Zuladung zeigt der Sprinter noch eine<br />
ausreichend komfortable Dämpfung. Die Übertragung<br />
von Leistung und Drehmoment auf die<br />
hinteren Räder übernimmt das flüssig schaltende<br />
Automatikgetriebe 7G-Tronic Plus mit sieben<br />
Gangstufen (2.062 Euro Aufpreis). Die Schaltvorgänge<br />
laufen kaum spürbar ab, Schaltgeräusche<br />
gibt es so gut wie keine. Im Vergleich zur früheren<br />
Füngang-Automatik verbessert es den Anzug<br />
im ersten Gang und reduziert mit Hilfe einer lang<br />
übersetzten siebten Fahrstufe (i = 0,728) den Verbrauch<br />
bei Autobahnfahrten. Der Zusatz Blue tec<br />
hinter der Typenbezeichnung steht für eine<br />
Abgasreinigung mit SCR-System entsprechend<br />
der Abgasnorm Euro 6.<br />
Im Innenraum zeigt der Sprinter-Kombi<br />
Eigenschaften, die sich sehr nahe an Pkw-Standards<br />
bewegen. Der Motor ist selbst bei Höchstgeschwindigkeit<br />
von knapp über 160 km/h<br />
kaum wahrnehmbar. Hier überwiegen Wind-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter 319 CDI Bluetec [ 111 ]<br />
1<br />
3<br />
2<br />
1 Die Dachklimaanlage gibt es auch mit<br />
einer Lackierung in Wagenfarbe.<br />
2 Die Bedieneinheit für die Front- und Fond-<br />
Klimatisierung sitzt in der Mittelkonsole.<br />
3 Ausströmer an der Decke verteilen die<br />
temperierte Luft in der Mitte und im Heck.<br />
Technische Daten<br />
MOTOR<br />
V6-Dieselmotor mit Common-Rail-Einspritzung,<br />
SCR-Abgasreinigung, Euro 6<br />
Hubraum 2.987 cm 3<br />
Leistung<br />
190 PS (140 kW) bei 3.800/min<br />
Drehmoment 440 Nm bei 1.400–2.400/min<br />
Getriebe<br />
Wandlerautomatik mit<br />
sieben Gangstufen<br />
Antrieb<br />
Heckantrieb<br />
Übersetzung HA 3,692<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 5.926/2.426/2.663 mm<br />
Länge/Breite/Höhe Laderaum 3.265/1.780/1.820 mm<br />
Breite zw. den Radkästen 1.350 mm<br />
Radstand<br />
3.665 mm<br />
Wendekreis<br />
13,4 m<br />
Leergewicht<br />
2.580 kg<br />
Nutzlast<br />
920 kg<br />
Zul. Gesamtgewicht 3.500 kg<br />
geräusche an den A-Säulen und der optionalen<br />
Dachklimaanlage. Die Klimatisierung des<br />
Fahrzeugfonds ist mit dieser Anlage vorbildlich<br />
gelöst. Sie verteilt die temperierte Luft über die<br />
Ausströmer an der Decke.<br />
Bei den Materialien rund um den Fahrerarbeitsplatz<br />
bleibt der Nutzfahrzeugcharme<br />
des Transporters erhalten. Es überwiegt Hartplastik,<br />
das sich schnell abwischen und einfach<br />
reinigen lässt. Jede Menge Ablagen, unter<br />
anderem über der Windschutzscheibe und<br />
Mittelkonsole, bieten genügend Stauraum und<br />
schaffen Ordnung. Der Fahrgastraum profitiert<br />
von großflächigen, getönten Scheiben, die viel<br />
Licht, nicht aber neugierige Blicke hereinlassen.<br />
Das Angebot an Assistenzsystemen ist groß.<br />
Ohne Aufpreis gibt es das Fahrdynamik-Regelsystem<br />
Adaptive ESP, das bei Bremseingriffen<br />
den Beladungszustand berücksichtigt. Erweitert<br />
ist dieses System um die Funktionen Brakedisc-<br />
Wipe und Electronic Brake Prefill. Brakedisc-<br />
Wipe entfernt bei Nässe zyklisch den Wasserfilm<br />
von den Bremsscheiben und verkürzt damit<br />
den Bremsweg. Electronic Brake Prefill verkürzt<br />
die Reaktionszeit bei einer eventuellen Bremsung<br />
und somit zusätzlich auch den Bremsweg.<br />
Ebenfalls serienmäßig hat der Sprinter einen<br />
Seitenwindassistenten an Bord, der in Verbindung<br />
mit dem ESP arbeitet. Weiter stehen unter<br />
anderem Totwinkel-, Spurhalte- und Fernlicht-Assistenten<br />
in der Aufpreisliste. Alles im<br />
MESSWERTE<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong>- 10,6 l/100 km<br />
Verbrauchsrunde<br />
Testverbrauch min./max. 10,6/13,8, l/100 km<br />
Normverbrauch/CO 2 -Ausstoß 8,8 l/100 km/231 g/km<br />
Vmax<br />
162 km/h<br />
Effizienzklasse<br />
D<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
20.000 km/Jahr, 5 Jahre Nutzung 102,3 Ct/km<br />
40.000 km/Jahr, 3 Jahre Nutzung 67,2 Ct/km<br />
PREIS<br />
Grundpreis<br />
1)<br />
Preis ohne Mehrwertsteuer<br />
45.214 Euro<br />
Paket verkauft Mercedes für 1.005 Euro. Eine<br />
Rückfahrkamera gibt es für 549 Euro. Wer bei<br />
den Ausstattungsposten allerdings zu viele<br />
Kreuzchen setzt, der nähert sich schnell der<br />
50.000-Euro-Marke. <br />
◼<br />
1<br />
2<br />
1 Der Ein- und Ausbau der Sitze gestaltet sich<br />
dank der Schnellverschlüsse einfach.<br />
2 Mit dem drei Liter großen V6-Diesel ist der<br />
Sprinter Kombi hervorragend motorisiert.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
[ 112 ] FAHRZEUGE | Mercedes Intouro M<br />
MITTELFELD-<br />
SPIELER<br />
Test: Der Überlandbus Mercedes Intouro wildert im<br />
preiswerten Marktsegment und bringt ein paar<br />
Neuheiten mit. Dem Test stellt sich die M-Variante.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Intouro M [ 113 ]<br />
Nicht jeder Fußballer kann<br />
ein Goldjunge wie Bastian<br />
Schweinsteiger sein, der mit<br />
ausgewiesenen Qualitäten im Mittelfeld<br />
Mannschaft und Spiel zusammenhält<br />
und so auch mal den<br />
Weg zu einer Meisterschaft ebnet.<br />
Gerade deswegen ist das Mittelfeld<br />
alles andere als die Langeweile-Zone<br />
auf dem Spielfeld –<br />
hier werden Vorstöße ins gegnerische<br />
Feld ausbaldowert und nach<br />
hinten frühzeitig abgesichert. Oft<br />
wird schon hier die Arbeit von zuweilen<br />
als divenhaft wahrgenommenen<br />
Stürmern und Verteidigern<br />
geschickt vorbereitet. Das Mittelfeld<br />
ist Dreh- und Angelpunkt<br />
eines Spiels – solide Leistung in der<br />
Breite statt glamouröses Brillieren<br />
vor dem gegnerischen Tor!<br />
Eine wichtige Rolle im Spielfeld des<br />
europäischen Busmarktes spielt das<br />
Segment der preiswerten Doppelverdiener<br />
seit einigen Jahren. Hier<br />
tummeln sich entfeinerte Überland-<br />
Hochbodenwagen wie der Iveco<br />
Crossway, der MAN Lion’s Intercity<br />
oder der Setra UL business.<br />
Die Genannten sind alle mehr<br />
Arbeitspferde als Hingucker und<br />
Mercedes hat gleich zwei dieser<br />
Pferde im Stall: den Integro und<br />
den etwas darunter angesiedelten<br />
Intouro, der dem Setra UL wie<br />
aus dem Gerippe geschnitten ist<br />
(Test in Heft 5/2<strong>01</strong>5) und sich besonders<br />
in Frankreich großer Beliebtheit<br />
erfreut. Das mag auch an<br />
seinen Qualitäten als langer Zweiachser<br />
liegen, der mit 12,64 Metern<br />
und einem Wendekreis von etwas<br />
mehr als 22 Metern gerade noch<br />
wendig genug ist.<br />
Eine Podestverlängerung links<br />
und eine neue Türlage machen eine<br />
maximale Bestuhlung mit bis zu<br />
59 Sitzen möglich. Zudem können<br />
die Franzosen die technische Tragfähigkeit<br />
von über 19 Tonnen bereits<br />
voll nutzen – ein Privileg, auf<br />
das wir hierzulande noch etwas<br />
warten müssen.<br />
Der ebenfalls zweiachsige Bruder<br />
Intouro L bietet mit 13,32 Meter<br />
Länge nur eine Sitzreihe und einen<br />
knappen Kubikmeter mehr Kofferraum-Kapazität,<br />
bringt es aber<br />
auf einen immensen Radstand von<br />
7,26 Metern und einen daraus<br />
resultierenden unhandlichen Wendekreis<br />
von rund 24 Metern. Alternativ<br />
greift man hier doch besser<br />
zum Integro L, der nicht nur drei<br />
Achsen, sondern auch den stärkeren<br />
Motor OM 471 vorweisen<br />
kann, der zudem gerade in einer<br />
nochmals optimierten Version vorgestellt<br />
wurde (siehe S. 14).<br />
Dem großen Erfolg des Intouro<br />
in Frankreich, der dort rund<br />
600 Mal im Jahr verkauft wird (weltweit<br />
sind es rund 1.000 Busse und<br />
seit 2007 insgesamt 6.000 Einheiten),<br />
ist auch die spezielle Ausstattung<br />
des Testwagens ohne Klimaanlage<br />
und Automatik sowie durchgehender<br />
Vollbestuhlung zu verdanken.<br />
Auf üppigen Luxus verzichtet<br />
der Wagen fast völlig, sogar die<br />
hageren Spiegel an Metallstangen<br />
muss der Fahrer selbst manuell<br />
einstellen mangels elektrischer<br />
Helferlein. Beinahe wirkt der Wagen<br />
wie ein Gegenentwurf zum fast<br />
zeitgleich getesteten Setra S 415 UL<br />
business, dem es kaum an Ausstattung<br />
fehlte, und das bei einem moderaten<br />
Mehrpreis von gerade mal<br />
6.000 Euro laut Daimler-Datenblatt.<br />
Haben wir etwa eine kleine,<br />
versteckte Ecke der sonst perfekten<br />
Evobus-Zweimarken-Strategie<br />
entdeckt, die nicht ganz stimmig<br />
ist? Doch der Wagen ist gefällig<br />
und hat durchaus seine Daseinsberechtigung.<br />
Es gibt seit jeher<br />
genug Kunden, die besonderen<br />
Wert auf den Stern am Bug legen.<br />
Und dieser Bug kommt im Gegensatz<br />
zum eher biederen Integro recht dynamisch<br />
daher. Zwar bieten die als<br />
optisches Highlight ausgeprägten<br />
Scheinwerfer weder Xenon- noch<br />
Abbiegelicht, aber das besitzen die<br />
wenigsten Vertreter dieser Klasse,<br />
bei der es auf jeden Euro bei Kauf<br />
und Unterhalt ankommt.<br />
Das Heck wiederum wurde<br />
weitgehend an das des Integro angepasst.<br />
Die typischen Lüftungsgitter<br />
werden von den Rückleuchten<br />
der großen Reisebusse flankiert.<br />
Mit Euro 6 hielt der neue, kleinvolumige<br />
Sechszylinder OM 936 Einzug<br />
ins Heck, der gleich mit drei<br />
Getrieben gekoppelt werden kann.<br />
Neben dem Schalter und einem<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
[ 114 ] FAHRZEUGE | Mercedes Intouro M<br />
Technische Daten Mercedes Intouro M<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter, liegend eingebauter Reihensechszylinder-Dieselmotor<br />
(Mercedes-Benz OM 936) mit verstellbarer Auslassnockenwelle<br />
VCP (Variable Camshaft Phaser). Zweistufige Turboaufladung und<br />
Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte Common-Rail-Direkteinspritzung<br />
mit hydraulischer Druckverstärkung. Vier Ventile pro<br />
Zylinder, Abgasrückführung, SCR-Technik mit Adblue-Einspritzung,<br />
Partikelfilter, Abgasstandard Euro 6.<br />
Bohrung/Hub<br />
110/135 mm<br />
Hubraum<br />
7.698 cm³<br />
Verdichtung 17,0 : 1<br />
Leistung<br />
260 kW (354 PS) bei 2.200/min<br />
Maximales Drehmoment 1.400 Nm bei 1.200/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Kupplung: wartungsfreie Trockenkupplung, Durchmesser 440 mm.<br />
Getriebe: Direktgang-Schaltgetriebe Mercedes GO-190-6 mit neuer<br />
Joystick-Schaltung im Armaturenträger.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 8,17 4. Gang 1,81<br />
2. Gang 4,65 5. Gang 1,26<br />
3. Gang 2,79 6. Gang 1,0<br />
R.-Gang 7,68 Achsübersetzung<br />
i = 3,154<br />
(alternativ 3,500)<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL-75/E mit Doppeldreieckslenkern,<br />
zwei Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, max.<br />
Radeinschlag innen/außen 58/46 Grad. Hinten einfach übersetzte<br />
Antriebsachse Mercedes RO 44, vier Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer,<br />
zwei Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, Stabilisator.<br />
Reifengröße 295/80 R 22,5 mm, Michelin Multiway 3D XZE M+S.<br />
BREMSANLAGE/SICHERHEIT<br />
Elektronisch geregelte, pneumatische Zweikreis-Bremsanlage (EBS,<br />
Serie), innenbelüftete Scheibenbremsen rundum. ABS, ASR,<br />
Bremsassistent (alle Serie). ESP Serie. Wartungsfreier Voith-Sekundär-Wasserretarder<br />
SWR mit max. 3.500 Nm Bremsmoment, der<br />
Fußbremse vorgeschaltet oder Betätigung über Lenkstockhebel,<br />
Brandmeldeanlage im Motorraum. Spurassistent (SPA), AEBS (beides<br />
Serie nach ECE R107 in Klasse 2/3), TPMS (Reifendruckkontrolle, SA).<br />
LENKUNG<br />
Hydraulische Lenkung ZF Servocom 8098 mit variabler Übersetzung<br />
(17,0–21,0), max. Lenkeinschlag 58°, Lenksäule pneum. verstellbar.<br />
ELEKTRIK/MULTIMEDIA<br />
Spannung 24 Volt, zwei Drehstromgeneratoren à 150 A (mit<br />
Klimaanlage), zwei Batterien 12 V/220 Ah. Audio-Anlage Bosch<br />
Classic Line mit CD-Abspielgerät, USB-Anschluss, Telematikschnittstelle<br />
FMS 3.0 (SA) und Onboard-Diagnose<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Optionale Klimaanlage EvoCool Basis mit 32 kW Kälteleistung<br />
(nicht im Testagen verbaut) sowie Fahrerplatzklimatisierung (SA) mit<br />
Heizleistung 18 kW, Kälteleistung 8 kW. Warmwasserheizung für<br />
Fahrgastraum, Heizleistung 12 kW, vier Heizgebläselüfter (je 3,5 kW).<br />
Keine Konvektorenheizung verfügbar; Standheizung Spheros,<br />
Leistung 30 kW. Zwei elektrisch (SA) betätigte Dachluken sowie<br />
Klappfenster über die gesamte Fahrzeuglänge (Frankreich-Version).<br />
MASSE UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
22.248 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht ca. 11.820/15.400 kg<br />
Zul./techn. Gesamtgewicht 18.000/19.100 kg<br />
Gepäckraum (mit/ohne Toilette) 5,7/9,6 m³<br />
Volumen Kraftstofftank ca. 340 l<br />
Volumen Adblue-Tank ca. 44 l<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Gesamte Strecke<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitzplätze (Testwagen/max.) 55/59 + 1<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude–Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Bad Liebenzell–Unterhaugstett<br />
Bergstrecke<br />
Unterhaugstett–Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Solitude–Stuttgart-Schlossplatz<br />
Überland/Stadt, leicht<br />
Stuttgart/Schlossplatz–Solitude<br />
Stadt/Überland, schwer/Überland<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
CO 2<br />
/ g pro Personen-km*<br />
Verbrauch Adblue l<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
WERTUNG<br />
Sehr günstiger Verbrauch; wettbewerbsfähiger<br />
Einstiegspreis; sehr hohe Türen;<br />
einfache Bedienung; gute Sicherheitsausstattung;<br />
hohe Kapazität dank Zwischenlänge<br />
Relativ großer Wendekreis; weder<br />
Begleitersitz noch Konvektorenheizung<br />
erhältlich; einfach gehaltenes Design mit<br />
kleinen Verarbeitungsmängeln; Getriebe-/<br />
Achskombination ungünstig; kein ECE R66.02<br />
PREIS<br />
Testwagen (netto)<br />
12,2<br />
31,6<br />
50,9<br />
35,7<br />
27,2<br />
46,4<br />
3,5<br />
84,9<br />
43,4<br />
25,5<br />
27,5<br />
45,9<br />
23,3<br />
29,7<br />
39,5<br />
13,0<br />
39,6<br />
39,3<br />
113,2<br />
31,5<br />
14,8/30,7<br />
ca. 1,2<br />
44,1<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
80/100 km/h, dB(A) 68,5/70 68/70,5 66,5/68,5<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 184.000<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 57.078<br />
Feste Kosten pro km Cent 71,35<br />
Variable Kosten pro km Cent 51,32<br />
Gesamtkosten pro km Cent 122,67<br />
* Volle/halbe Auslastung inkl. Fahrer bei 55+1 Sitzen, Wetterbedingungen: trocken und weitgehend windstill, ca.<br />
15° C, ohne Klimaanlage ausgestattet, Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko<br />
100 Prozent, jährliche Laufleistung 60.000 km, Nutzungsdauer 72 Monate<br />
A<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
12.640/2.550 mm<br />
Höhe<br />
3.355 mm<br />
B Radstand<br />
6.580 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 2.760/3.300 mm<br />
D Stehhöhe<br />
2.170 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten 350/365 mm<br />
F Fußbodenhöhe 860/877 mm (Fahrer/Mittelgang)<br />
E<br />
D<br />
B<br />
A<br />
F<br />
C<br />
E<br />
184.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Intouro M [ 115 ]<br />
2<br />
3<br />
Wandlergetriebe sogar mit der<br />
kongenialen Achtgang-Automatik<br />
GO 250-8. Auch wenn die zum<br />
eher preisgünstigen Flair des Busses<br />
nicht passt – die Fahrer werden<br />
es ihrem Chef trotzdem sicher danken.<br />
Immerhin: Das ZF Eco-Life-<br />
Getriebe ist der Daimler-Box fast<br />
ebenbürtig.<br />
Exakt gab sich das preiswerte<br />
Sechsgang-Schaltgetriebe GO 190-<br />
6 in der verbauten Konfiguration<br />
mit der langen Achse im Testbetrieb<br />
allerdings nicht. Dabei ist nicht der<br />
1<br />
neue Joystick im Überland-Cockpit<br />
mit dem jetzt farbigen Multifunktionsdisplay<br />
gemeint, der endlich<br />
den aus Großvaters Zeiten entlehnten<br />
Schaltstock der Flurschaltung<br />
ersetzt und um einiges besser durch<br />
Der Intouro ist fast baugleich mit<br />
dem Setra UL business und kaum<br />
billiger in der Basis-Ausstattung<br />
die Gassen flutscht als in den vergangenen<br />
Jahren.<br />
Die Leistung des stärkeren von<br />
zwei Motorvarianten (354 PS und<br />
299 PS) ist zwar durchaus gut,<br />
aber im oft gefahrenen Bereich<br />
zwischen 60 und 80 km/h ist selten<br />
ein passender Anschluss vom<br />
4<br />
1 Die Türöffnungen reichen bis ins<br />
Dach hinein und ermöglichen<br />
einen komfortablen Einstieg.<br />
2 Neu ist die verklebte Frontscheibe<br />
und eine Regenrinne<br />
vor der Gummilippe der Tür.<br />
3 Schick gestylte Scheinwerfer,<br />
leider ohne Xenon-Lampen oder<br />
Abbiegelicht.<br />
4 Im Heck ist noch Platz: Der neue<br />
7,7-Liter-Motor kommt in zwei<br />
Leistungsstufen.<br />
vierten in den fünften Gang zu finden.<br />
Unwillkürlich fällt der Fahrer<br />
in ner vige Pendelschaltungen. Der<br />
Grund lässt sich auf dem Sägezahn-<br />
Diagramm unschwer erkennen: Mit<br />
der langen Achse tut sich zwischen<br />
dem vierten und fünften Gang<br />
eine Drehzahlklippe von rund<br />
700 Umdrehungen auf.<br />
Abhilfe schafft eine alternative<br />
kürzere Achse oder das Eco-Life-<br />
Getriebe, das im getesteten Setra<br />
UL business mit einer kürzeren<br />
Übersetzung besser überzeugte.<br />
Die höhere Marschgeschwindigkeit<br />
und der Wandlerverlust sorgten<br />
beim Konzernbruder jedoch<br />
für einen um 1,5 Liter höheren Verbrauch.<br />
Mit 31,5 Litern im Durchschnitt<br />
fällt der beim Intouro trotz<br />
der lästigen Pendelschaltungen<br />
sehr gut aus. Das maximale Drehmoment<br />
von 1.400 Newtonmetern<br />
ist in den meisten Situationen<br />
ausreichend. Zudem gibt sich der<br />
Wagen gerade im Heck vergleichsweise<br />
ruhig.<br />
Für den Fahrer hat sich außer<br />
Schalthebel und Display kaum<br />
etwas geändert. Das Überlandcockpit<br />
ist gleichsam bedienungsfreundlich<br />
wie rustikal – so mancher gro-<br />
Anzeige<br />
Das Heck trägt die typischen Lüftungsgitter sowie Reisebusleuchten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
[ 116 ] FAHRZEUGE | Mercedes Intouro M<br />
2<br />
3<br />
1 Der Innenraum ist auf Funktionalität<br />
statt Luxus getrimmt.<br />
2 Die Gepäckablagen sind<br />
üppig, aber hoch angebracht.<br />
3 Wie im Setra-Pendant stören<br />
die vorderen Radkästen die<br />
Entfaltung der Beinfreiheit.<br />
1<br />
ße Spalt zwischen Plastikteilen oder<br />
die teilweise sichtbare Verkabelung<br />
stören verwöhnte Augen.<br />
Nichts stört dagegen beim Blick<br />
durch die untere Scheibe der vorderen<br />
Tür, die wie die hintere auch bis<br />
ins Dach hoch reicht. Kollisionen<br />
sind so selbst bei groß gewachsenen<br />
Mittelfeld-Spielern weitgehend<br />
ausgeschlossen. Der Innenraum<br />
gibt sich sachlich und funktional,<br />
nur der Boden aus Holzimitat verleiht<br />
etwas Noblesse.<br />
Zwei störende Eigenarten teilt<br />
sich der Intouro mit seinem Setra-<br />
Pendant: Statt Konvektoren gibt es<br />
nur vier Heizgebläse und im vorderen<br />
Wagenteil ragen unschöne Radkästen<br />
rund 15 Zentimeter aus dem<br />
Boden, die den Füßen im Weg sind<br />
– das lässt sich besser lösen.<br />
Die Gepäckablagen sind mit<br />
einer lichten Höhe von 21 Zentimetern<br />
gut nutzbar, allerdings sind sie<br />
sehr hoch angebracht und mehr für<br />
Basketballer als wieselflinke, kurzgewachsene<br />
Außenverteidiger gedacht.<br />
Auf handfesten Einsatz sind<br />
auch die hauseigenen Sitze des Typs<br />
Inter Star Eco getrimmt. Deren robuste<br />
Haltegriffe aus Stahlrohr verengen<br />
zwar die Gangbreite auf<br />
46 Zentimeter, aber man kann sich an<br />
ihnen bequem und sicher durchs<br />
Fahrzeug hangeln. Allzu viel Komfort<br />
darf man vom Gestühl nicht<br />
erwarten – für den Trip in die Vorstadt<br />
reicht es aber allemal.<br />
Beim Thema Sicherheit spielt der<br />
Mercedes seine Trümpfe wieder aus.<br />
Zwar ist das Gerippe noch ohne<br />
ECE R66.02-Zertifikat, aber ESP ist<br />
genauso Serie wie der Spurassistent<br />
und der, bedingt durch die alte Elektronikarchitektur,<br />
etwas abgespeckte<br />
Notbremsassistent AEBS (Letzteres<br />
ist nur Serie bei Zulassung in<br />
Klasse 2 oder 3). Für ein Sonderangebot<br />
in der Mittelklasse ist der<br />
Sicherheitsstandard aber durchaus<br />
gut zu nennen.<br />
Mehr bietet kaum ein anderer<br />
Hersteller, der nicht gerade ein neues<br />
Auto am Start hat. Denn auch im<br />
entscheidenden Mittelfeld müssen<br />
nicht selten hohe Ablösesummen<br />
für die besten Spieler auf dem Platz<br />
aufgewendet werden. Da lässt man<br />
gerne mal erfahrene Spieler länger<br />
im Spiel.<br />
◼<br />
1 Klasse Ergonomie, teilweise<br />
laxe Verarbeitung – Licht und<br />
Schatten liegen eng beisammen.<br />
2 Sichtbare Verkabelungen zieren<br />
das sehr plastikhafte Cockpit.<br />
3 Annehmbare Sicht, günstige<br />
Ersatzteilpreise. Es müssen nicht<br />
immer Reisebusspiegel sein.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
SENSOREN<br />
AN SYSTEM<br />
GEFAHR VORAUS<br />
FAHRERASSISTENZ<br />
BREMSEN<br />
ANTRIEB<br />
UNFALL<br />
VERMEIDEN<br />
LENKUNG<br />
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ZF.COM/TECHNOLOGIETRENDS
[ 118 ] FAHRZEUGE | Solaris Urbino 18<br />
SOLARIS STRECKT SICH<br />
Fahrbericht: Auf der IAA 2<strong>01</strong>4 wurde die neue Generation des Stadtbusses vorgestellt.<br />
Am Rande des UITP-Kongresses konnten wir nun die Gelenkbusversion erstmals bewegen.<br />
TEXT & FOTOS: THORSTEN WAGNER<br />
Die neue Generation eines Volumenträgers<br />
zu platzieren, ist eine große Aufgabe; erst<br />
recht für einen familiengeführten Mittelständler.<br />
Der polnische Hersteller Solaris, der<br />
Anfang 2<strong>01</strong>6 das 20-jährige Jubiläum begeht, tut<br />
aber gerade genau das und streckt sich dabei gewaltig<br />
in alle Richtungen: neue Vorstandsmitglieder,<br />
neue Werksgebäude und neue Modelle<br />
– noch dazu besonders lang gewachsene.<br />
Als einer der wenigen Hersteller wagt sich<br />
das Unternehmen aus Bolechowo bei Posen<br />
auch früh an Elektrobusse. Gerne wäre<br />
man so etwas wie der „Tesla der Busbranche“.<br />
Die Chancen stehen nicht schlecht und<br />
die Verkaufserfolge geben dem Unternehmen<br />
recht. Der erste von insgesamt 39 georderten<br />
Urbino neuen Typs wurde gerade ins Bayerische<br />
Glonn an die Firma Ettenhuber ausgeliefert.<br />
Und auch für Elektrobusse haben die Polen<br />
bereits 50 Bestellungen eingesammelt, die derzeit<br />
noch in altem Design vorfahren (siehe S. 7).<br />
Auf der Busworld in Kortrijk wird dann<br />
auch neben der LE-Version des Urbino der erste<br />
Elektrobus im neuen Design Premiere feiern –<br />
sicher eine schmackhafte Kombination für so<br />
manches Unternehmen. Das neue Design des<br />
Busses konnte unterdessen auch die iF-Award-<br />
Jury sowie die UITP-Teilnehmer überzeugen.<br />
Der Bus wurde jeweils für seine herausragende<br />
Gestaltung prämiert. Zu Recht!<br />
Am Rande des UITP-Kongresses eröffnete<br />
Solaris nun die Gelegenheit, auch den 18 Meter<br />
langen Gelenkbus zu bewegen. Äußerlich gibt<br />
sich der Lange eher konventionell. An extravaganten<br />
Themen – wie an einem überlangen<br />
Vierachser à la CapaCity – will sich der neue<br />
Vorstandschef Andreas Strecker derzeit lieber<br />
nicht verheben (siehe auch S. 64).<br />
Und doch gibt es einige Änderungen am Urbino 18.<br />
Er trägt zunächst einmal die gleiche schmucke<br />
und reparaturfreundliche Hülle wie sein kleiner<br />
Bruder. Dann wurde der vordere Radstand von<br />
Gelenk- und Solobus einander angeglichen und<br />
ist nunmehr fast identisch.<br />
Das Ergebnis ist ein sehr gut beherrschbares<br />
Fahrzeug, das sich wunderbar um Kurven zirkeln<br />
lässt. Angst, mit dem Nachläufer im Nacken<br />
etwas abzuräumen, muss man dagegen nicht<br />
haben. Wie im Solobus ist die Höhe des Wagens<br />
um rund 15 Zentimeter geschrumpft, ohne an<br />
Stehhöhe einzubüßen. Eine attraktive Dachrand-<br />
Landschaft für alle Modelle ist so entstanden.<br />
Angetrieben wird der um eine Tonne Speck<br />
erleichterte Urbino 18 von Euro-6-Motoren aus<br />
dem Hause DAF/Paccar in drei Leistungsstufen<br />
mit 290/326/370 PS und 1.200/1.400/1.600 Nm,<br />
deren mittelstarke Variante im Vorführer sehr<br />
leise zu Werke geht. Im Fahrwerk kommt die<br />
neueste Achsgeneration von ZF zum Einsatz:<br />
RL 82 EC vorne (optional ist auch eine hierzulande<br />
eher ungeliebte Starrachse erhältlich) und<br />
AV(N) 132 in der Mitte sowie hinten.<br />
Das Antischleuder-Programm ESP ist bei<br />
Solaris wie auch beim Wettbewerb derzeit für<br />
Gelenkbusse noch in Entwicklung. Dort ergänzen<br />
dafür analoge Sicherheitsfunktionen<br />
die elektronische Knicksteuerung des<br />
neuen Hübner-Gelenks Typ HNGK 19.5 Eco.<br />
Auch ungezügelte Fahrversuche durch Pylonengassen<br />
vermögen den Gelenkzug nicht aus der<br />
Ruhe zu bringen. Stoisch und präzise folgt der<br />
Wagen den Lenkbefehlen des Fahrers und erinnert<br />
in seiner Leichtigkeit fast an einen Solobus.<br />
1 An diesen Anbauteilen<br />
aus weicherem<br />
Stahl wird das<br />
Hübner-Gelenk<br />
angedockt.<br />
2 Drei Versionen des<br />
Armaturenträgers<br />
stehen für das<br />
moderne Cockpit<br />
zur Wahl.<br />
3 Im Heck finden<br />
ausschließlich<br />
DAF-Motoren in<br />
drei Leistungsstufen<br />
Verwendung.<br />
1<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Solaris Urbino 18 [ 119 ]<br />
1<br />
2<br />
1 Zum besonders<br />
freundlichen<br />
und<br />
hellen Am -<br />
biente trägt<br />
der durchsichtige<br />
Faltenbalg<br />
bei.<br />
2 Die immer<br />
beliebteren<br />
USB-Ladestationen<br />
finden<br />
sich im Urbino<br />
wieder.<br />
Verwöhnt werden Fahrer und Fahrgäste zudem<br />
mit einem hellen und freundlichen Interieur,<br />
wie es bislang selten im Stadtbus zum<br />
Tragen kam. Hochwertige Materialien und<br />
weitgehend perfekte Verarbeitung lassen den<br />
Aufenthalt zur Freude werden – zumal man<br />
im Prototyp auch noch sein Handy per USB-<br />
Stecker aufladen kann.<br />
Dass einige Plastikteile auf den sehr schlechten<br />
Landstraßen ein Eigenleben entwickeln, ist<br />
bei so frühen Fahrzeugen einer neuen Baureihe<br />
durchaus üblich. Leider auch die Position der<br />
Luftkessel über der vorderen, etwas verbreiterten<br />
Tür. So darf der Fahrer jeden Laut des Luftsystems<br />
vernehmen. Er findet ansonsten ein sehr<br />
ergonomisches Cockpit vor, das viel Platz und<br />
ausreichend Ablagen vorhält.<br />
Die Qual der Wahl stellt sich beim Armaturenträger:<br />
VDV einfach oder digital – oder doch<br />
das Solaris-eigene, digitale Touchscreen-Panel,<br />
mit dem ein Hauch von Star Trek in den Bus<br />
Einzug hält. Auch wenn unsere Erfahrungen mit<br />
dem futuristischen Armaturenträger bisher recht<br />
gut sind, empfehlen wir für den breiten Einsatz<br />
in Verkehrsbetrieben mit wechselnden Fahrern<br />
die digitale VDV-Variante. Hier sind die Uhren<br />
ein echter Hingucker und zugleich gut ablesbar.<br />
Apropos Hingucker: Löblich ist, dass Solaris-<br />
Designer Jens Timmich die asymmetrische Gestaltung<br />
der Fahrzeugfront beibehalten hat. Sie<br />
sorgt nämlich für gute Sicht auf die Haltestelle.<br />
Im Innenraum haben die Entwickler besonderen<br />
Wert auf Podestlosigkeit gelegt. Statt bisher<br />
17 sind nun 23 der 44 verbauten Sitze frei<br />
schwebend montiert. Zur besseren Gewichtsverteilung<br />
sind die Dieseltanks auf den Radkästen<br />
der zweiten Achse verbaut. Gespannt darf<br />
man sein, wann der erste Solaris-Urbino 18-<br />
Elektrobus zur Probefahrt vorfährt und welcher<br />
Antrieb langfristig das Rennen macht. ◼<br />
Solaris Urbino 18<br />
MOTOR<br />
Stehender Reihen-Sechszylinder-Dieselmotor DAF MX-<br />
11 mit Turbolader und variabler Turbinengeometrie und<br />
Ladeluftkühlung; Abgasreinigung SCR/AGR; Euro 6<br />
Hubraum<br />
10.800 cm³<br />
Leistung<br />
240 kW (326 PS) bei 1.650/min<br />
Drehmoment 1.400 Nm bei 1.000–1.650/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Automatisches Sechsgang-Wandlergetriebe ZF Eco-Life<br />
6AP mit topografieabhängiger Steuerung Topo-Dyn Life<br />
oder Voith-DIWA.6-Viergang-Getriebe mit Senso-Top<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL 82 EC mit erhöhter<br />
Traglast von 8,2 Tonnen; Mitte: ZF AVN 132; hinten:<br />
ZF AV 132 (i = 5,77); optional adaptive Stoßdämpfer<br />
BREMSEN/SICHERHEIT<br />
Elektronsiches Bremssystem EBS 5 mit Scheibenbremsen<br />
rundum; Bremsassistent; elektronische Knickwinkelsteuerung<br />
des Gelenks; Haltestellenbremse; ECE R 66.02<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 18.000/2.550/3.100 mm<br />
Radstand 1/2<br />
5.900/6.000 mm<br />
Wendekreis<br />
22.796 mm<br />
Überhang vorn/hinten 2.700/3.400 mm<br />
Einstiegshöhe vorn/hinten 320/320/320 mm<br />
Innenstehhöhe<br />
2.750 mm<br />
Tankvolumen Diesel/AdBlue 340/50 l<br />
Zul. Gesamtgewicht 24.000 kg<br />
SITZ-/STEHPLÄTZE<br />
Sitz-/Stehplätze 44/110<br />
PREIS<br />
2<br />
3<br />
Grundpreis<br />
(ausstattungsabhängig)<br />
ca. 300.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
LINIENERWEITERUNG<br />
Hintergrund: Rund zehn Millionen Euro investiert Solaris in den Ausbau der Produktionshallen<br />
sowie neue Bürogebäude. Grund genug, sich die vier Produktionsstandorte genauer anzusehen.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, SOLARIS<br />
Das Erste, was ich bei Solaris<br />
gelernt habe, war, dass das<br />
Wort ‚unmöglich‘ nicht zum<br />
Unternehmens-Wortschatz gehört“,<br />
erklärt Tomasz Baranski lachend,<br />
während er stolz „seine“ Busproduktion<br />
zeigt. Hier, auf zwei gewundenen<br />
Linien, werden Bus-<br />
Der Neubau am Gebäude vorn soll die Bus-Endfertigung beherbergen.<br />
gerippe aus Edelstahl der Norm<br />
EN 14003 im Vierstundentakt geschweißt.<br />
„Vor 15 Jahren haben<br />
wir einen Bus pro Woche fertiggestellt,<br />
heute sind es meistens mehr<br />
als vier pro Tag! Das ist ein gewaltiger<br />
Unterschied, der völlig andere<br />
Produktionsweisen benötigt“, sagt<br />
Baranski.<br />
Rund 300 gut ausgebildetete<br />
Schweißer sind in der großen Halle<br />
in Sroda Wielkopolska, rund 40<br />
Kilometer vom eigentlichen Unternehmenssitz<br />
in Bolechowo entfernt,<br />
beschäftigt. Es geht in der Produktion<br />
zu, wie in einem Bienenstock.<br />
Es brummt und zischt unentwegt.<br />
„Wir könnten hier sogar ICE-Waggons<br />
schweißen, wenn wir wollten.<br />
Unsere Schweißer haben alle<br />
nötigen Voraussetzungen dazu“,<br />
sagt Andreas Strecker, seit Juli Vorstandsvorsitzender<br />
von Solaris.<br />
Aus der kleinen Halle mit angedocktem<br />
Bürogebäude, in dem Krzysztof<br />
Olszewski 1996 zusammen mit<br />
Ehefrau Solange die Busfertigung<br />
begann, ist seitdem ein veritabler<br />
Produktionsverbund aus vier<br />
Standorten geworden. Neben Bussen<br />
entstehen dort seit 2009 auch<br />
Straßenbahnen für den polnischen<br />
und die internationalen Märkte.<br />
Seine Ursprünge hat das Unternehmen<br />
indes in Berlin, wo Olszewski<br />
für Neoplan arbeitete und<br />
Fahrzeuge der Marke nach Polen<br />
exportieren wollte. Vieles vom rührigen<br />
Geist des ehemals in Stuttgart<br />
ansässigen Busbauers lässt sich<br />
noch heute bei der Solaris-Mannschaft<br />
erspüren.<br />
Das unscheinbare Gebäude in<br />
Bolechowo, das den Firmensitz beherbergt<br />
und damit den Nukleus<br />
des Unternehmens darstellt, steht<br />
immer noch. Es wird aber seit einiger<br />
Zeit von einem beeindruckenden<br />
Neubau flankiert, der bald eine<br />
Erweiterung der Bus-Endfertigung<br />
sowie die Verwaltung beherbergen<br />
soll. Die rund zehn Millionen Euro<br />
schwere Investition soll noch in diesem<br />
Herbst seine Tore öffnen, aber<br />
erst zum Firmenjubiläum im März<br />
2<strong>01</strong>6 gebührend gefeiert werden.<br />
Die rund 7.500 Quadratmeter<br />
an neu entstandener Fläche sollen<br />
nicht zwingend in einer Kapazitätssteigerung<br />
münden (derzeit rund<br />
1.400 Fahrzeuge pro Jahr). Vielmehr<br />
will Solaris dort verstreut<br />
untergebrachte Abteilungen und<br />
Lager zentralisieren. „Es gab über<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 9/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | Fertigungsverbund von Solaris [ 121 ]<br />
1<br />
2<br />
1 Der Platz im Rohbau<br />
lässt sich für<br />
Gerippe mit vier<br />
Fahrzeugbreiten<br />
anpassen.<br />
2 In der neuen<br />
Hallenerweiterung<br />
findet das<br />
Finish sowie die<br />
Auslieferung<br />
neuen Platz.<br />
die Jahre doch einigen Wildwuchs<br />
auf dem Werksgelände“, erklärt<br />
Andreas Strecker, der mit seinen<br />
Vorstandskollegen ein großzügig<br />
verglastes Großraumbüro in der<br />
obersten Etage des Neubaus beziehen<br />
wird.<br />
1 Neue Methoden für den Urbino:<br />
verstärkte Anbindungspunkte.<br />
2 Die gesamte Seitenwand ist<br />
reparaturfreundlich unterteilt.<br />
3 Die Segmente werden in Schienen<br />
„skin-on-skin“ eingehängt.<br />
4 Die Türportale hat Solaris<br />
massiv verstärkt.<br />
1<br />
3<br />
Der Werksverbund berücksichtigt<br />
die Bedürfnisse und Auslastungsschwankungen<br />
der beiden Produkte<br />
Bus und Tram. Bevor die<br />
Gerippe geschweißt werden, fertigen<br />
120 Arbeiter in einer dritten<br />
Fabrik in Sroda Wielkopolska die<br />
Module für beide Fahrzeugtypen<br />
vor – auch hier mit hochmodernem<br />
Gerät wie 2-D- und 3-D-<br />
Laserschweißgeräten von Trumpf<br />
sowie einem Schweißroboter, der so<br />
schnell wie vier Arbeiter ist. Selbst<br />
die mehr als fünf Tonnen schweren<br />
Fahrgestelle für die Straßenbahnen<br />
werden hier produziert. Großen<br />
Wert legt die polnische Marke<br />
auf Qualitätssicherung. Die Nähte<br />
vieler Teile werden vierfach geprüft<br />
– bis hin zum Röntgentest.<br />
Die Endmontage der etwa 40<br />
Tonnen schweren Bahnen des Typs<br />
Tramino GT, von denen Solaris gerade<br />
mehrere Exemplare nach Leipzig<br />
verkauft hat, findet im vierten,<br />
angemieteten Werk in Junikowo bei<br />
Posen statt. Hier kommt es besonders<br />
auf die Expertise der Hochvoltelektriker<br />
und der Klebespezialisten<br />
an, die auch wechselweise in<br />
der Busproduktion eingesetzt werden.<br />
Solaris könnte sogar Busse und<br />
Trams bei Bedarf gemeinsam produzieren.<br />
Vor allem für die Elektrobusse ist<br />
diese Synergie wertvoll – auch wenn<br />
sie auf der gleichen Linie wie ihre<br />
Diesel-Kollegen gebaut werden. Der<br />
erste Urbino electric im neuen Design<br />
und mit neuer Produktionsmethode<br />
ist schon auf Band gelegt und<br />
weist deutlich in die elektrische Zukunft<br />
des Unternehmens, die gerade<br />
erst beginnt.<br />
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[ 122 ] MÄRKTE | Interview Solaris-Vorstand Dr. Strecker<br />
Das vollständige Interview<br />
finden Sie auf<br />
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FOTO: THORSTEN WAGNER<br />
VOLLE KONZENTRATION<br />
Interview: Dr. Andreas Strecker, der neue Vorstandsvorsitzende von Solaris Bus & Coach, hat<br />
das Aftersales-Geschäft sowie den Kundennutzen im Fokus. Das Gespräch führte Thorsten Wagner<br />
?: Welches sind die Herausforderungen, denen Sie<br />
sich bei Solaris gegenübersehen?<br />
Strecker: Das ist sicher die Aufgabe, im Tagesgeschäft<br />
die Führung zu übernehmen und den Mitarbeitern<br />
konkrete Orientierung zu geben. Hier<br />
möchte ich meinen Beitrag leisten und eine klare<br />
Priorisierung der wichtigsten Themen voranbringen.<br />
Solaris ist bei den Absatzzahlen schon<br />
immer gut gewesen, im Aftersales und bei der<br />
Ersatzteilversorgung vielleicht noch etwas verbesserungsbedürftig.<br />
Daran müssen wir an der<br />
einen oder anderen Stelle noch gezielt arbeiten.<br />
?: Was ist denn zum 20-jährigen Firmenjubiläum<br />
Anfang 2<strong>01</strong>6 geplant?<br />
Strecker: Wir werden das Jubiläum auf jeden Fall<br />
mit der Eröffnung unserer erweiterten Fabrikgebäude<br />
kombinieren. Hierfür haben wir zehn<br />
Millionen Euro in die Hand genommen. Und<br />
das weniger, um die Produktionskapazität zu<br />
erhöhen, sondern um das Werksgelände wieder<br />
besser zu strukturieren und Prozesse effizienter<br />
zu machen. Es wird auf jeden Fall größere<br />
Feierlichkeiten geben – natürlich auch für<br />
unsere Mitarbeiter.<br />
?: Welche Vertriebsthemen und Märkte stehen denn<br />
für Sie vor allem im Fokus derzeit?<br />
Strecker: Da wäre wie schon gesagt das Aftersales-Geschäft,<br />
das wir verbessern wollen, zudem<br />
können wir beim Auftragsabwicklungsprozess<br />
noch besser und vor allem schneller werden.<br />
Bei den Zielmärkten möchte ich gern in allen<br />
Ländern, in denen wir einmal historische Absatzspitzen<br />
verzeichneten, den langfristigen Absatzschnitt<br />
anheben. Allein dadurch könnten wir<br />
rund 250 Einheiten mehr als heute verkaufen.<br />
?: Wie sehen Sie die Finanzstrukturen des Unternehmens<br />
in der Zukunft? Käme zum Beispiel irgendwann<br />
eine Fusion in Frage?<br />
Strecker: Unsere Finanzierung auf Basis einer<br />
mittelständischen Bankenfinanzierung funktioniert<br />
sehr gut. Die Familie Olszewski hat die klare<br />
Absicht, das Unternehmen weiter zu halten.<br />
Für etwas anderes wäre ich auch nicht ins Unternehmen<br />
gekommen! Das sage ich ganz deutlich.<br />
Insofern ist ein Verkauf kein Thema. Wir werden<br />
zudem den Fokus auf das ÖPNV-Geschäft<br />
beibehalten und suchen daher auch keinen Partner<br />
im Reisebusmarkt. Die Firma ist komplex<br />
genug, alles andere würde nur ablenken. Wir<br />
wollen nämlich die Dinge, die wir tun, besonders<br />
gut machen.<br />
?: Womit verdienen Sie heute Geld? Nur mit dem<br />
Bus oder auch schon mit der Straßenbahn?<br />
Strecker: Solaris war profitabel in jedem einzelnen<br />
der vergangenen 19 Jahre, das habe ich genau<br />
analysiert. Momentan verdienen wir auf jeden<br />
Fall noch mehr Geld mit dem Bus. Die Tram<br />
Aktivitäten sind noch im Aufbruchstadium.<br />
?: Welche Linie werden Sie denn in der Produktstrategie<br />
einschlagen? Haben Sie sich zum Beispiel im<br />
Bereich Hybrid nicht zu sehr verzettelt?<br />
Strecker: Gerade im Bereich Hybridbusse haben<br />
uns leider einige Komponentenhersteller<br />
im Stich gelassen. Das war definitiv keine Strategie<br />
unsererseits. Viele tolle Projekte wurden<br />
angekündigt und dann aber schnell der Stecker<br />
gezogen. Dafür konnte Solaris gar nichts. Dabei<br />
ist die Nachfrage weiterhin da. Vor allem in Polen<br />
erwarten wir hier noch einiges und wir müssen<br />
die Lücke füllen. Derzeit sprechen wir mit<br />
einem neuen Partner im Bereich Hybridbusse.<br />
Dabei kommt es natürlich sehr auf den politischen<br />
Willen an, ob dieses Thema dann wieder<br />
anzieht. Ob es letztlich in Richtung Hybrid- oder<br />
Elektroantrieb geht, das kann heute wohl niemand<br />
abschließend beantworten.<br />
?: Was ist Ihre Vision für die nächsten Jahre? 2.000<br />
Busse mit 2.000 Mitarbeitern zu bauen?<br />
Strecker: Es gibt noch viele Dinge, die wir tun<br />
müssen, um Visionen und Zahlen zu erreichen.<br />
Diese Zahlen stehen für mich nicht im Fokus<br />
derzeit. Ich mache lieber jetzt schnell die Dinge,<br />
an denen die Kunden ganz konkret sehen, dass<br />
sich etwas tut. Wir werden dieses Jahr nutzen,<br />
um die kurzfristigen, kundenrelevanten Themen<br />
anzugehen, und uns im nächsten Jahr dann um<br />
die langfristigen Ziele kümmern.<br />
◼<br />
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[ 124 ] FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter City 65<br />
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Test: Der Mercedes Sprinter City 65 gilt als perfekte Ergänzung für Stadtbusflotten. Dabei zeigt<br />
der Minibus aus der Dortmunder Mercedes-Kleinbusschmiede durchaus Qualitäten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter City 65 [ 125 ]<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: JACEK BILSKI<br />
Normalerweise wird die Stuttgarter Linie<br />
42 vom Schlossplatz zum Erwin-<br />
Schöttle-Platz mit Mercedes Citaro von<br />
12 bis 19,50 Meter Länge und zwei bis vier<br />
Achsen betrieben. Die Auslastung ist zu-<br />
meist sehr gut, doch nicht zu jeder Tages- und<br />
Wochenzeit ist es nötig, mit den größten Bussen<br />
wie dem Capa-City ins Rennen zu gehen. Oft<br />
tut es auch die „stille Reserve“ der Flotte mit<br />
bis zu 30 Plätzen und einem Rollstuhl- sowie<br />
Kinderwagenplatz. In diesem kleinen, aber<br />
doch stabilen Segment hat Mercedes mit seiner<br />
Minibus-Tochter in Dortmund, die im letzten<br />
Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feierte, einiges<br />
zu bieten. Vorgestellt wurde die rund erneuerte<br />
Euro-6-Palette mit insgesamt 24 Modellen 2<strong>01</strong>4.<br />
„In diesem Jahr gilt es nun, Geld damit zu verdienen“,<br />
erläutert Bernd Hülsmann, Marketingleiter<br />
der Minibus-Sparte.<br />
Zum <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong>-Test auf der Linie<br />
42 fährt die rund 7,7 Meter lange Version des<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
[ 126 ] FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter City 65<br />
Technische Daten, Messwerte und Betriebskosten<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter Reihen-Vierzylinder-Dieselmotor (Mercedes-Benz<br />
OM 651 DE 22 LA) mit doppelter Turboaufladung mit variabler<br />
Turbinengeometrie (VTG) und Ladeluftkühlung, elektronisch<br />
gesteuerte Direkteinspritzung mit Common-Rail-System (Piezo-<br />
Injektoren) und 1.800 bar Systemdruck, SCR-System und Abgasrückführung,<br />
geschlossener Diesel-Partikel filter, Abgasstandard Euro 6.<br />
Bohrung/Hub<br />
83/99 mm<br />
Hubraum<br />
2.143 cm³<br />
Verdichtung 16,2 : 1<br />
Leistung<br />
120 kW (163 PS) bei 3.800/min<br />
Maximales Drehmoment 360 Nm bei 1.400–2.400/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Mercedes-Benz W7T700 (SA), Siebengang-Automatikgetriebe mit<br />
Wandler-Überbrückungskupplung, Joystick-Wählhebel. Einfach<br />
untersetzte Hinterachse. Achsübersetzung i = 4,364 (Serie;<br />
i = 4,7 SA); Z-Getriebe Oberaigner ULG 340 in Kardanwelle.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 4,377 R.-Gang 3,416<br />
7. Gang 0,728<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung mit Dämpferbein-Vorderachse,<br />
GFK-Querblattfeder, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator (Serie),<br />
zul. Achslast max. 2.000 kg. Hinten starre Antriebsachse, zwei<br />
Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, verstärkter Drehstab-Stabilisator,<br />
zulässige Achslast 3.800 kg. Reifengröße 205/75 R 16 C auf<br />
Rädern 5,5 J x 16 H2. Luftfederung an der Hinterachse (Serie) mit<br />
elektronischer Niveauregulierung, Kneeling um 70 mm.<br />
BREMSANLAGE<br />
Hydraulische Zweikreis-Bremsanlage mit innenbelüfteten Scheibenbremsen<br />
rundum. Tandem-Bremskraftverstärker, beladungsabhängiges<br />
ESP mit integriertem ABS, ASR, elektronische Bremskraftverteilung,<br />
hydraulischer Bremsassistent löst adaptives Bremslicht<br />
aus. Telma-Retarder AE 30-35, Betätigung der Fußbremse<br />
vorgeschaltet und über Lenkstockhebel.<br />
LENKUNG<br />
Servo-Zahnstangenlenkung Thyssen-Krupp LZS 54 mit hydraulischer<br />
Unterstützung und variabler Übersetzung (3,3 Lenkrad-Umdrehungen),<br />
Lenksäule optional in Höhe und Neigung mechanisch<br />
verstellbar. Multifunktionsbedienung im Lenkrad (SA).<br />
ELEKTRIK<br />
Spannung 12 Volt, Drehstromgenerator 220 A mit elektronischem<br />
Generatormanagement, Starterbatterie 12 V/95 Ah, Zusatzbatterie<br />
12 V/95 Ah. Wartungsrechner „Assyst“ für Motor, CAN-Bus-Vernetzung<br />
und parametrierbares Sondermodul (PSM) für<br />
Omnibus elektrikumfänge.<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Dachlüfter im Heck, elektrisch betätigte Dachluke. Aufdach-Klimaanlage,<br />
Kälteleistung 8 kW (Testwagen), optional 11 kW, Konvektorenheizung<br />
mit Axiallüftern und Wärmetauscher an der Tür und im Heck.<br />
Separate Fahrerplatzklimatisierung, Kälteleistung 7 kW. Fahrerplatzheizung,<br />
Leistung 8 kW. Warmluft-Zusatzheizung elektrisch, Leistung<br />
1,8 kW, Fahrgastraum: Warmwasser-Konvektorenheizung, Leistung<br />
5 kW, optional 10 kW. Belüftung des Innenraumes über Dachlüfter<br />
und Klappfenster.<br />
MASSE UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
15.300 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht 3.880/5.120 kg<br />
Zul. Gesamtgewicht 5.650 kg<br />
Böschungswinkel vo./hi. 26°/11°<br />
Volumen Kraftstofftank 75 L<br />
Volumen Adblue-Tank 18 L<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 159.200<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro – **<br />
Feste Kosten pro km Cent – **<br />
Variable Kosten pro km Cent – **<br />
Gesamtkosten pro km Cent – **<br />
Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko 100 Prozent, jährliche Laufleistung<br />
60.000 km, Nutzungsdauer 72 Monate<br />
* Volle/halbe Auslastung inkl. Fahrer<br />
** Aus technischen Gründen werden die Betriebskosten in der Ausgabe 11/2<strong>01</strong>5 nachgereicht.<br />
Wetterbedingungen: meist trocken und windstill, ca. 22° C, Klimaanlage 22° C<br />
A<br />
Etappe 2<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
7.716/1.993 mm<br />
Höhe<br />
2.900 mm<br />
B Radstand<br />
4.325 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 1.020/2.371 mm<br />
D Stehhöhe vo./hi. 2.280/1.920 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn 340 mm<br />
F Fußbodenhöhe vo./hi. 345/900 mm<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitzplätze/Stehplätze 13+1/9, 1 Rollstuhl (max. 30+1)<br />
PREIS<br />
Grundpreis/Testwagen<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude–Stg.-Schlossplatz<br />
Landstraße, Stadtverkehr leicht<br />
Etappe 3 SSB-Linie 42<br />
Stg.-Schlossplatz–Erwin-Schöttle-Pl.<br />
Stadtverkehr schwer (SORT 1)<br />
Etappe 4 SSB-Linie 42<br />
Erwin-Schöttle-Pl.–Schlossplatz<br />
Stadtverkehr schwer (SORT 1)<br />
Etappe 5 Stg.-Schlossplatz–Schattenring–<br />
Solitude<br />
Stadtverkehr schwer, Überland<br />
Gesamte Strecke<br />
D<br />
125.500/159.200 Euro<br />
A<br />
B<br />
F<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
CO 2 /g /Personen-km*<br />
Verbrauch Adblue<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
E<br />
12,0<br />
12,7<br />
60,9<br />
23,2<br />
18,5<br />
41,8<br />
11,0<br />
30,2<br />
26,7<br />
10,4<br />
31,34<br />
24,9<br />
13,3<br />
20,5<br />
45,7<br />
69,9<br />
21,6<br />
21,0/40,6<br />
ca. 1,1 l<br />
37,4<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
60/80 km/h, dB(A) 64,5/67,5 –/– 65,0/68<br />
D<br />
WERTUNG<br />
Attraktives und hochwertiges Design,<br />
busspezifischer Aufbau, komfortables<br />
Fahrwerk, vollwertige Stadtbusausstattung<br />
und praktische Detaillösungen, sparsamer<br />
Verbrauch, ausreichend starker Motor und<br />
effizientes Siebengang-Getriebe.<br />
Geringe Zuladung, fehlende Assistenzsysteme<br />
aus dem Kastenwagen, relativ hoher Preis,<br />
kein Start-Stopp-System erhältlich,<br />
Zielschildkasten ragt weit nach unten, keine<br />
elektrischen CADS-Türen verfügbar.<br />
C<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
1<br />
City 65 vor, die mit dem kurzen Serienradstand<br />
des Kastenwagens für einen kleinen Wendekreis<br />
von knapp über 15 Metern sorgt. Dank des<br />
eigens konstruierten Busaufbaus bietet der Wagen<br />
rund zehn Zentimeter mehr Innenbreite als<br />
der City 45 und tief heruntergezogene Panorama-Seitenscheiben.<br />
Statt der großen Front-Panoramascheibe<br />
wie in der Travel-Version (siehe<br />
Heft 10/2<strong>01</strong>4) kommt hier die Version mit Zielschildkasten<br />
und LED-Matrix-Anzeige zum Einsatz.<br />
Die Sicht- und Platzverhältnisse im modernen<br />
Cockpit sind beinahe perfekt, auch die<br />
Durchsicht zwischen rechter Tür und Seitenspiegel<br />
ist konstruktiv sehr gut gelöst. Der große<br />
Zubehörkasten neben dem Fahrer bietet Platz<br />
für eine Tasche sowie die Technik für das rechnergesteuerte<br />
Betriebsleitsystem, es gibt ihn aber<br />
auch in einer etwas kleineren Ausführung.<br />
Der helle und freundliche Innenraum erinnert<br />
an das Ambiente von Citaro und Co. Das<br />
fängt schon bei der 1,25 Meter breiten, doppelflügeligen<br />
Tür an. Leider gibt es für den Sprin-<br />
2<br />
1 Der Zielschildkasten<br />
ragt weit nach<br />
unten, die Sicht ist<br />
trotzdem sehr gut.<br />
2 Ablagen sind in<br />
ausreichender<br />
Anzahl vorhanden,<br />
aber leider kein<br />
Becherhalter.<br />
3 Mit sieben Gängen<br />
überzeugt das neue<br />
7G-Tronic-Getriebe<br />
voll und ganz.<br />
3<br />
1<br />
2<br />
1 Im hochwertigen<br />
Innenraum mit enormer<br />
Stehhöhe und großem<br />
Niederflurbereich<br />
erinnern viele Ausstattungsdetails<br />
an die<br />
großen Citaro-Brüder.<br />
2 Die breite Tür sorgt für<br />
schnellen Fahrgastfluss,<br />
sie könnte aber etwas<br />
schneller öffnen und<br />
schließen. Die<br />
Klapprampe ist Serie.<br />
ter 65 keine elektrischen CADS-Türen, die etwas<br />
schneller öffnen als die im Testwagen verbauten.<br />
Die sich dahinter anschließende Niederflurfläche<br />
von 3,6 Quadratmetern bietet im Testwagen<br />
Platz für einen Rollstuhlplatz mit drei Klappsitzen<br />
sowie einen Kinderwagenplatz.<br />
Das Kneeling um rund sieben Zentimeter<br />
und eine manuelle Klapprampe sorgen<br />
für beste Bedingungen beim Einsteigen.<br />
Auf der erhöhten hinteren Fläche – hier beträgt<br />
die Stehhöhe noch 1,92, vorne 2,28 Meter<br />
– sind im Testwagen 13 Sitze des Typs<br />
„City Star Eco“ mit einer Breite von 420 oder<br />
440 Zentimetern verbaut. Durch den Wegfall<br />
der hinteren Tür gibt sich der Innenraum aufgeräumt<br />
und übersichtlich. Ein hochwertiger<br />
Holzimitat-Fußboden und eine aufwendige<br />
Heizung sowie Klimatisierung komplettieren<br />
das Wohlfühlambiente.<br />
Zum angenehmen Transfer trägt ebenso das aufwendige<br />
Fahrwerk mit serienmäßiger Luftfederung<br />
an der Hinterachse und verstärken Stabilisatoren<br />
vorne und hinten bei. Das Fahrzeug<br />
federt gut, auch die Vorderachse mit ihrer Querblattfeder<br />
ist ausreichend stramm gedämpft –<br />
ein Aufschaukeln ist selten zu verzeichnen. Die<br />
Kombination aus drehmomentstarkem Vierzylinder-Diesel<br />
mit 163 PS, zwei Turboladern<br />
mit variabler Geometrie und Zwei-Massen-<br />
Schwungrad sowie dem neuen 7G-Tronic-Plus-<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
[ 128 ] FAHRZEUGE | Mercedes Sprinter City 65<br />
2<br />
1 Dank der tief heruntergezogenen Panoramascheiben<br />
und der neuen Sprinter-Nase<br />
wird aus dem Bus ein Hingucker. Die Aufdach-Klimaanlage<br />
leistet 8 oder 11 kW.<br />
2 Integrales Busheck aus GFK und Rückleuchten<br />
vom Citaro: So wird aus dem<br />
Kleinbus für maximal 30 Personen ein echter<br />
Mercedes-Stadtbus mit Charakter.<br />
die antiquierte, da energievernichtende Telma-<br />
Wirbelstrombremse lässt es beim Verzögern<br />
merklich durch die Gänge rucken.<br />
Beim Thema Geräusche hält sich der Mercedes<br />
angenehm zurück, der Luftkompressor<br />
ist rechts vor der Tür montiert und zeigt gute<br />
Manieren. Sehen lassen kann sich auch der<br />
Verbrauch des Mercedes Sprinter City 65. Mit<br />
21,6 Litern auf der gesamten Strecke rangiert er<br />
genau bei den von Daimler angegebenen SORT-<br />
Werten, die sich gegenüber Euro 5 um bis zu<br />
3,7 Prozent verbessert haben sollen. Der CO 2<br />
-<br />
Wert pro Fahrgast liegt mit 21 Gramm bei voller<br />
Auslastung in etwa auf dem Niveau eines<br />
halb besetzten Gelenkbusses, eine gute Voraussetzung<br />
beim Kosten-Nutzen-Vergleich.<br />
1<br />
Getriebe gibt sich auch im Stadtbus keinerlei<br />
Blöße, auch wenn die Sämigkeit des Sechszylinders<br />
nicht erreicht wird. Die Spreizung der<br />
Gänge ist auch im anspruchsvollen Stadtverkehr<br />
ausreichend, eine Haltestellenbremse nebst<br />
Anfahrhilfe vereinfacht die Abläufe. Lediglich<br />
Von den Segnungen der modernen Assistenzsyteme<br />
des Kastenwagens kann der Sprinter 65<br />
vorerst leider nicht profitieren, immerhin passt<br />
sich aber das ESP der Beladung an. Denn auch<br />
ein Kleinbus muss seine Fahrgäste jederzeit<br />
sicher bewegen.<br />
◼<br />
1 Der neue Euro-6-Motor gibt sich leiser als<br />
sein Vorgänger und ist obendrein sparsam.<br />
2 Gut geschützt im Niederflur-Triebstrang ist<br />
die Telma-Bremse, die immer noch Energie<br />
vernichtet, statt sie zu erzeugen.<br />
1<br />
2<br />
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[ 130 ] FAHRZEUGE | VDL Doppeldecker FDD2<br />
HÖHERE MATHEMATIK<br />
Vorstellung: Mit dem Doppeldecker FDD2 der Futura-Familie schickt VDL einen spannenden<br />
Vertreter dieses Genres in einen hart umkämpften Markt. Aufgepasst Wettbewerber!<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, VDL<br />
Es ist noch nicht so lange her,<br />
da sah es so aus, als wenn es<br />
nicht mehr allzu lange Doppeldecker<br />
in Europa geben werde.<br />
Zu klein wurden die Reisegruppen,<br />
zu selten ging es ins ferne Ausland,<br />
zu herausfordernd schienen die gesetzlichen<br />
Anforderungen. 2<strong>01</strong>0 erreichte<br />
das über Jahre hinweg stabile<br />
Segment einen Tiefpunkt mit 171<br />
verkauften Bussen. Mit der Freigabe<br />
der nationalen Fernlinien in<br />
Deutschland stellt sich die Situation<br />
inzwischen gänzlich anders dar.<br />
Das Jahr 2<strong>01</strong>4 wurde mit einem<br />
Allzeithoch von 343 neu zugelassenen<br />
Doppeldeckern be-<br />
endet, bei einem Marktanteil in<br />
Westeuropa von rund 57 Prozent<br />
für Setra, während Neoplan leer<br />
ausging. Den Verantwortlichen<br />
beider Marken dürfte dies die<br />
Tränen in die Augen treiben – wenn<br />
auch aus verschiedenen Gründen.<br />
Van Hool und VDL rangierten<br />
bis vor Jahren noch unter „ferner<br />
liefen“, obwohl VDL-Marken wie<br />
Berkhoff und Jonckheere schon<br />
seit 1985 rund 850 Doppeldecker<br />
gebaut haben. Um den derzeitigen<br />
Marktanteil von rund neun<br />
Prozent für VDL auf 20 oder gar<br />
30 Prozent auszubauen, sei es jetzt<br />
höchste Zeit gewesen, den in die<br />
Jahre gekommenen Synergy zu ersetzen,<br />
sagt Pieter Gerdingh, Manager<br />
Sales Support & Product<br />
Management bei VDL während<br />
der Vorstellung des Busses. Was<br />
lag also näher, als den Synergy<br />
auf neue Räder zu stellen, und ihn<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | VDL Doppeldecker FDD2 [ 131 ]<br />
optisch der 2<strong>01</strong>0 gestarteten neuen<br />
Futura-Baureihe anzupassen?<br />
Fahrwerk und Triebstrang des<br />
Wagens, der auf der Busworld<br />
in Kortrijk seine Premiere feiern<br />
wird und ab dem ersten Quartal<br />
2<strong>01</strong>6 ausgeliefert werden soll, basieren<br />
technisch weiterhin auf dem<br />
Vorgänger. Was bei den verwendeten<br />
Zutaten – potenter DAF-Motor<br />
mit 510 PS und satten 2.500 Newtonmeter,<br />
ZF-Achsen rundum (die<br />
Nachlaufachse ist aber weiterhin<br />
zwangsgelenkt) sowie zwei verfügbare<br />
Fahrzeuglängen – durchaus<br />
kein Fehler ist.<br />
Die Qual der Längen-Wahl bietet<br />
derzeit sonst nur noch Van Hool.<br />
Ein um beinahe drei Meter kleinerer<br />
Wendekreis von 21,45 Meter beim<br />
kurzen FDD2-130 gegenüber seinem<br />
langen Bruder lässt die entfallende<br />
doppelte Sitzreihe je nach Einsatz<br />
durchaus verkraften. Der erwartbare<br />
Preisunterschied fällt dabei aber<br />
mit rund 6.000 Euro relativ gering<br />
aus, auch wenn sich VDL über den<br />
Gesamtpreis noch ausschweigt.<br />
Bei Design und Innenraumgestaltung<br />
ist kaum etwas beim Alten<br />
geblieben. Das „zurückhaltende<br />
nordeuropäische Design“, wie es<br />
Rik de Reuver, Geschäftsführer des<br />
Design-Büros Van der Veer bezeichnet<br />
(siehe Interview), richtet sich<br />
weitestgehend an dem seit 2<strong>01</strong>2<br />
angebotenen Hochdecker FHD2<br />
und dem seit 2<strong>01</strong>4 vertriebenen<br />
Mitteldeckern FMD2 aus. Wo es<br />
ging, verwendeten die Konstrukteure<br />
denn auch Gleichteile, so bei<br />
Seitenscheiben, Heckschürze und<br />
Scheinwerfern. Letztere tragen<br />
zur Familienähnlichkeit bei, wirken<br />
aber für die schmale Bugmaske<br />
etwas klobig.<br />
Spannend ist die modellierte<br />
Stirn über der oberen Frontscheibe:<br />
eine Metallapplikation ziert<br />
die markentypische, dreidimensionale<br />
Ausbuchtung, auf Wunsch<br />
wird sie von so genannten Skylights<br />
– skandinavisch inspirierten<br />
Zusatzscheinwerfern – flankiert.<br />
Auf sonstige, gewagte Spielereien<br />
zur optischen Verschmelzung von<br />
Ober- und Unterdeck etwa verzichten<br />
die Designer bewusst: „No drama<br />
please“ lautet das Motto des<br />
Meisters. Gänzlich undramatisch<br />
ist auch die schnurgerade B-Säule.<br />
Richtig spannend wird es im<br />
Innenraum des Großraum-Busses,<br />
dem VDL ein komplett neues<br />
Packaging verpasst hat. Die<br />
Kapazitäten wurden leicht erhöht,<br />
auf maximal 84 oder 96<br />
Personen, dies allerdings ohne Küche<br />
oder Toilette sowie höheren<br />
Sterneanspruch. Dazu passend<br />
wurde der Kofferraum um einen<br />
Kubikmeter auf 9,3 Kubik erweitert<br />
und von Einbauten befreit. Ein seitliches<br />
Unterflurstaufach steht immer<br />
zur Verfügung, beim Verzicht<br />
Bärenstarker DAF-MX13-Motor mit 510 PS in Euro-6-Qualität im Heck.<br />
2<br />
1 Modularität ist Trumpf: Die<br />
untere Hälfte der Heckverkleidung<br />
besteht aus baugleichen Teilen<br />
des Hochdeckers FHD2.<br />
2 Einladendes Ambiente: Nicht<br />
rekordverdächtig, aber doch um<br />
einen Kubikmeter gewachsen<br />
zeigt sich der geglättete<br />
Kofferraum.<br />
3 Der Trick mit dem Knick: Durch<br />
den um 25 Grad nach oben<br />
angewinkelten Zwischenboden<br />
hat der Fahrer perfekte Sicht<br />
auf die hoch angebrachten<br />
Spiegel und Ampeln.<br />
1<br />
3
Der rechte Teil des modernen Cockpits ist etwas abgesenkt und wurde neu gestaltet. Die Fußablage für den Begleiter ist etwas knapp geraten.<br />
Technische Daten<br />
Futura FDD2-130<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL82 EC (max. Radeinschlag innen 52 Grad), Antriebsachse<br />
ZF A132, i = 2,93 (Serie), Nachlaufachse ZF RL82 EC adhäsionsgelenkt;<br />
SICHERHEIT<br />
Serie: Antiblockiersystem ABS/ASR; elektronsiche Stabilitätskontrolle ESP; Bremsassistent<br />
BA; Spurassistent (LDWS); Notbremsassistent (AEBS);<br />
Option: Abstandsgeregelter Tempomat ACC; Xenonscheinwerfer und Abbiegelicht;<br />
Zusatzscheinwerfer im Oberdeck; Aufkerksamkeitsassistent (ab 2<strong>01</strong>6)<br />
KLIMAANLAGE<br />
Eberspächer/Sütrak, Kühlleistung 44,6 kW,<br />
drei Verdampfer, Frontbox mit Klimatisierung,<br />
Futura FDD2-141<br />
MOTOR<br />
Reihensechszylinder Dieselmotor DAF/PACCAR MX13-375 mit Common-Rail-Einspritzung,<br />
VTG-Turbolader, AGR/SCR/DPF-Abgasreinigung, Abgasstandard Euro 6; automatisiertes<br />
12-Gang Schaltgetriebe ZF 12AS27<strong>01</strong>BO mit Anfahrhilfe und Rangiermodus<br />
Hubraum<br />
12,9 l<br />
Leistung<br />
375 kW (510 PS) bei 1.425-1.750 U/min.<br />
Drehmoment<br />
2.500 Nm bei 1.000-1.425 U/min<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe 13.085/2.550/4.000 mm 14.145/2.550/4.000 mm<br />
Radstand 1/2 6.195/1.500 mm 7.255/1.500 mm<br />
Wendekreis 21.450 mm 24.300 mm<br />
Überhang vorn/hinten<br />
2.280 / 3.110mm<br />
Stehhöhe unten/oben<br />
1.855 / 1.724 mm<br />
Gepäckraumvolumen<br />
9,3 m 3 (ohne Fahrerliege, inkl. Unterflur-Staufach)<br />
Tankvolumen Diesel/AdBlue 445 l (Serie), 205 l+250 l (Option)/90 l<br />
Zul. Gesamtgewicht<br />
26.000 kg<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitz-/Rollstuhlplätze max. 84+1+1/2 max. 96+1+1/2<br />
(ohne Küche/Toilette)<br />
(8 Sitze entfallen bei 2 Rollstuhlplätzen)<br />
auf die Zusatztanks mit 455 Liter<br />
sogar drei davon. Die bei VDL<br />
schon zum Markenzeichen avancierte<br />
Leichtbauweise aus Sandwichpanelen<br />
für das Dach und hier<br />
erstmals auch für den Zwischenboden<br />
spart nicht nur rund 280 Kilo<br />
am Fahrzeug, sondern ermöglicht<br />
auch die für einen Doppeldecker<br />
üppige Stehhöhe von mehr als 1,85<br />
Meter im Unterdeck – das schafft<br />
derzeit kein Mitbewerber. Oben ist<br />
sie zwar gegenüber dem Synergy<br />
um einen Zentimeter auf 1,72 Meter<br />
geschrumpft, was aber immer<br />
noch bis zu vier Zentimeter mehr<br />
ist als bei anderen Modellen. Trotz<br />
mangelnder Absenkung des Gangs<br />
bei der hinteren Treppe lässt sich<br />
der VDL also mit Fug und Recht<br />
als Stehhöhenwunder bezeichnen.<br />
Wundern wird sich auch der Fahrer,<br />
wenn er erstmal Platz genommen<br />
hat und die hervorragende Sicht bemerkt.<br />
Was ist passiert? VDL hat<br />
die von Neoplan bereits lange angewendete<br />
Idee der vorne ansteigenden<br />
Mitteldecke stringent weitergedacht<br />
und den Knick-Winkel<br />
auf rund 25 Grad erhöht. Der Effekt:<br />
Die mit einer Durchgangshöhe<br />
von über zwei Metern angebrachten<br />
Außenspiegel von Mekra<br />
sind genauso gut einsehbar wie<br />
auch Ampeln – und das ohne die<br />
für Doppeldecker bisher typische<br />
Verneigung des Fahrers. Eine gute<br />
Idee geschickt perfektioniert.<br />
Perfektioniert zeigt sich auch das<br />
Cockpit, das weitgehend dem der<br />
Hochdecker FHD und FMD entspricht.<br />
Aufwendig haben Designer<br />
und Techniker die Position<br />
von Fahrersitz zu Armaturenträger<br />
verbessert. Was dabei herauskam<br />
kann man getrost als Benchmark<br />
bezeichnen. Selten fühlt<br />
man sich hinter dem Steuer eines<br />
Doppeldeckers so schnell zu Hause.<br />
Dabei gibt es viele praktische<br />
Ablagen inklusive eines ausziehbaren<br />
Tablet-Halters für den Begleiter.<br />
Das Bedienfeld unterhalb<br />
des Seitenfensters ist aufgeräumt<br />
und beherbergt eine neue Klimasteuerung,<br />
die intuitiv zu bedienen<br />
ist. Gleiches gilt für die nach Prioritäten<br />
gruppierten Bedienelemente<br />
und das Multifunktionslenkrad.<br />
Bewusst wie ein Armaturenbrett<br />
ist auch der Abschluss vor der oberen<br />
ersten Reihe gehalten. Für mehr<br />
Sicherheit ist die vordere Brüstung<br />
gegenüber dem Synergy etwas<br />
nach oben gezogen, ein Mißbrauch<br />
als Fußablage erübrigt sich so. Die<br />
Frontscheibe wirkt jedoch dadurch<br />
deutlich kleiner als beispielsweise<br />
im Neoplan Skyliner, die Aussicht<br />
entspricht nicht ganz dem Panoramaformat<br />
dieses Busses.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | VDL Doppeldecker FDD2 [ 133 ]<br />
1<br />
Rik de Reuver, Designer und Eigner Büro<br />
Van de Veer Designers über den neuen FDD2<br />
2<br />
1 Die Fensterbrüstung unter der schmalen Frontscheibe wurde erhöht,<br />
der angewinkelte Boden eignet sich hervorragend als Fußablage.<br />
2 Im Oberdeck herrscht gediegene Atmosphäre. Die Stehhöhe ist mit<br />
1.724 Millimeter nicht ganz so üppig wie unten, stellt aber immer<br />
noch einen Klassenbestwert im Wettbewerb dar.<br />
3 Edle Materialien, besonders helles Ambiente und abgerundete Kanten<br />
erinnern ein wenig an eine Luxusyacht. Typisch Doppeldecker:<br />
Reserveradmulde im Gang und knappe Gepäckfächer unten.<br />
3<br />
?: Was genau verstehen Sie unter dem „nordeuropäischen Design”,<br />
das sie beim FDD2 angewendet haben?<br />
De Reuver: Diese Art von Designsprache ist eher zurückgenommen<br />
als übermäßig dramatisierend, wie es zum Beispiel in Italien<br />
und Spanien oft der Fall ist. Es ist nicht nur modisch, sondern<br />
eher zeitgemäß und zeugt von hoher Qualität. Dabei geht es nicht<br />
um ‚l’art pour l’art‘. Sondern das Design ist durch Funktionalität<br />
gekennzeichnet. Wenn die Funktionalität, die Qualität und die<br />
Materialien stimmen, dann ist es ein gutes Design.<br />
?: Was war die besondere Herausforderung, dieses große Fahrzeug an die<br />
VDL-Markensprache anzupassen?<br />
De Reuver: Mein Büro hat das Exterieur sowie das untere Stockwerk<br />
entworfen. Das Oberdeck stimmt fast mit dem Hochdecker FHD<br />
überein, außer dem Dashbord-artigen Abschluss in der ersten Reihe,<br />
das vom Büro „Hegge ID“ gestaltet wurde. Der Abschluss wurde<br />
besonders hoch gezogen, um ein gesteigertes Sicherheitsgefühl<br />
zu erreichen. Außerdem ist es uns besonders wichtig gewesen, im<br />
Unterdeck eine ganzheitliche Architektur zu schaffen. Das war nicht<br />
einfach, aber es ist uns gelungen. Das finde ich großartig.<br />
?: Worauf sind Sie besonders stolz bei dem Fahrzeug?<br />
De Reuver: Dass alles einfach wie aus einem Guss geworden ist. Ich<br />
habe es bisher noch bei keinem Fahrzeug einer anderen Marke so<br />
deutlich gesehen, dass alle Interieur-Bauteile von der Küchenzeile<br />
und den Treppen bis hin zum Elektrokasten so gut aufeinander<br />
abgestimmt sind.<br />
Anzeige<br />
Bleibt ein wichtiger Punkt, der<br />
zu einem echten Highlight des Wagens<br />
zählt: die Interieurgestaltung.<br />
Statt sich vorwiegend an „automotiver<br />
Dramatik“ zu orientieren,<br />
so Rik de Reuver, habe man sich<br />
mehr „von Yachten und hochwertigen<br />
Möbeln“ inspirieren lassen.<br />
Helle, einheitliche Farben, abgerundete<br />
Kanten und eine für einen<br />
frühen Prototypen fast makellose<br />
Verarbeitung lassen erahnen, was<br />
hinter diesem Konzept steckt. Die<br />
serienmäßig vor der Hinterachse<br />
montierte Küchen-/Toiletteneinheit<br />
ist nach Leichtbau-Prinzipien<br />
gefertigt und erfreulich kompakt.<br />
In Sachen Sicherheits- und Assistenzsysteme<br />
hat VDL nicht zuletzt<br />
aufgrund der Gesetzgebung<br />
massiv gegenüber den bisherigen<br />
Platzhirschen aufgeholt: neben<br />
Abstandsradar, Notbremsassistent<br />
und Spurassistent soll 2<strong>01</strong>6 auch<br />
Aufmerksamkeitsassistent und prädiktive<br />
Getriebesteuerung lieferbar<br />
sein. Da könnte die Mathematik<br />
des Doppeldecker-Marktes wohl<br />
kräftig durcheinander gewirbelt<br />
werden in den nächsten Jahren. ◼<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
[ 134 ] MÄRKTE | Daimler Buses in Indien<br />
INDISCHE WIEDERGEBURT<br />
Bus-Produktion: Daimler Buses startet in Indien mit neuen Modellen und einer Erweiterung<br />
des Lkw-Werks Chennai einen zweiten Versuch. Im Fokus steht der darbende Premiummarkt.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER<br />
FOTOS: THORSTEN WAGNER, DAIMLER<br />
Markus Villinger, Geschäftsführer<br />
von Daimler India<br />
Commercial Vehicles<br />
(DICV) hat sich viel vorgenommen.<br />
Bei der Eröffnung des Buswerks<br />
im südostindischen Chennai<br />
(früher Madras) meinte er: „Einer<br />
muss ja mal anfangen, den europäischen<br />
Gedanken von komfortablen<br />
und modernen Bussen auch in<br />
Indien umzusetzen“. Bisher sei es<br />
den Platzhirschen wie Tata Motors<br />
oder Ashok Leyland leichtgefallen,<br />
mit spartanisch ausgestatteten<br />
Frontmotor- und Hochbodenbussen<br />
„sich es in einer komfortablen<br />
ökonomischen Situation bequem zu<br />
machen.“<br />
In diesen Massenmarkt, der<br />
rund 88 Prozent des Gesamtmarktes<br />
ausmacht, wolle man mit der<br />
eigenen, hochwertigen Technologien<br />
aber nicht einsteigen. „Unser<br />
Ziel ist es, in den modernen Markt<br />
und vor allem ins Premiumsegment<br />
reinzukommen, denen wir die<br />
größten Zuwachsraten zutrauen,“<br />
sagt Villinger, der schon 2<strong>01</strong>2 den<br />
ersten Anlauf von Daimler Buses<br />
in Indien mit einer CkD-Produktion<br />
in Pune mit dem Partner MCV<br />
begleitet hat. Damals hatte man<br />
auf importierten Mercedes-Chassis<br />
Stadtbusse und Reisebusse gebaut<br />
– die Geschäftsidee funktionierte<br />
aber wohl wegen der hohen<br />
Kosten nicht. „Jetzt haben wir das<br />
richtige Konzept, das nicht mehr<br />
auf Import und CkD-Fertigung aufbaut,“<br />
ergänzt Hartmut Schick, Leiter<br />
von Daimler Buses.<br />
Noch werden für die dreiachsigen<br />
Reisebusse OC 500 Chassis aus<br />
dem größten Mercedes-Produktionswerk<br />
für Fahrgestelle in Brasilien<br />
angeliefert, aber das soll sich<br />
schnell ändern und die Teile überwiegend<br />
aus Indien kommen.„Lokalisieren“<br />
nennen das die Produktionsexperten.<br />
Die Buschassis<br />
werden sogar KTL-getaucht, was<br />
in dieser Region keine Selbstverständlichkeit<br />
ist.<br />
Warum Daimler in Indien ausgerechnet<br />
den derzeit fast nicht existenten<br />
Reisebusmarkt – dem man<br />
aber langfristig bis zu 1.000 Einheiten<br />
zutraut – in den Fokus nimmt,<br />
wird klarer, wenn man bedenkt,<br />
Der zehn Meter lange Schulbus befördert mit 140 PS rund 50 Fahrgäste.<br />
Auch im Semi-Premiumsegment ist 2+1-Bestuhlung keine Seltenheit.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | Daimler Buses in Indien [ 135 ]<br />
dass der Stadtbusmarkt massiv<br />
staatlich reglementiert ist. „Nach<br />
den ethischen und sonstigen Compliance-Forderungen<br />
des globalen<br />
Daimler-Konzerns stellt sich dieses<br />
Geschäft nicht einfach dar,“ drückt<br />
es Markus Villinger vorsichtig aus.<br />
Trotzdem behalte man es auf der<br />
strategischen Landkarte, ohne vorzupreschen.<br />
Mit zu verdanken hat Daimler den<br />
Neustart in Indien der Dynamik<br />
eines Politikers, der bei der Eröffnung<br />
des Bus-Werks seit etwa einem<br />
Jahr an der Regierung war:<br />
Ministerpräsident Narendra Modi,<br />
den man bei Daimler India als „sehr<br />
wirtschaftsfreundlich“ und gegenüber<br />
dem Ausland als „offen“ beschreibt.<br />
Er habe vieles angepackt<br />
und auf den Weg gebracht, was zuvor<br />
in der verzweigten und zur Lethargie<br />
neigenden, indischen Administration<br />
untergegangen sei. Bei<br />
seinem Antritt 2<strong>01</strong>4 als 15. Premier<br />
Indiens seit der Unabhängigkeit im<br />
Jahr 1947 wandelte sich die Stimmung<br />
in der Wirtschaft dann auch<br />
ins Positive. 2<strong>01</strong>5 wird ein Wirtschaftswachstum<br />
von 7,5 Prozent,<br />
2<strong>01</strong>6 sogar von 8,5 Prozent erwartet.<br />
Die Verkehrsverbindungen, vor<br />
allem solche auf dem Land, sollen<br />
schrittweise verdoppelt werden.<br />
Auch der Busmarkt (Grafik<br />
Seite 70) soll sich vom derzeitigen<br />
„All-Time-Low“ bis zum Jahr 2020<br />
mehr als verdoppeln. Zum 150.<br />
Geburtstag Mahatma Ghandis im<br />
Jahr 2<strong>01</strong>9 sollen einhundert „Smart<br />
Cities“ entstehen, die auch an die<br />
Straßeninfrastruktur angebunden<br />
sein müssen.<br />
Modi fördert das Daimler-Werk<br />
in Chennai, das nun mit einer Investition<br />
von 50 Millionen Euro für<br />
die Busproduktion erweitert wurde.<br />
Daimler-Vorstand Wolfgang<br />
Bernhard sagt dazu: „Wir haben<br />
ein komplettes Paket verhandelt,<br />
von dem wir auf Jahre hinaus profitieren.“<br />
Dafür soll das Werk sogar<br />
ausfallsicher mit Strom beliefert<br />
werden, keine Kleinigkeit in Indien.<br />
Der durfte wiederum nicht für<br />
Hartmut Schick,<br />
Leiter Daimler Buses:<br />
„Viele Hersteller haben versucht,<br />
in den indischen Premiummarkt vorzudringen, aber nur wenige<br />
haben es tatsächlich geschafft. Wir sehen uns mit unserem neuen Produktionskonzept<br />
und den neuen Modellen dafür bestens aufgestellt.“<br />
die dringend notwendige Klimatisierung<br />
auf der Eröffnungsveranstaltung<br />
genutzt werden: man<br />
improvisierte daher mit 15 Generator-Trucks,<br />
ohrenbetäubender Lärm<br />
inklusive. Hauptsache compliant.<br />
Seit 2<strong>01</strong>2 wurden bereits über 20.000<br />
Lkw der Marke Bharat-Benz produziert.<br />
Als stärkster Truck auf<br />
dem Subkontinent feierte der neue<br />
Schwer-Lkw 3143 sein indisches<br />
Debüt. Als robustes Minenfahrzeug<br />
soll er rund 2.000 Mal im Jahr verkauft<br />
werden. Das neue Bus-Werk<br />
in unmittelbarer Nähe der Lkw-<br />
Produktion umfasst rund 113.000<br />
Quadratmeter Fläche und hat eine<br />
Kapazität von 1.500 Fahrzeugen im<br />
Jahr, die auf bis zu 4.000 Einheiten<br />
ausgebaut werden kann.<br />
Bei der Produktion des Aufbaus<br />
vertraut Daimler aber nicht mehr<br />
auf den ägyptischen Hersteller<br />
MCV wie bisher, sondern auf den<br />
nordirischen Aufbauer Wright-Bus,<br />
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Das Bus-Programm von Mercedes in Indien<br />
Der ganze Stolz von Daimler India zur Werkseröffnung ist der neue Mercedes-Reisebus,<br />
der vorerst ausschließlich als 14,95 Meter langer Dreiachser<br />
geliefert werden soll und auf dem OC 500-Chassis baut. Der Aufbau<br />
von Wright-Bus aus geschraubten Aluminium-Profilen spart laut CEO Mark<br />
Nodder rund 800 Kilogramm gegenüber einem konventionellen Stahlgerippe.<br />
Die Mitarbeiter der 80 Servicestützpunkte seien bereits auf das<br />
neue Material geschult.<br />
Selten für Indien ist die Ausrüstung mit Scheibenbremsen rundum sowie<br />
ESP. Die serienmäßige Starrachse vorne ist laut Daimler optimal für<br />
die indischen Verhältnisse geeignet. Zu den sechs angebotenen Sitzlayouts<br />
mit bis zu 57 Sitzen vom indischen Hersteller Harita gehört<br />
auch die oft gewählte Konfiguration mit den vorderen fünf Reihen in<br />
2+1-Ausführung als „Erste Klasse“.<br />
Den Antrieb des Reisebusses übernimmt der Sechszylinder OM457 LA<br />
mit 354 PS, der die dortige Bharat- Stage-III-Abgasnorm erfüllt. Ihre<br />
Grenzwerte, die national seit 2<strong>01</strong>0 gelten, entsprechen etwa Euro 3.<br />
Die Schul-, Touristen- und Crewbusse im Neun-Tonnen-Segment bauen<br />
weitgehend auf Lkw-Chassis auf. Die ersten Busse werden noch 2<strong>01</strong>5<br />
auf den Markt kommen, für 2<strong>01</strong>6 sind bereits weitere Modelle im Segment<br />
über 16 Tonnen angekündigt.<br />
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<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
[ 136 ] MÄRKTE | Daimler Buses in Indien<br />
der schon seit 1980 in einem patentierten<br />
„Aluminium-Schraubverfahren“<br />
Busse aller Art produziert.<br />
Noch zu Beginn des Jahres hatte<br />
Daimler India 150 Frontmotorchassis<br />
nach Ägypten an den bisherigen<br />
Partner MCV geliefert.<br />
1 Das neue Buswerk in<br />
Chennai wurde auf<br />
einem Gelände von<br />
160 Hektar errichtet.<br />
2 Der nordirische<br />
Partner Wright-Bus<br />
produziert in separaten<br />
Hallen seine<br />
Aluminium-Aufbauten<br />
für die neuen Daimler-<br />
Busmodelle.<br />
Künftig wird Wright-Bus neben den<br />
300 Mercedes-Arbeitern für die<br />
Chassisproduktion im Endausbau<br />
rund 1.000 Mitarbeiter im neuen<br />
Werk beschäftigen. Ergänzend<br />
zum Mercedes-Reisebus SHD mit<br />
imposant gestalteter, dreidimensionaler<br />
Frontpartie und serienmäßigem<br />
ESP sollen auch preiswerte<br />
Bharat-Benz-Frontmotorbusse bis<br />
neun Tonnen für Schüler- und Touristenverkehre<br />
gebaut werden (siehe<br />
Kasten Seite 69).<br />
Damit ist Chennai das einzige<br />
Daimler-Werk weltweit, in dem<br />
Produkte für drei Marken produziert<br />
werden: Mercedes, Bharat-<br />
Benz und Fuso, wobei Mercedes<br />
hier ausnahmsweise die Rolle der<br />
Junior-Marke übernimmt. Der gesamte<br />
Service wird dagegen über<br />
das Netz der 80 Bharat-Benz Stützpunkte<br />
geleistet. Bei Bedarf sollen<br />
die Service-Trucks innerhalb von<br />
höchstens vier Stunden an jedem<br />
beliebigen Ort in Indien bei den<br />
Kunden sein.<br />
Durch die immer noch deutlich<br />
geringeren Löhne der einfachen Arbeiter<br />
kann Daimler die preissensiblen<br />
Märkte in Asien oder Afrika<br />
„ausschließlich von Indien aus<br />
bedienen, um vor allem chinesischen<br />
Herstellern die Stirn zu bieten“,<br />
sagt Markus Villinger. Chennai<br />
sei mithin der kostengünstigste<br />
Standort im Produktionsverbund<br />
von Daimler Buses. Dennoch seien<br />
insbesondere die Schweißer vor<br />
Ort hoch qualifiziert und entsprechend<br />
zertifiziert.<br />
Angesichts der hohen Temperaturen<br />
in der Region rund um das indische<br />
Buswerk zog Daimler-Chef Wolfgang<br />
Bernhard ein vorläufiges Fazit:<br />
„Jetzt fangen wir mal mit den<br />
Bussen an, am Horizont sehe ich eine<br />
Stückzahl von rund 1.000 Einheiten<br />
im Jahr. Um dahin zu kommen,<br />
müssen wir aber noch ganz schön<br />
schwitzen.“<br />
◼<br />
1<br />
2<br />
Hoffen auf die Wende im Omnibusmarkt<br />
Bei der Zulassung von Bussen liegt Indien weit hinter China: gerade<br />
einmal 300.000 Busse über acht Tonnen wurden von 2002 bis 2<strong>01</strong>2<br />
pro 1,2 Millarden Einwohner abgesetzt. In China waren es rund 1,1 Millionen<br />
Busse. Der Busmarkt im Jahr 2<strong>01</strong>4 war mit 34.000 verkauften<br />
Einheiten über acht Tonnen das schwächste Jahr seit 2006, 2<strong>01</strong>0 und<br />
2<strong>01</strong>2 wurden rund 50.000 Busse abgesetzt. Seit 2004 schrumpfte der<br />
Gesamtmarkt um ganze neun Prozent, das Luxussegment der Reisebusse,<br />
das ausschließlich von europäischen Herstellern bedient wird,<br />
ist fast vollständig zusammengebrochen und beschränkte sich auf 28<br />
Busse von Januar bis Mai 2<strong>01</strong>5.<br />
Der von Ministerpräsident Modi ausgelöste Modernisierungsschub und<br />
die robuste wirtschaftliche Entwicklung lässt Daimler India jedoch von<br />
einem stabilen Wachstum von rund sechs Prozent bis 2020 ausgehen.<br />
Die magische Grenze von 50.000 Fahrzeugen soll 2<strong>01</strong>7 wieder erreicht<br />
werden. Lichtblicke sind bereits im ersten Quartal 2<strong>01</strong>5 zu erkennen, in<br />
dem rund 22 Prozent mehr Busse als im Vorjahreszeitraum abgesetzt<br />
wurden. Der beliebte Markt bis neuen Tonnen, der vom Schulbussegment<br />
getrieben ist, wuchs sogar um satte 48 Prozent.<br />
Der Massenmarkt billiger Frontmotorbusse soll laut Daimler von 88 Prozent<br />
2<strong>01</strong>3 auf 55 Prozent 2020 sinken. Auf niedrigem Niveau werden<br />
davon vor allem der „moderne Markt“ mit einem Plus von 12 Prozent,<br />
der Semi-Premiummarkt mit 14 Prozent und der Premiummarkt mit sieben<br />
Prozent profitieren, so die Prognosen.<br />
Bunt und „zwangsbelüftet“ sind viele indische Busse unterwegs.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 10/2<strong>01</strong>5
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[ 138 ] FAHRZEUGE | Setra S 515 MD<br />
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Test: Mit dem Mitteldecker S 515 MD bietet Setra<br />
einen besonders günstigen Einstieg ins Reisebussegment.<br />
Der erste Test beweist dessen Qualitäten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Setra S 515 MD [ 139 ]<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: JACEK BILSKI<br />
Nicht immer muss es die ganz große Nummer<br />
sein. Das gilt selbst im Reisebusbereich,<br />
in dem man sonst lieber klotzt als kleckert.<br />
Doch auch hier muss es nicht immer der ganz<br />
große Luxus sein – nicht mal bei Setra, der Marke,<br />
die wie kaum eine andere für Luxus steht.<br />
Aber clevere Lösungen und hochwertige Technik<br />
– ohne die geht es nun mal nicht. Auch dann<br />
nicht, wenn der Wagen als Einstiegsmodell ins<br />
Reich der Größtraumlimousinen konzipiert ist.<br />
Die Rolle des bisherigen GT-HD-Modells<br />
der 400er-Baureihe übernehmen dabei seit<br />
dem Wechsel zur 500er-Serie nun zwei „Mitteldecker“,<br />
die noch mehr als bisher im Reisesegment<br />
unterwegs sein sollen als der GT-HD (siehe<br />
Kaufberatung in <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>4, Abruf<br />
über QR-Code S. 58). Äußerlich unterscheidet<br />
sich der mit einer Höhe von 3,56 Metern noch<br />
flacher als der GT-HD duckende Wagen kaum,<br />
sieht man einmal vom geradlinigen Auslauf der<br />
Fensterlinie nach hinten ab. Die HD-Kollegen<br />
bieten hier einen kecken Schwung nach unten,<br />
der eine spezielle und unverwechselbare Note<br />
verleiht.<br />
Weitere konzeptionelle Kniffe stecken eher unter<br />
dem Blech. Der Fußboden ist mit 1,16 Metern<br />
noch mal 16 Zentimeter tiefer eingezogen<br />
als beim GT-HD. Daraus ergibt sich im Inneren<br />
eine üppige Stehhöhe von 2,10 Metern wie bei<br />
den ausgewachsenen HD-Pendants.<br />
Aber schrumpft der Kofferraum – ein<br />
wichtiges Kriterium für einen echten Reisebus<br />
– nicht über Gebühr durch den niedrigen<br />
Boden? Grundsätzlich ja. Gegenüber dem<br />
Vorgänger schrumpft das Ladevolumen um<br />
rund einen auf 7,3 Kubikmeter. Abzüglich<br />
Toilette bleiben nur noch 6,1 Kubik.<br />
Um dieses bekannte Mitteldecker-Dilemma<br />
zu lösen, besinnt sich Setra alter Ideen, die bis in<br />
die 70er-Jahre hinein durchaus Standard waren:<br />
ein Heckeinstieg samt Hecktoilette. Heute ist das<br />
eine Seltenheit, bei Setra hat die Kon struktion<br />
jetzt Serienstatus und lässt sich aufpreisfrei ordern.<br />
Und siehe da, der durchgehende, fast<br />
fünfeinhalb Meter lange Kofferraum zwischen<br />
den Achsen fasst nun ganze zwei Kubikmeter<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
[ 140 ] FAHRZEUGE | Setra S 515 MD<br />
Technische Daten und Messwerte<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter R6-Dieselmotor (Mercedes OM 936) stehend im<br />
Heck. Abgasturbolader und Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte<br />
Direkteinspritzung per Common Rail; vier Ventile pro Zylinder,<br />
verstellbare Auslassnockenwelle; Abgasrückführung, SCR-Technik mit<br />
Adblue-Einspritzung, Abgasstandard Euro 6.<br />
Bohrung/Hub<br />
110/135 mm<br />
Hubraum 7.698 cm 3<br />
Verdichtung 17,0:1<br />
Leistung<br />
260 kW (354 PS) bei 2.200/min<br />
Maximales Drehmoment 1.400 Nm bei 1.200/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Getriebe: Automatisiertes Achtganggetriebe Mercedes GO 250-8<br />
Powershift mit Lenkstockbedienung, wählbarem Dynamik-Schaltmodus<br />
und Manövriermodus vorwärts und rückwärts.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 6,57 8. Gang 0,63<br />
R.-Gang 6,18 Achsübersetzung<br />
(altern.)<br />
Drehzahl bei 100 km/h 1.427/min<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL 75 E mit Doppeldreieckslenkern,<br />
zwei Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, maximaler<br />
Radeinschlag innen 58 Grad. Hinten starre Antriebsachse Mercedes<br />
RO 440, zwei Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, vier<br />
Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer, Stabilisator (Serie).<br />
Reifengröße rundum 295/80 R 22,5.<br />
MASSE UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
21.256 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht 12.775/17.980 kg<br />
Zul. Gesamtgewicht 18.000 kg<br />
Zul. Achslast v/h<br />
7.500/11.500 kg<br />
Gepäckraum (Mittel-/Heckeinst.) 7,3/8,0 m 3<br />
Volumen Kraftstofftank 400 L<br />
Volumen Adblue-Tank 40 L<br />
i = 4,3<br />
(4,778)<br />
BREMSANLAGE<br />
Elektronisch geregelte Zweikreis-Druckluftbremsanlage mit<br />
innenbelüfteten Scheibenbremsen rundum, Dauerbremse Sekundär-Wasserretarder<br />
Voith, zweistufige Dekompressionsbremse,<br />
Dauerbremslimiter, ABS und ASR, Bremsassistent, elektronisches<br />
Stabilitätsprogramm ESP. Notbremsassistent AEBS (erkennt stehende<br />
Objekte, Serie) bzw. ABA3 (nur zusammen mit mit ART, beides SA).<br />
LENKUNG<br />
ZF-Kugelmutter-Hydrolenkung Typ 8098 Servocom mit variabler<br />
Übersetzung (17-21:1), Lenksäule in Höhe und Neigung verstellbar.<br />
ELEKTRIK/SICHERHEIT<br />
Spannung 24 Volt, drei Drehstromgeneratoren à 150 A,<br />
zwei Batterien 12 V/225 Ah (SA). Audioanlage Bosch Classic Line<br />
(keine Navigation und Bildschirme); ABS/ASR, Bremsassistent BA,<br />
Spurassistent (SPA), Frontalaufprallschutz (FCG), elektronische<br />
Reifendruckkontrolle (TPM), Sitzbelegungserkennung Fahrer-/<br />
begleitersitz; Regen-Licht-Sensor.<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Vollautomatische Heizungs-/Lüftungsanlage mit Dachklimaanlage,<br />
Kälteleistung 32 kW, Heizleistung 38 kW. Lufteintritt in den<br />
Fahrgastraum über verstellbare Düsenbelüftung, über schlitzförmige<br />
Ausströmer oberhalb der Seitenfenster sowie oberhalb der<br />
Gepäckablagen Richtung Mittelgang. Warmwasser-Konvektorenheizung<br />
im Fahrgastraum, Leistung 12 kW, Bugheizgerät Leistung<br />
18 kW. Separate Fahrerplatzklimatisierung, Kälteleistung 8 kW.<br />
Zwei elektrisch betätigte Dachluken (SA). Entlüftung im Einstieg vorn,<br />
Luftaustritt über die Vorderachse und hinten in den Gepäckraum.<br />
Standheizung Spheros, Leistung 30 kW.<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Gesamte Strecke<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitzplätze<br />
Testwagen (3 Sterne gbk) 48+1+1<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude – Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Bad Liebenzell – Unterhaugstett<br />
Bergstrecke<br />
Unterhaugstett – Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Sindelfingen – Sulz AH*<br />
Autobahn A 8/A 81, mittel<br />
Sulz AH – Solitude*<br />
Autobahn A 81/A8, leicht<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
CO 2<br />
/Gramm pro<br />
Personenkilometer**<br />
Verbrauch Adblue L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
WERTUNG<br />
Sehr niedriger Kraftstoffverbrauch, laufruhiger<br />
Motor, nahezu perfekt schaltendes Getriebe,<br />
zahlreiche Sicherheitsfeatures, übersichtliche<br />
Bedienung und Instrumentierung, Geräuschniveau<br />
sehr niedrig<br />
Gehobenes Preisniveau, Design innen etwas<br />
„plastifiziert“, lauter und spät einsetzender<br />
Retarder; Motor mit wenig Drehmoment<br />
PREIS<br />
Testwagen<br />
11,9<br />
29,7<br />
54,6<br />
35,5<br />
29,8<br />
52,2<br />
3,3<br />
98,2<br />
38,4<br />
25,4<br />
30,6<br />
54,0<br />
62,5<br />
20,6<br />
89,5<br />
67,8<br />
17,7<br />
83,0<br />
206,4<br />
24,3<br />
12,8/24,6<br />
ca. 1,4<br />
69,5<br />
* ca. 5 km Baustelle mit 80 km/h Beschränkung, fließender Verkehr, **volle/halbe Auslastung inkl. Fahrer/Begleiter<br />
Wetterbedingungen: trocken und windstill, ca. 20º C, Klimaanlage 22º C<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
80/100 km/h, dB(A) 63/64,5 59/65 61,5/65<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 285.000<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 83.067<br />
Feste Kosten pro km Cent 83,06<br />
Variable Kosten pro km Cent 49,39<br />
Gesamtkosten pro km Cent 132,46<br />
Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko<br />
100 Prozent, jährliche Laufleistung 100.000 km, Nutzungsdauer 60 Monate<br />
A<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
12.295/2.550 mm<br />
Höhe<br />
3.560 mm<br />
B Radstand<br />
6.090 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 2.890/3.315 mm<br />
D Stehhöhe<br />
2.100 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten 370/370 mm<br />
F Fußbodenhöhe 1.160 mm<br />
E<br />
B<br />
A<br />
D<br />
F<br />
C<br />
E<br />
285.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Setra S 515 MD [ 141 ]<br />
1<br />
2<br />
1 Die üppigen Gepäckablagen unter der stoffbespannten<br />
Decke fassen 1,8 Kubikmeter.<br />
2 Leider sind die Luftdüsen der edlen<br />
Servicesets nur in einer Richtung verstellbar.<br />
Das Heckabteil lässt sich individuell ausstatten<br />
und bietet eine angenehme Stehhöhe.<br />
mehr, also stolze acht Kubik. Das ist schon fast<br />
Hochdecker-Format! Wem das nicht reicht und<br />
wer zudem einen um zwei Meter größeren Wendekreis<br />
akzeptiert (23,35 statt 21,25 Meter), greift<br />
aber besser zum 13-Meter-Wagen und vergrößert<br />
so das Unterflurabteil auf 9,7 Kubikmeter.<br />
Das Konzept des derart angepassten Heckeinstiegs<br />
führt dazu, den Innenraum von hinten<br />
nach vorn zu begutachten. Der breite Einstieg<br />
ist frei von Hindernissen, die Höhe der Tür ist<br />
für Menschen bis zu 1,80 Metern ausreichend<br />
bemessen, Kollisionsgefahr geht von ihr keine<br />
aus. Über eine kleine Stufe geht es hinauf zu Toilette<br />
und Küche; Letztere ist in zwei Versionen<br />
bestellbar. Bei der kleineren Version passen noch<br />
zwei Sitze direkt daneben, wirklich bequem ist<br />
das aber nicht. Die große Küche verdrängt dagegen<br />
bis zu vier Sitze.<br />
Die Stehhöhe beträgt im Heckbereich wie<br />
auch in der geräumigen Toilette 1,86 Meter, wobei<br />
vor der Tür eine Stoffbespannung der Mitteldecke<br />
einen harten Kopfkontakt wirksam abmildert.<br />
Dieser Stoffbezug lässt sich im Unterschied<br />
zur Unterseite der voluminösen Gepäckablagen<br />
(insgesamt 1,8 Kubikmeter Volumen) nicht individuell<br />
anpassen.<br />
Durch den etwas knapp geratenen Mittelgang<br />
mit einer Breite von 36 Zentimetern bahnen sich<br />
die Reisenden den Weg durch den wohnlichen<br />
Innenraum ohne Monitore ins Cockpit, wo wiederum<br />
ein kecker Trick der Ulmer Reisebusexperten<br />
zu entdecken ist.<br />
Ein Blick ins einfarbig gestaltete Basis-Cockpit<br />
macht klar: Weder das hochwertige Coach<br />
Media System von Bosch noch ein Navigationssystem<br />
ist an Bord. Dadurch spart der Kunde<br />
jedoch rund 5.000 Euro im Vergleich zum Top-<br />
Cockpit. Die riesige Ablage direkt neben der<br />
Klimabedienung ist ein wenig zerklüftet. Platz<br />
für allerhand Zubehör gibt es aber allenthalben.<br />
Alle wesentlichen Bedienelemente sind im Cockpit<br />
selbst und auf dem schicken Multifunktionslenkrad<br />
wohlsortiert. Da passt alles, die Bedienung<br />
geht lässig von der Hand, wie man das in<br />
einem Setra gewohnt ist. Das imposante Farbdisplay<br />
zwischen den fein gezeichneten Uhren<br />
ist nach wie vor beeindruckend. Nicht ganz so<br />
edel wie in der höherwertigen Cockpit-Version,<br />
die im HD ausschließlich verbaut wird, wirkt<br />
auch der Begleiterplatz. Neben dem nur als<br />
54-Liter-Variante lieferbaren Kühlschrank fällt<br />
die Abwesenheit von Luftdüsen auf.<br />
1<br />
1 Die Hecktür ist im<br />
großen Farbdisplay<br />
immer gut im Blick.<br />
2 Etwas zu tief sitzt das<br />
Radio in der Basis-<br />
Version des Cockpits.<br />
3 Im aufgeräumten und<br />
gewohnt bedienungsfreundlichen<br />
Cockpit<br />
finden sich viele<br />
praktische Ablagen.<br />
2<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
[ 142 ] FAHRZEUGE | Setra S 515 MD<br />
1<br />
Die durchgehende, gerade Fensterlinie lässt den Setra-Mitteldecker auf Anhieb erkennen.<br />
Vorbildlich ist das Geräuschniveau im ganzen<br />
Fahrzeug: kaum Windgeräusche im Cockpit,<br />
niedrige Werte in der Mitte (es fehlt die Tür als<br />
Schallquelle) und im Heck. Rein subjektiv ist aber<br />
ein leichtes Grollen der Maschine im Heck nicht<br />
zu verleugnen, der Voith-Sekundär-Wasserretarder<br />
geht zudem nach zwei Gedenksekunden<br />
ebenso kräftig wie vernehmlich zu Werke.<br />
Ein weiterer Setra-Heck-Trick mit dem Namen<br />
OM 936 ist aus dem Citaro bereits bekannt.<br />
Dieser leichte Sechszylinder mit 7,7 Liter Hubraum<br />
ist nur in den beiden MD-Modellen zu<br />
haben. Er wartet allerdings nur mit 354 PS und<br />
1.400 Newtonmeter auf. Optional sind zwei<br />
OM-470-Motoren mit 360 oder 394 PS (1.700/<br />
1.900 Nm) zu bekommen, die jedoch auch das<br />
Leergewicht von rund 13 Tonnen weiter erhöhen.<br />
Auf der Testrecke gibt sich das Aggregat zwar<br />
dank relativ kurzer Achsübersetzung zumeist<br />
ausreichend quirlig, bei Reisegeschwindigkeit<br />
liegen aber immerhin stolze 1.427 Touren an. Gerade<br />
an Steigungen geht dem Motor bei Beladung<br />
zudem schon mal die Puste aus und das<br />
optionale Powershift-Achtgang-Getriebe muss<br />
fleißig schalten, um nicht zu viel Speed verpuffen<br />
zu lassen. Auch der Dynamikmodus der<br />
Schaltbox, der die Schaltdrehzahl um 200 Touren<br />
erhöht, kommt öfter zum Einsatz.<br />
Mit welchem Ergebnis? 24,3 Liter Dieselverbrauch<br />
sind ein sehr guter Wert. Allerdings liegt er<br />
nicht so weit weg vom S 515 HD in Euro 6 mit<br />
25,4 l/100 km (siehe <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 7/2<strong>01</strong>3),<br />
wie man erwarten würde. Und das bei einer<br />
deutlich geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit.<br />
Wer also anspruchsvolle Topografie zum<br />
Ziel hat, greift besser zum großen Motor. Erwähnenswert<br />
sind auch die Fahreigenschaften und<br />
2<br />
3<br />
1 Die Batterien<br />
können alternativ<br />
übereinander<br />
montiert werden.<br />
2 Moderne Klarglasscheinwerfer<br />
mit<br />
optionaler LED-<br />
Technik.<br />
3 Trotz leichtem<br />
Versatz nach<br />
außen zeigen die<br />
Spiegel nicht das<br />
ganze Bild.<br />
das hohe Sicherheitsniveau des Setra. Das Fahrwerk<br />
gibt sich makellos und komfortabel, Stöße<br />
aus dem Untergrund dringen kaum nach oben<br />
durch. Die ZF-Servocom-Lenkung agiert sehr<br />
präzise, im Testwagen wirkt sie etwas zu straff.<br />
Der Einsteiger-Idee des Testwagens ist es geschuldet,<br />
dass nicht die volle Phalanx an Helferlein<br />
und Sicherheitssystemen an Bord anwesend<br />
ist. Den optionalen Abstandsregeltempomaten<br />
ART samt ABA3 vermissen wir schmerzlich. Serienmäßig<br />
sind seit Juni 2<strong>01</strong>5 der Spurhalte- und<br />
der Notbremsassistent AEBS an Bord, ein Aufmerksamkeitsassistent<br />
komplettiert den aktiven<br />
Schutz. Denn bei der Sicherheit wird bei Setra<br />
nie getrickst, auch nicht in der neuen Einsteiger-Liga<br />
der Mitteldecker. <br />
◼<br />
1<br />
2<br />
1 Genauso wie bei den HD-Modellen ist die<br />
Heckpartie beinahe skulptural gezeichnet.<br />
2 Dem kleinen 7,7-Liter-Motor fehlt es vor<br />
allem an Steigungen etwas an Schmackes.<br />
3 Vor der Hinterachse bietet der MD ein<br />
praktisches Fach für Werkzeug.<br />
Eine Kaufberatung zur gesamten<br />
Comfort-Class 500 finden Sie auf<br />
www.eurotransport.de/setra-kb<br />
3<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
DIE ZUKUNFT DER MOBILITÄT<br />
IST IN BEWEGUNG.<br />
Seit 1915 ist ZF zu einem weltweit führenden Technologiekonzern<br />
in der Antriebs- und Fahrwerktechnik sowie der aktiven und passiven<br />
Sicherheitstechnik mit 134.000 Mitarbeitern geworden. Künftig werden<br />
wir alle relevanten Technologien für die Megatrends der Zukunft aus<br />
einer Hand anbieten. Erfahren Sie mehr über automatisiertes Fahren,<br />
Sicherheit sowie Effizienz auf zf.com/technologietrends
[ 144 ] MÄRKTE | Vier Jubiläen bei Neoplan<br />
DIE SEELE DES BUSSES<br />
Historie: Gleich vier Jubiläen gab es Ende August in Pilsting zu begehen. 35 Jahre<br />
Megaliner, 50 Jahre Neoplan Doppeldecker, 75 Jahre Konrad Auwärter und 80 Jahre<br />
Gottlob Auwärter GmbH & Co. KG. Wenn das kein XXL-Busereignis ist!<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN, ANDREAS SCHNEIDER, THORSTEN WAGNER<br />
Was sollen denn die Leut’<br />
von uns denken, wenn<br />
wir jetzt kein Angebot machen!“<br />
Diesen Ausdruck schwäbisch-pietistischen<br />
Geschäftssinns<br />
schleuderte an einem grauen Apriltag<br />
des Jahres 1973 der Busbauer<br />
Gottlob Auwärter seinen<br />
beiden Söhnen entgegen. „Und<br />
dann war der Betrieb übernommen,“<br />
erzählt der jüngere der beiden<br />
Söhne, Konrad Auwärter, bei<br />
der feierlichen Enthüllung der Gedenkbüste<br />
des Vaters vor dem Pilstinger<br />
Rathaus. Die Geschichte des<br />
Werkes am Ortseingang des Marktfleckens<br />
im Niederbayerischen begann<br />
1946 und sollte eine wechselvolle<br />
werden: 1951 Übergang an die<br />
Firma Glas, 1967 kaufte BMW sich<br />
ein, ab 1969 wurden Eicher Traktoren<br />
gebaut, wenn auch nicht sehr<br />
lange. Den Rathausplatz ziert daher<br />
seit Ostern dieses Jahres bereits ei-<br />
Neoplan-Design gestern und heute: „Wir streben nach dem Besten“<br />
Interview: Michael Streicher verantwortet seit dem Jahr 2000 das Neoplan-Design bei MAN Truck and Bus.<br />
<br />
Das Gespräch führte Thorsten Wagner.<br />
?: Wie unterscheidet sich das heutige Neoplan-Design<br />
von dem des zwanzigsten Jahrhunderts?<br />
Streicher: Neoplan war schon jeher eine Marke,<br />
die für Innovation steht. Dieses Leitmotiv<br />
wurde und wird über das markante und<br />
unverwechselbare Design zum Ausdruck gebracht.<br />
Die Arbeitsweisen und die formalen<br />
Möglichkeiten haben sich im Laufe der Zeit<br />
zwar verändert, die Philosophie, im Design<br />
einen Schritt voraus zu sein, ist jedoch geblieben.<br />
Heute geht man mit der Gestaltung professioneller<br />
um als noch vor Jahren. In seiner<br />
grundlegenden Ausrichtung hat sich am Neoplan-Design<br />
aber nichts geändert: Wir streben<br />
früher wie heute danach, die Besten zu sein.<br />
?: Worin besteht für Sie die DNA des Neoplan- Designs,<br />
an der es weiterhin festzuhalten gilt, und gibt<br />
es Möglichkeiten der evolutionären Entwicklung?<br />
Streicher: Die Haupteigenschaft des Neoplan-<br />
Designs ist die positive Eigenständigkeit. Ein<br />
Neoplan-Bus beindruckt durch seine Präsenz<br />
und seine Erscheinung. Er soll mehr sein als ein<br />
Ding. Natürlich gibt es Merkmale, die bei Neoplan<br />
einzigartig sind, wie die geteilte Frontscheibe<br />
oder auch die dynamischen Proportionen.<br />
Diese Merkmale sind allerdings kein<br />
Selbstzweck, sondern unterstützen unter anderem<br />
eine gute aerodynamische Performance.<br />
Funktionalität ist bei Neoplan selbstverständlich<br />
die Grundlage für eine gute Gestaltung.<br />
Darüber hinaus soll ein Neoplan Bus innovativer<br />
als seine Mitbewerber sein.<br />
?: Wie sehr ist Fahrzeug-Design auch emotional<br />
mit Menschen verbunden – also denen, die es entwerfen,<br />
bauen oder kaufen?<br />
Streicher: Eine der Haupteigenschaften<br />
des Fahrzeug-Designs ist es, ein emotionale<br />
Verbindung zum Produkt zu schaffen.<br />
Für alle am Entstehungsprozess Beteiligten,<br />
aber auch bei allen Betrachtern und<br />
Benutzern soll diese Verbundenheit spürbar<br />
sein. Als Designer hat man selbstverständlich<br />
einen besonderen Bezug zu seinen<br />
Entwürfen. So sind mir die Neoplan-Busse<br />
fast wie eigene Kinder ans Herz gewachsen<br />
und ich freue mich, wenn andere<br />
Menschen diese Leidenschaft teilen.<br />
Daher gelingt es einem gutem Fahrzeugdesign<br />
über die pure Funktion hinaus zu<br />
wachsen. Gutes Design schafft ein Produkt mit<br />
emotionalem Mehrwert.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
MÄRKTE | Vier Jubiläen bei Neoplan [ 145 ]<br />
Mit dem ersten in Pilsting gebauten ND6, einem Vertreter des „Typ<br />
Hamburg“, zierte ein wichtiger Vertreter der Historie den Rathausplatz.<br />
ne Büste von Hans Glas samt einem<br />
liebevoll gestalteten Goggomobil,<br />
Meilenstein der Wirtschaftswunderjahre.<br />
Ein ebenso wichtiger Meilenstein<br />
war der ND 6 als ein Vertreter<br />
des Typs Hamburg, der erste in<br />
Pilsting gebaute Bus. Er basierte<br />
auf der Diplomarbeit von Albrecht<br />
Auwärter, dem älteren Bruder<br />
(<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 6/2<strong>01</strong>4), der 1994<br />
früh verstarb. Eigentlich nur für ein<br />
Jahr wollte der jüngere Bruder das<br />
neue „Werk 2“ in Niederbayern anleiten,<br />
länger könne man das wohl<br />
nicht durchhalten. Es blieb beim<br />
Vorsatz. Auwärter wohnt noch heute<br />
neben dem Werk, das mit Viseon<br />
wieder mal einen kurzlebigen Besitzer<br />
überdauert hat, nachdem sich<br />
MAN 2009 aus dem Projekt zurückgezogen<br />
hat.<br />
2<strong>01</strong>4 endeten dann rund 45 Jahre<br />
Busbau in Pilsting. „Hier gab es<br />
immer schon gutes Handwerk. So<br />
haben wir mit dem Telebus in den<br />
80er Jahren den Niederflurbus erfunden,<br />
und das hat mehr mit Kön-<br />
Ein Großteil der Familie Auwärter wohnte dem Festtag in Pilsting bei.<br />
Konrad Auwärter wird 75<br />
Kein Anderer ist so eng mit dem ehemaligen Neoplan Werk 2 in Pilsting<br />
verbunden wie Konrad Auwärter, 1940 als jüngerer Bruder von Albrecht<br />
Auwärter, Neoplan-Chef bis 1994, geboren. Und auch dem Thema Doppeldecker<br />
ist er wie kein Anderer verpflichtet. Schon seine Diplomarbeit<br />
an der Hamburger Wagenbauschule, wo er in den 1960ern studierte,<br />
nahm sich der Entwicklung eines besonders leichten Doppeldecker, den<br />
Do-Bus, an. 1973 übernahm er die Leitung des Werkes Pilsting – bis<br />
Konrad Auwärter lebt auch mit 75 das<br />
Bus-Erbe seines Vaters mit großer<br />
Begeisterung weiter.<br />
heute lebt er in dem niederbayerischen<br />
Marktflecken,<br />
der ihm 2000<br />
die Ehrenbürgerwürde<br />
verliehen hat. Im Jahr<br />
2000 bekam er für sein<br />
strategisches Engagement<br />
für alternative und<br />
umweltfreundliche Antriebe<br />
zudem die Ehrendoktorwürde<br />
der TU München<br />
verliehen. Außerdem<br />
kümmert er sich im Neoplan-Verwaltungsrat<br />
um<br />
Projekte wie Ghana, USA,<br />
China und die neuen Bundesländer.<br />
Seit dem Verkauf<br />
von Gottlob Auwärter GmbH und Co. KG an MAN Nutzfahrzeuge AG<br />
im Jahr 2000 kümmert sich Auwärter in aufopferungsvoll um das Erbe<br />
des eigenen Unternehmens und der deutschen Busindustrie als Ganzes.<br />
Im historischen Omnibusverein sind rund 600 Mitglieder mit rund 1.200<br />
Oldtimern organisiert, das vierte europäische Treffen fand im April 2<strong>01</strong>4<br />
in Sinsheim statt. Zusammen mit seiner Frau Christa engagiert sich der<br />
Busliebhaber zudem stark in der Lokalpolitik und im VDA.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
Für ein Wochehende drehte<br />
sich die Neoplan-Auwärter-<br />
Welt rund um Pilsting.<br />
NON-PLUS ULTRA<br />
Fahreindruck: Vierachsige Solobusse sind heute eine Seltenheit in Deutschland.<br />
Wir haben die einmalige Chance genutzt und sind zwei davon gefahren.<br />
In Pilsting fährt eine einmalige Mischung aus doppelstöckigen<br />
und vierachsigen Neoplan-Bussen<br />
auf. „So viele XXL-Neoplan auf einem Haufen –<br />
einmalig!“, schwärmt Andreas Schneider, der wohl<br />
das umfangreichste Neoplan-Archiv weltweit führt.<br />
Grund genug, uns die letzten für Deutschland gebauten<br />
Megaliner und Megashuttle vorzunehmen.<br />
Stammfahrer Patrick Wesolek räumt mit sichtlichem<br />
Unbehagen den Platz am Steuer des vierachsigen<br />
Megashuttles, der als Schulbus jahrelang im<br />
Bayerischen von Unternehmer Lobmeyer eingesetzt<br />
wurde und heute rund 200.000 Kilometer auf der<br />
Uhr hat. Erst vor wenigen Monaten hat der Unternehmer<br />
Hans-Jürgen Ach von Tempelhofer Reisen<br />
den Großraumbus Baujahr 1996 mit einer Kapazität<br />
von rund 120 Personen erworben und aufwendig<br />
instandgesetzt. Der Stadtbus, der auf dem 50.<br />
UITP Kongress 1993 in Sydney ausgestellt wurde,<br />
ist mit MAN D0826 und einem halbautomatischen<br />
ZF-AVS-Getriebe ausgestattet. Es gab sogar Versionen<br />
mit drei Treppen. Das typische, geschwungene<br />
Armaturenbrett der 90er Jahre stammt aus dem Neoplan-Baukasten<br />
und ist identisch auch im Megaliner<br />
der Firma Nies aus Selm verbaut, den wir zum Vergleich<br />
ebenfalls bewegen.<br />
Die Seltenheit und der Imagegewinn für das eigene<br />
Unternehmen waren eine wichtige Motivation,<br />
die auch bei Juniorchef Dennis Nies zu verspüren<br />
ist. Lange hat er nach einem Megaliner gesucht.<br />
Sein Wagen mit OM 442 Euro-2-Maschine und 523 PS<br />
ist mit einem typischen Doppel-H-Achtgang-Schaltgetriebe<br />
ausgerüstet. Die kurze Ausfahrt mit beiden<br />
Bussen beeindruckt. Gerade in Kreisverkehren sind<br />
die 15 Meter langen und bis zu 32 Tonnen schweren<br />
Gefährte einfacher zu handhaben als ein moderner<br />
Dreiachser gleicher Länge. Kein Wunder, alle Achsen<br />
sind gelenkt. Geradeauslauf und Fahrverhalten erinnern<br />
schon mehr an ein Schienenfahrzeug, so stabil<br />
und stoisch ziehen die Dinos ihre Runden und<br />
ernten erstaunte Blicke der Passanten.<br />
Bis zu 91 Personen können<br />
mühelos in diesem Megaliner<br />
befördert werden.<br />
nen als mit Wollen zu tun“, referiert<br />
Auwärter stolz. Einen der<br />
Telebusse hat er zur rollenden<br />
Kommandozentrale ausgebaut, die<br />
am Nachmittag die Doppeldecker-<br />
Prozession auf geschätzten 60 Achsen<br />
ins Auwärter-Museum nach<br />
Landau anführt.<br />
Der Tag steht ganz im Zeichen<br />
des Neoplan-Doppeldeckers und<br />
seiner Spielarten, der 2<strong>01</strong>5 den 50.<br />
Jahrestag begeht. „Nach dem Telebus<br />
kamen Skyliner, Megaliner und<br />
Jumbocruiser. Das waren seinerzeit<br />
die größten Busse der Welt und sie<br />
wurden in Pilsting gebaut und sonst<br />
nirgendwo,“ erzählt Auwärter.<br />
Zu sehen sind während der Ausfahrt<br />
exponierte Vertreter aller jener<br />
Großraumbusse, deren Zeit<br />
spätestens seit 2004 vorüber ist.<br />
Neben dem letzten für einen deutschen<br />
Kunden gebauten Megaliner<br />
Baujahr 2000 sowie dem letzten Mega-Shuttle<br />
als Stadtbus ist auch der<br />
einzige „Longliner“ als Schubgelenkbus<br />
vor Ort, wenn auch im Inneren<br />
in unausgebautem Zustand.<br />
Er soll von der Schrotthalde gerettet<br />
worden sein.<br />
Der letzte Neoplan Geschäftsführer<br />
Bob Lee staunt nicht schlecht<br />
„über die Zwischenstufe zum Megaliner“<br />
und lässt sich eine Begehung<br />
nicht nehmen. Das Fahrzeug<br />
erwies sich laut Lee damals jedoch<br />
als „nicht unkritisch im Hochgeschwindigkeitsbereich“.<br />
Die glorreichen Zeiten gingen<br />
zu Ende, Neoplan wurde nicht nur<br />
fahrzeugtechnisch auf Normalmaß<br />
zurechtgestutzt, die Marktanteile<br />
in Deutschland rangieren aktuell<br />
bei rund vier Prozent, mit einem<br />
erfreulichen Aufwärtstrend im Jahr<br />
2<strong>01</strong>5. Aus dem Mund von Konrad<br />
Auwärter hört sich das so an:<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
Viel bestaunt auch ein anderes Pilstinger Gewächs: Glas Goggomobil.<br />
„Auch wenn MAN die Firma 20<strong>01</strong><br />
gekauft hat, Neoplan lebt weiter!“<br />
Nebenbei fasst Auwärter so eben<br />
die ehemaligen polnischen Neoplan-Vertreter<br />
der heutigen Solaris<br />
Bus, die schon seit 1995 selbstständig<br />
sind, sowie die China-Modelle<br />
als Neoplan-Veteranen zusammen.<br />
Heute dreht sich eben einfach alles<br />
um die Marke, die Pilsting und<br />
Stuttgart zu einem weltweiten Ruf<br />
verholfen hat.<br />
Wie lange will Auwärter noch das<br />
rastlose Leben zwischen Oldtimern,<br />
Vereinstagungen und ehemaligen<br />
Kunden führen? „So lange<br />
es geht. Ich habe den Busschein<br />
auf jeden Fall einmal um fünf Jahre<br />
verlängert. Mit 70 hatte ich geplant,<br />
ihn nach fünf Jahren abzugeben,<br />
und wahrscheinlich werde<br />
ich das gleiche auch wieder zum 80.<br />
Geburtstag sagen“, lacht er.<br />
Was war denn das Geheimnis<br />
des Neoplan-Erfolges? Auwärter<br />
erläutert melancholisch: „Busleidenschaft<br />
auf beiden Seiten, also<br />
auch beim Kunden, der von uns<br />
immer als Partner wahrgenommen<br />
wurde.“<br />
Jeder Bus habe eine Seele, und wenn<br />
man diese zusammen im Kunden-<br />
Lieferanten-Verhältnis pflege, dann<br />
sei das eine runde Sache.<br />
Den Wahrheitsgehalt dieser<br />
Worte erkennt man auch in der E-<br />
Mail des 21-jährigen Patrick Lenz<br />
aus Berlin, Neoplan-Fan und <strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong>-Leser seit Kindesbeinen:<br />
„Kennst du das – plötzlich<br />
sieht man einem Neoplan und<br />
weiß, dass es einfach nur ein Neoplan<br />
ist, der das Herz höher schlagen<br />
lässt?“ Dieses Gefühl ließ sich<br />
Ende August in Pilsting einmal<br />
mehr deutlich erleben. ◼<br />
Der Doppeldecker ist die<br />
Krone des Busbaus<br />
Thorsten Wagner,<br />
Testredakteur<br />
Welch ein Anblick, welche geballte Busfaszination!<br />
Selten tummelten sich im Marktflecken<br />
Pilsting so viele übergroße Neoplan-Busse und<br />
ehemalige Mitarbeiter zu einer Veranstaltung<br />
wie zu diesem Vierfach-Jubiläum am 22. August<br />
2<strong>01</strong>5. Alleine die Aufreihung der rund<br />
20, zumeist doppelstöckigen und oft vierachsigen<br />
Busse aus Stuttgarter oder Pilstinger<br />
Produktion in der Hauptstraße sorgte für rund<br />
1.000 staunende Besucher und wehmütige<br />
Neoplaner-Herzen. So wurde auch zünftig gefeiert und so manche<br />
Story aus alten Zeiten aufgewärmt. Nach dem vorzeitigen Auslaufen<br />
der Design-Ikone Starliner 2, der der finanzielle Erfolg versagt blieb,<br />
liegt es nun vor allem beim neuen Doppeldecker Skyliner, die Zukunft<br />
der 80 Jahre alten Premiummarke als verkannte 13. Marke des<br />
Volkswagen-Konzerns mit der schillernden Vergangenheit zu verbinden.<br />
Das Zeug zum echten Neoplan-Highlight hat er wohl, alleine das<br />
Vertrauen der Kunden in die Marke muss jetzt wiedergewonnen werden.<br />
Anzeige<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
[ 148 ] FAHRZEUGE | Busworld Kortrijk<br />
EIN KESSEL<br />
BUNTES<br />
Messevorschau: Die Busworld im belgischen Kortrijk ist der angestammte Platz für Neuheiten. In diesem Jahr<br />
stechen dabei eher die kleinen Hersteller mit ihren Innovationen heraus.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: THORSTEN WAGNER,<br />
DAIMLER, MAN, SOLARIS, VOLVO BUSES<br />
1<br />
Der Druck auf die Hersteller ist groß: Eine<br />
A-Messe ohne Neuheiten mag für den<br />
Kunden gerade noch durchgehen, bei der<br />
Presse aber kommt das gar nicht gut an. Das<br />
Image einer Marke könnte spürbar leiden. Die<br />
Produktzyklen der Busbauer richten sich daher<br />
nach dem jährlichen Reigen der Ausstellungen.<br />
Allerdings ist auch eine gegenläufige Tendenz<br />
zu erkennen, wonach immer mehr etablierte Unternehmen<br />
Neuheiten außerhalb einer Messe zeigen,<br />
um die Aufmerksamkeit dann ganz für sich<br />
allein zu haben. So hat VDL den Doppeldecker<br />
FDD2 bereits vorgestellt (siehe <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong><br />
10/2<strong>01</strong>5). Auch MAN hat seine bedeutendste<br />
Neuheit, den Überlandbus Lion’s Intercity, schon<br />
im Frühjahr im Werk Ankara gezeigt (<strong>lastauto</strong><br />
<strong>omnibus</strong> 5/2<strong>01</strong>5). Bleibt noch die behutsame, auf<br />
2<br />
1 Setra zeigt den eher für<br />
Ausschreibungen optimierten<br />
Überlandbus S 418 LE<br />
business.<br />
2 Ulrich Bastert, Vertriebschef<br />
von Daimler Buses, stellt<br />
den leistungsgesteigerten<br />
Reisebusmotor OM 471 vor.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
1<br />
1 MAN zeigt den optimierten Lion’s City, der jetzt<br />
segmentierte Seitenwände und auch eine neue<br />
Bugmaske bietet.<br />
2 Neoplan kommt mit zwei exklusiv in Plauen<br />
ausgestatteten Fahrzeugen, die alles bieten,<br />
was das Herz des Buskäufers begehrt.<br />
2<br />
Effizienz ausgerichtete Modellpflege des Stadtbusses<br />
Lion’s City und zwei edle Neoplan-Modelle,<br />
die im Bus Modification Center (BMC) in<br />
Plauen ausgebaut wurden.<br />
Auch Marktführer Daimler hat nach dem<br />
Neuheiten-Feuerwerk der vergangenen Jahre<br />
eine kleine Verschnaufpause eingelegt. Die<br />
Neuheiten wurden in mehreren Terminen bereits<br />
im Laufe des Jahres vorgestellt: zum einen der<br />
überarbeitete Reisebusmotor OM 471, der durch<br />
Feinschliff nochmals acht Prozent Diesel sparen<br />
soll und 20 bis 25 kW mehr Leistung bereitstellt,<br />
zum anderen der OM 936 mit 7,7 Liter Hubraum<br />
als NGT-Erdgasversion mit 222 kW und einer<br />
CO 2 -Einsparung bis zu 80 Prozent, sofern mit<br />
Biogas betrieben. Letzterer wurde im Solobus<br />
der aktuellen Generation mit neuer Elektronikplattform<br />
gezeigt, aber er soll sogar ausreichend<br />
fit für Gelenkbusse sein.<br />
Ein paar pikante Seitenhiebe gönnte sich<br />
Technikchef Gustav Tuschen in Richtung Hybridantriebe,<br />
die zu teuer seien und die versprochenen<br />
Einsparungen teilweise schuldig blieben.<br />
Kein Wort verlor er aber zu den eigenen<br />
schmerzlichen Erfahrungen mit dieser aussterbenden<br />
Gattung.<br />
Bei Setra debütieren LED-Scheinwerfer für<br />
die Top-Class und der Clubbus S 511 HD sowie<br />
der S 418 business als längster Vertreter der robusten<br />
Multi-Class, der mehr als 60 Personen<br />
sitzend befördern kann und vor allem auf Ausschreibungen<br />
zugeschnitten ist.<br />
Solaris zeigt den neuen Elektro-Urbino im exakt identischen Design wie seine Dieselbrüder.<br />
Volvo startet mit der dynamischen Lenkung,<br />
die das Fahrverhalten elektronisch stabilisiert.<br />
Auch aus Skandinavien kommt weitgehend Bekanntes:<br />
Scania zeigt den Überland-Parallelhybrid,<br />
einen Higer Touring mit SCR-only Maschine,<br />
und betont seine 30-jährige Ethanol-Kompetenz.<br />
Volvo stellt die Serienversion des Electri-City-<br />
Stadtbusses vor (<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 8/2<strong>01</strong>5) sowie<br />
die seit 2<strong>01</strong>3 im Truck verfügbare dynamische<br />
Lenkung, die nun auch im Bus für stabileres<br />
Fahrverhalten sorgen soll. Ein aktiver, elektronischer<br />
Eingriff der Assistenzsysteme in die Lenkung<br />
steht wohl auch unmittelbar bevor, auch<br />
wenn sich noch kein Hersteller so recht traut.<br />
Der polnische Hersteller Solaris stimmt seit<br />
Langem in das Lied der Elektrifizierung ein<br />
und zeigt nach bereits 50 verkauften Strombussen<br />
den Elektro-Urbino, der zuerst im Dreierpack<br />
nach Hannover geht und hochflexibel mit<br />
diversen Traktionssystemen ausgerüstet werden<br />
kann. Er bietet die neueste, leistungsstärkere<br />
Version der elektrischen Achse AVE 130 von<br />
ZF. Außerdem wird das neue, spannende Design<br />
auf die Low-Entry-Variante angewandt.<br />
Die italienische Marke Iveco zeigt den angepassten<br />
Reisebus Magelys Pro sowie eine elektrische<br />
Version des Kleinbusses Tourys auf Daily-Basis.<br />
Echte Knallerneuheiten bieten eher<br />
die Importeure und Außenseiter. So VDL mit<br />
dem spannenden Doppeldecker. Außerdem<br />
bringen die Holländer gleich zwei Elektrobusse,<br />
einen Hybridbus und den neuen Berliner<br />
Doppeldecker für die BVG mit. Auch Temsa<br />
mischt mit: Neben einer nochmals kompakteren<br />
Midibusvariante MD7 (siehe Seite 66) stellt der<br />
Hersteller mit dem Maraton einen völlig neuen<br />
Reisebus vor, hüllt sich dazu aber noch in<br />
Schweigen. Denn auch das gehört zuweilen<br />
zum beliebten Spiel der Messeneuheiten: Ein<br />
paar Pfeile müssen bis zuletzt im Köcher bleiben,<br />
um die Spannung zu erhalten. ◼<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
[ 150 ] FAHRZEUGE | Die Neuheiten der Busworld Europe<br />
SCHÖNER<br />
SCHEINEN<br />
Rückblick: Wie auf jeder Messe<br />
werden ein paar Perlen bis zum<br />
Schluss aufgehoben. Wir haben uns<br />
die spannendsten davon etwas<br />
genauer angesehen.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: THORSTEN WAGNER,<br />
BYD, SCANIA, SOLARIS, TEMSA, VOLVO, YUTONG<br />
Klappern gehört zum Handwerk, das hat sich<br />
auch bis zu den kleineren Busherstellern her -<br />
umgesprochen. Beweis dafür ist nicht zuletzt<br />
die aufwendige und emotionale Show von<br />
Irizar. Die Basken inszenierten die Enthüllung<br />
des neuen Flaggschiffs i8 (Bild oben) auf der Busworld<br />
in Kortrijk mit Gesang und Seilakro batik.<br />
20 Millionen Euro habe man investiert, erklärte<br />
Firmenchef José Manuel Orcasitas. Alleine die<br />
Hälfte habe man in moderne Sicherheitstechnologien<br />
investiert. Die neuen i8 tragen stolz das<br />
neue „Integral“-Logo gleich unterhalb der edlen<br />
Abschlussleiste der vorderen Seitenfenster.<br />
Seit 2009 hat Irizar sich vom Aufbauer zum<br />
Bushersteller gemausert. Das neue Flaggschiff<br />
wird es vorerst in 13,22 und 15 Meter Länge geben.<br />
Neu ist das V-artige Designelement, das<br />
sich überall am Fahrzeug findet – auch in den<br />
neuen, exklusiven Irizar-Sitzen mit Dreipunktgurten.<br />
Überhaupt haben die Basken dem Interieur<br />
und der Elektrik des Wagens viel Aufmerksamkeit<br />
geschenkt, der äußerlich eher wie<br />
ein exzessives Facelift erscheint.<br />
Beinahe Pkw-artig und sehr edel schwingt<br />
sich der Arbeitsplatz sanft um den Fahrer. Der<br />
riesige Elf-Zoll-Multimedia-Touchscreen ist<br />
gut erreichbar, liegt aber etwas flach. Bedient<br />
1<br />
2<br />
1 Mit dem Superhochdecker<br />
Maraton darf<br />
man sich wieder an<br />
ein neues Temsa-<br />
Gesicht gewöhnen.<br />
2 Betont auffälliges<br />
Design bietet der<br />
Hochdecker HTC 12<br />
von Yutong, der es<br />
aber so schnell nicht<br />
nach Deutschland<br />
schaffen wird.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Die Neuheiten der Busworld Europe [ 151 ]<br />
Volvo bleibt stur auf Kurs<br />
In einer<br />
Sekunde<br />
werden mehrere<br />
Tausend Regelungsvorgänge<br />
veranlasst.<br />
Der elf Zoll große Touchscreen ist im edlen Irizar-Cockpit etwas zu flach verbaut.<br />
1 Ungewöhnlich für Mitteleuropa ist der Temsa<br />
MD 7 auf Frontmotorchassis mit Blattfedern.<br />
2 Auch Solaris wildert im Midi-Segment und<br />
überträgt sein bekanntes Markengesicht.<br />
1<br />
2<br />
wird er über einen Dreh-Drück-Steller mit fünf<br />
Direktzugrifftasten. Die meisten anderen Funktionen<br />
sind in einem Panel links vom Lenkrad<br />
versammelt und hintergrundbeleuchtet.<br />
Erstmals kommt zumindest vorne ein 22-Zoll-<br />
HD-Monitor zum Einsatz. Beim Antrieb vertraut<br />
Irizar auf ZF-Achsen, hier die neue RL 82 EC-<br />
Einzelradaufhängung, sowie den DAF-MX13-<br />
Motor mit 460 und 510 PS. Auch wenn der<br />
Aufbau der Vertriebsorganisation in Deutschland<br />
noch ganz am Anfang steht, ist das baskische<br />
Flaggschiff durchaus dazu angetan, um<br />
erfolgreich in der dünnen Luft der luxuriösen<br />
Superhoch decker bestehen zu können.<br />
Von diesem Traum noch weit entfernt ist der chinesische<br />
Hersteller Yutong, der einen gefälligen,<br />
12,24 Meter langen Reisebus-Protoypen<br />
nach Kortrijk mitgebracht hat, um die europäischen<br />
Reaktionen auszutesten. Der Elektrobus<br />
E 12 mit Aluminiumaufbau und Zentralmotor<br />
wiederum geht pünktlich zum Klimagipfel in<br />
Paris in eine längere Testphase bei RATP. Langfristig<br />
denke Yutong sogar über eine CKD-Produktion<br />
in Europa nach, heißt es.<br />
Gute Chancen für einen schnellen Start in<br />
Mitteleuropa hat der Temsa Maraton, ein ausschließlich<br />
zweiachsiger Superhochdecker<br />
von 3,90 Meter Höhe und 12,40 beziehungsweise<br />
13,08 Meter Länge. Die abermals neu gestaltete<br />
Frontpartie lässt den Wagen kaum als<br />
Temsa erkennen, das Heck wiederum erinnert<br />
doch sehr an den Neoplan Skyliner. Spannend<br />
zeigt sich das sehr aufgeräumte Cockpit<br />
mit moderner Zenec-Radiobedieneinheit und<br />
einem programmierbaren, digitalen Display.<br />
Motorisiert ist der Maraton mit einer 440 starken<br />
PS-DAF-MX11-Maschine.<br />
Auch am entgegengesetzten Ende der Gattung,<br />
bei den Midibussen, weiß Temsa zu überraschen.<br />
Auf einem kleinen, blattgefederten<br />
Frontmotor-Fahrgestell bietet der Hersteller<br />
einen, modern dreinschauenden Mini von 7,75<br />
Meter Länge und 2,40 Meter Breite sowie 180-<br />
PS-Mittelmotor hinter der vorderen Starrachse.<br />
Mit dem schicken Cockpit des MD 9 sowie einem<br />
Heckeinstieg und 4,4 Kubikmeter Stauraum bietet<br />
sich der robuste Winzling für Kleingruppen<br />
bis zu 33 Personen an. Auch ein Hublift für Rollstühle<br />
ist zu bekommen, ebenso wie eine Überland-Version<br />
mit Low-Entry-Bereich im Heck. ▸<br />
Elektronische Helferlein gehören immer häufiger<br />
auch zum Alltag eines Busfahrers. Jetzt<br />
greifen solche Systeme erstmals auch direkt<br />
ins Steuer ein, und das nicht bei irgendwem,<br />
sondern bei Volvo, der Marke die wie<br />
kaum eine andere für Sicherheit steht. Die<br />
Schweden haben es sich zum Ziel gesetzt, in<br />
absehbarer Zeit ihre Flotte unfallfrei nennen<br />
zu können. Bereits seit zwei Jahren im Lkw<br />
erprobt, geht jetzt Volvo Dynamic Steering<br />
(VDS) auch im Bus an den Start – und zwar<br />
auf Wunsch in allen europäischen Komplettbussen.<br />
Der Aufbau ist denkbar einfach: an<br />
der Lenkspindel der mechanischen Lenkung<br />
ist ein Servomotor angeflanscht, der<br />
bei laufend elektronisch festgestelltem Bedarf<br />
den Fahrer dann unterstützt. Bei einer<br />
ersten Ausfahrt überzeugte VDS mit extrem<br />
guter Manövierbarkeit bei langsamen Tempo<br />
genauso wie mit einem sehr ruhigen Geradeauslauf.<br />
Lediglich die subjektiv hohen<br />
Rückstellkräfte bedürfen einer längeren<br />
Eingewöhnungsphase. Auf die Frage, wann<br />
denn auch der Spurassistent mit dem aktiven<br />
Lenkeingriff verknüpft wird, schweigt<br />
Projektleiter Mats Nilsson lächelnd. Genau<br />
das ist nämlich der logische zweite Schritt<br />
auf dem Weg zum unfallfreien Fahren mit<br />
dem Reisebus und würde Volvo sehr gut zu<br />
Gesicht stehen.<br />
Alle Reisebusse von Volvo können mit<br />
der neuen VDS-Lenkung bestellt werden.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
[ 152 ] FAHRZEUGE | Die Neuheiten der Busworld Europe<br />
1<br />
2<br />
1 Mit dem hochflexiblen Interlink startet<br />
Scania eine Überlandbaureihe, die auch mit<br />
Erdgasantrieb zu haben ist.<br />
2 Im Parallelhybrid Scania Citywide wachsen<br />
die Haltestangen grün zum Dachhimmel.<br />
Der Preis für das gelungenste Innenraumkonzept<br />
geht damit nach Schweden!<br />
Auch Solaris macht mit dem schlicht „Konzeptbus“<br />
genannten Midi erste Gehversuche auf diesem<br />
Gebiet. Mit 10- oder 12-Tonnen-Frontmotor-Chassis<br />
von DAF (152 bis 213 PS und ZF<br />
AS-Tronic!) und 8,20 oder 9,60 Meter Länge will<br />
man den Markt testen. Auch die Elektrovariante<br />
des neuen Urbino mit ZF Elektroachse und<br />
hauseigenen 240 kW starker High-Energy-Batterien<br />
feierte Premiere, bevor die ersten Busse<br />
zur Üstra nach Hannover gehen. Erfolgversprechend<br />
dürfte auch die LE-Variante des neuen<br />
Urbino sein, die mit hochgezogenen Scheiben im<br />
Heckbereich und dem neuen Continental VDV-<br />
Armaturenträger gezeigt wurde.<br />
Mit dem Interlink schickt Scania eine komplett<br />
neue und sehr flexible Baureihe auf den Markt<br />
1<br />
1 Den Otokar Gelenkbus<br />
Kent C gibt es<br />
auch als 18,75-<br />
Meter-Version.<br />
2 Der chinesische<br />
Hersteller BYD<br />
ergänzt das Angebot<br />
an elektrischen<br />
Bussen mit einem<br />
18-Meter-Gelenkzug<br />
mit bis zu 220 Kilometer<br />
angegebener<br />
Reichweite.<br />
2<br />
Eine andere bedeutende Neuheit im Überlandbereich<br />
kommt mit dem sehr flexiblen Modell<br />
„Interlink“ von Scania und war bis zuletzt<br />
ein gut gehütetes Geheimnis. Zu haben sind drei<br />
Höhen (LD, MD, HD) und verschiedene Längen<br />
von 11 bis 15 Meter sowie Diesel-, Ethanolund<br />
Gasantriebe.<br />
Der im finnischen Lahti gebaute Wagen sei<br />
nun „auf den ersten Blick als Scania zu erkennen“,<br />
sagt Scania-Buschef Klas Dahlberg. Der Innenraum<br />
profitiert von niedrigerer Podest höhe,<br />
größeren Scheibenflächen und einer flexiblen<br />
Türlage hinten. Selbstverständlich ist heute die<br />
Erfüllung der neuen Umsturzrichtlinie ECE R<br />
66.02 bei weitgehender Gewichtsneutralität.<br />
Weitere Neuheiten im Stadtbusbereich bietet<br />
Volvo mit der Serienversion des 7900 electric<br />
(ausführlicher Bericht in einem der nächsten<br />
Hefte) und das Volvo-Dynamic-Steering-System<br />
(VDS) für den Reisebus (siehe Kasten).<br />
Der chinesische Hersteller BYD zeigte rein<br />
elektrische Versionen des 18-Meter- Gelenkbusses,<br />
eines acht Meter langen Midibusses sowie<br />
eines Doppeldeckers für London. Auch Otokar<br />
wagt sich mit seinem Gelenkbus Kent C in der<br />
Länge von bis zu 18,75 Metern ins Stadtgetümmel.<br />
Auf niedrigem Niveau hat der Hersteller<br />
hierzulande im ersten Halbjahr 2<strong>01</strong>5 um 50 Prozent<br />
zugelegt. Denn nicht immer ist der lauteste<br />
Auftritt auch der erfolgreichste im Markt. ◼<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
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KOMPAKTER TAUS<br />
Fahrbericht: Der Midibus MD9 ist der Allrounder im Programm des türkischen Herstellers Temsa. Wir sind die<br />
Reisebusversion mit Heckeinstieg gefahren, die in Kortrijk auch in einer kürzeren Version gezeigt werden soll.<br />
TEXT & FOTOS: THORSTEN WAGNER<br />
Es kommt selten vor, dass ein<br />
Hersteller gleich drei Segmente<br />
mit einem einzigen Modell<br />
bedient. Zu spezifisch sind die Anforderungen<br />
der unterschiedlichen<br />
Bereiche Stadt-, Überland- und Reiseverkehr.<br />
In jeder dieser Bereiche<br />
ist jedoch die Länge unter zehn Metern<br />
kaum besetzt und auch tech-<br />
nisch nicht auf einfachem Wege<br />
lösbar. Entweder lassen die auf<br />
Transportern basierende Minibusse<br />
die gewünschte Nutzlast vermissen<br />
oder vom Reisebus abgeleitete<br />
Modelle sind mit rund zehn Metern<br />
noch zu lang und auch zu teuer.<br />
Was liegt also näher, diese kleine,<br />
aber lukrative Marktlücke mit<br />
einem von Haus aus kompakten<br />
Allrounder zu besetzen, der ebenso<br />
durch Eigenständigkeit wie durch<br />
Wendigkeit zu überzeugen weiß?<br />
Der türkische Hersteller Temsa,<br />
der sich im vergangenen Jahr in<br />
Deutschland neu aufgestellt hat,<br />
setzt mit dem kompakten, 2<strong>01</strong>1 auf<br />
Kiel gelegten MD9 auf genau diese<br />
Strategie.<br />
Auf Basis dieser Plattform bietet<br />
Temsa Stadt- und Überlandvarianten<br />
in Hochboden- oder in Low-Entry-Bauweise<br />
und auch eine ausgewachsene<br />
Reisevariante. Zudem hat<br />
der Hersteller auf dem UITP-Kongress<br />
eine Elektroversion namens<br />
Electri-City vorgestellt. Hinter der<br />
Baureihe MD9 verbirgt sich also ein<br />
kleiner, flexibler Fuhrpark, der auf<br />
den gleichen Namen hört.<br />
Ähnlich wie Setra bei den MD-<br />
Modellen der Comfort-Class setzt<br />
Temsa bei seinem Midi auf den früher<br />
so beliebten Heckeinstieg, um<br />
das Kofferraumvolumen in nutzbare<br />
Bereiche zu katapultieren.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Temsa MD9 Euro 6 [ 155 ]<br />
In diesem Falle sind es fünf Kubikmeter,<br />
die bei einem möglichen Passagieraufkommen<br />
bis zu 39 Personen<br />
auch nötig sind.<br />
Bei einem Leergewicht des Edelstahlgerippes<br />
von rund zehn Tonnen<br />
und dem erhöhten zulässigen<br />
Gesamtgewicht von 14,4 Tonnen<br />
bleiben neben 100 Kilogramm<br />
pro Fahrgast sogar noch mindestens<br />
400 Kilo Nutzlast fürs Gepäck<br />
übrig. Das lässt sich in dem aufgeräumten<br />
Kofferraum auch gut<br />
verstauen. Damit wurde ein Kritikpunkt<br />
am Vorgänger ausgebügelt.<br />
Dieser Verdienst gebührt der Mercedes-Hinterachse,<br />
die jetzt 400<br />
Kilo mehr tragen kann als vorher.<br />
Die neue einzelradaufgehängte<br />
Vorderachse von ZF,<br />
deren Abstimmung und Fahrverhalten<br />
um einiges besser zu gefallen<br />
weiß als ihr exotischer Vorgänger<br />
von Voith, passt gut mit der<br />
ZF-Lenkung zusammen. Subjektiv<br />
ist diese sogar etwas zu leichtgängig<br />
ausgelegt. Zusammen mit<br />
dem kurzen Radstand von 4,6 Metern<br />
wird es hierdurch nicht eben<br />
zum Kinderspiel, eine gerade Spur<br />
in den Asphalt zu ziehen.<br />
Der positive Aspekt dieses Arrangements:<br />
ein phänomenaler<br />
Wendekreis von rund 17 Metern.<br />
Der Midi zeigt sich gewissermaßen<br />
als smart unter den Bussen, auch<br />
wenn es zum Quereinparken noch<br />
nicht ganz reicht.<br />
Nicht quer, sondern längs ist der<br />
kleine MAN-Diesel im Heck eingebaut.<br />
Auch hier hat Temsa dazugelernt<br />
und bietet nunmehr für<br />
die Reiseversion serienmäßig die<br />
stärkere 290-PS-Variante an. Gepaart<br />
ist dieser Motor in Euro-6-<br />
Güte zudem mit einem Allison-<br />
Wandlergetriebe mit sechs Gängen,<br />
gegen einen Minderpreis von 5.000<br />
Euro ist auch ein ZF-Schaltgetriebe<br />
verfügbar. Wer aber einmal das Automatikgetriebe<br />
erlebt hat – flottes<br />
und zugkraftunterbrechungsfreies<br />
Schalten der Gänge – wird sich dies<br />
noch einmal gut überlegen. Zumal<br />
das modernisierte Allison-Getriebe<br />
eine neue, adaptive „Prognostikfunktion“<br />
und zwei verschiedene<br />
Schaltprogramme bietet, die im<br />
Service angepasst werden können.<br />
ENDSASSA<br />
1 Mit fünf Kubikmeter Volumen<br />
ist der Kofferraum ausreichend<br />
groß bemessen.<br />
2 Erfreulich ist die Höhe der Tür<br />
im Heck von fast zwei Metern.<br />
2<br />
1
[ 156 ] FAHRZEUGE | Temsa MD9 Euro 6<br />
Aufgrund des knappen Radstands von 4,6 Metern erfreut sich der Midi eines kleinen Wendekreises von rund 17 Metern.<br />
Temsa MD9 Euro 6<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter R6-Zylinder MAN D 0836 LOH 72, stehend im Heck, zweistufiger<br />
Abgasturbolader und Ladeluftkühlung, elektronisch geregelte Einspritzung per Common<br />
Rail. Vier Ventile pro Zylinder. Abgasreinigung SCR-System, Abgasrückführung und Diesel<br />
Partikelfilter, Abgasstufe Euro 6.<br />
Hubraum<br />
6.871 cm³<br />
Bohrung/Hub<br />
108/125 mm<br />
Leistung<br />
213 kW (290 PS) bei 2.300/min<br />
Drehmoment<br />
1.100 Nm bei 1.200–1.700/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Wandler-Automatikgetriebe Allison T 325 R mit sechs Schaltstufen und Übersetzungen<br />
3,49-0,65, Wandler-Überbrückungskupplung ab Stufe 2. Einfach untersetzte Hinterachse<br />
Mercedes HO4, Übersetzung 3,909, alt. 4,3 (bei Schaltgetriebe ausschl. 3.583)<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL 55 EC, doppelte Dreieckslenker, zwei Luftfederbälge,<br />
zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, zul. Achslast 5,0 t. Hinten starre Hypoidachse Mercedes<br />
HO4, zwei Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, vier Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer,<br />
zul. Achslast 9,44 t. Reifengröße 265/70 R 19,5.<br />
BREMSEN/LENKUNG<br />
Zweikreis-Druckluftanlage mit innenbelüfteten Scheibenbremsen rundum, elektronisch<br />
geregeltes Bremssystem EBS mit ABS, ASR, ESP. Retarder. AEBS und Spurassistent (lieferbar<br />
ab 4/2<strong>01</strong>6) Lenkung ZF 8098 Servocom. Max. Radeinschlag Vorderachse 52–54 Grad.<br />
Die Leistung des bayerisch-amerikanischen<br />
Antrieb-Duos kann sich<br />
durchaus sehen lassen, auch wenn<br />
der Niederdruck-Turbolader des<br />
Testwagens aufgrund einer Fehlfunktion<br />
nicht den vollen Druck<br />
aufbauen konnte und so nicht<br />
volle Leistung lieferte. Auch wenn<br />
bei Tempo 100 satte 1.700 Touren<br />
anliegen, ist die Geräuscharmut im<br />
eigens gestalteten, ergonomisch optimierten<br />
Cockpit erstaunlich. Im<br />
Heck dagegen dürfte eine etwas aufwendigere<br />
Dämmung des Motors<br />
Die großzügige Vollausstattung<br />
hat Temsa zum Prinzip erhoben<br />
dem Komfort zugutekommen. Dies<br />
tun die serienmäßigen Inova-Agile-Sitze<br />
schon sehr gut, die seitlich<br />
stark ausgeformten Kopfteile laden<br />
zum ausgedehnten Nickerchen ein,<br />
während der Midi quirlig um die<br />
Ecken wieselt. Überhaupt scheint<br />
das Erfolgsprinzip des Herstellers<br />
immer noch die großzügige<br />
Vollausstattung zu sein: angefangen<br />
von der Küche im Einstieg,<br />
der Hecktoilette, Xenon-Scheinwerfern,<br />
24-kW-Klimaanlage bis<br />
hin zur Audioanlage samt 19-Zoll-<br />
ABMESSUNGEN UND GEWICHTE<br />
Länge/Breite/Höhe (inkl. Klimaanl.) 9.380/2.400/3.330 mm<br />
Radstand<br />
4.600 mm<br />
Wendekreis<br />
16.950 mm<br />
Überhang vorn/hinten<br />
1.900/2.880 mm<br />
Fußbodenhöhe über Fahrbahn 1.146 mm<br />
Innenstehhöhe<br />
1.910 mm<br />
Volumen Kofferraum 5,0 m³<br />
Tankvolumen Diesel<br />
280 l<br />
Zul. Gesamtgewicht<br />
14.400 kg<br />
SITZPLÄTZE<br />
Testwagen/max.<br />
PREIS<br />
Grundpreis/Testwagen<br />
32/39+1+1 (drei Sterne)<br />
159.000/169.000 Euro<br />
Der kleine MAN-Motor wird in Serie in der 290-PS-Version angeboten.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 11/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Temsa MD9 Euro 6 [ 157 ]<br />
1<br />
1 Ablage und Kühlmöglichkeiten<br />
sind ähnlich wie in einem<br />
ausgewachsenen Bus.<br />
2 Alles im Blick und im Griff hat der<br />
Fahrer im modernen Cockpit, das<br />
durch seine Geräuscharmut gefällt.<br />
2<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1 Im Heck kommt die Toilette<br />
unter, die Küche dagegen ganz<br />
klassisch im Einstieg.<br />
2 Stehhöhe und Volumen der<br />
Gepäckablagen gehen für den<br />
Midibus durchaus in Ordnung.<br />
3 Auch der Begleiterplatz bietet<br />
ausreichend Platz und Komfort<br />
für einen entspannten Job.<br />
Monitor ist alles an Bord. Noch bis<br />
April 2<strong>01</strong>6 soll es dagegen dauern,<br />
bis die grundlegende Sicherheitsausstattung<br />
um die ab November<br />
2<strong>01</strong>5 gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Systeme Notbremsassistent<br />
und Spurassistent ergänzt werden.<br />
Der Aufpreis dafür soll minimal<br />
ausfallen. Der Preis für die<br />
„Luxus-Version“ des Busses mit<br />
nur 32 Sitzen, Toilette und Küche<br />
wurde gegenüber 2<strong>01</strong>1 sogar um<br />
10.000 Euro auf rund 170.000 Euro<br />
gesenkt, der Einstiegspreis liegt<br />
bei 160.000 Euro, inklusive der<br />
entspannenden Allison-Automatik.<br />
Wohl nicht nur deswegen freut sich<br />
der Temsa-Vertrieb auf rund 60 Verkäufe<br />
in Deutschland in diesem<br />
Jahr. Denn schließlich macht der<br />
kleine, flexible Tausendsassa einen<br />
Gutteil der Verkäufe in Deutschland<br />
aus. Da lohnt es sich, die kleine<br />
Marktnische weiterhin im Fokus zu<br />
behalten und breit zu bedienen. Das<br />
dürfte den Start des auf der Busworld<br />
in Kortijk erstmals gezeigten<br />
kleineren, rund sieben Meter langen<br />
Bruders MD7 unter einem guten<br />
Stern stehen lassen. ◼<br />
Anzeige<br />
Oberhalb der kompakten Heckscheibe sitzt die Rückfahrkamera.
[ 158 ] FAHRZEUGE | Mercedes Tourismo L<br />
LANGSTRECKEN LÄUFER<br />
Test: Obwohl nicht mehr ganz taufrisch, ist der Mercedes Tourismo ein Kandidat für Jubiläen<br />
und Verkaufserfolge. Zum Zehnjährigen fährt ein waschechter Fernlinienwagen zum Test vor.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Tourismo L [ 159 ]<br />
Dieser Bus ist ein echtes Phänomen auf<br />
Europas Straßen. Obwohl weder aufregender<br />
Hingucker noch vielgelobter Innovationsträger,<br />
eilt er seit 1994 von Erfolg zu<br />
Erfolg und von Jubiläum zu Jubiläum. Nach über<br />
20.000 gebauten Bussen der Baureihe folgten<br />
2<strong>01</strong>4 die vorerst letzten Highlights der Reifung:<br />
Neben der Einführung von Euro 6 wurde die<br />
Sicherheitsausstattung weiter aufgewertet: So<br />
sind zwar aus konstruktiven Gründen weder<br />
„Front Collision Guard“ (FCG) noch der erweiterte<br />
Notbremsassistent ABA3 an Bord, aber<br />
das ab Ende 2<strong>01</strong>5 gesetzlich vorgeschriebene<br />
AEBS-System sowie der Spurassistent sind<br />
bereits ab Sommer serienmäßig zu haben.<br />
Der ersten Travego-Generation dank identischer<br />
Scheinwerfer wie aus dem Gesicht geschnitten,<br />
wagt der kleine Bruder Tourismo nur mit einem<br />
kecken Schwung vom Dach hinab zur A-Säule<br />
eine kleine optische Extravaganz. Alles in<br />
allem ist der Marathonläufer aus dem türkischen<br />
Hosdere – das gerade ebenfalls sein 20-jähriges<br />
Jubiläum als Produktionswerk feierte – aber<br />
durch und durch bodenständig sowie frei von<br />
jeglichen Allüren. Und genau das ist es, was vie-<br />
len Unternehmern in ganz Europa so an ihm<br />
gefällt.<br />
Der Testwagen in dezentem „Florett-Silber“,<br />
der auf der <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong>-Strecke antritt,<br />
hat dazu eine ganz besondere Bestimmung,<br />
nämlich die als Fernlinienvariante. Die<br />
Bedürfnisse dieses neuen Geschäftsfeldes, das<br />
im dritten Jahr seiner Existenz zum Glück immer<br />
noch in der Boom-Phase steckt, treffen sich nahezu<br />
idealtypisch mit denen des Tourismo: Effizienz,<br />
maximale Kapazität und hoher Nutzwert.<br />
Nicht umsonst verweist Daimler stolz auf einen<br />
Marktanteil von rund 50 Prozent im Segment.<br />
Mit den 52 Sitzen des Typs Travel Star Eco<br />
ist die volle Kapazität des rund 14 Meter langen<br />
Dreiachsers noch nicht mal ausgereizt. Die<br />
läge bei 59 Sitzen ohne Toilette. Deutlich spiegelt<br />
der Innenraum auch eine kommende Regelung<br />
wider: Wie im Personenbeförderungsgesetz<br />
ab 2<strong>01</strong>6 für Fernbusse vorgeschrieben, bietet<br />
der Hochdecker zwei Rollstuhlplätze an Bord.<br />
Zur Realisierung des zwar aufwendigen,<br />
aber sicherheitsbetonten Konzepts (man stelle<br />
sich nur einen Notfall mit einem Lift in<br />
der hinteren Treppe vor) treibt Mercedes einen<br />
enormen konstruktiven Aufwand mit ei-<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1 Üppiger Kofferraum dank langem Radstand<br />
und praktische Staufächer über den Achsen.<br />
2 Die typischen Euro-6-Lüftungsgitter im Heck<br />
verleihen etwas mehr optische Spannung.<br />
3 Leider kommt der OM 470 vorerst nicht in den<br />
Genuss der jüngsten Überarbeitung.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
[ 160 ] FAHRZEUGE | Mercedes Tourismo L<br />
Technische Daten und Messwerte<br />
MOTOR<br />
Wassergekühlter R6-Dieselmotor (Mercedes OM 470) stehend im<br />
Heck. Abgasturbolader und Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte<br />
Direkteinspritzung per Common Rail mit Druckverstärkung X-Pulse.<br />
Vier Ventile pro Zylinder, Abgasrückführung, SCR-Technik mit<br />
Adblue-Einspritzung, Abgasstandard Euro 6.<br />
Bohrung/Hub<br />
125/145 mm<br />
Hubraum 10.677 cm 3<br />
Verdichtung 17,6 : 1<br />
Leistung<br />
315 kW (428 PS) bei 1.800/min<br />
Maximales Drehmoment 2.100 Nm bei 1.100/min<br />
KRAFTÜBERTRAGUNG<br />
Getriebe: Automatisiertes Achtganggetriebe Mercedes GO 250-8<br />
Powershift mit Lenkstockbedienung, Dynamikmodus und Rangiermodus<br />
vorwärts und rückwärts.<br />
ÜBERSETZUNGEN<br />
1. Gang 6,57 8. Gang 0,63<br />
R.-Gang 6,18 Achsübersetzung<br />
i = 3,58<br />
Spreizung 10,38<br />
(altern.) (3,91)<br />
Drehzahl bei 100 km/h ca. 1.280/min<br />
FAHRWERK<br />
Vorne Einzelradaufhängung ZF RL 75 E mit Doppelquerlenkern, zwei<br />
Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator, maximaler<br />
Radeinschlag innen 58 Grad. Hinten starre Antriebsachse Mercedes<br />
RO 440, zwei Längslenker, aufgelöster Dreieckslenker, vier<br />
Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer, Stabilisator. Aktiv hydraulisch<br />
gelenkte Nachlaufachse ZF RL 75 EC mit Einzelradaufhängung, max.<br />
Radeinschlag 13 Grad. Reifengröße 295/80 R 22,5.<br />
BREMSANLAGE<br />
Elektronisch geregelte Zweikreis-Druckluftbremsanlage mit<br />
innenbelüfteten Scheibenbremsen rundum, Dauerbremse Sekundär-<br />
Wasserretarder Voith, Betätigung Lenkstockhebel und der Fußbremse<br />
vorgeschaltet, Dauerbremslimiter, ABS und ASR, Bremsassistent,<br />
elektronisches Stabilitätsprogramm ESP. Notbremsassistent AEBS.<br />
LENKUNG<br />
ZF-Kugelmutter-Hydrolenkung Typ 8098 Servocom mit variabler<br />
Übersetzung (22,2–26,2), Lenksäule in Höhe und Neigung<br />
pneumatisch verstellbar.<br />
DIE MESSWERTE<br />
Etappe 1<br />
Etappe 2<br />
Etappe 3<br />
Etappe 4<br />
Etappe 5<br />
Etappe 6<br />
Gesamte Strecke<br />
Rundstrecke Solitude<br />
Gemischt<br />
Solitude–Bad Liebenzell<br />
B 295/B 296/B 463, gemischt<br />
Bad Liebenzell–Unterhaugstett<br />
Bergstrecke<br />
Unterhaugstett–Solitude<br />
Landstraße/B 295/Landstraße<br />
Sindelfingen–Sulz AH*<br />
Autobahn A 8/A 81, mittel<br />
Sulz AH–Kreuz Stuttgart**<br />
Autobahn A 81/A8, leicht<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch L/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
Strecke km<br />
Verbrauch l/100 km<br />
CO 2<br />
/Gramm pro<br />
Personenkilometer***<br />
Verbrauch Adblue l/100 km<br />
Geschwindigkeit km/h<br />
* Zwei Baustellen insgesamt 3,5 km mit 80 km/h, ** Wegen Stau im Kreuz Stuttgart Messung verkürzt,<br />
*** volle/halbe Auslastung; Wetterbedingungen: leicht bewölkt, 16º C trocken<br />
12,1<br />
37,6<br />
56,0<br />
35,8<br />
37,2<br />
55,0<br />
3,6<br />
113,6<br />
39,2<br />
25,6<br />
35,0<br />
48,1<br />
63,3<br />
23,2<br />
94,5<br />
64,1<br />
21,5<br />
93,8<br />
204,5<br />
29,0<br />
14,1/27,2<br />
ca. 1,7<br />
72,0<br />
INNENGERÄUSCHE<br />
vorn Mitte hinten<br />
80/100 km/h, dB(A) 61,0/66,0 62,5/65,5 63,5/66,0<br />
BETRIEBSKOSTEN<br />
Kaufpreis Euro 335.000<br />
Feste Kosten pro Jahr Euro 90.481<br />
Feste Kosten pro km Cent 113,10<br />
Variable Kosten pro km Cent 59,16<br />
Gesamtkosten pro km Cent 172,26<br />
Parameter für die Dekra-Betriebskostenberechnung: Haftpflicht und Kasko<br />
100 Prozent, jährliche Laufleistung 100.000 km, Nutzungsdauer 60 Monate<br />
ELEKTRIK<br />
Spannung 24 Volt, drei Drehstromgeneratoren à 150 A, zwei<br />
Batterien 12 V/225 Ah.<br />
A<br />
D<br />
HEIZUNG/LÜFTUNG/KLIMA<br />
Vollautomatische Heizungs-/Lüftungsanlage mit Dachklimaanlage.<br />
Lufteintritt über Düsenbelüftung, über Schlitze oberhalb der<br />
Seitenfenster sowie Schlitze unterhalb sowie oberhalb der<br />
Gepäckablagen Richtung Mittelgang. Elektrisch betätigte Dachluken.<br />
Entlüftung vorne im Mittelgang, Luftaustritt über die Vorderachse.<br />
Konvektorenheizung im Fahrgastraum, Leistung 12,5 kW,<br />
Bugheizgerät Leistung 20 kW. Kälteleistung Dachklimaanlage 35 kW,<br />
Fahrerplatz 8 kW. Heizleistung Dachanlage 38 kW. Standheizung<br />
Spheros, Leistung 30 kW.<br />
MASSE UND GEWICHTE<br />
Wendekreis<br />
23.138 mm<br />
Leergewicht/Testgewicht 16.550/21.400 kg<br />
Zul. Gesamtgewicht 24.000 kg<br />
Zul. Achslast v/m/h<br />
7.500/11.500/5.750 kg<br />
Gepäckraum (mit/ohne Toilette) 11,0/12,2 m 3<br />
Volumen Kraftstofftank 475 l<br />
Volumen Adblue-Tank 40 l<br />
C<br />
ABMESSUNGEN<br />
A Länge/Breite<br />
13.990/2.550 mm<br />
Höhe<br />
3.620 mm<br />
B Radstand<br />
7.110 + 1.350 mm<br />
C Überhang vorn/hinten 2.760/2.770 mm<br />
D Stehhöhe<br />
2.100 mm<br />
E Einstiegshöhe vorn/hinten ca. 348/ca. 322 mm<br />
F Fußbodenhöhe 1.330 mm<br />
FAHRGASTPLÄTZE<br />
Sitz-/Rollstuhlplätze 52 + 1 + 1 / 2<br />
B<br />
E<br />
A<br />
B<br />
F<br />
WERTUNG<br />
Sehr niedriger Kraftstoffverbrauch, nahezu<br />
perfekt schaltendes Getriebe, übersichtliche<br />
Bedienung, Geräuschniveau sehr niedrig,<br />
optimale Fernbusausstattung.<br />
Preisniveau etwas hoch, Design sehr<br />
zurückhaltend, lauter und spät einsetzender<br />
Retarder, Motor mit wenig Reserven für<br />
Dreiachser, nicht alle Sicherheitsfeatures<br />
verfügbar.<br />
PREIS<br />
Testwagen<br />
C<br />
E<br />
335.000 Euro<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
FAHRZEUGE | Mercedes Tourismo L [ 161 ]<br />
1<br />
1 In Deutschland bisher eher die Ausnahme ist<br />
der Alkotester zur Entsperrung der Zündung.<br />
2 Auch der Begleiter kann die Mediaports gut<br />
erreichen, große Ablage für Handy und Co.<br />
3 Aufgeräumt zeigt sich der nicht mehr topaktuelle<br />
Arbeitsplatz des Reisebusses.<br />
2<br />
3<br />
ner Schlagtür rechts hinter der Vorderachse<br />
und einem Kassettenlift im Kofferraum. Die<br />
Folge: Bis zu acht Sitzplätze fallen weg. Auch<br />
deshalb bevorzugt Mercedes die 14 Meter lange<br />
L-Variante für diesen Einsatzzweck und nicht<br />
etwa den 13-Meter-Dreiachser, der sich zwar<br />
durch einen wesentlich kleineren Wendekreis,<br />
jedoch auch entsprechend knapperen Kofferraum<br />
auszeichnet. Im elf Kubikmeter großen<br />
Abteil des Testwagens fallen der Kassettenlift<br />
und das auf 150 Liter vergrößerte Wasservolumen<br />
der Heavy-Duty-Toilette dagegen kaum<br />
nennenswert ins Gewicht.<br />
Der äußeren optischen Zurückhaltung angepasst,<br />
zeigt sich auch das Cockpit, das weitgehend<br />
dem der Überland-Baureihen von Daimler<br />
entspricht. Es zeigt sich nüchtern mit dem einen<br />
oder anderen sichtbaren Schraubenkopf. Zudem<br />
ist die Bedienung des Displaymenüs ohne die<br />
heute schon fast selbstverständlichen Lenkradtasten<br />
etwas umständlich, der Tachograf sitzt zudem<br />
sehr tief unterhalb des Schalthebels. Wer mit<br />
derlei Petitessen leben kann, findet aber einen<br />
erstklassigen, gut bedienbaren Arbeitsplatz vor,<br />
der viel Platz und gute Rundumsicht bietet.<br />
Der Begleiter kommt in den Genuss von<br />
gut erreichbaren Media-Ports sowie eines großen<br />
Stauschranks neben der Tür, die im Gegensatz<br />
zum hinteren Pendant stolze 2,20<br />
Meter lichte Höhe bietet. Die Stehhöhe von<br />
etwas über zwei Metern ist ebenso ausreichend<br />
wie die 28 mal 31 Zentimeter großen Ablagefächer.<br />
Das im Testwagen verbaute Sitzmodell<br />
Travel Star Eco aus eigener Fertigung lässt sich<br />
neuerdings auch durch eine Variante mit ausziehbaren<br />
Kopfstützen ersetzen, die Daimler<br />
erstmals auf der Busworld gezeigt hat.<br />
Eines der stärksten Verkaufsargumente für einen<br />
Mercedes-Benz war schon jeher der robuste<br />
und moderne Antriebsstrang, so ist es auch<br />
beim Tourismo. Zwar kommt der Langläufer<br />
nicht in den Genuss des großen OM 471, der<br />
gerade aufwendig auf noch mehr Effizienz getrimmt<br />
wurde. Aber auch mit der größten Version<br />
des OM 470 mit 428 PS und 2.100 Newtonmeter<br />
an maximalem Drehmoment ist der Wagen<br />
von sprichwörtlicher Sparsamkeit. So liefert er<br />
in der Euro-6-Version sogar den gleichen guten<br />
Verbrauch von rund 29 Litern auf 100 Kilometer<br />
wie ein von <strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> getesteter Zwei-<br />
1<br />
2<br />
1 Die Vernetzungstechnik für Fleetboard<br />
und Co. versteckt sich in den vorderen<br />
Staukästen der großen Gepäckablagen.<br />
2 Angenehme Stehhöhe und serienmäßige<br />
Podeste lassen den Aufenthalt im Inneren<br />
auch auf der Fernlinie entspannt genießen.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
[ 162 ] FAHRZEUGE | Mercedes Tourismo L<br />
achser mit 408 PS und 1.900 Newtonmetern in<br />
Euro-5-Motorisierung – und das bei rund drei<br />
Tonnen höherem Testgewicht.<br />
Alle Achtung, hier haben die Schwaben wirklich<br />
ihre Hausaufgaben gemacht! Wer noch sparsamer<br />
unterwegs sein will, muss dann doch zum<br />
Travego mit dem überarbeiteten OM 471 und 476<br />
PS greifen, der bis zu 2.300 Newtonmeter und<br />
einige andere Features zusätzlich bietet.<br />
Berg und Tal sind freilich nicht die größten<br />
Freunde des Tourismo L – allzu schnell versickert<br />
das aufgebaute Tempo an Steigungen<br />
im Drehmomentkeller. Das perfekt schaltende<br />
automatisierte Achtgang-Getriebe hat dann zuweilen<br />
Mühe und sollte ab und an in den eingebauten<br />
Dynamikmodus wechseln dürfen, um<br />
alle Reserven zu mobilisieren.<br />
Zu guter Letzt kommt es aber auch beim Marathonläufer<br />
mehr auf die Ausdauer an als auf<br />
üppig wuchernde Muskelberge. Und sparsame<br />
Ausdauer zeigt der Tourismo bei sanften 1.300<br />
Touren bei Marschtempo durchaus. Das bewährte<br />
Fahrwerk und die zurückhaltende Geräuschkulisse<br />
geben derweil keinen Anlass zum<br />
Mäkeln. Mit dem Wagen ist jederzeit gut Staat zu<br />
machen – bei Fahrer und Fahrgästen. Gerade im<br />
Cockpit herrscht angenehme Stille. Lediglich der<br />
1<br />
2<br />
1 Eine zwar aufwendige, aber sehr sichere<br />
Lösung für den Einbau zweier Rollstuhlplätze,<br />
die ab 2<strong>01</strong>6 Vorgabe für Fernbusse sind.<br />
2 Mittels Airline-Schienen lassen sich bis zu<br />
vier Sitzreihen ausbauen. Nur wo lagern? Das<br />
wird sich so mancher Betreiber fragen.<br />
etwas spät einsetzende Wasserretarder, der deftig<br />
zupackt, ist dann aber auch gut hörbar.<br />
Insgesamt geht der Tourismo also sehr gereift<br />
ins zehnte Produktionsjahr. Das nächste Jubiläum<br />
kam denn auch schneller als gedacht: Statt<br />
des von dem einen oder anderen Experten erwarteten<br />
neuen Modells stand auf der Busworld<br />
in Kortrijk eine edel anmutende Sonderedition<br />
mit dem stolzen „10.000th Edition“-Emblem.<br />
Derart geadelt läuft der Bus weiter und weiter<br />
und weiter – wohl auch noch bis zum nächsten<br />
Jubiläum.<br />
◼<br />
Fernbusboom bringt Reisebusse auf technologisches Spitzenniveau<br />
Nicht nur die schnell erkennbare Ausrüstung<br />
des Testwagens mit zwei Rollstuhlplätzen lässt<br />
ihn flugs als Fernlinienspezialist erkennen, auch<br />
viele andere Details haben sich seit dem Boom<br />
Statt konventioneller Küche bietet der Testwagen<br />
einen Snackautomaten im Einstieg.<br />
des preiswerten innerdeutschen Busverkehrs<br />
weitgehend durchgesetzt.<br />
So sind 220-Volt-Steckdosen in diesem Tourismo<br />
an jedem Platz (leider an der Wand und<br />
nicht für die Fahrgäste praktikabler zwischen<br />
den Sitzen) ebenso Standard wie schnelles<br />
WLAN via flottem LTE. Per Fleetmanagement-<br />
Software Fleetboard kann die Zentrale zudem<br />
jederzeit verfolgen, wo sich der Wagen gerade<br />
befindet und wie es um sein technisches Wohlergehen<br />
bestellt ist. Eher seltener zu finden<br />
und wohl mehr eine skandinavische Anlehnung<br />
ist der Alkoholtester zum Starten des Wagens.<br />
Statt einer konventionellen Küche findet sich<br />
im hinteren Einstieg ein Snackautomat, den es<br />
ebenfalls mit Heißgetränkeabteilung gibt. So weit<br />
Ohne Steckdosen für das mitgebrachte<br />
Handy oder Tablet geht heute nichts mehr.<br />
die Pflicht auf der Fernlinie, die Kür beginnt beim<br />
stillen Örtchen, bisher mehr pro forma an Bord,<br />
nunmehr ein durchgehend frequentiertes Heavy-<br />
Duty-Bauteil. Metallarmaturen statt Kunststoffteile,<br />
formatfüllende Spiegel und elektrische<br />
Handtrockner sind ebenso notwendig wie vergrößerte<br />
Volumina für Frisch- und Abwasser. Beim<br />
Testwagen sind es jeweils rund 150 Liter, die<br />
Zugänge sind gut und praktikabel im sehr üppig<br />
bemessenen Kofferraum zu erreichen.<br />
Vom ehemals „stillen Örtchen“ wurde die<br />
Toilette zum Heavy-Duty-Bauteil an Bord.<br />
<strong>lastauto</strong> <strong>omnibus</strong> 12/2<strong>01</strong>5
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1 Die Bugmaske<br />
des Lion’s City ist<br />
nicht ganz aktuell,<br />
trägt aber stolz<br />
den Welfenlöwen.<br />
2 Die Originalfarbe<br />
der Stossstangen<br />
war ebenfalls Blau.<br />
1<br />
2<br />
An einigen Tagen im Jahr durfte der tiefblaue<br />
Büssing BS 110 V-R dann doch vom tristen<br />
Linien-Standard abweichen. Da wurde<br />
seine Dachkante festlich geschmückt mit den<br />
Fähnchen der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ),<br />
der Stadt Zürich und der Eidgenossenschaft. So<br />
zum Beispiel zum traditionellen „Sechseläuten“<br />
oder „Sächsilüüte“, einer Art Frühlingsfest, das<br />
Mitte April stattfindet und das Ende des Winters<br />
verkündet.<br />
Ein Pappmaschee-Schneeman, der „Böögg“,<br />
wird seit 1902 als Höhepunkt der Festivitäten<br />
auf dem zentralen Sechsläutenplatz im Beisein<br />
der 26 Züricher Zünfte zeremoniell verbrannt.<br />
„Es gibt jährlich sieben oder acht Gelegenheiten,<br />
an denen wir unsere Fahrzeuge<br />
so beflaggen, aber zahlen müssen das jeweils<br />
die Veranstalter, der Kanton rechnet da etwas<br />
anders als die Stadt“, berichtet Patrick Renner,<br />
Leiter Instandhaltung Bus bei den VBZ<br />
und schon seit zehn Jahren im Unternehmen.<br />
Und der Kanton finanziert die Verkehrsbetriebe.<br />
Das war wohl auch einer der Gründe<br />
dafür, warum die VBZ seit rund zehn Jahren die<br />
kleine Flotte von Oldtimern der Marken Saurer,<br />
FBW und Giraf nach und nach an Museen<br />
im Land abgegeben hat. Verblieben war nur ein<br />
Saurer von 1939 mit Holzaufbau – und der Standardüberlandbus<br />
(StÜLB) Büssing BS 110 V-R.<br />
Dabei läutete die Beschaffung der 88 Busse in Zürich<br />
Anfang der 70er-Jahre eine neue Ära ein, die<br />
UNGLEICHE<br />
LÖWENBRÜDER<br />
Vergleichsfahrt: Der Büssing BS 110 hat kaum mehr gemeinsam mit<br />
einem MAN Lion‘s City G als den Löwen auf dem Bug.<br />
TEXT: THORSTEN WAGNER | FOTOS: KARL-HEINZ AUGUSTIN,<br />
THORSTEN WAGNER, OMNIBUSSPIEGEL<br />
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FAHRZEUGE | Büssing und MAN [ 165 ]<br />
111 Jahre Büssing-Busse<br />
Die sogenannten Trilex-Räder des Büssing<br />
waren eine Schweizer Technik-Spezialität.<br />
mit einem enormen politischen Echo einhergegangen<br />
sei, erinnert sich Urs Kern, Teamleiter Service<br />
Support bei MAN in Otelfingen, der damals<br />
bei den VBZ in der Instandhaltung arbeitete. „Die<br />
relativ preiswerten Wagen sollten ohne große<br />
Revisionen maximal acht Jahre laufen, das war<br />
ein echter Paradigmenwechsel damals.“<br />
Weil sich die Busse aber als robust und zuverlässig<br />
zeigten, ließ man sie dann doch ihre 10<br />
bis 12 Jahre mit einer durchschnittlichen Kilometerleistung<br />
von rund 45.000 Kilometern laufen –<br />
freilich nicht ganz ohne Überholungen. Den Zuschlag<br />
erhielt Büssing als erster ausländischer<br />
Lieferant vor allem wegen des neuartigen Konzepts<br />
mit dem Unterflur-Heckmotor sowie der<br />
seltenen Bereitschaft, Dreitürer zu liefern.<br />
Abgesehen von dieser Extravaganz zeigt<br />
sich der Büssing-Elf-Meter-Solowagen voll der<br />
Norm der ersten VÖV-Standardbus-Generation<br />
verschrieben, inklusive der stark gewölbten<br />
Frontscheibe (auch Werkspoor- oder Jukebox-<br />
Scheibe). Der Raumeindruck in der sehr hoch<br />
angebrachten Fahrerkanzel ist durch diese Ei-<br />
1 Ungewöhnlicher Luxus im Gelenkbus: Stehtische,<br />
Teppichboden und Espressomaschine.<br />
2 Die Dokumentation wurde bei Büssing groß<br />
geschrieben. In drei dicken Ordnern findet<br />
sich jede Information über den Oldtimer.<br />
Zum ausgesuchten Erscheinungsbild des MAN<br />
Lion’s City gehören natürlich Alcoa-Alufelgen.<br />
genart sehr gut, die Blendwirkung der Transistor-Innenbeleuchtung<br />
wird hierdurch und durch<br />
eine massive Blende unterhalb der Scheibe stark<br />
vermindert.<br />
Der Wagenboden ist bis auf die vorderen Radkästen<br />
podestfrei, diese sind jedoch geschickt mit<br />
Querbänken verdeckt, die dem Vorderwagen einen<br />
luftigen Eindruck verschaffen. Der generelle<br />
Eindruck hat mit einem Niederflurbus kaum<br />
etwas gemein. Man fühlt sich eher wie in einem<br />
Hochboden-Überlandwagen, auch wenn sich die<br />
Gesamthöhe von drei Metern nicht wesentlich<br />
vom modernen MAN Lion‘s City unterscheidet.<br />
Eine kleine Fahrt von Otelfingen, wo der Wagen<br />
mehr als 25 Jahre nach seinem letzten Einrücken<br />
restauriert worden war, zum Betriebshof<br />
der VBZ lässt die Anstrengungen der Fahrer<br />
damals erahnen, auch wenn diese den „robusten<br />
und einfachen Bus“ sehr goutierten, so Kern.<br />
Zwar gibt sich der Büssing-Motor mit 186 PS<br />
ohne Aufladung nicht gerade als Rennwagen zu<br />
erkennen, aber er hält den maximal 15,5 Tonnen<br />
2<br />
Mit Doppeldeckern („Deckbussen“) für<br />
London wurde Büssing schnell bekannt.<br />
Noch elf Jahre vor MAN begann Heinrich<br />
Büssing (1843–1929) in Braunschweig<br />
Busse zu bauen und selbst auf Linie unter<br />
schwersten Bedingungen zu testen. Der<br />
berühmte „Wendeburg-Bus“, der 1904 seinen<br />
Dienst nördlich von Braunschweig antrat,<br />
steht immer noch als Replika im ehemaligen<br />
Werk 2 in Salzgitter-Watenstedt. Der<br />
Braunschweiger<br />
Welfen-Löwe findet<br />
sich noch heute als<br />
MAN-Löwe auf dem<br />
Fahrzeug-Bug.<br />
Sehr früh steigt<br />
Büssing ins Englandgeschäft<br />
ein<br />
und lieferte so<br />
viele Doppedecker<br />
nach London, dass<br />
man 1906 bereits<br />
eine Lizenz vergab.<br />
Später lieferte man<br />
auch Chassis für<br />
Erst mit fast 60<br />
Jahren stieg Heinrich<br />
Büssing in den Nutzfahrzeug-Bau<br />
ein.<br />
Doppeldecker an Berlin und spezialisierte<br />
sich auf schwere Dreiachser. Die erste VÖV-<br />
Standardlinienbus-Generation sollte auch<br />
die letzte für Büssing sein. Statt Namen wie<br />
„Konsul“ und „Senator“ bekam das Modell<br />
die Bezeichnung BS 110. Er war einer der<br />
letzten Busse, der noch ohne MAN-Einfluss<br />
entstand, der sich 1970 mit der Übernahme<br />
von Büssing dann schnell festigte.<br />
1<br />
Ein ähnlicher Büssing BS 110 im Jahr<br />
1979 vor dem Züricher Hauptbahnhof.<br />
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[ 166 ] FAHRZEUGE | Büssing und MAN<br />
Übergabe-Protokoll<br />
schweren Wagen mit bis zu 51 Sitzen immer unter<br />
Dampf – das auch im Sinne der Geräuschentwicklung.<br />
Eine Servolenkung war damals<br />
noch nicht an Bord, wohl aber eine Voith-Dreigang-Automatik,<br />
deren Manövrierpräzision im<br />
Rückwartsgang noch sehr zu wünschen übrig<br />
zu 30 Prozent steigen soll, sagt VBZ-Mann Renner.<br />
Derzeit sind allerdings nur noch 14 Lion‘s<br />
City M im Dienst sowie 63 Neoplan Centroliner,<br />
die Ende des Jahrzehnts zur Erneuerung anstehen.<br />
Sogar der letzten erkennbaren Zuckung der<br />
VDV-Standardisierung hat sich der Lion‘s City<br />
MAN-Vorstand Dr. Carsten Intra gönnte<br />
sich eine Probefahrt nach der Übergabe.<br />
Die konzertierte Aktion hat den letzten<br />
Büssing-Standardlinienbus der Züricher Verkehrsbetriebe<br />
(VBZ) wohl vor dem Schicksal<br />
der Schrottpresse bewahrt. Anfang der 70er-<br />
Jahre wurden in der Schweizer Großstadt<br />
88 dieser Busse „im großen Stil beschafft“,<br />
wie Patrick Renner von der VBZ sagt, eingesetzt<br />
wurden sie bis 1990. Im Zuge der Reduzierung<br />
des Oldtimerbestandes wuchs der<br />
Druck, den letzten Vertreter seiner Art aufs<br />
eidgenössische<br />
Altenteil zu schicken.<br />
Fürs Museum<br />
bot sich der<br />
Wagen noch nicht<br />
so recht an, also<br />
fragte man bei<br />
MAN in Otelfingen<br />
an. Dort restaurierten<br />
sechs Auszubildende<br />
den<br />
Wagen von Grund<br />
auf. Es folgte die<br />
Nach über 400.000<br />
Kilometern im Liniendienst<br />
verlässt der<br />
Büssing die VBZ.<br />
Übergabe an MAN-Produktionsvorstand Dr.<br />
Carsten Intra in München. „Das war eine<br />
einmalige Gelegenheit für die Lehrlinge, eine<br />
Restaurierung eigenverantwortlich und ohne<br />
feste Vorgaben durchzuführen“, sagt Peter<br />
Sterchi, MAN-Werkstattleiter. In rund 300<br />
Mannstunden wurde die komplette Technik,<br />
aber auch Seitenbleche und anderes aufwendig<br />
überarbeitet.<br />
„Standard“ ist ein Fremdwort für den modernen<br />
MAN-Gelenkzug, „Coffee to ride“ dagegen nicht<br />
lässt. Aber es soll auf unserer Fahrt durch Zürich<br />
vorwärtsgehen, und das gelingt durchaus zügig.<br />
Besonders der direkte Kontakt zur Straße und<br />
die unvermittelte Rückmeldung des lauten Motors<br />
an den Fahrer lässt die Straße in Verbindung<br />
mit einem straffen Fahrwerk deutlich verspüren.<br />
Fast fühlt es sich nach einer Art Verschmelzung<br />
über die Jahrzehnte hinweg an. Vorerst soll das<br />
aber seine letzte Fahrt in Zürich gewesen sein,<br />
fast 40 Jahre nach der Jungernfahrt. In seiner<br />
neuen Heimat München trifft der Büssing auf<br />
einen weitläufigen Verwandten, mit dem er so<br />
gar nichts gemein hat.<br />
„Standard“ ist ein Fremdwort für den MAN Lion‘s<br />
City GL, „Coffee to ride“ dagegen nicht. „Wir<br />
wollten mit diesem exklusiven Fahrzeug einfach<br />
mal zeigen, was auch im Stadtbusbereich<br />
alles möglich ist“, erläutert Stefan Sahlmann,<br />
bei MAN für das Produktmarketing Stadtbusse<br />
zuständig. Dazu gehört neben technischen<br />
Extravaganzen wie der Länge von 18,75 Metern,<br />
die von fünf Türen unterbrochen wird, transluzentem<br />
Faltenbalg oder neuer elektronischer<br />
Knickwinkelsteuerung so einiges, was einen<br />
die Augen reiben lässt: edler, farblich passender<br />
Teppichboden, ein eleganter Stehtisch im<br />
Perron und – man staune – eine veritable<br />
Espressomaschine! So schlecht würde das Konzept<br />
auch für die VBZ gar nicht passen. Man<br />
plane mithin nur noch Gelenkbusanschaffungen,<br />
da bis 2030 das Fahrgastaufkommen um bis<br />
entledigt, seit 2004 wird er meistens mit der hauseigenen<br />
„Pille“ geliefert, auch alle anderen Hersteller<br />
kochen seitdem ihr eigenes Süppchen. Im<br />
Cockpit herrscht gediegene Ruhe und schlichte<br />
Aufgeräumtheit. Man schwebt abgehoben über<br />
1 Der Büssing U 11 D-Motor begnügt sich mit<br />
11,6 Liter Hubraum und 186 PS Leistung.<br />
2 Im Heck des MAN gehen die 360 PS des zehn<br />
Liter großen D20-Motors kräftiger zu Werke.<br />
1<br />
2<br />
Das Team von MAN in Otelfingen hat den<br />
Büssing-Oldtimer aufwendig restauriert.<br />
Bevor das Niederflurprinzip sich durchgesetzt hatte, wurde der Standardbus 1 breit eingesetzt.<br />
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1<br />
2<br />
1 Im VÖV-Standardbus hatten gute Sicht und<br />
einfache Bedienbarkeit höchste Priorität.<br />
2 Das MAN-Armaturenbrett hat sich mittlerweile<br />
gegen die VDV-Variante durchgesetzt.<br />
den Dingen, genau wie beim Fahren. Der 360 PS<br />
starke MAN D20 tut weit weg und kaum vernehmlich<br />
sein drehmomentstarkes Werk. Zu<br />
keinem Augenblick wirkt der 28-Tonner überfordert.<br />
Im Gegensatz zum Bremshey-Fahrersitz<br />
im Büssing mit „Dralon-Plüsch geripptem“<br />
Bezug vermittelt der Isri ProActive 2 das Gefühl<br />
von Abrahams Schoß.<br />
Auch das Fahrgefühl des zweiteiligen<br />
Lounge-Liners, der bis zu 156 Fahrgästen jederzeit<br />
Platz und öfter mal Espresso bieten kann,<br />
scheint wie von einer anderen Welt. Flüssig, mühelos,<br />
gediegen und sicher – das sind Attribute,<br />
die dem Fahrer am Steuer durch den Kopf schießen.<br />
Das verbaute ZF Ecolife-Sechsganggetriebe<br />
scheint mit dem Motor eine symbiotische Einheit<br />
zu bilden, so behände wechseln die Schaltstufen<br />
beim Beschleunigen. Auch die Überlänge<br />
tut der Wendigkeit kaum Abbruch, beinahe lässt<br />
sich der Lulatsch wie ein Solobus bewegen. Und<br />
so gleiten wir fast lautlos vor das MAN-Busforum<br />
in Dachau, wo auch der brave Büssing BS<br />
110 V-R, Baujahr 1973, seine neue Heimat gefunden<br />
hat. Eines ist ihm wohl sicher: Hier wird ihn<br />
niemand mehr Standardbus nennen. ◼<br />
Um diese Leuchten-Phalanx im Auge zu haben,<br />
muss man nicht von der Straße wegschauen.<br />
Diese Verkleidung an der A0-Säule verhindert<br />
ungewollte Reflexionen in den Scheiben.<br />
Stolz trägt der MAN Lion’s City GL 100 Jahre MAN-Busgeschichte auf seiner Außenhaut.<br />
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