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Magazin Naturfreund - Naturfreunde Schweiz

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UNTERWEGS<br />

Engadin<br />

Sgraffiti – Fassadenschmuck mit Tradition<br />

Vielleicht mal ein Kurs<br />

in Susch?<br />

Wandern im Unterengadin, wir lieben es. Nicht zuletzt auch<br />

der typischen Häuser wegen. Und zu so einem Engadiner<br />

Haus gehört der «typische» Fassadenschmuck, ein kunstvoll<br />

gefertigtes Sgraffito.<br />

Lachende Sonnen, Rosetten und Fantasiewesen,<br />

Bänder mit Wellen-, Dreiecksund<br />

Zirkelornamenten – in den Unterengadiner<br />

Dörfern ziehen sie unweigerlich jedes<br />

Auge auf sich. Die unverwechselbare Fassadendekoration,<br />

schwarz-weiss oder in bunten<br />

Farben, heisst «Sgraffi to» – Kratzputz,<br />

vom italienischen graffi are = kratzen. Sgraf-<br />

22 NATURFREUND 3/2012<br />

fi ti, in Kalkputz eingekratzten Zeichnungen,<br />

Ornamente, grafi schen Elemente und Sprüche,<br />

zieren vor allem Hausecken und Fenster-<br />

und Türeinrahmen. Besonders zahlreich<br />

und prachtvoll sind sie in Guarda, Ardez,<br />

Scuol, Tarasp, Zuoz, Bever und Samedan<br />

anzutreffen. Guarda, das für seine Lage und<br />

Baukunst die Auszeichnung als «Ortsbild<br />

von nationaler Bedeutung» erhielt, zählt<br />

kaum mehr als siebzig Gebäude – fast alle<br />

sind sgraffi to-verziert. Eines der prächtigen<br />

Häuser hat nahezu jedes <strong>Schweiz</strong>er Kind<br />

schon zu Gesicht bekommen: Der Maler<br />

Alois Carigiet nahm es als Vorbild für seinen<br />

«Uorsin», den berühmten «Schellen-Ursli».<br />

Die Sgraffi to-Technik ist recht einfach: In<br />

einem ersten Schritt entsteht aus Sand, Kalk<br />

und Wasser eine breiige Masse, die mit einer<br />

Farbe eingefärbt und auf die dunkel vorverputzte<br />

Fassade aufgetragen wird. Dieser Untergrund<br />

wird dann nass in nass – «al fresco»,<br />

wie bei der Freskomalerei – mit mehreren<br />

Schichten dicker, meist weisser Kalkmilch bestrichen.<br />

Alsbald beginnt die künstlerische<br />

Arbeit: Mit Metallstiften,<br />

Messern und Schlingen<br />

kratzt der Handwerker<br />

seine Verzierungen in<br />

den noch feuchten Putz,<br />

bis diese Linien oder<br />

Flächen im dunklen,<br />

kontrastierenden Farbton<br />

des Untergrundes<br />

zum Vorschein<br />

kommen.<br />

Mehrfarbige<br />

Sgraffi ti<br />

erfordern<br />

eine anspruchsvollere<br />

Technik: Der Bildaufbau<br />

muss umgekehrt<br />

werden, daher hat der<br />

Handwerker die einzelnen<br />

Herstellungsschritte akribisch<br />

vorauszuplanen. Zuerst<br />

entstehen die Details,<br />

die Umrisse der Sujets und<br />

Ornamente werden erst am<br />

Schluss sichtbar.<br />

Fotos: Andrea Badrutt, Chur<br />

Nach der Fertigstellung des Kratzwerks<br />

trocknet die Kalkschicht allmählich aus. Das<br />

Wasser verdunstet, der Kalk nimmt Kohlendioxid<br />

aus der Luft auf und wird zu festem<br />

Kalkstein. Daher sind Sgraffi ti sehr dauerhaft.<br />

Sie überleben Wind und Wetter jahrzehntelang,<br />

oft sogar über Jahrhunderte,<br />

ohne Schaden zu nehmen.<br />

Ob die Sgraffi to-Dekoration am Engadiner<br />

Haus besonders schön wirkt? Mit<br />

seinen dicken Mauern, ausgedehnten<br />

Flächen, weiten Toren und tiefen Fenstersimsen<br />

scheint es für den gross zügig angebrachten<br />

Fassadenschmuck jedenfalls besonders<br />

geeignet. Erfunden wurde er<br />

allerdings nicht hier: Die Engadiner Sgraffi<br />

ti haben ihren Ursprung in den farbenfrohen<br />

Hausbemalungen des Südens. Es<br />

waren italienische Baumeister der Renaissance,<br />

die im 16. Jahrhundert die Technik<br />

in die <strong>Schweiz</strong> gebracht hatten. Die einheimischen<br />

Handwerker mit einem Flair<br />

für Gestaltung liessen sich von der neuartigen<br />

Fassadendekoration begeistern und<br />

schmücken die Häuser ihrer Auftraggeber<br />

bis heute damit. Im Laufe der Zeit liessen<br />

sich die Engadiner immer wieder von verschiedenen<br />

Stilepochen inspirieren. Die

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