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Magazin Naturfreund - Naturfreunde Schweiz

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Der Säntis, mit seiner Tourismus- und<br />

Kommunikations-Infrastruktur, ist eine<br />

Wucht. Und er ist ein Magnet. Seine Anziehungskraft<br />

wirkt kilometerweit, weit über<br />

den Bodensee und das Rheintal hinaus. Das<br />

belegen auch die Aktionärslisten der Säntis<br />

Schwebebahn AG. Wer meint, deren Teilhaber<br />

würden allein aus dem Appenzellerland<br />

oder dem Sankt Gallischen stammen,<br />

irrt. Aber nun, der Säntis ist ja nicht «bloss»<br />

irgendein Berg. Die Marketingleute sagen es<br />

klipp und klar: der Säntis ist «der Berg».<br />

«Säntis, der Berg», so ist’s auf jedem Prospekt<br />

zu lesen, und so sagt es die auf Seriosität<br />

getrimmte Stimme im Säntis-Video. Dieser<br />

Film, übrigens, trägt einen ebenso klipp<br />

und klaren Titel; er heisst «der Film». So<br />

viel Einfachheit mag einen vielleicht etwas<br />

seltsam berühren; wer sich jedoch dem<br />

realen «Berg» nähert und sich ihm aussetzt,<br />

wird feststellen, dass es Kräfte gibt, die quer<br />

stehen zu vernünftigem Denken, die einem<br />

verführen zum Schwelgen, zu Schwärmereien,<br />

zu Torheiten und dergleichen.<br />

Also ist es nicht verwunderlich, dass sich<br />

auf dem Säntis oft Hunderte Menschen tummeln.<br />

Hunderte, die sich haben hinauftragen<br />

lassen, in zehn Minuten von 1350 auf<br />

2500 m ü. M. Per Schwebebahn. Ja, so nennen<br />

sie diese Seilbahn: Schwebebahn. Und<br />

die Wortwahl passt zum Credo. Man<br />

schwebt nach oben, in die Höhe, Auffahrt<br />

Richtung Himmel, dem Höchsten zu. Der<br />

Säntis ist gross, und hier wird das Grosse<br />

zelebriert. Und ja, der Säntis ist auch geografi<br />

sch was Besonderes: er ist ein Aussenposten,<br />

ein Vorposten der Alpen; darum ist<br />

das Panorama da oben derart umfassend,<br />

derart breit, derart spektakulär. Die Reiseleiterin<br />

hatte dazu ebenfalls ein nicht ganz<br />

bescheidenes Bild verwendet: «Zwischen<br />

hier und den Nordpol gibt’s keinen Berg, der<br />

höher ist als der Säntis!»<br />

Von der Reformation und<br />

den Eremiten<br />

Auch wenn wir nun nicht schnurstracks<br />

dem Säntis zueilen, es bleibt dabei: im Alpstein<br />

richten sich aller Augen auf den Säntis.<br />

Wo immer man sich aufhält, der Säntis gibt<br />

Orientierung; für das menschliche Auge ist<br />

dieser Berg so etwas wie der Nordpol für die<br />

Magnetnadel des Kompass. Das Auge kann<br />

gar nicht anders als nach dem Säntis zu blicken<br />

– ausser man sitze auf einer Holzbank<br />

vor dem steinernen Altar in einer der drei<br />

Wildkirchlihöhlen. Es sind diese Höhlen unterhalb<br />

der Ebenalp (ob Wasserauen), in denen<br />

der Naturwissenschaftler Emil Bächler<br />

zwischen 1903 und 1908 Dutzende Knochen<br />

von Höhlenbären und allerlei Gerätschaften<br />

frühester Jäger (Neandertaler) ausgegraben<br />

hat. Und es sind diese Höhlen (auf<br />

1500 m ü.M.), in denen christliche Eremiten<br />

ab Mitte des 17. Jahrhunderts über eine Periode<br />

von gut 200 Jahren der Franziskusregel<br />

gemäss gelebt haben. Und es sind diese Ein-<br />

siedler, die – etwas vereinfacht gesagt – zu<br />

den Geburtshelfern des Tourismus<br />

im Alpstein gehören.<br />

Weil, nun, was diese<br />

Sinnsucher mit den Alphirten<br />

geteilt haben,<br />

ihre Frömmigkeit,<br />

ihre Messen, ihr Leben<br />

in Einfachheit,<br />

ihre Entsagung<br />

dem Materiellen<br />

gegenüber, – das<br />

weckte den<br />

Gwunder.<br />

Vielleicht war die<br />

Situation ähnlich wie<br />

zuvor mit Bruder Klaus<br />

(Niklaus von Flüe) in Obwalden:<br />

diese Waldbrüder,<br />

diese Asketen, die waren in<br />

ihrer Radikalität ein Fragezeichen, eine<br />

Kuriosität – und schon damals eine Sensation.<br />

Um diese Figuren rankten Geschichten,<br />

mysteriöse Erzählungen, und so was<br />

sprach sich herum. Und also tauchten von<br />

Sommer zu Sommer mehr Wundernasen<br />

vor der Wildkirchli-Höhle auf. Womöglich<br />

lässt sich dies vergleichen mit dem Zauber,<br />

der in den 1960er Jahren Tausende<br />

von Amerikanern und Europäern nach<br />

Indien gelockt hatte, dort waren die Gurus<br />

– und uns kamen Stories zu Ohren<br />

über welche, die jahrelang auf einem Bein<br />

gestanden hatten, die nächtelang nackt im<br />

Schnee meditierten oder die in der Lage<br />

waren, den Rhythmus ihres Herzschlags<br />

nach Belieben zu beschleunigen oder zu<br />

verlangsamen. Nun, wie dem auch gewesen<br />

sein mag, der Mensch ist anfällig für<br />

Heilslehren. Die Sehnsucht nach Sinn,<br />

nach seelischer Sättigung ist offensichtlich,<br />

und gleichzeitig ist nicht jede/r<br />

UNTERWEGS<br />

Alpstein<br />

bereit, dafür aufs absolut Ganze zu gehen,<br />

und also schlägt damit die Stunde der Maler<br />

und der Dichter; sie sind es, die einem<br />

ausmalen, was man sich selbst nicht holen<br />

kann. Vieles, das damals an Texten und<br />

Gemälden rund um die Eremiten vom<br />

Wildkirchli erschaffen wurde, ist noch<br />

heute vorhanden, und wo wir diese Belege<br />

etwas genauer anschauen, erhalten wir<br />

Lektionen darüber, was es mit der 1597<br />

erfolgten Teilung des Appenzells in ein<br />

Ausserrhoden und in ein Innerrhoden auf<br />

sich hatte (mit Wald-Rodungen hat dies<br />

nichts zu tun). Es war die Reformation,<br />

die diese Teilung brachte, und es war die<br />

Reformation, die eine Akzentuierung der<br />

jeweiligen Standpunkte auslöste: entweder<br />

so, oder so. Wer bei den herkömmlichen<br />

Machtverhältnissen, der alten Ordnung,<br />

respektive dem «Alten Glauben»<br />

bleiben wollte, hatte Ausserrhoden zu verlassen;<br />

wer mit der Revolution, wer mit<br />

Wenn’s im Frühsommer nochmals schneit: Gasthaus Äscher und Altmann (links). Die Ebenalp-Bahn ab<br />

Wasserauen AI verkürzt den Zustieg.<br />

Fotos: H. Gruber<br />

NATURFREUND 3/2012 25

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