Magazin Naturfreund - Naturfreunde Schweiz
Magazin Naturfreund - Naturfreunde Schweiz
Magazin Naturfreund - Naturfreunde Schweiz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
UNTERWEGS<br />
Rigi<br />
Es ist nicht ein jeder und eine jede ein<br />
Bähnli-Fan. Aber an der Rigi kann es<br />
auch nüchternen Beobachtern passieren,<br />
dass einem diese Bähnli ans Herz wachsen.<br />
Oder zumindest, dass sie einem – wie soll<br />
man sagen – irgendwie kindlich anrühren.<br />
Das mag auch daran liegen, dass viele dieser<br />
Wägelchen aus dem Land des Gestern stammen,<br />
aus der Zeit der Vorväter. Die Rigi-<br />
Bahnen sind eine Gesellschaft, die die Wagen<br />
und Loks von vorgestern nicht ins alte<br />
Eisen entsorgt sondern die diese immerzu<br />
gepfl egt haben. Und heute nun sind diese<br />
alten Dinger Gold wert. Stampfende, pustende<br />
Dampfl oks mit Kesseln, die aussehen<br />
wie fahrbare Schnapsbrennereien, oder wie<br />
der etwas hoch geratene Kocher aus der<br />
Camping-Ausrüstung. Und die Passagierwagen!<br />
Einerseits die mit Plüsch ausstaffi erten<br />
Salonwagons, dieses ganze Drum und Dran<br />
der Belle Epoque; andererseits die Wagen<br />
mit den harten Holzbänken und den Holzrahmen,<br />
in denen statt Fenster aus Glas rein<br />
gar nichts steckt. Die einen Wagen sind<br />
knallrot, die andern blau, und der Kondukteur<br />
trägt einen steifen Hut und ein weisses<br />
Hemd und darüber ein schwarzes Gilet, und<br />
vorne in der Lok schaufeln Männer Kohle<br />
ins Feuer, sie schwitzen, ihre Hände sind<br />
schwarz von der Kohle, sie tragen Überkleider<br />
und ein rotes Halstuch – und vielleicht<br />
hat das damals genau so ausgesehen an der<br />
Rigi, damals als am 21. Mai 1871 die erste<br />
Bahn den Berg hoch pustete. Es muss ein<br />
Riesenereignis gewesen sein: die Mehrheit<br />
(!) des Bundesrates war extra dazu nach<br />
Vitznau angereist, dabei ging es um eine<br />
Bahnstrecke von bloss 7 km, genauer gesagt<br />
um 7058 Meter. Aber dazu war, wie gesagt,<br />
über die Hälfte der Landesregierung in top<br />
Garderobe zur Stelle. Heute mag das kurios<br />
anmuten, aber wir sollten uns vergegenwärtigen,<br />
dass dies damals eine absolute Premiere<br />
war; eine Bahn, die einen Berg hochkletterte,<br />
das war sensationell. Dieser vor<br />
141 Jahren an der Rigi umgesetzte Entwicklungsschritt,<br />
darin ist sich die Fachwelt<br />
einig, hat neue Massstäbe gesetzt, neue<br />
Dimensionen eröffnet. Einerseits wirtschaftlich,<br />
andererseits in ihrer technischen Konstruktion<br />
und Ausführung: die Rigibahn<br />
wurde zum Vorbild aller weiteren Zahnradbahnen.<br />
Der Aufstieg und internationale<br />
Erfolg der 1871 in Winterthur gegründeten<br />
<strong>Schweiz</strong>erischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik<br />
SLM (heute Teil von Stadler Rail)<br />
ist aufs engste mit der Rigi verbunden.<br />
Die Reichen und die Schönen<br />
Setzen wir die frühe Rigi-Geschichte mit<br />
dem Leben eines Arbeiters in Bezug, kann<br />
einem schwindlig werden. Auf Sonnenterrassen<br />
fl anieren, parlieren, dinieren, Jugendstil,<br />
Sommerfrische, Belle Epoque –, wir<br />
schauen uns heute die vergilbten Postkarten<br />
an, wir sehen darauf die Raddampfer, die<br />
Schlosshotels, wie Märchenhotels, die Damen<br />
in ausladenden Röcken und mit allerlei<br />
Federn und Schlaufen bestückten Hüten,<br />
und die Männer allesamt mit Schnauz, mit<br />
Spazierstock und Melone, und wir neigen<br />
dazu, dies zu romantisieren, aber das war<br />
damals schon romantisiert, und vor allem:<br />
das war nur was für Betuchte oder aber für<br />
solche, die vorgaben, betucht zu sein. Wo<br />
wir uns dessen bewusst sind, wird verständlich,<br />
was wenig später die Gründungsjahre<br />
der <strong>Naturfreund</strong>e derart befl ügelt hatte: die<br />
Einkommensunterschiede waren krass, die<br />
Per Schiff von Luzern nach Weggis, und zu Fuss via Felsentor auf Rigi-Kaltbad: eine Route, die schon Nobelpreisträger Carl Spitteler begeistert hatte.<br />
8 NATURFREUND 3/2012