2014-01
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kurzes, schnelles Winken, es geht weiter, ich muss weiter<br />
auf diesem Weg. Es ist der Weg, der mich aus der Arbeitslosigkeit<br />
hinaus nach Tripolis in Lybien führen soll.<br />
Im Oktober wurde mir wegen Arbeitsmangel gekündigt,<br />
im November finde ich schnell eine auf zwei Monate befristete<br />
Stelle bei einem Stuttgarter Maschinenhändler.<br />
Der hat in einer Kaserne der lybischen Armee eine Lehrwerkstatt<br />
für Holzbearbeitung eingerichtet und es wird<br />
meine Aufgabe sein, das Personal in die Handhabung von<br />
Maschinen und Werkzeugen einzuweisen. Das ist ein gutbezahlter<br />
Job mit satten Auslandsspesen, der unserer Familie<br />
zumindest für die nächsten Monate gut weiterhelfen wird.<br />
Nach vorausgehenden Auslandsaufenthalten in Asien und<br />
Afrika bin ich nicht ganz unvorbereitet auf die mich nun<br />
erwartende Situation.<br />
Warum die Eile, warum die Angst, etwas zu verpassen?<br />
Zügig eile ich zur Abflughalle, nur um mir dann dort die<br />
nachfolgend zähen Stunden bis zum wer weiß wie lang verspäteten<br />
Abflug um die Ohren zu hauen. Irgendwann sitzen<br />
alle Passagiere in der Maschine, dürfen diese dann aber kurz<br />
darauf auch alle wieder verlassen. In kunterbunter Reihe stehen<br />
am Fuße der Gangway die aufgegebenen Koffer und es ist<br />
die Aufgabe aller Passagiere, jeweils den eigenen Koffer zu<br />
identifizieren. Es darf kein Koffer unbekannt bleiben, denn da<br />
könnte ja die Terroristenbombe drin versteckt sein. Soviel zu<br />
den Sicherheitskontrollen, der Typ des selbst mitfliegenden<br />
Selbstmordattentäters ist derzeit noch keine Option.<br />
Endlich hebt die Maschine ab, sprichwörtlich im Fluge,<br />
aber doch ermüdend und langatmig, vergeht die Zeit über dem<br />
wolkenverhangenen europäischen Winterhimmel. Mit reichlich<br />
Verspätung setzt die Maschine schließlich in Tripolis auf,<br />
Koffer werden ausgeladen und direkt an der Gangway von<br />
den Passagieren in Empfang genommen. Ein kurzerWeg führt<br />
zum Flughafengebäude, desinteressierte Zollbeamte knallen<br />
ihre Stempel in die Pässe und kurz drauf finde ich mich ohne<br />
weitere Gepäckkontrolle im Ausgangsbereich wieder.<br />
„Bin weit gekommen, doch was soll ich hier?“ singt<br />
Heinz Rudolf Kunze in einem seiner Lieder, und selten trifft<br />
eine Liedzeile wie diese meine Gemütslage, haut den Nagel<br />
auf den Kopf.<br />
Lautes, buntes Gewirr rüttelt meine Sinne wach, es fällt mir<br />
schwer,diemichhiererwartende,unüberschaubareMenschenmenge<br />
optisch und akustisch zu begreifen. Männer, scheinbar<br />
nur Männer, bevölkern die Szene, gekleidet in allen möglichen<br />
Trachten und Anzügen, wie sie der Orient nur bieten kann.<br />
Hier die sofort nach den Koffern greifenden Taxifahrer, dort<br />
die mit Namenstafeln versehenen Mitarbeiter verschiedenster<br />
Firmen, die hier ihre Gäste zum Abholen erwarten.<br />
Und genau diese Tafeln schaue ich mir jetzt gründlich<br />
an, es ist ein who is who der deutschen Industrie, nahmhafte<br />
Firmen sind vertreten, aber wo in aller Welt ist Hahn und<br />
Kolb? Wo steckt die Person, die mich hier abholen soll, warum<br />
finde ich sie nicht? Krampfhaft halte ich mein Gepäck<br />
unter Kontrolle, wehre Horden von Taxifahrer ab und finde<br />
doch nicht die gesuchte Erlösung.<br />
Die Ankunftshalle lichtet sich nach und nach, die meisten<br />
Passagiere haben mittlerweile ihren Weg gefunden, um mich<br />
wird es einsam, wenn da nicht die Taxifahrer wären. Gut, dass<br />
es sie gibt, denn wie sollte ich sonst von hier wegkommen?<br />
Wer aber diese Taxifahrer kennt, der weiß, sie suchen keine<br />
Fahrgäste, sie suchen Opfer, sie müssen Beute machen! Sie<br />
sind das letzte Glied in einer mafiösen Kette. Das Warten<br />
auf Passagiere am Flughafen ist ja schließlich nicht umsonst.<br />
Die Beute ist leicht zu erkennen: Orientierungslos schaut sie<br />
umher, kann sich sprachlich nicht verständigen und vor allen<br />
Dingen kann sie die arabischen Schriftzeichen auch nicht nur<br />
ansatzweise entziffern. Ich mag kein Opfer, will keine Beute<br />
sein, aber was soll ich tun, was bleibt mir anderes übrig? Es<br />
wird noch mindestens fünfzehn Jahre dauern, bis dass das<br />
Handy universelle Kommunikation ermöglicht.<br />
Eine Skizze mit Anschrift und Adresse, fein säuberlich<br />
in arabischer Schrift, führe ich für genau diesen Fall der<br />
Fälle bei mir. Selbstredend sagt mir das Papier nicht viel und<br />
darum halte ich diesen Zettel nun dem nächstbesten Fahrer<br />
unter die Nase und erteile ihm quasi mit bedingungslosem<br />
Vertrauen den Beförderungsauftrag. Nein, wir haben keinen<br />
Preis vereinbart, Sprachbarrieren verhindern dieses und es ist<br />
mir auch mittlerweile egal: Soll doch die Firma den Schaden<br />
zahlen. Wieso holen die mich hier nicht ab? Geld habe ich<br />
auch kaum dabei, mir wurde gesagt, das kann ich mir als<br />
Lohnvorschuss vor Ort auszahlen lassen.<br />
Gemeinsam mit dem Fahrer verlasse ich das Flughafengebäude,<br />
tauche ein in die staubig, graue, sonnenlose Luft,<br />
die uns draußen erwartet. Das Taxi, ein alter ausgedienter<br />
Toyota, ist schnell erreicht, Koffer werden eingeladen, ich<br />
sinke, eine Staubwolke aufwirbelnd, wuchtig in den ausgesessenen<br />
Beifahrersitz.<br />
Dejá Vú, das Ganze habe ich doch schon mal, wenn auch<br />
irgendwie wieder total anders, vor Jahren in Lagos erlebt!<br />
Mit einem Schlag bin ich wieder da, hier in Afrika. Erinnerungen<br />
werden wach, der Fahrer schiebt eine Kassette in den<br />
Recorder und es geht los mit Musik. Schwülstige Geigenklänge,<br />
schmachtender Gesang und dazu knochentrocken<br />
der treibende Rhythmus einer Darambuka quälen sich blechern,<br />
leiernd durch die alten Radiolautsprecher. Oh Aisha,<br />
honigsüß durchfluten orientalische Töne dasAuto und gehen<br />
auf direktem Weg durchs Ohr in Herz und Beine. Euphorie<br />
und drückende Ungewissheit, wie passt das zusammen?<br />
„Tarábulus“ zeigt das Schild in Richtung Stadt, es ist<br />
das letzte Verkehrszeichen in lateinischer Schrift an der &<br />
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