09.09.2016 Aufrufe

2014-01

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

kurzes, schnelles Winken, es geht weiter, ich muss weiter<br />

auf diesem Weg. Es ist der Weg, der mich aus der Arbeitslosigkeit<br />

hinaus nach Tripolis in Lybien führen soll.<br />

Im Oktober wurde mir wegen Arbeitsmangel gekündigt,<br />

im November finde ich schnell eine auf zwei Monate befristete<br />

Stelle bei einem Stuttgarter Maschinenhändler.<br />

Der hat in einer Kaserne der lybischen Armee eine Lehrwerkstatt<br />

für Holzbearbeitung eingerichtet und es wird<br />

meine Aufgabe sein, das Personal in die Handhabung von<br />

Maschinen und Werkzeugen einzuweisen. Das ist ein gutbezahlter<br />

Job mit satten Auslandsspesen, der unserer Familie<br />

zumindest für die nächsten Monate gut weiterhelfen wird.<br />

Nach vorausgehenden Auslandsaufenthalten in Asien und<br />

Afrika bin ich nicht ganz unvorbereitet auf die mich nun<br />

erwartende Situation.<br />

Warum die Eile, warum die Angst, etwas zu verpassen?<br />

Zügig eile ich zur Abflughalle, nur um mir dann dort die<br />

nachfolgend zähen Stunden bis zum wer weiß wie lang verspäteten<br />

Abflug um die Ohren zu hauen. Irgendwann sitzen<br />

alle Passagiere in der Maschine, dürfen diese dann aber kurz<br />

darauf auch alle wieder verlassen. In kunterbunter Reihe stehen<br />

am Fuße der Gangway die aufgegebenen Koffer und es ist<br />

die Aufgabe aller Passagiere, jeweils den eigenen Koffer zu<br />

identifizieren. Es darf kein Koffer unbekannt bleiben, denn da<br />

könnte ja die Terroristenbombe drin versteckt sein. Soviel zu<br />

den Sicherheitskontrollen, der Typ des selbst mitfliegenden<br />

Selbstmordattentäters ist derzeit noch keine Option.<br />

Endlich hebt die Maschine ab, sprichwörtlich im Fluge,<br />

aber doch ermüdend und langatmig, vergeht die Zeit über dem<br />

wolkenverhangenen europäischen Winterhimmel. Mit reichlich<br />

Verspätung setzt die Maschine schließlich in Tripolis auf,<br />

Koffer werden ausgeladen und direkt an der Gangway von<br />

den Passagieren in Empfang genommen. Ein kurzerWeg führt<br />

zum Flughafengebäude, desinteressierte Zollbeamte knallen<br />

ihre Stempel in die Pässe und kurz drauf finde ich mich ohne<br />

weitere Gepäckkontrolle im Ausgangsbereich wieder.<br />

„Bin weit gekommen, doch was soll ich hier?“ singt<br />

Heinz Rudolf Kunze in einem seiner Lieder, und selten trifft<br />

eine Liedzeile wie diese meine Gemütslage, haut den Nagel<br />

auf den Kopf.<br />

Lautes, buntes Gewirr rüttelt meine Sinne wach, es fällt mir<br />

schwer,diemichhiererwartende,unüberschaubareMenschenmenge<br />

optisch und akustisch zu begreifen. Männer, scheinbar<br />

nur Männer, bevölkern die Szene, gekleidet in allen möglichen<br />

Trachten und Anzügen, wie sie der Orient nur bieten kann.<br />

Hier die sofort nach den Koffern greifenden Taxifahrer, dort<br />

die mit Namenstafeln versehenen Mitarbeiter verschiedenster<br />

Firmen, die hier ihre Gäste zum Abholen erwarten.<br />

Und genau diese Tafeln schaue ich mir jetzt gründlich<br />

an, es ist ein who is who der deutschen Industrie, nahmhafte<br />

Firmen sind vertreten, aber wo in aller Welt ist Hahn und<br />

Kolb? Wo steckt die Person, die mich hier abholen soll, warum<br />

finde ich sie nicht? Krampfhaft halte ich mein Gepäck<br />

unter Kontrolle, wehre Horden von Taxifahrer ab und finde<br />

doch nicht die gesuchte Erlösung.<br />

Die Ankunftshalle lichtet sich nach und nach, die meisten<br />

Passagiere haben mittlerweile ihren Weg gefunden, um mich<br />

wird es einsam, wenn da nicht die Taxifahrer wären. Gut, dass<br />

es sie gibt, denn wie sollte ich sonst von hier wegkommen?<br />

Wer aber diese Taxifahrer kennt, der weiß, sie suchen keine<br />

Fahrgäste, sie suchen Opfer, sie müssen Beute machen! Sie<br />

sind das letzte Glied in einer mafiösen Kette. Das Warten<br />

auf Passagiere am Flughafen ist ja schließlich nicht umsonst.<br />

Die Beute ist leicht zu erkennen: Orientierungslos schaut sie<br />

umher, kann sich sprachlich nicht verständigen und vor allen<br />

Dingen kann sie die arabischen Schriftzeichen auch nicht nur<br />

ansatzweise entziffern. Ich mag kein Opfer, will keine Beute<br />

sein, aber was soll ich tun, was bleibt mir anderes übrig? Es<br />

wird noch mindestens fünfzehn Jahre dauern, bis dass das<br />

Handy universelle Kommunikation ermöglicht.<br />

Eine Skizze mit Anschrift und Adresse, fein säuberlich<br />

in arabischer Schrift, führe ich für genau diesen Fall der<br />

Fälle bei mir. Selbstredend sagt mir das Papier nicht viel und<br />

darum halte ich diesen Zettel nun dem nächstbesten Fahrer<br />

unter die Nase und erteile ihm quasi mit bedingungslosem<br />

Vertrauen den Beförderungsauftrag. Nein, wir haben keinen<br />

Preis vereinbart, Sprachbarrieren verhindern dieses und es ist<br />

mir auch mittlerweile egal: Soll doch die Firma den Schaden<br />

zahlen. Wieso holen die mich hier nicht ab? Geld habe ich<br />

auch kaum dabei, mir wurde gesagt, das kann ich mir als<br />

Lohnvorschuss vor Ort auszahlen lassen.<br />

Gemeinsam mit dem Fahrer verlasse ich das Flughafengebäude,<br />

tauche ein in die staubig, graue, sonnenlose Luft,<br />

die uns draußen erwartet. Das Taxi, ein alter ausgedienter<br />

Toyota, ist schnell erreicht, Koffer werden eingeladen, ich<br />

sinke, eine Staubwolke aufwirbelnd, wuchtig in den ausgesessenen<br />

Beifahrersitz.<br />

Dejá Vú, das Ganze habe ich doch schon mal, wenn auch<br />

irgendwie wieder total anders, vor Jahren in Lagos erlebt!<br />

Mit einem Schlag bin ich wieder da, hier in Afrika. Erinnerungen<br />

werden wach, der Fahrer schiebt eine Kassette in den<br />

Recorder und es geht los mit Musik. Schwülstige Geigenklänge,<br />

schmachtender Gesang und dazu knochentrocken<br />

der treibende Rhythmus einer Darambuka quälen sich blechern,<br />

leiernd durch die alten Radiolautsprecher. Oh Aisha,<br />

honigsüß durchfluten orientalische Töne dasAuto und gehen<br />

auf direktem Weg durchs Ohr in Herz und Beine. Euphorie<br />

und drückende Ungewissheit, wie passt das zusammen?<br />

„Tarábulus“ zeigt das Schild in Richtung Stadt, es ist<br />

das letzte Verkehrszeichen in lateinischer Schrift an der &<br />

1/<strong>2<strong>01</strong>4</strong> durchblick 33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!