2014-01
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Leserbeitrag<br />
DER ONKEL AUS AMERIKA<br />
von Otto Schneider<br />
Rädio ist nicht Rédier<br />
In der Generation meines Vaters, der 1894 geboren<br />
wurde, gab es in unserer näheren Umgebung viele kinderreiche<br />
Familien mit sechs bis acht Kindern. Meine<br />
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Foto:fotolia.de<br />
Großeltern hatten dreizehn Kinder und davon<br />
war mein Vater das Älteste.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg, Mitte der zwanziger<br />
Jahre, wanderten viele Deutsche aus in die<br />
Vereinigten Staaten von Amerika. Unter ihnen<br />
waren viele Siegerländer, die sich eine neue Heimat<br />
im Mittleren Westen der USA suchten. Auch<br />
vier Geschwister meines Vaters, drei Schwestern<br />
und sein nächst jüngerer Bruder, wagten den<br />
Schritt in ein neues Leben. Sie wohnten alle in<br />
einer Stadt am Michigansee und es ging ihnen,<br />
weil sie fleißig und praktisch veranlagt waren,<br />
bald besser als vorher zu Hause. Dadurch erklärt<br />
es sich, dass mein Onkel Oswald schon 1936 den<br />
ersten Besuch in der alten Heimat machen konnte.<br />
Es war Anfang Dezember und ich ging in das<br />
erste Schuljahr in die Geisweider Schule. Mein<br />
Onkel hatte geschrieben, dass er mit dem Schiff<br />
bis nach Bremerhaven und dann mit der Eisenbahn<br />
über Hagen nach Geisweid fahren würde.<br />
Die Daten waren bekannt und so fuhren mein<br />
Vater und sein Bruder Karl meinem Onkel bis<br />
nach Hagen entgegen. Sie stellten sich so auf<br />
dem Bahnsteig auf, dass er ihnen nicht entgehen konnte.<br />
Als der Zug aus Bremerhaven eingelaufen und alle Passagiere<br />
ausgestiegen waren, war mein Onkel scheinbar nicht<br />
dabei und mein Vater rief seinem Bruder Karl zu: „Hä es<br />
net metkomme.“ Mein Onkel Oswald war aber doch mitgekommen<br />
und ging auf meinen Vater zu, denn er hatte ihn<br />
nach so langen Jahren an der Stimme erkannt.<br />
Mein Onkel hatte natürlich allerlei Gepäck bei sich und<br />
die beiden anderen Brüder halfen ihm tragen. Ein kleineres<br />
Gepäckstück behielt er aber bei sich unter dem Arm. Mein<br />
Vater fragte ihn: „Oswald wat häsde da do dren?“ Mein<br />
Onkel sagte, und er war vielleicht noch halb in Amerika,<br />
außerdem nuschelte er ein wenig: „Dat es for os Babbe e<br />
Rädio“. Die beiden Brüder schauten sich an. Sie hatten anstelle<br />
von Rädio „Rédier“ verstanden. „Rédier“ war ihnen<br />
ein Begriff, denn mein Opa, ihr Vater, stammte aus Volkholz<br />
im Wittgensteiner und hatte von der Haustüre seines<br />
Elternhauses aus so manches Rehtier geschossen.<br />
Mein Vater und mein Onkel Karl, die natürlich kein englisch<br />
verstanden, lachten und sagten: „Ja Oswald, wat sall da<br />
os Babbe met nem Rehdier, dä häd doch genoch zom esse. On<br />
mir ha och grad weil Du komme wollst, frösch geschlachtet.“<br />
Da begriff mein Onkel Oswald, was er angerichtet hatte<br />
und erklärte seinen Brüdern, dass es sich bei dem Geschenk<br />
um ein Radio handelte. Das Gelächter unter den drei Brüdern<br />
war groß und als sie die Geschichte zu Hause erzählten,<br />
wurde noch mehr gelacht.<br />
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