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Alla Breve Nr. 36

Magazin der Hochschule für Musik Saar

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Aber Achtung: Nicht immer sind populäre Werktitel durch<br />

Marketingmanipulationen entstanden. Beethovens kurzes<br />

Klavierwerk Für Elise etwa hat der Komponist selbst so benannt.<br />

Wahrscheinlich widmete er es der 17-jährigen Elisabeth<br />

Röckel, in die er - nicht unwahrscheinlich - verliebt war.<br />

Oder, wo wir schon bei Göttern der Antike waren, der Titan,<br />

eine Zusatzbezeichnung, die Gustav Mahler für seine 1. Sinfonie<br />

D-dur zunächst vorgesehen hatte, später jedoch wieder<br />

zurückzog.<br />

Eine besonders bemerkenswerte Ansammlung an Attributen<br />

haben etliche der 108 Sinfonien Joseph Haydns „erdulden“<br />

müssen, ohne dass sich der Komponist je hat zur Wehr setzten<br />

können - hier eine Auswahl: Hornsignal, Merkur, Trauersinfonie,<br />

Abschiedssinfonie, Das Palindrom, Der Schulmeister,<br />

Der Bär, Die Henne, Das Wunder, Die Uhr oder Mit dem<br />

Paukenwirbel.<br />

Der Name Tragische ist in der Musik gar mehrfach besetzt:<br />

Schuberts 4. und Gustav Mahlers 6. Sinfonie wurden und<br />

werden so benannt, wobei Schubert den Titel höchst selbst<br />

beifügte, Mahler nicht.<br />

Der Titel Pathétique wird gar genreübergreifend verwendet,<br />

nämlich für Beethovens Klaviersonate c-moll op. 13 ebenso<br />

wie für Tschaikowskys letzte, 6. Sinfonie h-moll. Beethoven<br />

hat sich die Bezeichnung Pathétique seinem Biografen<br />

Schindler zufolge selbst ausgedacht, das Gleiche gilt für<br />

Tschaikowsky, dieser kam einer Anregung seines Bruders Modeste<br />

nach.<br />

Aber auch Länder oder Landschaftsräume waren zur Charakterisierung<br />

von Sinfonien sehr beliebt: Robert Schumanns 3.,<br />

die Rheinische Sinfonie (Titel nicht vom Komponisten) oder-<br />

Felix Mendelssohn Bartholdys 3., die Schottische Sinfonie<br />

sowie seine 4., die Italienische Sinfonie. Beide Titel wurden<br />

vom Komponisten auf Grund von Reiseeindrücken beigefügt.<br />

Und somit sind wir an der Schnittstelle der absoluten Musik<br />

angekommen, die ja text- und inhaltsungebunden, also nicht<br />

programmatisch komponiert wurde, so wie es etwa für Solowerke,<br />

Kammermusik oder Sinfonien typisch ist. Wenn Mendelssohn<br />

seiner 4. Sinfonie also Reiseeindrücke aus Italien<br />

unterlegt, schuf er quasi einen Vorläufer der Symphonischen<br />

Dichtungen, die immer einen Originaltitel des Komponisten<br />

tragen und als „Programmmusik“ eine Landschaft, Personen<br />

oder Mythen schildern bzw. eine Geschichte erzählen. Berühmte<br />

Beispiele sind die Symphonischen Dichtungen von<br />

Richard Strauss, der im Übrigen keine Symphonien schrieb:<br />

Don Juan, Tod und Verklärung, Till Eulenspiegels lustige Streiche,<br />

Also sprach Zarathustra, Don Quixote, Ein Heldenleben,<br />

Eine Alpensinfonie...<br />

Einen extraordinären Titel trägt ein Werk der Musikgeschichte,<br />

das bis heute weltweit zu den meistgespielten überhaupt<br />

gehört. So könnte sich ein typischer Dialog zweier Musikenthusiasten<br />

auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken<br />

etwa wie folgt abspielen: „Sehen wir uns heute Abend bei<br />

der Neunten?“ - „Na klar, die lasse ich mir doch nicht entgehen.“<br />

Donnerwetter! Eine Ordnungszahl für ein abendfüllendes<br />

Werk mit Orchester, Chor und Solisten. Kein Komponist,<br />

keine Gattung, keine Tonart, keine Zusatzbezeichnung. Die<br />

Neunte - das genügt. Jeder weiß, was gemeint ist. Wenn Beethoven<br />

das geahnt hätte. Sicher, seine monumentale letzte<br />

Sinfonie in d-moll mit Schillers „Ode an die Freude“, deren<br />

Uraufführung er zwar dirigieren, aber kaum noch hören konnte,<br />

lag den symphonisch Komponierenden nach ihm schwer<br />

im Magen - ein unerreichbares Vorbild, eine gleichsam psychische<br />

Sperre, auch mit Blick auf die Zahl 9. Schumann und<br />

Mendelssohn haben das Problem elegant gelöst, indem sie<br />

jeweils nur vier Sinfonien schrieben. Tschaikowsky beließ es<br />

bei sechs. Gustav Mahler sprengte dagegen die Zahl 9, indem<br />

er 10 Sinfonien schrieb, Schostakowitsch gar 15. Max Reger<br />

und Richard Wagner verweigerten schlicht das Komponieren<br />

von Sinfonien. Anton Bruckner dagegen schrieb dagegen elf,<br />

annullierte jedoch zwei, das Ergebnis ist neun - Zufall oder<br />

Absicht?<br />

Seien wir trotz alledem froh, dass es Irrtümer, Falschtitel und<br />

kleine Fettnäpfchen in der Musik gibt, denn es erleichtert die<br />

Kommunikation unter Musikern ungemein. Jeder weiß, welches<br />

Werk mit der h-moll-Messe gemeint ist. Und stellen wir<br />

uns vor, wir müssten Beethovens letzte Sinfonie nach seinem<br />

Originaleintrag benennen: Sinfonie mit Schluß-Chor über<br />

Schillers Ode „An die Freude“ für großes Orchester, 4 Solound<br />

4 Chorstimmen componiert und Seiner Majestät dem<br />

König von Preußen Friedrich Wilhelm III in tiefster Ehrfurcht<br />

zugeeignet von Ludwig van Beethoven. 125tes Werk.<br />

Wie schön, dass es das Kürzel Die Neunte gibt.<br />

WortAkkord<br />

<strong>Alla</strong><strong>Breve</strong><br />

Magazin der Hochschule für Musik Saar<br />

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