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KURT 10/2016

KURT 10/2016 Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn

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Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn

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trends & lifestyle<br />

» Hütte zu füllen.“ Auch das anfangs noch<br />

kleine Gifhorner Altstadtfest bietet den Chinesischen<br />

Glückskeksen eine Bühne: „Das haben<br />

wir damals nicht gerne gemacht“, lacht<br />

Richy etwas verlegen. „Es war uns zu kommerziell<br />

und wir hatten nicht viele Lieder, so<br />

dass wir unser Programm in<br />

dreistündiger Dauerschleife<br />

spielen mussten.“<br />

Da bot der Bürgerschützensaal<br />

jungen Künstlern schon<br />

eine ganz andere Atmosphäre.<br />

Durch die Zeitschrift „Aufstehen“,<br />

herausgegeben vom<br />

Gifhorner Kreisjugendring,<br />

werden zahlreiche Bands für<br />

die Konzerte rangeholt. Doch<br />

der Erfolg wird schon bald<br />

wieder eingestampft – die<br />

Zeitschrift wurde den Entscheidungsträgern<br />

in den<br />

Amtsstuben zu frech. Später wird es wieder<br />

etwas liberaler: Zum Ende der 80er und<br />

Anfang der 90er Jahre organisiert die Stadt<br />

einige Bandwettbewerbe am Schlosssee<br />

mit tollen Preisen: Einmal schaffen es die<br />

Glückskekse sogar auf den zweiten Platz. Ein<br />

Sampler mit dem Titel „Aller Giganten“ mit<br />

den Lokalmatadoren der Gifhorner Punk- und<br />

Rock-Szene wird ebenfalls produziert.<br />

„Rocken mit Hassköter“: Sogar die<br />

Bravo berichtete 1990 über Hoax.<br />

Ihr erstes Konzert: Die Chinesischen Glückskekse<br />

im September 1986 im Gifhorner Café Flax.<br />

Die Arbeit zahlt sich aus: 1989, im Jahr des<br />

Mauerfalls, gehen die Kekse bei einem Wolfsburger<br />

Label unter Vertrag. Mit ihrer musikalischen<br />

Mischung aus Rockabilly und Punk-<br />

Rock gepaart mit deutschen Texten und der<br />

nicht unüblichen Portion Spaß und Dilettantismus<br />

veröffentlichen sie ein<br />

Jahr später ihre erste Mini-LP<br />

„Bad Guys“. Ihre Tourneen<br />

führen sie bis nach Österreich<br />

und Finnland. In den Folgejahren<br />

erscheinen diverse Singles<br />

und Sampler-Beiträge sowie<br />

ein ganzes Album. Doch der<br />

Erfolg sorgt letztlich dafür,<br />

dass die Band ihre Heimatstadt<br />

aus dem Fokus verliert.<br />

Ganz anders unsere Punker<br />

aus Groß Oesingen: Konzerte<br />

mit Größen wie Wizo, den<br />

Abstürzenden Brieftauben<br />

und Molotow Soda in den 80ern und 90ern<br />

hindern sie nicht daran, auch ihrer Gifhorner<br />

Fan-Gemeinde treu zu bleiben. Hoax etabliert<br />

sich in der Szene und wird im Mai 1990 sogar<br />

mit einem Bericht in der Bravo gewürdigt:<br />

„Den furchterregenden Hassköter, Markenzeichen<br />

der Hoax, kennt in der Lüneburger<br />

Heide jedes Kind“, schrieb die Jugendzeitschrift<br />

damals. „Das Untier ziert das Cover der<br />

LP ‚Den letzten beißen die Hunde‘<br />

und die Front des Tour-Busses. Bei<br />

den Live-Shows geht es hoch her:<br />

Zum Song ‚Fürst Leopold von Einbeck‘<br />

regnet es sackweise Kamelle<br />

und Hunderte von Luftballons<br />

von der Bühne. Höhepunkt ist die<br />

zeremonielle Verbrennung einer<br />

Modern-Talking-Platte.“<br />

1991 ist die Band wieder im Tonstudio,<br />

um ihre LP „Ohne MWST.“<br />

aufzunehmen. Alle sind gut drauf,<br />

das Leben könnte einfach so weitergehen<br />

– es ist eben alles wie eine ewige<br />

Party. Doch der 8. Mai desselben Jahres<br />

brennt sich ein als großer Schock. Die Punk-<br />

Welt ist weit über Gifhorns Grenzen hinaus<br />

erschüttert: Der 23-jährige Matthias Knabe<br />

wird am Waldsee im Gifhorner Ortsteil Winkel<br />

von 15 Skinheads angegriffen. Anschließend<br />

treiben sie den Punk bis zur B 4. Dort wird<br />

er von einem Auto angefahren und erleidet<br />

schwere Hirnverletzungen, an denen er letztlich<br />

am 4. März 1992 stirbt. Das Landgericht<br />

Hildesheim verurteilt den 18-jährigen Christian<br />

B. im November ‘92 wegen Beteiligung<br />

an einer Schlägerei und fahrlässiger Tötung<br />

zu zwei Jahren Haft. „Das Gericht geht davon<br />

aus, Matthias Knabe sei vor das Auto<br />

gelaufen“, berichtet die Zeit. „Augenzeugen<br />

haben aber angegeben, er sei von den Skinheads<br />

auf die Straße gestoßen worden.“<br />

Und Matthias Knabe ist nicht das einzige<br />

Todesopfer rechter Gewalt. Deutschlandweit<br />

formieren sich daraufhin Punks, Linke, Gewerkschafter,<br />

Sozialdemokraten, Kirchenanhänger<br />

und Umweltaktivisten sowie Menschen<br />

mit Migrationshintergrund und andere<br />

Interessierte, um Initiativen gegen Rechts zu<br />

bilden, Konzerte zu organisieren und Aufklärung<br />

zu betreiben.<br />

In der Zwischenzeit setzen Hoax aus Groß<br />

Oesingen und die anderen Gifhorner Punks<br />

das fort, was sie am Besten können: In den<br />

legendären „Hallen des Dagobert“ machen<br />

die Dorfpunks ihren Fans ordentlich Feuer<br />

unterm Hintern. Wo bitte, fragen jetzt<br />

Uneingeweihte?! „Na, in den Hallen des<br />

Dagobert“, erklärt die Band. Gemeint ist<br />

der Saal des Gasthauses „Zur Linde“ an der<br />

Oesinger Hauptstraße. Einst trist und fad mit<br />

schwarzen Wänden galt es unter hiesigen<br />

Konsumenten in den 70er Jahren noch als<br />

Drogenumschlagsplatz Nummer eins. Doch<br />

mit einem Besitzerwechsel ändert sich das<br />

schlagartig: Nach mühevoller Schweißarbeit<br />

erstrahlt das Gebäude in neuem Glanz und erfährt<br />

seither eine erfolgreiche Ära. Viele ausgebuchte<br />

Konzerte und immerwährend volle<br />

Stuben lassen die Kasse klingeln – die Verbindung<br />

zur reichen Ente Dagobert Duck »

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