KURT 10/2016
KURT 10/2016 Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn
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Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn
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trends & lifestyle<br />
» noch heute von ihren toleranten Eltern,<br />
die sie „haben machen lassen“. Zwar sei<br />
man im Dorf schon mal naserümpfend betrachtet<br />
worden, doch rieselt es auch viel<br />
Anerkennung: Schließlich steht die Band für<br />
Zusammenhalt – und Hoax haben Orte zum<br />
Sein geschaffen. Mit zerrissenen No-Name-<br />
Klamotten, bunten Haaren und Alkohol wird<br />
ordentlich gerockt und gepogt: „Wir haben<br />
alle Reste aus den 70ern zusammengekippt<br />
und mit Zucker vermischt – da wurde auch<br />
mal gekotzt“, erinnert sich Frontmann Boris<br />
Neubrandt. „Hauptsächlich haben wir aber<br />
das gute Wittinger Dosenbier getrunken.“<br />
Irokesenschnitt und Glatze treffen aufeinander<br />
– bei Punk-Partys keine Seltenheit.<br />
Denn die Skinhead-Bewegung (vom englischen<br />
skin „Haut“ und head „Kopf“) hat in<br />
ihrem Ursprung nichts mit den Neonazis von<br />
heute zu tun. Die Skinheads von einst entspringen<br />
dem Punk, sie waren links und Antifaschisten.<br />
Doch schnell entwickeln sich auch<br />
politische Gegensätze. Während man in Groß<br />
Oesingen nur wenig davon mitbekommt,<br />
treffen die Musiker von Hoax bei ihren Konzerten<br />
im Gifhorner Stadtgebiet immer häufiger<br />
auch auf Anhänger der rechten Szene:<br />
„Denen ging es permanent um Gewalt und<br />
hohlen Scheiß“, berichtet die Band.<br />
Im Oktober 1983 gründen sich im Unabhängigen<br />
Jugendzentrum (UJZ) Kornstraße<br />
in Hannover die legendären Abstürzenden<br />
Brieftauben – es ist der Beginn des Deutsch-<br />
Punks. Im selben Jahr führt die Polizeidirektion<br />
Hannover die sogenannte Punker-Kartei<br />
ein. Punks und Skinheads werden gleichermaßen<br />
erfasst, um „einen Überblick über die<br />
Szene in Hannover zu gewinnen“ und einer<br />
befürchteten „Gefährdung für die öffentliche<br />
Sicherheit und Ordnung“ entgegenwirken<br />
zu können. Die Reaktion lässt nicht lange<br />
auf sich warten: Die Chaostage sollen möglichst<br />
viele „karteiwürdige“ Menschen nach<br />
Hannover locken, um so diese Kartei ad absurdum<br />
zu führen. Klar, dass Straßenschlachten<br />
mit der Polizei da nicht ausbleiben.<br />
Die Mitglieder von Hoax kümmern sich indes<br />
friedlich weiter um ihre Lebern und die<br />
Ohren ihrer Fans. Im März ‘84 ist es schließlich<br />
so weit: Als Vorband der Toten Hosen<br />
rocken unsere Jungs im<br />
emsländischen Schüttorf<br />
die begeisterte Meute. Und<br />
im Frühjahr 1986 nehmen<br />
sie dann ihr Debut-Album<br />
„Alles Banane“ auf und unterzeichnen<br />
ihren ersten<br />
Die Chinesischen Glückskekse<br />
im Jahr 1989 bei einem Auftritt<br />
in der Diakonie Kästorf.<br />
Da steppt der Punk: Bei einem Benefiz-Konzert für den<br />
Kindergarten in Groß Oesingen im Mai 1989 ist das Publikum<br />
völlig außer Rand und Band (Foto oben). Auch<br />
1992 wird die Band um Frontmann Boris Neubrandt<br />
(Foto rechts) in den Hallen des Dagobert – besser<br />
bekannt als Gasthaus „Zur Linde“ – gefeiert.<br />
Plattenvertrag, der ihnen mehr als <strong>10</strong>0 Gigs<br />
in der gesamten Republik beschert.<br />
Zur selben Zeit formieren sich in Gifhorn<br />
die Chinesischen Glückskekse: „Die Gründung<br />
war eigentlich ‘ne Schnapsidee“, verrät<br />
Dietrich „Richy“ Hecke, heute erfolgreicher<br />
Tour- und Stage-Manager mit Büro in Köln.<br />
„Wir haben gerade mal zwei Monate Instrumente<br />
gehabt und darauf rumprobiert.<br />
Für das erste Konzert im September ‘86 im<br />
Gifhorner Café Flax habe ich dann meinen<br />
Bruder genötigt, der wenigstens einigermaßen<br />
Gitarre spielen konnte.“<br />
Auch mit anderen Hobby-Bands aus der<br />
Gegend – egal aus welchem Genre – wird viel<br />
gespielt. Austausch und musikalische Weiterentwicklung<br />
sind das Ziel. „Eigentlich wollte<br />
ich damals schon gern Richtung Rockabilly<br />
und Psychobilly gehen, ich habe nur erst keine<br />
Mitstreiter gefunden“, erzählt Richy. Generell<br />
ging‘s bloß um Musik machen – da gefiel<br />
der Spirit des Punks: Man müsse ja nicht<br />
unbedingt spielen können, Hauptsache man<br />
hat Spaß dabei. „Wir wollten eigene Wege finden,<br />
nicht die ausgetretenen Pfade gehen –<br />
und genau das bedeutet Punk für uns.“<br />
Auch ohne Internet verbreiten sich die<br />
Infos schnell – dank Mundpropaganda: Konzerte<br />
gibt‘s in ganz Gifhorn. Ins einstige Café<br />
Quer – ein christliches Jugendcafé am Amtsgericht<br />
– haben sich die Kekse selbst eingeladen,<br />
um aufzutreten. „Obwohl die dort<br />
eigentlich keinen Alkohol wollten.“ Das Café<br />
Arbeitslos – eine Art Jugendcafé, das von<br />
der Stadt Gifhorn betrieben wurde – machte<br />
schnell wieder dicht, weil‘s den Nachbarn<br />
zu laut wurde. Wie gut, dass es noch den<br />
Moorkater in der Südstadt gab: „Unsere Eltern<br />
waren schon in den 60ern da“, berichtet<br />
Richy von dem alternativen Kultschuppen,<br />
in seinen Augen eine „Disko über Generationen“.<br />
„Also beschlossen wir, dort die »