Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fabio Taglioni begann am 1. April 1954 mit seiner Arbeit<br />
bei Ducati, die am 30. Mai 1989 mit der Verabschiedung<br />
in den verdienten Ruhestand endete. Dazwischen lagen<br />
35 Jahre, in denen der brillante Ingenieur Ducati seinen Stempel<br />
aufdrückte, wie es bislang kein anderer Konstrukteur eines Motorradherstellers<br />
vermochte. Taglionis Konstruktionen wurden<br />
zu Legenden und prägten die Marke – bis zum heutigen Tag.<br />
Den Anfang machten kleinvolumige, sportliche Einzylinder<br />
mit Königswelle. Basis dieser technisch aufwendigen Baureihe<br />
war 1955 die sportlich sehr erfolgreiche Gran Sport 100 „Marianna“.<br />
Deren Hubraum wuchs mit den Jahren über 125 und 175<br />
auf 200 Kubikzentimeter an, bis der ästhetische Single schließlich<br />
als 250er seinen ersten Höhepunkt erlebte. Der auf Seite 24<br />
gezeigte Motor machte 1964 mit Fünfganggetriebe und knapp<br />
28 PS die Ducati Mach 1 zu einer der schnellsten Serien-250er.<br />
Alle von 1955 bis 1978<br />
gebauten Ducati-Einzylinder<br />
einte die Königswelle, sie unterschieden<br />
sich jedoch im<br />
Hinblick auf Hubraum, Getriebe,<br />
Motorgehäuse, Leistung<br />
und Ventiltrieb sowie einigen<br />
technischen Details. Bis 1963<br />
kamen ausschließlich Vierganggetriebe<br />
zum Einsatz. Einheitlich<br />
waren bis 1967 außerdem<br />
die Haarnadelfedern zum<br />
Schließen der Ventile. Fürs<br />
Modelljahr 1968 gab es ein<br />
breiteres Motorgehäuse, das<br />
eine Hubraumerweiterung bis<br />
auf 436 cm³ ermöglichte. Und<br />
erstmals in Serie den zwangsgesteuerten<br />
Ventiltrieb, zunächst für die 250er- sowie die 350er-<br />
Modelle als Mark 3 Desmo. Ab 1969 erhielt mit der 450er auch<br />
der größte Single die Desmodromik, die jedoch stets den sportlichen<br />
Typen vorbehalten blieb, während die Scrambler- und<br />
Touring-Varianten weiterhin Zylinderköpfe mit Ventilfedern<br />
besaßen. Einzige Ausnahme: Die in bescheidenen Stückzahlen<br />
gebauten 350 und 450 R/T („Regolarita“), die als kompromisslose<br />
Geländemodelle mit eigenen Rahmen und dem Desmo-Zylinderkopf<br />
der Sportler angeboten wurden.<br />
Über ihre lange Bauzeit waren die Ducati-Einzylinder Antriebsquelle<br />
einer gewaltigen und bisweilen verwirrenden Modellvielfalt,<br />
vom reinrassigen Renner bis zum Soft-Chopper<br />
(„Americano“) wurde im Lauf der Jahre alles abgedeckt. Dabei<br />
kamen auch skurrile Zwitter auf den Markt, wie die 1965er-<br />
Aus gabe der Mark 3 mit Hochlenker und zurückverlegten Fußrasten.<br />
So konnten mit dem Königswellen-Einzylinder sowohl<br />
Alltagsfahrer als auch Tourenfreunde, Racer und sogar Geländefahrer<br />
bedient werden.<br />
Das Apollo-Projekt (siehe links) plante Taglioni allerdings für<br />
eine völlig andere Zielgruppe. Gedacht war dieses mit 90-Grad-<br />
V4, rund 270 Kilogramm Gewicht und 1257 cm³ Hubraum ungewöhnlich<br />
große Motorrad als Behördenmaschine für die USA.<br />
Die Entwicklung startete Anfang der 60er-Jahre, getrieben von<br />
den Gebrüdern Berliner, dem amerikanischen Ducati-Importeur.<br />
Diese sagten eine Unterstützung bei der Entwicklung und Produktion<br />
des Hubraumriesen zu, sofern man Harley-Davidson<br />
damit aus dem Behördengeschäft drängen könnte. Die Vorgaben:<br />
einfache Wartung, mindestens 1200 cm³ und 1525 Millimeter<br />
Radstand sowie die Reifengrößen 5.00 x 16 für beide Räder.<br />
Der für damalige Verhältnisse gewaltige ohv-Vierzylinder<br />
brachte, je nach Konfiguration, entweder 80 PS bei 6000/min<br />
oder 100 PS bei 7000/min – Leistungswerte, denen die damaligen<br />
Reifen nicht gewachsen waren. Bei Testfahrten in Daytona<br />
Die sehenswerte Ducati-Sonderausstellung im Audi-<br />
Museum ist noch bis 30. April <strong>2017</strong> zu besichtigen –<br />
mit den hier vorgestellten Motor-Schnittmodellen<br />
lösten sich komplette Profilblöcke aus den eigens für das Apollo-<br />
Projekt entwickelten Pirelli-Pellen. Eine paradoxe Situation, weil<br />
ausgerechnet Ducatis gewichtigstes Argument, das hohe Leistungsvermögen<br />
des Taglioni-V4, zugleich das entscheidende für<br />
das Aus der Vierzylinder-Ducati war. Nach den Daytona-Tests<br />
wurde das Apollo-Projekt eingestellt, wobei selbst dieser Motor<br />
– wie so oft bei Ducati – einige seiner Gene an die nachfolgenden<br />
Konstruktionen weitervererbte.<br />
Die sind auch beim Königswellen-V2 nicht zu übersehen,<br />
der den gleichen Zylinderwinkel von 90 Grad besitzt wie das<br />
Apollo-Triebwerk. Im Zylinder-Layout des V2 erkennt man weiterhin<br />
Parallelen zu den Einzylindern, allerdings mit Schraubenstatt<br />
Haarnadel-Ventilfedern in den Köpfen. Der einmal mehr<br />
auf Drängen der Gebrüder Berliner nach mehr Hubraum entstandene<br />
Königswellen-Zweizylinder wurde 1971 mit 748 cm³ in<br />
der 750 GT vorgestellt, vom<br />
zeitgleich entwickelten Halblitermotor<br />
gab es nur wenige<br />
Exemplare, und die auch nur<br />
für den Rennsport.<br />
Als erste V2-Ducati mit<br />
Desmodromik erschien 1973<br />
die nur 401-mal gebaute 750<br />
SS. Dieses heute extrem gesuchte<br />
Modell entstand noch<br />
in Handarbeit. Die danach produzierten<br />
V2-Ducatis mit dem<br />
kantigen Motorgehäuse wurden<br />
in wesentlich höheren<br />
Stückzahlen und in verschiedenen<br />
Varianten industriell<br />
gefertigt. Dazu gehört auch der<br />
auf den Seiten 20 bis 23 gezeigte<br />
Königswellen-Zweizylinder der Darmah 900, der beispielsweise<br />
sowohl mit als auch ohne Elektrostarter zu haben war.<br />
Über die Jahre hinweg gab es den Königswellen-V2 mit Hubräumen<br />
von 748, 864 und 973 Kubikzentimeter. Ohne Desmodromik<br />
trieb er zuletzt nur die Tourer 860 GT und 860 GTS an –<br />
das waren auch die bis heute letzten Ducatis mit konventioneller<br />
Ventilsteuerung. Alle 864er-Modelle mit Desmodromik wurden<br />
dagegen als 900er verkauft (900 SS, MHR, S2, Darmah und SSD).<br />
In der finalen Ausbaustufe kennzeichneten den Desmo-„Mille“<br />
ab 1985 dann 973 cm³. Somit kamen nur die 1000er-Hailwood-<br />
Replika und die 1000 S2 in den Genuss der tiefgreifenden Überarbeitung<br />
mit gleitgelagertem Kurbeltrieb samt stark verbessertem<br />
Ölkreislauf. Beide Maßnahmen sorgten für eine deutlich<br />
höhere Standfestigkeit dieser späten Königswellen-Zweizylinder,<br />
deren Produktion aber schon 1986 eingestellt wurde.<br />
Nach dem Aus für die Einzylinder-Baureihe und dem Flop<br />
mit Parallel-Twins konstruierte Taglioni Ende der 1970er-Jahre<br />
einen neuen Motor für die unteren Hubraumklassen. Dabei blieb<br />
er dem V2-Prinzip treu, entschied sich allerdings für Zahnriemen<br />
zum Antrieb der Nockenwellen. Dieser Halbliter-V2 feierte 1979<br />
im Rahmen der ebenfalls komplett neuen 500 SL Pantah Premiere.<br />
Bald darauf ergänzte eine Hubraumvariante mit 600 cm³ die<br />
Pantah-Baureihe, ab 1982 kam eine 350er hinzu. Hubraumstärks<br />
tes Modell dieser Familie war ab 1983 die 650 SL Pantah, deren<br />
Zahnriemen-V2 wir auf den Seiten 26 und 27 präsentieren.<br />
Damit war das Ende der Fahnenstange in Sachen Modellvielfalt<br />
und Hubraum aber längst nicht erreicht. Denn der konstruktiv<br />
nach wie vor auf dem Pantah-V2 von 1979 basierende<br />
Ducati-Motor wird bis heute gebaut – aktuell als 800er-Scrambler.<br />
In fast vier Jahrzehnten war er in diversen Hubraumvarianten<br />
das Herz zahlreicher Ducatis und auch Cagivas, es schlug in<br />
Sportlern, Enduros, Choppern und – zuletzt sogar als 1100er – in<br />
der Monster-Baureihe. Mille grazie, Dottore Taglioni!<br />
◻<br />
www.motorrad-classic.de <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 4/<strong>2017</strong> 33