Cruiser im Maerz 2017
Gays fordern überall Toleranz. Aber: Wie tolerant sind wir selbst eigentlich in unseren eigenen Reihen? Ausserdem: Vor noch nicht all zu langer Zeit hatten es junge Schwule in Erziehungsheimen alles andere als leicht. Cruiser wirft einen Blick zurück in ein eher düsteres Kapitel der Pädagogik. Ausserdem: Cruiser guckte beim Training der einzigen Rugby Mannschaft - den RASCALS - zu.
Gays fordern überall Toleranz. Aber: Wie tolerant sind wir selbst eigentlich in unseren eigenen Reihen? Ausserdem: Vor noch nicht all zu langer Zeit hatten es junge Schwule in Erziehungsheimen alles andere als leicht. Cruiser wirft einen Blick zurück in ein eher düsteres Kapitel der Pädagogik. Ausserdem: Cruiser guckte beim Training der einzigen Rugby Mannschaft - den RASCALS - zu.
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10<br />
KOLUMNE<br />
MICHI RÜEGG<br />
Ich, die Liebe<br />
und Genesis<br />
Michi Rüegg spricht<br />
erstmals über Gefühle.<br />
VON Michi Rüegg<br />
I<br />
ch werde häufig auf Sex angesprochen.<br />
Weil ich oft darüber geschrieben habe.<br />
Über Sex zu schreiben, ist seltsamerweise<br />
noch <strong>im</strong>mer ein Tabu. Selbst unter<br />
uns Homos. Das ist umso erstaunlicher, als<br />
dass es unter uns an sich kein mehrheitsfähigeres<br />
Thema gibt als die Kopulation.<br />
Nun mag man einwerfen, Sex sei halt<br />
so etwas, das man lieber tue als darüber zu<br />
reden. Ich persönlich finde, man kann beides.<br />
Ich kann sowohl essen, als auch Kochbücher<br />
anschauen. Das eine schliesst das<br />
andere nicht aus.<br />
Mir ist allerdings aufgefallen, dass ich<br />
bei allem Sex praktisch nie über Liebe geschrieben<br />
habe. Vielleicht ist Liebe so etwas,<br />
das ich lieber selber erlebe als darüber zu<br />
schreiben. Vielleicht traue ich der Liebe auch<br />
nicht, weil sie mich häufiger <strong>im</strong> Stich gelassen<br />
hat als der Sex.<br />
In den ersten Jahren meines jüngeren<br />
Lebens habe ich die Liebe als eine erhöhte<br />
Form der sexuellen Anziehung erlebt. Letztere<br />
bildete die Basis, doch es war, wie wenn<br />
sie ein Romantik-Plugin in sich getragen<br />
hätte. Es war nicht nur die körperliche Anziehung,<br />
es war das Gesamtpaket. Das Wissen<br />
darum, dass man künftig nur noch in<br />
Gegenwart dieser einen Person vollkommenes<br />
Glück verspüren kann. Ein einzelnes Lächeln<br />
konnte Beton zum Schmelzen bringen.<br />
Nicht von ungefähr ist das Herz Sinnbild der<br />
Liebe. Tatsächlich merkte ich, wie der Motor<br />
meines Körpers in den Overdrive ging, wenn<br />
der Geliebte mich berührte.<br />
Natürlich habe ich nach einiger Zeit<br />
gemerkt, dass dieses Gefühl der Liebe eine<br />
Täuschung sein kann. Häufiger noch denn<br />
CRUISER MÄRZ <strong>2017</strong><br />
als Täuschung entpuppte sich die Liebe jedoch<br />
als Ent-Täuschung. In jungen Jahren<br />
bedient sich die Liebe einer Art Brandbombe.<br />
Sie entfacht <strong>im</strong>mer wieder aufs neue<br />
blendende Feuer, die alles fressen, was sich<br />
ihnen in den Weg stellt. Mit den Jahren werden<br />
die Feuer weniger. Die Liebe wird zur<br />
Glut, die zwar nicht die faszinierende Kraft<br />
der Flammen hat, dafür aber für ihre Beständigkeit<br />
geschätzt wird.<br />
«Ich widerstand der Versuchung,<br />
die Hand nach<br />
der Frucht auszustrecken.»<br />
Vor einigen Jahren traf ich an meiner<br />
Arbeitsstelle einen Heteromann gleichen Alters.<br />
Wir hegten freundschaftliche Gefühle<br />
für einander. Zumindest meinte er das. In<br />
Tat und Wahrheit war ich unglaublich verknallt<br />
in ihn. Wahrheit war ich unglaublich<br />
verknallt in ihn. Während Monaten träumte<br />
ich nachts von – nennen wir ihn – Robert.<br />
Diese Träume trugen übrigens alledas Label<br />
«FSK ab 18 Jahren». Nacht für Nacht hatte<br />
ich Sex mit Robert. So guten Sex, wie ich ihn<br />
in der Realität noch nie mit jemandem gehabt<br />
hatte. Einmal traf ich Robert <strong>im</strong> Traum<br />
auf dem Basketball-Court. Wir warfen ein<br />
paar Bälle, dann fielen wir über einander<br />
her. Mit einer Leidenschaft, die Glühbirnen<br />
zum Bersten gebracht hätte. Ich hatte bereits<br />
in HD geträumt, bevor die TV-Hersteller<br />
mit der Entwicklung so weit waren. Die Träume<br />
machten mich fertig, denn jeden Morgen<br />
traf ich an meiner Arbeitsstelle Robert, der<br />
freundlich grüsste.Einmal, während eines<br />
Betriebsausflugs, teilten wir ein Hotelz<strong>im</strong>mer.<br />
Ich war wie üblich etwas betrunken, <strong>im</strong><br />
Bett neben mir schlief – nur in Unterhose –<br />
Robert. Seit jener Nacht verstehe ich das erste<br />
Buch Moses.<br />
Robert war die verbotene Frucht, die<br />
vom Baume hing. Würde ich nach ihr greifen,<br />
wäre das Paradies für mich zu Ende. Ich hatte<br />
monatelang vermieden, die Frucht zu pflücken.<br />
Und dann, in jener Nacht, war da diese<br />
Schlange zwischen meinen Beinen. Sie sprach<br />
zu mir: «N<strong>im</strong>m sie dir, die Frucht, du willst<br />
sie doch.» Vielleicht sagte die Schlange auch<br />
nichts und ragte bloss empor. Die Botschaft<br />
war dennoch deutlich.<br />
Ich widerstand der Versuchung, die<br />
Hand nach der Frucht auszustrecken. Stattdessen<br />
wollte ich die niederträchtige Schlange<br />
zum Schweigen bringen.<br />
Leider blieb mein Kampf mit der<br />
Schlange auch dem vermeintlich schlafenden<br />
Robert nicht verborgen. Er missdeutete<br />
mein Tun und hielt es für profane Onanie.<br />
Entsprechend war er wenig erfreut und<br />
schickte mich ins Bad. Als ich die Schlange<br />
soweit hatte und sie ihren Speichel herauswürgte,<br />
wusste ich, dass auch meine Freundschaft<br />
mit Robert zu Ende war. Ich hatte die<br />
Schlange besiegt, doch gewonnen hatte sie<br />
trotzdem. Die verbotene Frucht verdarb<br />
kurz darauf am Ast.<br />
Seit jener Nacht begegne ich dem Gefühl<br />
der Liebe mit einer gewissen Skepsis.<br />
Mit den Schlangen hingegen habe ich mich<br />
wieder versöhnt.