Nr. 17 (I-2017) - Osnabrücker Wissen
Nr. 17 (I-2017) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
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STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
Schlagzeilen<br />
des Jahres 1955<br />
Außenansicht des Kaufhauses Merkur gegenüber des Neubaues der<br />
Stadtsparkasse Osnabrück an der Wittekindstraße.<br />
präsentiert: Osnabrück in den 50er und 60er Jahren<br />
Wer konnte den <strong>Osnabrücker</strong>n (fast) alles verkaufen?<br />
Sommer 1955: „Ganz Paris träumt von der Liebe“, behauptet Caterina Valente, die sich seit<br />
Monaten an der Spitze der deutschen Charts tummelt. Derweil gießt man fernab der französischen<br />
Hauptstadt einen eher prosaischen Traum in Beton. Nach 99 Tagen Bauzeit steht das<br />
„modernste Kaufhaus Europas“ mitten in Osnabrück.<br />
Als das Kaufhaus „Merkur“ am 7. Juli 1955<br />
seine Pforten öffnete, schienen die entbehrungsreichen<br />
Nachkriegsjahre endgültig<br />
vorüber zu sein. Zehntausende <strong>Osnabrücker</strong><br />
machten sich auf den Weg in die<br />
Wittekindstraße und standen plötzlich in<br />
einem Einkaufsparadies, das alle bekannten<br />
Dimensionen sprengte.<br />
Auf einer Verkaufsfläche von 6.800 Quadratmetern<br />
wurden rund 60.000 Artikel<br />
angeboten. Das Spektrum reichte von<br />
„Waren des täglichen Bedarfs“ über Kleidung,<br />
Radio- und Elektrogeräte bis hin<br />
zu Teppichen und Möbeln. Das Kaufhaus<br />
„Merkur“ verfügte außerdem über ein<br />
hauseigenes Restaurant, eine Milchbar<br />
und eine Phonobar, in der mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit auch von Caterina<br />
Valente und der Liebe in Paris geträumt<br />
wurde. Eine der größten Attraktionen,<br />
die der vom „<strong>Osnabrücker</strong> Tageblatt“ zum<br />
„Magnet der Großstadt“ gekürte Einkaufstempel<br />
zu bieten hatte, war die nagelneue<br />
Rolltreppe. Sie konnte zwar vorerst<br />
nur nach oben fahren, fand aber sofort<br />
begeisterte Anhänger. Für die Verkäuferinnen<br />
und Kassiererinnen gab es reichlich zu<br />
tun, doch auch die Personalstärke war seinerzeit<br />
rekordverdächtig: 600 Mitarbeiter<br />
kümmerten sich um Kunden, Artikel und<br />
den ordnungsgemäßen Zustand der Registrierkassen.<br />
Viele mittelständische Unternehmen sahen<br />
die Konkurrenz „mit einer gewissen<br />
Beklemmung“, wie Günther Stucke,<br />
Kaufhaus Merkur (unten rechts) © Sammlung Rudolf Lichtenberg; Museum Industriekultur Osnabrück // Schaufenstergestaltung © Sammlung Foto Strenger/Grovermann;<br />
Museum Industriekultur Osnabrück // Kaufhaus Merkur (oben) © Sammlung Georg Bosselmann; Museum Industriekultur Osnabrück // Wohnzimmer © arcona LIVING<br />
Hauptgeschäftsführer der Industrie- und<br />
Handelskammer in seiner Eröffnungsansprache<br />
zugab. Er sei allerdings optimistisch,<br />
dass der Wohlstand in Deutschland<br />
weiter wachse und damit auch der<br />
Gesamtumsatz des Handels steige.<br />
Stucke behielt Recht, zumindest in den<br />
folgenden Jahren. 1964 bekam das Kaufhaus<br />
dann einen neuen Namen, ein<br />
modernisiertes Sortiment und einen Fassadenaufsatz<br />
aus 9.000 Keramikteilen, die als<br />
„Hortenkacheln“ in die Geschichte eingingen.<br />
Die Wabenfassade überlebte nicht<br />
nur ihren Erfinder, den 1970 verstorbenen<br />
Architekten und Designer Egon Eiermann,<br />
sondern auch den Warenhauskonzern,<br />
für den sie ihr stilisiertes „H“ zeigte.<br />
1995 übernahm Kaufhof das Gebäude in<br />
der Wittekindstraße. | Thorsten Stegemann<br />
WISSEN KOMPAKT<br />
Schaufenstergestaltung des Kaufhauses Merkur um 1960.<br />
WER WAR MERKUR?<br />
Die von den jüdischen Brüdern<br />
Salman und Simon Schocken geleitete<br />
Schocken AG wurde 1938<br />
„arisiert“ und in „Merkur Aktiengesellschaft“<br />
umbenannt. Merkur<br />
war in der römischen Mythologie<br />
nicht nur Götterbote und Schutzpatron<br />
der Händler, sondern auch<br />
der Gott der Diebe.<br />
AUF DEM WEG ZUR<br />
VOLLBESCHÄFTIGUNG<br />
Das Wirtschaftswunder macht´s möglich:<br />
Innerhalb von fünf Jahren kann<br />
die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland<br />
nahezu halbiert werden.<br />
1955 sind noch etwa eine Million<br />
Menschen ohne Job, die Arbeitslosenquote<br />
liegt bei 5,6 Prozent. In den<br />
60er Jahren wird sie bis auf 0,7 Prozent<br />
sinken.<br />
Kaufhaus Merkur Teilansicht der Fassade,<br />
Rückseite, um 1955.<br />
2. Januar<br />
Im Fernsehen läuft zum ersten Mal<br />
„Was bin ich?“ Bis 1989 geht Robert<br />
Lemke mit seinem Rateteam 337 Mal<br />
auf Sendung.<br />
3. Januar<br />
Als „Vorkämpfer der modernen Malerei“<br />
erhält der in Osnabrück geborene<br />
Künstler Friedrich Vordemberge-Gildewart<br />
die höchste Auszeichnung der<br />
Stadt. Mit ihm bekommt der Numismatiker<br />
Karl Kennepohl, Verfasser des<br />
Buches „Die Münzen von Osnabrück“,<br />
die Justus-Möser-Medaille.<br />
13. Februar<br />
Heinrich Böll besucht Osnabrück. Der<br />
große Schriftsteller und spätere Literatur-Nobelpreisträger<br />
liest im Ratsgymnasium<br />
aus seinem gerade erschienenen<br />
Roman „Haus ohne Hüter“.<br />
1. April<br />
Zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
nimmt die Lufthansa ihren<br />
Betrieb wieder auf.<br />
5. Mai<br />
Mit dem Inkrafttreten der „Pariser<br />
Verträge“ wird die Bundesrepublik<br />
Deutschland ein souveräner Staat.<br />
15. Juli<br />
In Lindau geben 18 Nobelpreisträger,<br />
unter ihnen die deutschen Physiker<br />
Max Born, Werner Heisenberg und der<br />
Chemiker Otto Hahn, die „Mainauer<br />
Erklärung“ ab. Darin heißt es: „Alle Nationen<br />
müssen zu der Entscheidung<br />
kommen, freiwillig auf die Gewalt als<br />
letztes Mittel der Politik zu verzichten.<br />
Sind sie dazu nicht bereit, so werden<br />
sie aufhören, zu existieren.“<br />
8. September<br />
Bundeskanzler Konrad Adenauer verhandelt<br />
in Moskau über die Rückkehr<br />
der letzten etwa 10.000 Kriegsgefangenen.<br />
Im Oktober treffen die ersten<br />
600 Spätheimkehrer in Friedland ein.<br />
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Das "Wohnzimmer" im <strong>Osnabrücker</strong> acrona LIVING,<br />
eingerichtet im original Stil der Wirtschaftswunderzeit.<br />
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