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Faust II

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<strong>Faust</strong> als Träger moderner Züge<br />

<strong>Faust</strong> repräsentiert somit moderne Grundhaltungen und ist im Text eine Idealvorstellung,<br />

eine Rolle und eben nicht so sehr ein Individuum. Er tritt als Militärstratege und später<br />

als Kolonisator auf, ist also Repräsentant für die jeweilige Weltanschauung, Ideologie.<br />

Der Figur des <strong>Faust</strong> kommt dadurch eine zentrale Funktion zu: Er soll den modernen<br />

autonomen Menschen vorführen. Denn für Goethe ist jene Autonomie typisch für<br />

den neuzeitlichen Menschen. Eine Autonomie, die auch Unabhängigkeit von geistlicher<br />

Metaphysik bedeutet. Und so tritt <strong>Faust</strong> in Opposition zu Kräften, die Vertreter der<br />

mittelalterlich geprägten Ordnung und gegen die Autonomie des Menschen gerichtet<br />

sind, wie zum Beispiel der Kanzler des Reiches (Vers 44894 f.), der meint: »Natur ist<br />

Sünde, Geist ist Teufel«. Schließlich waren Klerus und Adel die Stützen der Monarchie<br />

und dafür wurden sie dann von der weltlichen Krone durch Ländereien, Geld, Macht<br />

und Einfluss belohnt. Doch <strong>Faust</strong>s Auflehnung gegen solche Mächte ist selten von Erfolg<br />

gekrönt, scheitert er doch stets in seinem Streben.<br />

Wie Goethe selbst festhält, ist <strong>Faust</strong> ein Mensch, der sich beschränkt fühlt durch<br />

das Dasein auf der Erde und den Besitz weltlicher Güter. <strong>Faust</strong> ist ein Geist, der nach<br />

allen Seiten sich wendend, immer wieder zurückkehrt – eine unglückliche Existenz. Ein<br />

Zustand der sich in Goethes Augen analog zur modernen Gesinnung, Existenz verhält.<br />

<strong>Faust</strong> repräsentiert also ein spezifisch modernes unglückliches Bewusstsein – das sich<br />

gegen alte Mächte und Vorstellung zwar wehrt, sie aber nicht brechen kann.<br />

Der erste Akt<br />

Im ersten Akt überschreitet Goethe die Grenze zu jener Kunst, die sich nicht durch reinen<br />

»Schönheits-Charakter« auszeichnet. Für die Figuren- und Denkwelt gibt es keine<br />

harmonische Einheit von Sinnlichem und Sittlichem. Das fortschreitende Leben brau<br />

cht eine andere Form von Kunst, die Auffassung von Kunst wird immer stärker philosophisch.<br />

In diesem Sinn ist <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> das modernste Werk Goethes.<br />

<strong>Faust</strong> <strong>II</strong> zeichnet sich unter anderem durch seine Natursymbolik aus – einer der<br />

wichtigsten Schlüssel für das Werk. So entsteht die Dynamik im Text durch die stetige<br />

Verwandlung. Dies ist ein Grundprinzip, das bei Goethe für die Naturformen ganz allgemein<br />

gilt. Die Verwandlung hat universelle Gültigkeit. Goethe meint dazu »Gestaltenlehre<br />

sei Verwandlungslehre«, die Lehre von den Metamorphosen wäre also der Schlüssel<br />

zu den Naturformen.<br />

Ein Beispiel ist der erste Akt. Am Anfang zeigt er <strong>Faust</strong> schlafend; ein Schlaf, in dem<br />

er vergessen und gleichzeitig bereit werden muss für neue Taten (Vers 4650). Gretchens<br />

und <strong>Faust</strong>s Schuld werden abgelegt. Und auch die Frage des Ethischen und Moralischen<br />

spielt keine Rolle mehr, sie war in <strong>Faust</strong> I noch ein wichtiger Antrieb.<br />

Die Perspektive ist nicht länger die <strong>Faust</strong>s. In <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> wird in der Welt das Objektiv-<br />

Seiende dargestellt, die Subjektivität tritt in den Hintergrund. So gibt es diesbezüglich<br />

auch keinen dramatischen Austausch mehr zwischen den Personen. Eine Voraussetzung<br />

für <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> wäre demnach die Dominanz der naturphilosophischen und erkenntnistheoretischen<br />

Erkenntnisse.<br />

Anmutige Gegend<br />

Die Szene beginnt mit Ariel (vgl. Prolog im Himmel) und endet mit dem Monolog <strong>Faust</strong>s.<br />

Sie liest sich wie ein Programmheft – bereits die gesamte Ästhetik von <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> wird hier<br />

umrissen. Ariels Worte (Vers 4658–4665) klingen zwar verführerisch, aber sie werden<br />

Romantik: Kulturgeschichtliche<br />

Epoche, die vom Ende 18. Jahrhundert<br />

bis Mitte 19. Jahrhundert Kunst<br />

als aus der Einsamkeit des Genies<br />

geboren sieht. Inspirierende und enthusiastische<br />

Innerlichkeit wird propagiert,<br />

die Gefühlswelt in Vers- und<br />

Prosadichtung betont. [MLL]<br />

Idealismus: Bezeichnet philosophiegeschichtlich<br />

die letzten Dekaden<br />

des 18. Jahrhunderts, in denen<br />

die menschliche Erkenntnis vor dem<br />

Wirklichen zurückstecken muss. So<br />

könne der Mensch die Wirklichkeit<br />

nur teilweise erkennen, laut Hegel<br />

wären die Dinge nämlich Gegenstand<br />

einer gottgleichen Einheit. [MLK]<br />

Neuzeit: Geschichtliche Epoche,<br />

welche Mitte des 15. Jahrhunderts<br />

einsetzt, das Mittelalter beendet und<br />

bis in die Gegenwart hineinreicht.<br />

Entdeckung Amerikas 1492 und Martin<br />

Luthers Reformation von 1517<br />

sind Eckpunkte jener beginnenden<br />

Zeit, welche die absolutistische Monarchie<br />

und die Vorrangstellung der<br />

Kirche beenden sollte. [ZWK]<br />

Ancient Régime: Französisch für<br />

die »alte Regierungsform«, bezeichnet<br />

der Ausdruck das absolutistische<br />

Frankreich vor 1789 und allgemein<br />

die politischen und gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse im Europa des<br />

17./18. Jahrhunderts, die auf einer<br />

privilegierten Adelswelt aufbauten.<br />

[ZWK]<br />

Weimarer Klassik: Auf wenige<br />

Autoren begrenzte Richtung der<br />

deutschen Kulturgeschichte. Zwischen<br />

Sturm und Drang sowie der<br />

Hochromantik angesiedelt, bestand<br />

sie von ca. 1786 bis 1805. Ein<br />

Großteil von Goethes Werken sowie<br />

Schillers spätere Arbeiten werden<br />

ihr zugerechnet. Die Weimarer Klassik<br />

begrenzte das schwärmerische<br />

Subjekt des Sturm und Drang und<br />

distanzierte sich durch Formstrenge<br />

und Stilisierung vom unmittelbaren,<br />

überschwänglichen künstlerischen<br />

Ausdruck. [MLL]<br />

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