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fahrene Welt vergeht. Der Gesang behandelt auch ein vergangenes Kunstideal, zu dem<br />
außerdem der Helena-Akt gehört, das der modernen Kunst weichen muss. Goethe stellt<br />
so Kontemplation der Hektik gegenüber, mit dem Einbezug des Kosmos wird zusätzlich<br />
ein Konzept von Ganzheit vorgestellt.<br />
Die Sorge<br />
Die Sorge wird als Melancholie im Zustand der fortschreitenden Zivilisation verstanden.<br />
Sie ist nicht nur ein konkretes »Sich-Sorgen«, sondern ein Dasein, welches die Gegenwart<br />
und die Zukunft sichert. Die Sorge ist also eher Für- und Vorsorge. Die Verse<br />
11453–11466 werden dadurch zum Psychogramm der Melancholie beziehungsweise<br />
lassen sie sich mit Phasen der Depression vergleichen. Die Melancholie lehnt jede sinnliche<br />
Erfahrung und Aktivität ab. Und wenngleich das lateinische Wort »cura« Sorge<br />
bedeutet, muss es dennoch als Melancholie verstanden werden.<br />
Als wichtige Stimmung zieht sich die Melancholie durch den gesamten goethischen<br />
<strong>Faust</strong>, so zum Beispiel auch im ersten Teil, in dem die Osterglocken <strong>Faust</strong>s Selbstmord<br />
mittels der Phiole verhindern. In Vers 11471–11486 findet sich eine poetisch hoch stilisierte<br />
Diagnose der Depression und Melancholie beziehungsweise der Befindlichkeiten,<br />
die sich in diesen Zuständen auftun. Dabei wird der Zustand der Melancholie als ein<br />
Widerstand gegen den Fortschritt gesehen.<br />
Schluss des <strong>Faust</strong> <strong>II</strong><br />
Gegen Ende werden <strong>Faust</strong>s letzte Illusionen zerstört und die Sozialutopien ironisiert.<br />
Darauf kann nunmehr nur die Szene von <strong>Faust</strong>s Grablegung folgen. Mag Philemon etwa<br />
<strong>Faust</strong>s Kultivierungsarbeiten zunächst noch durchaus positiv geschildert haben, wird in<br />
der Folge jedoch der Gegensatz Herr-Knecht zugespitzt und eine kritische Dimension<br />
aufgezeigt. Goethe kritisiert dadurch den Saint-Simonismus und seine frühen sozialistischen<br />
Theorien.<br />
<strong>Faust</strong> wird nicht nur als Getriebener, sondern auch als Treibender der Kolonialisierung<br />
mit Mitteln eines skrupellosen Unternehmers gedeutet (Vers 11551 f.). Diese abschließende,<br />
von <strong>Faust</strong> entworfene Sozialutopie darf nicht als gültiges Ende beziehungsweise<br />
als Summe von <strong>Faust</strong>s Existenz, von seinem Streben durch das gesamte Werk,<br />
gesehen werden. Denn in den Szenen der Bergschlucht etc. eröffnen sich noch weitere<br />
Perspektiven. Die Ironie der Szene, in der <strong>Faust</strong>s Grab geschaufelt wird, liegt in einem<br />
Irrtum, der die Klammer zum Prolog im Himmel schließt, wo es etwa hieß: »Es irrt der<br />
Mensch solang er strebt«. Die gesamte Szene ist zugleich aber auch eine Metapher für<br />
die Illusion des Fortschrittsglaubens und die Skepsis gegenüber dem Fortschrittsdenken<br />
findet hier ihren Ausdruck.<br />
Die Sehnsucht nach der Aufhebung der eigenen Endlichkeit zeigt sich in den Versen<br />
11583 f. Im Schlussmonolog greift <strong>Faust</strong> ständig auf Allusionen auf das Grenzenlose<br />
zurück, sein Werk soll unendlich überdauern. Die hier im <strong>Faust</strong> entworfene Denkwelt,<br />
der Wunsch nach unbegrenztem Weiterwirken, steht im Gegensatz zum Konzept der<br />
Entsagung, das Goethe im zweiten Teil von Wilhelm Meisters Wanderjahren propagiert.<br />
So folgen nach dem Tod die Szenen der Grablegung und der Erlösung. Sie sind von<br />
reiner Innerlichkeit gekennzeichnet, die geschichtliche Sphäre hat der Text endgültig<br />
verlassen. Am Ende von <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> finden sich vornehmlich Themen der Unendlichkeit,<br />
die Lösung des Problems des Kampfes zwischen Himmel und Hölle und das Parodieren<br />
der alten Muster.<br />
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