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Faust II

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der Pater Profundus, die Kontemplation soll zur geistigen Vervollkommnung führen.<br />

Pater Seraphicus praktiziert letztlich ein verinnerlichendes Verhalten. Damit kann er sich<br />

der Bedrängnisse der Natur erwehren und das Ziel der höchsten Vollkommenheit erreichen.<br />

Die Sphären der Anachoreten, der Engel und der Frauen sind hierarchisch geordnet.<br />

Die Sphäre der Engel ist die Ebene der himmlischen Hierarchie, die Engel erscheinen in<br />

verschiedenen Ordnungen übereinander. Jene Hierarchie wird aus dem neuplatonischen<br />

Muster abgeleitet, sie hat die Funktion der Vermittler zum Höchsten. Der Zweck hinter<br />

dem neuplatonischen Schema ist die Steigerung nach oben sowie die Vereinigung mit<br />

dem Absoluten. Das Unbeschreibliche erscheint dabei auch als theologische Kategorie,<br />

die sich in der Mystik findet. Gott sei in jener Sichtweise nur mit Negationen beschreibbar<br />

– er wäre der Unerreichbare, der Unzugängliche.<br />

Mindestens genauso zentral ist für die letzte Szene der Begriff der Reinigung. Auch er<br />

ist neuplatonisch und meint die Befreiung vom Irdischen, besonders vom Körperlichen<br />

und Sinnlichen. Nur durch diese Reinigung kann sich der Geist vollkommen rein zum<br />

Absoluten erheben. Doch die Engel (Vers 11954–11957) sind noch nicht völlig gereinigte<br />

Wesen. Hierzu braucht es die Gruppe der Büßerinnen. Sie betreiben Läuterung,<br />

um zur größten Vollkommenheit zu gelangen, auch Gretchen taucht nun als Büßerin<br />

wieder auf. Keineswegs ist die Buße jedoch eine Strafe, dieses Konzept stammt aus dem<br />

11. Jahrhundert. Goethe sieht die Buße unter dem neuplatonischen Aspekt des Gewinnens.<br />

Auch die seligen Knaben dienen dieser Figuration. Die Reinigung geht am Ende<br />

der Bergschluchten-Szene in eine Erlösung über.<br />

Wiederum neuplatonisch, meint die Erlösung eine Loslösung vom Irdischen. Dies<br />

geschieht in einem Prozess, der bis zur vollkommenen, reinen Vergeistigung führt. Dieses<br />

Prinzip ermöglicht die Erlösung <strong>Faust</strong>s trotz seiner schlechten Taten. Mit einer christlichen<br />

Erlösungsvorstellung wären diese Vorgänge keineswegs vereinbar, aber das christliche<br />

Problem der Rechtfertigung der Taten <strong>Faust</strong>s in Anbetracht seiner Erlösung nicht<br />

mehr gegeben.<br />

Und im Element der Erleuchtung – »erleuchte mein bedürftig Herz« – zeigt sich die<br />

Vorstellung der Vollendung. Es besteht in der Vergöttlichung, wie es die vergöttlichende<br />

Anrufung der Mater Gloriosa zeigt. Aus der neuplatonischen Mystik kommt dann auch<br />

das Prinzip der Analogie: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Die Analogie, hier<br />

als Gleichnis, ist die Denkform, welche das Wesen der Vermittlung möglich macht. Das<br />

»Ereignis« meint etwas, das dem Auge offenbar wird, das Unzugängliche wird in der<br />

Bergschluchten-Szene nun also offenbar.<br />

Die Seele strebt im neuplatonischen Sinn nach dem Göttlichen, aber Goethe lässt<br />

die vom Eros erfüllte, männliche Seele als höchstes Erfüllungsziel das ewige Weibliche<br />

sehen. Auch diese Vorstellung weicht vom christlichen Modell ab. Hier finden sich zwar<br />

Analogien zu mittelalterlichen Madonnenbilder, Sünderinnen, Büßerinnen. Doch die<br />

Höchsterfüllung ist erotisch, es ist das ewig Weibliche, das an die Stelle Gottes rückt und<br />

somit christliche Vorstellungen aufhebt. Die alles beherrschende Macht des Eros wird<br />

durch das Auftreten der Frauen am Ende verdeutlicht.<br />

Zusammenfassend muss demnach festgehalten werden, dass neben den großen Themen<br />

wie Ökonomie, Kunstsphäre, Bildung, neuzeitliche Machtpolitik, Fortschrittszivilisation,<br />

durchaus auch eine esoterisch-erotische Botschaft im <strong>Faust</strong> enthalten ist. Sie<br />

entfaltet sich erst in der letzten Szene, lässt sich aber immer wieder mit den vorangegangenen<br />

Akten verbinden. Eros ist die Kraft, die <strong>Faust</strong> an Helena so fasziniert und<br />

die durch die Walpurgisnacht führt. Im fünften Akt erfährt der Eros gleichsam seinen<br />

Klimax.<br />

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