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Überzeugung, dass das Leben aus hermaphroditischen Wesen entstanden ist. Erst durch<br />
das Zerbrechen werden die Menschen von ihrem hermaphroditischen Dasein erlöst.<br />
Thales ist wiederum ein Sprachrohr für Goethes evolutionäre Naturphilosophie (Vers<br />
8321 f.). Diese Vorstellung lässt sich auch auf Goethes Sicht auf die Gesellschaft übertragen.<br />
Die Auflösung des Homunkulus entspricht der Ansicht, dass Auflösung und Zerstörung<br />
auch Entstehungskräfte beinhalte – die Geschichte wäre demnach ein unendlicher<br />
evolutionärer Prozess. Das ständige Werden und Vergehen wird auf gesellschaftliche<br />
Vorgänge übertragen und ist bezeichnend für Goethes Alterswerk. Ebenso treten Figuren<br />
auf, die zugleich das Heroische und das Gewöhnliche repräsentieren. So erhebt Goethe<br />
in seinen späteren Werken den Aufstieg des Gewöhnlichen zum Heroischen zum gesellschaftlichen<br />
Prinzip.<br />
Doch die Vermählung von Homunkulus und Galathea ist nicht nur als biologischer<br />
Mythos zu feiern, sie ist auch ein Symbol für die Kunst. Schließlich ist für Goethe die<br />
Erneuerung der Kunst nicht zu trennen von der Erneuerung des Lebens. Künstliches löst<br />
sich auf und macht neuen Formen Platz. Galathea erscheint somit als die letzte Präfiguration<br />
Helenas, bevor Helena nun im dritten Akt endlich selbst auftritt.<br />
Verhältnis <strong>Faust</strong> und Mephisto in <strong>Faust</strong> <strong>II</strong><br />
Im Gegensatz zu <strong>Faust</strong> I erscheinen <strong>Faust</strong> und Mephisto ganz rollenhaft, Mephisto ist<br />
nicht mehr als Alter Ego <strong>Faust</strong>s zu sehen. Mephisto steht stattdessen ganz im Dienst der<br />
Allegorien. Der hässliche Phorkyas ist jene Rolle, in die Mephisto schlüpft und somit<br />
zum Kontrast zu Helenas Schönheit wird. Mephisto ist das verneinende, vernichtende<br />
Prinzip des geschichtlichen Lebens, das die Vergänglichkeit ist. Dabei ist Mephisto in<br />
seiner Negation nicht als moralisch zu sehen, sondern dieser Geist der Verneinung und<br />
Zerstörung ist Teil der ambivalenten Struktur des neuzeitlichen Geschehens. Manipulation<br />
sowie Instrumentalisierung alles Menschlichen macht die Maske des Mephisto<br />
aus. Als <strong>Faust</strong> in die Sphäre Helenas tritt, spricht er in jambischen Trimetern, bedächtig,<br />
sanft, langsam, entsprechend dem Symbol der Wolke als Tragewerk. Mephisto hingegen<br />
tritt mit Siebenmeilenstiefeln auf, dem Symbol für Fortschritt, den sie gleichzeitig karikieren.<br />
Die Widernatur, dargestellt durch die Siebenmeilenstiefel, bewirkt, im Gegensatz zur<br />
Natur, den Fortschritt. Die Stiefel sind Ausdruck von Magie, was in <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> die Aufhebung<br />
der natürlichen Kräfte durch die instrumentelle Vernunft bedeutet.<br />
Goethe setzt mit Mephisto einen Kontrapunkt zum natürlichen Verlauf der Geschichte,<br />
mit dem Erdbeben in der Walpurgisnacht, das auf die Französische Revolution verweist.<br />
Das Auftreten von <strong>Faust</strong> und Mephisto im dritten Akt hat unterschiedliche Form<br />
und Funktion: <strong>Faust</strong> hat Zugang zum Schöpferisch-Ursprunghaften, den Mephisto eben<br />
nicht hat. Trotzdem gehören Mephisto und <strong>Faust</strong> zusammen, denn das Wesen der Neuzeit<br />
ist ambivalent. Der Prozess der Denaturierung ist so gestaltet, dass er an die Grundlagen<br />
des menschlichen Daseins rührt und die humanen Substanzen bedroht.<br />
Der moderne Fortschritt, dessen Repräsentant Mephisto ist, führt zur Entfremdung.<br />
Doch <strong>Faust</strong> wehrt sich gegen die mephistophelischen Praktiken der Magie, weil er bemerkt,<br />
dass auch er von der Naturentfremdung zunehmend beherrscht wird.<br />
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