12.12.2012 Aufrufe

Faust II

Faust II

Faust II

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

dieser Koketterie. Auch in Goethes Unterhaltung deutscher Ausgewanderten wird diese<br />

Haltung des Adels satirisch aufgearbeitet.<br />

Am Ende der Lustgarten-Szene ist der Narr der eigentliche Gewinner. Die Mummenschanzszene<br />

erscheint als die szenische, revueartige Darstellung des Wahnsinns, des<br />

Chaos, der Raserei. Ein Wahnsinn, der aus der Nivellierung der Stände resultiert. Die<br />

Abkehr von ständischen Prinzipien führe demnach laut Goethe in die Unfreiheit. Ein<br />

Punkt, der Goethe viel Kritik einbrachte. Da sich Goethe allerdings in seinem Spätwerk<br />

von allen Eindeutigkeiten losgesagt hat, können solche Kritiken nicht wirklich greifen,<br />

da sie nicht alle Aspekte von Goethes Einstellung erfassen.<br />

Nach der Mummenschanzszene folgen die ersten Vorboten der Helena-Handlung.<br />

Diese wird stärker mit <strong>Faust</strong> und Mephisto in Verbindung gebracht. So sind Paris und<br />

Helena Musterbilder von Mann und Frau – Musterbilder, zu denen der Teufel keinen<br />

Zugang hat. Es wird der Versuch sichtbar, die Macht des Teufels mit der antiken Heroine<br />

zurückzunehmen (Vers 6201). Diese Figuren sind der Gewalt des christlichen Teufels<br />

entzogen, Mephisto gerät an die Grenzen seiner eigenen Kunst. Mephisto ist nun in<br />

seinem Wesen unproduktiv, er kann nur bereits Gewesenes hervorbringen, nichts Eigenes.<br />

Helena aber ist einerseits eine Figur der Antike und andererseits der Inbegriff des<br />

gewesenen Seins. Sie ist also nicht nur historisch zu sehen, sondern verkörpert auch die<br />

Vergänglichkeit.<br />

Die Fragen des Seins, des Lebens und der Historizität haben bei Goethe immer auch<br />

Dimensionen seiner Kunstphilosophie, eine ontologische Dimension der antiken Kunst<br />

für die Moderne. Die antike Kunst ist also nichts, das längst vergangen wäre, sondern<br />

sie hat immer noch große Bedeutung für die Moderne: Die antike Kunst ist gleichzeitig<br />

Ursprungswelt der Moderne als auch ein mögliches Potential. Darin unterscheidet sich<br />

Goethe von Schiller, bei dem die Moderne die Folge der Vertreibung aus dem antiken<br />

Kunstparadies darstellt. Bei Schiller wird die Antike mit Idylle gleichgesetzt, die nicht<br />

in die Moderne zurückgeholt werden kann. Goethe begreift dagegen die antike Welt als<br />

Chance für die Gegenwart, solange sie nur richtig genutzt wird. Die antike Welt gibt so<br />

viel frei von der eigenen Menschenkraft, dass sie für die Moderne ein wichtiges kreatives<br />

Potential darstellt. Es findet eine Relativierung des historisch Entstandenen statt. Die<br />

Antike wird bei Goethe als ein Potential für neue kreative Möglichkeiten des Lebens und<br />

der Kunst gedeutet.<br />

Schließlich stand Goethe der Mittelalterideologie der Romantiker kritisch gegenüber,<br />

er hielt sie für reinen Eskapismus. Dies verdeutlicht sich in den Aussagen des Architekten<br />

über die gotische Kunst. Wie wichtig Goethe die Antike war, lässt sich auch daran<br />

erkennen, dass antike Kunstformen nicht einfach nur abgebildet, sondern neu geschaffen<br />

werden. Im Mittelpunkt steht das Lebendige, die Kraft und Energie, die diese Formen<br />

bereithalten, wenn man mit ihnen kreativ umgeht. Im <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> zeigt sich ein meisterhafter<br />

Umgang mit diesen Formen. So lässt sich zwar vieles auf seine Ursprünge zurückführen,<br />

z.B. die antiken Kunstformen – wesentlich wichtiger ist aber ihre Umgestaltung.<br />

Dabei bedient sich Goethe sogenannter »lebender Bilder«. Diese waren eine Art Gesellschaftsspiel<br />

im 18. Jahrhundert, bei dem berühmte Gemälde mit Szenen der antiken<br />

Mythologie durch lebende Personen nachgestellt wurden. Das Erscheinen Helenas ist<br />

diesen Bildern nachgestaltet.<br />

Und ist in <strong>Faust</strong> I die Figur <strong>Faust</strong>s in seiner Entwicklung und seinen Irrtümern noch<br />

psychologisch dargestellt, so ist dies in <strong>Faust</strong> <strong>II</strong> nicht mehr der Fall. Im ersten Akt tritt<br />

er in der Maske Plutos’ auf. Die Masken sind nicht mehr Teil einer psychologischen Entwicklung,<br />

sondern Ausdruck der Prinzipien Wiederholung, Variation und Steigerung.<br />

Ontologie: Teil der antiken Philosophie,<br />

die das eigentliche Wesen der<br />

Entitäten (Dinge) erforscht. In der<br />

modernen Philosophie werden diese<br />

Untersuchungen auf die gesamte<br />

Existenz ausgeweitet. [DDP]<br />

Pluto: Er ist der Gott des Reichtums<br />

und Sohn von Demeter, der Göttin der<br />

Fruchtbarkeit. Nicht zu verwechseln<br />

mit Pluto, dem Beinamen von Hades,<br />

dem Gott der Unterwelt. [WWM]<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!