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Faust II

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der er sich gegen das Neue verteidigt. So sind die Satiren auf das Neue Teil der Gesamtkonzeption<br />

des zweiten Aktes, des Verhältnisses vom Alten zum Neuen.<br />

Zusätzlich verkörpert Bakkalaureus aber auch Goethes Kritik am Fortschritt, den der<br />

Kapitalismus hervorgebracht hat. Im 4. und 5. Akt wird jene Kritik noch deutlicher:<br />

Philemon und Baucis, die aus ihrer angestammten Gegend vertrieben werden, sind ein<br />

Beispiel für die Skrupellosigkeit dieses Fortschritts. In diesem Zusammenhang beklagte<br />

Goethe zum Beispiel, dass die Lebenserfahrung nichts mehr zählt, was sich im Text<br />

durch Bakkalaureus’ Abneigung gegenüber der Erfahrung zeigt. Bakkalaureus wird als<br />

verblendet gezeichnet, er will das Universum aus seinem eigenen Geist neu erschaffen –<br />

ein nach Goethes Ansicht kurzsichtiges und kaum mögliches Unterfangen.<br />

Homunkulus<br />

Wie wichtig die Homunkulus-Figur ist, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass der<br />

zweite Akt häufig als Homunkulusakt bezeichnet wird.<br />

Homunkulus untersteht nicht Mephisto; vielmehr dient er <strong>Faust</strong> bei seinem Gang<br />

in die Unterwelt zu Helena. Mephisto kann <strong>Faust</strong> dorthin nämlich nicht leiten, nur<br />

begleiten. Wie Euphorion ist auch der Homunkulus ein androgynes Wesen, also von<br />

geschlechtlicher Uneindeutigkeit gekennzeichnet. Er wird als Symbol des Dämonischen<br />

gedeutet, aber auch als eine Figur der ansteckenden Tatkraft. Als ambivalente Figur angelegt,<br />

trägt er Züge des Monströsen in sich. Vor allem aber zeigt der Homunkulus eine<br />

ungeheure Tatkraft, sein Wesen ist völlige Tätigkeit, die künstlich gezeugt ist. Zu den<br />

elementaren Energien gehörend, verflüchtigt sich der Homunkulus wieder, als er aus<br />

der Phiole herauskommt und sich als nicht lebensfähig erweist. Dass die Figur Goethe<br />

wichtig erschien, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass Homunkulus unter dem Namen<br />

Mignon in Wilhelm Meisters Lehrjahre wieder auftritt.<br />

Wie der Knabe (Lenker) hat auch Mignon eine Neigung zum Schönen, mit einem<br />

Hang zur Dämonie. Der deutsche Literaturwissenschaftler Wilhelm Emrich hat die Verwandtschaft<br />

zwischen Mignon, dem Knaben (Lenker), Homunkulus und Euphorion<br />

herausgearbeitet. Sie sind die geniale Möglichkeit ohne Verwirklichung und teilen sich<br />

die Eigenschaft der Sehnsucht, Schwerelosigkeit und Geschlechtslosigkeit.<br />

Homunkulus nötig, um <strong>Faust</strong> an dieser Stelle nicht im Vergangenen verharren und<br />

umkommen zu lassen; denn diese Gefahr droht in der ersten Szene durchaus. Doch<br />

<strong>Faust</strong> entwickelt sich auch nicht wirklich weiter, vielmehr durchläuft er bloße symbolische<br />

Abschnitte.<br />

Die klassische Walpurgisnacht<br />

Die klassische Walpurgisnacht ist in drei Szenen gegliedert, die durch griechische Landschaften<br />

geprägt sind – nämlich durch den Flusslauf Peneios, der Hauptstrom der griechischen<br />

Region Thessalien, sowie die obere Peneios-Region und die Felsbucht des Ägäischen<br />

Meeres.<br />

Den römischen Wurzeln der Figur Erichtho (Szene Pharsalische Felder), einer Hexe,<br />

die auf den antiken römischen Dichter Lukan zurückgeht, kann Goethe nicht viel abgewinnen.<br />

Er gestaltet sie neu und gestaltet ihren Monolog so, dass darin die kommende<br />

Begegnung von <strong>Faust</strong> und Helena vorweggenommen wird. Erichtho kennzeichnet das<br />

Schauderhafte und das Negative der historischen Vergangenheit. Diese politische Geschichte<br />

ist eine Geschichte der Herrscherkämpfe, in denen Gewalt triumphiert hat.<br />

Genau dieses Bild ist nicht die Antike, nach der sich <strong>Faust</strong> sehnt (Vers 6956 f.). Im<br />

historischen Hin und Her stellt sich für Goethe das Ringen der politischen Kräfte dar.<br />

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