FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL
FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2017 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
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Fotos: ullstein bild – sobotha und ullstein bild<br />
Prachtschau der Agrarwirtschaft: Der<br />
Internationalen Grünen Woche 1957<br />
in Berlin macht auch Kanzler Konrad<br />
Adenauer seine Aufwartung, begrüßt<br />
vom »Regierenden« Otto Suhr und<br />
dem Präsidenten der Berliner Abgeordnetenkammer<br />
Willy Brandt. Landwirtschaft<br />
war jetzt Gegenstand<br />
hoher europäischer Politik.<br />
direkter Konkurrent, dem es vor allem um Mittel aus einem<br />
möglichen Investitionsfonds zur Entwicklung des rückständigen<br />
Südens und um Arbeitnehmerfreizügigkeit ging.<br />
Und Deutschland, der Erzfeind, neigte eigentlich der liberalen<br />
Position der Niederlande zu, wenngleich die existierenden<br />
heimischen Marktordnungen für Lebensmittel im<br />
Grunde protektionistischer Natur waren.<br />
Dass sich Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien,<br />
Luxemburg und die Niederlande schließlich nach<br />
Jahren der Verhandlungen einigten, ist eine außerordentliche<br />
politische Leistung. Sie ist ohne den Hintergrund<br />
des Kalten Krieges und Ereignisse wie den Koreakrieg, die<br />
drohende Annäherung der Bundesrepublik an die UdSSR<br />
nach dem Besuch Adenauers in Moskau 1952, Frankreichs<br />
Verlust von Indochina 1954 und die Suezkrise von 1956<br />
undenkbar. Den führenden Politikern in Frankreich war klar<br />
geworden, dass die Nation keine Weltmacht mehr war und<br />
dass, um es mit de Gaulle zu sagen, die Geschichte Frankreich<br />
»die Ehe mit Deutschland« auf erlegt habe. Immerhin<br />
war es eine »Gemeinsame Agrar politik« nach französischem<br />
Modell: massiv subventioniert und dirigistisch.<br />
Adenauer glaubte für Deutschland an dieser Stelle nachgeben<br />
zu können, weil er längst die Weichen dafür gestellt<br />
sah, dass die Zukunft des Landes in der Industrie- und<br />
Dienstleistungsgesellschaft liegen würde. Und er wusste,<br />
dass der gemeinsame Markt ein entscheidender Meilenstein<br />
war auf dem Weg zur Wieder gewinnung der nationalen<br />
Souveränität.<br />
Die unmittelbaren Folgen für den deutschen Verbraucher<br />
waren hoch erfreulich. Frankreich gab sich erhebliche<br />
Mühe, Deutschland als Exportland für seine Agrarerzeugnisse<br />
und Lebensmittel zu erschließen. Dass dem<br />
Erfolg beschieden sein würde, war bei den unterschiedlichen<br />
Mentalitäten und der Vorgeschichte kaum abzusehen.<br />
Wo in unseren Breiten noch Bücher erschienen mit Titeln<br />
wie »Das Kochen mit knappen Mitteln« (1946), gründeten<br />
in Frankreich die führenden Gourmets ihrer Zeit die Zeitschrift<br />
»Cuisine et Vins de France« (1947). Einige Jahre<br />
später, 1953/54, trat im französischen Fernsehen Raymond<br />
Oliver als Fernsehkoch auf – zur gleichen Zeit wie bei uns<br />
Clemens Wilmenrod. Mit dem Unterschied, dass Oliver<br />
Chefkoch des mit drei Guide-Michelin-Sternen geadelten<br />
»Grand Véfour« in Paris war, Wilmenrod aber ein erfolgloser<br />
Schauspieler, der der Nachwelt so unsterbliche Rezepte<br />
wie den »Toast Hawaii« hinterlassen hat.<br />
Als es aber Anfang der 1960er-Jahre mit den ersten<br />
gemeinsamen europäischen Marktordnungen ernst wurde,<br />
verstärkte Frankreich seine Export-Anstrengungen. 1961 rief<br />
die Grande Nation die Sopexa ins Leben, die Gesellschaft<br />
für den Export von Agrargütern und Lebensmitteln. Mit<br />
zahlreichen Marketinginstrumenten sollte sie in wichtigen<br />
ausländischen Märkten den Verkauf französischer Waren<br />
ankurbeln. Und seit Deutschland Export partner Nummer<br />
eins geworden war, wurden die Anstrengungen hier zulande<br />
− seit 1962 von Düsseldorf, dem ersten Auslands büro der<br />
Sopexa, sowie von verschiedenen Zweigstellen aus − besonders<br />
nachhaltig betrieben. Schon 1960 hatte die Zeitschrift<br />
»Cuisine et Vins de France« einen deutschen Ableger, den<br />
»Feinschmecker« gegründet, und die zahlreichen Nennungen<br />
der Sopexa im Zusammenhang von Berichten über<br />
Messen und Verkaufsaktionen von Käse und Wein sowie<br />
nicht zuletzt als Lieferant von Bildmaterial legen den Schluss<br />
nahe, dass hier die Publizistik und der Außenhandel unseres<br />
Nachbarlandes Hand in Hand arbeiteten.<br />
Der Widerstand in der deutschen Gesellschaft war<br />
erheblich, doch die Erfolge blieben nicht aus. 1964 wurde,<br />
nach fünfzigjähriger Unterbrechung, in Deutschland wieder<br />
ein »Guide Michelin« publiziert, der dann von 1966 an auch<br />
an Restaurants in Deutschland seine berühmten Sterne vergab.<br />
Seit den 1970er-Jahren verkündeten Kritiker wie Klaus<br />
Besser, Gert von Paczensky und Wolfram Siebeck das Lob<br />
der »Nouvelle Cuisine«. 1980 schließlich erhielt Eckart<br />
Witzigmann in seinem Restaurant »Aubergine« in München<br />
als erster Koch in Deutschland den dritten Stern. Ein<br />
Triumph für Witzigmann – aber nicht nur. Denn die Küche<br />
in der »Aubergine« war bis ins Mark Französisch und die<br />
Grundprodukte stammten zumeist vom legendären Großmarkt<br />
Paris-Rungis. Das deutsche Küchen wunder schlüpfte<br />
aus Eierschalen in den Farben der Trikolore.<br />
Unterdessen war aus der »Gemeinsamen Agrarpolitik«<br />
ein Monstrum geworden. Die Schaffung<br />
eines gemeinsamen Marktes bedeutete im<br />
Europa der Sechs das Startsignal für die »Modernisierung<br />
der Agrarstrukturen«, was zur Ausräumung von Landschaften<br />
und zu intensiven Flurbereinigungen führte, um<br />
großflächige industrielle, das heißt maschinenunterstützte<br />
Land nutzung zu ermöglichen. Zusätzlich belasten extensive<br />
Düngung und Pestizideinsatz die Natur, insbesondere in den<br />
1970er- Jahren. Die kleinen bäuerlichen Familien strukturen<br />
wichen vielerorts modernen Agrarfabriken. Damit verbunden<br />
war der Untergang der traditionellen dörflichen Strukturen.<br />
Die moderne Nutztierzucht und -haltung nahm in<br />
vielen Fällen die Form von Tier quälerei an. Was einmal<br />
als sinnvolle Modernisierung begonnen hatte, nahm maßlose<br />
Formen eines entfesselten Agro business an. Durch<br />
garantierte Abnahmepreise angefeuert, entstand eine bald<br />
sprich wörtlich gewordene gewaltige Über produktion in<br />
Form von Butter bergen und Milchseen. Das alles geschah in<br />
Deutschland rücksichtsloser als in Frankreich – der schmerzhafte<br />
Weg zum Fortschritt, die Anpassung an eine Produktion<br />
vornehmlich nach Quantität und nicht nach Qualität<br />
aber sollte auch Frankreichs Land wirtschaft grundlegend<br />
verändern.<br />
In Deutschland begann mit der »Gemeinsamen Agrarordnung«<br />
das eigentliche Ende der traditionellen Landwirtschaft,<br />
eine Entwicklung, die bereits im deutschen<br />
Kaiserreich um 1900 mit der Entscheidung für den Industrieund<br />
gegen den Agrarstaat eingeläutet worden war – heute<br />
beträgt der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung<br />
der deutschen Wirtschaft gerade einmal 0,6 Prozent.<br />
Aber auch für die französische Landwirtschaft war<br />
die »Gemeinsame Agrarordnung« ein Pyrrhussieg. Ohne<br />
sie hätte es die »Trentes Glorieuses«, die drei prosperierenden<br />
Jahrzehnte in Frankreich zwischen 1945 und 1975,<br />
nicht gegeben. Die Agrarexporte bildeten die wichtigste<br />
Säule des Außen handels – Staatspräsident Giscard d’Estaing<br />
prägte den Begriff vom »pétrole vert«, dem grünen Öl −,<br />
doch französische Produkte wurden immer austauschbarer.<br />
In den Siebzigerjahren begann Italien − und seit dem<br />
EU-Beitritt von 1986 auch Spanien – mit seinen Agrarprodukten,<br />
aber auch mit der kulinarischen Kultur, Frankreich<br />
in den Schatten zu stellen. Heute, wo die Speziali täten<br />
der Welt global verfügbar sind und sich die Kulinarik immer<br />
hektischer neue Spotlights sucht − gestern Barcelona, heute<br />
Kopenhagen, morgen Peru – verblasst immer mehr, dass<br />
Frankreich das eigentliche Vaterland eines jeden wahren<br />
Feinschmeckers ist. Im Weinbau hat unser Nachbarland seit<br />
den späten Neunzigerjahren verstanden, das Steuer energisch<br />
wieder herumzureißen. Es bleibt abzuwarten, ob<br />
auch andere Bereiche der französischen Agrar wirtschaft<br />
wieder dem auf höchste Qualität verpflichteten Kurs folgen<br />
werden.<br />
Kochbücher werden Bestseller:<br />
Die Lust am besseren<br />
Essen inspirierte auch<br />
den Buchmarkt. Und als<br />
1964 der erste deutsche<br />
Guide Michelin erschien,<br />
war der Bann gebrochen.<br />
Peu à peu wurden die<br />
Deutschen auch bei Tisch<br />
wieder wer.<br />
<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2017 35