02.06.2017 Aufrufe

Cruiser im Juni 2017

Cruiser im Juni Früher sah man sie überall - mindestens in der Szene: Männer, die sich einfach mal in den Fummel geschmissen haben und Spass daran hatten, ohne gleich ein politisches Statement damit abgeben zu wollen. Daher fragen wir uns: Sag' mir, wo die Tunten sind! Und wenn wir schon bei "Männlichkeit" bzw. eben nicht bei dieser sind: Cruiser trumpft mit einem haarigen Special auf: Alles rund um den Bart!

Cruiser im Juni

Früher sah man sie überall - mindestens in der Szene: Männer, die sich einfach mal in den Fummel geschmissen haben und Spass daran hatten, ohne gleich ein politisches Statement damit abgeben zu wollen. Daher fragen wir uns: Sag' mir, wo die Tunten sind! Und wenn wir schon bei "Männlichkeit" bzw. eben nicht bei dieser sind: Cruiser trumpft mit einem haarigen Special auf: Alles rund um den Bart!

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

8<br />

Thema<br />

Rückeroberung der Männlichkeit<br />

Die Frage, ob tuntiges Verhalten natürlich<br />

oder gelernt ist, kann an dieser Stelle<br />

wohl genauso wenig schlüssig beantwortet<br />

werden, wie diejenige, ob Homosexualität<br />

angeboren ist oder eine Folge der psychischen<br />

Entwicklung. Vieles spricht jedoch<br />

dafür, dass ein Verhalten zu einem gewichtigen<br />

Teil in der Entwicklung entsteht. Der<br />

Spiess lässt sich mühelos umdrehen: Männliche<br />

Kinder lernen das Männlichsein von<br />

ihren männlichen Vorbildern. Es wird ihnen<br />

als Ideal vorgelebt. Je rauer die Sitten, je<br />

ländlicher die Umgebung, desto archetypischer<br />

ist das Männerbild, dem auch die Heterobuben<br />

nachzueifern suchen. Unter diesem<br />

Gesichtspunkt betrachtet, ist die neue<br />

Männlichkeit, die in schwulen Kreisen um<br />

sich greift, auch eine Aufgabe unserer gewachsenen<br />

Kultur, die den Schwulen ausserhalb<br />

der traditionellen Geschlechterrollen<br />

ansiedelte. Oder wie es ein Ex von mir ausdrückte:<br />

«Ich bin kein Mann. Ich bin so etwas<br />

Ähnliches wie ein Mann.»<br />

Andererseits ist die Rückeroberung des<br />

Männlichen durch den Schwulen auch eine<br />

Erfolgsgeschichte: Ich darf heute ein Mann<br />

sein, selbst wenn ich <strong>im</strong> Bett zuweilen eine<br />

andere Rolle spiele. Doch bevor wir voreilige<br />

Schlüsse ziehen, müssen wir ein Schlüsselereignis<br />

der modernen Schwulengeschichte in<br />

unsere Überlegungen mit einbeziehen.<br />

Aids killed the Queens<br />

Neulich war der schwule Kulturwissenschaftler<br />

Peter Rehberg <strong>im</strong> Rahmen des Pink<br />

Apple-Filmfestivals in Zürich und sprach<br />

über das Männerbild <strong>im</strong> schwulen Porno.<br />

Dabei kam er auf die Bedeutung von Aids zu<br />

sprechen. Als sich das HI-Virus in den Achtzigern<br />

in der Szene verbreitete und etliche<br />

von uns viel zu früh in den Tod schickte, gab<br />

es eine Gegenreaktion: Die Schwulen <strong>im</strong><br />

Porno waren plötzlich noch muskulöser,<br />

noch praller, braungebrannt und so gesund<br />

aussehend frisch gepflückte Äpfel. Dieses<br />

Bild stand in starkem Kontrast zum ausgemergelten<br />

aidskranken Haut-und-Knochen-<br />

Schwulen, das sich in den Köpfen der angewiderten<br />

Öffentlichkeit festgesetzt hatte.<br />

In dieses Muster passt auch, dass die<br />

Tunte als Archetyp der schwulen Welt plötzlich<br />

einen schweren Stand hatte. Hat man sich<br />

damals in Zeiten von Aids und der Angst vor<br />

Ansteckungen wirklich <strong>im</strong> Tram neben den<br />

hageren, feminin wirkenden Mann setzen<br />

wollen, dem mit dem auffälligen Kurzhaarschnitt<br />

und den blonden Spitzen? Der tuntige<br />

Schwule, seit jeher ein Feind der körperlichen<br />

Ertüchtigung, brachte die physischen Voraussetzungen<br />

mit, um dem Stereotypen des verseuchten<br />

Homosexuellen zu genügen. Der<br />

starke Mann hingegen sah doch gesund aus<br />

und fiel nicht weiter auf. Zugegeben, das ist<br />

eine These, der man zahlreiche Argumente<br />

entgegenhalten kann. Unter anderem, dass<br />

tuntige Schwule in der Öffentlichkeit <strong>im</strong>mer<br />

einen schweren Stand hatten, auch vor<br />

der Aids-Epidemie. Aber das unterschwellige<br />

Gefühl «bei dem kann man sich anstecken,<br />

der ist schwul», dürfte der Straight-<br />

Acting-Fraktion in den Achtzigern und<br />

Neunzigern sicher einen gewissen Zulauf<br />

beschert haben. Dass die Pornomänner der<br />

Neunziger zwar Muskeln, aber keine Körperhaare<br />

hatten, dürfte hingegen einem generellen<br />

Männerbild geschuldet gewesen<br />

sein. Körper wurden während knapp zwei<br />

Jahrzehnten glattrasiert. Haare dürfen erst<br />

seit kurzem wieder spriessen. Und auch<br />

nicht überall.<br />

Der Schwule darf wieder<br />

Mann sein und wird selbst<br />

von vielen Heteromännern<br />

als Vertreter des eigenen<br />

Geschlechts akzeptiert.<br />

Was also hat die Tunte an den Rand der<br />

schwulen Gesellschaft gedrängt? Im Wesentlichen<br />

sind es zwei Faktoren: Der Schwule<br />

darf wieder Mann sein und wird selbst von<br />

vielen Heteromännern als Vertreter des eigenen<br />

Geschlechts akzeptiert. Das ist die eine<br />

Seite der Medaille. Die andere ist die, dass<br />

Homosexualität homogener wird. Die <strong>im</strong><br />

Symbol des Regenbogens ausgedrückte Vielfalt<br />

hat an Bedeutung verloren. Das vormals<br />

vorhandene Denken, dass der Schwule zwar<br />

Mann ist, aber die Brücke zum Weiblichen<br />

bildet, verschwindet zunehmend.<br />

Doch keine Aktion ohne Reaktion.<br />

Auf das Verschwinden der Tunten scheint<br />

es eine Antwort zu geben: Da und dort tauchen<br />

junge Männer und junge Frauen auf,<br />

die sich in ihrem Look nur geringfügig unterscheiden.<br />

Merkmale sind: mittellanges<br />

Haar, häufig gefärbt, lackierte Nägel, ausladende,<br />

lange T-Shirts, Leggins, Piercings<br />

und dergleichen, mit einer Prise Emo. Ein<br />

androgyner Typ, der sich nicht an bestehenden<br />

Geschlechterrollen orientiert, sondern<br />

irgendwo <strong>im</strong> L<strong>im</strong>bo zwischen Frau<br />

und Mann das Licht der Welt erblickt hat.<br />

Sollte also tatsächlich der Tunte letztes<br />

Stündchen geschlagen haben, besteht <strong>im</strong>merhin<br />

die Hoffnung, dass sich so etwas<br />

wie eine halbwegs würdige Nachfolge finden<br />

lässt. Auch wenn diese Jungs vielleicht<br />

etwas weniger schrill «ooh» kreischen.<br />

CRUISER juni <strong>2017</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!