2016-02 KulturFenster Nr.1 - Februar 2016
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Chorwesen<br />
Wohin gehen die Stimmen?<br />
Der Stiftschor Innichen zum „Nachwuchsproblem“ der Chöre<br />
Neben all den schönen und erwähnenswerten,<br />
alltäglichen und doch nennenswerten<br />
Dingen gibt es auch immer<br />
wieder Rückschläge. So haben uns seit<br />
Beginn der „Saison“ des Stiftschors Innichen<br />
im Herbst einige junge Mitglieder<br />
verlassen. Das kommt immer wieder<br />
vor, nur waren es diesmal einige mehr als<br />
sonst. Manches an guten Erfahrungen<br />
wird bei den Kindern hoffentlich zurückbleiben;<br />
ziemlich viel Arbeit für den Fortbestand<br />
des Chores war aber umsonst.<br />
Dabei sei gleich zu Beginn eines klargestellt<br />
und hervorgehoben: Es ist noch<br />
nicht lange her, da hatte man den Eindruck,<br />
in Politik, Gesellschaft und Kultur<br />
gäbe es Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten,<br />
die sich nicht ändern.<br />
Heute sind die jüngeren Leute schon so<br />
sehr an Veränderungen gewöhnt, dass sie<br />
gar nicht erst versuchen, an etwas festzuhalten;<br />
und der Großteil der Gesellschaft<br />
in ganz Europa zieht an seiner Tradition,<br />
Vergangenheit und Kirche vorüber, Veränderung<br />
fordernd, ohne selbst zu verändern.<br />
In einer solchen Zeit sind alle<br />
„alten“ Vereine froh um die Leute, die<br />
zumindest nachfragen, ob da nicht etwas<br />
Erhaltenswertes dabei wäre fürs Leben:<br />
Das Gefühl, dass uns jene so fehlen,<br />
die uns verlassen, liegt nicht an denen<br />
die gehen, sondern eigentlich an jenen,<br />
die gar nicht erst kommen.<br />
Die kurze und bündige Absage „Mir<br />
macht's keinen Spaß mehr!“ ist durch die<br />
unverblümte Offenheit fast schon wieder<br />
sympathisch, im Nachgeschmack aber<br />
dann doch ein bisschen frustrierend.<br />
Wie auch immer: Unmittelbarkeit und<br />
Ungebundenheit sind keine negativen<br />
Eigenschaften unserer - sehr weit gefassten<br />
- jungen Generation. Frei gewordene<br />
Zeit-Ressourcen und kurzfristiges<br />
Engagement sind sicher bei manchem<br />
anderen Team sogleich wieder willkommen.<br />
Mit der Frage, wie ein Chor reagieren könnte<br />
oder sollte, wenn man davon ausgeht, dass<br />
unmittelbarer Spaß und Ungebundenheit in<br />
Zukunft immer mehr gefordert werden, befasst<br />
sich ein Artikel in der Zeitschrift Kultur-<br />
Fenster vom April 2015.<br />
Die Leiter dreier Chöre unseres Landes<br />
nehmen Stellung zum Thema und werden<br />
sich nicht einig: Während der eine vom Erfolg<br />
seiner Projekte schwärmt, vermisst der<br />
andere die Nachhaltigkeit. Die dritte, Leiterin<br />
einer Frauensinggruppe, sieht kein Nachwuchsproblem.<br />
Tatsache ist, Nachwuchsprobleme gibt es<br />
allenthalben, und die oft gehörte Aussage, es<br />
liege alles am Chorleiter, ist kein Kompliment<br />
für viele zum Teil gut ausgebildete Kollegen,<br />
die nicht einmal die Chance bekommen haben,<br />
kennengelernt zu werden.<br />
Aber ist wirklich so wichtig, wer von den<br />
dreien Recht hat? Müsste sich die erste<br />
Frage nicht etwa viel mehr damit befassen,<br />
was am Ende herauskommen soll, bevor<br />
ein Chor seine Angebotspalette neu aufrollt:<br />
Was will „man“ (= viele!) im eigenen<br />
Ort haben? Einen möglichst wohlklingenden<br />
Chor, der seine Aufgabe im Kirchenjahr qualitätsvoll<br />
wahrnimmt, und auch bei den Abschiedsgottesdiensten<br />
gut singfähig ist; ein<br />
möglichst auf den einzelnen Sänger abgestimmtes<br />
Programm, also mehrere kleinere<br />
Gruppen, die auch kurzlebig sein können,<br />
weil vielleicht immer wieder neue Gruppen<br />
entstehen; mehrere tolle Projekte, die singfreudigen<br />
Leuten ab und zu die Möglichkeit<br />
bieten, gute Musik zu machen – und vieles<br />
mehr. Man muss dabei noch anmerken - das<br />
gilt übrigens auch für die ständigen Mitglieder!<br />
-, dass sich nicht regelmäßig probende<br />
Sänger und Sängerinnen eher schwer tun;<br />
denn der Anspruch bei den Proben sollte<br />
hoch genug sein, dass auch „tragende Sänger<br />
und Sängerinnen“ immer wieder gerne<br />
mitmachen. Ganz ohne Kerngruppe geht es<br />
zumindest im eigenen Ort wohl kaum, davon<br />
abgesehen, dass die Vorarbeit auch von jemandem<br />
gemacht werden muss, der - mehr<br />
oder weniger - immer da ist.<br />
Wenn nun die Zukunft des Chores vor Ort<br />
gesichert sein soll, wenn Kirchenmusik mit<br />
kompositorischem Wert erwünscht ist, wenn<br />
man sich um die Musik bei der Beerdigung<br />
der Verwandten sich nicht selbst kümmern<br />
will, genügt es nicht, den Stiftschor (Pfarrchor,<br />
Kirchenchor, ...) samt Kinderchor als irgendeinen<br />
von 80 zur Auswahl stehenden<br />
Vereinen zu sehen!<br />
Ist es wirklich so unmöglich, die Spaßund<br />
Ungebundenheits-Tendenz einmal etwas<br />
aus dem Licht zu rücken und zuzugeben:<br />
Es gab und gibt zu jeder Zeit immer<br />
mehrere Strömungen. Ist es nicht schön,<br />
dass man auch heute etwas finden kann,<br />
das man als Kind beginnt, als Erwachsener<br />
pflegt, und als alt gewordener Mensch<br />
wertvoll im Herzen behält?<br />
In unserem Chor - das kann man immer<br />
noch sagen - gibt es nachhaltige Jugendarbeit.<br />
Für manche ist das sehr wichtig, sie<br />
sehen darin Lebensqualität und tiefe<br />
Freude, (andere suchen ein bisschen Gesellschaft...).<br />
In der benachbarten Dekanatskirche<br />
Sillian - musikalisch über Jahrzehnte auf<br />
einer Ebene mit Innichen - probt kein Kirchenchor<br />
mehr regelmäßig: Was für den<br />
einen ganz schlimm sein mag, ist für jemand<br />
anderen nicht so wichtig, ein dritter<br />
bekommt es womöglich gar nicht mit.<br />
Aber damit so ein Chor funktioniert, müssen<br />
letztlich auch außerhalb des Vereins einige<br />
Dinge zusammenstimmen: Ein Pfarrer und<br />
eine Pfarrgemeinde, die die Kirchenmusik<br />
wünschen und fördern, eine Gemeinde, die<br />
stolz ist auf gelebte Kultur, viele wertschätzende<br />
Zuhörer und Förderer...<br />
All das haben wir. Was wir auch haben,<br />
aber nach wie vor dringend suchen, sind<br />
außer Männerstimmen, die gut singen können,<br />
junge Leute mit Durchhaltevermögen,<br />
sowie Eltern, die das nicht nur zulassen,<br />
sondern offenherzig fördern, und nicht zuletzt<br />
Freunde und Schulfreunde, die das<br />
respektieren! Dabei geben wir ehrlicherweise<br />
zu: Weder den Sängern und Sängerinnen<br />
noch mir hat alles in den letzten<br />
500 Proben Spaß gemacht, und das wird<br />
auch so bleiben.<br />
Die Frage, warum wir es trotzdem tun,<br />
beantwortet die Tatsache, dass wir es tun!<br />
In diesem Sinn bedanke ich mich auch<br />
heuer wieder für alles, was für die Musik<br />
in der Stiftskirche in Innichen geschieht,<br />
auch bei denen, die nicht so lange dabei<br />
waren: Immerhin habt Ihr es ausprobiert:<br />
Das traut sich schließlich auch nicht jeder!<br />
Martin Gasser,<br />
Chorleiter des Stiftschors Innichen<br />
Nr. 01 | <strong>Februar</strong> <strong>2016</strong> 13