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Wo das Chaos die Ordnung ist - Literaturmachen

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Seite 20 Bulletin N– o 03 – Zeitung für Reportagen – Literaturhaus Stuttgart und Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart – Schuljahr 2008/2009<br />

Es <strong>ist</strong> Dienstagnachmittag in der ersten Stuttgarter<br />

Lokalbrauerei „Calwer-Eck-Bräu“. Wenn<br />

man <strong>die</strong> Brauerei betritt, fällt einem als erstes<br />

der angenehme Geruch von frischem Bier und<br />

<strong>die</strong> entspannte Stimmung der Gäste auf. Es wird<br />

gelacht und scheinbar jeder in dem Lokal <strong>ist</strong><br />

gut gelaunt, trotzdem fällt mir kein betrunkener<br />

Gast auf. Einzig eine Glasscheibe trennt<br />

<strong>das</strong> Lokal von der Brauerei. Das soll den Gästen<br />

<strong>das</strong> Gefühl vermitteln, immer ein frisches Bier<br />

von nebenan zu bekommen.<br />

Wenn man hier jedoch abends <strong>das</strong> hauseigene<br />

naturtrübe Bier genießen möchte, muss man<br />

vier <strong>Wo</strong>chen vorher schon einen Platz reservieren.<br />

Auch jetzt sind schon viele der ca. 200<br />

Plätze im Innenraum und 30 Plätze auf der Terrasse<br />

besetzt.<br />

Ein Gast aus Cannstatt erzählt über <strong>die</strong> Lokalbrauerei:<br />

„Ich komme hier regelmäßig her.<br />

Das Essen <strong>ist</strong> gut und <strong>das</strong> Bier einfach etwas<br />

Besonderes.“ – „Außerdem braucht er manchmal<br />

einfach Entspannung, und <strong>das</strong> Lokal hier<br />

<strong>ist</strong> dafür genau richtig“, fügt seine Frau hinzu.<br />

Seit inzwischen mehr als 20 Jahren <strong>ist</strong> <strong>das</strong> „Calwer-Eck-Bräu“<br />

unverändert erfolgreich, obwohl<br />

es keinen Umbau, keine Namens- oder Konzept-<br />

änderung gegeben hat. Ein laut den Angaben<br />

des Calwer-Eck-Bräus bis heute einzigartiges<br />

Phänomen in der Gastronomieszene. Die Idee<br />

von Klaus Schöning, der <strong>die</strong> Lokalbrauerei am<br />

24. April 1987 eröffnete, ein Lokal zu schaffen,<br />

<strong>das</strong> auf keine bestimmte Zielgruppe spezialisiert<br />

war, <strong>ist</strong> sicher <strong>die</strong> Stütze für <strong>die</strong>sen Erfolg.<br />

Bereits seit acht Jahren <strong>ist</strong> Jürgen Hartl Braume<strong>ist</strong>er<br />

des Calwer-Eck-Bräus und damit für <strong>die</strong><br />

Qualität des Hausbiers verantwortlich. Er arbeitet<br />

täglich von 6 Uhr morgens an, um für <strong>die</strong><br />

Qualität und den guten Geschmack garantieren<br />

zu können. Dafür kontrolliert er jeden Tag den<br />

Schaum, <strong>die</strong> Farbe und den Geschmack des Biers.<br />

Das Mischen und Umrühren des Biers geschieht<br />

hier noch nach alter Handwerkstradition – alles<br />

<strong>ist</strong> 100%-ige Handarbeit. Pro Jahr werden von<br />

Jürgen Hartl und einem weiteren Brauer ungefähr<br />

130 Sud hergestellt, <strong>das</strong> sind ungefähr<br />

5200 Hektoliter. Ein Hektoliter entspricht 100<br />

Litern. Im Vergleich dazu: Eine große Brauerei<br />

wie Stuttgarter Hofbräu produziert 700.000<br />

Hektoliter im Jahr.<br />

Allgemein zu der Qualität eines Biers sagt er<br />

Folgendes: „Die Lagerzeit hat etwas mit der<br />

Qualität des Biers zu tun. In großen Brauereien<br />

wird <strong>das</strong> Bier ungefähr eine <strong>Wo</strong>che gelagert, bei<br />

uns zwei bis drei <strong>Wo</strong>chen, je nach Bedarf.“ Bei<br />

der Lagerung sind noch restliche Hefe und Zu-<br />

Philipp Tabasaran<br />

Alles in hundertprozentiger<br />

Handarbeit<br />

Im Stuttgarter „Calwer-Eck-Bräu“ wird ein ganz besonderes Bier hergestellt und ausgeschenkt.<br />

cker übrig, bei niedrigen Temperaturen zersetzt<br />

<strong>die</strong> Hefe den restlichen Zucker zu kurzkettigen<br />

Alkoholen. „Von Bier, <strong>das</strong> ausreichend gelagert<br />

wird, bekommt man keine Kopfschmerzen, wegen<br />

den nicht vorhandenen höheren Alkoholen.“<br />

Auch <strong>die</strong> Rohstoffe, <strong>die</strong> von einer Malzerei<br />

angeliefert werden, spielen bei der Qualität<br />

eine Rolle.<br />

Zu dem Rezept für <strong>das</strong> naturtrübe Pils kann<br />

Jürgen Hartl verraten, <strong>das</strong>s sich in einem Sud<br />

1 kg Hopfen sowie zwei verschiedene Arten von<br />

Bitterhopfen, Malz und Aromahopfen befinden.<br />

Hopfenöle und der Aromahopfen, der von größeren<br />

Brauereien aufbereitet wird, machen den<br />

guten Geschmack des Biers aus. Die Hefe kommt<br />

ebenfalls von größeren Brauereien. Für einen<br />

Hektoliter Bier werden zwölf bis fünfzehn Hektoliter<br />

Wasser benötigt. Als Brauwasser wird <strong>das</strong><br />

normale Leitungswasser aus Stuttgart benutzt:<br />

„Das Stuttgarter Leitungswasser <strong>ist</strong> ein sehr<br />

gutes Wasser und bestens für <strong>die</strong> Produktion<br />

von Bier geeignet“, so Jürgen Hartl.<br />

Sechs bis sieben Stunden werden für einen Sud<br />

benötigt, und bis zur endgültigen Fertigstellung<br />

des Biers vergehen vier <strong>Wo</strong>chen, wegen<br />

der anschließenden Lagerzeiten. Das Bier wird<br />

weder filtriert noch pasteurisiert, da es schon<br />

bald nach der Fertigstellung konsumiert wird<br />

und deswegen nicht lange haltbar sein muss.<br />

Die Reste des Brauvorgangs, der so genannte<br />

„Biertreber“, werden in <strong>die</strong> Wilhelma geliefert,<br />

als Futter für <strong>die</strong> Tiere.<br />

Besonders an dem Calwer-Eck-Bräu <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s es<br />

mit einer anderen Technik als <strong>das</strong> herkömmliche<br />

deutsche Bier hergestellt wird. Normalerweise<br />

wird beim Brauen mit niedrigen Temperaturen<br />

angefangen, beim Calwer-Eck-Bräu mit verhältnismäßig<br />

hohen. Jürgen Hartl selbst findet an<br />

seinem Bier besonders, <strong>das</strong>s kein Sud gleich<br />

schmeckt. Das liegt zum Einen daran, <strong>das</strong>s bei<br />

der Handarbeit alles gewissen Schwankungen<br />

unterliegt, und zum Anderen daran, <strong>das</strong>s <strong>die</strong><br />

Lagerzeit des Biers manchmal unterschiedlich<br />

lange <strong>ist</strong>. Den Gästen kommt es laut ihm nicht<br />

darauf an, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Bier immer seinen identischen<br />

Geschmack hat, sondern darauf, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Bier frisch <strong>ist</strong> und gut schmeckt.<br />

Doch wie kann eine so kleine Brauerei mit so<br />

großen Brauereien, wie z.B. Stuttgarter Hofbräu,<br />

überhaupt mithalten – und lohnt es sich<br />

überhaupt, sein eigenes Hausbier zu produzieren?<br />

Aufgrund der niedrigeren Einkaufsmengen<br />

der Rohstoffe <strong>ist</strong> der Einkaufspreis höher<br />

als der für große Brauereien, <strong>die</strong> in großen<br />

Stückzahlen einkaufen und ihren Aromahop-<br />

fen selbst aufbereiten. Diese Fragen kann der<br />

Braume<strong>ist</strong>er einfach beantworten: „Über einen<br />

höheren Preis teilweise. Es gäbe sicher einen<br />

größeren Gewinn am Bier, wenn wir es von anderen<br />

Brauereien kaufen würden. Die Frage <strong>ist</strong><br />

aber, ob dann auch genauso viele Gäste kommen<br />

würden.“ Auch der Brauvorgang <strong>ist</strong> bei den<br />

geringen Mengen deutlich teurer.<br />

Neben dem naturtrüben Pils und dem naturtrüben<br />

Weizen hat <strong>die</strong> erste Stuttgarter Lokalbrauerei<br />

auch noch <strong>das</strong> Braume<strong>ist</strong>erbier im Angebot,<br />

„ein kräftiges dunkles Märzen“. Außerdem gibt<br />

es „Saisonbiere“, wie z.B. <strong>das</strong> Weihnachtsbier,<br />

<strong>das</strong> Sommerbier oder <strong>das</strong> Volksfestbier. „Unsere<br />

Kunden sollen sich immer auf <strong>die</strong> Biere der<br />

jeweiligen Saison freuen können“, meint der<br />

Braume<strong>ist</strong>er. Jedes Bier passt zu einem Event<br />

oder einer Jahreszeit. „Winterbiere sind dunkle,<br />

gehaltvolle Biere, im Sommer wollen <strong>die</strong> Leute<br />

leichte Biere.“<br />

Das Braume<strong>ist</strong>erbier war früher auch ein Saisonbier,<br />

<strong>das</strong> jedoch wegen des großen Erfolgs<br />

<strong>die</strong> ganze Saison verkauft wird. Hartl nennt<br />

seine Saisonbiere lächelnd „Schmankerl“. Man<br />

merkt in <strong>die</strong>sem Moment deutlich, <strong>das</strong>s er Spaß<br />

an seinem Beruf hat. Alkoholfreies Bier gibt es<br />

in seinem Sortiment nicht, da <strong>die</strong> Produktion<br />

für eine kleine Brauerei zu aufwendig wäre.<br />

Über den Beruf „Braume<strong>ist</strong>er“ sagt Jürgen<br />

Hartl, <strong>das</strong>s man theoretisch nur einen Hauptschulabschluss<br />

und eine 3-jährige Lehre benötige.<br />

Zudem sei man praktisch konkurrenzlos,<br />

und der Beruf sei sehr gefragt. Die hohe Anzahl<br />

von Kunden gibt ihm dabei auf jeden Fall<br />

Recht, so wie es aussieht, wird <strong>das</strong> Calwer-Eck<br />

Bräu wohl auch in Zukunft weiterhin gut besucht<br />

sein.<br />

Kleinere Mengen, längere Reifezeiten<br />

– Im Calwer-Eck-Bräu <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Qualität<br />

wichtiger als <strong>die</strong> Quantität.

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