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Wo das Chaos die Ordnung ist - Literaturmachen

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Seite 4 Bulletin N– o 03 – Zeitung für Reportagen – Literaturhaus Stuttgart und Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart – Schuljahr 2008/2009 Bulletin N– o 03 – Zeitung für Reportagen – Literaturhaus Stuttgart und Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart – Schuljahr 2008/2009 Seite 5<br />

Später Dienstagnachmittag im Calwer-Eck-Bräu<br />

in der Stuttgarter Innenstadt. Die Gaststätte,<br />

<strong>die</strong> mit dem Titel „Erste Stuttgarter Lokalbrauerei“<br />

wirbt, <strong>ist</strong> zu <strong>die</strong>ser Zeit wie jeden Tag gut<br />

besucht. Es herrscht eine gemütliche Stimmung<br />

und der typische Geruch von schwäbischer Küche<br />

hängt in der Luft. Wer hier einkehren will,<br />

sollte allerdings schon <strong>Wo</strong>chen vorher einen<br />

Platz reservieren. Denn hierher kommt man<br />

nicht nur wegen des guten Essens, sondern vielmehr<br />

wegen des einzigartigen Biers. Immerhin<br />

handelt es sich hier nicht nur um ein normales<br />

Lokal, sondern vielmehr um eine Hausbrauerei.<br />

Stuttgarts kleinste, um genau zu sein. Das<br />

Calwer-Eck-Bräu war ganz vorne mit dabei, als<br />

es darum ging, seinen Gästen etwas ganz Besonderes<br />

zu bieten, etwas, <strong>das</strong> nicht in jeder<br />

Gaststätte angeboten wird.<br />

Klaus Schöning, damaliger Besitzer des Calwer-<br />

Eck-Bräus, eröffnete <strong>die</strong> Gaststätte am 24. April<br />

1987. Zur damaligen Zeit war in den me<strong>ist</strong>en<br />

Stuttgarter Gaststätten eine me<strong>ist</strong> einseitige<br />

Gästestruktur zu finden. Also war es <strong>das</strong> Ziel,<br />

ein Lokal zu etablieren, welches ein Anlaufpunkt<br />

für keine bestimmte Zielgruppe, sondern<br />

für jedes Alter und jede Stimmungslage war. Ein<br />

voller Erfolg, wie sich bald herausstellen sollte.<br />

Und auch heute, mehr als 20 Jahre später, <strong>ist</strong><br />

<strong>das</strong> Calwer-Eck-Bräu immer noch ein gastronomischer<br />

Dauerbrenner. Noch jetzt, wie auch damals<br />

schon, können <strong>die</strong> Gäste <strong>das</strong> Brauen des<br />

hauseigenen Bieres hautnah miterleben. Allein<br />

eine Glastür trennt <strong>die</strong> Brauerei vom Lokal. Verantwortlich<br />

für <strong>die</strong> Brauerei im Calwer-Eck <strong>ist</strong><br />

Braume<strong>ist</strong>er Jürgen Hartl, der bereits seit acht<br />

Jahren hier tätig <strong>ist</strong>. Mit einem weiteren Mitarbeiter<br />

in der Brauerei <strong>ist</strong> er zuständig für den<br />

täglichen Nachschub an frischem Gerstensaft.<br />

Und <strong>das</strong> am Calwer-Eck gebraute Bier wird auch<br />

nicht, wie so viele Biere, erst durch halb Deutschland<br />

transportiert, sondern fast ausschließlich<br />

in der eigenen Gaststätte ausgeschenkt. Nur<br />

ein kleiner Teil wird an zwei Gaststätten in der<br />

Region geliefert. Arbeitszeiten ab 6 Uhr in der<br />

Frühe für einen Lokalbrauer mögen dem einen<br />

oder anderen ungewöhnlich vorkommen. Es <strong>ist</strong><br />

aber tatsächlich so, <strong>das</strong>s ein sogenannter Sud,<br />

aus dem später um <strong>die</strong> 40 Hektoliter, also 4000<br />

Liter Calwer-Eck-Bräu gewonnen werden, um<br />

<strong>die</strong> 14 Stunden in Anspruch nehmen kann. Und<br />

zuständig hierfür <strong>ist</strong> im Calwer-Eck Bierbrauer<br />

Jürgen Hartl.<br />

Eine anstrengende Arbeit, <strong>die</strong> sich aber voll<br />

auszahlt - dank dem hauseigenen Bier kann <strong>das</strong><br />

Calwer-Eck auf viele Stammgäste zählen. Und<br />

Benedict Ohnemüller<br />

gastronomischer Dauerbrenner<br />

mit einzigartigem Bier<br />

Ein Besuch in Stuttgarts kleinster Brauerei, dem Calwer-Eck-Bräu<br />

auch der Braume<strong>ist</strong>er selbst trinkt sein eigenes<br />

Bier immer noch am liebsten. Denn dank 100%iger<br />

Handarbeit beim Brauen und wechselnder<br />

Rohstoffe variiert der Geschmack des Bieres<br />

von Tag zu Tag.<br />

Insgesamt werden ungefähr 130 Sud in der Lokalbrauerei<br />

hergestellt, <strong>das</strong> sind also 4800 Hektoliter<br />

im Jahr. Eine beachtliche Summe, wenn<br />

man bedenkt, <strong>das</strong>s es Calwer-Eck-Bräu nur in<br />

drei Gaststätten zu kaufen gibt. Ausgeschenkt<br />

wird übrigens nur im 0,2- und 0,3-Liter-Glas,<br />

dadurch hat der Gast auch immer ein frisches<br />

Bier vor sich. Wer bei <strong>die</strong>sen vergleichsweise<br />

kleinen Gläsern Nachschubsorgen hat, kann beruhigt<br />

sein: Denn im Calwer-Eck wird dem Gast<br />

so lange automatisch immer ein frisches Bier<br />

gebracht, bis er den Bierdeckel auf <strong>das</strong> Glas legt<br />

und damit signalisiert: „Genug für heute...“<br />

Wer doch lieber selbst Hand anlegen möchte,<br />

bestellt einfach einen „Pitcher“ – einen frisch<br />

gezapften 1,5-Liter-Krug zum selbst einschenken.<br />

Außer den ganzjährig gebrauten Bieren, wie<br />

dem Calwer-Eck-Pils oder dem Hefeweizen,<br />

werden zu verschiedenen Anlässen auch Saisonbiere<br />

gebraut, wie z.B. <strong>das</strong> Volksfestbier,<br />

Maibock, Sommerbier, Weihnachtsbier und<br />

Schwarzbier. Aber egal welche Sorte, immer<br />

gilt <strong>das</strong> Motto: Qualität statt Quantität. Wer<br />

alkoholfreies Bier sucht, wird im Calwer-Eck<br />

allerdings nicht fündig werden; aufgrund der<br />

komplizierten Braumethode wäre hierfür der<br />

Aufwand zu groß.<br />

Normalerweise steigt in der Gastronomie der<br />

Bierumsatz im Sommer immer kräftig an. Im<br />

Calwer-Eck-Bräu hingegen wird, auch wegen<br />

eines fehlenden Biergartens und ständig wechselnder<br />

Saisonbiere, zwischen Oktober und Dezember<br />

deutlich mehr Bier als im Sommer verkauft.<br />

Die vier Grundstoffe des Bieres sind auch hier<br />

Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Dabei <strong>ist</strong> Wasser<br />

mit mehr als 90% der Hauptbestandteil des<br />

Bieres. Im Calwer-Eck wird untypischerweise<br />

normales Leitungswasser verwendet, <strong>die</strong> me<strong>ist</strong>en<br />

Brauereien nutzen dagegen me<strong>ist</strong> qualitativ<br />

hochwertigeres Quellwasser. Der bei weitem<br />

größte Anteil des Wassers jedoch wird auch zum<br />

Reinigen und Kühlen verwendet, doch konnten<br />

hier in den letzten Jahren der Umwelt zuliebe<br />

deutliche Einsparungen erzielt werden. Wurden<br />

früher bis zu 25 Hektoliter, also 2500 Liter<br />

Frischwasser für <strong>die</strong> Produktion eines Hektoliters<br />

Bier benötigt, so sind es heute nur noch<br />

5 Hektoliter Frischwasser. Die Hefe bezieht <strong>das</strong><br />

Calwer-Eck von größeren Brauereien, der Hopfen<br />

hingegen kommt aus der Hallertau in Bay-<br />

ern. Reste, <strong>die</strong> nach dem Brauvorgang übrig<br />

bleiben, <strong>die</strong>nen als nährstoffreiches Tierfutter<br />

und werden abends in <strong>die</strong> Wilhelma ausgeliefert.<br />

Ein auch deutlich sichtbarer Unterschied<br />

zwischen dem Bier vom Calwer-Eck-Bräu und<br />

dem Bier industrieller Brauereien, wie Öttinger<br />

oder Hofbräu, besteht wohl darin, <strong>das</strong>s im<br />

Calwer-Eck ausschließlich unfiltriertes, also naturtrübes<br />

Bier produziert wird. Und auch hierin<br />

kann man sich von anderen Gaststätten, <strong>die</strong><br />

ausschließlich Bier von großen Brauereien verkaufen,<br />

deutlich unterscheiden. Natürlich <strong>ist</strong><br />

<strong>das</strong> Brauen relativ kleiner Biermengen wie im<br />

Calwer-Eck im Zweifel teurer als <strong>die</strong> Herstellung<br />

in Großbrauereien, und <strong>die</strong>ser Kostennachteil<br />

kann auch dadurch nicht vollständig ausgeglichen<br />

werden, <strong>das</strong>s der Aufwand für Transportkosten<br />

und für den von den Herstellern und<br />

Händlern kalkulierten Gewinn entfällt. Dafür<br />

sind <strong>die</strong> Gäste aber gerne bereit, für ein Glas<br />

Bier aus der Hausbrauerei ein paar Cent mehr<br />

zu bezahlen.<br />

Braume<strong>ist</strong>er Jürgen Hartl <strong>ist</strong> zuständig<br />

für <strong>die</strong> Qualität des hauseigenen Bieres.<br />

Daher hat sich <strong>die</strong> Idee, den Gästen ein kühles<br />

Bier aus der hauseigenen Brauerei zu servieren,<br />

inzwischen schon zu einem richtigen Markt<br />

entwickelt. Im Internet werden heute schon<br />

schlüsselfertige Hausbrauereien angeboten.<br />

Für eine kleine Brauerei mit einer Jahreskapazität<br />

von 500 Hektolitern, <strong>die</strong> ca. 40 m² Platz<br />

benötigt, müssen rund 100.000 Euro in <strong>die</strong><br />

Anlagentechnik investiert werden. Und wer<br />

Kahle Wände, von denen der Putz bereits ab-<br />

bröckelt. Akten und Ordner, <strong>die</strong> sich auf den<br />

Regalen dicht an dicht reihen und sich über<br />

dem alten Holzschreibtisch mit passendem<br />

Holzstuhl verteilen. So sahen <strong>die</strong> Büros der Zentralen<br />

Stelle der Landesjustizverwaltung zur<br />

Aufklärung nationalsozial<strong>ist</strong>ischer Verbrechen<br />

aus, als Kurt Schrimm sie <strong>das</strong> erste Mal betrat.<br />

„Es sieht aus wie vor hundert Jahren. Und sehen<br />

Sie? Es durfte noch geraucht werden“, stellt<br />

er mit einem kleinen Schmunzeln fest. Auf dem<br />

Schreibtisch steht neben der Schreibmaschine<br />

ein alter Aschenbecher aus dickem Glas. Auch<br />

gab es bis vor neun Jahren keinen PC im Haus,<br />

nur Karteien. Karteien, <strong>die</strong> unendliches Leid<br />

beinhalten: <strong>die</strong> grausamen Verbrechen des Nationalsozialismus.<br />

Eines <strong>die</strong>ser Verbrechen sollte im „Ulmer Einsatzkommando-Prozess“<br />

gesühnt werden, doch<br />

während des Prozesses entdeckte man eine Gesetzeslücke,<br />

<strong>die</strong> zur Gründung der Zentralen<br />

Stelle führte. Es gab damals Hinweise auf weitere<br />

Verbrechen <strong>die</strong>ser Art. Unter anderem in<br />

Konzentrationslagern in vom ehemaligen Deutschen<br />

Reich besetzten Ländern.<br />

Da aber ein Staatsanwalt nur für einen lokalen<br />

Bereich zuständig <strong>ist</strong>, konnten Verbrechen,<br />

besonders Massenverbrechen, <strong>die</strong> außerhalb<br />

Deutschlands stattfanden, nicht verfolgt werden.<br />

Daher wurde im Jahr 1958 <strong>die</strong> Zentrale<br />

Stelle gegründet. Ihr Zuständigkeitsbereich<br />

erstreckt sich über alle Länder der Welt. Ihre<br />

Aufgabe <strong>ist</strong> es, überall dort zu ermitteln, wo<br />

Verbrechen begangen wurden oder wohin <strong>die</strong><br />

Täter geflohen sind.<br />

Für <strong>die</strong> Bundesrepublik besteht eine Wiedergutmachungspflicht.<br />

Diese verpflichtet sie, eine<br />

Straftat für <strong>die</strong> noch lange leidenden Opfer zu<br />

rächen.<br />

Trotzdem wird der Justiz immer wieder vorgeworfen,<br />

sie hätte zu wenig gegen <strong>die</strong> NS-Verbrechen<br />

getan. „Das Ausland sieht <strong>das</strong> aber ganz<br />

anders“, sagt der Leiter der Zentralen Stelle,<br />

Kurt Schrimm, und fügt hinzu: „Normalerweise<br />

ermitteln <strong>die</strong> Siegermächte, und nicht der Verlierer<br />

gegen sich selbst.“<br />

Doch <strong>das</strong> Ziel der Ermittlungen <strong>ist</strong> nicht unbedingt<br />

<strong>die</strong> Bestrafung der Verbrecher. So sagte<br />

eine alte Jüdin, <strong>die</strong> von Polen nach Amerika<br />

geflohen war, zu Kurt Schrimm einmal: „Auf<br />

<strong>die</strong>sen Tag habe ich gewartet.“ Egal ob ein Täter<br />

gefasst wird oder nicht, Hauptsache <strong>die</strong> Menschen<br />

zeigen Interesse an den vielen grausamen<br />

Taten und ihren Opfern.<br />

sich eine solche Hausbrauerei in <strong>die</strong> Gaststätte<br />

stellt, macht <strong>die</strong>s nur, wenn es sich unter dem<br />

Strich lohnt.<br />

Inzwischen <strong>ist</strong> es Abend geworden, in der Brauerei<br />

laufen noch <strong>die</strong> letzen Aktionen des Tages,<br />

<strong>das</strong> gebraute Bier wurde inzwischen in <strong>die</strong><br />

Tanks im Keller umgepumpt, in denen es nun<br />

zwischen zwei und drei <strong>Wo</strong>chen reift, je nach<br />

Bedarf. Und auch <strong>die</strong> Gaststätte füllt sich all-<br />

Delia Soder<br />

Die nazi-Jäger<br />

Ein Besuch in der Zentralen Stelle<br />

der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung<br />

nationalsozial<strong>ist</strong>ischer Verbrechen<br />

in Ludwigsburg<br />

Zu den spektakulärsten Fällen zählten <strong>die</strong><br />

1963/64 stattfindenden Auschwitzprozesse, sowie<br />

der Majdanekprozess, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Zentrale<br />

Stelle in Gang gesetzt wurden. Durch deren Größe<br />

und <strong>die</strong> vielen Zeugen erfuhr <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

erstmals Näheres über <strong>die</strong> Grausamkeiten<br />

und Massenverbrechen der Nationalsozial<strong>ist</strong>en<br />

und <strong>die</strong> Arbeit der Zentralen Stelle.<br />

Früher begann eine Ermittlung durch einen<br />

Anfangsverdacht. Man versuchte den oder <strong>die</strong><br />

Verdächtigen durch Akten des betroffenen Konzentrationslagers<br />

zu ermitteln. War <strong>die</strong>s erfolgreich,<br />

so wurden Zeugen gesucht und zu dem<br />

ausstehenden Prozess geladen.<br />

Heute gibt es in Deutschland keine Verbrechen<br />

mehr zu ermitteln. Und durch einen konkreten<br />

Namen in einer KZ-Akte <strong>ist</strong> niemand mehr zu<br />

Von <strong>die</strong>sem Gebäude in Ludwigsburg aus<br />

machen Kurt Schrimm und seine Mitarbeiter<br />

Jagd auf Nazi-Verbrecher.<br />

© Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg<br />

mählich wieder, und auch heute, mitten unter<br />

der <strong>Wo</strong>che, glaubt man wieder an ein volles<br />

Haus und einen großen Ausschank.<br />

Denn rechnet man <strong>die</strong> gesamte Produktionsmenge<br />

seit Gründung der „1. Stuttgarter Lokalbrauerei“<br />

auf <strong>die</strong> Stuttgarter Bevölkerung<br />

um, hat innerhalb all <strong>die</strong>ser Jahre jeder Stuttgarter<br />

schon weit über zehn Gläser Calwer-Eck-<br />

Bräu getrunken – zum <strong>Wo</strong>hl!<br />

finden. Das kann daran liegen, <strong>das</strong>s es in einigen<br />

Ländern, wie der Ukraine, Russland oder Weißrussland,<br />

kaum schriftliche Aufzeichnungen<br />

gibt. Die einzigen Belege für einen möglichen<br />

Täter liefern <strong>die</strong> Anklagen und Prozesse nach<br />

einer Kriegsgefangenschaft des Verdächtigen in<br />

<strong>die</strong>sen Ländern. Andere NS-Verbrecher ließen<br />

sich falsche Ausweise vom Roten Kreuz erstellen,<br />

um ungehindert nach Südamerika auswandern<br />

zu können.<br />

So sind <strong>die</strong> Ermittler von Ludwigsburg acht bis<br />

zehn <strong>Wo</strong>chen im Jahr für Untersuchungen im<br />

Ausland unterwegs. Neben den ermittelnden<br />

vier Richtern und zwei Staatsanwälten arbeiten<br />

ein Polizeibeamter, sowie zwölf weitere Personen<br />

in der Zentralen Stelle. Für <strong>die</strong> internationale<br />

Verständigung sorgen Dolmetscher, <strong>die</strong><br />

für eine gewisse regionale Arbeitsteilung verantwortlich<br />

sind. Die übrigen Mitarbeiter sind<br />

für <strong>die</strong> 1,6 Millionen Karten der Kartei zuständig,<br />

<strong>die</strong> oftmals auch als Hilfe für <strong>die</strong> Staatsanwaltschaft<br />

<strong>die</strong>nt, falls <strong>die</strong>se auch ermittelt.<br />

Die Zentrale Stelle beschafft <strong>die</strong> Dokumente,<br />

<strong>die</strong> sie als Beweismaterial für wichtig hält,<br />

selbst. Doch Zeugenvernehmungen werden<br />

auch von der Polizei übernommen. Nach den<br />

Ermittlungen wird ein Fall an <strong>die</strong> Staatsanwaltschaft<br />

weitergegeben, da <strong>die</strong> Zentrale<br />

Stelle keine Anklagekompetenz besitzt. Trotz-<br />

dem werden Kollegen von Kurt Schrimm öfters<br />

als Fachkundige zu Prozessen geladen. Er selbst<br />

führte Prozesse gegen nationalsozial<strong>ist</strong>ische<br />

Verbrecher. Ein solcher Prozess kann ein bis<br />

fünf Jahre dauern.<br />

Augenzeugenberichte seien oft schwer zu ertragen,<br />

erzählt Kurt Schrimm, „aber <strong>das</strong> darf nicht<br />

ans Herz gehen, sonst geht´s nicht“. Er hatte<br />

Kollegen, <strong>die</strong> es nicht schafften, ihre Arbeit<br />

vom Privaten zu trennen und deshalb nach ein<br />

oder zwei Monaten ihren Beruf aufgaben.<br />

Doch was <strong>die</strong> Ermittler von Ludwigsburg aufdecken,<br />

wird auf Karteien festgehalten. Diese<br />

Karteien werden nach der Auflösung der Zentralen<br />

Stelle zur Staatsanwaltschaft gebracht.<br />

Sie sollen niemals verloren gehen, so<strong>das</strong>s ihr<br />

Inhalt nie vergessen wird. Die Auflösung <strong>ist</strong> jedoch<br />

absehbar: Eines Tages wird es nichts mehr<br />

zu ermitteln geben. Länder wie Italien oder <strong>die</strong><br />

Ukraine sind im Gegensatz zu Russland und<br />

Brasilien bereits abgearbeitet. Daher vermutet<br />

Kurt Schrimm, <strong>das</strong>s es wohl nach seiner Pensionierung<br />

in fünf Jahren keinen Nachfolger<br />

mehr für ihn geben wird: „Aber man kann nie<br />

wissen.“

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