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Cruiser im September 2017

Cruiser im September: Wir haben eine Regenbogenfamilie besucht und nachgefragt, wie einfach oder schwierig sich diese Lebensform gestaltet. Ausserdem: Das grosse Interview mit Richard Gere und: Wie steht es eigentlich um LGBT* Flüchtlinge?

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KOLUMNE<br />

THommen meint<br />

33<br />

«GIB MIR DEINEN SAFT –<br />

ICH GEB’ DIR MEINEN!»<br />

Peter Thommen über Präventionsuntiefen und warum er ein ambivalentes Verhältnis<br />

zu dem von der Hip-Hop-Gruppe «Fantastischen Vier» besungenen «Saft» hat.<br />

Vo n P e t e r T h o m m e n<br />

In den 80er-Jahren, den Zeiten von HIV/<br />

AIDS, haben wir gelernt, dass ein ‹lebensspendender›<br />

Saft auch den Tod bringen<br />

kann. Viele ‹todeten› dann auch bis in die<br />

90er-Jahre dahin. In dieser Zeit gingen alle<br />

anderen bei sexuellen Handlungen übertragbaren<br />

Krankheiten irgendwie vergessen.<br />

Darum müht sich die Prävention heute<br />

so ab, uns diese wieder in Erinnerung zu<br />

rufen. Die Nebenwirkungen der antiviralen<br />

Medikamente sind nicht zu übersehen<br />

– auch wenn mann sie nicht wirklich<br />

sehen kann. Das rasche äussere Älterwerden<br />

ei niger HIV/AIDS-Therapierten blieb<br />

mir per sön lich nicht verborgen. Gut, dass<br />

man heute auch mit HIV so alt werden<br />

kann wie die anderen.<br />

In der Folge rollte die Bareback-Welle<br />

heran – bis heute. Eine zornige Reaktion auf<br />

vernünftigen Safersex. Darauf reagierte die<br />

Prävention mit ‹nicht moralisieren›. Sie<br />

verlegte sich darauf, die Risiken zu vermindern<br />

– wie bei der Drogenprävention. Und<br />

trotzdem wurden die anderen sexuell übertragbaren<br />

Infektionen wieder sichtbar,<br />

wenn sie auch nicht gleich zum Tod führen.<br />

Wir sehen: Neben den riskanten Sexualpraktiken<br />

gibt es weitere gesundheitliche<br />

Risiken, denen wir uns aussetzen. Von Alkohol<br />

und anderen Chems ganz zu schweigen.<br />

Verschwiegen werden auch die ganzen<br />

tiefenpsychologischen und psychodynamischen<br />

Abläufe in Männern. Sie weisen auf<br />

grössere Zusammenhänge hin als nur Zorn<br />

und sie bergen auch Risiken. Sperma hat<br />

eine zentrale Bedeutung für Knaben und<br />

Männer. Sei es der erste Saft, mit dem einer<br />

glaubt, zum Mann zu werden, oder derjenige<br />

des anderen, den mann haben möchte.<br />

Also weit über Zeugungsvorstellungen hinaus,<br />

was ich hier alles mal weglasse.<br />

Saft ist die intuitive<br />

‹Vertretung› eines Mannes,<br />

ohne ihn als kompliziertes<br />

Wesen aus Liebe ganz<br />

FRESSEN zu können.<br />

Mein Verhältnis zum Sperma hat sich<br />

mit den Jahren verändert, in denen ich Erfahrungen<br />

hatte und auch darüber gelesen<br />

habe. Be<strong>im</strong> jungmännlichen Einstieg war es<br />

dégoutant. Dann war ich süchtig danach.<br />

Dann verlor der Saft seine <strong>im</strong>mense Bedeutung<br />

für mich, über seine Zusammensetzung<br />

aus Wasser, Eiweiss und Salz hinaus.<br />

Besonders <strong>im</strong> Internet sehe ich, wie viele<br />

sich an Säfte klammern, sich an ihnen abarbeiten<br />

und sich von ‹Sahnespendern› beeindrucken,<br />

ja sogar dominieren lassen. Diese<br />

Homepages stellen nur dar, sie geben aber<br />

keine Antworten auf ungestellte Fragen.<br />

Eltern, Schule und die Sexualanleitungen in<br />

Büchern auch nicht. Alles erscheint wie ein<br />

grosses und vielfältiges Paradies. Ich bezeichne<br />

das als grosses sexuelles Elend.<br />

Darum sind Fetische so beliebt: Weil sie<br />

nicht erklärt werden, sich aber mit vieldeutigen<br />

und hohen Energien aufladen und<br />

suchtartige Identitätserlebnisse bieten. Als<br />

rätselhafte Botschaften kultivieren sie individuelle<br />

Glaubensvorstellungen wie in Religionen.<br />

Und genau darin liegen die Untiefen<br />

der Präventions- und Informations-Probleme<br />

mit Männern und ihrem Saft.<br />

Der äusserliche Umgang mit diesem<br />

Produkt weist auf die innere Persönlichkeitsentwicklung<br />

vom Knaben zum Mann.<br />

Saft ist die intuitive ‹Vertretung› eines<br />

Mannes, ohne ihn als kompliziertes Wesen<br />

aus Liebe ganz fressen zu können. Seiner<br />

damit habhaft zu sein, auch wenn der<br />

Mann weg ist, oder einen anderen damit<br />

trösten zu können, bei zeitweiliger Abwesenheit.<br />

Mir ist bald klargeworden, dass<br />

die Menge und deren Verteilungsort symbolische<br />

Bedeutung erhält.<br />

Dass Glaubensvorstellungen die<br />

gröss ten Hindernisse für Veränderung und<br />

Erkenntnis sind, wissen die meisten Menschen.<br />

Ich verstehe, warum Safersex als<br />

moralisierend empfunden werden kann<br />

und warum so viele an ihrem Saft und dessen<br />

Weitergabe oder Eroberung intensiv<br />

hängen. Beinahe unmöglich ein Tabu zu<br />

setzen und unbedingt wichtig, dieses Tabu<br />

endlich zu brechen.<br />

C R U I S E R S E P T E M B E R <strong>2017</strong>

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