EDUCATION 5.17

Thema | Dossier
Sie unterrichten eine 7. Klasse,
Maria Marti. Werden Sie mit
90 Minuten Hausaufgaben pro
Woche auskommen?
Maria Marti Das lässt sich einrichten
– wenn auch nicht in den Wochen,
in denen grössere Arbeiten
oder Projekte anstehen. Mit meiner
Klasse werde ich ab Frühling 2018
ein Projekt realisieren: Jede und jeder
beobachtet ein Jahr lang ein Ökosystem
von 20 Quadratmetern im Dorf,
sei dies eine Hecke, ein Gewässer
oder ein Stück Wald mit Waldrand.
Dies ist verbunden mit Besichtigungen
vor Ort, Fotografieren und anderen
Arbeiten, manchmal auch am
Wochenende. Der Aufwand dafür ist
im Frühling grösser als im Winter …
… Erwin Sommer, kann Maria
Marti solche Projekte auch mit dem
Lehrplan 21 realisieren und entsprechende
Hausaufgaben vergeben?
Erwin Sommer Selbstverständlich!
Die Methoden- und Lehrfreiheit bleibt
mit dem Lehrplan 21 gewahrt und ist
ganz wichtig. Und die Hausaufgaben,
die Maria Marti eben beschrieben hat,
tönen attraktiv und reichhaltig – das ist
wünschenswert. Eine generelle Reduktion
der Hausaufgaben ist aber
wichtig. Heute gibt es Familien, in
denen die Hausaufgaben regelmässig
zu Dramen führen. Etliche Kinder
kriegen wenig oder keine Unterstützung,
weil die Eltern arbeiten, die
Sprache nicht verstehen oder ein
Lehrmittel nicht kennen. Die Reduktion
sollte bewirken, dass diese Kinder
weniger benachteiligt werden
und die Chancengerechtigkeit grösser
wird – das ist uns wichtig.
Wie stellen Sie sicher, dass die
Hausaufgabenzeit eingehalten wird?
Maria Marti Es braucht Absprachen
im Team, wer wie viele gibt. Das
machen wir in meinem Team heute
schon so.
Erwin Sommer Solche Absprachen
sind sehr wichtig. Das funktioniert
noch nicht ganz überall. Es gibt
Schulen, in denen die Schülerinnen
und Schüler mal sehr belastet sind
mit Hausaufgaben, dann wieder gar
nicht. Vor dem Beurteilungsbericht
merken einige Lehrpersonen, dass
sie die Leistungen zu wenig dokumentieren
können und geben ohne
Absprache Hausaufgaben, bis es definitiv
zu viel wird. Dies habe ich als
Lehrer und Schulleiter selber erlebt.
Das gilt es zu verhindern.
Wie viele Stunden beanspruchen
Sie heute für die Math-Hausaufgaben,
Maria Marti?
Maria Marti Von den gegenwärtig
vier Stunden rund eine Stunde wöchentlich.
Meine Schülerinnen und
Schüler müssen mir zudem immer
eine Rückmeldung geben, wie lange
sie tatsächlich gearbeitet haben. Dadurch
kann ich bei Bedarf den Umfang
korrigieren. Weil für Mathematik
in Zukunft mehr Lektionen zur Verfü-
Maria Marti ist Klassenlehrerin an der
Sekundarschule Brügg sowie Ausbildnerin
an der PHBern und Mitglied der
Fachkommission Mathematik.
Erwin Sommer, ausgebildeter Lehrer,
ehemals Schulleiter, steht seit gut vier
Jahren dem Amt für Kindergarten,
Volksschule und Beratung (AKVB) der
Erziehungsdirektion vor.
gung stehen, werden wir einen grossen
Teil der bisherigen Hausaufgaben
in die Schule verlagern.
Warum werden die Hausaufgaben
nicht ganz abgeschafft, wenn sie
doch Chancenungerechtigkeit
bewirken?
Erwin Sommer An den «Hearings»
war dies auch eine Forderung. Für
mich sind radikale Lösungen fast
nie sinnvoll. «Ein oder aus», «eins
oder null» trifft höchstens für die Informatik
zu. Das Leben ist nicht
schwarz oder weiss. Durch Hausaufgaben
lernen die Schülerinnen und
Schüler selbstständig zu arbeiten.
Später, in der Berufsfachschule oder
im Gymnasium, werden sie umfangreiche,
selbstständig zu lösende
Hausaufgaben erhalten. Es macht
Sinn, dass sie in der Volksschule darauf
vorbereitet werden. Ein weiteres
Argument ge gen die Abschaffung ist ▶
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