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EDUCATION 5.17

Hauptthema: Lehrplan 21

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Porträt | Portrait<br />

Auf dem Rundgang durch den Einmannbetrieb erzählt<br />

Simon Gneist weiter von seinem Werdegang. Zwei Jahre<br />

lang teilte er beim Zirkus Nock das Nomadenleben der<br />

Artistinnen und Artisten und unterrichtete deren Kinder.<br />

Dann hatte er genug: «Für diese Leute gibt es nichts anderes<br />

als Zirkus», erzählt er. «Mit den Mechanikern aus<br />

Polen und den Marokkanern, die das Zelt auf- und abbauten,<br />

konnte ich es gut, aber da war die Sprache das<br />

Problem, unsere Gespräche waren ebenfalls bald erschöpft.»<br />

Simon Gneist hängte den Lehrberuf erst mal an den<br />

Nagel. In Erinnerung an den Segelflieger seiner Jugend<br />

schaute er sich im Flugzeugbau um, doch die spezialisierte<br />

industrielle Herstellung von einzelnen Teilen war<br />

nicht, was er suchte. Etwas von A bis Z selber zu machen,<br />

die Dinge in ihrer ganzen Tiefe auszuloten, darin liegt für<br />

«Es ist nicht das unglaublich<br />

Aussergewöhnliche,<br />

was ich suche, sondern das<br />

Einfache, worauf man<br />

schon lange hätte kommen<br />

sollen.»<br />

ihn das Glück. Da er gerne singt und damals Geige spielte,<br />

fasste er in der Folge eine Lehre als Instrumentenbauer in<br />

Brienz ins Auge. Ein abgekürztes Verfahren kam dort aber<br />

nicht infrage, und noch einmal vier Jahre Ausbildung<br />

konnte und wollte er sich nicht leisten. Schliesslich entschied<br />

Gneist sich für den Bootsbau und fand in einer<br />

Werft am Genfersee die Möglichkeit, diese Lehre in drei<br />

Jahren abzuschliessen. Mit dem so perfektionierten handwerklichen<br />

Wissen und Können war der Grundstein zu<br />

seiner heutigen Tätigkeit als Möbeldesigner und -hersteller<br />

gelegt.<br />

Schlicht, kantig und möglichst perfekt<br />

Auf dieses Motto stösst, wer sich auf www.simongneist.<br />

ch umschaut. In Gneists Schauraum gleich neben der<br />

Werkstatt zeigt sich konkret, was das heisst: Schlichte<br />

Möbel stehen hier, deren Schönheit durch den respektvollen<br />

Umgang mit dem Werkstoff Holz sichtbar wird. Der<br />

Nussbaumtisch «Bossanova», zu schade fast, um Teller<br />

und Gläser draufzustellen; das Bett «Benati» mit Beinen<br />

wie ein gelandetes Raumschiff; das Sideboard «Fantast»,<br />

dessen Schiebetüren Astlöcher als Schmuck tragen. Meilenweit<br />

sind diese Designstücke von den Gebrauchsgegenständen<br />

entfernt, die Simon Genist mit den Schülerinnen<br />

und Schülern herstellt. Doch das Prinzip, das er in der<br />

Schule anwendet, ist dasselbe: die einfachste Lösung<br />

finden und bei der Umsetzung Perfektion anstreben.<br />

Den Lehrplan schaut sich Simon Gneist nicht so<br />

genau an. Lieber entwickelt er die Produkte, die in seinem<br />

Unterricht entstehen, selber – im Fall der Neuntklässlerinnen<br />

und Neuntklässler, die eigene Ideen verwirklichen<br />

dürfen, mit ihnen gemeinsam. Denn: «Wenn ich diese<br />

Kiefernholz-Bausätze sehe, die oft im Werkunterricht verwendet<br />

werden, wird mir übel!» Der Mann nimmt kein<br />

Blatt vor den Mund. Seine Sprache ist klar und eindeutig;<br />

was er sagt, hat Ecken und Kanten wie seine Möbel, die<br />

kaum Rundungen aufweisen.<br />

Manchmal nerve er seine Schützlinge wohl mit seinem<br />

Perfektionismus, meint Simon Gneist ernst. Man<br />

merkt, wie wichtig ihm dieser Punkt ist: Wieder und wieder<br />

lasse er sie einen Arbeitsschritt wiederholen, bis die<br />

Sache wirklich sitze und man weiter darauf aufbauen<br />

könne. «Dann ‹verhet› das Endprodukt, und ich sage:<br />

‹Schau, das hast du gemacht!› Und sie können stolz sein<br />

auf etwas, das mehr ist als eine Bastelei, die niemand<br />

brauchen kann.» An den Neuntklässler, der sein selbstgebautes<br />

Fussballgoal wie ein Weltmeister von dannen<br />

trug, erinnert er sich noch heute. Und jetzt erhellt ein breites<br />

Lachen sein Gesicht.<br />

Von Mensch zu Mensch<br />

Bei allem Engagement und Sendungsbewusstsein: Voll<br />

als Lehrer einzusteigen, kam für Simon Gneist nie infrage.<br />

«Das würde ich nicht prestieren», sagt er dezidiert. Einen<br />

einzigen Tag pro Woche unterrichtet er in Lotzwil, «so<br />

viele Lektionen, wie sie mir an diesem Tag geben können.»<br />

Im Moment sind es acht, was knapp einem 30-Prozent-Pensum<br />

entspricht. So stimme die Balance für ihn,<br />

meint er. Und was hält er vom Motto seiner Schule, aus<br />

der Feder von «Der Kleine Prinz»-Autor Antoine de Saint-<br />

Exupéry?<br />

Er schüttelt unwillig den Kopf. «Wieso Kinder mit Erwachsenen?<br />

Ich würde sagen, Menschen müssen mit<br />

Menschen Nachsicht haben, ganz generell.» Auch das<br />

gute Verhältnis mit den Kolleginnen und Kollegen ist ihm<br />

wichtig, deshalb hat er vor einiger Zeit das Donnerstag-<br />

Picknick über Mittag ins Leben gerufen. Dabei können<br />

sich alle Lehrpersonen der verschiedenen Lotzwiler<br />

Schulhäuser informell, von Mensch zu Mensch begegnen.<br />

Manch ein Kollege habe ihm gesagt, dass er auch nach<br />

seinem Wegzug noch oft und gern daran denke. Und wird<br />

jemand neu angestellt, kommt sofort der Hinweis des<br />

Werklehrers auf das Picknick: «Ich mache ihnen dann klar,<br />

dass uns dieser ‹Termin› am Donnerstag wichtig ist und<br />

ihr Erscheinen erwartet wird.» Nägel mit Köpfen, keine<br />

halben Sachen. Das ist Simon Gneist.<br />

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