Magazin Mitarbeitende Solothurner Spitäler 04/17 - Präzis
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FOKUS | GASTBEITRAG<br />
mal einen Zweck. Bald merkte man, dass<br />
die Produktion in Genf zu teuer war. Dies,<br />
weil die Kosten für Arbeitsplatz und Löhne<br />
zu hoch waren. Kurzerhand verlagerten<br />
die Uhrmacher die Anfertigung in den<br />
nahe gelegenen Jura. Vor der Industrialisierung<br />
sind die Uhren oft daheim in den<br />
Wohnhäusern zusammengesetzt worden.<br />
Ganze Familien widmeten sich der Anfertigung.<br />
Mit Blick aus dem Fenster seiner<br />
Werkstatt fügt Andreas Fluri an: «Ich<br />
stelle mir vor, dass diese Arbeit für die<br />
ländlichen Regionen in den Jurahügeln<br />
eine willkommene Abwechslung war.» An<br />
langen, grauen Wintertagen lasse es sich<br />
so richtig gut und konzentriert arbeiten.<br />
Wenn einem dann nach Erholung für die<br />
beanspruchten Augen ist, so kann man<br />
seinen Blick über die sanften Hügel des<br />
Juras schweifen lassen.<br />
«JEDE UHR HAT EINE<br />
SEELE. ALS UHRMACHER<br />
GEBE ICH JEDER UHR<br />
AUCH EIN STÜCK VON MIR<br />
MIT.»<br />
ANDREAS FLURI<br />
Es gibt auch unpräzise Uhren. Sie zeigen<br />
die Zeit zwar exakt an. Doch das Innenleben<br />
ist äussert schlicht. Vieles aus Holz.<br />
Ausser der Zahnräder. Solche Exemplare<br />
stammen aus ländlichen Gegenden. Wie<br />
zum Beispiel dem Schwarzwald oder dem<br />
Entlebuch. Einzelne Spuren führen auch<br />
ins Sertigtal bei Davos. An all diesen Orten<br />
war Metall ein teurer Werkstoff. Holz<br />
hingegen gab es zuhauf. Also fertigten<br />
die Menschen auch das Innenleben ihrer<br />
Zeitmesser mit viel Holz an, ausser den<br />
Zahnrädern selbst. Bekanntlich reagiert<br />
das besagte Material stark auf Feuchtigkeit<br />
und Temperatur. Wohl aus diesem<br />
Grund ist die Machart der Uhren eben<br />
etwas grosszügig ausgefallen, sodass die<br />
Ausdehnung des Holzes nicht das Werk<br />
beeinträchtigen würde. Eine ganz eigensinnige<br />
Bauweise ist zustande gekommen,<br />
die einige Ungenauigkeiten zulässt.<br />
Doch haben diese erstaunlicherweise<br />
keinerlei Einfluss auf die exakte Anzeige<br />
der Zeit.<br />
«Im Beruf bestraft mich Ungenauigkeit.»<br />
Denn wird ein Teil vergessen oder falsch<br />
eingesetzt, läuft das Uhrwerk ganz gewiss<br />
nicht reibungslos. Die ganze Arbeit<br />
muss dann halt nochmals gemacht werden.<br />
Nebst der <strong>Präzis</strong>ion während der Reparatur<br />
selbst achtet Andreas Fluri auch<br />
haargenau auf den Prozess der Wiederinbetriebnahme:<br />
Zuerst lässt er das nackte<br />
Uhrwerk ein paar Tage laufen. Wenn<br />
dieses einwandfrei funktioniert, montiert<br />
er Ziffer blatt und Zeiger. Auch danach<br />
muss die nun funktionelle Uhr beweisen,<br />
dass sie läuft. Erst dann folgt der Einbau<br />
ins Gehäuse. Vor Rücklieferung an den<br />
Kunden hat die Uhr also mehrere Testtage<br />
erfolgreich überstanden.<br />
Frust gibt es auch im Berufsalltag eines<br />
selbstständigen Uhrmachers. Indes erlaubt<br />
es die Arbeit überhaupt nicht, mal<br />
zünftig auf den Tisch zu hauen. Die feinen<br />
Teile würden wegspicken oder gar kaputt<br />
gehen. Also findet sich Andreas Fluri in<br />
solchen Momenten im hauseigenen Garten<br />
wieder. Das Schaffen mit der Erde beruhigt.<br />
Auch ist etwas Grosszügigkeit erlaubt.<br />
Wenn ein Salatsetzling mal etwas<br />
aus der Reihe tanzt, so hat dies keine Folgen<br />
auf die Qualität. Vielleicht ist das eine<br />
kleine Kompensation zum präzisen, exakten<br />
Menschen Andreas Fluri? Auch wenn<br />
er den Garten als unordentlich ansieht, so<br />
bewundern Passanten seine Genauigkeit<br />
selbst bei den Gemüsebeeten…<br />
Es klingelt. Unter der Tür wartet eine<br />
Kundin. Flink steht Andreas Fluri auf und<br />
nimmt sich dem Anliegen der Balsthalerin<br />
an. Sie erklärt die Krankheit ihrer Uhr,<br />
der Uhrmacher führt das Gespräch, indem<br />
er bestimmte Fragen stellt. «Wer mit<br />
einer Uhr zu mir kommt, erzählt mir immer<br />
auch gleich eine Geschichte dazu»,<br />
so Andreas Fluri. Diese Informationen<br />
HUMORVOLLER FACHMANN:<br />
«ICH BIN UHROLOGE UND<br />
VERLASSE MICH BEI MEINER<br />
ARBEIT AUF DEN UHR-<br />
INSTINKT.»<br />
ANDREAS FLURI<br />
sind für die Diagnose wichtig. Beim Verlassen<br />
der Uhrwerkstatt hat der Kunde<br />
stets eine mündliche Offerte betreffend<br />
Kosten. In einer Welt voller <strong>Präzis</strong>ion und<br />
Genauigkeit hat das Wort eben noch eine<br />
Verbindlichkeit; es braucht dazu weder<br />
Mail noch Brief noch Hochglanzofferte.<br />
Der Thaler meint: «Ich wollte eigentlich<br />
immer Uhrmacher werden.» Daheim bei<br />
seinen Eltern türmten sich die alten Uhrwerke<br />
schon bald, der Platz wurde knapp.<br />
Als der junge Fachmann dann kurz nach<br />
der Lehre bereits nach einer eigenen<br />
Werkstatt Ausschau hielt, beunruhigte<br />
dies den Vater leicht. Die Mutter hingegen<br />
begleitete den Sohn auf Besichtigungen<br />
von Häusern. Im Gespräch mit Nachbarn<br />
fand Andreas Fluri dann schliesslich den<br />
Raum für sein Schaffen. Vieles ergibt sich:<br />
Es braucht dazu vielleicht nur präzise<br />
Vorstellungen und Beharrlichkeit.<br />
Was bleibt von der Unterhaltung in<br />
Andreas Fluris Uhrwerkstatt? Dass es<br />
Uhren gibt, die in ihrer Mechanik zwar unpräzis<br />
gebaut sind und doch eine exakte<br />
Zeit anzeigen. Und dass die Qualität von<br />
erfüllenden Momenten nicht zwingend<br />
messbar ist.<br />
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