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AJOURE´Magazin Februar 2018

Christina do Rego führt unser AJOURE´ Magazin Cover im Februar an.

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AJOURE / KOLUMNE<br />

Fotos: Sydney Shaffer / Getty Images; Umut Akcay privat<br />

Also warum den Weg des Widerstands gehen, wenn man auch den bereits geebneten<br />

Weg gehen kann? Das Leben ist doch schließlich kein Hindernislauf.<br />

Montag bis Freitag verstreichen die Werktage mit den gleichen Zielen. Die in- und<br />

auswendig gelernten Aufgaben vor Auge habend, schleppst du dich schließlich ins<br />

Wochenende. Feierabend! Und wie dieser Abend gefeiert wird, denn heute gehen<br />

wir aus! Eine Art Mini-Rebellion, ein kleiner Aufstand eben. Du möchtest dein<br />

erfolgreiches, dennoch komplett liebloses Leben feiern, da du immerhin ein kleines<br />

bisschen Farbe in all dem Grau benötigst. Es ist kein Montag, auch kein Mittwoch,<br />

sondern Freitag. Für gewöhnlich sitzt du an diesem Abend Zuhause auf der Couch<br />

oder liegst mit deiner Lieblingspizza im Bett und schaust deine mit Kitsch und Utopie<br />

gespickten Schnulzen. Ja, in Hollywood gibt es noch Liebe, denkst du dir, während<br />

mein Leben nicht einmal Bollywood gleicht.<br />

Genug gejammert, Skinny Jeans statt Jogginghose heißt es. Ab in die Transformationskammer,<br />

das Bad. Die Verwandlung von Büromensch zu Superheld steht an.<br />

Als Büromensch kannst du nicht einfach mit deinen Leuten um die Häuser ziehen,<br />

nun folgt das Vorbereitungsritual. Die Verwandlung abgeschlossen, stehst du nackt<br />

und leicht nass vor deinem Kleiderschrank und fragst dich, wie du dein Outfit wohl<br />

heute zusammensetzen sollst. Es folgen etliche Fragen. Grundlegende und essentielle<br />

Fragen, die leider keiner außer dir beantworten kann. Ja nicht Mama und Papa um<br />

Rat fragen, denn der Rat würde dich teuer zu stehen kommen. Die lila Hose und der<br />

dazugehörige Spitzname “Milka” aus der fünften Klasse fallen mir wieder ein. Ja, die<br />

Meinung der beiden wäre tatsächlich fatal!<br />

Nun. Was zieh’ ich an? Welche Schuhe kombiniere ich zum bisherigen Outfit? Passt<br />

denn der Gürtel überhaupt zu den Schuhen? Sieht man den Gürtel überhaupt? Was<br />

würde wohl Karl Lagerfeld zu meiner heutigen Kombination sagen? Schließlich<br />

möchte ich ja etwas, das die Adjektive gewagt, lasziv, fesch, mutig, offen, aber nicht<br />

zu offen gar nuttig schreit. Chic - léger soll es sein. Nicht zu bedacht, aber auch<br />

nicht lieblos. Ich mache mir wohl viel zu viele Gedanken für einen Abend, an dem<br />

alle Teilnehmer alkoholisiert durch das Dunkel tappen werden und nicht einmal<br />

die einzelnen Gesichter der Gestalten, ganz zu schweigen ihre (un)modischen<br />

Zusammenstellungen wahrnehmen werden. Also warum sollte ich mir unzählige<br />

Gedanken über die Zutaten meines Outfits machen? Prompt kommt der Gedanke:<br />

“Ich tue es für mich!” Und im selben Moment weißt du, dass du es natürlich nicht<br />

für dich tust, sondern für alle anderen im gleichen Bunker. Die Zeit rennt, die Nacht<br />

kann kaum warten und will gelebt, erlebt und erobert werden. Das Outfit sitzt. Das<br />

obligatorische Ausgeh-Selfie ist geschossen und die Eintrittskarten für den Club<br />

liegen bereits vor. Auf die Plätze. Fertig? Los!<br />

In vollkommener Ahnungslosigkeit über das bevorstehende Ereignis, freust du dich<br />

und kannst die Reunion mit deiner großen Liebe kaum erwarten. Sehnsuchtsvoll und<br />

überglücklich siehst du sie an. Da ist sie, die Tanzfläche. Ach, wie hast du es vermisst,<br />

dich auf dem Spielplatz der Erwachsenen auszutoben. Anfangs etwas verhalten,<br />

vorsichtig und leicht unsicher, tastest du dich langsam aber sicher vor. Nach dem<br />

zweiten Gin Tonic steht eurem gemeinsamen Glück nichts mehr im Wege und die<br />

Symbiose kann stattfinden. Du lässt es krachen, feierst deine Ups and Downs des<br />

Jahres, hältst dich nicht ansatzweise zurück und lässt dich einfach treiben. Ihr seid<br />

wieder vereint.<br />

Dennoch müssen kurze Solo-Phasen sein, schließlich möchte man ja nicht 24/7<br />

aufeinandersitzen und sich nerven. Denn eben das würde das Anschleichen des<br />

Feindes, den Alltagstrott begünstigen. So folgt eine kleine Zigarettenpause, denn<br />

Abstand bringt ja bekanntlich Nähe. Während du an deiner Zigarette ziehst und dich<br />

erneut auf den Dancefloor freust, strahlt dich etwas an. Ein Strahlen, was dir bis dato<br />

mehr fremd als vertraut war. Etwas total Unerwartetes sozusagen, eine 1,75 m große<br />

Supernova in winterlich-weihnachtlichem Hemd mit Schneeflockenmuster und<br />

roter Satin-Fliege. Gebannt von dem Anblick zieht es dich hin, eine Unterhaltung<br />

der etwas anderen Art folgt. Kein belangloser, sinnloser Smalltalk. Kein verbaler<br />

Unsinn, sondern Wörter mit Gewicht, mit Inhalt. Auf die Faszination folgt ein Kuss,<br />

Korrektur: der Kuss des Jahres. Es ist anders, vertrauter, sinnlicher und erstaunlich<br />

innig als bisher Bekanntes und Erfahrenes. Gebannt von einem märchenhaften Kuss,<br />

zieht es mich wieder zurück zur vermeintlich wahren Liebe, zur Tanzfläche.<br />

Erneut vereint, hat sich nun auch<br />

meine Ausstrahlung um ein Vielfaches<br />

potenziert. Mich hält nichts mehr zurück,<br />

ich strahle mit der Clubbeleuchtung um<br />

die Wette. Nach gefühlten Sekunden<br />

ist die kleine Supernova direkt vor mir.<br />

Erneut ein Kuss, ein Kuss der mich alles<br />

vergessen lässt. Wo bin ich? Wer bin ich?<br />

Warum bin ich?<br />

Und plötzlich ist da der Plot Twist (dt.:<br />

Handlungswechsel) der heutigen Nacht<br />

und du kannst dir gar nicht vorstellen,<br />

wie dein bisher vertrautes, dezent langweiliges,<br />

allerdings perfekt einstudiertes<br />

Leben von heute auf morgen über Kopf<br />

steht. Deine sonst so bekannte, sowie<br />

brillant inszenierte Routine bröckelt, fällt<br />

wie ein Kartenhaus in sich zusammen<br />

und die Fassade bricht und splittert in<br />

tausend Teile. Der Alltag wurde tatsächlich<br />

zerschlagen. Ab sofort spielt sich<br />

alles ganz anders ab. Dein Leben übernimmt<br />

nun die Eigenregie. Schmetterlinge<br />

überall, um die Wette strahlen mit der<br />

Sonne, die durchdringende Musik und<br />

auf einmal vergisst du deine Aufgaben,<br />

deine öden Verpflichtungen und alles<br />

wird komplett belanglos. Du bist angelangt<br />

im Ausnahmezustand, im Urlaubsort<br />

Liebe. Nach traumhaften Stunden<br />

zu zweit und etlichen Gesprächen fallen<br />

immer weitere Gemeinsamkeiten auf. Es<br />

macht den Anschein, als ob all das vorbestimmt<br />

wäre und die Begegnung so im<br />

Buche stand. Jede Berührung fühlt sich<br />

richtig an, wie eine Art Kurzurlaub. Eine<br />

Flucht aus dem Alltag. Nur kurz die Verpflichtungen<br />

vergessen und die Batterien<br />

tanken, vielleicht ist das ja auch eine Art<br />

Wohlfühloase, die mal etwas länger Bestand<br />

hat als vergangene Geschichten.<br />

Nach nahezu 24 gemeinsamen Stunden<br />

entpuppt sich die vermeintliche Oase<br />

als Fata Morgana. Der Schein trügt,<br />

schwindet und die Supernova erlischt.<br />

Eure Beziehungskonzeptionen sind<br />

nicht kompatibel, es gibt kein Happy<br />

End. Denn das ist etwas, das keine<br />

Kompromisse kennt. Der Urlaub endet<br />

und die Realität nähert sich dir mit der<br />

Routine im Gepäck. Und ehe du dich<br />

versiehst heißt es erneut:<br />

Aufstehen, richten, stärken, arbeiten,<br />

schlafen.<br />

AJOURE MAGAZIN SEITE: 97 | FEBRUAR <strong>2018</strong>

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