28 | maaS Fotos: iStock (Tür), iStock (Aquarellblumen)
Es ist die Liebe Von Karl Gamper Es gibt eine alte Geschichte: Ein Kaiser aus Japan tat einmal unter allen Malern seines Landes kund, er wolle ein Gemälde haben, das wie echt aussehen sollte: „Wenn ihr eine Tür malt, sollte sie nicht wie ein Gemälde aussehen. Jeder sollte sie für so echt halten, dass er versucht, durch sie einzutreten. Wer so etwas malen kann, was immer sein Begehr – und selbst wenn es mein ganzes Kaiserreich wäre – er soll es zur Belohnung erhalten.“ Maler strömten aus allen Teilen des Inselreiches in den Palast, um es zu versuchen. Doch keinem gelang es. Doch ein Maler sagte, er könne es malen, allerdings nur unter diesen Bedingungen: Solange er malt, darf ihn niemand dabei stören. Und es darf keine zeitliche Begrenzung geben. Zudem wird er nicht auf Leinwand malen, sondern auf einer großen Wand im Palast. Niemand darf hereinkommen und der Kaiser soll es als erster fertig zu sehen bekommen. Diese Bedingungen wurden angenommen. Es dauerte mehr als sechs Jahre. Der Kaiser wurde schon alt. Doch er hatte versprochen, nicht zu stören, und er hielt sein Wort. Nach fast sieben Jahren kam der Maler zum Kaiser und sagte: „Ihr könnt kommen.“ Er führte den Kaiser in den Raum. Der Kaiser konnte es nicht fassen. Es sah absolut echt aus. Da waren blühende Bäume, wundersame Blumen, frische Gräser und ein kleiner, gewundener Fußweg. Der Kaiser fragte: „Wohin führt dieser Weg?“ Der Maler sagte: „Ihr könnt ihn betreten …“ Und ob ihr es glaubt oder nicht – ich glaube es, es ist zu schön! Der Kaiser betrat mit dem Maler das Kunstwerk – und beide wurden nie wieder gesehen. Beide kamen nie zurück. ES IST DIE LIEBE Wenn wir diese Geschichte für ein faktisches Ereignis halten, gehen wir an der Sache vorbei. Es ist ein Gleichnis. Und als solches wunderschön. Denn so ist es mit der Liebe. Wenn wir der Liebe folgen, so geht etwas in uns verloren. Und kommt nie wieder. Doch ich spreche hier nicht von der emotionalen Liebe, sondern von jener Liebe, die Jeshua Gott nannte. „Gott ist Liebe – Liebe ist Gott,“ predigte der Meister aus der Wüste. Er war damit der erste, der den rächenden Gott des Alten Testaments aus den Köpfen der Menschen vertrieb und einen Gott der Liebe in die Herzen pflanzte. In dieser Liebe verbrennt die trennende Angst des Egos. Das Ego selbst – der Kaiser – verliert seine Herrschaft. Er geht verloren. Und kommt in dieser Gestalt nie wieder. Und aus „AngstLand“ wird ein Land der Liebe. Ich nenne es „NeuLand“, weil wir es als Menschheit noch niemals betreten haben. Einzelne – ja. Doch in der gesamten Geschichte gibt es kein Volk, das im Licht der Liebe lebte. Seit Kain und Abel schlagen wir einander die Köpfe ein und die menschliche Geschichte ist – nicht nur, doch auch – eine Blutspur aus Kriegen. Aus Kriegen aller Art. Vom Krieg gegen uns selbst bis zum Krieg in der Familie, an unseren Arbeitsplätzen, mit unseren Nachbarn, mit anderen Völkern und anderen Glaubensgeme<strong>ins</strong>chaften. Doch es ist die Liebe, die uns ruft. Dich. Mich. Uns alle. Es ist die Liebe. Diese Spur führt uns alle direkt zum nächsten Sprung in der menschlichen Evolution. Es ist die Liebe, in die hinein wir erwachen können. Es ist die Liebe, die jeden Einzelnen und uns als Menschheit zu unserem höchsten Potential erblühen lässt. Es ist die Liebe, die uns einen göttlichen Schimmer schenkt im menschlichen Gewand. Es ist die Liebe. DIE LIEBE IST DAS UNBEKANNTE Daher lautet aus meiner Sicht der menschliche Auftrag: Das Unbekannte bekannt zu machen. Das ist zentral! Anders gesagt: Uns einzulassen auf das Mysterium der Liebe und deren Unbegrenztheit. Dies ist kein finaler Weg mit einem klaren Ziel. Es ist das genaue Gegenteil. Es ist ein Werden-Werden. Es ist ein Prozess des endlosen Erwachens. Der nie erlahmenden Annäherung. Und je näher wir der Liebe kommen, desto weiter wird ihr Feld, desto größer ihre Dimensionen, desto ozeanischer unser Sein und Werden. „Ozeanisch“ ist eine Beschreibung maaS | 29